Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Achtzehntes Kapitel.

Die russischen Scharen waren über die livländischen Grenzlande hingezogen wie ein hagelbringendes Gewitter. Nachdem sie auf ihrem schnellen Ritt zerstört hatten, was sich in solcher Eile zerstören ließ, gingen sie mit reicher Beute an Gefangenen und Habe wieder über die Narwa und ihr Feldherr Zar Schig Alei richtete von Iwangorod aus im Namen des Zaren einen Brief an die Landesfürsten, dessen hochmütige Sprache diesen nur zu deutlich sagen mußte, wie gewiß der Großfürst an den Erfolg seiner auf den Besitz von Livland gerichteten Bestrebungen glaubte. Wagte es doch der Tatarenfürst den Livländern zu versprechen, daß er sich für sie verwenden würde, falls sie durch eine neue Gesandtschaft die Gnade des Großfürsten erbitten sollten. Der Einfall selbst war, wie er behauptete, nur die gerechte Strafe dafür, daß die Livländer den versprochenen Tribut nicht rechtzeitig entrichtet hatten.

Die Stimmung im Lande war eine durchaus verzagte. Die schreckliche Kriegführung der Tataren hatte allen Bewohnern einen Vorschmack davon gegeben, was ihrer harrte, wenn erst ein großes, russisches Heer ins Land fiel und der 290 geringe Widerstand, den die Feinde fanden, hatte die Ohnmacht des Landes in kläglichster Weise an den Tag gebracht. Wohl hatten viele Ordensritter und Edelleute in zahlreichen einzelnen Treffen bewiesen, daß ihrer tapferen Väter Blut in ihren Adern floß, aber nicht wenige hatten auch die ihrer Obhut anvertrauten Schlösser feige verlassen und alle Unternehmungen waren planlos und deshalb auch erfolglos geführt worden. In Wenden argwöhnte man überdies mit gutem Grunde, daß die Bischöfe unzuverlässig waren. Der von Dorpat hätte gern ein Abkommen mit den Russen getroffen, Johann von Münchhausen sann auf Verrat und wollte Ösel, die Wiek und das Stift Kurland den Dänen in die Hände spielen, der Erzbischof von Riga hatte nicht vergessen, daß er eben erst aus der Haft des Ordens entlassen worden war. Noch schlimmer war, daß im Orden selbst die Zwietracht ihr Haupt erhob. Eine starke Partei richtete ihr Augenmerk auf polnische Hilfe und erblickte in dem den Polen tödlich verhaßten Herrmeister Fürstenberg ein unübersteigliches Hindernis für die Ausführung ihrer Pläne.

So war denn die Stimmung auf dem Ende Februar zu Weißenstein abgehaltenen Tage, auf dem die Ritterschaft von Harrien, Wierland und Jerwen, sowie die Stadt Reval dem Herrmeister huldigten und die aus Rußland zurückgekehrte Gesandtschaft Bericht erstattete, eine äußerst gedrückte. Dieser Bericht aber lautete so: Der Großfürst hatte sich nach langen Verhandlungen endlich bereit erklärt, einen neuen Frieden zu bewilligen, falls die Livländer ihm 45 000 Thaler ein für allemal zahlen wollten und das Stift Dorpat sich überdies zur jährlichen Zahlung von 1000 ungarischen 291 Gulden verstehen würde. Als die Gesandten notgedrungen schließlich in diese Bedingungen willigten, verlangte der Großfürst sofortige Zahlung. Die Gesandten erklärten, daß sie das Geld nicht mit hätten, daß es aber gleich nach ihrer Rückkehr bezahlt werden würde. Darauf erklärte der Großfürst alle Verhandlungen für abgebrochen. Die Gesandten wollten nun das Geld bei russischen Kaufleuten, die nach Livland handelten, aufnehmen, allein es erwies sich, daß diesen verboten war, den Livländern Geld zu leihen. Es half auch nichts, daß die Gesandten sich erboten, bis zum Eintreffen des Geldes in Moskau zu bleiben, man brachte sie vielmehr zunächst nach Tscherna und hielt sie dann erst in Wologda, später in Nowgorod absichtlich möglichst lange auf, damit der Einfall Schig-Aleis das Land unvorbereitet treffen konnte. Trotzdem war es den Gesandten bekanntlich gelungen, einen Brief nach Dorpat gelangen zu lassen, der aber nicht die erwünschte Wirkung hatte, weil alle anderen Verbindungen in Rußland annehmen ließen, daß die Aufstellung der Tataren an der Grenze nur den Zweck einer Drohung habe.

Auf Grund dieses Berichtes wurde beschlossen, mit möglichster Beschleunigung einen Landtag nach Wolmar einzuberufen und dieser auf Oculi, das damals in die Mitte des März fiel, festgesetzt. Jetzt erst konnte der Stiftsvogt wenigstens auf einige Tage dem heimischen Herde zueilen. Es war ein trauriges Wiedersehen. Als Herr Kruse und sein Weib, nachdem sie sich umarmt hatten, einander prüfend musterten, da las jedes von den Furchen im Gesicht des anderen alle die Sorgen ab, die sie gezogen hatten. »Nun, 292 weine nur nicht, Katzchen,« sagte der Stiftsvogt mit einer Stimme, die auch nach unterdrückten Thränen klang, »man kann ja hoffen, daß der gnädige und barmherzige Gott nun allem Elend in Bälde steuern und dem Herzleid wehren wird. Was ich freilich für Sorge und Bekümmernis eurethalben getragen habe, zumal in der Wologda und in Naugart, als ich schon wußte, daß die Säue im Garten waren, weiß er allein. Trotzdem dürfen wir nicht klagen, denn der Allmächtige hat unsern Elert aus des Todes Rachen befreit gerade wie den Propheten Daniel aus der Löwengrube, dazu auch unsern Hof ganz wunderbar vor dem Feuer gehütet, da doch so vieler Nachbarn Häuser ganz und gar in Rauch aufgingen. Wir also haben alle Ursache zu danken und ihn zu loben mit Psalmen und frommen Liedern. Was aber das allgemeine Land angeht – so ist das eine trübe Geschichte und so es uns nicht gelingt, die Königlichen Majestäten von Dänemark, Schweden und Polen als uns von der Kaiserlichen Majestät zugeordnete Schutzherren wider den Moskowiter in den Harnisch zu bringen, so war des Schig-Alei Einfall gewiß nur ein kleiner Anfang zu einem schrecklichen Fortgang und Ende. Na Gott bessere es! Davon zu gelegenerer Zeit mehr. Und nun kommt her, ihr anderen alle. Elert, lieber Junge, ich nehme dich wieder in die Arme, als ob mir deine Mutter den Erben neugeboren hätte und du hast dich doch als ein junger Kriegsmann tapfer und wacker gehalten und Leib und Leben wider den Feind gewagt. Na, ihr Kleinen, nicht so stürmisch, nicht so stürmisch. Ihr habt wohl alle Abend gemeint, der Tater stände bereits an eurem Bettchen? Grüß dich Gott, 293 Anna, du siehst, ich habe Jürgen unverletzt und unzerschlagen zurückgebracht, wenn er auch im Moskauer Gesandtenhof, der einem Gefängnis so ähnlich sieht, wie ein Ei dem anderen, mehr Langeweile erduldet hat, als seinen jungen Jahren lieb war. Bärbchen, du siehst ja noch ganz verstört aus! Liegt dir der Schreck noch immer in den Gliedern? Na, es thut einem ja bitter leid, um das grausam vergossene junge Blut, aber Elert und Jürgen sind ja dem Schlachten wunderbar entronnen, da muß man mehr an sie denken, als an die anderen.«

Als der Stiftsvogt am Abend mit seiner Frau allein war, fragte er, wie sich das Verhältnis zwischen Eilhard und Barbara gestaltet habe. Frau Katharina schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, welcher böse Geist in das Mädchen gefahren ist,« erwiderte sie, »aber Bärbchen ist ganz und gar verändert, sie ist Elert feind und will von ihm nichts mehr wissen. Ob er sie schwer beleidigt hat oder ob ein anderer es ihr angethan hat, weiß ich nicht, es ist aber nicht anders, als wenn sie verzaubert wäre. Als Elert und Jürgen damals zurückkamen, fiel sie in eine Ohnmacht. Da sie nun den Bruder nie hat leiden mögen, so dachten die Ahne und ich, sie müßte dem Elert doch noch gut sein, aber sie hat uns seitdem darüber die Augen aufgethan, daß auch ein Blinder sehen mußte, sie wolle von ihm nichts wissen.«

»Sie sieht aus, daß ich sie fast nicht erkannt hätte.«

»Das ist es eben und doch ist sie nicht krank. Es ist, als ob ihr einer einen Trank eingegeben hätte, der sie stumm und stumpf macht und ihr am Herzen frißt, aber wer kann 294 das gewesen sein, denn das Kind hat mit niemand Händel gehabt und steht auch keinem im Wege.«

»Was meint denn der Bruder?«

»Der hat jetzt andere Dinge im Kopf als das Mädchen. Die Tatern haben ihm alle Dörfer verbrannt und da die vielen Reiter im Schloß alles verzehren, was an Korn auf dem Hause ist, so weiß er nicht, wie er die Bauern durch den Winter bringen wird.«

»Ja, ja,« sagte der Stiftsvogt, »das sind böse Zeiten. Ich will, sobald ich unserem gnädigen Herrn Bericht erstattet und Jürgen Holzschuher gesprochen habe, hinaus nach Kelles. Bonnius sieht ja da schon nach dem Rechten und wird seine Sache gewiß so gut machen wie einer, aber ich will immerhin zusehen, was sich thun läßt. Das Holz für die Häuser, Ställe und Scheunen muß jedenfalls noch bei währender Schlittenbahn aus dem Walde, damit alles vor der Ernte wieder unter Dach kommt.«

Am folgenden Tage kehrte der Stiftsvogt erst spät vom Schloß zurück. Er war verstimmt und niedergeschlagen. »Die Dinge liegen ja schlimm genug,« sagte er, »aber da oben thun sie, als ob morgen aller Tage letzter wäre. Würde ich unseren gnädigen Herrn nicht so gut kennen, wie ich ihn kenne, ich müßte glauben, er wäre in seiner Verzagtheit bereit, den Moskowiter als einen Herrn und König über Dorpat anzuerkennen und allen Ernstes zu glauben, daß dann eine deutsche Obrigkeit unter des Großfürsten Herrschaft in Stadt und Land schalten und walten könnte nach dem alten, während doch in Reußland jedermann, er sei vornehm oder gering, reich oder arm nur ein Knecht 295 des Großfürsten ist, der mit seinen Pflichtverwandten verfährt nach seinem Gefallen. Wenn er uns auch alle Libertät verspräche, er könnte sein Versprechen auf die Dauer nicht halten, denn die Knäsen und Bojaren sollten sich sonst an den Deutschen von Adel bald ein Muster nehmen.«

»Aber Elert,« rief Frau Katharina, »sinnt denn der Bischof offen darauf, wie er dem Moskowiter die Thore öffnen möchte?«

»Natürlich nicht, Katzchen,« erwiderte der Stiftsvogt unwillig, »ich sagte ja schon, daß nur die Verzagtheit aus ihm redet und ich weiß, daß er sich schon wieder einen festen Mut fassen wird, aber es war schwer anzuhören, wenn Seine bischöfliche Gnaden und der Kanzler redeten, als wäre unser teures Livland schon gestorben und tot und der Moskowiter käme als der Erbe ins Land.«

Am anderen Tage ritten Herr Kruse, Jürgen Nötken und Eilhard nach Kelles. Auf dem Wege lag nur wenig Schnee, der Boden war aufgeweicht, man kam nur langsam vorwärts. Eilhard erzählte dem Vater unter anderem, daß während der letzten Wochen im Kruseschen Stall eine Anzahl Pferde an einer kolikartigen Seuche erkrankt und plötzlich eingegangen seien, so daß die Reiter unberitten geblieben waren. Infolge dessen hätten Bonnius und er sechs tüchtige Gäule gekauft und sie unter der Aufsicht des neuen Reiters nach Kelles geschickt.

»Der neue Reiter – wie heißt er doch gleich? hat er einen guten Abschiedsbrief?«

»Einen ganz vortrefflichen.« 296

»Warum hat ihn denn Heinrich Thedingsheim entlassen? In dieser Zeit?«

»Bellin hat einen Streithandel mit einem Erlaschen Diener gehabt und diesen gewundet. Da hat nun der von Bersohn gefürchtet, daß der Streit mit des Vetters Dienern kein Ende nehmen würde, wenn er Bellin nicht fortschickte und damit dem Hader die Flechsen durchschnitt.«

»Und er ist tüchtig?«

»Sehr tüchtig, ein guter Reiter, in sicherer Schütze und ein stiller, ruhiger Mensch.«

Der Weg machte hier eine starke Krümmung. Als die Herren sie hinter sich hatten, sahen sie in einiger Entfernung vor ihnen zwei Reiter aus dem Walde auf die Landstraße kommen, von denen jeder noch ein gesatteltes Pferd mit sich führte. Als die beiden Reiter den Kruseschen Zug gewahr wurden, hielten sie einen Augenblick und ritten ihm dann entgegen. Es waren Bonnius und Christopher.

»Gott helf, Bonnius,« rief der Stiftsvogt, »wo kommt Ihr her? Habt Ihr jemand fortgebracht? Die Gäule haben ja kein trockenes Haar am Leibe.«

»Willkommen in der Heimat, gnädiger Herr, und Ihr auch, Junker Nötken. Gott sei Dank, daß Ihr ungeschlagen wieder im Lande seid. Wir haben nicht wenig Sorge um Euch getragen.«

Der Stiftsvogt wies mit der Rechten nach oben. »Der da verläßt keinen ehrlichen Deutschen, der auf ihn vertraut,« erwiderte er. »Ihr aber habt es noch schlimmer gehabt als wir, und unser Junker ist erst recht nur durch ein Wunder aus dem Schatten des Todes hervorgegangen.« 297

»Gnädiger Herr,« sagte Bonnius, »Ihr werdet bereits wissen, daß sie uns das Dorf niedergebrannt haben.«

»Ja, und ich weiß auch, daß Ihr schon dabei seid, es wieder aufzubauen. Recht so, Bonnius. Vor dem Beginn der Ernte müssen die Leute wieder unter Dach und Fach sein.«

»Aber Ihr habt uns noch nicht gesagt, wo Ihr herkommt,« bemerkte Eilhard.

»Wir haben einen Ritt durch die Wildnis gemacht,« erwiderte Bonnius. »Wenn mich nicht alles täuscht, werden die Gorren in diesem Sommer manchen Weg durch den Busch machen, da muß man sie denn daran gewöhnen, daß sie auch einmal über einen umgestürzten Baumstamm wegklettern oder durch einen tiefen Bach schwimmen können. Deshalb haben wir sie heute in die Schule genommen.«

Der Stiftsvogt reichte dem Schreiber die Hand. »Ihr seid ein ganzer Mann, Bonnius,« sagte er »und beschämt trotz Euerer jungen Jahre durch Euere Umsicht manchen, dem die Haare weiß ums runzlige Gesicht hängen.« Dann wandte Herr Kruse sich zu dem neuen Diener. »Es wird Euch schwer geworden sein, einem so vornehmen und edlen Herrn, wie dem gestrengen Herrn von Thedingsheim auf Bersohn Valet zu sagen,« sagte er, indem er Christopher freundlich zunickte, »aber Ihr sollt sehen, daß es auch noch niemand bedauert hat eines Kruse Farben zu tragen. Ich will übrigens Euerem alten Herrn sagen, daß Ihr einen guten Unterschlupf gefunden habt. Ich reite in der nächsten Woche nach Wolmar und der Bannerherr kommt natürlich auch hin.« 298

»Thut das, gnädiger Herr,« erwiderte Christopher »und sagt ihm, daß ich es nicht besser haben will, als ich es habe.«

Auf der Brandstätte, wo bisher das Dorf von Kelles stand, ging es her wie in einem Ameisenhaufen. Da die Pferde und die Gerätschaften gerettet waren, konnte man das Holz aus dem Walde schaffen und was eine Axt heben oder eine Säge ziehen konnte, war damit beschäftigt, die Stämme für die Bauten herzurichten. Es konnten ja freilich nur Blockhäuser entstehen, noch kleiner und noch roher als sonst, aber sie boten immerhin Schutz gegen Wind und Wetter und gegen die Kälte des Winters.

Bei der Ankunft der Herrschaft drängte sich alles um sie und lauschte dem Bericht, den der Hofmeister erstattete. Mehrmals hatten Tatarenhaufen den Hof von Kelles umschwärmt, man hatte aber immer sofort ein paar Büchsen abgeschossen, worauf sie sich in respektvoller Entfernung hielten. Am gefährlichsten hatten sich die Dinge angelassen, als die Schar, der später die Junker aus Dorpat in die Hände fielen, den Hof umlagerte und der Hofmeister meinte, daß sie ganz gewiß einen Angriff unternommen haben würde, wenn nicht die Nachricht, daß die jungen Edelleute herankämen, sie veranlaßt hätte, sich auf diese zu stürzen.

»Es ist ein Wunder, daß sie Euch nicht noch später angriffen,« meinte der Stiftsvogt, »aber sie mögen sich wohl gedacht haben, daß man nach den Herren suchen würde.«

Der alte Hofmeister nickte. »Das wird es gewesen sein,« sagte er. »Merkwürdig ist, daß die tolle Käthe sich mitten unter den Bestien befunden hat, wie ein Kind unter Wölfen, 299 ohne daß ihr etwas widerfuhr. Sie mögen wohl gedacht haben: Wen Gott gezeichnet hat, den soll der Mensch fürchten.«

»Das ist es,« erwiderte der Stiftsvogt, »der Reuße sieht die Unsinnigen an wie Heilige. Ich habe selbst in der Pleskau sowohl, wie auch in der Moskau Besessene umhergehen sehen, die waren nackt und bloß, wie sie aus ihrer Mutter Leibe gekommen waren und trugen nichts als eitel schwere Ketten. Deren närrischen und unsinnigen Reden lauschten die thörichten, abergläubischen Leute, als ob sie das Evangelium verkündigten.«

Man ritt weiter, um auf den Hof zu kommen. »Haben sich viele Leute verlaufen, Bonnius?« fragte der Stiftsvogt leise.

»Nicht einer, gnädiger Herr,« war die Antwort. »Wir glaubten, daß einer der neugepflanzten Leute davongelaufen sei, aber wir haben dem armen Menschen bitter unrecht gethan. Wir fanden sie alle, den Mann, das Weib, die beiden Söhne und die Tochter später im Walde. Die Tatern hatten die Weiber geschunden und dann gehängt, die Männer aber an die Bäume gebunden und mit Pfeilen tot geschossen.«

Nun kam auch der Pastor herbei, nach dem geschickt worden war. »Gott sei Dank, daß Ihr wieder da seid, gnädiger Herr,« rief er. »Ich will verdammt sein, wenn es nicht mehr als einmal an einem Haar hing, ob ich Euch je wieder in Kelles willkommen heißen würde oder nicht. Aber wir haben den Kerls brav aufs Leder gebrannt, das muß wahr sein.« 300

Der Junker reichte dem Pastor die Hand. »Ihr habt Euch ritterlich gehalten,« sagte er »und Euch verdanke ich es, daß mein Haus aufrecht steht.«

»Oho, das will nichts sagen. Wir haben es mit den Unchristen schon aufnehmen können. Es wird mir nur meiner Seele meine Tage lang leid thun, daß wir nicht wußten, was die Heiden in der Mühle trieben, wir hätten sonst wohl ausfallen und tapfer an sie setzen wollen. So aber meinten wir, sie marterten nur die undeutsche Armut, während die bösen, teuflischen Menschen unterdessen deutsches, adliges Blut vergossen.«

Man besichtigte nun auch die Kirche. Sie bot einen traurigen Anblick. Die Thüren hingen zerbrochen in den Angeln, die Fenster waren zerschmettert, große, schwarze Brandflecke bezeichneten die Stelle, an der die Tataren die Bänke zusammengehäuft und in Brand gesteckt hatten, um das Gotteshaus zu verbrennen.

»Die Glocken haben sie hier wie überall mit sich fortgeschleppt,« sagte der Pastor.

»Die Glocken,« rief Herr Kruse schmerzbewegt, »die lieben Glocken, die meinem Vater selig zu Grabe läuteten und die zu deiner Taufe, Elert, so fröhlich erklangen!«

Es war spät geworden und die Herren sollten zur Nacht noch nach Randen. So sagten sie denn dem Pastor lebewohl und brachen auf. »Wenn der Pastor,« sagte Herr Kruse unterwegs »die Seelen seiner Pfarrkinder so tapfer behüten wollte, wie ihre Leiber, so sollte der Gottseibeiuns wohl die Hände von ihnen lassen, aber ich fürchte, dieser Kriegsmann weiß das Schwert besser zu handhaben als das 301 Kreuz. Na, Gott, bessere es! Wie wird deine Mutter, Elert, betrübt sein, wenn sie diese Greuel der Verwüstung sieht. Aber nun, wir dürfen nicht klagen. Gott hat uns dich wunderbar erhalten, während Reinhold Vietinghof beide Söhne hat hingeben müssen. Wie schrecklich muß es erst sein, wenn die Unchristen einem die Schwester fortschleppten, wie den Stahlbiters, oder die Tochter wie Wolmar Brümmer!«

Bonnius und Christopher hatten den Herren noch bis zur Grenze von Kelles das Geleit gegeben. Nachdem sie sich dort verabschiedet hatten, ritten sie eine Weile schweigend nebeneinander her, als aber der letzte Ton hinter ihnen verhallt war, zog Christopher die Zügel an. »Jetzt ist der Brei versalzen,« sagte er »und dem Faß der Boden ausgefallen. Wir müssen den Herrschaften nun ein gutes Jahr wünschen und uns auf den Weg machen, ob es gleich die allerungünstigste Zeit ist, in der je der Busch hinter einem flüchtigen Mann zusammenschlug. Ich warnte Euch gleich davor, den Abschiedsbrief zu schreiben.«

»Wer konnte ahnen, daß der Stiftsvogt in dieser Jahreszeit mit dem von Bersohn zusammentreffen würde!«

»Jedenfalls,« nahm Christopher wieder das Wort, »müssen wir so schnell davon, wie der Pracher, der das Almosen im Brotsack hat. Wenn die Junker uns fingen, würden sie uns nicht mit dem Fuchsschwanz strafen.«

»Das will ich meinen, Christopher. Ich sehe ein, es muß gewagt sein, sobald der Stiftsvogt im Sattel ist.«

Die beiden ließen ihre Pferde im Schritt weitergehen und blickten nachdenklich auf den Weg vor ihnen, auf den sich die Dunkelheit rasch herabsenkte. 302

»Es ist die allerschlimmste Jahreszeit,« sagte Christopher. »Tritt nicht noch Kälte ein, so gehen die Sümpfe auf und die Flüsse halten nicht mehr. Dazu sieht man jeden Roßhuf im Eise so gut wie im Schnee. Und dann die langen Nächte, in denen wir ohne Feuer nicht leben können, sowohl wegen der Kälte, wie wegen der Wölfe.«

»Einerlei, Christopher, durch müssen wir und dann – ich hoffe der Stiftsvogt nimmt beide Junker mit. Auch der von – Hm! Hm! – auch mancher andere Junker wird fort sein, der sonst hinter uns her wäre, wie der Wolf hinter dem Reh.«

»Ja, aber wo stecken sie alle? In Wolmar. Erfahren sie dort, daß der Fuchs aus dem Sacke ist, ehe er durch die Reiter kam, so können sie uns abfangen, wie die Otter im Bau.«

»Das darf nicht geschehen, wir müssen an Wolmar vorüber sein, ehe sie dort Feuer! Feuer! rufen.«

»Das sagt sich leicht, aber wie sollen wir in dieser Jahreszeit auf Buschwegen so schnell vorwärts kommen?«

»Einerlei, Christopher, vorwärts müssen wir und wenn es zwischen die Spieße ginge.«

»Das ist wahr. Hier hilft kein Händeringen und Kniebeugen. Jetzt heißt die Losung: Kourage.«

Die Herren von Kelles ritten unterdessen scharf zu. In Randen empfing sie der Schloßherr mit großer Herzlichkeit. »Elert und ich,« sagte er noch auf der Flur, »sind nun rechte Kampfgenossen und Brüder geworden und wissen, daß wir wie solche aufeinander rechnen können in Freud und Leid, in Not und Tod.« 303

Der Stiftsvogt bemerkte überhaupt mit nicht geringer Verwunderung, mit welcher Herzlichkeit, ja Zärtlichkeit der sonst so kalte und abweisende Junker um Elert besorgt war. »Wer hätte geglaubt, daß diese Hagebutte solche Rosen tragen kann,« dachte er.

Als man beim Mahle saß, kam die Rede natürlich auf das allgemeine Land. »Wir haben wieder einmal gesehen,« sagte der von Randen, »was wir von den Westfälingern zu erwarten haben. Es gibt keinen größeren Schelm, als der aus der Kutte blickt! So lange es sich darum handelte, einen Bischof zu placken oder einem Junker, aus dem das Bier gesprochen, zu Leibe zu gehen, war jeder ein St. Georg, aber wie der Reuße ins Land fiel, hatten alle Hengste steife Beine und waren nicht aus den Ställen zu bringen.«

»Sie waren leichtsinnig,« stimmte der Stiftsvogt zu. »Ich weiß bestimmt, daß die Tatern nur fühlen sollten, ob uns die Zähne lose saßen. Hätten sie nur tausend Bauernschützen an der Grenze gefunden, sie hätten Livland mit dem Rücken angesehen.«

»Das ist es ja, aber diese Kriegsleute denken: weit vom Ziel ist sicher vorm Schuß und: mit Trompeten läßt sich der Tater nicht umblasen. Darüber sind uns hier unsere Dörfer in Rauch aufgegangen und die Bauern zu Busch gelaufen, so daß wir zusehen können, wie wir unsere Reiter und Rosse durch den Winter bringen. Eins aber weiß ich, fliegt die Ordensfahne auch wieder einmal im Winde, so soll doch niemand meinen Federbusch hinter ihr flattern sehen.« 304

»Du bist zu scharf, Jürgen. Ein zerrissener Pelz hält immerhin wärmer, als gar keiner.«

»Ich mag diesen Pelz nicht und wenn ich darüber erfriere. Was sollen uns diese Maulhelden? Das, was wir brauchen, ist ein deutscher Fürst. Ehe wir den haben, läßt sich ja doch nichts ausrichten und wenn jeder von uns die Beine unter König Arthus Tisch gesetzt hätte. Jetzt sind wir glücklich so weit, daß wir hier im Stift eine Art Pflichtverwandte des moskowitischen Bluthundes geworden sind und es soll mich wundern, wenn wir nicht nächstens in die Moskau müssen, um vor ihm als Huldigung die Stirn zu schlagen. Ich glaube, wenn der Moskowiter es verlangte, der Pfaffe im Schlosse zu Dorpat thäte es.«

»Es blieb nichts anderes übrig, Jürgen. Wir konnten froh sein, daß der Großfürst auch nur darin willigte. So wie der Wind im Lande weht, können wir wider die Reußen nicht das Feld halten.«

»Das glaube ich gern, aber es muß eben alles anders werden im Lande, oder wir müssen alle von Land und Leuten weichen. Finden wir keinen Fürsten, der ein König über Livland werden will, so müssen wir dänisch werden, oder meinetwegen selbst polnisch, wenn nur das Regiment der Kreuziger ein Ende hat.«

Als man zu Bett ging, begleitete der von Randen Herrn Kruse in die Schlafkammer. »Ohm,« sagte er dort, »ich möchte mit Euch, Elerts wegen, ein Wort unter vier Augen sprechen. Es wird Euch nicht entgangen sein, daß er und Bärbchen auseinander sind und von selbst nicht wieder über den Graben können. Wie wäre es, wenn wir ihnen 305 hinüberhälfen? Ich hätte es ja auch lieber gehabt, die Ahne wäre erst mit Bärbchen nach Randen gekommen und Elert wäre uns dann mit seinen Gesellen auf den Hof geritten und hätte um das Mädchen geworben, aber so wie die Dinge liegen, wird niemand billigerweise verlangen, daß wir zwischen den Feldschlangen eine große Köste ausrichten. Da könnten wir sie in aller Stille zusammenthun lassen und Elert würde wieder den Kopf hochhalten. Was meint Ihr?«

»Mir wär es schon recht,« erwiderte der von Kelles, »aber ich glaube nicht, daß wir Bärbchen dazu willig machen, und mit Gewalt können wir sie doch nicht an den Altar führen.«

»Ach was,« erwiderte der von Randen, »willig oder unwillig, die Dirne muß sich fügen. Glaubt mir, Oheim, ist sie erst sein Weib, so wird sie ihn auch lieb haben und wie ich sie kenne, paßt diese Kugel in dieses Rohr. Ich halte jede Wette, sobald das erste Kind da ist, gehören sie zusammen, als wie zwei Stämme aus einer Wurzel. Redet Ihr doch einmal mit ihr, Oheim. Sie hielt Euch immer wert und was sich hier in Güte machen läßt, werdet Ihr zustande bringen. Ist aber alles Streicheln und Zureden vergeblich, nun so soll mich aller Welt Plage treffen, wenn ich sie nicht mit Sporen und Peitsche dahin bringe, wohin ich sie haben will.«

Noch am Abend des Tages, an welchem Herr Kruse wieder in Dorpat eintraf, rief er Barbara herbei, schlang seinen rechten Arm um ihren Leib und führte sie so in sein Zimmer, dessen Thür er hinter sich verschloß. Er hieß sie Platz nehmen und betrachtete sie bei dem Scheine der Wachskerzen 306 auf seinem Tische. »Wie du jetzt deinem Bruder gleichst, Bärbchen!« sagte er.

Barbara schwieg und blickte den Oheim unverwandt an. Sie sah klug, kalt und hart aus.

»Bärbchen,« begann der Stiftsvogt in sichtlicher Verlegenheit, »der von Randen und ich sind übereingekommen, daß wir Elert und dich nicht länger warten lassen wollen. Wir hätten euch ja gern eine fröhliche Köste ausgerichtet, wie es sich für euch geschickt hätte, aber in diesem Kriegslärm geht das nicht an. Nicht wahr, Bärbchen?«

»Nein, Oheim,« war die Antwort. »Es würde auch sonst nicht gehen, denn ich mag nicht Elerts Frau werden.«

»Aber warum denn nicht, Bärbchen? Du warst ihm doch früher gut?«

»Ja, das war ich, aber jetzt mag ich ihn nicht mehr.«

»Aber weshalb denn nicht? Du mußt doch wissen, weshalb du diesen Weg nicht reiten willst. Du kannst doch nicht glauben, mit Elert, mit deinem Bruder und mit mir umspringen zu können nach deinem Gefallen.«

Dem Stiftsvogt schwoll die Zornader und seine Stimme klang laut und grollend.

Barbara schwieg.

»Ich will dir etwas sagen,« nahm der Stiftsvogt wieder das Wort, »wir alle sind dein widerhaariges, widerbellerisches, aufsässiges Wesen jetzt überdrüssig. Wir werden es auch nicht ruhig ansehen, daß du uns den Elert, den armen Jungen, der dich so herzlich lieb hat, ganz und gar verstörst und zu nichte machst. Hast du einen Grund und eine Ursache wider ihn, so sage es und wir wollen darüber reden, 307 ist es aber nichts, als daß dir eine Laus über die Leber gelaufen ist, so wollen wir es nicht länger mit ansehen. Ich reite morgen und Elert und Jürgen begleiten mich. Wenn wir aus Wolmar vom Landtage zurückkommen, werde ich wieder anfragen. Bestehst du auch dann noch auf deinem Kopf, so schicke ich dich nach Randen, und du magst zusehen, wie die Suppe schmeckt, die dir dein Bruder vorsetzen wird.«

Barbara erhob sich. »Habt Ihr mir noch etwas zu sagen?« fragte sie.

Das Auge des Stiftsvogtes ruhte zornig und unwillig auf seinem Liebling, aber das Mädchen hatte es ihm von jeher angethan, und wie sie jetzt vor ihm stand, die hohe und kräftige und doch wunderbar schlanke Gestalt hochaufgerichtet, mit dem Goldhaar über dem, wie von Künstlerhand gemeißelten schönen Antlitz, aus dem ihn die blauen Augen starr, aber furchtlos anblickten., wich der Zorn aus seinem Herzen und machte einer tiefen Traurigkeit Platz. Er erhob sich und ergriff beide Hände des Mädchens. »Bärbchen,« sagte er, »Gott weiß, wie schwer es mir wird, so harte Worte wider dich zu gebrauchen, die du meinem Herzen immer so teuer warst wie ein leiblich Kind, aber welch böser Geist ist in dich gefahren? Thut dir denn der arme, von seiner Kopfpein ohnehin so arg geplagte und gepeinigte Elert gar nicht leid in seinem Herzweh? Bärbchen, wir leben in einer argen Zeit und niemand weiß, ob sie nicht noch viel ärger wird, wenn der Reuße doch wieder ins Land kommen sollte. Verlangt dich da nicht selbst nach einem Manne, der dein Beschützer ist? Wenn der Sturm 308 durch das Land fährt, wer weiß da, welcher Baum stehen bleiben wird? Was soll aber geschehen, wenn die Raben mich und deinen Bruder zu Grabe geleiteten? Warum willst du denn nicht Elerts Weib werden? Er ist doch kein schlechter Geselle, sondern aus edlem Blute und er hat doch allezeit ein rechtschaffenes, adliges Gemüt an den Tag gebracht? Warum willst du nicht seine Genossin werden, wie deine Muhme die meinige wurde und hat es nicht bereut bis auf den heutigen Tag?«

Herr Kruse hatte, während er sprach, Barbara scharf im Auge behalten. Anfangs war es, als ob auch sie weich würde, aber bei seinen letzten Worten nahm ihr Gesicht wieder den harten, kalten und abweisenden Ausdruck an wie bisher. Er wartete eine Weile auf eine Antwort. Als diese ausblieb, ließ er ihre Hände fallen. »Geh,« sagte er ernst. »Wenn ich aus Wolmar zurück bin, wirst du mir antworten müssen.«

Barbara wandte sich um und verließ das Zimmer, in dem der Stiftsvogt noch lange auf und ab ging. Er sann vergeblich darüber nach, was das Mädchen wohl so verändert haben konnte. 309



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