Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Fünfzehntes Kapitel.

Im Herbst trat in Eilhards Befinden eine merkliche Besserung ein und als der Winter ins Land kam, fühlte er sich körperlich so wohl, wie seit lange nicht. Hand in Hand mit der Genesung steigerten sich aber auch die Qualen, welche das Verhältnis, in dem er zu Barbara stand oder vielmehr nicht stand, ihm auferlegte. Mit eisiger Kälte wies sie jede Annäherung ab und er konnte nicht in Zweifel 244 darüber sein, daß er ihre Gunst völlig verscherzt hatte. So lange die Krankheit ihn niederhielt, hatte er das ertragen, jetzt aber trieb es ihn fort aus der Nähe des so traurig verwandelten, ihm so teuren Mädchens und er benutzte jeden Anlaß, sich an den geselligen Freuden des Adels zu beteiligen. Die Familie war auch für den Winter in Kelles geblieben, er aber verlebte Wochen und Monate in Dorpat und suchte in der seinem Temperament so wenig entsprechenden Geselligkeit ein Vergessen, das er nicht fand.

Im Januar des Jahres 1558 wurde der ganze Adel aus dem Stift, sowie aus Harrien und Wierland nicht wenig in Aufregung versetzt durch die Vorbereitungen zu einer Hochzeit, welche eine der glänzendsten zu werden versprach, die je im Lande gehalten wurden. Die reiche Herrin von Rogel, Maiken Üxküll, Otto Vietinghofs Witwe verheiratete ihre Tochter mit Hermann Zöge und nichts wurde gespart, um das Fest auf das glänzendste zu gestalten.

»Es werden Tage, wie wir sie noch nicht erlebt haben,« sagte Werner Thedingsheim zu Eilhard und seine Augen blitzten vor Lebenslust. »Die Frau von Rogel hat sich verlauten lassen, es solle eine Köste werden, an die Kind und Kindeskind gedenken würden. Seit zwei Monaten soll ein Schreiber den ganzen Tag über nichts anderes thun, als die Einladungen an die vom Adel zu schreiben. Ganz Livland wird da sein. Darum wollen sie auch nicht nur eine Gildstube in Reval nehmen, sondern alle.«

»Unerhört,« rief Eilhard.

»Nicht wahr? Ich sage dir, Elert, es ist ein Jammer, daß deine Mutter nicht auch hinkommt mit Anna und 245 Bärbchen. Na, von Anna will ich nicht reden, aber wie schwer wird es Bärbchen fallen, das Spinnrad zu treten, während wir bei Trompeten und Kesselpauken tanzen! Konrad Vietinghof hat mir für gewiß erzählt, daß nicht nur die Drometer und Spielleute von Reval, sondern auch die aus der Narwa da sein werden und daß überdies auch des Herrmeisters Heertrommeln zur Köste kommen. Juchhe, Elert, ich sage dir, mir springen die Beine schon unter dem Tisch.«

Walter Thedingsheim schüttelte den Kopf. »Wenn uns nur der Reuße nicht einen bösen Strich durch die Rechnung macht!« sagte er.

»Er wird sich hüten,« meinte der von Randen, »seinetwegen leben wir so sicher wie in Priester Johanns Land.«

»Du hast keine Nachricht aus Moskau, Elert?«

»Nein, Walter, aber ich meine, das sei ein gutes Zeichen. Machte der Moskowiter Ernst, so würde mein Vater schon Mittel und Wege finden, uns zu warnen.«

»Es gehen allerlei Gerüchte um im Lande,« sagte Elert Dücker. »Man erzählt sich, der russische Hauptmann in Iwangorod, Paul Powik, der viel mit den deutschen Herren zecht, habe den Vogt von Neuschloß, der beim Zechen sein Vater geworden ist, gewarnt, er solle, was ihm lieb ist und wert fortschaffen.«

»Ach was,« rief Jürgen Thedingsheim, »daß der Reuße an der Grenze vorhanden ist, weiß jedermann, aber er steht nur da, wie der Niklas, um mit der Rute die Kinder zu schrecken. Wenn wir uns nicht bange machen lassen, wird er bleiben, wo er ist. Wenn die Sonne auf livländische Harnische scheint, kann kein Reuße die Augen aufmachen.« 246

»Ich geh' nach Reval,« rief Heinrich Hahn, »und wenn es Moskowiter vom Himmel regnete, und alles was vom Adel fahren, reiten und wanken kann, geht mit.«

Und so geschah es. Als der Tag der Köste herannahte, waren die nach Reval führenden Straßen von Schlitten bedeckt, in denen alles, was von Adel war, dem Fest zueilte. Die Nachbarn hatten sich zusammengethan, man fuhr in kleinen Karawanen dahin, des Lachens und Jubelns war kein Ende. In Reval waren bald die Stadtkrüge und die Bürgerhäuser brechend voll von fröhlichen Junkern mit ihren Frauen und Kindern, sowie von den Domherren aus Dorpat und Hapsal, im Schloß waren zahlreiche Ordensherren abgestiegen.

So war der Sonnabend herangekommen. Am Nachmittag fanden sich alle Herren in ihrem schönsten Schmuck auf dem Marktplatz zusammen. Die eine Hälfte war in Grün gekleidet, von wegen der Braut, die andere in Rot, von wegen des Bräutigams. Goldene Ketten, an denen kostbare Schaustücke hingen, hatte man um den Hals gehängt, die besten Waffen angethan. Auch die Rosse waren mit silbernen Ketten behängt, auf ihren Häuptern schwankten Federbüsche, Sattelzeug und Schabraken waren auf das kostbarste geschmückt. Die schweren Hengste waren kaum zu bändigen, ihr Wiehern tönte weithin durch die klare Winterluft, zugleich mit Trompetenschall und dem Getöse der Heertrommeln. Als alle beisammen waren, ritt man in zwei Haufen hinaus aus dem Thor, auf eine Bahn, die man vom Schnee gereinigt hatte. Hier hielt der alte Reinhold Zöge die Oration. Er dankte zuerst den Herren, daß sie 247 zu Ehren der Braut und des Bräutigams erschienen seien und bat sie sodann, dafür sorgen zu wollen, daß sie das christliche Fest in allen Freuden endigen lassen sollten. So aber jemand mit einem etwa einen alten Haß oder Groll haben sollte, der möge dessen hier nicht gedenken. »Wollt ihr nun solches zu thun bedacht sein,« rief der Redner zum Schluß, »so hebt die Hand auf und gelobet es!« Da hoben alle die Hände auf.

Nun ging es wieder mit Heertrommeln und Trompeten zurück in die Stadt. Der Zug ging kreuz und quer durch die Gassen, die Hengste steilten und tanzten und der Atem drang wie Rauchwolken aus ihren Nüstern. Endlich ging es an der Gildstube vorüber, in der sich mittlerweile die Frauen und Mädchen eingefunden hatten. Hier auf der Schwelle der Gildstube hielt die Braut. Es war ein zartes Fräulein, das unter der Last ihres Schmuckes und der hohen Brautkrone auf ihrem Haupte fast erlag.

Zweimal zog der Zug an der Braut vorüber. Dann löste er sich auf und die Reiter eilten in ihre Herbergen, um Stiefel und Sporen abzulegen und sich zum Abendmahl auf die Gildstube zu begeben, wo man bis Mitternacht fröhlich war.

Am folgenden Morgen begaben sich die Braut und der Bräutigam mit allen Hochzeitsgästen in die Kirche. Voran schritten die Spielleute und Trompeter, Diener, die große Wachskerzen in den Händen trugen, gingen zu beiden Seiten des Zuges her. In der überfüllten Kirche empfing sie feierlicher Chorgesang und in dem Sermon des Pastors fehlte es nicht an Anspielungen auf das Brautpaar. Nach der Predigt trat dasselbe vor den Altar und die feierliche 248 Handlung begann. Sie zog sich lange hin, denn nach der Sitte der Zeit dauerte es wohl eine halbe Stunde, ehe die Braut durch den Geistlichen dazu gebracht werden konnte, das »Ja« auszusprechen. Nun ging es wieder zum Festmahl in die Gildstube und nach demselben begannen die Tänze. Schließlich wurde der Brauttanz getanzt und zwar folgendermaßen:

Vor den Bräutigam stellten sich Winrich Zöge und Konrad Vietinghof als Marschälle, während sich hinter ihnen alle Junggesellen paarweise ordneten. So tanzte man um die Stube. Dann bildeten die Junggesellen einen Ring um den Bräutigam, der einen von ihnen ergriff, ihn herumschwenkte und ihn dann küßte, worauf der Betreffende in den Ring zurücktrat und einem anderen Platz machte. So ging es fort, bis die Reihe herum war. Dann hob man den Bräutigam auf den Händen in die Höhe, er trank dreimal ein Glas Wein und warf dann stets das Glas auf die Erde. Darauf sprang man noch eine Weile um ihn her und setzte ihn wieder ab. Hierauf tanzten mit ihm die Männer in derselben Weise. Ebenso tanzten nun erst die Jungfrauen, dann die Frauen unter dem Vortritt der Marschälle mit der Braut, doch wurde diese nicht hochgehoben und trank auch nicht. Schließlich wurde das junge Paar unter lautem Jubel in die Brautkammer getanzt.

So weit war alles gut gegangen, aber nun wurde den Kausen so energisch auf den Grund gesehen, daß alsbald Händel ausbrachen. Ein Risbiter und ein Taube hatten einen Wortwechsel, der in Thätlichkeiten ausartete. Alsogleich nahmen die Familien Partei für die Ihrigen, die übrigen schlossen sich diesem oder jenem Geschlecht an und die 249 Schwerter fuhren aus der Scheide. Kreischend flüchteten die Frauen und Jungfrauen auf die Tische und Bänke, mit lautem Geschrei wälzte sich der kämpfende Haufe der Trunkenen hin und her, bis der eine Teil auf die Straße gedrängt war. Hier aber wurde noch weiter gekämpft, bis es endlich gelang, die Wütenden auseinander zu bringen.

Am folgenden Morgen wurde übrigens der Handel mit Leichtigkeit beigelegt und wer am Abend vorher unversehrt geblieben war, schloß sich dem Zuge an, in dem die jungen Eheleute sich wieder in die Kirche begaben, um dort den Ehesermon zu vernehmen. Dann ging es wieder in die Gildstube.

»Merkwürdig,« dachte Eilhard, als man bei der Tafel saß, »heute will es gar nicht recht lustig werden.« Er bemerkte, daß die älteren Herren einer nach dem anderen abgerufen wurden und dann mit verstörten Gesichtern wieder auf ihre Plätze zurückkehrten. Was hatten sie nur? Als Eilhard auch Bruno Thedingsheim wieder eintreten sah, eilte er auf ihn zu und fragte: »Was habt Ihr? Es sind doch nicht etwa schlimme Nachrichten aus der Moskau gekommen?«

Der von Kongota nahm den Junker bei Seite und flüsterte ihm ins Ohr: »Die Reußen sind ins Land gefallen.«

»Um Gotteswillen,« rief Eilhard, »es ist nicht möglich.«

»Es ist gewiß. Das Aufgebot des Herrmeisters, das den Adel an die Grenze ruft, ist schon gestern eingetroffen, die Herren haben aber nichts davon verlauten lassen, damit man die Köste in Freuden zu Ende bringen möchte.« 250

Eilhard wollte fortstürzen, aber Thedingsheim hielt ihn fest. »Wohin?« fragte er.

»Nach Hause, zu meiner Mutter, zu Bärbchen!«

»Seid kein Thor, Elert, die Eurigen werden längst in Dorpat sein. Unser gnädiger Herr ist gewarnt worden, die Gesandten haben durch einen Reußen einen Brief an Christopher Lustfer in der Pleskau gelangen lassen, darin der Dörptsche Sekretarius Friedrich Groß an Valentin Nyhertz geschrieben, daß des Großfürsten Kriegsvolk im Anzuge. Diesen Brief hat Lustfer an den Bischof gebracht.«

»Seid Ihr dessen sicher?«

»Ganz sicher, denn Johann Zöge von Erstur hat es mir im Vertrauen gesagt. Wartet nur bis zum anderen Morgen, Junker, dann reiten wir alle. Jetzt aber zu reiten wollen wir Hermann Zöge nicht anthun.«

Eilhard sah ein, daß er allein die Seinigen nicht retten konnte, wenn sie noch in Kelles waren. Und dann – Gott sei Dank – sie hatten ja den umsichtigen Bonnius. Auch war es zweifellos, daß, wenn der Bischof rechtzeitig gewarnt war, er nicht unterlassen hatte, die von Kelles zu benachrichtigen.

Trotz alledem saß Eilhard wie auf Kohlen. Die Kunde vom Einfall der Russen, die anfangs noch geheim gehalten werden sollte, kam bald zu aller Ohren, aber das Bier war bereits in den Leuten und der alte livländische Leichtsinn that das Seinige. Überall trank man die Russen einander in ganzen und halben Kausen zu, und richtete in Worten ein furchtbares Gemetzel unter ihnen an.

Als das Gelage in vollem Gange war, kam Jürgen 251 Thedingsheim auf Eilhard zu und setzte sich neben ihn. »Dir brennt wohl schon der Moor unter den Sohlen,« sagte er lächelnd, »wie?«

»Ja, Jürgen. Sei gut und brich mit mir auf.«

»Das wollen wir dem von Zöge nicht anthun, Elert. Und wegen der Reußen brauchen wir uns auch nicht zu sorgen. Hörst du nicht, wie sie zu Haufen totgesoffen werden? Ich rechne, daß Jürgen Stahlbiter mindestens vierzig Moskowiter bereits in seiner Kause ersäuft hat und Wolmar Risbiter schätze ich, nicht einen weniger. Das ist aber noch gar nichts gegen den kleinen Jakob Weddewes. Potz Marter, der fährt dir unter die Heiden wie König Artus. Nimmst du nun noch zu seiner Gurgel seiner Frau spitze Zunge, so soll es mich wundern, wenn ein Reuße lebendig wieder über die Narwsche Bäche kommt.«

»Um Gotteswillen, Jürgen, wie kannst du scherzen, während vielleicht der Reuße schon in Kelles und Randen ist.«

Der von Randen zog das eine Bein behaglich mit den Armen an sich heran. »Sei ohne Sorge,« sagte er, »Bärbchen schlägt ein ganzes Geschwader mit Leichtigkeit in die Flucht. Vor der fürchten sich selbst die Tatern.«

Es war Eilhard, als ob er träumte. Der lärmende Jubel rings um ihn her, der behagliche Spott seines Vetters – während vielleicht daheim bereits alles in Flammen stand.

Der von Randen legte seine Hand schwer auf Eilhards Arm. »Ich scherze, weil ich an den ganzen Einfall nicht glaube,« sagte er ernst. »Bruno ist wieder einmal ängstlich. 252 Es mag ja sein, daß ein paar Reußen in Allentaken eine Badstube angezündet und ein paar Dirnen, die sich darin wuschen, geschändet haben, aber daß der Moskowiter wirklich im Lande sei, daran ist ja gar nicht zu denken.«

»Du glaubst das?«

»Ich weiß es. Der Moskowiter fürchtet uns. Er weiß sehr gut, daß wir ihn niederwerfen. Und überdies stehen hinter uns der Kaiser und die Könige von Schweden und Dänemark. Genug davon. Und nun noch eins, Elert, sobald dein Vater zurück ist, macht ihr Hochzeit. Nicht wahr?«

»Bärbchen mag mich nicht mehr,« erwiderte Eilhard düster.

»Ach was, mag mich nicht, das sind Worte. Jedes Weib mag jeden Mann, der sie niederzwingt. Glaube mir, ich habe das oft erfahren. Die Weiber sind wie die Pferde, mit Bitten richtet man nichts aus, aber laß sie die Sporen fühlen und du bringst sie über Hecke und Graben. Ich kenne Bärbchen genau. Sie will ganz in den Zügeln gehen. Du verstehst sie nicht zu führen, darum ist sie aus Rand und Band. Außerdem ist es nichts für sie, Jahr und Tag im Stall zu stehen. Das gibt bei Weibern einen harten Sinn und macht sie kitzlich. Sobald sie deine Frau ist, mußt du sie unter die Leute bringen zu Spiel und Tanz und du wirst sehen. wie sie die Beine heben und die Nüstern blähen wird. Nein Elert, deshalb mach dir keine Sorge, eine Nonne steckt in der nicht und wenn sie sich in die Kutte hüllt, ist es Mummenschanz und weiter nichts.«

»Aber wozu dieser unbegreifliche Mummenschanz?« 253

»Wozu? Das mußt du kein Weib fragen. Ich will dir etwas im Vertrauen sagen, denn du wirst ja doch einmal ihr Mann. Die Antwort lautet: Ein mannbares Weib will einen Mann haben. Hat sie den nicht, so wird sie traurig.«

»Jürgen! Elert! Hierher! Wir ziehen wider Naugart!« schrien die Trunkenen.

Die beiden kehrten zu den Tischen zurück.

Am folgenden Morgen ritt alles, was aus dem Stifte Dorpat war, heim. Man hatte es Hermann Zöge nicht anthun wollen, daß seine schöne, lustige Köste ein jähes Ende nehmen sollte, man hatte daher auch am Montag noch wacker gezecht, nun aber eilte man doch mit dicken Köpfen und schweren Herzen heim. So leichtsinnig die Livländer jener Tage auch waren und so lange es auch her war, seit man keinen Krieg im Lande gehabt hatte, etwas von dem furchtbaren Ernst desselben lag doch allen in den Gliedern. Man eilte, so sehr man konnte und verkürzte die Nachtruhe auf das äußerste. Bald begegnete man auch Flüchtenden, die alle die Nachricht brachten, der Feind sei in das Stift gefallen und heere schon um Neuhausen und Kirrempä. Die Tataren durchstreiften auf ihren schnellen Rossen mordend, schändend und brennend das Land, sie mußten schon vor Dorpat sein.

Dann gelangte man in den Kreis, von dem aus man nicht mehr von Dorpat, sondern nach Dorpat flüchtete. Die Straße war bedeckt mit Schlitten von Herren, Landfreien und Bauern, auf denen wenigstens die kostbarste Habe gerettet wurde. Immer dichter wurden die Scharen, 254 ganze Dorfschaften flüchteten und trieben ihre Herden vor sich her.

Die Reiterschar zerstreute sich, die einzelnen eilten mit ihren Dienern auf ihre Schlösser, ihre Güter, um sich zu überzeugen, ob die Ihrigen in Sicherheit waren, oder um die notwendigsten Anordnungen zu treffen.

Es dunkelte schon, als der von Randen und Eilhard durch das Dorf Kelles ritten. Nirgends ließ sich ein Mensch sehen, nirgends erblickte man ein Feuer, nur die Hunde heulten und irgendwo schnatterten Gänse.

Die Junker hielten und ihre Diener traten auf ihr Geheiß in einige Hütten. Sie waren leer.

Man ritt weiter und erreichte den Hof. Die Zugbrücke war aufgezogen, das Thor geschlossen, aber im Hof hörte man Rinder brüllen und Hunde bellen.

Auf den Zuruf der Junker wurde das Thor geöffnet, die Zugbrücke herabgelassen. Auf dem Hof brannten große Feuer, welche die Rinder der Bauern glotzend umstanden. Die Männer drängten sich nun in einem dichten Haufen um die Junker.

»Wo ist der Herr Pastor?« hieß es, und: »ruft den Herrn Pastor!«

Da kam er auch schon, der Pfarrer von Kelles. Er hatte einen Harnisch um die Brust und einen Helm mit einer eine halbe Elle langen Feder auf dem Kopf. An seiner Seite hingen Schwert und Dolch, und in der Linken trug er ein Faustrohr. »Gottes Tod,« rief er, »ihr kommt zur rechten Zeit. Die Kinder Ammons ziehen von allen Seiten heran, aber mich soll die Pestilenz treffen, wenn wir sie nicht jämmerlich zerschmeißen.« 255

»Wo ist die Herrschaft?« fragte Eilhard ängstlich, indem er dem kriegerischen Priester die Hand reichte.

»In Dorpat, lieber Junker, ich habe sie vorgestern durch Bonnius nach Dorpat bringen lassen. Was sollten die Frauen und Kinder hier, wo die Losung sein muß: Hie Schwert des Herrn und Gideon!«

»Getraut Ihr Euch den Hof zu halten, Pastor?« fragte der von Randen.

»Wider die ganze Welt,« rief der Pastor und schwenkte das Faustrohr. »Der Donner soll uns erschlagen, wenn ein Reuße über den Graben und das Staket kommt.,«

»Ihr seid ein ganzer Mann, Pastor. Habt Ihr Euer Weib auch bei Euch?«

»Nein, edler Junker. Ich sagte Euch ja schon, daß Frauen und Kinder nicht ins Feldlager gehören, wo Büchsen donnern und Schwerter klirren.«

»Es ist schade, daß sie Euch nicht so sieht, in Krebs und Helm, sie bekäme eine bessere Meinung von Eurer Mannhaftigkeit, als sie bisher zu haben schien.«

»Daß mich aller Welt Plage bestehe! Was meint Ihr, gnädiger Herr?«

»Ich meine, daß Ihr der wackerste Pfaffe seid, den meine Augen je sahen, und ich habe in der That das Zutrauen zu Euch, daß Ihr eine feindliche Streife hier abschlagen könnt.«

»Das können wir, Junker. Wir haben Kraut und Lot vollauf, an Viktualien fehlt es nicht, und die undeutschen Biedermänner hier wissen, daß sobald erst der Feind vorhanden ist, es heißt: ›Wehr' dich oder ich fresse dich‹. Da 256 sollen sie mir wohl Kourage haben. Ich will blind und taub werden oder Ihr sollt die Herde ebenso loben wie den Hirten.«

»Die Meinigen sind in Sicherheit,« rief Eilhard, »da kann ich hier bleiben und mit den Leuten Leib und Leben wagen.«

»Thorheit,« rief der von Randen. »Was hier geschehen kann, wird unser wackerer Wilhelmi so gut thun, wie du es irgend könntest. Nein Elert, wir müssen alle nach Dorpat. Von dort aus können wir ganz anders an den Feind, als wenn jeder sich auf seinem Hof fangen läßt wie der Bär im Lager.«

Sie stiegen ab, um die Pferde verschnaufen zu lassen und traten ins Herrenhaus. In den Gemächern der Ahne und Frau Katharinas saßen jetzt die Weiber der Bauern und wärmten sich und ihre Kinder vor den Öfen, in denen überall Feuer brannte. In allen Zimmern war es überheiß, qualmig und dunstig. Man machte den Junkern scheu und schnell Platz, aber es war doch gar zu unbehaglich und sie ritten noch trotz Dunkelheit und Kälte nach Randen. Hier hatte Rentsch strenge Zucht gehalten. Nur die ledigen Männer und zwar auch nur die, welche für zuverlässig galten, waren ins Schloß gelassen, die übrigen Leute aus den Dörfern hatten in den Wald fliehen müssen. Im übrigen war die Burg in Verteidigungszustand gesetzt, eine sich ablösende Wache eingerichtet. In den Türmen standen die Feldschlangen, auf den Mauern waren die Doppelhaken verteilt.

Der von Randen war, nachdem er alles bei Fackelschein 257 betrachtet hatte, sehr zufrieden. »Ihr könnt euch ein paar Tage gegen jeden Feind halten,« sagte er, »und dafür, daß es nicht länger währt, will ich sorgen. Nun, Urs,« wandte er sich dann an seine Mutgeberin, »hast du rechte Furcht vor den Tatern gehabt?«

»Nein,« war die Antwort, »ich dachte mir, mein Junker würde mich nicht im Stich lassen.«

Der Junker lachte. »Vielleicht dachtest du auch, einem hübschen Weib thun auch die Tatern nichts Unliebes an, zumal wenn es fett ist. Wie?«

»Ihr seit mir immerhin sicherer.«

»So? Na, dafür will ich dich auch mit nach Dorpat nehmen. Das ist ja auch ›immerhin sicherer‹.«

Am anderen Morgen ritten die Junker mit Ursula und allem, was von Dienern in Randen entbehrlich schien, nach Dorpat. Das Gewühl vor der Stadt war unbeschreiblich. Da es in ihr bereits steckend voll war, ließ man die nachträglich eintreffenden Bauern nicht mehr durch die Thore, so daß die armen Leute trotz der schneidenden Kälte in den Gräben der Stadt lagern mußten.

Als Eilhard das väterliche Haus erreicht hatte, sank ihm die Mutter tief erschüttert an die Brust. »Um Gott, Elert,« rief sie, »was werden sie mit dem Vater angefangen haben? Sie treiben es überall wie die Teufel.«

Eilhard beruhigte die Mutter, so gut er konnte. »Sie werden es nicht wagen, dem Gesandten zu Leibe zu gehen,« sagte er, »das wäre wider alle göttliche und menschliche Ordnung. Das würde der römische Kaiser nimmermehr dulden.« 258

Frau Katharina zuckte die Achseln. »Ich fürchte, der Moskowiter fragt wenig genug nach dem Kaiser.«

Barbara trat ins Zimmer und Eilhard eilte auf sie zu. »Bärbchen,« rief er, »Gott sei Lob, daß er euch gerettet hat.«

Barbara blickte ihn kalt und fremd an. »Wir müssen wohl Gott loben,« erwiderte sie, »denn du hättest uns nicht in die Stadt gebracht.«

»Bärbchen,« rief Eilhard, »wer konnte das wissen?«

»Nun, wir sind jetzt jedenfalls hier,« erwiderte Barbara, »und da auch die Reußen bald hier sein werden, werdet ihr ja eure Ritterschaft und euer adlig Gemüt hinreichend an den Tag bringen können.«

»Das werden wir, so Gott will.«

Das junge Mädchen wandte sich um und verließ das Zimmer.



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