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Schwierigkeiten, wo sie nicht gesucht werden

 

Wie steht es um das so berühmte wie gern erlebte Beispiel der Liebe zwischen sogenannten zwei Personen verschiedenen Geschlechts? Es ist ein besonderer Fall des Gebotes, Liebe deinen Nächsten, ohne zu wissen, wie er ist; und eine Probe auf das Verhältnis, das zwischen Liebe und Wirklichkeit besteht.

Man macht sich aus einander die Puppen, mit denen man schon in Liebesträumen gespielt hat.

Und was der andere meint, denkt und wirklich ist, hat keinen Einfluß darauf?

Solange man ihn liebt und weil man ihn liebt, ist alles bezaubernd; aber umgekehrt gilt das nicht. Noch nie hat eine Frau einen Mann wegen seiner Meinungen und Gedanken geliebt, oder ein Mann eine Frau wegen der ihren. Diese spielen bloß eine wichtige Nebenrolle. Überdies gilt davon das gleiche wie vom Zorn: versteht man unvoreingenommen, was der andere meint, ist nicht bloß der Zorn entwaffnet, sondern wider ihre Erwartung meist auch die Liebe.

Aber namentlich anfangs spielt es doch oft die Hauptrolle, daß man von der Übereinstimmung der Meinungen entzückt ist?

Der Mann hört sich, wenn er die Stimme der Frau hört, von einem wunderbaren versenkten Orchester wiederholt, und die Frauen sind die unbewußtesten Bauchredner; ohne daß es aus ihrem Mund käme, hören sie sich die klügsten Antworten geben. Es ist jedesmal eine kleine Verkündigung; da tritt ein Mensch aus den Wolken einem andern an die Seite, und alles, was er äußert, dünkt diesen eine himmlische, nach seinem eigenen Kopfmaß gemachte Krone zu sein! Später fühlt man sich natürlich wie ein Betrunkener, der seinen Rausch ausgeschlafen hat.

Dann doch die Werke! Sind die Werke der Liebe, ihre Treue, ihre Opfer und Aufmerksamkeiten, nicht ihr schönster Beweis? Aber Werke sind zweideutig wie alles Stumme! Erinnert man sich seines Lebens als einer bewegten Kette von Geschehnissen und Taten, so kommt es einem Theaterstück gleich, von dessen Dialog man sich nicht ein einziges Wort gemerkt hat und dessen Auftritte recht einförmig die gleichen Höhepunkte haben!

Also liebt man nicht nach Verdienst und Lohn, und im Wechselgesang der sterblich verliebten unsterblichen Geister?

Daß man nicht so geliebt wird, wie man es verdient, ist der Kummer aller alten Jungfern beider Geschlechter!

Es war Agathe, die diese Antwort gab. Die unheimlich schöne Ursachelosigkeit der Liebe und der leichte Rausch der Ungerechtigkeit stiegen aus vergangenen Liebschaften auf und versöhnten sie sogar mit dem Mangel an Würde und Ernst, dessen sie sich wegen ihres Spiels mit Professor Lindner zuweilen anklagte und immer schämte, wenn sie wieder in Ulrichs Nähe war. Ulrich aber hatte das Gespräch herbeigeführt und, während es dauerte, Lust darauf bekommen, sie nach ihren Lebenserinnerungen etwas auszuholen; denn sie urteilte ähnlich über diese Köstlichkeiten wie er von den seinen.

Nun sah sie ihn lachend an. »Hast du niemals einen Menschen über alles geliebt und dich deswegen verachtet?«

»Ich darf es verneinen; aber ich will es auch nicht empört von mir weisen« meinte Ulrich. »Es hätte sein können.«

»Hast du nie einen Menschen trotz der unheimlichen Überzeugung geliebt,« fuhr Agathe angeregt fort »daß dieser Mensch, mag er einen Bart oder einen Busen haben, und den man genau zu kennen meint, und schätzt, und der unaufhörlich von sich und dir redet, eigentlich nur zu Besuch bei der Liebe ist? Man könnte seine Gesinnung und seine Verdienste fortlassen, man könnte sein Schicksal ändern, man könnte ihn mit einem anderen Bart und anderen Beinen ausstatten: man könnte beinahe ihn selber weglassen, und liebte ihn dennoch! – Das heißt, insoweit man ihn eben überhaupt liebt!« fügte sie abschwächend hinzu.

Ihre Stimme hatte einen tiefen Klang, mit einer unruhigen Helligkeit in ihrer Tiefe wie von einem Feuer. Nun setzte sie sich schuldbewußt nieder, weil sie in ungewolltem Eifer von ihrem Stuhl aufgesprungen war.

Auch Ulrich fühlte sich etwas schuldbewußt wegen dieses Gesprächs und lächelte. Er hatte mit keinem Wort etwa die Absicht gehabt, von der Liebe als einem der zeitgemäßen zwiespältigen Gefühle zu sprechen, die man nach neuestem Geschmack »ambivalent« nennt, was ungefähr besagt, daß die Seele, wie es unter Gaunern geschieht, immer mit dem linken Aug zwinkert, wenn sie mit der rechten Hand schwört. Sondern er hatte sich bloß daran ergötzt, daß es der Liebe, um zu entstehen und zu dauern, auf nichts wesentlich ankomme. Das heißt, man liebt jemand trotz allem und ebenso gut wegen nichts; und das heißt, daß entweder das Ganze eine Einbildung ist oder diese Einbildung ein Ganzes, wie die Welt eines ist, in der kein Sperling vom Dach fällt, ohne daß es der Allfühlende gewahr wird.

»Es kommt also überhaupt auf nichts an!« rief Agathe abschließend aus. »Nicht auf das, was einer ist, nicht auf das, was er meint, nicht auf das, was er will, und nicht auf das, was er tut!«

Es war ihnen deutlich, daß sie von der Sicherheit der Seele sprachen, oder, da man ein so großes Wort wohl besser meidet von der Unsicherheit, die sie – das Wort nun bescheiden ungenau und im ganzen gebraucht – in der Seele fühlten. Und daß von Liebe die Rede war, wobei sie einander an deren Wandelbarkeit und Verwandlungskunst erinnerten, geschah nur deshalb, weil diese eines der heftigsten und bestimmtesten Gefühle ist, und trotzdem ein so verdächtiges Gefühl vor dem strengen Gefühl des richtenden Erkennens, daß es selbst dieses ins Wanken bringt. Daran hatten sie aber schon einen Beginn gefunden, als sie kaum in der Sonne der Nächstenliebe gewandelt waren; und sich der Behauptung entsinnend, daß man sogar in dieser holden Benommenheit nicht wisse, ob man wirklich die Menschen, und ob man die wirklichen Menschen liebe, oder ob man, und durch welche Eigenschaften, von einer Einbildung und Umbildung geprellt werde, zeigte sich Ulrich redlich beflissen, das zwischen Gefühl und Erkennen bestehende fragliche Verhältnis wenigstens jetzt und so, wie es sich aus dem gerade verstummten Geplauder ergebe, durch einen Knoten festzuhalten.

»Diese beiden Widersprüche sind darin immer vorhanden und bilden ein Viergespann« meinte er. »Man liebt einen Menschen, weil man ihn kennt; und weil man ihn nicht kennt. Und man erkennt ihn, weil man ihn liebt; und kennt nicht ihn, weil man ihn liebt. Und manchmal steigert sich das so, daß es plötzlich sehr fühlbar wird. Das sind dann die berüchtigten Augenblicke, wo Venus durch Apoll, und Apoll durch Venus auf einen leeren Haubenstock blicken und sich höchlich darüber verwundern, vorher dort etwas anderes gesehen zu haben. Ist dann die Liebe stärker als das Erstaunen, so kommt es zu einem Kampf zwischen diesen beiden, und manchmal geht daraus die Liebe – wenngleich erschöpft, verzweifelt, und unheilbar verwundet – noch einmal als Siegerin hervor. Ist sie aber nicht so stark, so kommt es zu einem Kampf zwischen den sich betrogen wähnenden Personen; zu Beleidigungen, zu rohen Einbrüchen der Wirklichkeit, zu Entehrungen bis ins letzte, die es wieder gutmachen sollen, daß man der Einfältige gewesen sei –« Er hatte diese Unwetter der Liebe oft genug mitgemacht, um sie heute gemächlich beschreiben zu können.

Agathe aber machte dem nun doch ein Ende. »Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich bemerken, daß diese ehelichen und unehelichen Ehrenaffären im ganzen doch sehr überschätzt werden!« wandte sie ein und suchte sich wieder eine bequeme Stellung aus.

»Die ganze Liebe wird überschätzt! Der Wahnsinnige, der in seiner Sinnestäuschung ein Messer zückt und damit einen Unschuldigen durchbohrt, der gerade an der Stelle seiner Halluzination steht –: in der Liebe ist er der Normale!« bestimmte Ulrich und lachte.


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