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Vaganten.

Die Goliardenbeichte.

Nach Grimms Ausgabe der zehn Gedichte des Archipoeta.

1. Im Zorn und in der Bitterkeit meines Gemütes rede ich; aus leichtem Stoffe geschaffen, bin ich dem Blatte gleich, mit dem die Winde spielen.

2. Ein weiser Mann gründet sein Haus auf Felsen, ich bin wie der Bach, der ohne Ruhe dahinrinnt.

3. Ich bin wie ein Schiff ohne Steuermann, wie ein Vogel, der ziellos durch die Luft streift; mich halten nicht Schloß noch Riegel; ich suche meines Gleichen und geselle mich zu den Schlechten.

4. Ein schweres Herz ist mir zuwider, aber die Mühen, die Venus mir auferlegt, trage ich gern.

5. Nach Art der Jugend wandle ich den breiten Weg des Lasters, nach meiner Seele Heil frage ich nicht, wilde Lust begehrt mein Herz.

6. Verzeihung bitte ich von dir, erhabener Bischof, einen süßen Tod sterbe ich, denn die Schönheit der Mädchen verwundet mein Herz.

7. Schwer ist es, die Natur zu besiegen und reines Herzens zu bleiben beim Anblick einer Jungfrau. Wir Jünglinge können nicht dem harten Gebote der Greise folgen.

8. Wer kann im Feuer stehen und nicht brennen? wer keusch bleiben zu Pavia, wo Venus lockend all ihre Netze ausspannt?

9. Selbst Hippolytus würde zu Pavia nicht einen Tag Hippolytus bleiben, hier, wo alle Wege zum Gemache der Venus führen.

10. Man wirft mir eine zweite Sünde vor, das Spiel. Aber wenn ich nackt vom Spiele komme und friere, dann glüht meine Seele, und ich schmiede desto bessere Verse.

11. Zum Dritten spreche ich vom Wirtshause. Das habe ich nie verachtet und werde es nie verachten, bis ich die heiligen Engel herabsteigen sehe, die den Toten ihr Requiem singen.

12. Meum est propositum in taberna mori. In dem Wirtshause will ich sterben, das Glas an den Lippen, und fröhlich mögen die Chöre der Engel singen: Gott sei dem Zecher gnädig.

13. Am Becher entflammt sich der Geist, das Herz, von Wein erfüllt, schwingt sich zum Himmel empor; süßer schmeckt der Wein im Wirtshause als der Trank, den des Bischofs Mundschenk mit Wasser mischt.

14. Jedem gibt die Natur das Seine, nüchtern vermag ich nicht zu dichten, dann könnte ein Knabe mich übertreffen; Hunger und Durst hasse ich, wie den Tod.

15. Jedem gibt die Natur seine eigenen Gaben, zum Dichten muß ich guten Wein haben, wie ihn der Wirt im besten Fasse führt, dann fließt der Mund von Versen über.

16. Wie der Wein, den ich trinke, so sind auch meine Verse; ohne Wert ist, was ich nüchtern schreibe. Habe ich getrunken, dann bin ich größer als Ovid.

17. Der Geist der Poesie flieht mich, wenn ich hungere, doch wenn im Kopfe Bacchus herrscht, dann ergreift mich Phoebus und redet wunderbare Dinge aus mir.

18. Manche Dichter fliehen das Treiben der Welt und suchen sich stille Verstecke, wachen und mühen sich ab und bringen doch kein großes Werk zu Stande.

19. Sie hungern und dürsten und meiden die Straßen und den Lärm des Marktes; um ein unsterbliches Werk zu schaffen, sterben sie selber für die Welt ab, im Schweiße ihrer Arbeit.

20. Siehe, ich habe meine Sünden selbst gestanden, deren deine Diener mich beschuldigen; unter ihnen ist keiner, der sich selber anklagt, wiewohl sie nicht minder die Freuden der Welt genießen.

21. Jetzt in Gegenwart des gütigen Bischofs möge nach den Worten des Herrn den ersten Stein auf mich werfen und den Sänger nicht schonen, wer sich keiner Sünde bewußt ist.

22. Ich habe alles gesagt gegen mich, was ich weiß. Ich habe das Gift ausgeworfen, das ich solange hegte; aber jetzt mißfällt mir mein Leben, zu neuen Sitten will ich mich bekehren.

23. Ich will die Tugend lieben und das Laster fliehen, wiedergeboren im Geist. Meine Seele soll nicht mehr an der Eitelkeit der Welt haften.

24. Erwählter Bischof von Köln, schone des Reuigen, habe Barmherzigkeit mit ihm, der um Vergebung bittet, vergib ihm die Schuld, die er gesteht; was du ihm auferlegst, will er gern tragen.

25. Auch der Löwe, der König der Tiere, schont seine Untertanen und vergißt seines Zornes. So sollt auch ihr, ihr Fürsten der Erde, handeln.

26. Dein Ruhm geht durch alle Lande, und Wahrheit ist, was man von dir erzählt; darum wäre es töricht, wollte ich dich preisen und das glänzende Bild mit neuen Farben malen.

27. Durch deinen Ruf bewogen, bin ich zu dir gekommen, nicht um leere Worte in den Wind zu reden, sondern den Tau deiner Gnade zu schöpfen.

28. Behalte mich bei dir. Im Briefschreiben und Dichten weiß ich dir zu dienen.

29. Und wenn du es verweigerst, so achte wenigstens auf meine Not; nimm die Last der Armut von mir.

30. Mein Vater, in kurzen Worten habe ich soviel zusammengefaßt, weil es gelehrten Männern ziemt, kurz zu sein, und ich will nicht länger verweilen, damit ich nicht scheine, nach Beifall zu haschen.


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