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Der Bettelvogt.

Ich war noch jung und war doch schon arm,
kein Geld hatt' ich gar nicht, daß Gott sich erbarm'.
So nahm ich meinen Stab und meinen Bettelsack
und pfiff das Vaterunser den lieben langen Tag.

Und als ich kam vor Heidelberg hinan,
da packten mich die Bettelvögte gleich hinten und vornen an;
der eine packt mich hinten, der andere packt mich vorn:
»Ei, Ihr verfluchte Bettelvögt', so laßt mich ungeschoren!«

Und als ich kam vors Bettelvogt sein Haus,
da schaut der alte Spitzbub' zum Fenster heraus.
Ich dreh' mich gleich herum und seh' nach seiner Frau;
»Ei, Du verfluchter Bettelvogt, wie schön ist Deine Frau!«

Der Bettelvogt, der faßt einen grimmen Zorn,
er läßt mich ja setzen in tiefen, tiefen Turm,
in tiefen, tiefen Turm bei Wasser und bei Brot:
»Ei, Du verfluchter Bettelvogt, krieg Du die schwerste Not!«

Und wenn der Bettelvogt gestorben erst ist,
man sollt' ihn nicht begraben wie 'nen andern Christ,
lebendig ihn begraben bei Wasser und bei Brot,
wie mich der alte Bettelvogt begraben ohne Not.

Ihr Brüder, seid nun lustig, der Bettelvogt ist tot,
er hängt schon im Galgen ganz schwer und voller Not;
in der verwichenen Woch' am Dienstag um halber Neun,
da hab'n sie'n gehangen in Galgen fest hinein.

Er hätt' die schöne Frau beinahe umgebracht,
weil sie mich armen Lumpen freundlich angelacht.
In der vergangenen Woch', da sah er noch hinaus,
und heut' bin ich bei ihr in seinem Haus.

(Aus: »Der Knaben Wunderhorn«.)


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