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Geh' heim!

Erloschen ist des Tages letzter Schein,
die Erde hüllen tiefe Schatten ein.

Am Himmel jagt ein düstres Wolkenheer,
scharf weht der Herbstwind über Union Square Newyorker Park, in dem die Obdachlosen zu nächtigen pflegen..

Scharf weht der Herbstwind, es gerinnt das Blut
der müden Schar, die obdachlos hier ruht,

die träumend hier sich auf den Bänken streckt,
bis sie zu neuer Qual der Morgen schreckt.

Auch ich gehöre heut den Ärmsten an,
ich habe nicht, da ich mich betten kann.

Im Sturm des Lebens ist mein Kahn zerschellt,
und meine Heimat ward die weite Welt.

Den ganzen Tag strich ich umsonst umher,
Arbeit zu finden, ist so schwer, so schwer.

Nun brennt mein Hirn, das Herz ist müd' und krank,
Willkomm'ne Rast gibt selbst die harte Bank.

O Schlaf, du Bettlerfreund, erbarm' dich mein,
komm, wieg' mich sanft in holde Träume ein!

Schon nahst du, nimmst mich lächelnd bei der Hand
und trägst mich fort, hinaus ins Heimatland.

Es winkt das Elternhaus, der traute Herd,
es grüßt der Mutter Kuß, so lang' entbehrt!

Wie ruht's sich bei den Lieben weich und warm!
– Da faßt's, da packt's, da rüttelt's mich am Arm.

Ich taum'le hoch – um mich zuckt trübes Licht –
und starre in ein finsteres Gesicht.

Des Parkes Wächter fährt mich drohend an:
Geh' heim! Dies ist kein Ort zum Schlafen, Mann!

Geh' heim! Wie mir das Wort im Herzen brennt,
zu dem gesagt, der keine Heimat kennt.

Geh' heim! – – Wohin? Da klingt ein müder Reim:
Zum Armen-Friedhof! Dort, dort ist dein Heim.

Martin Drescher.


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