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Die Rüden, die auf dem Schloßhofe von Randen träge in der Sonne lagen, hoben die Köpfe, spitzten die Ohren und schlugen an, denn sie hörten Rosseshufen auf der Zugbrücke. Ein paar Stallknechte traten aus der Thüre eines Seitenflügels, am Fenster über dem Haupteingang wurde ein blonder Frauenkopf sichtbar. Dann kam ein großer schwarzer Hund aus dem zum äußeren Hof führenden Thor und hinter ihm erschien Jürgen Thedingsheim, dem ein halbes Dutzend Reiter folgte. Sobald der Hengst des 209 Junkers vor der Thüre hielt, flog sie auf und ein in Samt und Seide gekleidetes, großes, stattliches Weib eilte auf den Schloßherrn zu. Sie setzte erst den einen Fuß auf den Prellstein, dann den anderen auf des von Randen Fuß und schwang sich so zu dem Reiter empor, den sie umhalste.
»Na Urs, wie geht es?« fragte der von Randen, »du faßt mich ja an wie der römische Pfaffe nach dem Fasten das Wildbret und bin doch nur drei Tage weggewesen!«
»Ihr sollt gar nicht fort, Junker. Auch nicht auf einen Tag. Ich tauge schlecht zum Fasten.«
»Schon recht, schon recht, eher schon zum Predigen, wie? Aber, nun gib freie Bahn, daß ich von der Gorre komme. Es war ein heißer Ritt.«
Der von Randen schwang sich vom Hengst. »Was habt Ihr mir mitgebracht?« fragte Ursula.
»Einen silbernen Becher, Urs. Ich habe beim Papagei Glück gehabt.«
»Was Glück, Junker! Ein Schütze wie Ihr hat immer Glück. Aber wo ist der Becher?«
»Frage den Thies. Thies, bring nachher den Becher herauf. Und nun komm Urs. Ich bin hungrig und durstig.«
»Hat jemand nach mir verlangt?« fragte der von Randen, als sie bei der Mahlzeit saßen.
»Wie Ihr fragt Junker! Als ob ich jemals nicht nach Euch verlangte.«
»Ich weiß, ich weiß, Urs. Du bist ein gutes Kind, das selbst an einem silbernen Becher seine Freude hat, aber ich meinte nicht dich. Der Nimrod und du, ihr seid mir allezeit treu und zugethan, der Nimrod vonwegen der 210 Knochen und du vonwegen der silbernen Becher. Da Nimrod, faß!«
Der Hund fing das ihm zugeworfene Entenbein geschickt auf und zermalmte es mit seinen gewaltigen Zähnen.
»Der von Ringen war hier. Er wollte mit Euch Kraniche beizen.«
»Weiter niemand?«
»Nein, niemand.«
Draußen schlugen die Hunde an. »Der Pastor ist da. Er möchte gleich zum gnädigen Herrn!« meldete ein Diener.
»Was will er?«
»Soll ich ihn fragen?«
»Nein, führe ihn herauf.«
Der von Randen that einen tiefen Trunk und lehnte sich dann in seinen Sessel zurück. Der Pastor durchschritt schnell das Zimmer, beugte seine hünenhafte Gestalt herab und küßte dem Junker die Hand. Der Junker zog die Hand fort. »Laßt es nur gut sein, Pastor«, sagte er, »viel Vergnügen kann Euch das nicht machen. Ja, wenn es meines Urs Händchen wäre! Wie?«
Der Pastor richtete sich auf und verzog den Mund zu einem Grinsen. »Mein gnädigster Gönner treibt Kurzweil,« sagte er. »Guten Tag, Jungfer Ursula! Wie geht es Euch?«
Das Mädchen hatte den üppigen Leib gleichfalls in den Sessel zurückgelehnt und betrachtete mit halbgeschlossenen Augen den Mann vor ihr, wie sie eine besonders widerwärtige Dogge betrachtet haben würde, die sich zur Zeit des Beifalls ihres gemeinsamen Herrn erfreuete. Und einer 211 Dogge glich in der That der Mann mit den breiten Backenknochen und den dicken Lippen. Nur der Mund lächelte, die kleinen Augen unter der niedrigen, wulstigen Stirn blickten voll Zorn. Ursula antwortete nicht.
»Der Jungfrau geht es vortrefflich,« erwiderte der von Randen statt ihrer, »wenn sie so fortfährt und legt täglich ihres Leibes Umfang etwas zu, so kann sie noch einmal eines reußischen Kaufmanns in der Pleskau Weib werden. Die lieben das Fette.«
»Daß Gott bewahre,« rief der Pastor. »Die Jungfrau muß im Lande bleiben und einen Landfreien nehmen.«
»Schade, daß Ihr schon ein Weib habt, Pastor.«
»Der gnädige Junker treibt wieder Kurzweil.«
»Ich rede im Ernst. Urs würde einmal ein gutes Pfarrweib abgeben. Sie würde den Zehnten wohl einzutreiben wissen. Wie?«
»Ich hätte den Zehnten lieber ohne den Pfarrer, Junker.«
Der Junker lachte. »Du weißt dir zu helfen, Urs. Aber was führt Euch zu mir, Pastor?«
»Gnädiger Junker,« begann der Pastor, »heute vormittag hat sich in der Kirche ein öffentlicher, schändlicher Handel begeben.«
»Oho! Was denn?«
»Urteilet selbst. Ich stehe auf der Kanzel und strafe der einfältigen und thörichten Undeutschen gottloses, sodomitisches und epikuräisches Leben wie alle Sonntag und der Tolk überträgt alsogleich jegliches Wort Gottes in die undeutsche Rede wie alle Sonntag. Nun ist ja solch ein Sermon nicht so vergnüglich wie Sackpfeifen, Klitschklatschen oder 212 Krassatenfahren, wofür doch dies greuliche Volk allein allezeit offene Ohren und ein williges Herz hat. Da währt es denn nicht lange, daß dieser und jener zusammenfällt wie ein Habersack und einschläft, so daß der Glockenkerl seine Not hat, den groben unflätigen Bauern mit seinem Stecken wieder auf die Beine zu bringen. Na, das ist unter diesen tölpelhaften Leuten einmal nicht anders. Wie nun aber der Glockenkerl heute den Jan von der kleinen Mühle also kitzelt, springt der tolle, volle Mensch auf und fällt über den Biedermann her, ja, wenn die anderen nicht zugesprungen wären, er hätte ihn zu Tode gewürgt.«
Der von Randen runzelte die Stirn. »Er soll ins Verließ,« rief er. »Das ist ja gegen jede christliche Ordnung und Zucht! Das Schlafen kann man ihnen allenfalls nachsehen – wenn man den Kindern ihren Willen thut, weinen sie nicht – aber daß der freche Geselle sich an dem Glockenkerl vergreift, das soll er mir büßen. Ihr müßt überhaupt streng sein, Pastor, wider alles, was der christlichen Gemeinde ein schlechtes Beispiel gibt und Ihr dürft kein Ansehen der Person kennen. Wenn die Leute nach dem Winde ausschauen, sehen sie nicht in die Büsche sondern auf die hohen Bäume. Darum behaltet mir gerade die reichen Bauern im Auge und straft sie mit dem Worte Gottes. Wo das aber nichts hilft, will ich mit dem Quästen nachhelfen lassen.«
Der Pastor verneigte sich tief. »Ich wußte wohl, daß ich eine christliche Obrigkeit habe, die die Rute der Zucht nicht umsonst führt,« sagte er.
»Recht so. Der Kerl soll an drei Sonntagen an diesen 213 einen denken. Nun aber setzt Euch und schwemmt den Verdruß mit einem tüchtigen Trunk fort.«
Der Pastor verneigte sich abermals tief. »Ich danke meinem allergnädigsten Gönner von ganzem Herzen,« sagte er, »aber Ihr werdet gestatten, daß ich jetzt heimgehe, denn ich muß noch nach Unnafer, um aus einem kleinen undeutschen Heiden durch die h. Taufe den Teufel mit all' seinen bösen Lüsten auszutreiben.«
»Nun, wie Ihr meint. Wenn zum Essen geklappert wird, soll man keinen Stier ins Joch spannen. Gehabt Euch wohl!«
»Ich grüße den gestrengen Junker! Ich grüße die ehrbare Jungfrau!«
Damit schob sich der Pastor rückwärts schreitend, unter steten Verbeugungen der Thüre zu, an die er endlich derb anrannte. Dann erst wandte er sich um, öffnete sie und verschwand.
»Was das für ein greulicher Pfaffe ist!« sagte Ursula.
Der Junker lächelte. »Laß es gut sein, Urs,« erwiderte er, »die alten waren viel schlimmer. Die wußten, daß hinter ihnen der Bischof stand und hinter dem Bischof der Papst, darum schritten sie gar trotzig einher und meinten, sie wären unsersgleichen, ja wohl gar mehr. Seit die Pfaffen aber die Klöster verlaufen und sich beweibt haben, sind sie zahm geworden und fressen aus der Hand, denn jagen wir sie fort, so kräht kein Hahn darnach und niemand zieht gern mit dem weißen Stecken in der Hand durchs Land.«
Ursula heftete den Blick gedankenvoll auf das Gebälk der Decke. »Kann solch ein Knecht, der vor dem Herren 214 ein Hund, vor den Bauern aber ein böser Wolf ist, wirklich vom Herrgott die Schlüssel zum Himmel in die Hand bekommen haben?«
»Na, Urs, mit denen hat es überhaupt so seine Bewandtnis,« erwiderte der Junker schmunzelnd. »Eigentlich geht uns ja das verdammt wenig an, denn wenn da wirklich etwas aufzuschließen ist, so kommen wir beide gewiß nicht hinein. Aber über diese Schlüssel habe ich so meine Gedanken. Komm her, Urs, setze dich auf meinen Schoß! So. Und nun spitze die Ohren! Sieh, unsere Vorfahren, die hielten dafür, daß, wenn einer starb, die Seele ins Fegfeuer fuhr und darin Pein litt. Wenn aber ihre Sippe für sie betete und Kapellen stiftete und Kirchen baute, so kam die Seele heraus aus dem Feuer. Darnach handelten sie und die Pfaffen hatten darüber gute Tage. Da kam der Mönch von Wittenberg, der ›Mann Gottes‹, wie sie ihn nennen, mit seinem ›reinen, lauteren Evangelium‹. Da heißt es, es habe nie ein Fegfeuer gegeben und was unsere Vorfahren thaten für ihre Toten, das war so viel wie Wind mahlen und leeres Stroh dreschen. Der Himmel aber und die Hölle und das Wort Gottes, die sollen sein und an die soll keiner rühren dürfen. Wie nun, wenn wieder Einer kommt und schickt dem ›reinen, lauteren Evangelium‹ die Schuhe und läßt die Botschaft ausgehen, daß es mit dem Himmel und der Hölle ist wie mit dem Fegfeuer und mit dem Wort Gottes wie mit der römischen Messe?«
Ursula hielt dem Junker den Mund zu. »Wie Ihr gottlos redet!« rief sie erschreckt.
Der von Randen wehrte sie ab. »Sei kein Närrchen, 215 Urs,« erwiderte er. »Das sind alles Seile, damit man dem gemeinen Pöbel das Maul verbindet, damit er nicht gegen seine Obrigkeit anbellt oder gar zufaßt. Für unser einen aber heißt es, sich ritterlich halten, wie es einem Ehrlichen von Adel gziemt und im übrigen jeden Wein trinken, der uns geschenkt wird und jede Dirne küssen, die ihre Arme nicht auf den Rücken hält. Was geschieht, wenn sie uns unter die Erde brachten, das stellt man billig dahin.«
»Und was hat unser einer zu thun?«
Der Junker lachte. »Du hast mich zu halten als deinen herzliebsten Schatz,« rief er.
Am Abend stattete der Schreiber dem Junker Bericht ab über die Vorgänge der letzten Tage. »Es ist gut,« sagte der von Randen, »Ihr könnt gehen.«
Der Schreiber rührte sich nicht.
»Habt Ihr noch etwas zu sagen?« fragte der Junker.
»Ja, gnädiger Herr, aber ich weiß nicht ob ich reden darf?«
»Was habt Ihr? Redet nur! Was ist es?«
»Gnädiger Herr, es betrifft Bonnius.«
»Nun? Was ist's mit Bonnius?«
»Gnädiger Herr, er sollte fort von Kelles.«
»Fort von Kelles? Warum? Hat er Euch bei einer Bauerdirne aus dem Sattel gehoben? Und was geht das mich an? Macht eure Händel untereinander aus.«
»Gnädiger Herr, die Rede geht nicht von meinen Händeln. Dieser Habicht stößt auf Hochwild.«
Der von Randen wurde aufmerksam. »Heraus mit der Sprache?« rief er, »wohin zielt Ihr?«
»Gnädiger Herr, Ihr selbst seid es, der mich sprechen heißt.« 216
Der Junker sprang auf und fuhr dem Schreiber mit der Rechten nach der Kehle. »Du Hund!« schrie er, »du lästerst meine Schwester!«
Rentsch blickte den Junker furchtlos an. »Ja wohl, ich Hund. Ich finde ja auch Hundelohn für meine Treue.«
Der von Randen zog die Hand zurück. »Rede,« stieß er zwischen den Zähnen hervor.
»Ich bin kein Hund,« erwiderte Rentsch »und was ich Euch zu sagen schuldig war, habe ich Euch gesagt. Ihr habt ganz recht, Bonnius geht Euch und mich nichts an.«
Der von Randen legte dem Schreiber die Hand schwer auf die Schulter. »So wahr Gott lebt,« schwur er, »Ihr sollt die Stube nicht verlassen, ehe Ihr mir gesagt habt, was Ihr wißt.«
»Nun wohl, aber Ihr heißt mich sprechen.«
»Ja, ich.«
»Gut. Ich ritt also am Donnerstag hinüber nach Kelles wegen der Fohlen. Ich ließ meinen Klepper in der Mühle und ging zu Fuß durch den Wald. Da höre ich im Busch ein Roß wiehern. Ich gehe dem Tone nach und richtig, da steht des Bonnius Hengst mitten im Gestrüpp unter Zügel und Sattel und ist mit dem Halfter an einen Birkenbaum gebunden. ›Wo soll das hinaus?‹ denke ich und gehe dorthin, wohin mich seine Stiefelspuren weisen. Wie ich an den Rand der Wiese komme, sehe ich ihn stehen und er schaut aus wie einer, der Wölfe anheult. Auf der Wiese aber war nichts zu sehen, als das Fräulein und die beiden kleinen Mädchen des Junkers von Kelles. ›Guten Tag, Bonnius!‹ sage ich. Da fährt er zusammen, wie wenn der Blitz neben 217 ihm eingefahren wäre und wird rot wie ein frischgedecktes Dach, konnte auch keinerlei Ausweis geben, warum er da stand, ob er es gleich gern gethan hätte.«
»Und dann?«
»Dann sage ich:›Ist das nicht meines gnädigen Junkers Fräulein Schwester? Ich will hin und sie fragen, ob das Fräulein vielleicht einen Auftrag für mich hat.‹ Und ich thue also. Das Fräulein weist mich ab. Da spreche ich: ›Das ist eine schöne Wiese hier und dem Bonnius muß sie auch gefallen, denn ich fand ihn dort im Busch und er hat kein Auge von ihr gelassen.‹ Da ward das Fräulein so rot wie Blut!«
»Du Schurke!« rief der von Randen, »das wagtest du?«
»Ja, das wagte ich, denn ich wollte wissen, ob meines Herrn Ehre Gefahr droht. Den Schurken aber nehmt zurück, Junker und zwar gleich.«
Der Junker ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und nagte an seiner Unterlippe. War es möglich, daß der Schreiber seine Augen zu Barbara Thedingsheim erhoben, daß er wohl gar Gehör gefunden hatte? Anderseits war es undenkbar, daß Rentsch es gewagt hätte, die ganze Geschichte zu erfinden.
Jürgen Thedingsheim blieb stehen. »Was wißt Ihr noch, Rentsch?« fragte er.
»Nichts. Aber nehmt den Schurken zurück.«
»Wohl, Ihr seid kein Schurke. Ihr seid ein ehrlicher, treuer Diener Eueres Herrn. Aber sagt mir nun, Ihr ehrlicher, treuer Diener, warum Bonnius nicht aus einem anderen Grunde dort gestanden haben kann, als um nach meiner 218 Schwester zu sehen, und warum meine Schwester nicht errötet sein kann aus Zorn über Euere Frechheit?«
»Gnädiger Herr,« erwiderte Rentsch, »vielleicht stand Bonnius da im Busch, weil es ihm Freude machte, sich von den Mücken stechen zu lassen und Euerer Schwester Erröten habt Ihr gewiß auch ganz richtig gedeutet. Verzeiht, daß ich Euch damit lästig fiel. Ich dachte: lieber bewahrt, als beklagt!«
Der Junker nahm seinen Gang wieder auf. »Aber Ihr sagtet doch, daß die Kinder des Junkers von Kelles bei ihr waren.«
»Ja, sie waren bei ihr.«
Der Junker war außer sich. Die Möglichkeit der Annahme, von der der Schreiber ausging, erschien ihm so beleidigend und entehrend, daß er sich am liebsten an Rentsch gehalten und diesen niedergestochen hätte, aber was war damit gewonnen, wenn der Mann recht hatte? Vorgekommen waren ja solche Dinge und was einmal geschah, kann sich wiederholen. Konnte Gretheken Risbiter mit einem Schreiber durchgehen, so konnte auch –
Der Junker stieß einen Schrei aus und schlug sich mit der Faust gegen die Stirn.
Rentsch blickte dem Junker unverwandt nach, während derselbe durch die Stube stürmte, wie ein wildes Tier. »Gnädiger Herr,« sagte er, »wir wissen ja noch nichts Bestimmtes.«
»Du Narr,« schrie der Junker, indem er vor dem Schreiber stehen blieb, »glaubst du, daß ich, wenn ich Bestimmtes wüßte, jetzt hier wäre? Ich jagte hinüber, erwürgte das Mädchen 219 mit meinen Händen und träte den Schurken mit meinen Stiefelabsätzen tot. Ist es nicht der Schande genug, daß Ihr es wagen könnt, mich zu warnen, meiner Schwester Ehre sei in Gefahr?«
»Guten Abend, gnädiger Herr,« sagte der Schreiber, wandte sich um und ging auf die Thüre zu.
»Bleibt hier, Rentsch!« donnerte der Junker. »Ihr habt den Brand ans Dach gehalten und wollt nun davon.«
Der Schreiber zuckte die Achseln. »Was soll ich hier?« erwiderte er, »Ihr vergeltet mir die Warnung, die doch in aller Treue und geziemender Ehrfurcht geschah, durch Schmähreden und Drohworte.«
Der Junker warf sich in den Sessel, schlug ein Bein über das andere, und kreuzte die Arme über der Brust.
»Was ratet Ihr?« stieß er hervor.
»Ich rate, gnädiger Herr, daß Ihr den Zorn an den Nagel hängt und die Vernunft zur Hand nehmt. Es ist ja nicht unmöglich, daß wohl der Schreiber die Augen zu Eurer Schwester erhebt, und daß sie darum weiß, daß sie aber von dem Schalk denkt, wie es sich für eine von Thedingsheim ziemt.«
Der Junker sprang auf. »Den Gedanken gab Euch Gott ein!« rief er.
»Das kann sehr wohl so sein,« fuhr Rentsch fort, »darum geht mein Rat dahin, daß wir den Schelm nicht aus den Augen lassen. Einer muß immer hinter ihm her sein, bei Tag und bei Nacht, bei Sonnenschein und Regen, in Brache und Busch. Er muß ihm folgen wie der Brake dem Fuchs, wie der Schatten dem Mann.« 220
Jürgen Thedingsheim stützte sich mit der Rechten schwer auf den Tisch. »Und wer soll das sein?« fragte er.
»Der schwarze Tönnies von Unnafer.«
Der Junker blickte finster vor sich nieder. »Und wenn das Unmögliche sich doch begeben hatte,« dachte er, »wenn der Sklave meldete, daß er –«
Der Junker stieß einen furchtbaren Fluch aus.
»Gnädiger Herr,« sagte der Schreiber jetzt, »wir können den Tönnies auch einen anderen Weg fahren lassen. Man fand schon manchen Mann mit einer Kugel im Kopfe im Walde, der am Morgen beim Satteln ein munteres Lied pfiff.«
»Nein,« erwiderte der Junker, »ich will Gewißheit haben. Ihr habt recht, sie kann höchstens darum wissen. Wagt er es wirklich ihrer zu begehren, so soll er nicht durch eine Kugel aus dem Busche fallen, sondern an seinem Halse an einen Baum gehängt werden, bis daß er tot ist. Laßt Eueren Schweißhund los und bleibt dem Wilde auf der Fährte. Ich selbst will auch die Augen aufmachen.«
Der Schreiber empfahl sich und ging davon. »Ihr beiden in Kelles werdet an mich denken!« dachte er grimmig.
Jürgen Thedingsheim ging in dieser Nacht erst spät zu Bett. Am folgenden Morgen ritt er, so früh es irgend anging, nach Kelles. Als er den Hof erreichte, spielten die kleinen Mädchen unter der Linde mit ihren Puppen. Er stieg vom Pferde, ging auf sie zu und setzte sich neben sie auf die Bank. Die Kinder blickten ihn erwartungsvoll an, denn es war sonst seine Art nicht, sich mit ihnen abzugeben. 221
»Guten Morgen, Mäuse!« begann der von Randen. »Ihr geht bei dem schönen Wetter jetzt wohl oft in den Wald?«
»O ja, fast alle Tage,« erwiderte Christinchen.
»Wohin geht es denn gewöhnlich?«
»Zur Wiese am Walde, Jürgen. Bärbchen kommt immer mit und windet uns Kränze aus den Blumen, die wir ihr bringen.«
»Und Bonnius auch? Nicht wahr?«
»Hast du Zahnpein, Jürgen?«
»Nein. Und Bonnius auch?«
»Leider nicht, Jürgen. Er sagt immer, er müsse auf die Waldwiese reiten.«
»Aber manchmal kommt er doch mit?«
»Nein, Jürgen, leider nicht. Er ist nur einmal mitgewesen, als Bärbchen ihm die Stelle zeigte, wo die neue Bank hinkommen sollte.«
»Ihr habt wohl den Bonnius sehr lieb?«
»Warum verziehst du immer so dein Gesicht?«
»Es ist nichts, Christinchen. Ihr habt wohl den Bonnius sehr lieb?«
»Ja. Über die Maßen. Hast du ihn auch lieb?« ^
Der von Randen nickte und stand auf. »Na, spielt nur hübsch weiter,« sagte er und schritt auf die Hausthüre zu, aus der ihm eben Eilhard, dem die Ankunft des Vetters gemeldet war, entgegentrat. Die Junker plauderten eine Weile miteinander vom soeben erfolgten Tode des Herrmeisters Galen. Dann kam das Gespräch auch auf Bonnius. Eilhard war seines Lobes voll. Man ging nun zu den 222 Frauen und zum Frühstück erschien auch Barbara. Sie wußte sogleich, was ihren Bruder hergeführt hatte, zumal dieser ungewöhnlich freundlich gegen sie war und machte sich auf alles gefaßt.
Nach der Mahlzeit ergriff der von Randen die Hand Frau Katharinas und ging mit ihr in das Nebenzimmer. »Ich will mir Eueren Rat erbitten, Muhme,« sagte er laut, indem er die Thür zuzog. »Muhme,« fuhr er dann fort, »der Elert gefällt mir nicht!«
»Meinst du?« fragte Frau Katharina erschreckt. »Findest du, daß er übel aussieht?«
Der Junker ging mit über die Brust gekreuzten Armen ein paarmal auf und nieder. Dann blieb er wieder vor Frau Katharina stehen: »Ob er nicht schneller wieder zu Kräften käme, wenn die beiden Hochzeit hielten?« fragte er.
Frau Katharina erbleichte. »Wie können wir an Verlöbnis und Köste denken, so lange Elerts Vater fort ist,« erwiderte sie. »Was würden die Leute dazu sagen?«
Der Junker durchmaß wieder das Zimmer und kaute an seiner Unterlippe. »Daran hatte ich nicht gedacht,« gab er zurück. »Aber dessen seid Ihr ganz sicher, daß sie ihn noch mag? Wie?«
Frau Katharina zuckte die Achseln. »Wer kann einem Mädchen ins Herz sehen,« erwiderte sie. »Sie hat seit dem Winter ein ganz neues Kleid angezogen.«
Der von Randen blieb stehen und blickte Frau Katharina scharf an. »Worin hat sie sich verändert?« fragte er.
»In allem. Du weißt, daß sie, längst mannbar, in Gedanken, Rede und That war wie ein Kind. Auch machte 223 sie sich gerne gemein mit den Leuten und je mehr gesprungen wurde, um so lauter sang sie. Jetzt ist sie stachlicht wie ein Dornbusch, und das Reden hat sie ganz verlernt.«
»Und wie hält sie es mit Elert?«
»Der Vater hat sich in guter Meinung von Elert mit Handschlag geloben lassen, daß er Bärbchen bis zum Verlöbnis nach seiner Wiederkunft halten soll wie eine Schwester.«
»Ich meine, wie sie es mit Elert hält, Muhme?«
»Sie gibt ihm nicht mehr gute Worte als uns anderen auch, alle zusammen aber machen noch keinen Scheffel aus. Du solltest einmal sehen, wie sie mit Bonnius umgeht! Nun, verziehe nur nicht dein Gesicht, ich weiß, du magst ihn nicht, uns aber ist er wert und lieb, und er hat es nicht verdient, daß sie mit ihm redet wie mit einem Knecht.«
»Vielleicht hat er sich Unziemliches erlaubt.«
Frau Katharina schüttelte den Kopf. »Nimmermehr, Jürgen,« erwiderte sie. »Dazu ist er der Mann nicht. Er ist ein frommer, rechtschaffener Mensch, der weiß was sich für seinesgleichen schickt und wie er seiner Herrin Brudertochter geziemend zu begegnen hat. Zudem redet er ja mit ihr nur unter unsern Augen.«
»Woran liegt es, daß das Mädchen so anders geworden ist? Wo kein Feuer ist, gibt es doch auch keinen Rauch? Steckt vielleicht einer der jungen vom Adel dahinter, der es ihr angethan hat?«
»Ich weiß es nicht, Jürgen. Ich meine wir müssen warten, bis dein Oheim nach Hause kommt. Dann muß ja der Hase auf die Fläche.« 224
»Und Elert?«
»Du kennst ihn ja, Jürgen. Das sind tiefe Wasser, auf deren Grund auch ein Mutterauge nicht schaut.«
Der Junker trat dicht an Frau Katharina heran. »Muhme,« flüsterte er, »Ihr seid selbst eine Thedingsheim, Euch kann ich es sagen – wie wenn – der Schreiber an dem allen die Schuld trüge?«
Frau Katharina fuhr zurück. »Wie kannst du so thöricht reden, Jürgen,« rief sie unwillig. »Er müßte ja toll sein. Wie kommst du nur darauf? Für ihn stehe ich, wie für mich selber. Er weiß, was er einer Thedingsheim schuldig ist.«
»Mißversteht mich nicht, Muhme,« sprach Thedingsheim leise weiter, »ich traue meiner Schwester nicht zu, daß sie sich an einen losen Buben wegwürfe, aber wie, wenn er die Frechheit hätte und erhöbe seine Augen zu ihr? Sie könnte zu stolz sein, um Euch die Beleidigung zu bekennen und still sein, weil sie eine Wunde am Leibe hat.«
Frau Katharina schüttelte den Kopf. »Für ihn leiste ich jede Bürgschaft,« erwiderte sie. »Solche gottlose und verruchte Gedanken sind gewiß nie in ihn gekommen, geschweige denn, daß er sich damit herausgewagt hätte. Dazu ist er überdies zu klug, um nicht zu wissen, daß wer eine Nessel anfaßt, sich die Hände verbrennt. Ich schwöre dir bei meiner Seelen Seligkeit und bei meines Gatten Ehre, daß ihm nie etwas Ähnliches in den Sinn kam. Wie kommst du nur darauf?«
»Wenn Rauch in die Stube dringt und in dem Ofen ist kein Feuer, so sucht man selbst im Keller nach ihm,« war die Antwort. 225
Der Junker wechselte das Gespräch und beide kehrten dann zu den übrigen zurück.
Der von Randen blieb auch bis zu Mittag in Kelles. Er war ungewöhnlich herablassend gegen Bonnius und richtete mehrfach Fragen an ihn, die sich auf die Landwirtschaft bezogen. Bonnius erwiderte so viel, als die Höflichkeit durchaus verlangte, ging aber, sobald die Tafel aufgehoben war, fort. Barbara sprach während der Mahlzeit kein Wort.
Nach Tisch näherte sich Jürgen Thedingsheim der Schwester, legte seinen linken Arm um ihren Leib und führte sie, wie mit ihr tändelnd, durch ein paar Zimmer in eine Fensternische. Barbara ließ sich das, so lange die Augen der Familie auf ihr ruhen konnten, gefallen, als sie aber die Nische erreicht hatten, stieß sie den sie umschlingenden Arm kräftig von sich.
Der Junker wollte aufbrausen, aber er beherrschte sich. Die Geschwister, die sich sehr ähnlich sahen, standen sich gegenüber und blickten sich in die Augen, aus denen die mühsam verhaltene Leidenschaft blitzte.
»Bärbchen,« begann Jürgen Thedingsheim, »wir haben alte Späne miteinander, aber wir sind doch zwei Äpfel, die auf einem Baume wuchsen.«
Er suchte ihre Hand zu ergreifen, aber Barbara legte beide Hände auf den Rücken.
»Bärbchen, denke daran, daß wir Geschwister sind.«
»Ich denke an die gemeine Rede: Hüte dich vor den Katzen, die vorne lecken und hinten kratzen,« war die Antwort.
»Bärbe! Bärbe! Jürgen Thedingsheim hält niemand 226 die Hand zum zweitenmale hin. Er hat ein gutes Gedächtnis.«
»Dann sollte er an des Müllers Käthe denken.«
Des Junkers kurzer Geduldsfaden war zu Ende. Er ergriff die Schwester an beiden Armen und schüttelte sie derb. »Du freche Belferkatze!« knirschte er.
Barbara blickte ihn furchtlos an. »Ein tapferer, ritterlicher Mann!« spottete sie.
Der Junker stieß sie zurück, daß sie gegen die Wand taumelte, wandte sich um und ging davon. »Es ist alles Unsinn,« dachte er. »Wie könnte sie es sonst wagen, mich so zu reizen!«
Als er in Randen wieder eintraf, ließ er sofort Rentsch rufen.
»Ruft den Tönnies zurück und kommt mir nie wieder mit solchen Dingen,« herrschte er ihm zu. »Diesmal seid Ihr durch Euere gute Meinung entschuldigt, aber künftig nehmt Ihr mir nie wieder des gnädigen Fräulein Namen in Eueren Mund. Ich will solche Reden nicht wieder hören. Verstanden?«
»Verstanden,« erwiderte Rentsch trotzig und ging davon. »Der schwarze Tönnies wird bleiben, wo er ist,« dachte er, »aber an das Wort von heute sollst du denken, du hochmütiger Junker. Kommt es, wie ich meine, daß es kommen muß, so will ich des gnädigen Fräulein Namen erst wieder in den Mund nehmen, wenn sie nicht mehr ein gnädiges Fräulein ist. Dann aber sollst du mich hören und wenn du taub wärest.«
Der von Randen durchmaß unterdessen wieder mit 227 schnellen Schritten das Zimmer. »Es ist ein Jammer, daß die Muhme recht hat, und daß wir sie, ehe der von Kelles zurück ist, nicht verheiraten können. Dann wäre ich aller Sorgen ledig gewesen. Das mit dem Schreiber ist Unsinn, aber wer weiß, was die Widerbellerin mir noch für eine Suppe einbrockt. Ich habe es längst in den Gliedern, daß mir von ihr einmal ein großer Verdruß kommt. Na, vor Weihnachten ist der Stiftsvogt jedenfalls wieder auf Kelles und dann mag' der blasse Junge zusehen, was er mit dem Unband von Mädchen anfängt.«
Der Junker fuhr sich mit der Hand durch das zierlich gekräuselte Haar und begab sich wieder zu seiner Urs, um an ihrer Seite die Sorge, die ihn bewegte, zu vergessen.