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Brigitte B.

Ein junges Mädchen kam nach Baden,
Brigitte B. war sie genannt,
fand Stellung dort in einem Laden,
wo sie gut angeschrieben stand.

Die Dame, schon ein wenig älter,
war dem Geschäfte zugetan,
der Herr ein höherer Angestellter
der königlichen Eisenbahn.

Die Dame sagt nun eines Tages,
wie man zu Nacht gegessen hat:
Nimm dies Paket, mein Kind, und trag' es
zu der Baronin vor der Stadt.

Auf diesem Wege traf Brigitte
jedoch ein Individuum,
das hat an sie nur eine Bitte,
wenn nicht, dann bringe er sich um.

Brigitte, völlig unerfahren,
gab sich ihm mehr aus Mitleid hin,
drauf ging er fort mit ihren Waren
und ließ sie in der Lage drin.

Sie konnt' es anfangs gar nicht fassen,
dann lief sie heulend und gestand,
daß sie sich hat verführen lassen,
was die Madam' verzeihlich fand.

Daß aber dabei die Tornüre
für die Baronin vor der Stadt
gestohlen worden sei, das schnüre
das Herz ihr ab, sie hab' sie satt.

Brigitte warf sich vor ihr nieder,
sie sei gewiß nicht mehr so dumm;
den Abend aber schlief sie wieder
bei ihrem Individuum.

Und als die Herrschaft dann um Pfingsten
ausflog mit dem Gesangverein,
lud sie ihn ohne die geringsten
Bedenken abends zu sich ein.

Sofort ließ er sich alles zeigen,
den Schreibtisch und den Kassenschrank,
macht die Papiere sich zu eigen
und zollt ihr nicht mal mehr den Dank.

Brigitte als sie nun gesehen,
was ihr Geliebter angericht',
entwich auf unhörbaren Zehen,
dem Ehepaar aus dem Gesicht.

Vorgestern hat man sie gefangen,
es läßt sich nicht beschreiben, wo;
der Jüngling, der die Tat begangen,
dem ging es gestern ebenso.

Frank Wedekind.


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