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XXI.

 

Paris, 1. Februar.

Es war morgens, als ich ankam. Paris lag in der grauen Feuchtigkeit eines Februarnebels. Keine Sonne, keine Farbe.

Ich kam einmal nach Paris mit Fritz, es war Mai, nachmittags. Es hatte geregnet, dann schien die Sonne. Alles leuchtete, alles war voll von Farbe, Schönheit. Und in mir war die große Sehnsucht nach Genuß, war ungeheures Genußvermögen. Ich fühlte mich stark, gesund, schön. Ich fühlte die Nähe von Paris wie die Nähe eines vergötterten Geliebten. Mich selbst empfand ich wie eine Geliebte, die erwartet ward.

Im Koffer lagen die neuen Kleider, die ihre Heimat wiedersahen, die Hüte und Parfüms. Alle Dinge hatten Leben, alle Dinge waren voll von jener wundervollen Ungeduld des Sich-erwartet-fühlens. Und Fritz sagte: »Du bist die schönste Frau der Welt, Lori.«

Und diesmal hatte Paris keinen Empfang bereit für mich. Paris war grau und voll von unausgeschlafenen, blassen Menschen, voll von Schmutz, schlüpfrigem Schmutz auf den Straßen, schlüpfrigem Schmutz in den Mienen. Meine Koffer waren nicht beisammen, meine Jungfer hatte Migräne. Ich selbst war wie zerschlagen.

Es wurde besser, und die acht Tage, die ich nun hier in Paris verlebte, die ich einsam, einsam war zwischen den Millionen von Menschen, haben mich fast versöhnt mit der schönen Stadt. Und doch ist dies Paris jetzt ein anderes Paris. Das damalige hatte einen Strahlenkranz, es war immer neu und immer wunderbar. Das jetzige ist eine müde, welke Stadt, die von vergangener Schönheit träumt. Wir verstehen uns wieder, ich und Paris, wir erkennen uns und harmonieren. Wir finden uns und weinen leise Tränen, die wir nicht merken lassen.

Ich wollte diesmal nicht mitten in der Stadt wohnen. Meine Empfindung war dagegen. Nun habe ich schöne Zimmer im Elysée Palace. Hier draußen ist es stiller, sauberer. Ich kann von meinem Fenster die Avenue des Champs Elysées hinabsehen und habe Freude an dem weiten, schönen Blick, Freude an dem Treiben und dem Leben.

Ich bin so müde geworden, es macht mir Anstrengung, auch nur zum Lift zu gehen, mich hinabgleiten zu lassen, einen Wagen zu nehmen und spazieren zu fahren. Alles macht mir Mühe. Ich komme dann wie zerschlagen heim, lege mich in einen Stuhl und weine, weine. Ich sitze nicht einmal mehr in der Halle bei der Musik, ich aß auch erst zweimal im Restaurant. Immer bin ich zu müde, ich lasse mir das Diner oben servieren und rühre es kaum an.

Manchmal bin ich sentimental.

Ich ging die Straßen wie in der glücklichen Zeit, die Rue de la Paix, die schöne, stille Rue de Rivoli. Ich ging in die Läden wie damals und kaufte, nur um wie damals zu kaufen. Ach, wie war das schön – damals. Fritz gab mir mit vollen Händen das Geld. Und ich, die es nicht kannte, aus vollen Händen Geld fortzuschleudern, ich kaufte, kaufte. Was ich schön fand, kaufte ich: alte Kommoden und alte Bilder und einen Schmuck von wundervollen Perlen, Koffer und Parfüms und Bücher und kleine Dosen und Porzellan. Ich kaufte Stoffe, weil ihre Farben schön waren, und dumme, kleine Nichtse, weil sie so hübsch im Schaufenster lagen. Alles kaufte ich, und Fritz lachte und war froh über mich wie über ein Kind.

Vier Jahre sind das her. –

Unten auf meiner schönen, breiten Avenue beginnen die Laternen zu leuchten. Es ist Dämmerung, Nebel; blaues, kühles, vornehmes Licht herrscht. Die Laternen sind gelb wie Topase, sie stehen in langen Ketten, in Ketten, deren leuchtende Steine in der Ferne näher und näher zusammenzurücken scheinen, bis sie ein schmaler, leuchtender Strich werden. Ich öffne das Fenster, die Luft ist weich. Die Luft riecht nach der großen, großen Stadt und ihren Millionen Wünschen. Ich denke an meine eigenen Wünsche.

Eine ungeheure Energie wünsche ich mir, sonst nichts. Sonst brauche ich nichts. Aber die brauche ich, die brauche ich, wie der Verdurstende Wasser.

 

Paris, 8. Februar.

Ich glaube, die Zeit des apathischen Niedergedrücktseins war nur eine Folge der Debauchen in München. Ich fühle mich seit ein paar Tagen frischer. Und plötzlich packt mich eine wahre Leidenschaft für die wundervollen, stillen Stätten, die hier die Gläubigen für ihre Andacht bereiteten.

Der Katholizismus hat doch eine Wirkung, wie sie der kühle Protestantismus niemals haben kann. Das, was mich bei meiner eigenen Religion abstoßen würde, das zieht mich magnetisch bei der mir fremden Religion an.

Ich stehe dem Katholizismus ziemlich gänzlich unwissend gegenüber. Was ich von ihm kenne, weiß ich von den Lippen meiner Mutter, die seine glühende Feindin ist; oder ich weiß es aus unmaßgeblichen Büchern. Der Katholizismus, der mir jetzt hier entgegentritt, hat es darum leicht, mich mit seinen Wundern, seinem träumenden Mystizismus und seiner unerhört wundervollen Macht, die nur eine so alte Kultur, wie er sie besitzt und pflegt, haben kann, vollkommen gefangenzunehmen.

Und ich bin gefangenzunehmen. Da ist nichts in mir, was nicht voll Grauen ist, keine Hoffnung, nichts, nichts. Wenn etwas kommt und mir Neues bietet, mir Hoffnung bietet, so greife ich mit beiden Händen zu. Ich bin bußfertig, will büßen. Ich greife zu wie ein Ertrinkender.

 

Paris, 9. Februar.

Der Katholizismus gibt noch Lebensmöglichkeiten, wo der Protestantismus versagt. Da ist das stille Leben der Nonnen – –

Man lebt in einem kleinen Kreise inmitten Gleichgesinnter. Man lebt und lebt doch nicht. Eine feste Mauer begrenzt die Außenwelt, die nicht in das heilige Reich einzudringen wagt.

Kerzen brennen, und der Weihrauch duftet. Die Ekstase flutet durch die Räume und reißt mit sich, was mit sich gerissen zu werden trachtet. Die Ekstase zündet helle Lichter an in den dunklen Herzen der Verzweifelten.

Leise gleiten die stillen Gestalten durch die Straßen und trösten und heilen. Ihre gesenkten Augen sind fromm; fromm sind sie, weil sie wissen, wie schön das Frommsein ist.

– Paris ohne den Katholizismus – das wäre wie eine schöne Frau ohne Duft.

Was der Nebel dieser Landschaft an Schönheit gibt, das gibt die Kirche dem geistigen Leben. Duft und Zartheit, ein leises, süßes, träumerisches Verschwimmen, Hinübergleiten in eine Welt, die wir nur zu ahnen vermögen.

Ahnen aber ist schöner als Wissen, weil es keine Grenzen hat.

 

Paris, 12. Februar.

Bisher sah ich Paris von seinen Straßen und seinen Hotels aus. Ich kannte ein ganz bestimmtes Paris, das voll von Luxus war und einen gewissen interessanten Einschlag zum Laster hatte. Vielleicht bildete man sich das interessante Laster nur ein, weil man es aus Büchern und Berichten kannte. Paris, wie ich es jetzt sehe, würde im Grunde nur die Stadt sein, in der reiche Ausländer mit Geschick und einigem Geschmack viel Geld ausgeben, wenn nicht –

Wenn nicht plötzlich in mir eine fanatische Liebe zu den Kirchen und Kapellen dieser wunderbaren Stadt erwacht wäre. Eine geheimnisvolle Macht treibt mich früh schon in den grauen Nebel durch die Straßen, bis ich an irgendeine Kapelle oder eine Kirche gelange. Wie hypnotisiert trete ich ein. Ich empfinde Herzklopfen, die Knie zittern mir. Stehe ich in dem kühlen, hohen, dämmerigen Raum, so empfinde ich plötzlich Ruhe und etwas wie ein fanatisches Glück. Ich atme den Weihrauch ein, ich sehe die ewige Lampe und die dunklen, sanftgetönten Gemälde. Ich sehe das alte Gestühl, ich setze mich.

Dort ist der Beichtstuhl. Mit Neid und mit Andacht schaue ich hinüber und empfinde mich als ausgeschlossen von der wunderbar tröstenden Macht der Beichte. Ich darf mich an keinen Priester wenden und ihm zuflüstern von Schuld und von Verzweiflung und Sehnsucht, fanatischer Sehnsucht nach Buße. Außerhalb stehe ich, jenseits der Mauer, die jene schützend umgibt. Eine milde und verständnisvolle Kirche schuf die Beichte, und meine eigene Kirche übt sie nicht.

Die Beichte ist im Grunde für mich das Faszinierendste an der katholischen Religion. Der Grundgedanke der Beichte ist einer der genialsten, die wohl je erdacht sind, weil er so ungeheuer einfach und tief erkennend ist. Gerade wir Frauen mit unserem traurigen Hang zum Exzentrischen brauchen die Beichte notwendig. Wenn sie vielleicht vom Unrecht auch nicht abhält, so nimmt sie uns dann den Alp, der nach der Tat, nach der Erkenntnis auf uns lastet.

Ich beichte hier in diesem Buch, ich sage: der Alp lastet so schwer auf mir, daß es Stunden gibt, in denen ich unfähig bin, ihn zu tragen. Ich flüchte zu betäubenden Mitteln, weil ich nicht auszudenken vermag, wie es möglich war, daß ich zu der Tat kam. Ich weiß, ich kam dazu aus Eifersucht und aus jenem wahnsinnigen Bestreben, einen Künstler der Welt erhalten zu wollen. Ich litt an Größenwahn, denn dies war Größenwahn, das zeigte mein Verhalten nach der Tat. Ich, Lori Granier, hatte keinerlei Recht, ein Menschenleben zu vernichten, denn ich baute nichts darauf auf.

Grauenvoll ist die Welt, aber sie ist gerecht. Ihre Gerechtigkeit ist meine Verdammnis.

 

Paris, 14. Februar.

Man sagte mir, daß fast jede Dame in Paris ihre Lieblingskapelle besitzt; so eine Art zweite Heimat, in der sie ihre Messen hört und zur Beichte geht. Sie hat immer den gleichen Beichtvater, wechselt nicht gern.

Ich kann mir dies sehr gut vorstellen, denn jede Kirche und jede Kapelle hat ihre besondere Stimmung. Es gibt kühle Stimmungen. Es gibt mystische Stimmungen, fanatische, sanfte, traurige, pomphafte. Für jede Empfindung ist auch die passende Stimmung vorhanden.

Ich habe heute die Kirche gefunden, deren Stimmung meine Empfindung ergänzt. Es ist eine kleine Kirche, die nicht sehr weit von hier liegt. Sie ist einfach, schön und rein in den Linien. Schön kühl und rein ist auch die Stimmung ihres Inneren, wie unberührt. Nichts Schwüles, nur der Weihrauch duftet sanft, ein wenig beklemmend.

Als ich im Gestühl saß – es war kein Gottesdienst in der Kirche –, hörte ich abgebrochen das Gespräch zweier Amerikanerinnen mit an, die von einem Monsignore sprachen. Da ich nicht alles verstehen konnte, klang die Unterhaltung fremd; zu erkennen war nur, daß in dieser Kirche ein besonders beliebter Geistlicher amtiere, der kürzlich aus Rom gekommen sei und bald zurückkehre.

Das Gespräch störte mich mehr, als es mich neugierig werden ließ. Trotzdem habe ich den Wunsch, in meiner lieben kühlen reinen Kirche eine Messe zelebrieren zu hören.

 

Paris, 17. Februar.

Wie schön ist es, zu träumen, wenn man gar nicht mehr zu träumen wagte, und dann kommt ein Erlebnis oder der Schatten eines Erlebnisses und gibt sanfte Träume.

Draußen ist eine schüchterne Sonne, die mit grauen Schleiernebeln kämpft. Die Luft ist warm, es duftet fast nach Frühling.

Ich schlage die schwere, rote Portiere zurück, die den Eingang zur Kirche verhüllt. Weihrauch dringt mir entgegen; es ist leises Stimmensausen, leises, knisterndes Treten hörbar. Lichter brennen mit ruhigem Schein, ein Fenster leuchtet schwach in blassen Farben. Und dann gewöhnt sich das Auge an die Dämmerung, die es anfangs blind machte.

Weihrauch in der Luft. Er ist süß und schwer. Die Sinne saugen ihn gierig ein, berauschen sich an ihm, zittern, empfinden Geheimnisse, empfinden Schauer.

Still brennen die Lichter am Altar. Sie brennen gelb mit kleinen, blauen Flämmchen am Docht. Ihr Feuer ist heilig; heilig wie der reine, schöne Raum, in dem sich Kopf an Kopf eine dunkle Menge drängt.

Die Orgel dröhnt.

Die Orgel singt, und kleine, dünne Stimmen fallen ein. Plötzlich flattert heiß die große Flamme frommer Leidenschaft auf. Sie bebt in mir, sie läßt mich zittern.

Und dann steht eine schmale Gestalt vor dem Altar. Eine Gestalt wie in Träumen, unwirklich rein, schön, anmutig. Blasse Hände strecken sich aus und segnen; sie begütigen, sie trösten. Eine Stimme, die tief ist und wohllautend wie Gesang, spricht klare, schöne Worte. Und ich sehe in ein schmales Gesicht; da ist kein Schimmer von Farbe. Die Lippen sind wie in Elfenbein geschnitten, blutlos. Aber die tiefen, grauen Augen blicken kühl, blicken über alles hinweg, stolz, kühl, in unnahbarer Hoheit.

Und plötzlich senken sich die Augen, wir sehen uns an. Der Blick bleibt kühl und ist doch wie ein Gruß. Wie der Gruß eines Menschen, nach dem man sich sehnte.

Nicht sehnte, nein!

Dessen Freundlichkeit wohltut, tröstet.

Die Stimme tönt fort.

Es raschelt hinter mir, und ich höre weinen. Sanft steigen kleine, weiße Wolken aus Weihrauchgefäßen auf. Es duftet stärker, schwächer.

Ich sehe nun nur die Hände, die sanft sich heben und segnen. Die tröstenden Hände segnen.

Träume, Träume –

 

Paris, 23. Februar.

Für die Liebe einer Frau gibt es gewissermaßen drei Stadien.

Das der Träume.

Das des Sichbewußtwerdens.

Das des Ernüchtertseins.

Die ersten beiden sind schön und kurz zumeist.

Das letztere ist lang und schrecklich. Man entgeht ihm nur durch Selbstdisziplin und kühle Überlegung.

Ich mache mir dies alles klar, noch ehe ich den blassen Mann mit den segnenden Händen kennen lerne. Er hat große Macht über die Frauen, man fühlt es auf den ersten Blick. Er verachtet und bewundert zugleich. Er kennt Hunderte. Er kennt hundert Arten. Er weiß, ihm widersteht keine so leicht. Er weiß auch, daß er in seinem Innern körperlich die Frauen haßt, geistig sie anbetet, so weit er überhaupt anbeten kann.

Dreimal ging ich zur Messe.

Dann blieb ich fort.

In mir ist plötzlich wieder das ausgeprägte Stilgefühl, das mich einstmals auszeichnete. Ich empfand, daß eine Empfindung für den Geistlichen die Reinheit meiner schönen, geliebten Kirche schändete. Ich sage mit Bewußtsein nur »Empfindung«.

Daß ich zu Monsignore Spinola gehe, ist sicher. Ich will mich selbst aber erst in der Gewalt haben, denn ich will allein um seiner Religion willen zu ihm kommen. Ein so fein empfindender Mensch wie dieser Geistliche orientiert sich mit einem Blick über die Gefühle seiner Besucherin. Also will ich mit gutem Gewissen kommen können.

Ich habe jetzt ein Ziel für meine Gedanken, und gewissermaßen habe ich durch dieses Ziel festen Boden gewonnen, anderseits festen Boden verloren. Denn dieses zwar etwas planlose Umherirren in Kirchen und Weihrauchstimmungen war für mein schwankendes Gemüt eine Art von festem Boden. Und wenn es auch nur eine eingebildete Art war, es gab mir einen Zweck.

Das grauenvollste Dasein ist das zwecklose.

Ich kenne es.

Aus Zwecklosigkeit, eigen verschuldeter Zwecklosigkeit, erwuchs all mein Unheil. Ich kenne eine Menge Frauen in Berlin, die, wie ich, ein Dasein ohne Zweck führen. Ich bedaure sie. Und wenn sie nicht Unheil anrichten wie ich, so liegt das einzig nur an günstigeren Verhältnissen oder günstigeren Naturen. Zwecklosigkeit demoralisiert.

 

Paris, 27. Februar.

Ich weiß, welches Empfinden mich immer und immer wieder zaudern ließ, zu ihm zu gehen.

Ich ahnte, daß ich tat, was viele andere Frauen vor mir taten. Man erniedrigt sich dadurch, man macht sich gemein.

Nur eine große Unnahbarkeit konnte mich retten. Und ich war kalt, ich war kalt bis ins Innerste hinein. Ich kam um seiner Religion willen, in Wahrheit um ihretwillen. Und er, der große Frauenkenner, der den Asketenmund besitzt, den ich bei Togena erträumte, er wußte gleich Bescheid.

Er war ebenso kalt und sachlich wie ich, nur daß er noch die große Kunst besaß, durch die Kälte hindurch mich fühlen zu lassen, daß er mir, der Dame, seine Achtung zollte.

Wir sprachen lange miteinander. Ich erzählte ihm von meiner Kindheit in dem frommen Hause, dann das vollkommene Abwenden von jeglicher Religion, schließlich meine Sehnsucht nach Religion.

Er hörte aufmerksam zu. Er lächelte manchmal. Was er antwortete, war klar und bestimmt, sehr streng. Er liebt seine Kirche mit der fanatischen Liebe des Menschen, der das, wofür er eintritt, für das allein Vollkommene hält. Ihre Macht, seine Macht durch sie, bezaubert ihn. Man versteht bald den Asketenmund, wenn man ihn sprechen hört. Dieser Mund haßt glühend die Weibchen, die die Kirche durch ihre kleinen Lüste schänden.

Aber faszinierend ist er. Er ist so vollendet, daß er nicht die wunderbare Schönheit seiner Kirche als Rahmen braucht. Am Alltag ist er fast noch edler, denn jede seiner Bewegungen hat Harmonie. Wenn man Fehler suchen wollte, so könnte man den Hals zu lang nennen, die Augen stehen sich vielleicht auch zu nahe. Wären aber diese Fehler nicht, so würde die ganze Gestalt vielleicht weniger faszinierend wirken.

Ich bewundere ihn und habe etwas wie Freude an ihm.

 

Paris, 2. März.

Diese ungeheure Selbstzucht, die ihm eigen ist, verbunden mit einem ausgeprägten Sinn für Ästhetik, lassen ihn niemals seinen Fanatismus zeigen. Kühl ist sein Wesen, weil ihm Klugheit Kühle gebietet. Kühl ist jedes Wort, und doch wirkt es wie flammend, weil hinter der großen Kühle das Temperament steht. Das empfinden wir, die wir ihm lauschen.

Seine Kirche ist sein Stolz und sein Glück. Die klare Weltanschauung, die ihm diese Ansicht gibt, hat die absolute Größe einer in sich vollkommenen Sache. Daß Spinola dabei unendlich differenziert ist, daß im Grunde beinahe ein Widersinn darin liegt, wie dieser Mann zu solch festem Glaubensfanatismus kommen kann, erklärt sich nur aus seinem ganzen, in Selbstzucht aufgewachsenen, Selbstzucht als Notwendigkeit erkennenden Wesen. Er ist wie ein lebendes Stück aus der alten Kultur, die wir in der Renaissance bewundern. Und die Bedeutsamkeit seines Wesens ist, daß er wahrhaftig glaubt, was er sagt. Unwiderstehlich sind seine Worte über die Kirche, die allein selig macht. Man steht im Bann, man wünscht nichts, als zu lauschen und zu glauben.

 

Paris, 11. März.

Nach einer Bekanntschaft von vierzehn Tagen sind wir wie alte Freunde. Der große Reiz dieser Freundschaft liegt in einer fast asketischen Lust zur Entsagung. Meine alte, wundervolle Kühle, die mir einst Erfolg über Erfolg brachte, ist wieder in mir. Wir streben zueinander und weichen zur gleichen Zeit kalt zurück. Wir wissen, daß wir uns begehren, daß es in unserer Hand liegt, zueinander zu kommen. Aber keiner hätte die Unkultur, auch nur einen Schritt vorwärts zu machen. Als Unkultur empfinden wir den Körper, der sich in den Vordergrund drängt. Geist ist alles, Geist ist das Sinnbild der Vornehmheit.

So schreibe ich.

Wir Frauen, wir armen Frauen sind immer nur das, was der Mann aus uns macht. Wir sind rein in reinen Händen, schmutzig in den schmutzigen Händen. So wahr ich lebe, ich bete die Reinheit an.

Schmutz ist in jeder Form ein Ausdruck von Niedrigkeit. Es mag Naturen geben, die so stark sind, daß sie den Schmutz äußerlich nur fühlen und immer wieder die große Macht besitzen, sich rein zu waschen. Es mag solche Naturen unter den Männern geben, unter den Frauen nicht! Denn Frauen sind in ihrem Innersten vom Schmutz leichter verletzt. Sie können sich nicht die große Nonchalance zu eigen machen, die ein mitten im Leben stehender Mann lernt.

Die Frau steht außerhalb des Lebens. Sie steht nicht im gewerblichen Schaffen und nicht in jenem großen Kreis, der das andere Geschlecht durch Vergnügen, Spiel und Sport zusammenhält.

Wir leben ein Leben, das, so lustig und geräuschvoll oder so still und arbeitsam es sein mag, immer dem großen Streben und den großen Erfolgen abgekehrt ist. Darum sind wir haltloser, weicher, zarter und verantwortungsloser, unmoralischer.

Jede Arbeit birgt in sich ihre Notwendigkeit zu irgendeiner Moral. Die große Arbeit ist uns verschlossen.

Wäre ich ein Mann geworden, so hätte ich auch Moral gehabt. Ich weiß, ich habe getan, was verbrecherisch und ungeheuerlich ist. Ich tat es, weil der unbeschäftigte Geist Abwege ging und sich verirrte.

Das ist keine Entschuldigung, sondern nur eine Klarlegung. Klarlegen aber kann jeder Verbrecher sein Tun. Jedes Verbrechen ist in sich selbst tief begründet, hat in sich selbst mildernde Umstände. Jeder Angeklagte ist in irgendeiner Weise eines Mitleids würdig.

Das entschuldigt nicht, weil der einzelne keine Geltung haben darf.

 

Paris, 15. März.

Wie schön ist Paris in diesem leise sich regenden Frühling. Da waren ein paar warme, sonnenklare Tage. In den kahlen Büschen sangen schon die Amseln, die kleinen Sträucher hüllten sich in ein zartes, verstohlenes Grün.

Jetzt regnet es, die Luft ist lind. Ich fahre durch die Straßen. Ich fahre die stolze Avenue des Champs Elysées hinab; ich biege ab in schmälere Straßen. Nebel sind vor mir, es tropft leise. Nebel sind hinter mir, alle Umrisse verbergen sich in grauen Schleiern. Über dem Wasser liegt tropfender Dunst; die Farben sind matt und verschwommen.

Ein klein wenig traurig macht das Wetter. Aber die große Traurigkeit, die, die mich zu Boden drückte, schweigt. Manchmal wage ich verstohlen an eine Zukunft zu denken. Es ist wie atemloses Glück, überhaupt zu denken, daß es eine Zukunft gibt.

Spinola ist, wie es scheint, kein Freund von allzu eiliger Bekehrung. Er redet wohl von der Schönheit und der Wahrheit der allein seligmachenden Religion. Er redet kühl mit einem Lächeln auf den Lippen.

Mache ich Einwendungen, so sagt er: »Sie, Madame, sind zur Katholikin geboren. Sie müssen zu unserer Kirche kommen, weil in Ihnen, unbewußt vielleicht, jede Voraussetzung zu einer fanatisch Gläubigen liegt. Ich habe gar kein Recht, Ihnen eindringliche Worte zu sagen. Sie sind ja doch im Herzen schon Gläubige, sonst wären Sie nie zu mir gekommen. Ihre Seele sehnte sich danach. Die pure Äußerlichkeit des Übertritts macht Sie wohl vielleicht noch schwanken, aber das ist durchaus verständlich. Sie müssen Ihre Gedanken damit vertraut machen. Ein ernster Mensch macht sich schwerer vertraut als ein leichtsinniger.«

Sein schönes Organ klingt durch den kahlen Raum. Ich lächle. Ich weiß, daß er nicht umsonst so sicher ist. All meine Sehnsucht geht nach dem Glück, des Heils teilhaftig zu werden.

Sonderbarerweise bin ich mir selbst voll und ganz bewußt, daß ich nicht in dem Sinne des kindlichen Glaubens ein Kind der anderen Kirche werde. Ich bin Skeptikerin jetzt wie einst. Was ich verehre, das ist die Kirche, ihr Glanz, ihre Macht. Ich empfinde sie mit all ihren Gebräuchen als allein seligmachend. Sie scheint mir eine Kirche für die gesamte Menschheit. Sie ist schön und anbetungswürdig, und es ist im Grunde ja doch ziemlich gleich, was wir anbeten. Wir müssen nur irgendetwas anbeten. Wir müssen Gelegenheit haben, in Ekstase geraten zu können. Unsere Gedanken müssen sich versenken dürfen. Wunderbar ist die Macht und Schönheit der Kirche. Ich bin der Macht und Schönheit dankbar, denn vor ihr kann ich mich beugen.

 

Paris, 19. März.

Wir stehen uns sehr nahe und sind uns doch fern. Die Distanz ist Notwendigkeit. Jede Vornehmheit bedingt eine gewisse Distanz. Wo Distanz aufhört, fängt Unkultur an.

Ich bin zum Übertritt entschlossen. Aber ich leide unter dem Gedanken, daß ich diesen Übertritt heimlich machen muß. Meine Mutter, die alte Frau, die immer wieder rührende Briefe schreibt, und deren Handschrift so verzweifelt zittrig wird, darf nichts erfahren. Wozu ein Menschenherz quälen?

Ich habe neuerdings wieder entsetzliche Nächte.

Da kommt etwas wie Gewissensqualen an mich heran. Die ungeheure Verantwortung, die ich auf mich lud, die erdrückt mich fast. Und nutzlos war alles, ich versagte.

Ich, ich, die ich so stolz war.

Wenn ich beichten dürfte!

Ich machte gestern etwas wie eine Andeutung. Ich sprach von Verbrechen. Ich sprach hart und eisig von Frauen, die Verbrechen begingen. Er war sanft im Urteil. Er sagte ungefähr folgendes:

»Die weibliche Psyche ist leider prädestiniert zu Verbrechen. Sie empfindet intensiver, feiner und fanatischer als die männliche. Und da keine Frau zur Selbstkontrolle erzogen wird, so fällt sie leicht, sobald ein einziger Stützpunkt weicht.«

Ich erwiderte: »Sie würden auch mich also jedes Verbrechens für fähig halten?«

Er lächelte. »Nicht jedes, aber vieler jedenfalls.«

Ich sagte: »Haben Sie die weibliche Psyche so genau studiert?«

Er: »Es liegt in unserem größten Interesse, sie genau zu studieren, da sie unsere beste Kraft und Hilfe ist. Der Frau ist, Gott sei es gedankt, die Religion auch in der heutigen Zeit Bedürfnis. Der Mann ist weniger zart und auch weniger stark im Empfinden. Er ist im besten Falle meist nur ein wohlerzogener Katholik, die Frau ist es mit ihrer ganzen Persönlichkeit.«

Dann nahm unsere Unterhaltung eine andere Wendung, und er sagte die Worte, die mir unklar waren und nicht klarer werden, wenn ich sie bedenke. Er sprach von sich, so viel nur verstand ich: »Den Männern genügt der Glaube im großen nicht, sie sind leider nicht in ihrem Inneren fromm wie die Frauen. Männer streben nach Macht. Was Macht verheißt, das beten sie an.« Ein paar Minuten darauf, in denen wir von anderem sprachen: »Ich sehne mich nach Rom zurück, denn Frankreich und insbesondere Paris ist nicht das, was ich liebe. Besondere Verhältnisse brachten es mit sich, daß ich hierher gehen mußte. Mein Leben ist ein fortgesetztes Müssen, Madame, und ich muß verstehen, das Müssen mit dem Wollen zu vereinigen.«

Ich sagte: »Es ist die größte Klugheit, das eigene Wollen mit dem Müssen zu vereinen. Aber wir Frauen sehen das erst ein, wenn wir zu viel gewollt und zu wenig gemußt haben.«

Dann er: »Wenn wir einer Macht gehorchen, deren Teil wir selbst sind, ist das Müssen eine moralische Pflicht an uns selbst. Für meinen Begriff gibt es nur einen Machthaber in der Welt, das ist die Kirche, der ich angehöre. Mein Stolz, ihr anzugehören, ist das Beste in mir.«

 

Paris, 22. März.

Ist es möglich, daß man mit zweiunddreißig Jahren ein vollkommen neues Leben unter neuen Bedingungen, in einer neuen Umgebung beginnt? Ich möchte von Menschen erzählen hören, die das taten. Ich möchte hören, ob es ihnen gelang. Ein fester Wille kann viel. Mein Wille hat gelitten, er muß sich nun erst wieder kräftigen. Ich neige jetzt, wozu ich niemals neigte ehedem, zu Energielosigkeit. Furcht vor dem Leben ist es. Ich komme mir fast ständig dem Leben nicht mehr gewachsen vor, innerlich ist ein Zittern in mir vor jeder Stunde, vor jedem Tage. Der unwillkürliche Gedankengang, der uns oft stärker beherrscht als der willkürliche, wiederholt jammernd: »Was soll aus deinem Leben werden, Lori Granier?«

Schließlich hängt jeder Mensch, auch der, dem Sentimentalität fremd ist, mit allen Fasern an seiner früheren Umgebung. Da sind Gesten, die man sieht, Worte, die man hört, die uns gewaltige, ganz unüberwindliche Erinnerungen bringen. Das Herz zittert, das Herz tut weh. Alles in uns geht auf in einer riesigen, unbeschreiblichen Sehnsucht.

Und doch kann ich nicht zurückkehren. Mein einziges Heil ist ein neues Leben; Spinola bietet mir die Hand dazu. Ich zögere noch, es ist alles viel zu sehr zerbrochen in mir, als daß ich einen raschen Entschluß fassen könnte.

Dennoch ist die Bekanntschaft mit Spinolas Freundin, der alten Madame du Foure, ein Erlebnis. Sie ist das zweite Glied in der Kette, in der Spinola das erste ist. Sie, seine mütterliche Freundin, wie sie selbst sagt, hat die bezaubernde Art alter Leute, die mit dem Leben abschlossen und dennoch verstehen, daß es noch eine Jugend gibt, die das Recht auf Leben hat. Die alte Dame ist innerlich und äußerlich Aristokratin; der Duft, der von ihr ausgeht, ist voll von Zauber. Er schließt in sich die Würde des Alters, die sanfte Resignation des Alters und das Bedürfnis nach Schönheit auch im Alter.

Vom ersten Moment an waren wir uns sympathisch. Die liebe, unsäglich notwendige Welle innerer Sympathie flutet von mir zu ihr und von ihr zu mir. Sie gab von Anfang an das rechte Verhältnis zwischen uns. Von meiner Seite Bewunderung und Achtung; von ihrer Seite herzliches Entgegenkommen, Freude an der einfachen Tatsache, Jugend um sich zu sehen, und ein intuitives Wissen von der Hilflosigkeit der anderen. Hilflose finden leichter Freunde: ich erkenne das jetzt erst, denn den guten Menschen, den wahrhaft guten, steht immer ein intuitives Wissen von der Hilflosigkeit anderer zur Seite, und mit dem Wissen kommt der Wunsch, zu helfen.

Madame du Foure hat eine sanfte Art, das zu zeigen. Ihre Stimme allein tröstet, gibt Hoffnung. Ihre Gestalt läßt mich dann auch für mich noch auf ein Alter hoffen, das abgeklärt und schön ist. Denn ein Alter voll Schönheit ist der Gipfel aller Harmonie. Und nur wenige Menschen verstehen es, im Alter unentbehrlich und freudegebend zu sein. Durch die heutige Welt geht ein Zug der brutalen Kraft, der dem Alter jede Existenzberechtigung rauben möchte. Daran ist das Alter zum Teil selbst schuld, denn alte Leute, wie Madame du Foure, haben immer Existenzberechtigung.

 

Paris, 23. März.

Jede Kunst belohnt.

Es steht in der meisten Menschen Macht, aus ihrem Leben ein Kunstwerk zu machen. Sie vergessen oder verachten es nur meistens, daran zu arbeiten. Und ohne Arbeit gibt es keine Kunst.

Die erste und größte Kunst des Lebens, die wir erlernen müssen, ist die Entsagung. Denn ohne Entsagung gibt es kein Wahren der Distanz.

Wir bleiben kühl gegeneinander, Spinola und ich. Wir wissen, daß die Kühle ganz allein sich belohnt. Das Leben ist gierig, und selbst ein Händedruck kann unästhetisch wirken, kann den Duft zerstören, der unsere Freundschaft uns zum Genuß macht. Ich weiß, er dankt es mir, daß ich kühl bleiben kann. An Frauen, die zu geben bereit sind, fehlt es ihm nicht; es fehlt ihm nur an Frauen, die schön sind und dennoch stolz. Unser Zeitalter hat der Frau eine schwere Stellung gegeben. Wir sind nicht mehr Spielzeug und nicht mehr Kurtisane. Wir sind ein Mittelding, das sich allzu leicht in Extremen bewegt. Nur Kamerad sein, das kann eine andere Zeit bringen, die Frau der heutigen Zeit hat es noch nicht gelernt. Sie ist mehr oder weniger doch immer Weib, Geliebte. Aber da widersteht es der Anschauung einer stolz denkenden Frau, sich gleich hinzugeben. Und es widerstrebt ihr ebenso, nach längerer Zeit scheinbar auf die Liebeskünste des Mannes hineinzufallen. Wir sehen die Liebe zu kompliziert an, denn einen Ausweg gibt uns nur das Empfinden für Ästhetik. Ästhetik aber wahrt immer die Distanz.

Und dies alles – ich sage es beschämt – erkenne ich erst nach hundert Erfahrungen. Die Erfahrungen stehen mir zur Seite, und ich bleibe deshalb und im bewußten Empfinden für Ästhetik kühl.

Unser Empfinden trifft sich. Auch Spinola hat den Geschmack, niemals ein werbender Liebhaber zu sein. Und dennoch kommt eine Frau an seiner Seite sich nicht unbegehrt vor. Die zarte Sorgfalt einer früheren Zeit, die frühere Generationen auszeichnete, kennt er und weiß sie anzuwenden.

 

Paris, 28. März.

Madame du Foure hat ein Landgut zwei Stunden von Paris. Sie lud Spinola und mich zu sich ein, wir sollen den Dienstag – übermorgen – bei ihr verleben. Ihr Auto holt uns ab und bringt uns wieder zurück.

Ich freue mich. –

Es kommt mir vor, als sei mir das Gefühl des »Michfreuens« schon ganz fremd geworden. Denn neben dem Freuen läuft eine beständige, unerklärliche Angst her; wie eine Angst vor dem Freuen.


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