Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Bald nach dem Fall von Dorpat kehrte die livländische Gesandtschaft mit dem Gelde heim. Der Großfürst hatte es nicht angenommen.. Er verlangte jetzt nichts Geringeres, als daß Herrmeister, Erzbischof und Bischöfe persönlich vor ihm erscheinen und ihn um Frieden bitten sollten. Auch die nach Dänemark gesandten Herren brachten vielen unerwünschte Nachricht, denn der König weigerte sich in die livländischen Händel einzugreifen. Da wurde noch einmal, zum letztenmal der Versuch gemacht sich selbst zu helfen. Mit sechs Fähnlein Knechten und 1500 Reitern zog der Koadjutor Gotthard Kettler gegen den Feind und diesmal stießen auch die aus dem Erzstift unter dem ritterlichen Domdekan Friedrich Völkersahm zur Ordensfahne.

In Randen, in Kongota, in Ringen lagen starke russische Besatzungen, ihnen galt der Zug zunächst. Von allen Seiten eilte jetzt auch der flüchtige Adel des Stiftes Dorpat herbei in der frohen Hoffnung, sich endlich die altererbten Sitze der Väter wieder gewinnen zu können.

So sehr auch die deutschen Eisenreiter den Russen im offenen Felde überlegen waren, hinter Mauern und Gräben waren die letzteren schwer zu überwindende Feinde, denn sie konnten auch bei der jämmerlichsten Nahrung bestehen und sie hielten aus bis zum letzten Atemzuge.

Das Heer zog zuerst vor Randen. Die Russen hatten das Schloß noch mehr befestigt, indem sie vor dem 466 Hauptthor ein Bollwerk aus Erdwällen und Balkenwerk errichtet und in demselben Kanonen aufgestellt hatten. Es lag auf der Hand, daß die Burg erst genommen werden konnte, wenn sie mindestens halb zerstört war.

Dieser Gedanke kam jedem der Thedingsheim, die jetzt in einer geschlossenen Schar unweit des Schlosses hielten und die Türme und Mauern aufmerksam betrachteten.

Die Strahlen der untergehenden Sonne tauchten die alte Burg in rote Glut, es war, als ob die Flammen, denen sie voraussichtlich verfallen mußte, schon jetzt von ihr Besitz ergriffen hätten.

»Jürgen,« sagte Bruno Thedingsheim zu dem finster vor sich hinstarrenden Vetter, »wir müssen suchen das Haus durch einen Handstreich zu nehmen. Lassen wir erst die Arkelei ihr Spiel treiben, so wird das Haus unserer Väter in Flammen aufgehen und ein Trümmerhaufen werden.«

Der Angeredete wandte sich jäh um. »Es hilft ja doch nichts,« erwiderte er.

»Warum sollte es nicht helfen, Jürgen?« fuhr der von Kongota fort. »Wir müßten suchen, bei nächtlicher Weile von einer Seite an sie zu kommen, wo sie uns nicht erwarten. Wir müßten auf kleinen Flößen über den Graben setzen und versuchen in den Hungerturm zu dringen. Da er kein Pförtchen hat und nur hoch oben das eine breite Fenster, werden sie von der Seite her nichts befürchten, wir aber legen Leitern an und steigen hinauf und hinein.«

»In den Hungerturm? Warum gerade in den Hungerturm?

»Wie sonst, Jürgen? Gerade da scheint es am 467 leichtesten möglich, daß wir hineinkommen. Durch das Fenster. Das Gitter wird sich vielleicht ausbrechen lassen.«

Der von Randen lachte plötzlich laut auf. »Warum auch nicht,« rief er, »der Gedanke ist gut und was kommen soll, kommt, wir mögen es anstellen, wie wir wollen. Das Gitter läßt sich in der That öffnen und es hat schon manchen durchgelassen, der auf die Seite und ins Wasser gebracht wurde.«

»Dann kommt zum Herrmeister,« rief der von Kongota. »Sie dürfen nicht schießen, ehe wir den Anschlag ausführten. Wir richten morgen Flöße und Leitern her und in der Nacht wird es versucht.«

»Gut« meinte der von Randen. »Wir wollen sehen, ob wir das Haus dem Feuer aus den Zähnen reißen können. Hinein will ich und wenn mir die höllische Lohe selber aus dem Fenster entgegenschlüge.«

Jürgen Thedingsheim wandte sein Roß und die Reiter eilten dem Lager zu. Walter und Werner Thedingsheim waren die letzten. »Walter,« sagte der letztere, indem er sich zu dem Bruder hinüberbog, »er hat die Schwester durch jenes Fenster ersäufen lassen.«

Walter Thedingsheim nickte. Er war sehr bleich geworden.

Der Feldherr wollte gern einen Tag warten, wenn es den Thedingsheim dadurch gelang, sich der Burg durch einen Handstreich zu bemächtigen. Für diesen aber wurden jetzt alle Vorbereitungen getroffen. Man stellte mehrere leicht fort zu bringende Flöße her und die nötigen Sturmleitern wurden beschafft. Vermittelst dieser sollte der Hungerturm 468 von den Thedingsheim und zwar nur von Gliedern dieses Geschlechtes eingenommen werden. Sobald das gelungen war, wollte man auf die Bastion vor dem Hauptthor Sturm laufen und so den Junkern Luft schaffen, bis die in Reserve aufgestellten Landsknechte Zeit gefunden hatten ebenfalls in den Turm zu gelangen.

Gegen Abend ritt der von Randen, nur von seinem alten Thieß begleitet, noch einmal um die Burg. »Gnädiger Herr,« bat der Alte, »Ihr solltet nicht so nahe heranreiten. Sie haben deutsche Schützen darin, deren Kugeln weit und sicher treffen.«

Der von Randen schüttelte den Kopf. »Ich habe hier nichts zu fürchten,« erwiderte er. »Wenn wir einmal im Busch auf den Feind treffen, dann sorge dich um mich.« Er ritt immer näher an die Burg heran, auf deren Zinnen niemand sichtbar war.

Plötzlich flammte es vor einer Schießscharte auf, ein Rauchwölkchen drang hervor und der von Randen stürzte zugleich mit dem Pferde. In einem Augenblick war der Alte aus dem Sattel. »Herr Jesus!« schrie er, indem er sich über seinen Herrn beugte, »dachte ich es mir doch, daß der Böse sein Spiel mit diesem Handel treiben würde.«

Der von Randen war schwer verwundet, aber er behielt seine gewöhnliche Kaltblütigkeit bei. »Daß dich aller Welt Plage bestehe! Heule nicht, alter Narr,« knirschte er, »sondern thue, als ob ich tot wäre und wälze mich hinter den Hengst. So und nun hole Hilfe herbei und zwar schnell, sonst schießen sie dich auch nieder.«

Ein paar Kugeln, die von der Burg herübersausten 469 unterstützten die Mahnung. Der Alte schwang sich auf sein Pferd und eilte so schnell er konnte, dem Lager zu.

Aber auch als Hilfe herbeigeschafft war, mußte die Rettung des Junkers, den man unterdessen in der Burg für tot gehalten und unbelästigt gelassen hatte, teuer erkauft werden. Die Besatzung gab eine Salve nach der anderen und nicht weniger als drei der herbeigeeilten Landsknechte wurden wundgeschossen, ehe es gelang den Herrn von Randen in Sicherheit zu bringen.

»Gottes Tod!« schwur der Junker, als der Arzt ihm das zerschossene Knie verbunden hatte und seine mittlerweile herbeigeeilten Geschlechtsgenossen ihn umdrängten, »ich hatte vergessen, daß man nicht nur erschossen sondern auch wund geschossen werden kann.«

»Halte dich nur still, Jürgen,« tröstete der von Kongota, »wir wollen unseren Anschlag trotzdem ausführen und das Haus in deine Gewalt bringen.«

Der von Randen schloß die Augen. »Versucht es,« sagte er. »Die Haken, die das Gitter halten, sitzen auf der linken Seite.«

Der Arzt mahnte, dem Kranken Ruhe zu gönnen und die Herren zogen sich zurück. »Magister,« sagte der von Randen, als sie gegangen waren, »werde ich je wieder auf ein Pferd können?«

»Wenn Ihr Euch still haltet,« versetzte der Angeredete, »und geduldig liegen bleibt, bis es Euch erlaubt wird, aufzustehen, wahrscheinlich, wenn ich auch fürchte, daß das Bein steif bleiben wird.«

»Ich will Euch so still halten wie ein toter Elenbulle,« 470 erwiderte der Junker, »aber vorher muß ich noch den Junker von Kelles sprechen, ich meine Eilhard den jüngeren.«

»Ist es durchaus nötig?«

»Ja.«

»So will ich nach ihm schicken.«

Der alte Herr schob sich das Samtkäppchen aus der Stirn, ging leise aus dem Zelt und schickte einen der Diener nach Eilhard. Dann kehrte er an das Lager des Kranken zurück, der die heftigsten Schmerzen hatte, sie aber mit wunderbarer Kraft überwand. »Was das für ein Geschlecht ist, das in diesem Livland aufwächst,« dachte der alte Magister, indem sein Auge auf der Brust und den Armen des Junkers ruhte, »es gibt doch auch bei uns in Meißen starke Kriegsleute, aber einen solchen Enakssohn habe ich noch mein Lebtag nicht gesehen.

»Magister!«

»Was befehlt Ihr?«

»Wenn der Junker kommt, könnt Ihr den Handel etwas schlimmer darstellen als er ist. Ich will mit dem zerschossenen Knochen da einen alten Streithandel vergraben. Versteht Ihr?«

Der Alte lächelte und nickte. »Ich verstehe,« sagte er.

»Er ist doch ein Jude,« dachte der von Randen, »obgleich er schwört, daß er seinen Großvater noch gekannt und daß dieser blonde Haare gehabt habe. Magister!«

»Wie?«

»Was haltet Ihr von Flüchen?«

»Wie meint Ihr das?«

»Glaubt Ihr, daß einer, dem ein Unrecht widerfuhr und der dafür den anderen verfluchte und fluchte ihm zu, daß er 471 ersaufen solle, daß ein solcher den anderen ins Wasser bringen kann?«

Der Magister nickte. »Das ist möglich,« erwiderte er »und geht an. Darum soll man, wenn man kann, mit einem solchen seinen Frieden machen, daß er den Fluch zurückruft. In meiner Heimat lebte einst vor langen Jahren ein Ritter, der hieß von Wiederitsch. Der hatte einst eines Kätheners Weib, weil es verbotener Weise auf seinem Acker Ähren gelesen hatte, über ein Pferd ziehen und auspeitschen lassen. Da fluchte das Weib, daß er von seines Pferdes Schädel sterben solle, sprang in den Teich, an dem sie standen und ertrank. Der Ritter ließ darauf das Pferd, das ohnehin hoch bei Jahren war, durch den Dorfschinder abstechen und dachte, der Schädel solle es wohl bleiben lassen zu ihm zu kommen. Darnach geschieht es nach etlichen Monden, daß der Ritter mit seinen Gästen zu Tisch sitzt und der Wein ist in den Leuten und die Rede kommt auf solche Dinge. Da erzählt der Ritter von jenem Weibe und dem Fluch. Da fragen die Gäste, wo der Schädel hingekommen ist. Der Ritter spricht, ›er wisse das nicht, man solle den Schinder fragen, vielleicht könne der Bescheid geben.‹ Da gehen alle mit einander ins Dorf und fragen den Schinder. Der Schinder spricht, ›der Schädel sei noch vorhanden und liege in einer Lehmgrube.‹ Spricht der Ritter: ›Wir wollen hingehen.‹ Darauf gehen alle hin und der Ritter steigt hinab in die Lehmgrube und stößt mit dem Fuß an den Schädel. Da fährt aus dem Schädel eine Otter und beißt den Ritter ins Bein, daß er jämmerlich sterben und verderben mußte.« 472

Der Junker mochte arge Schmerzen haben. Er wand sich hin und her und stöhnte leise.

Endlich kam Eilhard. »Setze dich her,« bat der von Randen, indem er ihm die Hand entgegenstreckte, »und bleibe hier. Du wirst mich jetzt nicht verlassen? Nicht wahr?«

Eilhard blickte hinüber zu dem Arzt. Der Alte sah sehr niedergeschlagen aus, Eilhard brauchte nicht erst darnach zu fragen, wie es um den Kranken stand. Er ergriff des Junkers Hand und drückte sie herzlich.

»Setze dich hierher, Elert,« fuhr der von Randen fort, »und laß dich von dem da nicht hinausweisen. Du bist der einzige Mensch, den ich in meinem Leben von ganzem Herzen lieb gehabt habe. Vergib und vergiß, was zwischen uns liegt, und halte auch du zu mir.«

»Edle Herren,« sagte der Arzt, »wenn auch der Junker hier bleiben mag, so dürft ihr doch keineswegs viel miteinander reden.«

»Schon gut,« erwiderte der von Randen, »wenn der Junker nur neben mir sitzt, so will ich schon zufrieden sein.«

Die Nacht draußen war windstill, aber kalt. Man hatte ein Kohlenbecken herbeigeschafft und eine Lampe, die aber nur einen trüben Dämmerschein verbreitete, denn der Arzt hatte sie nach der Seite des Krankenlagers verhüllt.

Eilhard saß neben dem Lager auf einem Feldstuhl und stützte sich auf sein Schwert, der Arzt hatte in einem Lehnstuhl Platz genommen, die Arme über die Brust gekreuzt und schien zu schlummern. Zu Füßen des Lagers kauerte auf einem Schemel der alte Thieß. Der Kranke wand sich mit dem Oberleib bald nach rechts, bald nach links und 473 stöhnte leise, sprach aber kein Wort, obgleich er nicht schlief.

So vergingen ein paar Stunden. Dann hörte man den dröhnenden Schritt vieler Menschen und gedämpftes Waffengeklirr. Es waren die Landsknechte, welche ausrückten, um denen von Thedingsheim als Reserve zu dienen. Der Kranke richtete sich auf und blickte mit starren Augen um sich. »Horch!« rief er, »das sind die reußischen Brandmeister. Nun gib acht, Elert, jetzt wird das Haus gleich in Flammen stehen. Mit dem Hungerturm werden sie anfangen.«

Eilhard war erschrocken aufgesprungen und hatte die Hand des Kranken ergriffen. »Laßt ihn nur,« sagte der Arzt ruhig, »aus ihm redet das Wundfieber.«

»Mit dem Hungerturm werden sie anfangen, weil von dort aus ein Bruder die eigene Schwester ersäufen ließ. Weg da, Thieß. Was fällt dir ein, alter Narr. Steh sofort auf. Glaubst du, daß ich sie um deinetwegen verschonen werde? Fort, sage ich, daß dich aller Welt Plage bestehe. Sie kam aus meiner Mutter Leibe, ist das nicht mehr, als daß ein Knecht für sie bittet? Hinaus oder ich stoße dich nieder, so wahr ein Gott im Himmel lebt! Horch! Hörst du sie noch? Jetzt müssen sie schon auf dem Hinterhof sein. Sie werden früher da sein als die Vettern. Die können ja doch nicht durch das Fenster. Da steht ja der Fluch drin und läßt sie nicht hinein und stößt sie die Leitern herab in den Graben. Hu, wie das Wasser aufspritzt! Hört doch wie Urs lacht! Du freche Dirne, ich will dich peitschen lassen, daß dir die weiße Haut in Fetzen vom Rücken hängt! War es nicht genug, daß ich dir 474 verzieh, daß du, eine Dirne, für meines Vaters Tochter zu bitten wagtest? Und da hattest du noch die Frechheit, mir davon zu laufen und mir durch den Reiter sagen zu lassen, mit dem Schwestermörder wolltest du nichts zu thun haben. Warte nur, du sollst mir nicht entgehen! Ich will dich morden mit eigener Hand, damit du weißt, was ein Mörder ist.«

So redete der Kranke fort, während Thieß und der Arzt sich über ihn beugten und ihn mit aller Kraft auf dem Lager festhielten. Eilhard aber, der den Phantasien schreckensbleich gelauscht hatte, stürzte entsetzt hinaus in die Finsternis der Lagergasse. Er eilte in sein Zelt, legte dort mit Hilfe eines Jungen, der als Wache zurückgeblieben war, Helm und Harnisch an und eilte dann auf schnell gesatteltem Roß der Abteilung zu, die das Schloß von vorn berennen sollte. Dort weilten, wie er wußte, auch sein Vater und Jürgen Nötken. Dort, wo Kugeln sausten und in ehrlichem Kampfe Schwerter und Äxte blinkten, mochte er den Mann vergessen, der nie sein Freund sein konnte und der doch mit so unheimlicher Liebe an ihm hing.

Unterdessen hatten die Thedingsheim ihr kühnes Unternehmen erfolgreich begonnen. Im Schutze der Finsternis hatte man die Flöße glücklich ins Wasser gebracht und sie bestiegen. Jetzt trieb man sie mit langen Stangen, die so geräuschlos wie irgend möglich gehandhabt wurden, dem Turme zu. Nichts regte sich auf dieser Seite der Burg, die Aufmerksamkeit der Besatzung war ganz dem Hauptthor zugewandt, auf das ein nächtlicher Angriff erwartet wurde. Die Flöße gelangten unbemerkt bis an den Fuß des 475 Turmes und wurden hier zusammengebunden. Dann richtete man die Leiter auf. Sie reichte bis an das Fenster.

Die Söhne des von Kongota hatten sich ausgebeten, die ersten auf der Leiter sein zu dürfen, und der Vater hatte eingewilligt. Jetzt aber schlug das Herz des Junkers doch angstvoll. Er umschlang und küßte erst den einen, dann den anderen der Söhne. »Laß mich voraus,« bat flüsternd Werner. »Nein,« war die Antwort, »auf keinen Fall. Ich bin der ältere.«

Sie stiegen die Leiter hinan. »Großer Gott,« dachte Walter, »hier haben sie Bärbchen hinabgestürzt.« Er wollte nicht daran denken, aber er konnte nicht anders und dem Bruder hinter ihm ging es ebenso. Walter biß die Zähne übereinander, aber er fühlte, wie eine abergläubische Furcht ihn seltsam lähmte. Er konnte kaum weiter steigen. Endlich aber war das Fenster doch erreicht und er streckte eben die Rechte nach dem Gitter aus, als im Schloßhof hinter dem Turm ein Feuer aufflammte und der Junker gleichzeitig Barbara unmittelbar vor sich sah. Sie war nur im Hemde, die blonden Haare fielen ihr wirr auf die Schultern und ihre blauen Augen blickten voll Entsetzen. Der Junker stieß einen furchtbaren Schrei aus, ließ die Leiter fahren und stürzte rückwärts auf den Bruder, den er mit sich hinabriß. Im nächsten Augenblick wurde es auf der Mauer lebendig, die Wachen schossen ihre Gewehre auf gut Glück ab und eilten dann dem Turm zu. Auf den Flößen entstand ein heilloses Durcheinander. Ein Teil der Junker, vor allem natürlich der von Kongota, wollte die beiden Brüder, die ins Wasser gestürzt und in ihm verschwunden waren, retten, 476 die anderen den Anschlag noch ausführen. Darüber versäumte man es, die Flöße mit den Bootshaken festzuhalten, sie trieben ab vom Turm und die Leiter stürzte um. Nun stießen die einen die Flöße dem Ufer zu, während die anderen ihnen entgegenarbeiteten, die dritten sprangen ins Wasser und schwammen dem Ufer zu. Aus dem Fenster hoch oben im Turm aber erklang erst entsetzliches Hilferufen von Frauenstimmen, daß den Landsknechten am Ufer das Herz still stand, dann verstummte es plötzlich und aus dem Fenster fiel nun Schuß auf Schuß in das schwarze Wasser und auf die Flöße, die jetzt auch von den letzten Kriegern verlassen waren.

Der Anschlag war völlig mißglückt.

Am folgenden Tage donnerten die Kanonen der Belagerer von Sonnenaufgang bis zum Niedergang. Sie schossen das Bollwerk in Trümmer und sie schossen am nächsten Tage auch das Thor ein. Am Nachmittag nahm man die lichterloh brennende Burg mit Sturm und die beiden Kruses waren die ersten im Schloßhof.

Man machte einen Versuch das Feuer zu löschen, aber ein furchtbarer Sturmwind fachte die Flammen immer wieder von neuem an.

Als man die gefangenen Russen verhörte, erfuhr man, daß in dem Gemach, zu dem das Fenster gehörte, drei livländische Edelfräulein, Wolmar Rothhasens Töchter, gefangen gehalten worden waren. Da die Russen sie im Einverständnis mit den Angreifern geglaubt, hatten sie die Mädchen niedergehauen. »Die armen Täubchen,« sagte ein alter bärtiger Russe mit aufrichtiger Betrübnis, »sie hatten so schöne blonde Haare und so hübsche blaue Augen.« 477

Nach der Einnahme von Randen, der bald die von Kongota folgte, – auch dieses Schloß brannte nieder – zog das livländische Heer nach Ringen und eroberte es nach längerer Belagerung. Dann ging es gegen Dorpat. Hier schickten die Russen, um jeden Verrat unmöglich zu machen, die gesamte männliche Bevölkerung zu Schiff nach Pleskau, sie selbst aber rüsteten sich zu verzweifelter Gegenwehr. Sie wurde nicht nötig. Die Russen hatten 15 000 Mann stark unweit von Ringen ein festes Lager errichtet und bedrohten von dort aus die Flanke der Livländer. Dieses Lager mußte genommen werden, ehe der Vormarsch auf Dorpat gewagt werden konnte. Man griff die Russen an und schlug sie, aber während des Kampfes stürzte Kettler mit dem Pferde und brach sich den Oberschenkel. Er war die Seele des Feldzuges gewesen. Als man ihn jetzt nach Reval brachte, verbrannte das Heer Ringen und löste sich dann auf.

Der von Randen war schon gleich nach dem Fall von Randen nach Fellin gebracht worden, wo es den Ärzten Fürstenbergs gelang ihn herzustellen, doch blieb das rechte Bein etwas steif. Die Kruses und Jürgen Nötken hatten den Feldzug bis zuletzt mitgemacht und zogen dann nach Takefer. Über den Kriegsschauplatz aber mit seinen zerstörten Burgen und verbrannten Dörfern lagerte sich der Winter mit seiner Dunkelheit, seinem Schnee und seiner Kälte. Der trieb die Bauern aus ihren Waldverstecken und zwang sie, in den Ruinen der Burgen ein Obdach zu suchen vor dem Schneetreiben und den Wölfen, die sich in immer größere Rudel zusammenthaten und immer frecher wurden.

Auch in den Trümmern von Randen hatte sich, was 478 noch übrig war von der Bauerschaft zusammengefunden. Die Leute hatten die Vorräte, die sie vorher in sicheren Erdverstecken geborgen hatten, herbeigeholt, die Zugänge der Burg mit Balken verrammelt und unter den starken Gewölben des Erdgeschosses ihr Heim aufgeschlagen. Wie Raubtiere des Waldes hausten sie hier, voller Furcht, daß die Russen von Dorpat oder die Deutschen von Fellin über sie kommen könnten und doch auch wieder kühn und keck, wenn sie vermummt bei nächtlicher Weile auf nur ihnen bekannten Richtwegen den Dörfern zueilten, die dem Verderben entgangen waren und dort raubten, was in den ausgeplünderten Orten geraubt werden konnte.

Es war am h. Dreikönigstage. Früher war das ein großer Festtag gewesen, an dem die Glocken der Kirchen alle die Gemeinden ringsum in die Gotteshäuser gerufen hatten, heute aber unterbrach nichts die Stille der weiten Schneelandschaft, denn die Glocken waren fortgebracht, um in Kanonen umgegossen zu werden und die Kirchen lagen in Trümmern. Die Sonne ging blutrot auf, es war bitter kalt. Fröstelnd rückten die Leute in den Kellern von Randen näher an die Feuer heran und verstopften ein Ausgangsloch nach dem anderen, so daß der Rauch, der wie eine dichte Wolke unter der Decke hing, kaum noch einen Ausgang fand. Die Männer, die an den Zugängen zur Ruine die Wache hielten, gingen eilig auf und nieder, stampften mit den Füßen auf den Boden und schlugen die Arme über der Brust zusammen, um sich wenigstens einigermaßen zu erwärmen. »Sieh!« rief plötzlich einer von ihnen und wies mit der Hand nach dem fernen Waldrande. »Was gibt es?« 479 fragte der andere erschreckt. Beide beugten sich weit vor. Es war kein Zweifel, die Sonne spiegelte sich dort in Harnischen.

In einem Augenblick war das Bauernlager allarmirt. Die Männer griffen zu ihren meist bei Nacht und Nebel den Erschlagenen abgenommenen Hakenbüchsen, Schwertern und Dolchen, zu ihren Äxten und an langen Stangen befestigten Sensen, die Weiber und Kinder liefen hin und her wie Mäuse, die im Keller von der Katze überrascht wurden und nun in Verzweiflung nach einem Schlupfloch suchen.

»Um Gotteswillen, es ist unser gnädiger Herr!« rief einer der Bauern schreckerfüllt, »ich erkenne ihn, es ist der da auf dem Rappen.«

Der Anführer der Bauern, ein Schmied, namens Christoph, an den diese Worte gerichtet waren, zog die schwarzen überhängenden Brauen zusammen. »Schweig,« rief er.

»Sie führen einen Gefangenen mit sich,« fuhr der erste fort. »O weh! o weh! Es sind siebenundzwanzig Reiter. Wir können ihnen nicht widerstehen. Sie werden erfahren haben, daß wir den Pfaffen fingen und unter das Eis steckten. Nun müssen wir alle hängen.«

»Schweig,« hieß es abermals. »Es sind allerdings Deutsche, aber es sind keine Junker. Wißt ihr, wer das ist? Das ist der Schreiber von Kelles mit seinen Gesellen. Von dem haben wir nichts zu befürchten.«

»Meint Ihr? Seid Ihr Eurer Sache ganz sicher?«

»Ganz sicher. Die krümmen keinem Bauern ein Haar. Und wißt ihr, wen sie da mit sich führen!« – Der Bauer 480 bog sich weit vor. – »Rentsch, so wahr Gott lebt, es ist Rentsch, der gebunden zwischen ihnen herläuft.«

Ein Schrei drang aus all diesen rauhen Kehlen, ein Schrei, in dem sich zugleich die Freude über die zerstreute Besorgnis und die wildeste Rachgier kund that. Im nächsten Augenblick waren alle dabei, die den Eingang sperrenden Balken fortzuräumen. Die Reiter ihrerseits winkten den Bauern mit den Händen zu und setzten sich in Trab. Bald hielt der Zug auf dem Schloßhof. Zwischen zwei Reitern, an den Sattel eines jeden von ihnen gebunden, stand in der That Rentsch. Er sah furchtbar entstellt aus infolge der Mißhandlungen, die er erfahren hatte und infolge der entsetzlichen Anstrengung des Gewaltmarsches bei der eisigen Kälte, aber seine Augen funkelten so wild wie die einer Wildkatze, die sich von den Hunden umringt sieht und weiß, daß sie sogleich zerfleischt werden wird. Aus seinem schaumbedeckten Munde sprudelten ununterbrochen wilde Flüche hervor.

Auf dem bleichen mageren Gesicht des Schreibers von Kelles, das selbst der Frost nicht hatte rot färben können, lag ein furchtbarer Ernst. »Wartet« herrschte er den Bauern zu, die sich auf den Verhaßten stürzen wollten, »er wird euch nicht entgehen, und wir wollen ihn peinigen, daß auch der wildeste von euch zufrieden sein soll. Vorher aber muß ich noch des Juhann Martha und die braune Grete sprechen. Sind sie unter euch?«

»Grete wohl,« erwiderte der Schmied, »aber des Juhann Martha haben die Russen in Stücke gehauen, als sie die Burg einnahmen.« 481

Über die von tiefen Furchen durchzogene Stirn des Schreibers flog ein Schatten. »Ruft Grete herbei,« befahl er und ging durch den tiefen Schnee über den Hof in die Ruine eines der Schloßgebäude.

Die Reiter sattelten unterdessen ab und die Bauern brachten willig herbei, was sie hatten. »Wie fingt ihr ihn?« fragte der Schmied einen der Reiter.

»Der schwarze Tönnies lockte ihn uns ins Netz,« war die Antwort. »Er log ihm vor, er habe im Walde einen vergrabenen Schatz entdeckt, den sollten die beiden in aller Stille bei der Nacht heben. Statt des Schatzes aber fand der Schreiber unseren Rittmeister den Bonnius, unseren Leutnant Hans Mettmann und den Fähndrich Hans Krummhals.«

Die braune Grete war unterdessen aufgefunden worden und wurde dem Schreiber zugeführt. Obgleich die Bauern ihr versicherten, daß ihr nichts geschehen würde, zitterte das Weib doch wie im Fieberfrost. Als sie vor dem Schreiber stand, fiel sie in die Kniee. »Gnade, gnädiger Herr,« flehte sie, »ich hätte mein Leben für sie hingegeben, aber ich konnte sie nicht retten.«

Der Schreiber winkte den Bauern sich zurückzuziehen. »Stehe auf, Grete,« sagte er dann »und fürchte nichts. Du warst dabei, als sie mein Weib mordeten. Erzähle mir, wie alles sich begab und verschweige nichts. Wenn du das thust, soll dir nichts geschehen, sprichst du aber auch nur mit einem Wort die Unwahrheit, so lasse ich dich zu Tode peitschen.«

Es währte eine Weile bis die Worte, die über die 482 bebenden Lippen der Frau kamen, verständlich wurden. Dann aber berichtete sie schlicht und zusammenhängend: »Ich stand am Tage vorher mit des Juhann Martha im Schloßgraben und wusch der Mutgeberin Wäsche. Da stieß Rentsch das Fenster auf und rief uns zu heraufzukommen. Wir legten die Wäsche bei Seite, trockneten uns die Hände an den Schürzen und gingen hinauf. Wie wir in des Schreibers Stube kommen, liegt da ein ganzes Stück Leinwand. ›Da,‹ sagt der Schreiber und sieht uns an, daß uns heiß und kalt wird, ›da – aus dem da sollt ihr einen Sack nähen.‹ Wie wir erschreckt auf ihn blicken heißt es: ›Schnell, schnell. Holt euch Nadeln und Faden und dann frisch ans Werk. Das Ding hat Eile. Seid ihr bis zum Abend nicht fertig, so soll der Rutenkerl euch flinke Hände machen.‹ Darauf nimmt er die Schere, schneidet die Leinwand ab, wirft sie vor uns hin und geht davon und pfeift noch auf der Treppe. Da setzten wir uns hin und weinten bitterlich, denn wir dachten uns wohl, was mit dem Sack geschehen sollte. Wie ich nun den Faden in das Nadelöhr bringen will, zittert mir die Hand so, daß ich es nicht fertig bringe. Da reiche ich beides Juhanns Martha, aber der geht es nicht anders als mir. Da kommt Märtens Anna, das böse Weib, die hat der Schreiber heraufgeschickt, daß sie uns helfen soll. Wie sie hereinkommt, lacht sie über das ganze Gesicht. ›Wißt ihr auch, für wen der Sack ist, ihr dummen Weibsbilder?‹ fragt sie. ›In dem soll des gnädigen Herren Schwester ersäuft werden. Wenn die Sachsen erst anfangen sich gegenseitig umzubringen, dann haben wir Esten gute Tage.‹ Wie nun 483 Juhanns Martha ihr solche gottlose Reden verweist, da ruft sie ihr zu: ›Halt' das Maul, du Gans. Sollen wir uns nicht freuen, wenn die, die uns bedrücken, sich untereinander fressen?‹ Und damit greift sie nach der Leinwand und die Nadel fährt nur so durch das Zeug. Da trockneten wir uns die Thränen und nähten auch fleißig, denn wir wußten wohl, daß der Schreiber uns hätte quästen lassen bis aufs Blut, wenn wir nicht fertig geworden wären. Wie es nun Abend wird, kommt der Schreiber, besieht den Sack und spricht: ›Das ist ein großer, schöner Sack. Der hätte auch Platz für den Schreiber von Kelles gehabt. Auch kann man noch viel adligen Hochmut und adlige Hoffart mit hineinthun.‹ Darauf ging er davon, wir aber, Juhanns Martha und ich, wir schlichen in unser Zimmer, krochen auf den Ofen und weinten, bis es wieder hell wurde.«

»Ist Märtens Anna unter euch?« unterbrach hier der Schreiber.

»Nein gnädiger Herr. Die Reußen haben sie umgebracht. Sie schnitten ihr erst die Brüste ab und darauf die Zunge aus und stürzten sie dann zum Fenster hinaus auf den Hof, daß sie gleich tot blieb.«

»Weiter.«

»Darauf mußten wir beide am anderen Tage unsere besten Kleider anziehen und wurden hinausgeführt zu dem Fräulein und blieben bei ihm. Als man sie nun verurteilt hatte, führte der gnädige Herr selbst sie über den Hof in den Hungerturm. Sie ging aber mit festen Schritten über den Hof und wie der Junker zuletzt noch mit ihr sprach, da 484 gab sie ihm eine trotzige Antwort. Darauf schloß der Junker selber die Thüre zu von außen und ging davon. Wie er gegangen war, setzte das Fräulein sich auf den Stuhl und schlug die Hände vors Gesicht, wir standen an der Wand und uns schlotterten die Kniee. Nach einer Weile stand das Fräulein auf und ging im Zimmer hin und her und immer wieder hin und her, recht wie ein gefangener Vogel im Käfig. Wie nun die Sonne unterging, da stellte das Fräulein sich an das Fenster und stand lange und sah hinaus. Dann sah sie sich um im Zimmer und bückte sich und nahm ein Stückchen von einem Scherben, das dort lag. Damit schrieb sie lange an die Wand. Wie sie damit fertig war, da sprach sie zu uns in unserer Sprache: ›Wenn mein Mann einmal wiederkommt und fragt nach mir, dann zeigt ihm, was ich hier geschrieben habe.‹ Und das war das erste und einzige Mal, daß sie sprach.«

»Was sagte sie?«

»Wenn mein Mann einmal wiederkommt und fragt nach mir, dann zeigt ihm, was ich hier geschrieben habe.«

»Weiter.«

»Wie es nun ganz dunkel geworden war, da kamen Rentsch und der Stallmeister des gnädigen Herren Fritz Bergmann und der Wildnisbereiter von Karafer die Treppe herauf und traten ein und hatten eine Laterne mit sich und den Sack. Da sprach Rentsch zum Fräulein: ›Jetzt müßt Ihr sterben!‹ Da hielt das Fräulein das arme Lamm, die Hände hin und der Wildnisbereiter band sie ihr zusammen. Dann trat sie selber in den Sack und Rentsch und der Stallmeister zogen ihn um sie herauf und banden ihn oben zu. 485 Sie aber sprach kein Wort und blickte nur, so lange sie konnte Rentsch an. Da ging mir das Wasser ab vor Angst und ich heulte laut. Da schlug mich der Stallmeister ins Gesicht. Da wurde ich still und weinte nur leise vor mich hin. Da stießen die Männer das Gitter vor dem Fenster auf und hoben den Sack mit dem Fräulein auf und stürzten ihn hinunter. Da schien mit einemmal der Mond und es war ganz hell. Der Schreiber neigte sich zum Fenster hinaus und sah hinunter. Dann richtete er sich auf und schloß das Gitter und darauf jagten sie uns fort.«

Damit schwieg das Weib und weinte bitterlich.

»Ist der Stallmeister bei dem Junker?« fragte der Schreiber.

»Nein, gnädiger Herr. Die Reußen haben ihn gefangen, ihm die Arme und Beine abgehackt und ihn dann an einen Baum gehängt.«

»Und der Wildnisbereiter?«

»Den haben sie auch gekriegt und ihn an seiner Hütte Thür gebunden und ihn mit Pfeilen totgeschossen.«

»Es ist gut. Habt ihr eine Leiter, die hoch genug ist, daß ich in das Zimmer im Hungerturm kann?«

»Er ist eingestürzt, Herr, alle Zimmer sind eingestürzt.«

»Das thut nichts. Sage dem Schmied, er möge mir eine Leiter bringen.«

Das Weib eilte davon, Bonnius aber ging mit festen Schritten dem Hungerturm zu. Dieser war im Innern in der That eingestürzt, aber das Gitter vor dem Fenster machte es noch deutlich kenntlich. Der Schutt füllte den Turm zum nicht geringen Teil aus, so daß die Leiter, die der 486 Schmied herbeibrachte, bis zu jenem Fenster hinaufreichte. Bonnius stieg hinauf und sein scharfes Auge fand bald die Stelle, wo die Hand der Geliebten den letzten Gruß für ihn an die Wand ihres Kerkers geschrieben hatte. Er wischte die glitzernde Kruste von Eiskristallen vorsichtig ab und las:

O du mein herzallerliebster Schatz!
Ein Blümlein that verderben.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Mit Freuden mag er sterben.

Bonnius zog seinen Dolch und löste langsam das Stück Putz von der Wand. Aus seinen brennenden Augen fiel unterdessen keine Thräne, kein Seufzer schwellte seine Brust. Als sein Vorhaben gelungen war, stieg er vorsichtig hinunter und schlug das Stück Putz in ein Tuch, das er sich vom Halse band.

Der Schmied wollte die Leiter wieder fortnehmen, aber der Schreiber befahl kurz, er solle sie noch stehen lassen. Dann begab er sich mit schnellen Schritten auf den Schloßhof.

»Leute,« rief er und seine Augen funkelten, »Leute, nun an die Arbeit.«

Aus der Brust der Bauern und der Reiter drangen unartikulierte Rufe hervor, als sie sich auf den Gefangenen stürzten. Eine Weile hielt dieser trotzig still, dann aber gellte ein entsetzlicher Schmerzensschrei durch die Luft und noch einer. »Leute,« mahnte Bonnius, »zeigt, daß die Tatern nicht umsonst im Lande waren und daß ihr von ihnen gelernt habt!«

Rentsch war klein und schmächtig, aber von zäher Kraft 487 und seine Quäler gingen mit teuflischer Berechnung zu Werk, um ihn so lange wie möglich leben und leiden zu lassen. Während er sich in den furchtbarsten Schmerzen wand, blickte Bonnius ihn unverwandt an, aber er sah nicht das entsetzlich entstellte Gesicht seines Opfers, sondern blickte in ein Paar blaue Augen, die ihn unter einer goldblonden Locke hervor voll hingebender Liebe anschauten und er hörte nicht das Jammergeheul, sondern vernahm wie eine holde Frauenstimme ihm zuflüsterte:

Wer einen lieben Buhlen hat,
Mit Freuden mag er sterben.

Zuletzt wurde es still und endlich entfloh der letzte Atemzug aus dem verstümmelten Leibe des Opfers. Bonnius kam zu sich. »Schleppt ihn hinter mir her,« befahl er und ging voran. Die Leute schleiften die Leiche an einem Strick durch den Schnee und hingen sie dann auf Bonnius' Befehl zu dem auf den See gehenden Fenster hinaus. Bonnius zog seine Börse und teilte eine Anzahl Goldstücke unter die Leute aus. »Helft mir,« sprach er dann, »der Turm muß fallen.«

Man ging eifrig ans Werk, eine kurze Mine wurde durch den Schutt geführt und der Pulversack, den die Reiter mitgebracht hatten, hineingethan. Bonnius legte selbst die Zündschnur.

»So,« sagte er, sobald alles fertig war, zu dem Schmied, »wenn Ihr mich mit einem Tuch winken seht, zündet Ihr die Schnur an.«

Bald darauf hielten die Reiter jenseits des Grabens. 488 Das Tuch in Bonnius' Hand flatterte und alle blickten voll Spannung auf den Turm. In ihm blitzte es auf, eine Rauchwolke stieg auf, ein dumpfer Knall dröhnte, dann neigte sich der Turm und stürzte zugleich mit seiner schrecklichen Last am Fenstergitter auf das Eis des Grabens, das laut krachend zerbrach und sich in großen und kleinen Schollen wild durcheinander schob.

Bonnius ritt dicht an den Graben heran und blickte hinüber zu der wüsten Trümmerstätte. »Das Haus fiel,« murmelte er, »jetzt kommt die Reihe an den Junker.«

Bonnius riß sein Pferd herum und sprengte, gefolgt von seinen Gesellen davon, daß der Schnee ihnen um die Köpfe stob. Bald waren Reiter und Rosse im Walde verschwunden.



 << zurück weiter >>