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Das Sternbild der Geschwister oder Die Ungetrennten und Nichtvereinten

 

Auch in den Jahren, wo Ulrich seinen Lebensweg allein und nicht ohne Übermut gesucht hatte, war ihm das Wort Schwester oft schwer von unbestimmter Sehnsucht gewesen, obwohl er damals so gut wie niemals daran dachte, daß er eine lebende und wirkliche Schwester besitze. Darin lag ein Widerspruch und weist auf eine unebene Herkunft hin, für die sich denn auch manches anführen läßt, das die Geschwister gewöhnlich gering achteten. Es mußte ihnen nicht falsch erscheinen, wog aber im Verhältnis zu der Wahrheit, der sie sich nahe wußten, nicht mehr, als ein einspringender Winkel für die Rundung eines groß geschwungenen Mauerzugs bedeutet.

Ohne Frage kommt Ähnliches oft vor. In manchem Leben ist die unwirkliche, erdichtete Schwester nichts anderes als die hochfliegende Jugendform eines Liebesbedürfnisses, das sich später, im Zustand kälterer Träume, mit einem Vogel oder anderem Tier begnügt oder sich der Menschheit oder dem Nächsten zuwendet. Im Leben manches anderen Menschen ist sie jugendliche Lebensscheu und Einsamkeit, ein erdichteter Doppelgänger voll spiegelfechterischer Anmut, der die Angst der Einsamkeit zur Zärtlichkeit eines einsamen Beisammenseins mildert. Und von manchen Naturen wäre bloß zu sagen, daß dieses schwärmerisch von ihnen gehegte Bild nichts sei, als die eingekochteste Eigenliebe und Selbstsucht; ein über die Maßen Geliebtseinmögen, das eine verschlagene Verbindung mit süßer Selbstlosigkeit eingegangen ist. Daß aber viele Männer und Frauen ein solches Gegenbild im Herzen tragen, daran kann kein Zweifel bestehn. Es stellt schlechthin die Liebe dar und ist immer das Zeichen eines unbefriedigenden und gespannten Verhältnisses zur Welt. Und nicht nur die verkürzt wurden oder von Natur ohne Ebenmaß sind, auch die Wohlgeratenen kennen solche Wünsche.

So fing Ulrich denn an, zu seiner Schwester von einem Erlebnis zu sprechen, das er ihr schon einmal erzählt hatte, und wiederholte die Geschichte der unvergeßlichsten Frau, die, Agathe selbst ausgenommen, je seinen Weg gekreuzt hatte. Diese Frau war ein Frau-Kind, ein Mädchen von etwa zwölf Jahren gewesen, das, merkwürdig vollendet in seinem Gebaren, mit ihm und einem Begleiter eine kurze Strecke weit in dem gleichen Straßenbahnwagen gefahren war und ihn entzückt hatte wie ein geheimnisvoll vergangenes Liebesgedicht, dessen Andeutungen voll nie erlebter Seligkeit sind. Dieses Aufflammen seiner Verliebtheit hatte später manchmal Bedenken in ihm erregt, denn es war seltsam und ließ zweifelhafte Rückschlüsse auf ihn selbst zu. Er gab darum die Erinnerung auch nicht gefühlvoll wieder, sondern sprach von den Bedenken, wenngleich er diese wohl nicht ohne Gefühl verallgemeinerte. »Ein Mädchen hat in diesem Alter sehr oft schönere Beine als später« sagte er. »Die spätere Gedrungenheit entsteht wahrscheinlich erst aus dem, was sie unmittelbar über sich zu tragen haben; in der Halbwüchsigkeit sind sie lang und frei und können laufen, und wenn die Röcke bei einer lebhaften Bewegung die Schenkel freigeben, deren Rundung schon etwas sanft Zunehmendes hat – oh, mir fällt die Mondsichel ein, gegen das Ende ihrer zarten ersten Mondmädchenzeit –, so sehen sie herrlich aus! Ich habe mich später manchmal ernsthaft nach den Gründen gefragt. Das Haar hat in diesem Alter den mildesten Glanz. Das Gesicht zeigt seine schöne Anlage. Die Augen sind wie ein glatter, noch nie zerknitterter Seidenstoff. Der Geist, in Zukunft dazu bestimmt, kleinlich und begehrlich zu werden, ist noch zwischen dunklen Wünschen eine reine Flamme ohne viel Helligkeit. Und was in diesem Alter gewiß noch nicht schön ist, zum Beispiel der Kinderbauch oder der blinde Ausdruck der Brust, gewinnt durch die Kleidung, sofern sie die Erwachsenheit geschickt vortäuscht, und durch die träumerische Ungenauigkeit der Liebe alles, was eine liebenswürdige Bühnenmaske vermag. So ein Geschöpf zu bewundern, ist also ganz rechtschaffen in Ordnung, und wie sollte man es anders tun als mit einem Anflug von Liebe!«

»Und wider die Natur ist es gar nicht, solche Empfindungen an ein Kind zu wenden?« fragte Agathe.

»Widernatürlich wäre erst ein plump unmittelbares Begehren« erwiderte Ulrich. »Aber ein solcher Mensch verstrickt auch das unschuldige, oder auf jeden Fall unfertige und schutzlose, Geschöpf in Geschehnisse, für die es nicht bestimmt ist. Er muß von der Unreife des werdenden Geistes und Körpers absehen und seine Leidenschaft mit einem stummen und verhüllten Gegenspieler spielen; nein, er sieht nicht nur von allem, was ihn hindern sollte, ab, sondern er setzt sich mit Roheit darüber hinweg! Das ist ganz ein anderes Verhalten mit anderen Folgen!«

»Aber vielleicht liegt ein Anhauch der Verderblichkeit des ›Hinwegsetzens‹ doch auch schon darin, daß man ›absieht‹?« wandte Agathe ein. Sie war vielleicht eifersüchtig auf das Gedankengespinst ihres Bruders; jedenfalls widersetzte sie sich. »Ich finde keinen großen Unterschied darin, ob man nicht achtet, was einen hindern könnte, oder ob man es nicht fühlt!«

Ulrich entgegnete: »Du hast recht und hast es nicht. Ich habe die Geschichte eigentlich bloß erzählt, weil sie eine Vorstufe der Geschwisterliebe ist!«

»Der Geschwisterliebe?« fragte Agathe und stellte sich erstaunt, als hörte sie das Wort zum erstenmal; aber da sie ihre Nägel wieder in Ulrichs Arm eingrub, tat sie es vielleicht zu stark, und es zitterten ihre Finger. Ulrich, der es empfand, als ob sich nebeneinander fünf kleine warme Quellen in seinem Arm geöffnet hätten, sagte plötzlich: »Wessen stärkste Erregungen mit Erlebnissen verbunden sind, von denen jedes auf irgendeine Art unmöglich ist, der will nicht die möglichen Erlebnisse! Mag sein, daß die Phantasie eine Flucht vor dem Leben, eine Zuflucht der Feigheit und eine Lasterhöhle ist, wie es viele behaupten; ich glaube, daß die Geschichte des kleinen Mädchens, und auch alle anderen Beispiele, von denen wir gesprochen haben, nicht auf eine Unnatur oder Lebensschwäche hinweist, sondern auf eine Widerweltlichkeit und starke Widersetzlichkeit, auf ein übergroßes und überleidenschaftliches Verlangen nach Liebe!« Er vergaß, daß Agathe nichts von den anderen Beispielen und zweifelhaften Vergleichen wissen konnte, mit denen seine Gedanken zuvor die Geschwisterliebe in Verbindung gebracht hatten; denn er fühlte sich jetzt wieder im klaren und hatte den betäubenden Geschmack, die Verwandlung in das Willenlose und Leblose, das zu seiner Erfahrung gehörte, für dieses Mal überwunden, so daß die selbsttätige Erwähnung ungewollt durch eine Gedankenlücke schlüpfte.

Diese Gedanken waren noch immer auf das Allgemeinere gerichtet, mit dem sich ein persönlicher Fall sowohl vergleichen ließ als er auch davon abstach; und wenn man zu Gunsten des inneren Zusammenhangs dieser Gedanken beiseite läßt, wie sie einander folgten und formten, so bleibt ein mehr oder minder unpersönlicher Gehalt über, der ungefähr so aussah: Für das Lebensgefüge mag der Haß ebenso wichtig sein wie die Liebe. Es scheint auch ebensoviel Gründe zu geben, die Welt zu lieben wie zu verabscheuen. Und in der Natur des Menschen liegen beide Instinkte anwendungsbereit, in einem ungleichen Verhältnis ihrer Kräfte, das persönlich verschieden ist. Aber es ist nicht zu sagen, wie sich Lust und Unwillen dabei die Waage halten, um uns das Leben doch immer weiterführen zu lassen: Falsch ist offenbar bloß die gern gehörte Meinung, daß es dazu eines Mehr an Lust bedürfe, denn wir führen auch das Leben in Unlust weiter, mit einem Überschuß an Unglück, an Haß oder Geringschätzung für das Leben, und fahren dabei so sicher wie mit einem Überschuß an Glück. Es fiel Ulrich aber ein, daß beide ein Äußerstes sind, der lebensliebe wie der vom Unwillen beschattete Mensch, und darum dachte er an den mannigfaltigen Ausgleich, der das Gewöhnliche ist. Zu diesem Ausgleich von Liebe und Haß, und somit zu den Vorgängen und Gebilden, mit deren Hilfe sie sich ins Einvernehmen setzen, gehören zum Beispiel die Gerechtigkeit und alle anderen Formen des Maßhaltens; gehört aber nicht minder auch die Bildung der Genossenschaften von zweien oder von unzähligen Vereinigungen, die wie gefütterte Nester mit auswendigen Dornengürteln sind; es gehört auch die Gottesgewißheit dazu; und Ulrich wußte, daß in dieser Reihe endlich auch das geistig-sinnliche Gebilde der »Schwester« als ein gewagtestes Mittel seinen Platz habe. Aus welcher Schwäche der Seele dieser Traum seine Feuchtigkeit zog, stand darum hintan, und voran stand als Ursprung ein eigentlich übermenschliches Mißverhältnis. Und wahrscheinlich hatte Ulrich aus diesem Grunde auch von Widerweltlichkeit gesprochen, denn wer die Tiefe der guten und bösen Leidenschaft kennt, dem zerfällt alles Übereinkömmliche, das dazwischen vermittelt, und nicht um die Leidenschaft zum eigenen Blut zu beschönigen, hatte er also gesprochen.

Ohne sich Rechenschaft zu geben, warum er es tue, erzählte er Agathe nun auch ein zweites Geschichtchen, das anfangs gar keinen Zusammenhang mit dem ersten zu haben schien. »Es ist mir einmal vor Augen gekommen und wirklich soll es sich auch in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs zugetragen haben, als ohnegleichen Menschen und Völker durcheinandergeworfen worden sind« begann er. »Aus einer Gruppe einsam liegender Bauernhöfe waren die meisten Männer von den Kriegsdiensten entführt worden, keiner von ihnen kam wieder, und die Frauen führten allein die Wirtschaft, was ihnen mühevoll und verdrießlich war. Da geschah es, daß einer von den verschollenen Männern in die Heimat zurückkehrte und sich nach vielen Abenteuern bei seinem Weib meldete. Ich will aber lieber gleich sagen, daß es nicht der rechte Mann gewesen ist, sondern ein Landstreicher und Betrüger, der einige Monate lang mit dem Verschollenen und vielleicht Zugrundegegangenen Marsch und Lager geteilt und sich dessen Erzählungen, wenn ihm das Heimweh die Zunge lockerte, so gut eingeprägt hatte, daß er sich für ihn auszugeben vermochte. Er kannte den Kosenamen des Weibs und der Kuh und die Namen und Gewohnheiten der Nachbarn, die überdies nicht nahe wohnten. Er hatte einen Bart, wie und wo ihn der andere gehabt hätte. Er blickte auf eine Art aus zwei Augen, die keine besondere Farbe hatten, daß man wohl meinen konnte, er hätte es auch früher nicht viel anders getan, und ob seine Stimme zwar anfangs befremdete, ließ es sich immerhin dadurch erklären, daß man früher nie so genau auf sie geachtet hatte wie jetzt. Kurz und gut, der Mann wußte seinen Vorgänger Zug um Zug zu vertreten, wie ein grobes und unähnliches Bild anfangs abstößt, aber umso ähnlicher wird, je länger man mit ihm allein bleibt, und schließlich ganz die Erinnerung einschüchtert. Ich meine wohl, daß manchmal etwas wie ein Grauen die Frau gewarnt haben wird, er wäre es nicht; aber sie hat ihren Mann wieder haben wollen, und vielleicht überhaupt nur einen Mann, und so ist der Fremde in seiner Rolle immer fester geworden –«

»Und wie ist das ausgegangen?« fragte Agathe.

»Ich weiß es nicht mehr. Wahrscheinlich wird dieser Mensch durch irgendeinen Zufall doch entlarvt worden sein. Aber der Mensch im allgemeinen wird es sein Lebtag nicht!«

»Du willst sagen: Man liebt immer bloß die Stellvertreter der Richtigen? Oder du willst sagen: Wenn ein Mensch zum zweiten Mal liebt, so verwechselt er zwar nicht die Personen, aber das Bild der neuen ist an vielen Stellen nur eine Übermalung von dem der alten?« fragte Agathe mit einem anmutigen Gähnen.

»Ich habe noch viel mehr sagen wollen, und es ist viel langweiliger« gab Ulrich zur Antwort. »Versuche dir einen Farbenblinden vorzustellen, dem Helligkeiten und Abschattungen fast völlig die farbige Welt vertreten: er sieht keine einzige Farbe, und kann sich doch wahrscheinlich so verhalten, daß man es nicht bemerkt, denn was er zu sehen vermag, vertritt ihm das, was er nicht sehen kann. So aber, wie es hier in einem besonderen Bezirk geschieht, ergeht es uns allen eigentlich mit der Wirklichkeit. Sie zeigt sich in unseren Erlebnissen und Forschungen nie anders wie durch ein Glas, das teils den Blick durchläßt, teils den Hineinblickenden widerspiegelt. Wenn ich das zartgerötete Weiß auf deiner Hand betrachte oder die widersetzliche Innigkeit deines Fleisches in meinen Fingern fühle, habe ich Wirkliches vor mir, aber nicht so, wie es wirklich ist; und ebenso wenig, wenn ich es bis auf die letzten Atome und Formeln zurückführe!«

»Warum strengt man sich denn an, es auf etwas zurückzuführen, das abscheulich ist?«

»Erinnerst du dich an das, was ich von der geistigen Abbildung der Natur gesagt habe, vom Bildsein ohne Ähnlichkeit? Man kann irgendetwas in sehr verschiedener Hinsicht als das genaue Abbild von etwas anderem auffassen; aber immer muß dann alles, was in dem Bild vorkommt oder sich aus ihm ergibt, in eben dieser bestimmten Hinsicht ein Abbild von dem sein, was die Durchforschung des Urbilds zeigt. Bewährt sich das auch dort, wo es ursprünglich nicht vorhergesehen werden konnte, so ist das Bild dann gerechtfertigt, wie es nur sein kann. Das ist ein sehr allgemeiner und sehr unsinnlicher Begriff von Bildlichkeit. Er setzt ein bestimmtes Verhältnis zweier Bereiche voraus und gibt zu verstehen, daß es sich als Abbildung auffassen lasse, wenn es sich ohne Ausnahme über beide erstrecke. In diesem Sinn kann eine mathematische Formel das Bild eines Naturvorganges sein, so gut wie die sinnliche äußere Ähnlichkeit eine Abbildung begründet. Eine Theorie kann sich in ihren Folgen mit der Wirklichkeit decken, und die Wirklichkeit mit der Theorie. Eine Tonwalze ist das Abbild einer Singweise und eine Handlung das eines schwankenden Gefühls. In der Mathematik, wo man vor lauter Entwicklung des Denkens am liebsten nur noch dem trauen möchte, was sich an den Fingern abzählen läßt, wird gewöhnlich bloß von der Genauigkeit der Zuordnung gesprochen, die Punkt für Punkt möglich sein muß. Aber im Grunde läßt sich alles, was Entsprechung, Vertretbarkeit zu einem Zweck, Gleichwertigkeit und Vertauschbarkeit oder Gleichheit in Hinsicht auf etwas, oder Ununterscheidbarkeit, oder Angemessenheit aneinander nach irgendeinem Maß heißt, auch als ein Abbildungsverhältnis auffassen. Eine Abbildung ist also ungefähr ein Verhältnis der völligen Entsprechung in Ansehung irgendeines solchen Verhältnisses –«

Agathe unterbrach diese Darlegung, die Ulrich etwas unlustig und pflichtgemäß vortrug, mit den warnenden Worten: »Durch all das könntest du einmal einen der neuen Maler in Begeisterung versetzen –«

»Oh, warum nicht!« gab er zur Antwort. »Überlege dir, welchen Sinn es hat, dort von Naturtreue und Ähnlichkeit zu reden, wo schon das Räumliche durch eine Fläche ersetzt wird oder die Buntheit des Lebens durch Metall oder Stein. Darum sind die Künstler, die diese Begriffe der sinnlichen Nachbildung und Ähnlichkeit als photographisch von sich weisen und außer einigen mit Werkstoff und Gerät überlieferten Gesetzen nur die Inspiration oder irgendeine ihnen geoffenbarte Theorie anerkennen, gar nicht ganz im Unrecht; aber die abgebildeten Kunden, die sich nach dem Vollzug dieser Gesetze wie die Opfer eines Justizirrtums vorkommen, sind es meistens auch nicht –« Ulrich machte eine Pause. Obwohl es seine Absicht gewesen war, nur darum von dem logisch strengen Begriff der Abbildung zu sprechen, daß er aus ihm die freien, und doch keineswegs beliebigen Folgerungen ziehen könne, von denen die verschiedenen im Leben vorkommenden Bildverhältnisse beherrscht werden, schwieg er jetzt. Es befriedigte ihn nicht, sich bei diesem Versuch zu beobachten. Er hatte in letzter Zeit viel vergessen, was ihm früher geläufig gewesen war, besser gesagt, er hatte es beiseite geschoben; sogar die scharfen Ausdrücke und Begriffe seines früheren Berufes, die er so oft benutzt hatte, waren ihm nicht mehr gefügig, und er spürte auf der Suche nach ihnen nicht nur eine unangenehme Trockenheit, sondern fürchtete sich auch, wie ein Pfuscher zu reden.

»Du hast gesagt, daß einem Farbblinden nichts fehlt, wenn er die Welt sieht!« ermunterte ihn Agathe.

»Ja. Natürlich hätte ich es nicht ganz so sagen sollen« erwiderte Ulrich. »Es ist alles in allem noch eine unklare Frage. Schon wenn man sich auf das geistige Bild beschränkt, das der Verstand von irgendetwas gewinnt, gerät man bei der Frage, ob es wahr sei, in die größten Schwierigkeiten, obschon man durchwegs eine trockene und lichtdurchglänzte Luft atmet. Nun sind gar die Bilder, die wir uns im Leben machen, um richtig handeln und fühlen zu können oder auch kräftig handeln und fühlen zu können, nicht bloß vom Verstand abhängig, ja oft sind sie höchst unverständig und nach seinen Maßen unähnliche Bilder; und doch müssen sie ihren Dienst erfüllen, damit wir in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und uns selbst bleiben. Sie müssen also nach irgendeinem Bildschlüssel oder irgendeiner Gebrauchsanweisung und gemäß dem Begriff, der die Art der Abbildung bestimmt, auch genau und vollständig sein, selbst wenn dieser Begriff Raum für verschiedene Ausführungen läßt –«

Agathe unterbrach ihn lebhaft. Sie hatte plötzlich den Zusammenhang erfaßt. »Der falsche Bauer ist also ein Abbild des echten gewesen?« fragte sie.

Ulrich nickte. »Ursprünglich hat ja auch ein Bild immer seinen Gegenstand ganz vertreten. Es hat Macht über ihn verliehen. Wer einem Bild die Augen oder das Herz ausstach, tötete den Abgebildeten. Wer sich des Bildes einer unzugänglichen Schönen heimlich bemächtigte, dem fiel sie anheim. Auch der Name gehört zu den Bildern; und so hat man Gott bei seinem Namen beschwören können, was soviel hieß wie gefügig machen. Wie du weißt, entwendet man übrigens auch heute noch heimlich Erinnerungszeichen oder schenkt sich Ringe mit dem eingegrabenen Namen und trägt Bilder und Locken als Talisman am Herzen. Da hat sich also etwas im Lauf der Zeit gespalten; das Ganze ist zum Aberglauben herabgesunken, und ein Teil hat dafür die trockene Würde der Photographie, der Geometrie oder Ähnliches erreicht. Aber denke einmal an den Hypnotisierten, der mit allen Anzeichen des Wohlgefallens in eine Kartoffel beißt, die ihm einen saftigen Apfel vertritt, oder denke an die Puppen deiner Kindheit, die du umso leidenschaftlicher geliebt hast, je einfacher und der Menschenähnlichkeit ferner sie gewesen sind, so bemerkst du, daß es nicht auf das Äußere ankommt, und bist wieder bei dem bolzsteifen Fetischpfahl, der einen Gott darstellt –«

»Sollte man nicht beinahe sagen können, je unähnlicher ein Bild sei, desto größer die Leidenschaft dafür, sobald wir uns daran gebunden haben?« fragte Agathe.

»Wahrhaftig!« stimmte ihr Ulrich bei. »Unser Verstand, unsere Wahrnehmung haben sich in dieser Frage von unserem Gefühl getrennt. Man kann sagen, daß die ergreifendsten Stellvertretungen immer etwas Unähnliches haben.« Er betrachtete sie lächelnd von der Seite und fügte hinzu: »Wenn ich nicht in deiner Gegenwart bin, sehe ich dich nicht ähnlich vor mir, so wie dich einer malen möchte; sondern mir ist eher, als hättest du in ein Wasser geblickt und ich bemühte mich vergeblich, darin mit dem Finger dein Bild nachzuzeichnen. Ich möchte behaupten, daß man nur Gleichgültiges richtig und ähnlich sieht.«

»Seltsam!« erwiderte seine Schwester. »Ich sehe dich genau vor mir! Vielleicht weil mein Gedächtnis überhaupt zu genau und unselbständig ist!«

»Ähnlichkeit der Abbildung ist eine Annäherung an das, was der Verstand wirklich und gleich findet; es ist ein Zugeständnis an ihn!« sagte Ulrich artig und fuhr vermittelnd fort: »Daneben gibt es aber doch auch die Bilder, die sich an unser Gefühl wenden, und ein Kunstbild ist zum Beispiel eine Mischung aus beiden Ansprüchen. Willst du aber darüber hinaus bis dorthin gehen, wo etwas nur noch für das Gefühl etwas anderes vertritt, so mußt du an solche Beispiele denken wie eine flatternde Fahne, die in besonderen Augenblicken ein Bild unserer Ehre ist –«

»Da läßt sich doch nur noch von einem Symbol, aber von keinem Bild mehr reden!« warf Agathe ein.

»Sinnbild, Gleichnis, Bild, es geht ineinander über« meinte Ulrich. »Sogar solche Beispiele gehören hieher wie das Krankheitsbild und der Heilungsplan, die sich ein Arzt macht. Sie müssen die erfinderische Ungenauigkeit der Einbildung, immerhin aber auch die Genauigkeit der Ausführbarkeit haben. Diese geschmeidige Grenze zwischen der Einbildung des Planens und dem Bild, das vor der Wirklichkeit bestehen bleibt, ist im Leben überall wichtig und schwer zu finden.«

»Wie verschieden wir sind!« wiederholte Agathe nachdenklich.

Ulrich wehrte den Vorwurf lächelnd ab. »Sehr! Ich spreche von der Ungenauigkeit, etwas für etwas zu nehmen, als von einer Fruchtbarkeit und Leben spendenden Gottheit und bemühe mich, ihr so viel Ordnung beizubringen, als sie verträgt; und du bemerkst nicht, daß ich längst auch von der wahrhaften Möglichkeit doppelgängerischer Zwillinge rede, zwei Seelen zu haben und eine zu sein?« Er fuhr lebhaft fort: »Stelle dir Zwillinge vor, die einander ›zum Verwechseln‹ ähnlich sehen, stelle sie dir in der gleichen Haltung vor, und bloß durch eine als Strich angedeutete Wand getrennt, die dir bestätigt, daß es zwei selbständige Wesen sind. Und nun mögen sie in einer unheimlichen Steigerung einander auch in dem, was sie tun, wiederholen, so daß du unwillkürlich das gleiche von ihrem Innern annimmst: Was ist das Unheimliche dieser Vorstellung? Daß wir sie an nichts unterscheiden können, und daß sie doch zwei sind! Daß für uns in allem, was wir mit ihnen unternehmen können, der eine so gut wie der andere ist, obwohl sich an ihnen dabei doch etwas wie ein Schicksal vollzöge! Kurz, daß sie für uns gleich sind, und für sich nicht!«

»Warum treibst du solchen gruseligen Spuk mit den Zwillingen?« fragte Agathe.

»Weil das ein Fall ist, der oft vorkommt. Es ist der Fall des Verwechselns, der Gleichgültigkeit, des in Bausch und Bogen Nehmens und Behandelns, der Vertretbarkeit..., also ein Hauptkapitel aus den Bräuchen des Lebens. Ich habe es bloß ausgeschmückt, um es dir etwas auffälliger zu machen. Denn nun kehre ich es um: Unter welchen Umständen werden die Zwillinge für uns zweierlei und für sich ein und dasselbe sein? Ist das auch Spuk?«

Agathe preßte seinen Arm und seufzte. Dann gab sie zu: »Wenn es möglich ist, daß zwei Menschen für die Welt gleich sind, so könnte es auch sein, daß uns ein Mensch doppelt erscheint. – Aber du zwingst mich, Unsinn zu reden!« fügte sie bei.

»Stell dir zwei Goldfische in einem Glas vor« bat Ulrich.

»Nein!« sagte Agathe entschlossen, wenn auch lachend. »Ich tue nicht mehr mit!«

»Bitte, stell es dir vor! Ein kugelförmiges großes Glas, wie man es manchmal in einem Salon sieht. Du kannst nebenbei denken, daß das Glas auch so groß sein kann wie die Grenzen unseres Grundstücks. Und zwei golden rötliche Fische, die ihre Flossen wie Schleier bewegen und langsam auf und nieder schwingen. Lassen wir beiseite, ob sie wirklich zwei oder eins sind. Für einander werden sie vorerst jedenfalls zwei sein; dafür sorgen schon der Futterneid und das Geschlecht. Auch weichen sie einander ja aus, wenn sie sich zu nahe kommen. Ich kann mir aber gut vorstellen, daß sie für mich eins werden: Ich brauche bloß auf diese Bewegung zu achten, die sich langsam einzieht und entfaltet, so ist das einzelne schimmernde Geschöpf bloß ein unselbständiger Teil dieser gemeinsam auf und ab steigenden Bewegung. Nun frage ich, wann es ihnen selbst auch so geschehen könnte.«

»Es sind Goldfische!« warnte Agathe. »Und keine Tanzgruppe, die an übernatürlichen Einbildungen leidet!«

»Es sind du und ich,« entgegnete ihr Bruder nachdenklich »und darum möchte ich auch versuchen, den Vergleich richtig zu Ende zu bringen. Es scheint mir eine lösbare Aufgabe zu sein, sich vorzustellen, wie an ihrer geteilt-einigen Bewegung die Welt vorbeigleitet. Es geschieht nicht anders, als sich an einem Eisenbahnzug, der durch Krümmungen fährt, die Welt vorbeidreht; bloß geschieht es zweifach, so daß zu jedem Augenblick des Doppelwesens zwei Stellungen der Welt gehören, die irgendwie seelisch zusammenfallen müssen, das heißt, es wird niemals der Einfall mit ihnen verbunden sein, durch eine Bewegung von der einen zur andern zu gelangen; es wird nicht der Eindruck einer zwischen ihnen bestehenden Entfernung entstehen; noch desgleichen mehr. Ich glaube, mir vorstellen zu können, daß man sich ganz leidlich auch in einer solchen Welt zurechtfände, und es ließe sich dazu wohl auf verschiedene Art die nötige Beschaffenheit der Sinneswerkzeuge und Auffassungsvorgänge ausklügeln.« Ulrich blieb einen Augenblick stehen und dachte nach. Manche Einwände waren ihm bewußt geworden, und auch die Möglichkeit ihrer Abschaffung deutete sich an. Er lächelte schuldbewußt. Dann sagte er: »Aber wenn wir annehmen, daß diese Beschaffenheit der unseren gleich sei, ist die Aufgabe gar viel leichter! Die beiden schwebenden Geschöpfe werden sich ja auch dann schon als eines fühlen, ohne daß sie durch die Verschiedenheit ihrer Wahrnehmungen darin gestört würden, und ohne daß es dazu einer höheren Geometrie und Physiologie bedürfte, so du bloß glauben willst, daß sie seelisch aneinander stärker gebunden sind als an die Welt. Wenn irgend etwas ihnen gemeinsam Wichtiges unendlich stärker ist als die Verschiedenheit ihrer Erlebnisse; wenn es diese überdeckt und gar nicht erst zu Bewußtsein kommen läßt; wenn ihnen das störend von der Welt Kommende nicht des Bewußtseins wert ist, wird das geschehn. Und es kann eine gemeinsame Suggestion solche Wirkung haben; oder eine süße Nachlässigkeit und Ungenauigkeit der Aufnahmegewohnheiten, die alles verwechselt; oder einseitige Spannung und Überspanntheit, die nur das Erwünschte durchläßt; eines, wie mir scheint, so gut wie das andere –« Nun lachte ihn Agathe aus: »Wozu habe ich dann die ganze Genauigkeit der Abbildungsverhältnisse durchexerzieren müssen?« fragte sie.

Ulrich zuckte die Achseln: »Es hängt alles miteinander zusammen« erwiderte er verstummend.

Er wußte selbst, daß er in seinen Anläufen nirgends durchgedrungen sei, und ihre Verschiedenheit verwirrte seine Erinnerung. Es sah voraus, daß sie sich wiederholen würden. Aber er war müde. Und wie die Welt im versiegenden Licht traulich schwer wird und alle Glieder an sich zieht, so drang Agathes Nachbarschaft wieder körperlich zwischen seine Gedanken, während sein Geist versagte. Sie hatten sich beide daran gewöhnt, solche schwierigen Gespräche zu führen, und diese waren schon seit längerer Zeit so gemischt aus dem Treiben der Einbildungskraft und der vergeblichen äußersten Anstrengung des Verstandes, es zu sichern, daß es ihnen beiden nichts Neues war, bald auf eine Entscheidung zu hoffen, bald sich von ihren eigenen Worten im Gehen und Stehen kaum anders einwiegen zu lassen, als man auf das kindlich vergnügte Selbstgespräch eines Brunnens horcht, der lallend vom Ewigen schwätzt. In diesem Zustand fiel Ulrich jetzt nachzüglerisch noch etwas ein, und er griff wieder auf seine sorgfältig untermalte Parabel zurück. »Es ist erstaunlich einfach, aber doch auch seltsam, und ich weiß nicht, wie ich es dir überzeugend sagen soll« meinte er. »Du siehst jene Wolke dort an einer etwas anderen Stelle als ich, und auch sonst vermutlich etwas anders; und davon haben wir gesprochen, daß, was du siehst und tust und was dir einfällt, niemals dem gleich sein wird, was mir widerfährt und was ich tue. Und die Frage haben wir untersucht, ob es nicht trotzdem möglich wäre, bis ins letzte eins zu sein, und zu zweien mit einer Seele zu leben? Wir haben allerhand ausgezirkelte Antworten angedeutet, aber die einfachste habe ich dabei vergessen: daß die beiden Menschen gesonnen und imstande sein könnten, alles, was sie erleben, nur als Gleichnis hinzunehmen! Bedenke bloß, daß jedes Gleichnis für den Verstand zweideutig, aber für das Gefühl eindeutig ist. Wem die Welt bloß ein Gleichnis ist, der könnte also wohl, was nach ihren Maßen zwei ist, nach den seinen als eins erleben.« In diesem Augenblick schwebte es Ulrich sogar vor, daß in einem Lebensverhalten, dem das Hiersein bloß ein Gleichnis des Dortseins wäre, sogar das Nichterlebbare, in zwei getrennt wandelnden Körpern eine Person zu sein, den Stachel seiner Unmöglichkeit verlöre; und er schickte sich an, darüber weiterzusprechen.

Aber Agathe zeigte auf die Wolke und unterbrach ihn zungenfertig: »Hamlet: ›Seht Ihr die Wolke dort, beinah' in Gestalt eines Kamels?‹ Polonius: ›Beim Himmel, sie sieht auch wirklich aus wie ein Kamel.‹ Hamlet: ›Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel.‹ Polonius: ›Sie hat einen Rücken wie ein Wiesel.‹ Hamlet: ›Oder wie ein Walfisch?‹ Polonius: ›Ganz wie ein Walfisch!‹« Sie brachte es so hervor, daß es ein Spottbild geflissentlicher Übereinstimmung war.

Ulrich begriff den Einwand, fuhr aber unbehindert fort: »Man sagt doch von einem Gleichnis auch, daß es ein Bild sei. Und ebenso gut ließe sich von jedem Bild sagen, daß es ein Gleichnis wäre. Aber keines ist eine Gleichheit. Und eben daraus, daß es einer nicht nach Gleichheit, sondern nach Gleichnishaftigkeit geordneten Welt angehört, läßt sich die große Stellvertretungskraft, die heftige Wirkung erklären, die gerade ganz dunklen und unähnlichen Nachbildungen zukommt und von der wir gesprochen haben!« Dieser Gedanke selbst wuchs durch sein Zwielicht, und er vollendete ihn nicht; die unmittelbare Erinnerung an das, was über Abbildungen gesprochen worden, verband sich darin mit dem Bild der Zwillinge und mit der erlebten bildschönen Erstarrung Agathes, die sich vor den Augen ihres Bruders wiederholt hatte, und dieses Gemenge wurde von fernher belebt durch die Erinnerung daran, wie oft solche Gespräche, wenn sie am schönsten waren und aus ganzer Seele kamen, selbst eine Neigung bekundeten, sich nur noch in Gleichnissen auszudrücken. Heute aber geschah das nicht, und Agathe traf nun wie ein Schütze die empfindliche Stelle, als sie ihren Bruder wieder mit einer Bemerkung störte. »Warum, in aller Welt, gehen denn deine Wünsche und Worte überhaupt nach einer Frau, die abenteuerlich genau deine zweite Ausgabe sein soll!« rief sie unschuldig verletzend aus. Trotzdem war ihr ein wenig bang vor der Erwiderung und sie schützte sich auch durch eine Wendung ins Allgemeine: »Kann man es denn verstehen, warum in aller Welt das Ideal aller Liebenden es ist, ein Wesen zu werden, ungeachtet diese Undankbaren fast allen Reiz der Liebe gerade dem verdanken, daß sie zwei Wesen und als Geschlecht verlockend ungleich sind?« Sie fügte scheinheilig, aber noch arglistiger zielend hinzu: »Sie sagen sogar manchmal zu einander, als wollten sie dir entgegenkommen: ›du bist meine Puppe!‹«

Ulrich nahm indessen den Spott hin. Er hielt ihn für gerecht, und es war schwierig, ihn durch eine neue Anpassung zu widerlegen. Es war in dem Augenblick auch nicht nötig. Denn obzwar die Geschwister sehr verschieden sprachen, waren sie doch einig. Von einer unbestimmten Grenze an fühlten sie sich als ein Wesen; so wie aus zwei Menschen, die vierhändig spielen oder zweistimmig laut eine Schrift lesen, die für ihr Heil wichtig ist, ein Wesen ersteht, dessen bewegter, hellerer Umriß sich ohne Deutlichkeit von einem Schattengrund abhebt. Wie in einem Traum schwebte es ihnen vor, zu einer Gestalt zu verschmelzen – ebenso unbegreiflich, überzeugend und leidenschaftsschön, wie es da geschieht, daß zwei Menschen nebeneinander vorkommen, und heimlich derselbe sind; und es war durch die in letzter Zeit hervorgetretene nachdenkliche Behandlung teils gestützt, teils gestört worden. Von diesen Überlegungen ließe sich sagen, daß es nicht unmöglich sein sollte, was der Wirkung des Gefühls im Schlaf gelingt, auch bei wachem Bewußtsein zu wiederholen; vielleicht mit Auslassungen, gewiß auf veränderte Art und durch andere Vorgänge, es könnte aber auch zu erwarten sein, daß es dann mit größerer Widerstandsfähigkeit gegen die auflösenden Einflüsse der wachen Welt geschieht. Sie sahen sich davon freilich weit genug entfernt, und sogar die Wahl der Mittel, die sie bevorzugten, unterschied sie von einander, insofern als Ulrich mehr zur Rechenschaft neigte und Agathe zum unbedacht gläubigen Entschluß.

Darum geschah es oft, daß scheinbar das Ende einer Aussprache weiter vom Ziel war als der Anfang, wie auch diesmal im Garten, wo die Zusammenkunft beinahe wie ein Versuch, nicht mehr zu atmen, begonnen hatte und einstweilen geradezu in Mutmaßungen über die Bauweise von verschiedenen gedachten Kartenhäusern übergegangen war. Im Grunde war es aber natürlich, daß sie sich verhindert fühlten, nach ihren allzu kühnen Gedanken zu handeln. Denn wie sollten sie etwas verwirklichen, das sie selbst als die lautere Unwirklichkeit planten, und wie sollte ihnen das Handeln in einem Geiste leicht fallen, der recht eigentlich ein Zaubergeist der Untätigkeit war. Darum wünschten sie sich inmitten ihrer weltabgeschlossenen Unterhaltung plötzlich recht lebendig, wieder mit Menschen in Berührung zu kommen.

 

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