Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Neuntes Kapitel.

Als Herr Kruse am folgenden Morgen vom Schloß zu dem ihn erwartenden Eilhard zurückkehrte, legte er ihm die Hand auf die Schulter. »Wir müssen wieder zu Felde, Elert,« sagte er. »Der Herrmeister fordert die Stiftsfahne zu sich, bei Bauske soll sich alles sammeln. Der König von Polen zieht mit einem gewaltigen Heere heran, diesmal wird es, fürchte ich, Ernst.«

Eilhard blickte dem Vater fest ins Auge. »Gott gebe es,« sagte er.

Herr Kruse ließ die Hand fallen und seufzte. »Wenn ich so alt wäre wie du, würde ich wie du empfinden,« erwiderte er, »jetzt aber frage ich mich, was denn aus dem Lande werden soll, wenn alles, was wehrhaft ist, mit seinem Blute den Sieg über den Pollacken erkauft hat, und dann der Moskowiter ins Land fällt?«

Als sie im Sattel saßen und die Stadt hinter sich hatten, nahm Herr Kruse wieder das Wort. »Es muß ein Vergleich zustande gebracht werden,« sagte er, »unter allen Umständen. Der Pollacke ist immerhin ein christlicher Herr und wir werden, selbst wenn er mit uns geht, unsere Not mit den Reußen haben. Ich aber werde, das sehe ich klar, den Herbst und den Winter im Sattel verbringen. Armer Junge, du wirst nun auch deinen liebsten Wunsch an die Kette legen müssen, denn du wirst einsehen, daß jetzt nicht die Zeit ist, dein Haus zu bauen.« 140

»Ich sehe das ganz ein, Vater.«

Herr Kruse trieb sein Roß näher an den Hengst seines Sohnes und beugte sich zu Eilhard hinüber. »Elert,« sagte er leise, »ich habe eine Bitte an dich.«

»Sprich, Vater.«

Herr Kruse räusperte sich. »Elert,« begann er dann, »meine Bitte wird dir vielleicht wunderbar vorkommen, aber du wirst dir sagen, daß ich dir keinen Strohbusch vor der Brücke aufrichten würde, wenn man ungefährdet über sie reiten könnte! Du weißt, daß Bärbchen gewissermaßen unter unserem Schutze steht, denn, wenn auch die Ahne – Gott sei Dank dafür – noch lebt, so ist sie doch eine alte Frau. Ihr beide aber seid jung, Elert!«

»Ich verstehe, Vater. Du wünschest nicht, daß Bärbchen und ich –«

»Ganz richtig, lieber Junge. Das ist es. Du siehst ein, daß ihr noch eine Weile werdet warten müssen. Da ist es gut, wenn auch in Gedanken zwischen euch ein bloßes Schwert liegt. Äpfel, die man nicht essen will, soll man auch nicht in die Hand nehmen. Sie werden dadurch nicht frischer. Sieh, wie die lieben Waldvöglein es machen, Elert. Wenn die aus der Winterherberge heimkehren, fliegt nicht etwa Männchen und Weibchen bunt durcheinander. Nein, erst kommen die Männchen, und die Weibchen thun sich erst zu ihnen, wenn es gilt das Nest zu bauen.«

»Ich verstehe dich, Vater, und du kannst dich auf mich verlassen.« Der Vater blickte den Sohn prüfend an. Auf Eilhards blassen Wangen kam und ging eine Blutwelle, aber das Gesicht zeigte den Ausdruck festester Entschlossenheit. 141

»Gut, Elert,« sagte Herr Kruse, »du weißt, daß die volle Verantwortung auf dir ruht.«

»Auf mir einzig und allein.«

Die beiden wechselten einen Händedruck und trieben dann ihre Rosse an.

Unter der Linde im Hofe zu Kelles saßen die Ahne, Barbara und Anna. Die Abendkühle war bereits eingetreten, eben hatte man die Herde in den Hof getrieben. Nun standen Frau Katharina und die kleinen Mädchen bei den Tieren und plauderten mit der alten Viehpflegerin, der Hofmutter, während ein rot und weiß gescheckter Liebling aus ihren Händen Brot erhielt. Auf der anderen Seite des Hofes schirrten die Knechte die Pferde ab und tränkten sie, bevor sie die Tiere zur Weide ritten. Der Hof bot ein buntes Bild, aber die jungen Mädchen hatten keinen Blick dafür, ihre Augen hingen vielmehr unverwandt an dem weitgeöffneten Thore. »Wo er nur so lang bleibt?« dachte Barbara. Sie hatte Bonnius am Nachmittag mit dem Hofmeister fortreiten sehen und er war noch nicht zurück. Es war während der letzten Wochen so unerträglich still und langweilig in Kelles gewesen, kein Mensch kam zum Besuch, ohne den allezeit gleich unterhaltenden Bonnius wäre es nicht auszuhalten gewesen.

»Wo sie nur so lange bleiben,« sagte die Ahne.

»Ja,« erwiderte Barbara, »ich begreife es auch nicht.«

»Wenn ihnen nur nicht unterwegs etwas zugestoßen ist, oder Elert wieder die Kopfpein hat.«

Barbara errötete über und über. Die Ahne lächelte. »Na, es kann nicht mehr lange dauern,« sagte sie. 142

Barbara fühlte ihr Herz stärker klopfen. In der That, sie mußte ja Elert mit Sehnsucht erwarten. Und doch hatte sie ihn so gar nicht vermißt. Sie wußte ja, daß sein Eintreffen Kelles keineswegs weniger langweilig machen würde. Ja, wenn er wäre wie Bonnius! So aber kam eigentlich überhaupt nur der Oheim in Frage. Der war freilich immer munter und guter Dinge.

»Da sind sie!« rief Anna, indem sie aufsprang. »Und Elert scheint keine Kopfpein zu haben,« fügte sie hinzu, indem sie sich wieder setzte.

Die Herren ritten in der That eben auf den Hof. Sie sprangen von den Pferden, begrüßten Frau Katharina und die Kinder und wandten sich dann der Linde zu. Barbara erglühte wie ein Röslein, als Eilhard an sie herantrat, aber die kühle Art, in der er sie küßte, bewirkte, daß Unwille es war, der die Röte auf ihren Wangen festhielt. Er begrüßte sie ganz so, wie auch Anna.

Man nahm Platz und Herr Kruse erzählte von dem russischen Gesandten und dem Aufgebot gegen Polen. »Großer Gott,« rief Anna, »so müßt ihr wieder reiten!« Eilhard saß still da und blickte auf Barbara. »Gnädiger Gott,« betete er in seinem Herzen, »gib du mir die Kraft, daß ich halte, was ich mit Handschlag gelobt habe und thue, als ob wir nie auf dem Feldrain gesessen hätten. Sie soll erst wieder mein sein an dem Tage, an dem ich gefolgt von den Freunden zur Ahne komme und um sie werben kann, als um meine Braut. Dazu hilf du, mein gnädiger Gott!«

»Bonnius hatte recht,« dachte unterdessen Barbara, »Elert hätte ein Domherr oder ein Bischof werden sollen. Die 143 Domherren und Bischöfe sind heilige Leute und wollen niemand heiraten. Sitzt er nicht da, als ob wir uns nie gesagt hätten, daß wir uns lieb haben. Ob wohl Bonnius, wenn sein Schatz – eines Bürgers oder höchstens eines Pastors Tochter natürlich – ihm so gegenüber säße, sich auch damit begnügen würde, sie unverwandt anzublicken, wie der Pfaffe das Marienbild? Oder ob er neben ihr sitzen und sie herzen und küssen würde, daß ihr der Atem verginge? Jedenfalls wäre es hübsch, wenn er endlich käme. Das Gespräch würde dann hoffentlich bald von den leidigen Honigbäumen an der reußischen Grenze, vom Pollacken und vom Moskowiter abkommen.«

Da kam er, sonnengebräunt, von Gesundheit strotzend. Er schwang sich gewandt aus dem Sattel und eilte auf die Linde zu. Wie seine großen braunen Augen funkelten, wie belebt sein hübsches Gesicht war! Er verneigte sich anmutig vor den Damen, begrüßte die Herren ehrerbietig und überreichte jedem der kleinen Mädchen ein Sträußchen Feldblumen, das er für sie gepflückt hatte. Herr Kruse fragte nun und Bonnius gab in seiner munteren Weise Bescheid. Dem einfachsten Vorgang wußte er eine komische Seite abzugewinnen und oft belohnte ein herzliches Gelächter sein Erzählertalent. Wie Barbara liebreizend aussah, wenn sie so lachte! Wie ihre weißen Zähne glänzten, wie ihre Augen lustig blitzten, wie das goldblonde Löckchen auf ihrer Stirn so hübsch den Takt einhielt! »Es wird doch schwer sein,« dachte Eilhard, »unendlich schwer! Gottlob daß wir in ein paar Tagen reiten.«

Die Sonne war längst untergegangen und die Schwalben hatten ihre Nester aufgesucht. Man ging zu Tisch und 144 nach dem Essen suchten die Herren, die der Ritt müde gemacht hatte, die Schlafzimmer auf. Eilhard lehnte sich zum geöffneten Fenster hinaus und lauschte. Von der Linde her klang Bärbchens silberhelles Lachen zu ihm herüber. Sie hatte die Muhme so lange gequält, bis diese noch auf ein halbes Stündchen mit ihr hinausgegangen war in die laue Sommernacht. Bonnius mußte eben jetzt eine vorzugsweise lustige Geschichte erzählen. Man hörte ihn in jüdischem Dialekt reden.

Eilhard empfand die Wärme der Luft als unerträgliche Schwüle. »Sonderbar,« dachte er »ich erlebe doch ganz dasselbe wie Bonnius, warum kann ich nur an unsern Erlebnissen nichts Lustiges finden und sie auch nicht so lustig wiedergeben!«

Die da unten brachen auf und gingen ins Haus. »Gott, gerechter, schloft gesund und träumt von dem Schimmel, der ist aigentlich ein Rappe,« rief Barbara Bonnius nach.

»Welcher war aigentlich ein Schimmel,« war die Antwort.

Eilhard hörte die kurzen, festen Tritte des Schreibers auf dem Hof und das Öffnen und Schließen der zu seiner Wohnung führenden Thür. Eine Sternschnuppe schoß in jähem Fall durch das Sterngewimmel, der Gipfel der Linde rauschte, in der Wolkenbank fern im Osten über dem Walde wetterleuchtete es. Eilhard überlief es plötzlich kalt. Er schloß das Fenster, rief Hans herbei und ging zu Bett, aber er konnte trotz aller Ermüdung lange nicht einschlafen. Warum konnte er nicht auch so lustig sein und so lustig machen wie Bonnius?

In der Nacht traf Jürgen Nötken mit den Kellesschen 145 Dienern ein, die nächsten Tage vergingen unter rastlosen Vorbereitungen auf den neuen Feldzug. Das Gros der Stiftsfahne von Dorpat hatte gleich von Fellin aus den Weg nach Süden eingeschlagen, nur wenige der Herren waren noch vorher auf ihre Güter geeilt, um allerlei Vorbereitungen zu treffen.

In Kelles sahen die Frauen diesen Auszug weniger tragisch an als den früheren. Frau Katharina war überzeugt, daß es nicht zum Schlagen kommen würde und faßte den Ritt mehr als Reise denn als Feldzug auf, Eilhard that, als ob er ebenso dächte. Herr Kruse war gleich am folgenden Tage wieder zum Bischof gerufen und hatte den Kopf voll Gedanken an die Vermittler, die etwa angerufen werden könnten, Jürgen hielt die Hoffnung auf einen frischen Reiterkampf fest und war jedenfalls herzlich froh, daß er wieder in den Sattel konnte.

Zwischen Barbara und Eilhard wollte sich kein rechtes Verhältnis herstellen. »Was soll das nur?« dachte sie und ging ihm möglichst aus dem Wege.

»Habt ihr einen Span mit einander, Bärbchen?« fragte Anna eines Abends beim Schlafengehen. »Nicht, daß ich wüßte,« erwiderte Barbara trotzig, indem sie das Licht ausblies.

»Bärbchen?«

»Anna?«

»Die beiden ziehen in den Krieg. Gott allein weiß, ob wir noch einmal ihre Sporen klirren hören.«

»Sei ohne Sorge, Anna, wenn ihnen in diesem Kriege etwas zustößt, so ist es eine rote Nase vom Sonnenstich.« 146

»Um Gotteswillen, Bärbchen, sprich nicht so leichtfertig.«

»Was ist da leichtfertig, Bonnius sagt, die Herren wären ebenso sicher vor Kugeln wie vor Schneeballen. Er meint, es sei gar nicht daran zu denken, daß der Herrmeister es wirklich mit den Polen aufnimmt.«

»Was weiß Bonnius davon!«

Barbara richtete sich in ihrem Bette auf. »Warum soll er das nicht wissen?« rief sie heftig. »Etwa, weil er nicht von Adel ist?«

»Nein Bärbchen,« erwiderte Anna sanft, »aber der Herrmeister hat doch mit ihm nicht zu Rate gesessen.«

»Nun, ich wüßte nicht, daß er sich mit Elert beraten hätte. Der glaubt ja überdies selbst nicht daran, daß es wirklich Krieg gibt. Dieser Feldzug wird, um mit dem Oheim zu reden, dem Thedingsheimschen Frauenzimmer gelten, wie der vorige dem Üxküllschen und Ungernschen.«

»Gott gebe es.«

»Anna!«

»Bärbchen!«

»Wenn denn doch der Krieg in der Luft liegt, wäre es da nicht besser, er bräche endlich wirklich aus? Wenn dann der Frieden geschlossen wäre, würde auch die alte lustige Zeit wieder beginnen. So aber ist es, wie in der Nacht, wenn ein Gewitter nach dem andern heraufzieht, ohne sich doch zu entladen und wir alle unten in der Halle sitzen müssen, und wenn wir noch so schläfrig wären.«

»Großer Gott, Bärbchen, wie du redest. Und wenn nun wirklich ein Blitzstrahl herniederführe und er läge mit starren Augen auf dem Schlachtfelde?« 147

Barbara schwieg. Sie sah im Geist Eilhard tot auf der Wahlstatt. Es war doch eine sehr traurige Vorstellung und die Thränen traten ihr in die Augen.

»Verzeih, Anna,« sagte sie, »ich habe wohl sehr thöricht gesprochen?«

»Wir müssen recht für ihn beten, Bärbchen.«

»Ja, Anna, das wollen wir thun.«

Und Barbara beschloß, nach dem Vaterunser für Eilhard zu beten, aber sie war eingeschlafen, ehe sie soweit kam.

Als Anna aus ihren gleichmäßigen Atemzügen ersah, daß sie schlief, richtete sie ihrerseits sich im Bett auf. Es war ihr als wenn sie ersticken müsse. Sie sah Eilhard durch den Kopf geschossen, niedersinken. Der Helm hatte sich gelöst und war herabgesunken, aus der Stirnwunde quoll dickes, schwarzbraunes Blut hervor. Und sie hatte ihn ermordet, denn hatte sie nicht ohne Unterlaß sein begehrt, obschon sie wußte, daß er zu Barbara gehörte? Mußte das nicht das Verderben herabziehen auf sie und auf ihn, den sie so sündhaft liebte?

Anna sprang aus dem Bett und schlüpfte leise durch das Nebenzimmer in ein kleines niedriges Gelaß, in dem die Truhen der jungen Mädchen standen und an dessen Wänden unter weißen Laken deren Kleider hingen. Der Mond, der einen Hof zeigte, schien trübe durch das einzige Fenster.

Anna schloß die Thüre hinter sich und öffnete ihre Truhe. Aus dem Grunde derselben holte sie eine Peitsche hervor. An dem kurzen Stiel hing die viereckig aus Lederschnüren zusammengedrehte Geißel. Diese Geißel hatte einst eine Nonne aus dem Geschlecht der Nötken benutzt, und da diese 148 Nonne für eine halbe Heilige galt, hatte man die Geißel im Kloster in Dorpat sorgfältig aufgehoben. Als das Kloster einging, hatte Annas Vater die Geißel an sich genommen und in seinem Nachlaß fand sie die Tochter.

Anna fiel nieder auf die Kniee, ihre kleinen, weißen Händchen ergriffen den Stiel und die Geißel schlug über ihre linke Schulter nieder auf ihren Rücken. Aus dem Leibe kamen die sündigen Gedanken, der Leib sollte es büßen. Stärker und immer stärker fiel der durch das Alter fast zu Stein erhärtete Riemen immer wieder auf dieselbe Stelle, bis der Schmerz unerträglich wurde und die Büßerin nach vorn übersank und halb besinnungslos dalag. Seltsam, trotz des Schmerzes, der ihre Glieder durchzuckte, wurde ihr leichter ums Herz. Sie richtete sich mühsam auf, faltete ihre Hände und erflehte in heißem Gebet Kraft für sich und Sicherheit für ihn. Dann barg sie die Geißel wieder in ihrem Versteck und suchte ihr Lager auf.

Sie hörte, wie Barbara sich in ihrem Bett unruhig hin und her warf. »Es war ein Rapp!« rief sie. Was mochte sie nur träumen?

Am folgenden Tage hing der Himmel voll schwerer Regenwolken, aber ein sturmartiger Wind ließ nicht zu, daß sie sich entluden.

»Anna,« sagte Eilhard nach dem Morgenimbiß, »wenn es dir recht ist, gehen wir ein wenig vor das Thor.«

»Anna,« begann er dann, sobald sie das Thor hinter sich hatten, »ich habe eine Bitte!«

»Was willst du, Elert?«

»Anna,« rief Elert, indem er seinen Arm schwer auf die 149 linke Schulter des jungen Mädchens stützte, »wir haben uns immer lieb gehabt wie leibliche Geschwister.«

Sein Arm lag gerade auf der zerschlagenen Stelle. O wie das schmerzte! Und wie schön es war, daß es so furchtbar schmerzte!

»Gewiß, Elert,« kam es über die bleichen, bebenden Lippen. »Sprich zu deiner Schwester.«

Eilhard war ganz in die eigenen Gedanken versunken.

»Anna,« begann er nochmals, »ich glaube nicht, daß es zum Kriege kommt, aber der Vater wird den Herbst und Winter über nicht aus dem Sattel kommen. Da kann denn auch an Verlöbnis und Köste nicht gedacht werden. Der Vater wünscht nicht, daß Bärbchen und ich mittlerweile als Brautleute miteinander verkehren. Er hat recht. Ich habe es ihm mit Handschlag gelobt. Bärbchen scheint das nicht zu verstehen. Sie scheint mir zu zürnen.«

»Ich werde es ihr sagen, Elert.«

»Ich danke dir, Anna,« sagte Elert, und nahm seinen Arm von ihrer Schulter. »Sie wird es einsehen. Sie wird es einsehen, Anna?«

»Sie wird es einsehen, Elert.«

»Nicht wahr? Die Unruhe wird ja auch nicht bis an den jüngsten Tag währen. Der Herrmeister und der Erzbischof werden schließlich aus derselben Schüssel essen und der Moskowiter wird, wenn er einsieht, daß die gesamte Christenheit hinter uns steht, die Hand vom heißen Eisen lassen. Dann werden ich und Jürgen und Heinrich Taube und Reinhold Stahlbiter und viele andere gute Gesellen vom Adel der Ahne auf den Hof reiten und Bärbchen 150 und ich ein Brautpaar werden. O, das wird schön sein, Anna.«

Und wieder legte sich Eilhards Arm schwer auf die schmerzende Schulter.

»Ja, das wird schön sein.«

Anna blickte hinaus auf das wogende Meer des fast reifen Kornfeldes, mit dem der Sturm sein Spiel trieb. Hier flutete es in langen Wellen dahin, da wirbelten die Ähren wirr durcheinander wie ein Wasserstrudel. Wie der Anblick schwindelig machte!

»Kommt es aber anders und sie bringen allein meinen Hengst zurück, dann –«

»Du wirst zurückkehren, Elert.«

»Gott gebe es.«

»Du wirst zurückkehren.«

»Amen, Anna. Ich habe früher oft gedacht, ob es denn auch der Mühe wert ist zu leben. Jetzt weiß ich, daß wir, wenn ich am Leben bleibe, unter Rosen sitzen werden.«

»Amen, Elert.«

Elert nahm seinen Arm von Annas Schulter. Sie kehrten schweigend wieder auf den Hof zurück.

Wieder war der letzte Abend vor dem Aufbruch gekommen, aber diesmal sah es zu Kelles anders aus, als vor dem letzten Ritt. Am Nachmittag waren die Thedingsheim von Kongota und Kawelecht mit ihren Söhnen, Vettern und Dienern eingetroffen. Der Hof war voll von Packwagen, vor den Ställen trieben die Reiter ihr Wesen, im Herrenhause ertönte wieder lautes Reden und fröhliches Gelächter, und die Klappkannen gingen von Hand zu Hand wie früher. 151

Als die jungen Mädchen in den Saal traten, eilte Bruno Thedingsheim ihnen entgegen und ergriff, nachdem er beide geküßt hatte, Barbara bei der Hand. »Das muß ich sagen, Frau Base,« rief er zu Frau Katharina gewandt, »Ihr habt eine glückliche Hand. Was bei Euch erwächst, wird schön.«

»Macht mir das Mädchen nicht eitel, Herr Vetter,« war die Antwort. »Mit dem schmucken Lärvchen ist wenig gethan, die Hauptsache: Witz und Verstand, ein gutes Herz und ein adlig Gemüt sieht man nicht.«

Der Herr von Thedingsheim schüttelte den Kopf, daß sein langer Bart hin und her schwankte. »Frau Base,« erwiderte er, »wenn die Sonne scheint, spricht man nicht davon, daß es hell ist. Ihr habt unrecht gethan, daß Ihr die Jungfrauen nicht auf ihrer Kammer ließt, denn jetzt werden meine jungen Herren nur mit halben Herzen mir Folge leisten und die Köpfe nach Kelles drehen, wie Füllen, die der Roßkamm mit sich fort führt.«

»Vater,« rief Werner Thedingsheim munter, »wie redet Ihr? Als ob Ihr uns nicht stets gelehrt hättet, daß man der Schönheit am besten auf dem Felde der Ehre dienet. Mit dem Bilde der Fräuleins im Herzen werden wir unter die Pollacken brechen wie Wölfe unter eine Schafherde. Ich gelobe hiermit feierlich, daß die beiden ersten Hengste, von denen ich die Reiter herunterhieb, auf den Hof von Kelles sollen.«

»Wohin sollen wir hier mit königlichen Pferden, Vetter,« versetzte Barbara rasch, »denn um solche handelt es sich doch wohl. Wie ich Euch kenne, werdet Ihr Euch mit gemeinen Reitern nicht abgeben.« 152

»Nimmermehr, Barbara, aber für eine – d. h. für eines der beiden Fräulein – wäre ja auch eines Königs Roß keineswegs zu kostbar. Schlimm ist nur, daß die Pollacken nur einen König haben. Wo bekomme ich nun das andere Roß her?«

»Das müßt Ihr ihm als dem Großfürsten von Litauen abnehmen,« meinte Herr Kruse lachend.

»Oheim,« rief Barbara, »wenn Ihr den Junker als Vermittler braucht und die Schlacht mit der Zunge geschlagen wird, sind uns die Pferde so sicher, als wenn sie bereits in unserem Stall Hafer fräßen.«

»Wenn es auf Euch ankäme, Ihr füttertet sie gewiß nur mit spitzigen Worten.«

»Wenn wir sie von Euch bekämen, wären sie es nicht anders gewohnt.«

»Schau, schau,« rief der von Kongota, »wer hätte es dem Röslein angesehen, daß es so kräftige Dornen hat! Aber seid ihm nicht böse, Bärbchen, es ist der Neid, der aus ihm spricht. Er weiß ja doch, daß der Gaul, auch wenn er ihn mit Sanftmut fütterte und mit Geduld tränkte, Euch nimmermehr nach Kongota brächte.«

»Wenn Ihr den König dort gefangen einbringt, komme ich hin, Oheim, und wenn ich bei Nacht und Nebel zu Fuß hin müßte.«

»Na, was sagt Ihr denn zu dem wehrhaften Fräulein, Junker,« rief Herr von Thedingsheim lachend, indem er Eilhard auf die Schulter schlug. »Das ist wie ein Igel. Stacheln überall, und wer hineinbeißt, dem blutet das Maul.« 153

»Der beißt nicht hinein,« rief Barbara rasch. Sie erschrak dann über das eigene Wort und errötete über und über.

Es entstand ein allgemeines Gelächter. Frau Katharina aber, die sah, wie dem Sohne eine Blutwelle ins Gesicht schoß, rief hastig. »Das fehlte mir gerade, daß die Hausgenossen in beständigem Hader miteinander lebten. Zum Glück weist Bärbchen die Stacheln nur, wenn man sie reizt.«

»Und du reizest Bärbchen ungern, Elert. Wie?« rief Herr Kruse.

»Allerdings, Vater.«

»Nun, nicht wahr? Aber ich denke, wir kehren zu den Tischen zurück.«

Der ältere der Thedingsheimschen Söhne hatte unterdessen kein Auge von Anna verwandt. Walter Thedingsheim war früher viel in Kelles gewesen, bis Anna ihm einmal offen und ehrlich sagte, daß er nichts zu hoffen habe. Seitdem war er fortgeblieben und war nun seit Jahr und Tag zum erstenmal wieder da. Wie sie zart und durchsichtig aussah! In einem der unbewohnten Zimmer von Kongota hing das Bild einer Nonne. Ein Thedingsheimscher Diener hatte es einst während der Dorpater Bilderstürmerei einem plündernden Pöbelhaufen entrissen und es auf das Schloß gebracht, wo man es an die erste, beste leere Wand hing. Das Bild hatte es Walter Thedingsheim angethan. Jetzt war es ihm, als ob er das Original vor sich habe. Das waren dieselben braunen Augen, die so weltfremd blickten, das war dieselbe feingeschnittene gerade Nase, 154 derselbe kleine Mund mit dem schmerzlichen Ausdruck, das waren dieselben feinen Linien, die wie eine Andeutung künftiger Furchen durch Stirn und Wangen liefen. Der Jüngling empfand es als unsinnig, daß er je gewähnt hatte, irdische Liebe könne diese Augen funkeln lassen. War es denn nicht schon ein hohes Glück, daß er seine Schutzheilige nicht nur als Bild kannte, sondern auch schon in der Leiblichkeit?

Er suchte und fand einen Platz neben ihr. »Fräulein,« sagte er leise, »wir reiten morgen, und ich weiß nicht, ob mein Auge Euch je wieder schauen darf. Segnet mich, Fräulein und betet für mich.«

Anna blickte ihn an, erst fragend, dann erschreckt. »Großer Gott,« stammelte sie, »wer bin ich, daß Ihr meinen Segen begehrt?«

»Fräulein,« erwiderte der junge Mann mit tiefem Ernst, »Ihr wißt, daß ich Thor einst um Eure Liebe warb. Jetzt weiß ich, daß Euresgleichen nicht liebt, darum bitte ich um Euren Segen.«

»Junker,« erwiderte Anna, und sie wurde so bleich wie das weiße Tuch, das über den Tisch gebreitet war, »der Kranke soll nicht den Kranken um Hilfe bitten, sondern den Arzt, betet zu Gott, wie ich es thue, denn von ihm allein kann Hilfe kommen an dem entsetzlichen Tage, da wir Rechenschaft abzulegen haben werden von jedem Gedanken, der in uns lebte.«

Der Junker blickte sie aus seinen dunkeln Augen verwundert an. Was konnten das für Gedanken sein, die diesen Engel so erschrecken ließen?

»Walter!« rief Werner Thedingsheim über den Tisch 155 weg. »Elerts polnische Hündin hat geworfen und er will uns zwei Welpen geben.«

»Wirklich? Wer ist der Vater?«

»Der große Kerwing, den Elert von Heinrich Thedingsheim hat. Die Welpen werden schnell sein wie der Wind.«

»Na, na, wenn Kerwing nur nicht schon zu alt ist,« meinte der Vater. »Na, unsere Winde sind ja überhaupt nicht mehr, wie sie in unserer Jugend waren. Erinnert Ihr Euch, Base, des »Greif«, den Euer Vater selig hatte?«

»Haha,« lachte Herr Kruse, »den ›Greif‹ werden Katzchen und ich nicht vergessen und wenn wir hundert Jahr alt würden. Hinter dem ritten wir her an dem Tage, an welchem wir einig wurden, d. h. mit den Augen natürlich nur, mit den Augen.«

»Da hast du recht, Bruno, solche Winde hat freilich kein Zwinger mehr, aber die Welpen werden trotzdem gut. Die in Bersohn haben eine feine Zucht, aber so leicht wie die Pollacken sind sie doch nicht. Bonnius sagt auch, daß er keinen so schnell hat arbeiten sehen, wie die Hündin, und der versteht es.«

Das Gespräch blieb bei den Pferden und Hunden, bis das Bier reichlicher in die Junker kam und der Schwank und Scherz aus ihnen. Die Frauen waren längst in ihren Betten, als die Halle noch von dem Gelächter erdröhnte, das manche derbe Schnurre hervorrief.

»Bärbchen,« sagte Anna, als die jungen Mädchen ihr Zimmer aufgesucht hatten, »der Oheim und Elert werden schwere Tage haben. Auch wenn es nicht zum Schlagen 156 kommt, wird der Oheim viel im Sattel sein und manches Haus wird nicht gebaut werden können, zu dem die Balken schon behauen sind.«

Barbara saß auf ihrem Bett und flocht ihr Haar in eine einzige lange Flechte. Sie hatte den Kopf zum Fenster hingewandt. Draußen auf dem Hof schalt Bonnius mit lauter Stimme.

»Hörst du mich, Bärbchen?«

»Natürlich!«

»Du wirst dich nicht wundern, Bärbchen, wenn Elert jetzt noch thut, als wenn er dein Bruder wäre. Du stehst im Schutze der Kruses, du weißt, wie von Herzen lieb er dich hat.«

»Was hat nur der Bonnius,« rief Barbara, löschte das Licht aus, öffnete den Laden und stieß ganz leise das Fenster ein wenig auf. Sie lauschte und zog dann das Fenster wieder zu. »Es ist nichts,« sagte sie, »die Diener haben die Bänke auf dem Hof stehen lassen. Soll ich noch Licht holen?«

»Nein, Bärbchen, ich werde auch im Dunkeln fertig. Bist du Elert böse?«

»Ich? Warum soll ich ihm böse sein? Aber mit den Dienern haben die Herren wirklich ihre Not. Die thun, als ob sie zum Reiten und die Herren zum Satteln da wären.«

In der Nacht begannen die Wolken sich zu entladen, und als die Herren am folgenden Morgen aufbrachen, regnete es in Strömen. Unförmliche Mäntel bedeckten die blanken Harnische und von den Rädern der Troßwagen spritzte der Kot hoch auf. 157

Als der letzte Wagen über die Brücke geschwankt war, kam Bonnius mit großen Schritten über den Hof auf die Thüre zu, in der die Hausgenossen den Scheidenden nachgesehen hatten. »Gnädige Frau,« sagte er, »seid nicht traurig, zum Wackenfest sind die Junker wieder hier.«

Frau Katharina schaute aus ihren großen, grauen Augen nachdenklich in den Regen. »Ich bin eines Edelmannes Frau,« sprach sie mehr zu sich, als zu Bonnius, »und es macht mich nicht traurig, Mann und Sohn im Krebs aus dem Hof reiten zu sehen, aber mich dauert das arme Vieh, das da um nichts und wieder nichts bis zur litauischen Grenze gejagt wird, und es dauern mich die blanken Thaler, die dieses Kriegsspiel kostet.«

Damit nahm Frau Katharina den Arm der Ahne und ging mit ihr ins Haus. Anna und die Amme mit Anneken folgten ihr, nur Barbara und die Kinder blieben noch in der Thür zurück.

»Fräulein,« sagte Bonnius, »ich habe etwas für Euch.«

»Was ist es?« rief Barbara.

»Eine junge Fischotter, die ganz zahm ist.«

»Wirklich? Lieber, guter Bonnius, bringt sie her. Woher habt Ihr sie bekommen?«

»Ein Bauer hat sie aufgezogen.«

Damit eilte er davon und kehrte gleich darauf mit dem niedlichen kleinen Geschöpf zurück. Die Kinder waren voll Jubel, aber die Freude Barbaras war fast noch größer. Das Jauchzen nahm kein Ende. 158



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