Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Sechzehntes Kapitel.

Die spöttischen Worte Barbaras brannten Eilhard in der Seele und ließen ihn in der Nacht keinen Schlaf finden. »Sie mag mich nicht lieben,« dachte er, »wohl, aber sie hat kein Recht mich zu verachten.« Sobald die lange Winternacht endlich einem trüben Tage Platz gemacht hatte, eilte er zu dem von Randen und beschwor ihn, einen Streifzug gegen die heranrückenden Russen zu unternehmen. »Du verlangst viel,« erwiderte Jürgen Thedingsheim, indem er sich 259 behaglich im Bett reckte, »denn mir liegen die Köste und der weite Ritt noch in den Gliedern, aber ich begreife, warum du jetzt nach ritterlichen Thaten verlangst und ich will dich nicht im Stich lassen. Heute kommen wir natürlich noch nicht fort, aber ich will sehen, ob ich zu morgen ein Dutzend Junker zusammenbringe, die nach moskowitischen Samtschauben Verlangen tragen. Bei der ungeheueren Kourage, die sie beim Bier zu Markte brachten, wird man übrigens sehr heimlich zu Werk gehen müssen, denn wenn sie von unserem Vorhaben hören, wird keiner zurückbleiben wollen. Wir können aber doch nicht gut mit fünfhundert Pferden reiten.«

»Also morgen,« erwiderte Eilhard, indem er sich erhob.

»Morgen. Aber noch eins, Elert, Bonnius reitet nicht mit, nicht wahr?«

»Ich glaube nicht, daß er sich uns anschließen kann. Er hat einst ein Gelübde gethan, nie ein Kriegsmann zu werden.«

»Der arme Mann! Ich kann mir denken, wie dieses Gelübde ihn wundscheuert. Aber damit mag es sich verhalten, wie es wolle, wenn er nur nicht mitreitet. Ich bin darin eigen, ich liebe nur solche Diener, die hinter ihren Herren reiten und mein Pferd scheut, wenn es den Kopf von eines Knechtes Klepper neben sich sieht. Auf Wiedersehen, Elert.«

Eilhard konnte die nötigen Vorbereitungen nicht treffen, ohne Bonnius von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen. »Ich reite mit,« rief dieser, sobald er in den Plan eingeweiht war.

»Denkt an Euer Gelübde,« erwiderte Eilhard erschrocken.

»Ich denke daran,« war die Antwort, »aber mein 260 Gelübde ging ja nur dahin, daß ich kein Kriegsmann von Beruf werden würde. Hier aber handelt es sich um Notwehr, da bin ich frei.«

Eilhard geriet in nicht geringe Verlegenheit. Er errötete über und über. »Bonnius,« sagte er endlich, »wir dürfen nicht beide zugleich ins Feld. Einer von uns muß bei den Frauen bleiben. Sie stehen unter unserem Schutz.«

Bonnius hatte soeben mit Verwunderung bemerkt, wie der Junker errötete, nun stieg ihm selbst eine Blutwelle heiß in die Wangen, ohne daß nun wieder Eilhard sich das Erröten des Schreibers erklären konnte.

»Junker,« sagte Bonnius, indem er Eilhards Hand ergriff, »laßt mich statt Eurer reiten. Bringt morgen abend ein Tater meinen Krebs ans reußische Lagerfeuer, so ist es vielleicht ein Glück, gewiß kein Unglück, um Euch aber würden viele Thränen fließen. Und dann, ich bin stark und gesund, Ihr aber – denkt an Euere Kopfpein!«

Der Hinweis auf seine Schwäche machte Eilhard zornig. »Ich kam nicht zu Euch, um Euch um Rat zu fragen, Bonnius, sondern um Euch meine Befehle zu erteilen,« erwiderte er hochmütig und ging davon.

Bonnius biß sich auf die Lippen. »Die Mahnung kam zur rechten Zeit,« dachte er. »Nein, ich bin Euch keine Treue schuldig, denn ich bin in Eueren Augen nicht Euresgleichen, sondern ein Knecht.«

Der Ritt kam zunächst noch nicht zu stande, denn am folgenden Tage umschloß ein russisches Reiterheer die Stadt in weitem Bogen und die Tataren und Tscherkessen in demselben richteten mit ihren Pfeilen unter dem flüchtigen 261 Landvolk, das in den Stadtgräben sein Lager aufgeschlagen hatte, arge Verwüstungen an. Das feindliche Heer war so zahlreich, daß der Adel, der nur ungefähr sechshundert Pferde stark in der Stadt lag, es auf einen Kampf nicht ankommen lassen durfte. So blieb man denn hinter den sicheren Mauern und blickte zähneknirschend auf die schwarzen Rauchwolken, die überall aufstiegen und verkündeten, daß unter ihnen ein Herrenhof oder ein Dorf in Flammen aufging. Erst als in den ersten Tagen des Februar das russische Heer weiter zog, konnten Jürgen und Eilhard den geplanten Ritt ausführen. Er galt jetzt natürlich Randen und Kelles und er war noch immer gefährlich genug, denn die Umgebung der Stadt wimmelte noch von kleineren tatarischen Streifscharen, die sich beim Plündern verspätet hatten, oder weiter vorgedrungen waren, als ursprünglich in ihrer Absicht lag und nun unterwegs waren, um sich dem Hauptheer wieder anzuschließen.

Unter diesen Umständen hielt Eilhard es für angemessen, den Seinigen nichts von seinem Vorhaben mitzuteilen, sondern beauftragte nur einen Diener, sobald er fort war, der Freifrau mitzuteilen, daß er sich einem Streifzug angeschlossen habe. Mit Bonnius hatte er seit jenem Zwiegespräch kein Wort gewechselt.

Es war ein trüber Tag, als Eilhard und der von Randen zugleich mit noch acht jungen Edelleuten und zehn Dienern aus dem Thore ritten. Die schweren dunkelgrauen Wolken erschienen kaum höher als die Türme der Kirchen und vermischten sich fast mit der Rauchwolke, die über der Stadt lag. Das Landvolk, das auf dem Eise der Gräben 262 seine armseligen Lagerstätten aufgeschlagen hatte, bot einen jammervollen Anblick und der graue, von den Rossen der Tataren aufgewühlte und zerstampfte Schnee zeigte manche rote Stelle. Es fror nur ein paar Grad, aber die jungen Leute konnten sich trotz des scharfen Trabes, in dem sie ritten, unter ihren Harnischen nicht erwärmen. Es war der Ernst des Krieges, der sie frösteln machte. Und dieser Ernst trat ihnen bald in noch schrecklicherer Gestalt entgegen. Man stieß auf gräßlich verstümmelte Leichen und an den einzelnen Fichten, an denen man vorüberkam, hingen die toten Leiber von Frauen, denen der Tod ein Erlöser von entsetzlichen Qualen gewesen war, ein Anblick, der auch kriegsgewohnteren Männern als die jungen Livländer es waren, das Haar zu Berge sträuben konnte. Nur Jürgen Thedingsheim blieb – dank seiner stählernen Nerven und seines harten mitleidslosen Herzens von dem allen unberührt. Er hatte die Leitung des Rittes übernommen und alle ordneten sich ihm willig und vertrauensvoll unter.

Man hatte den Rand des Waldes fast erreicht, als plötzlich einer der jungen Leute sein Roß herumriß und mit dem lauten Schreckensruf: »Wende! Wende!« zurückjagte. Im nächsten Augenblick folgten alle seinem Beispiel und der ganze Haufe sprengte in wirrer Flucht dahin. Nur Jürgen Thedingsheim hielt sein Roß mit eiserner Faust still und blieb, wo er war. Eilhard hatte sich für einen Augenblick von den übrigen mit fortreißen lassen, aber auch er riß sein Tier nach ein paar Sprüngen herum und war gleich darauf an der Seite des Vetters, um dessen Mund das gewöhnliche, sarkastische Lächeln spielte. »Es thut mir leid, Elert,« sagte 263 er, »aber vorläufig kann ich dir beim besten Willen keinen Tatern schaffen. Das, wovor unsere Helden das Hasenpanier ergriffen haben, sind eitel Tannenbäume und weiter nichts.«

Unter den Fliehenden hatte mittlerweile der eine oder der andere den Kopf gewandt und da er die beiden unangefochten halten sah, sein Roß angehalten. Die übrigen machten es ebenso und nach einiger Zeit kehrte der ganze Haufen zu dem von Randen zurück. »Ihr irrt euch, Randen liegt nicht hinter uns, sondern vor uns,« spottete dieser. Man war nicht wenig beschämt und wenn jetzt die Tataren aus dem Walde gebrochen wären, hätte man sie gewiß mit großer Tapferkeit angegriffen, aber der Wald stand so still und düster da wie vorher und das blieb auch so, als man ihn betrat.

Die Reiter erreichten glücklich die Burg Randen und fanden sie unversehrt, denn sie war viel zu stark, als daß die feindlichen Reiter einen Angriff hätten wagen können. Die zu ihr gehörenden Dörfer aber waren sämtlich in Flammen aufgegangen und die umliegenden Höfe ebenfalls. Ob auch Kelles dieses Schicksal gehabt hatte, wußte man nicht, da die Rauchwolken, die dort aufstiegen, ebensogut vom Dorfe allein wie von Dorf und Gut herrühren konnten. Jedenfalls waren zahlreiche Tatarenscharen ringsum erschienen, eine sehr starke noch am Morgen des Tages, von dem die Rede geht.

Unter diesen Umständen beschloß man in Randen zu übernachten und erst am anderen Tage einen Vorstoß nach Kelles zu unternehmen.

Am folgenden Morgen stand die Sonne am wolkenlosen 264 Himmel, aber ein leichter Nebelschleier lag über dem Schnee und erschwerte den Fernblick. Mit Rücksicht hierauf schlug man einen nur den hier Einheimischen bekannten Waldweg ein, der durch dichten Nadelwald führte. Der Schnee lag hier sehr tief, so daß man nur langsam vorwärts kam und die Reiter sich unwillkürlich mehr und mehr auseinanderzogen, so daß sie schließlich im Gänsemarsch einherritten. So hatte man sich Kelles bis auf eine halbe Stunde Entfernung genähert und es waren nur noch etwa fünfhundert Schritt, welche die Spitze des Zuges von dem Waldrande trennten, als der von Randen plötzlich die Zügel anzog. »Horch!« sagte er zu dem ihm folgenden Eilhard. »Es war ein Häher,« erwiderte dieser.« »Nein, Elert, es war ein Mensch, der wie ein Häher schrie.«

In diesem Augenblick rauschte es in dem dichten Tannendickicht zu beiden Seiten des Weges und unter gellendem Geschrei stürzte sich eine Schar Tataren auf die auf diesen Angriff ganz unvorbereiteten Livländer.

Der Kampf war nur kurz, denn der tiefe Schnee und der dichte Baumwuchs machten jeden Widerstand unmöglich. Die Tataren warfen den Reitern ihre Bogen über den Hals, rissen sie so von den Pferden und hatten dann mit den Gepanzerten leichtes Spiel. Die wenigen, die, indem sie sich wehrten, Blut vergossen hatten, wurden sofort niedergestoßen, den übrigen wurden die Arme auf den Rücken gebunden. Dann mußten sie vor den Tataren hergehen und diesen so den Weg durch den Schnee bahnen.

»Wir sind verraten worden,« knirschte der von Randen, »von undeutschen Schurken verraten worden.« 265

Diese Vermutung sollte sich nur zu schnell als berechtigt herausstellen, denn das scharfe Auge des Junkers erkannte bald unter einer Gruppe Tataren, welche den Anführer derselben umgab, einen Randenschen Bauern.

Als man das Lager der Tataren, welches sich neben den Trümmern der verbrannten Mühle von Kelles befand, erreicht hatte, hielten die Reiter Kriegsrat, während die Gefangenen, nachdem man ihnen die Rüstungen vom Leibe gerissen hatte, in dem kleinen Raum, der einst das Gärtchen des Müllers war, in trübem Schweigen der Entscheidung über ihr Schicksal harrten. Die Strahlen der Sonne ließen die Zweige des dichten Holundergebüsches, das hier im Sommer eine Laube bildete, ein mattgefärbtes Netz von wirren Schattenlinien auf den zerstampften Schnee werfen.

»Gottes Tod,« murmelte Jürgen Thedingsheim, »wenn mir jemand gesagt hätte, daß ich hier einmal so stehen würde, gefangen, gebunden, zum Tode von der Hand eines dieser schmutzigen Schweine verurteilt!«

Er hatte hier einst manche Nacht verbracht, während die Zweige ein dichtes Blätterdach trugen, die Nachtigall schlug, süßer Blütenduft die Luft erfüllte, und die Erinnerung an jene Stunden bewirkte, daß der Junker selbst jetzt lächelte. »Es hat sich doch gelohnt zu leben,« dachte er.

Die Tataren waren zu einem Entschluß gekommen und kamen auf die Gefangenen zu. Neben dem Anführer, einem hünenhaften Mann, schritt ein anderer her, der russische Kleidung trug, und neben diesem der Randensche Bauer. »Und sie werden mir ihr Versprechen halten?« fragte dieser.

»Sei ohne Sorge,« erwiderte der Angeredete in 266 undeutscher Sprache und lächelte. »Dein Herr soll zuletzt an die Reihe kommen und er soll auch sonst am längsten leben.«

Eilhard hatte die Worte gehört und erriet ihren Sinn. Er blickte angstvoll auf Jürgen, aber dieser lächelte. »Sei ohne Sorge, Schwager,« erwiderte er, »ich werde meines Namens würdig zu sterben wissen. Hoffentlich kommst du zuerst an die Reihe.«

Eilhard antwortete nicht. Aus seinem Herzen stieg ein heißes Gebet zu Gott empor. Er betete nicht um Rettung, er bat nur um die Kraft, einen voraussichtlich schrecklichen Tod mit Mannhaftigkeit ertragen zu können. Wenn Bärbchen je von seiner letzten Stunde hörte, sollte sie ihn achten müssen, ob sie wollte oder nicht.

Die Tataren begannen mit den beiden jüngsten Gefangenen. Das Schmerzensgeheul der gefolterten Unglücklichen erfüllte bald die Luft in weitem Umkreise und erstarrte das Herz in der Brust ihrer Genossen. Die Tataren waren Meister im Martern und sie übten ihre Kunst mit solchem Geschick, daß der entsetzliche Anblick Eilhard in eine tiefe Ohnmacht sinken ließ.

Während die Tataren einen Gefangenen nach dem anderen hinschlachteten, trat der Bauer an den von Randen heran: »Siehst du, Deutscher,« sagte er höhnend, »so wie jenen da wird es dir bald auch ergehen.«

»Du Hund,« erwiderte Thedingsheim.

Der Bauer schlug dem Junker mit der Faust ins Gesicht, daß ihm das Blut aus der Nase lief.

»Du Hund!« wiederholte der von Randen.

Der Bauer stürzte sich auf den Junker und schlug auf 267 ihn ein, aber ein paar Tataren rissen den Wütenden lachend zurück und redeten in ihrer Sprache lebhaft auf ihn ein. Er verstand sie nicht, aber er verstand, daß Thedingsheim abermals wiederholte: »du Hund.«

Ein Gefangener nach dem andern wurde hingeschlachtet, bald mußten auch Eilhard und der von Randen an die Reihe kommen. »Also das war das ganze Leben,« dachte der Junker. »Es war ja schön, aber kurz, sehr kurz. Und nun unter solchen Qualen sterben zu müssen.« Aber nun, wie lange konnten sie doch währen, dann war alles aus.

Eben wurde Hans zu Tode gequält. Die Schmerzen preßten ihm keinen Schrei aus, nur von Zeit zu Zeit ein dumpfes Stöhnen.

Der von Randen blickte mitleidig auf den zu seinen Füßen liegenden Eilhard. Er empfand zum erstenmal ein Gefühl für diesen, das wirklicher Liebe mindestens sehr nahe kam. »Wenn ich wenigstens ihm einen schnellen, marterlosen Tod schaffen könnte,« dachte er und blickte sinnend hinaus auf die Schneefläche, die sich zwischen der Mühle und dem nahen Walde hinzog. Da wurde ihm ein Anblick, der selbst ihn erschreckte, denn er sah plötzlich die tolle Käthe aus dem Walde treten und, umflattert von ihren Dohlen, gerade auf das Lager der Tataren zukommen. Ein lauter Ruf der Wachen bewirkte, daß diese von ihren Opfern abließen und an den letzten Resten des Zaunes, der einst das Grundstück umgab, zusammenströmten. Es war in der That ein höchst seltsamer Anblick, der sich ihnen hier bot. Das Mädchen mit dem Kranz aus Tannenzweigen im Haar, die hohe Gestalt in ein weißes Laken gehüllt, umflattert von ihren 268 Dohlen, erschien in dem leichten Nebel, der über der Landschaft lag, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Ihr Anblick erfüllte die Tataren mit scheuer Ehrfurcht. Sie sahen sie erschreckt an sich vorüberschreiten und erwarteten gespannt, was weiter geschehen würde.

Die Wahnsinnige schritt geradeswegs auf einen der gepfählten Junker zu. Man hatte diesem zuletzt ein Messer ins Herz gestoßen und die Waffe stak noch in der Leiche. Käthe zog das Messer aus der Wunde und ging dann mit langsamen, feierlichen Schritten auf den von Randen zu. »Käthe,« rief dieser frohlockend, »ich habe dich verraten und verlassen, stoß zu, hier, hier sitzt das Herz. Und dieser hier,« hier wies er auf Eilhard, »dieser hier war auch schuld daran.«

Das Mädchen erwiderte kein Wort, aber sie wandte den Junker um und zerschnitt die Bande, die seine Arme und Füße fesselten. »Was will sie nur?« dachte der von Randen.

Der Randensche Bauer sprang vor und ergriff Käthes Linke. »Was thust du?« schrie er. Die Wahnsinnige machte eine schnelle Wendung und stieß ihm das Messer mit solcher Kraft in die Brust, daß er tot zusammenbrach. Sie blickte dann eine Weile auf die Todeszuckungen des Mannes, bückte sich und zog das Messer wieder aus seiner Brust. Sie durchschnitt nun auch Eilhards Bande. Dieser erwachte aus seiner Ohnmacht und blickte entsetzt um sich.

Die Tataren hatten mit atemlosen Grauen dem Treiben des jungen Weibes zugesehen. Die Dohlen hatten sich jetzt alle auf den Leichnam zu ihren Füßen gesetzt und schrien laut. Sie selbst blickte eine Weile aufmerksam auf das 269 blutige Messer in ihrer Hand und auf das blutbefleckte Laken, das von ihren Schultern herabfiel. Dann sang sie laut:

»Was hielt sie in ihrer Rechten?
Ein Messer und das war rot,
                    ja rot,
Ein Messer und das stach tot,
                    ja tot.«

Sie blickte wild um sich und die Tataren wichen scheu zurück. Sie mochten fürchten, daß jetzt die Reihe an einen von ihnen kommen könnte. An Widerstand dachte niemand. Diese halb tierischen Menschen, die vor keiner Greuelthat zurückschreckten, sahen in der Irrsinnigen eine von Gott gesandte Heilige.

Käthe schlug ihr Laken mit einer feierlichen Bewegung um ihre linke Schulter. »Ich danke dir, Jürgen, für dieses Purpurgewand,« sagte sie würdevoll. »Es ist einer Frau von Thedingsheim auf Randen würdig. Reite jetzt nach Hause und geh zu Bett. Ich komme gleich nach.«

»Recht so, Käthe,« erwiderte der von Randen, »aber befiehl erst, daß man mir und meinem Vetter hier die Pferde vorführt.«

Käthe nickte und schritt dann langsam und feierlich auf die Pferde der Tataren zu, die an den Bäumen des Gartens angebunden waren. Sie machte zwei von ihnen los und führte sie zu den Junkern. »Reitet nur voraus,« sagte sie, »ich komme zu Fuß nach. Ich muß erst nach meinem Kindchen sehen.«

Jürgen schwang sich aufs Pferd und Eilhard folgte seinem Beispiel, aber Käthe war nicht zufrieden. »Ihr müßt tauschen,« 270 sagte sie, »Jürgen muß das größere und stärkere Pferd nehmen.«

Jürgen stieg sofort ab und die Junker tauschten mit den Tieren. Erst als sie wieder im Sattel saßen, fragte Thedingsheim: »Warum mußten wir die Pferde wechseln, Käthe?«

Käthe trat dicht an ihn heran: »Damit das Pferd auch meinen Fluch tragen kann, Jürgen,« flüsterte sie. »Siehst du, der reitet mit dir. Er hat viel zu thun, Jürgen, viel zu thun, sehr viel zu thun. Er muß deine Schwester ersäufen, damit die Fische sie fressen können und Randen anzünden, damit das Feuer das Schloß verzehren kann und dich erwürgen, damit die Wölfe an deinen Leib kommen können. Und dabei muß er doch immer hinter dir hergehen und mit dir ausreiten, und sich mit dir zur Tafel setzen und sich neben dir ins Bett legen. Zuletzt muß er noch die Wölfe bewachen und aufpassen, daß dir niemand die Augen zudrückt. Weißt du Jürgen,« hier nickte Käthe vertraulich, »weißt du, dem Kindchen hat ja auch niemand die Äuglein zugedrückt, wie es das Wasser mit sich fortnahm. Aber sei nur ruhig, es wird nicht weit geschwommen sein, ich finde es schon. Über meines Vaters Grab ist es nicht gekommen, siehst du, da steht ja die Kirchhofsmauer vor. Es wird in den Nesseln stecken, in den hohen Nesseln, die auf dem Grab stehen. Nicht wahr, da wird es sein?«

Die Wahnsinnige sah fragend zu Jürgen auf.

Der von Randen hatte soeben kalten Blutes den schrecklichsten Tod erwartet, und er hatte es, ohne zusammenzubrechen, mit angesehen, wie seine Kameraden auf die fürchterlichste Weise zu Tode. gemartert worden waren, jetzt aber 271 bedeckte eine fahle Blässe seine Wangen und seine Glieder bebten, daß er sich kaum auf dem Pferde halten konnte.

»Lebe wohl, Jürgen,« sagte Käthe, »lebe wohl. Der Fluch ist aufgestiegen. Reitet nur langsam voraus, ich komme bald nach.«

Sie nickte und ging dann auf den Fluß zu, mit zu Boden geschlagenen Augen, als ob sie etwas suchte. Eilhard saß wie gelähmt auf seinem Pferde und sein Blick schweifte wirr über das Bild des Grausens, das sich ihm bot, über die schreckensbleichen Gesichter der Tataren, die in weitem Kreise um sie herstanden, über die gebückte Gestalt der langsam vorwärtsschreitenden Wahnsinnigen, deren Haupt die Dohlen umflatterten, über den blutbedeckten Schnee und die zerrissenen Glieder der erwürgten Livländer. Er sah das alles, aber er sah es, wie im Traum.

»Komm'« kam es leise über die Lippen des von Randen. Die Pferde setzten sich in Bewegung, langsam, im Schritt. Die Tataren traten zurück und blickten mit scheuem Schrecken auf die geisterbleichen Gesichter der jungen Männer. Die brauchten sie nicht mehr zu quälen, denen hatte die Botin Gottes selbst den Tod ins Herz gesetzt.

Der von Randen wurde seiner Schwäche zuerst Herr. Er setzte sich auf dem Pferde zurecht und nahm die Zügel fest in die Hand. »Das war eine unerwartete Rettung« sagte er. »Als ich sie sah, glaubte ich, nun würde das Martern erst recht anfangen.«

Die Worte brachten auch Eilhard wieder zu sich. »Entsetzlich!« rief er, »Jürgen, wo ist Hans?«

»Sie haben ihn erwürgt, wie die andern alle,« war die 272 Antwort. »Es war ein böser Handel. Die Junker, wie die Diener haben daran glauben müssen.«

»Jürgen,« rief Eilhard, »sollen wir das Mädchen unter jenen Scheusalen lassen?«

»Sei kein Thor, Elert,« erwiderte der von Randen, der die Selbstbeherrschung mehr und mehr wiederfand, »du siehst ja, daß sie ihr nichts thun. Und nun noch eins: kein Mensch darf erfahren, wie wir frei kamen. Versprich mir das, Elert.«

»Aber was sollen wir denn sagen?«

»Wir erzählen, die Schweine wären zuletzt übereinander hergefallen und wir darüber entflohen. Da wir auf taterischen Pferden ankommen, wird man uns das willig glauben.«

»Wie du willst, Jürgen.«

»Gut. Und noch eins – was das tolle Mädchen da von dem Fluch faselte, erfährt auch niemand. Nicht wahr?«

»Nein, es soll niemand davon erfahren.«

Sie ritten eine Weile schweigend nebeneinander her. Dann hieß es: »Jürgen.«

»Nun?«

»Sie hat diesen Fluch schon einmal ausgesprochen.«

»Wann?«

Eilhard erzählte. Der von Randen blickte unterdessen auf den Schnee, durch den sie ritten. Erst geraume Zeit, nachdem Eilhard aufgehört hatte, schlug er die Augen wieder auf und wandte sich um. »Wir sind jetzt wieder im Walde,« sagte er »und die Teufel können uns nicht mehr sehen. Kannst du scharf zureiten?«

»Ja.«

»Dann vorwärts!« 273

Sie bogen sich auf den Hals der Pferde herab, stießen ihnen die Sporen in die Seiten und jagten wie der Sturmwind dahin. Sie erreichten glücklich Randen.



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