Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Drittes Kapitel.

Als der Tumult anging, hatte Eilhard nach seinem Schwert gegriffen und denen vom Adel zu Hilfe eilen wollen, Hans aber hatte sich ihm entgegengeworfen und ihn beschworen, die Junker ihre Händel selbst ausfechten zu lassen. »Es sind ihrer doch wahrhaftig genug da mit Reitern und Knechten,« hatte er gesagt, »und die vom Orden tragen doch auch keine Schlüsseltaschen an der Seite. Wenn morgen der gnädige Herr Vater kommt, wird der Junker wohl zufrieden sein, daß ihm keine rote Suppe über die Handschuhe gelaufen.«

Die letztere Mahnung schlug durch, denn der Junker, der nach der Weise seines Alters hochmütig und Handel und Gewerbe feind war, wußte sehr wohl, daß sein heißgeliebter Vater über diese Dinge anders dachte. So begnügte er sich denn damit, den Ereignissen mit gespannter Aufmerksamkeit zuzusehen. Als die Kopfschmerzen, die vor der Aufregung des Augenblicks gleichsam zurückgewichen waren, wiederkehrten, nahm er wieder seine alte Stellung ein und auch Hans lehnte wieder, die Augen scharf auf die sich gegen das Fenster kaum abhebende Gestalt seines jungen Herrn gerichtet, in seiner Ecke.

So vergingen ein paar Stunden. Dann kam Jürgen nach Hause. Obgleich er einen schweren Rausch hatte, trat er doch so leise auf, als es ihm irgend möglich war. »Wo warst du noch, Jürgen?« fragte Eilhard.

»Wir haben noch etwas gedobbelt,« antwortete Jürgen mit schwerer Zunge, »und über dem Würfeln etwas – etwas 38 Moraz getrunken. Das war ein schöner – schöner – Abend, Elert. Erst das Bankett und dann das Bankett – nein, dann der Tanz und dann das Raufen! Na Jan, nur recht leise und du – du auch, Hans. Erst die Schuhe.«

In fünf Minuten war Jürgen ausgekleidet und im tiefsten Schlaf und der Junge zog sich zurück. Eilhard aber litt, bis die erste Dämmerung der Nacht die Herrschaft streitig machte und die Kopfschmerzen immer schwächer wurden und endlich ganz aufhörten. Er war nun körperlich zwar todmüde, aber geistig ganz frisch, hieß Hans die Kerzen anzünden und vertiefte sich in ein Buch, das er sich aus Deutschland mitgebracht hatte.

Als die jungen Leute am folgenden Morgen ihren Wirt aufsuchten, erwähnte er der Vorgänge während der Nacht nur ganz kurz als eines höchst verdrießlichen und betrübten Handels und meinte dann, sie müßten sogleich aufbrechen, wenn sie Herrn Billerbeck nicht warten lassen wollten. Jungfer Ursula war auch schon bereit und überaus munter, so daß Jürgen da wieder anfangen konnte, wo er gestern abend aufgehört hatte.

Der alte Billerbeck bewohnte ein Haus in der Sünderstraße, der Weg dahin war daher nicht weit. Sobald die Gesellschaft die geräumige Flur betreten hatte, befand sie sich in einer seltsamen Welt. Von dem mittleren Deckbalken hing das Modell eines unter vollen Segeln gehenden Dreimasters herab, zu seiner Linken ein ausgestopfter Hai, zur Rechten ein Delphin. Vom Rachen des Hai am Schiff vorüber bis zum Delphin schlang sich ein breites Band mit der Inschrift: 39

»Das höchste Gesetz zu jeder Zeit
Der gemeine Nutz sei jeder Zeit.«

Über der breiten Treppe von Eichenholz aber. die in den ersten Stock führte, verkündete ein anderes Band:

»Das beste Schiff zu Scheitern geht,
So Gott nicht an dem Steuer steht.«

Auf dem Absatz der Treppe sahen die Gäste den alten Herrn zugleich mit einem Diener über einen Gegenstand gebeugt, den sie erst erkannten, als ihr Fuß die erste Stufe betrat. In diesem Augenblicke nämlich blitzte es oben auf und ein tüchtiger Knall erschütterte das Haus. »Das ist Hans Billerbecks Willkommen,« sagte der Syndikus lachend, der alte Herr aber richtete sich auf, hieß seine Gäste herzlich willkommen und ließ sie dann die kleine Feldschlange, ein Ebenbild einer wirklichen, bewundern. Dann begaben sich alle in das Speisezimmer, das in einer dem großen Reichtum des Besitzers entsprechenden Weise hergerichtet war. Nun nahm man um den mit prächtigem Silbergeschirr auf das reichste geschmückten Tische Platz und that dem Frühstück alle Ehre an. Man spülte die Austern mit Chablis aus Burgund herunter, trank zu dem Blamensier von Hecht Auxerre oder Tougou von Bordeaux, begleitete die Lachspasteten, sowie die kalten Haselhühner mit Klaret und trank endlich zum Marzipan und sonstigen Krud feurigen Cyperwein. Zu guterletzt fehlte es auch nicht an einer Überraschung. Als man nämlich den in Form eines Kachelofen servierten Kuchen ausschnitt, entflog ihm ein goldgelber Kanarienvogel. Das Tierchen flatterte erst ein paar Mal um den Tisch, setzte sich aber dann auf die hohe Spitze eines 40 Pokaldeckels und stimmte, angeregt durch das helle Sonnenlicht, sein Liedchen an. Dieses fand das dankbarste Gehör, zumal bei Jungfrau Ursula, für die der Vogel bestimmt war.

Man hatte bei Tisch das kostbare getriebene Silbergerät und die wundervollen venezianischen Gläser von allen Farben nach Kräften bewundert, und Eilhard konnte dem Wirt der Wahrheit gemäß versichern, daß er an den Höfen von Sachsen und Brandenburg nichts Schöneres gesehen habe. Jetzt bat der Syndikus Billerbeck, den jungen Leuten doch auch seine Bilder zu zeigen. Alle erhoben sich und begaben sich in das Nebengemach. Hier wartete der Junker eine nicht geringe Überraschung, denn die Wände waren zwar von oben bis unten mit Bildern bedeckt, aus allen Bildern aber schaute sie immer wieder das Porträt ihres Wirtes an. Auf diesem Bilde ritt er im Krebs, mit Sturmkappe, Arm- und Beinschienen als ein Gewappneter einher, aus jenem zog er mit Hunden und Winden zur Jagd aus. Hier sah man ihn als Schiffer am Steuerruder stehen, dort ordnete er als Kaufherr an, daß gewaltige Flachsballen auf einen Wagen verladen würden. Man erblickte ihn als Gelehrten, als Fischer, als Zimmermann, als Waffenschmied, als Gürtler, man sah ihn in polnischer, englischer, französischer, spanischer Tracht. Billerbeck kniete auf Golgatha vor dem Bilde des Gekreuzigten, Billerbeck reichte als Schwarzhäupterältester dem Herrmeister einen mit Wein gefüllten Pokal. Den Mittelpunkt all dieser Darstellungen bildete ein Bild in Lebensgröße, auf dem der prächtig gekleidete Billerbeck mit zornigem Antlitz den rechten vorgeschobenen Fuß auf ein Bild setzte. Darunter stand: 41

»Hans Billerbeck, ein Kaufgeselle zu Riga, wie er des Papstes zu Rom Bildnis mit Füßen tritt.«

»Junker,« sagte der alte Herr, indem er dieses Bild mit verliebten Blicken betrachtete, »ist das nicht ein trefflich Bildnis? Wißt Ihr, was der Mann, der da so zornig ausschaut, denkt? Ich will es Euch sagen, er hat dies im Sinn:

Dem Feinde man begegnen muß
Gleich einem Wolf mit steifem Fuß.
Es mag geschehn im rechten Weg
Oder sonst in einem Beisteg.«

»Gewiß,« meinte der Syndikus, »da habt Ihr ganz und gar recht, und jeder, dem das Wort Gottes lauter und rein verkündigt worden, sollte in seinem Herzen so thun, wie Ihr auf diesem Bilde. Aber nun zeigt uns auch die anderen Bilder.«

Der alte Herr führte seine Gäste jetzt in ein zweites Zimmer, in dem es auch nur Porträts gab, diese stellten aber die römischen Kaiser des Jahrhunderts, Erzbischöfe von Riga und Herrmeister in Livland dar. Hier nun lenkte ein Bild, das dem Beschauer die Rückseite des Rahmens zuwandte, sofort die Aufmerksamkeit auf sich.

»Warum habt Ihr dieses Bild verkehrt aufgehängt?« fragte Eilhard.

»Dieses Bild,« erwiderte Billerbeck, »stellt unsern gnädigen Herrn, Seine fürstlichen Gnaden, den Herrn Erzbischof Wilhelm, Markgrafen von Brandenburg, dar. Dieweil mir nun die Praktiken, die Seine Fürstliche Gnaden itzo wider den Herrn Herrmeister F. G. und den Wolmarer 42 Landtagsschluß angezettelt, übel gefallen, so habe ich S. F. G. den Herrn Erzbischof zur Wand gekehrt und er muß also bleiben, bis er sich wieder mit unserem gnädigen Herrn dem Herrn Herrmeister F. G. vertragen und gemeinen Landtagsschluß gänzlich anerkannt hat.«

»Da kann S. F. G. lange im Dunkeln hängen,« meinte Jürgen lachend.

»Na, wer weiß,« erwiderte Billerbeck. »Wie der Wind im Lande weht, könnte S. F. G., noch ehe die Junker durch das Johannisfeuer springen, den Vers anstimmen:

Wenn wir's aufs klügste greifen an
So geht doch Gott ein ander Bahn
Es steht in seinen Händen.«

»Meint Ihr denn wirklich, daß es Krieg geben wird?« fragte Eilhard. »Ich hoffe, dazu werden es unsere gnädigen Herren und die Ritterschaften und Städte nicht kommen lassen.«

»Lieber Junker,« versetzte der alte Billerbeck, »wir werden ihn ganz gewiß haben, denn wie ich S. F. G. kenne, wird er die Segel nicht streichen und wenn ihm alle Matrosen vom Deck liefen und was unseren gnädigen Herrn, den neuen Koadjutor, den von Fürstenberg anlangt, so ist das ein so hitziger Herr, daß er, wenn es nicht Frühling werden will, die Strusen mit Pferden über das Eis zur Stadt fahren möchte. S. F. G., der alte Herr Herrmeister, wird den Kurs segeln, den ihm das Fürstenbergsche Steuer weist. Lieben Herren, ist es nicht Herzeleid genug, daß der Komet am Himmel steht und weist mit der Rute gen Reußland und 43 Litauen und zeiget an, daß von dort her kommen werden Mord und Brand und Hunger und Kummer, dazu großes Sterben, muß unser armes Vaterland sich auch noch selbst zerfleischen? Müssen denn livländische Rosse die livländische Saat zerstampfen und muß livländisch Feuer livländischen Flachs fressen! Daß Gott erbarm! Lieber Herr, ehrsame Jungfrau, werte Junker? Seht Euch um! Alles, was ich hier habe an Gold und Glas, an Kleinod und Kostbarkeiten, an Geld und Gut, es ist mir alles wert und teuer, denn ich habe es nicht ererbt, wie ein Junker sein Wappen, sondern habe es mir alles erworben mit saurer Arbeit bei Tag und Nacht, mit Fahrten über die wilde See und Ritten bei Hitze und Frost durch Busch und Brache und die einsame Wildnis. Und doch, liebe Herren, möchte ich alles hingeben, was ich habe und würde ihm keinen Schauer nachweinen, wenn ich damit unserem teueren Livland könnte die Einigkeit erkaufen. Aber ach, bei uns ist jedermanns Hand gegen jeden, und jeder denkt nur an sich, wie er zu Land und Leuten, zu Geld und Gut kommen und mit Gepränge einherreiten und ein großer Herr sein könnte. Das nennen sie ihre alte livländische Libertät und so werden sie es treiben, bis die große Weihe, der Moskowiter über sie fliegen wird und ihnen alles nehmen wird: Land und Leute, Geld und Gut, Ketten und Kleider und alle fortschleppen wird zu seinen Tatern und Tscherkessen, die vom Orden sowohl, wie die Junker und die Bürger, Deutsche und Undeutsche.«

Wie der kleine, hagere Greis mit dem langen, schmalen Antlitz so dastand und, die überströmenden Augen gen Himmel gerichtet, mit bebender Stimme also sprach, überlief es 44 Eilhard wie ein Schüttelfrost. Was war es nur, was allen Leuten jenes Bild, das zuerst der Prophet aus Meißen gebraucht hatte, auf die Lippen trieb! Und wenn es wirklich so war, daß die Moskowitische Weihe bereits heranflog, heiliger Gott, wo fand man dann im Lande Zeit zu Festen und Schmausereien und gar zum inneren Krieg!

Der Syndikus bemerkte die tiefe Ergriffenheit, die sich auf dem ausdrucksvollen Gesicht des Jünglings wiederspiegelte. »Lieber Junker,« sagte er, indem er Eilhards Hand ergriff, »so lange wir solche Männer im Lande haben wie unsern alten Freund hier und Euren Vater, da können wir wohl hoffen, daß unser Gott es zum schlimmsten nicht kommen lassen und dem Moskowiter wehren wird.«

Der alte Billerbeck hatte sich gefaßt. »Kommt,« sagte er, »und laßt uns noch einen Abschiedstrunk thun.« –

Der Alte winkte einem Diener und der brachte auf einem Servierbrett in schön geschliffenen Gläsern den König der Weine, alten Cyperwein. Der alte Herr hob sein Glas hoch:

»Livland allzeit beim reinen Wort,
Gott immerdar Livlands Hort!«

sprach er, leerte das Glas und zerschmetterte es dann auf dem kunstvollen Parkett. Die anderen folgten seinem Beispiel. Dann schüttelte man sich die Hand und ging auseinander.

Der Eindruck der letzten Worte war ein so nachhaltiger, daß selbst Jürgen und Ursula schweigend neben einander hergingen.

Vor dem Hause des Syndikus trennte man sich. Der 45 Syndikus begab sich aufs Rathaus, die beiden Junker aber schritten die Kaufstraße hinauf, denn sie wollten der Schwester von Jürgens Großvater, Anna Nötken, die noch als Nonne im Marien-Magdalenenkloster wohnte, einen Besuch machen.

»Jürgen,« sagte Eilhard, als sie allein waren, »Gott schütze uns, es liegt ein furchtbares Gewitter in der Luft.«

»Wo?« fragte Jürgen, blieb stehen und blickte zum Himmel empor.

»Jürgen,« erwiderte Eilhard, »ich meinte es nicht so. Ich dachte an den inneren Krieg und den Moskowiter.«

Jürgen setzte sich wieder in Bewegung. »Ach so,« versetzte er. »Übrigens, Elert, es wäre doch eine Gnade Gottes, wenn wir einmal mit unsern Rüttigen statt auf betrunkene Junker und die verfluchten Schmandlecker in den Städten auf des Herzogs von Preußen Soldreiter oder gar auf den Moskowiter einhauen könnten. Bei Jesu Marter und Tod, was ist das für eine Welt, in der einer vom Adel nichts besseres thun kann als Klappkannen schwingen und Biertonnen niederwerfen. Elert, lieber Junge, hat der Herrgott diese Hand dazu geschaffen, um den Fräulein die Patschhändchen damit zu streicheln und diese Beine, um sie auf Kösten und Kindelbieren im Reigen zu heben.«

»Nein, Jürgen,« erwiderte Eilhard lächelnd, »aber doch auch nicht, um dreinzuschlagen, gleichviel gegen wen.«

»Gottes Tod, Elert, ein Mann ist ein Mann und ein Hengst ist ein Hengst und ein Harnisch ein Harnisch. Ich bin kein Kaufgeselle, ich bin einer vom Adel und ich läge, weiß Gott lieber erschlagen auf grüner Heide in Frankreich 46 oder Hispania, als daß ich hier zu Hause meine Mannhaftigkeit an den Jungfern erweise und meinen Mut an Bier und Wein. Warum hat dein Vater es mich nicht machen lassen, wie so viele andere, die man hinausthat zu einem vornehmen Herrn, daß sie ihm als ein adliger Junge dienten bei Krieg und Spiel?«

»Weil er meint, daß du auch hier Gott und unserem gnädigen Herrn, dem Herrn Bischof in Ehren dienen kannst, und weil er nicht will, daß du dein Schwert ziehen sollst in fremder Leute Händeln.«

»Ach, was fremd!« erwiderte Jürgen. »Wenn ich eines Herren Diener geworden bin, ist er mir nicht mehr fremd. Überall klingen die ledernen Glocken und alles läuft ihnen zu, nur ich muß zu Hause sitzen wie ein Hund bei Glatteis. Ich sage dir, Elert, wenn ich den Alten nicht so liebte und deine Mutter und Anna – Bärbchen hielte mich nicht zurück – mein Schäker fräße längst seinen Haber in Holstein oder Braunschweig oder wo sonst die Braut mit Feuerbällen und Tummlern zu Bett getanzt wird.«

Die jungen Leute hatten unterdessen die Mauer erreicht, welche in weitem Bogen die Jakobi-, die Marien-Magdalenenkirche und das Kloster umschloß und klopften an das Thor. Nach einiger Zeit öffnete ein schlechtgekleidetes undeutsches Weib und ließ sie auf den weiten Hof. Alles trug hier den Stempel des Verfalls, denn das Kloster wurde nur noch von vier alten Nonnen bewohnt und die Stadt wartete lediglich auf ihren Tod, um es ganz einzuziehen.

»Des Teufels Badstube steht wüst und leer,« sagte Eilhard. 47

»Ich würde mich mehr darüber freuen,« erwiderte Jürgen, »wenn nicht meines Großvaters Schwester darüber frieren müßte.«

Die Frau führte sie unterdessen, nachdem sie nach ihren Namen gefragt hatte, über den Hof in das Klostergebäude, dessen Thüre sich kreischend hinter ihnen schloß. Im Korridor war es bitter kalt und die Luft schlecht und verdorben. Die Frau klopfte an eine Thüre und trat, als dieselbe geöffnet wurde, ein. Gleich darauf ging die Thüre auf und die alte Klosterjungfrau erschien selbst auf der Schwelle ihrer Zelle und hieß die Junker herzlich willkommen.

»Also du verschmähst es nicht, Jürgen,« sagte die alte Dame, »deinen Fuß in des Teufels Frauenhaus – wie die Prädikanten unser Kloster nennen – zu setzen, und Ihr auch nicht, Junker Kruse! Die heilige Jungfrau vergelte es Euch oder, wenn Euch das nicht recht ist, der Gott, der Euch und uns gemeinsam ist. Tretet nur ein, Ihr braucht Euch nicht zu schämen, denn gerade in diesen Tagen hat manches vornehmen Mannes Fuß die Schwelle der Mägde Gottes überschritten. Noch heute waren der Komtur von Goldingen, Herr Philipp Schall von Bell und sein Bruder, der Vogt von Rossiten, Herr Werner Schall von Bell hier, und versicherten uns aufs neue, daß die vom Rat uns nicht den Ofen sollen niederreißen dürfen.«

»Verehrte Muhme, Ihr könnt sicher sein, daß die Ritterschaft Euch in allen Euren Gerechtigkeiten schützen wird,« versetzte Jürgen.

»Wir vertrauen unsere Sicherheit lieber der Jungfrau an, als der Ritterschaft,« erwiderte die Nonne, »denn wessen 48 wir uns von der Ritterschaft zu versehen haben, haben wir alleweile genugsam erfahren.«

»Ehrsame Jungfrau,« sagte Eilhard, »Ihr dürft das der Ritterschaft nicht zum üblen deuten, denn Ihr wißt, daß sie dem Evangelium anhängt.«

»Mag sein,« entgegnete Anna Nötken, »aber uns hat das, was Ihr das Evangelium nennt, eitel Herzeleid gebracht. Gleich in dem Jahr, da der Mann, den Ihr für einen Reformator achtet – ob er gleich nichts reformiert hat, sondern alles umgestürzt und ganz verkehrt – gleich in dem Jahr, da er geboren ward, brannte der Jakobikirche das Dach ab. Nachher, wie das Evangelium anging, da hatten sie einen Prädikanten, das war ein rechter Bulderjahn, der drang in uns mit Schnarchen, Pochen und Dräuen, daß wir sollten weltlich werden und aus dem Kloster gehen und uns verändern. Das war ein Schwätzen ohne Ende, und hatte doch, was er zu Tage förderte, weder Klack noch Schmack. Da fanden sich wohl Schwestern, die lieber zur Köste gegangen wären als in die Vigilien, aber so lange Alheit Wrangel lebte, lag ein Schloß vor der Thüre. Nachher freilich, als Elsebe Dönhof die Schlüssel in die Hände bekam, da war der Bock zum Gärtner gemacht, und da die Äbtissin den Rahmen hielt, hatten die Nonnen gut sticken. Da schmolzen sie weg wie das Eis in der Aprilsonne und es blieb niemand zurück, als ich und Anna Topel und Ottilie und Anna Wetberg, und nun muß der Rat auf unsern Tod warten, wie die Bauersfrau auf der geesten Kuh Kalben. Will's Gott, so soll ihm die Zeit lang werden.«

Die Magd hatte unterdessen eine Flasche geringen 49 Weines gebracht und die Klosterjungfrau nötigte die Junker zu trinken.

»Aber jetzt stört Euch niemand, Muhme?« fragte Jürgen.

»Wie stören sie uns nicht?« versetzte die Jungfrau unwillig. »Ist es denn keine Störung, daß sie unsere Kirche uns recht zum Hohne den Undeutschen eingeräumt haben? Ist es denn keine Störung, wenn ihr Magister Ring durch unser Haus gehen kann, so oft es ihm gefällt und, ein rechter Heisterfeister, seine Nase in alles stecken darf? Glaubst du, daß es nicht stört, wenn du gegessen hast und bist etwas eingenickt, und mit einemmal geht es holderdiboldi, klapp, klapp, und wer ist es? Der Hammel stolpert über seine Dachsbeine. Aber stellen wir das alles für jetzt an seinen Ort. Erzähle du mir nun von Kelles und von deiner Schwester Anna und von Frau Maria und Frau Katharina.«

Das geschah nun und die Junker gaben auf alle Fragen Auskunft.

»Du lieber Gott,« sagte die alte Dame, »daß ihr nun alle evangelisch sein müßt, und seid doch so nahe von Dorpat, wo die lieben Heiligen solche Wunder gethan.«

»Welche Wunder?« fragte Eilhard.

»Nun, von denen weiß doch jedes Kind,« war die Antwort. »Da kamen zwei Bürger am h. Osterabend aus der Marienkirche, und der eine bat den andern auf einen westfälischen Schinken zu Gast, ob es doch strenger Fasttag war. Der andere brachte ein paar Hühner mit. Wie sie nun sitzen und lassen sich's wohl sein, da gerät dem einen ein Hühnerbein in die Kehle und erwürgt ihn jämmerlich, in 50 den andern aber fährt ein böser Geist und treibt ihn und den westfälischen Schinken um, bis er hinstürzt und fährt dahin mit Schrecken.

»Zum andern befiehlt eine Bürgersfrau einer katholischen Magd an Mariä Himmelfahrt, die Badstube zu heizen. Die Magd will nicht. Da spricht das Weib: ›Maria war ja eine Frauensperson wie ich und meinesgleichen. Gehe gleich hin und heize ein.‹ Da geht die Magd hin und heizt ein. Flugs aber fährt das Feuer in das Dach, daß die Badstube und zwei Häuser verbrennen. Das Bund Holz aber, das die katholische Magd getragen, fand man am folgenden Tag unversehrt in der Asche.«

»Wir haben von diesen Wundern nichts gehört, Muhme.«

»Mag sein, Jürgen,« war die Antwort. »Wer die Kappe über die Ohren gezogen hat, hört es nicht, wenn das Eis um ihn bricht, aber er bemerkt es, wenn das Wasser in den Schlitten läuft. Und so wird es mit euch auch sein, Jürgen. Wenn der Moskowiter über euch kommen wird und die Herren aus Deutschland werden ausbleiben, weil Livland nicht mehr der h. Jungfrau Land ist, dann seht zu, wie ihr ihn mit eurer Prädikanten Zungen abschlagt. Scharf und spitz genug sind sie ja. Mich geht es nichts an, denn für mich gibt es nur noch eine Kunst und eine Weisheit, freilich die Kunst über alle Künste und die Weisheit über alle Weisheit, die nämlich, selig zu sterben.«

Die jungen Leute brachen auf und die Nonne erteilte ihnen ihren Segen. »Ich erlebe es noch, daß hier wieder die h. Messe gelesen wird,« sagte sie noch auf der Schwelle, »dann aber will ich mit Freuden dahin fahren.« 51

Die Junker warfen noch einen Blick auf die vom Alter gebeugte, aber noch immer hohe und derbe Gestalt Anna Nötkens und schritten dann über den Hof dem Thore zu.

»Ich kenne jemand, von dem ich glaube, daß er sich in diesen Mauern wohl gefühlt haben würde,« sagte Jürgen nachdenklich.

»Wen meinst du?«

»Meine Schwester Anna!«

»Wenn dem so ist, Jürgen, so wollen wir Gott danken, daß sie nicht mehr hier hinein kann.«

»Wer weiß, ob wir dazu Grund haben,« versetzte Jürgen.

Die Frau schloß das Thor auf und die Junker standen wieder auf der Straße.



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