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Ach, wenn ich nur kein Fraulein wär'!

Was nutzet uns das Adel-Leben!
Was nutzet mich der Fraulein-Stand!
Ich kann mich nicht der Lieb' ergeben,
der Bauren-Stand reicht mir die Hand,
denn meinen Stand lieb' ich nicht mehr.
Ach – wenn ich nur kein Fraulein wär'.

Ich mußt' fast alle Sprachen kennen,
zu Haus muß ich manierlich seyn,
daß man mich kan modeste nennen,
sonst sperrt man mich ins Kloster ein,
daß ich nichts mehr von lieben hör' –
Ach – wenn ich nur kein Fräulein wär'.

Der Kopf wird alle Tag' frissieret,
der Hals mit Perlen umgehängt,
die Brust mit Spitzen ausgezieret,
der Leib ganz eng zusamm' geschrenkt,
die Kleidung fällt mir noch so schwer –
Ach – wenn ich nur kein Fraulein wär'.

Wenn ich thu' in die Kirche fahren,
so hütet mich die Mademoiselle,
da sah ich viel verliebte Paaren,
das Mädchen mit dem Junggesell',
da wird mir oft mein Herz so schwer –
Ach – wenn ich nur kein Fraulein wär'.

Wenn ich geh' in die Assemblee (n),
das meine größte Freiheit ist,
darf sich doch keiner unterstehen,
der nur die gnädige Fräulein küßt;
nur Komplimenten hin und her –
Ach – wenn ich nur kein Fraulein wär'.

Wenn einer auf die Hand darf küssen,
so heißt es schon recht große Gnad',
der Mund darf es niemalen wissen,
was Küssen vor ein Wirkung hat;
was hilft mich alle Gnad' und Ehr' –
Ach – wenn ich nur kein Fraulein wär'.

Ein Bauern-Mädchen braucht nicht lange,
wenn sie spricht, Hänßgen komm' zu mir,
so geht er gleich mit schnellem Gange,
legt sich ins warme Bett zu ihr;
meins aber bleibt beständig leer –
Ach – wenn ich nur kein Fraulein wär'.

Jetzt will ich meinen Stand verhandeln,
will lieber eine Baurin seyn,
will reißen fort in frembte Landen
zu klagen meines Leibes Pein. –
Den Bauren-Stand lieb' ich recht sehr;
jetzt bin ich gar kein Fraulein mehr.

(Volkslied aus dem siebzehnten bis achtzehnten Jahrhundert.)


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