Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIX.

 

Berlin, den 18. Oktober.

»Liebe Schwester!

Ich erachte es als meine Pflicht, Dich im Namen der Verwandten zu bitten, dieses planlose Umherirren von Sanatorium zu Sanatorium aufzugeben und zu Deinem Manne zurückzukehren. Es liegt mir fern, Dir irgendeinen Vorwurf zu machen, denn ich weiß, Du warst krank. Aber jetzt bist Du nicht mehr krank, wie Du selbst in Deinen Briefen zu erkennen gibst. Darum ist es meines Erachtens durchaus notwendig, daß Du wieder dorthin gehst, wohin Du gehörst. Du hast keinerlei Rechte, Dich Deinen Pflichten zu entziehen, keinerlei Rechte, ein Leben zu führen, das uns allen, die Dir nahe stehen, fremd ist. Es ist Deine Pflicht, an der Seite des Mannes zu leben, den Du Dir selbst zum Gatten gewählt hast. Er hat leider eine unverantwortliche Schwäche Dir gegenüber vom ersten Augenblick an gezeigt, und Du hast diese Schwäche auszunutzen verstanden. Das ehrt Dich keineswegs, liebe Lori; es ehrt niemals einen Stärkeren, Vorteile aus dem zu ziehen, was Schwächere in Güte versehen.

Lori, ich muß ernst zu Dir reden, Deine Unverständlichkeit könnte leicht etwas wie Trennung bedeuten für Dich und Deine Familie. Es ist meine Pflicht, Dir das zu sagen, wenn Du es nicht selbst tust. Wir alle haben immer Nachsicht gegen Dich geübt; immer, fast vom ersten Tage Deines Lebens an, wurde Nachsicht geübt, Du warst etwas Außergewöhnliches in unserem Hause. Aber das Leben rechnet nicht immer mit denen, die sich außergewöhnlich dünken; es steigt auch einmal über sie hinweg und stößt sie abwärts in den Trott des Gewöhnlichen. Kind, bedenke doch, was Du bist als einsam lebende Frau. Bedenke jede Seite, sieh Dir das Leben gut an. Sieh Dir die Frauen an, die einsam leben! Niemand, Lori, hat ein Recht darauf, nur sich selbst und seinen Passionen nachzugehen. Wer das tut, trägt schon den Keim des großen Zerwürfnisses in sich, der ihm das Leben verbittert. Wir haben nur immer das Recht, unseren Pflichten zu genügen.

Ich habe Dir geschrieben und erwarte von Dir die Heimkehr. Solltest Du aber zwingende Gründe haben, diese Heimkehr zu verschieben, so bitte ich Dich um einen ausführlichen Bescheid. Ich denke, ich, als Dein Bruder, der Dir viel Liebe und Verstehen entgegenbrachte, werde nicht umsonst bitten. Zu einer Unterredung stehe ich jederzeit zur Verfügung. Es liegt mir daran, klar zu sehen.

In alter Freundschaft
Hasso.«

 

München, Regina-Palast-Hotel, den 22. Oktober.

»Lieber Hasso!

Es tut mir leid, daß Du bei all Deiner Arbeit noch Zeit für mich opfern mußt, und ich bitte Dich gleich zu Anfang dieses Briefes, diese Zeit besser zu verwenden. Denn was Du von mir verlangst, Hasso, das kann ich nicht tun.

Ich weiß genau, daß Dein Brief herzliche Worte enthalten sollte. Es liegt Dir nicht, herzlich zu schreiben, und doch fühlte ich die Freundlichkeit hinter der Härte. Ich versuche deshalb, auch in Freundlichkeit zu antworten, obgleich mir die Antwort schwer wird.

Glaube mir, bitte, daß ich nicht um irgendeines Vergnügens willen einsam bleibe. Ich empfinde vielmehr – dies gestehe ich nur Dir allein ein – diese Einsamkeit oft genug als qualvoll. Aber ich kann nicht zurückkehren.

Nein, Hasso, ich kann es nicht. Und da Du Gründe wissen willst, da ihr alle wie Richter seid und Gründe wissen wollt, so laß Dir sagen, daß ich innerlich immer noch krank und schwankend bin. Ich kann noch nicht wieder friedlich in der Rauchstraße leben wie ehemals. Ich kann nicht wieder die Frau Lori Granier sein, die ich war. In mir ist immer noch das große Zittern, das die Krankheit hinterließ. Es überkommt mich selbst bei dem Gedanken an das einstige Leben. Wieviel mehr würde es mich in der Wirklichkeit leiden lassen.

Bedenke eins, Hasso. Ich lebe nicht in harmonischer Ehe, ich lebe nicht in Harmonie mit mir selbst. Gern gebe ich zu, daß alle Schuld auf meiner Seite ist, aber das ändert nichts. Ich bin nicht geborgen an Fritz' Seite, ich bin nicht ausgefüllt von meinem Mann. Wäre das der Fall, so würde ich selbst es für klüger und angenehmer halten, daheim zu gesunden. So aber muß ich meine Gesundung in der Einsamkeit abwarten. Ich muß für mich sein, allein, ich muß Zeit haben, um allein zu mir selbst zurückzukommen.

Ich teile Dir noch kurz mit, daß ich, wie Du aus der Prägung auf dem Briefbogen siehst, das Sanatorium verlassen habe. Es wurde trostlos im Gebirge, der Herbst brachte Frost und mit dem Frost Stimmungen, die ich nicht vertrug. Hier in der heiteren Stadt, die ruhig und doch anregend ist, hoffe ich gesund zu werden.

Ich bitte Dich, meine Mutter zu grüßen und zu beruhigen. Sie soll sich nicht grämen. Ich werde gesund werden, und dann wird alles gut sein. Nur Zeit muß ich haben.

Ich grüße Dich
Lori.«


 << zurück weiter >>