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Es ist nicht einfach zu lieben

 

Eine bequeme Stellung und gemächlicher Sonnenschein, der zärtlich ist, ohne zudringlich zu sein, förderten diese Gespräche; und diese entstanden zumeist zwischen zwei Liegestühlen, die nicht sowohl in den Schutz und Schatten des Hauses gerückt wurden als vielmehr in das beschattete Licht, das, vom Garten her kommend, an den noch morgendlichen Mauern eine Mäßigung seiner Freiheit erfuhr. Freilich dürfte man nicht glauben, daß die Stühle dort standen, weil die Geschwister – angeregt durch die im gewöhnlichen Sinn bestehende und im höheren vielleicht drohende Unfruchtbarkeit ihrer Beziehung – die Absicht gehabt hätten, ihre Meinung Schopenhauerisch-indisch über das täuschende Wesen der Liebe auszutauschen und sich gegen deren zur Fortsetzung des Lebens verlockende Wahnwirkung durch Zergliederung zu wehren; sondern was das Halbschattige, Schonende und zurückgezogen Neugierige wählen hieß, wäre einfacher zu erklären. Der Gesprächsgegenstand selbst war so beschaffen, daß sich in der unendlichen Erfahrung, durch die der Begriff der Liebe erst deutlich wird, die verschiedensten Verbindungswege bemerken ließen, die von einer Frage zur andern führen. So führten denn auch die zwei Fragen, wie man seinen Nächsten liebe, den man nicht kenne, und wie sich selbst, den man noch weniger kennt, die Neugierde zu der beide umfassenden Frage, wie man überhaupt liebe; oder anders gesagt, was Liebe wohl »eigentlich« sei. Das mag auf den ersten Blick etwas altklug anmuten und wahrlich auch eine allzu verständige Frage für ein Liebespaar sein. Aber sie gewinnt an Geistesverwirrung, sobald man sie auf Millionen Liebespaare und ihre Verschiedenheit ausdehnt.

Diese Millionen sind nicht nur persönlich (was ihr Stolz ist), sondern auch nach Arten des Tuns, Gegenstands und der Beziehung verschieden. Manchmal kann man von Liebespaaren überhaupt nicht sprechen, und doch von Liebe; manchmal von Liebespaaren, aber nicht von Liebe, wobei es etwas gewöhnlicher zugeht. Und das Wort im ganzen umfaßt so viel Widersprüche wie der Sonntag in einer kleinen Landstadt, wo die Bauernburschen um zehn Uhr des Morgens zur Messe gehn, um elf Uhr in einer kleinen Nebengasse das Freudenhaus besuchen und um zwölf Uhr am Hauptplatz ins Wirtshaus zum Essen und Trinken eintreten. Hat es Sinn, ein solches Wort rund herum zu untersuchen? Aber indem man es benutzt, handelt man unbewußt, als ob man bei allen Unterschieden etwas Gemeinsamem inne wäre! – Es ist tausend und eins, einen Spazierstock oder die Ehre zu lieben, und niemand fiele es ein, das in einem Atem zu nennen, wenn man nicht gewohnt wäre, es alle Tage zu tun. Andere Spielarten dessen, was tausend und eins, und doch ein und dasselbe ist, lassen sich mit den Worten anreden: die Flasche, den Tabak und noch schlimmere Gifte zu lieben. Den Spinat und die Bewegung in freier Luft. Den Sport oder den Geist. Die Wahrheit. Die Frau, das Kind, den Hund. Sie ergänzten es, die darüber sprachen: Gott. Die Schönheit, das Vaterland und das Geld. Die Natur, den Freund, den Beruf und das Leben. Die Freiheit. Den Erfolg, die Macht, die Gerechtigkeit oder schlechthin die Tugend. Alles das liebt man; und kurz, es wird fast ebenso vieles mit Liebe verbunden, als es Strebens- und Redensarten gibt. Was ist aber die Unterscheidung und was die Gemeinsamkeit der Lieben?

Vielleicht ist es dienlich, an das Wort Gabeln zu erinnern. Es gibt Eß-, Mist-, Ast-, Gewehr-, Weg- und andere Gabeln; und allen diesen ist ein bildendes Merkmal »Gabeligsein« gemeinsam. Es ist das entscheidende Erlebnis, das Gegabelte, die Gestalt der Gabel an den höchst verschiedenen Dingen, die so heißen. Kommt man von diesen, so erweist sich, daß sie alle unter denselben Begriff gehören; geht man vom anfänglichen Eindruck des Gabeligseins aus, so zeigt sich, daß er durch die Eindrücke der verschiedenen bestimmten Gabeln ausgefüllt und ergänzt wird. Das Gemeinsame ist also eine Form oder Gestalt, und das Unterschiedliche liegt zunächst an den mannigfaltigen Formen, die sie annehmen kann; sodann aber auch an den Gegenständen, die eine solche Form haben, an ihrem Stoff, Zweck und dergleichen. Aber derweil sich jede Gabel mit jeder unmittelbar vergleichen läßt, und sinnlich gegeben ist, wäre es auch nur in einem Kreidestrich oder in der Vorstellung, verhält es sich nicht so mit den verschiedenen Gestalten der Liebe; und der ganze Nutzen des Beispiels schränkt sich auf die Frage ein, ob es nicht doch auch da, entsprechend dem Gabeligsein der Gabeln, ein Haupterlebnis, etwas Liebeliges, Liebseiendes und Liebeartiges, in allen Fällen gebe. Aber die Liebe ist kein Gegenstand sinnlicher Erkenntnis, daß sie mit einem Blick, oder denn auch mit einem Gefühl, zu erfassen wäre, sondern ist ein moralisches Ereignis, wie es vorsätzlicher Mord, Gerechtigkeit oder Verachtung sind; und das hat unter anderem zu bedeuten, daß eine vielfach abbiegende und mannigfach gestützte Kette von Vergleichen zwischen ihren Beispielen möglich ist, deren entferntere einander ganz unähnlich sein können, ja bis zum Gegensatz von einander verschieden, und doch durch einen vom einen ans andere anklingenden Zusammenhang verbunden werden. Von der Liebe handelnd, läßt sich also gar bis zum Haß gelangen; und doch ist nicht etwa die vielberufene »Ambivalenz« davon die Ursache, die Gespaltenheit des Fühlens, sondern gerade die volle Ganzheit des Lebens.

Trotzdem hätte auch ein solches Wort der sich anbahnenden Fortsetzung vorangehen können. Denn Gabeln und ähnlich unschuldige Hilfen beiseite, die gebildete Unterhaltung weiß heutigentags ohne Stocken mit dem Kern und Wesen der Liebe umzugehn, und sich trotzdem so packend auszudrücken, als ob dieser Wesenskern in allen Erscheinungen der Liebe stäke wie das Gabelige in der Mist- oder Salatgabel. Man sagt dann – und auch Ulrich und Agathe hätten durch allgemeine Gewohnheit dazu verleitet werden können – die Hauptsache an allem Liebesartigen sei Libido, oder sagt, daß sie Eros sei. Diese beiden Worte haben nicht die gleiche Geschichte, aber eben doch, und zumal in Ansehung der Gegenwart, eine vergleichbare. Als nämlich die Psychoanalyse (weil eine Zeit, die sich nirgends auf geistige Tiefe einläßt, mit Neugierde hört, daß sie eine Tiefenpsychologie habe) anfing zur Tagesphilosophie zu werden und die bürgerliche Abenteuerlosigkeit unterbrach, ist auch alles und jedes zur Libido erklärt worden, so daß sich am Ende von diesem Schlüssel- und Nachschlüsselbegriff so wenig sagen läßt, was er nicht wäre, wie das, was er ist. Und ganz das gleiche gilt vom Eros; nur ist es denen, die alle körperlichen und seelischen Bindungen der Welt höchst überzeugt auf ihn zurückführen, mit ihrem Eros schon von Anfang an so ergangen. Vergeblich wäre es, Libido mit Trieb und Verlangen, und zwar sexuellem oder präsexuellem, Eros hingegen mit geistiger, ja übersinnlicher Zärtlichkeit zu übersetzen; man müßte denn eine geschichtliche Sonderabhandlung hinzufügen. Der Überdruß daran macht die Unwissenheit zum Vergnügen. Dadurch kam es aber zum voraus dazu, daß das zwischen zwei Liegestühlen geführte Gespräch nicht die angedeutete Richtung einschlug, sondern schon an dem urwüchsig unzulänglichen Verfahren Anziehung und Erholung fand, einfach so viel Beispiele wie möglich von dem zu verbuchen, was Liebe heißt, und sie wie bei einem Spiel aneinander zu reihen, ja sich dabei aufs unbefangenste anzustellen, und auch die unweisesten nicht zu verschmähen.

Und es teilten die bequem Plaudernden, was ihnen an Beispielen einfiel, und wie es ihnen einfiel, ein nach dem Gefühl, nach dem Gegenstand, dem es gilt, und nach der Handlung, in der es sich ausdrückt. Es war aber auch von Vorteil, das Verhalten zuerst vorzunehmen und zu beachten, ob es seinen Namen mehr oder weniger in wirklicher oder in übertragener Bedeutung verdiene. Auf diese Art kam mancherlei Stoff aus verschiedenen Richtungen zusammen.

Vom Gefühl war aber unwillkürlich schon als erstem die Rede gewesen; denn scheinbar ist die ganze Natur der Liebe ein Fühlen. Umso überraschender ist die Antwort, daß das Gefühl das wenigste an der Liebe sei. Für die reine Unerfahrenheit wäre es wie Zucker und Zahnschmerz; nicht ganz so süß und nicht ganz so schmerzhaft, und so unruhig dabei wie von Bremsen geplagtes Vieh. Vielleicht mag dieser Vergleich nicht jedem, der selbst von Liebe geplagt wird, als Meisterstück erscheinen; trotzdem ist auch die übliche Beschreibung eigentlich nicht viel anders: ein Hangen und Bangen, Sehnen und Sehren, und unbestimmtes Begehren! Seit alters scheint es, daß sie nichts Genaueres von diesem Zustand zu erzählen weiß. Aber dieser Mangel an Gefühlseigentümlichkeit ist nicht etwa bloß für die Liebe bezeichnend. Auch ob einer glücklich oder traurig ist, erfährt er nicht so unwiderruflich und geradläufig, wie er das Glatte vom Rauhen unterscheidet, und andere Gefühle lassen sich ebensowenig rein am Fühlen, man möchte sagen, schon am Anfühlen erkennen. Darum war denn schon bei dieser Wendung eine Bemerkung anzubringen, die sie nach Gebühr hätte ergänzen können, und zwar über die ungleiche Anlage und Ausgestaltung von Gefühlen. Das war der Name, den ihr Ulrich vorausschickte; und er hätte auch Anlage, Ausgestaltung, und Verfestigung sagen können.

Denn er leitete sie mit der natürlichen Erfahrung ein, daß jedes Gefühl eine überzeugende Gewißheit seiner selbst mit sich bringe, was offenbar schon zu seinem Kern gehöre, und fügte hinzu, daß aus ebenso allgemeinen Gründen auch angenommen werden müsse, schon bei diesem Kern beginne nicht minder die Verschiedenheit der Gefühle. Man höre es an seinen Beispielen. Die Liebe zu einem Freund hat anderen Ursprung und andere Grundzüge als die zu einem Mädchen, die Liebe zu einer voll aufgeblühten andere als die zu einer heilig verschlossenen Frau; und erst recht sind weiter auseinandergehende Gefühle, wie es, bei der Liebe zu bleiben, Liebe, Verehrung, Lüsternheit, Hörigkeit, oder die Arten der Liebe und die des Widerwillens wären, schon in der Wurzel von einander verschieden. Gibt man beiden diesen Annahmen statt, müßten also alle Gefühle von Anfang bis Ende fest und durchsichtig wie Kristalle sein. Und doch ist kein Gefühl unverwechselbar das, was es zu sein scheint; und weder die Selbstbeobachtung noch die Handlungen, die es bewirkt, geben Sicherheit darüber. Dieser Unterschied zwischen der Selbstgewißheit und der Unsicherheit der Gefühle ist nun gewiß nicht gering. Betrachtet man aber die Entstehung des Gefühls im Zusammenhang mit ihren sowohl physiologischen als auch sozialen Ursachen, wird er ganz natürlich. Diese Ursachen erwecken nämlich in großen Zügen, wie man sagen könnte, bloß die Art eines Gefühls, ohne es im einzelnen zu bestimmen; denn jedem Trieb und jeder Lebenslage, die ihn in Bewegung setzt, entspricht ein ganzes Bündel von Gefühlen, die ihnen Genüge leisten können. Und was davon zu Beginn vorhanden ist, kann man freilich den Kern des Gefühls heißen, das sich noch zwischen Sein und Nichtsein befindet; wollte man ihn aber beschreiben, so ließe sich von ihm, wie immer er auch beschaffen sei, nichts Zutreffenderes angeben, als daß er ein Etwas ist, das sich im Verlauf seiner Entwicklung, und abhängig von vielem, was hinzukommt oder nicht, zu dem Gefühl ausgestalten wird, das aus ihm hat werden sollen. Also hat jedes Gefühl außer seiner ursprünglichen Anlage auch ein Schicksal; und darum, weil seine spätere Entwicklung erst recht von hinzutretenden Bedingungen abhängt, gibt es keines, das von Anfang an untrüglich es selbst wäre, ja vielleicht gibt es nicht einmal eins, das unbezweifelbar und rein Gefühl wäre. Anders gesagt, folgt aus diesem Zusammenwirken von Anlage und Ausgestaltung aber, daß auf dem Gebiet des Gefühls nicht das reine Vorkommen und die eindeutige Erfüllung vorherrschen, sondern die fortschreitende Annäherung und die annähernde Erfüllung. Und etwas Ähnliches gilt auch von allem, das zu erfassen Gefühl verlangt.

Damit endete die von Ulrich herbeigeführte Bemerkung und hatte ungefähr diese Erklärungen in dieser Reihenfolge enthalten. Kaum weniger kurz und übertrieben wie die Behauptung, daß Gefühl das wenigste an der Liebe sei, ließ sich also auch sagen, weil sie ein Gefühl sei, sei sie nicht am Gefühl zu erkennen. Etwas Licht fiel davon übrigens auf die Frage, weshalb er die Liebe ein moralisches Erlebnis genannt hatte. Die drei Hauptworte Anlage, Ausgestaltung und Verfestigung aber waren die Hauptknoten gewesen, die das geordnete Verständnis der Gefühlserscheinung zusammenknüpfen; zumindest nach einer bestimmten grundsätzlichen Auffassung, an die sich Ulrich nicht am unliebsten wandte, wenn er einer solchen Erklärung bedurfte. Aber weil nun die richtige Ausführung von dem allen größere und tiefer ins Lehrmäßige führende Ansprüche gestellt hätte, als er auf sich zu nehmen gewillt war, brach er das Begonnene bei diesem Stande ab.

Die Fortsetzung spannte nach zwei Richtungen. Nach der Ansage des Gesprächs hätten jetzt Gegenstand und Handlung der Liebe an die Reihe kommen sollen, um an ihnen zu bestimmen, was deren höchst ungleiche Erscheinung bewirkt; und schließlich zu erfahren, was Liebe »denn eigentlich« sei. Darum war auch von dem Hineinspielen von Handlungen in die Bestimmung des Gefühls schon bei dessen Ursprung die Rede gewesen, was sich von seinem späteren Schicksal erst recht sollte wiederholen lassen. Aber Agathe stellte noch eine Frage; es wäre nämlich möglich gewesen – und sie hatte Gründe, wenn nicht zum Verdacht, so doch zur Angst vor ihm – daß die von ihrem Bruder gewählte Erklärung eigentlich nur für ein schwaches Gefühl gelte oder für eine Erfahrung, die von starken nichts wissen wolle.

Ulrich erwiderte: »Nicht im mindesten! Gerade in seiner größten Stärke ist das Gefühl nicht am sichersten. In der höchsten Angst ist man gelähmt oder schreit auf, statt zu fliehen oder sich zu wehren. Im höchsten Glück ist oft ein eigenartiger Schmerz. Selbst zu großer Eifer ›schadet nur‹, wie man sagt. Und im allgemeinen läßt sich behaupten, daß im höchsten Fühlen die Gefühle wie in einer Blendung die Farbe verlieren und vergehen. Vielleicht ist die ganze uns bekannte Gefühlswelt nur für ein mittleres Leben beschaffen und hört bei den höchsten Graden auf, wie sie nicht schon bei den geringsten anfängt.« Mittelbar gehörte auch hinzu, was man erfährt, wenn man seine Gefühle beobachtet, besonders wenn man sie »unter die Lupe« nimmt. Sie werden dann undeutlich und sind schwer zu unterscheiden. Was sie dabei an der Deutlichkeit der Stärke verlieren, müßten sie aber durch die der Aufmerksamkeit wenigstens einigermaßen gewinnen, und nicht einmal das tun sie. – So erwiderte Ulrich, und diese Nebeneinanderstellung von Verlöschen des Gefühls in der Selbstbetrachtung und in den höchsten Graden seiner Erregung war nicht zufällig. Denn beides sind Zustände, in denen das Handeln aufgehoben oder gestört ist; und weil der Zusammenhang zwischen Fühlen und Handeln so eng ist, daß ihn manche für eine Einheit halten, ergänzten die beiden Beispiele einander nicht ohne Sinn.

Was er aber zu sagen vermied, war gerade das, was sie beide persönlich davon wußten, daß wirklich mit der höchsten Stufe des Liebesgefühls ein Zustand des geistigen Erlöschens und der körperlichen Ratlosigkeit verbunden sein kann. Darum wandte er das Gespräch von der Bedeutung, die das Handeln fürs Fühlen hat, mit einer gewissen Gewaltsamkeit ab; und scheinbar in der Absicht, wieder der Einteilung der Liebe nach Gegenständen zu erwähnen. Auf den ersten Blick schien sich diese etwas grillenhafte Möglichkeit auch besser zu dem Behuf zu eignen, die Vieldeutige in Ordnung zu bringen. Denn wenn es, mit einem Beispiel zu beginnen, Lästerung ist, die Liebe zu Gott mit dem gleichen Wort zu bezeichnen wie die zum Fischen, so liegt das doch zweifellos an dem Unterschied dessen, dem die Liebe gilt; und so läßt sich die Bedeutung des Gegenstands auch an anderen Beispielen ermessen. Was die ungeheuren Unterschiede in die Beziehung, etwas zu lieben, hineinträgt, ist also nicht sowohl die Liebe als vielmehr das Etwas. So gibt es Gegenstände, welche die Liebe reich und gesund machen; und andere, die sie arm und kränklich machen, als ob das allein an ihnen läge. Es gibt Gegenstände, die die Liebe erwidern müssen, wenn diese ihre ganze Kraft und Eigenart entfalten soll; und andere gibt es, bei denen jede ähnliche Forderung zum voraus sinnlos wäre. Platterdings unterscheidet das die Beziehung zu lebenden Wesen von der zu unbeseelten; aber auch unbeseelt ist der Gegenstand der rechte Gegenspieler der Liebe, und seine Eigenschaften beeinflussen die ihren.

Je ungleichwertiger dieser Gegenspieler nun ist, desto schiefer, um nicht zu sagen leidenschaftsverzerrter, wird sie selbst. »Vergleiche« mahnte Ulrich »die gesunde Liebe junger Menschen für einander und die lächerlich übertriebene des Einsamen zu Hund, Katze oder Piepmatz. Sieh die Leidenschaft zwischen Mann und Frau erlöschen oder wie einen abgewiesenen Bettler lästig werden, wenn sie nicht oder nicht voll erwidert wird. Vergiß auch nicht, daß in ungleichen Verbindungen, wie sie zwischen Eltern und Kindern oder Herr und Diener bestehn, zwischen einem Mann und dem Gegenstand seines Ehrgeizes oder seines Lasters, das Verhältnis zur Gegenliebe der unsicherste, und schlechthin der verderbliche Teil ist. Überall, wo der regelnde natürliche Austausch zwischen dem Zustand und dem Gegenspieler der Liebe mangelhaft ist, entartet sie wie ein ungesundes Gewebe!« – Dieser Gedanke schien ihn durch etwas Besonderes anzuziehen. Er hätte sich vielfach und mit vielen Beispielen ausbreiten lassen; aber während sich Ulrich diese noch überlegte, lenkte etwas, worauf es dabei nicht abgesehen war, das aber wohl den abgesehenen Weg mit Erwartung belebte wie ein querfeldein kommender Wohlgeruch, scheinbar fast versehentlich das Nachdenken auf das, was in der Malerei Stilleben genannt wird, oder nach dem entgegengesetzten, aber ebenso guten Vorgang einer fremden Sprache die Nature morte. »Gewissermaßen ist es lächerlich, daß ein Mensch einen gut gemalten Hummer schätzt,« fuhr Ulrich unvermittelt fort »spiegelblanke Trauben und einen an den Läufen aufgehängten Hasen, in dessen Nähe immer auch ein Fasan ist; denn der menschliche Appetit ist etwas Lächerliches, und gemalter Appetit noch lächerlicher als natürlicher.« Und beide hatten sie das Gefühl, daß diese Anknüpfung tiefer zurückgreife, als es den Anschein hätte, und zu der Fortsetzung dessen gehöre, was sie von sich selbst zu sagen unterlassen hatten.

Denn in den wirklichen Stilleben – Dingen, Tieren, Pflanzen, Landschaften und Menschenkörpern, die in den Kreis der Kunst gebannt worden sind – zeigt sich etwas anderes, als sie darstellen, nämlich die geheimnisvolle Dämonie des gemalten Lebens. Es gibt berühmte solche Bilder, die beiden wußten also, woran sie waren; man tut aber besser, nicht von bestimmten, sondern von einer Art von Bildern zu sprechen, die überdies auch nicht Schule macht, sondern regellos auf den Wink der Schöpfung entsteht. Agathe fragte, woran sie zu erkennen sei. Ulrich lehnte zwar sichtlich ab, ein entscheidendes Merkmal anzugeben, sagte aber doch langsam, lächelnd und ohne Zaudern: »Das erregende, undeutliche, unendliche Echo!«

Und Agathe verstand ihn. Irgendwie fühlt man sich am Strand. Kleine Insekten summen. Die Luft bringt hunderte Wiesengerüche mit sich. Gedanke und Gefühl wandern geschäftig selbander. Aber vor den Augen ist die nicht verantwortende Einöde des Meers, und was am Ufer Bedeutung hat, verliert sich an die eintönige Regung des unendlichen Anblicks. Sie dachte daran, daß alle wahren Stilleben diese glückliche unersättliche Traurigkeit erregen können. Je länger man sie ansieht, desto deutlicher wird es, daß die von ihnen dargestellten Dinge am bunten Ufer des Lebens zu stehen scheinen, das Auge voll Ungeheurem, und die Zunge gelähmt.

Ulrich erwiderte nun mit einer anderen Umschreibung. »Eigentlich malen alle Stilleben die Welt vom sechsten Schöpfungstag; wo Gott und die Welt noch unter sich waren, ohne den Menschen!« Und auf ein fragendes Lächeln seiner Schwester sagte er: »Was sie menschlich erregen, wäre also wohl Eifersucht, geheimnisvolle Neugierde und Kummer!«

Das war beinahe ein »Aperçu«, und nicht einmal das schlechteste; er vermerkte es mißfällig, denn er liebte diese wie Kugeln gedrechselten und flüchtig vergoldeten Einfälle nicht. Er tat aber auch nichts, sich zu verbessern, und ebensowenig fragte seine Schwester danach. Denn sich auskömmlich über die unheimliche Kunst des Stillebens oder der Nature morte zu äußern, war ihnen beiden deren seltsame Ähnlichkeit mit ihrem eigenen Leben hinderlich.

Sie spielte darin eine große Rolle. Ohne daß es nötig wäre, in den Einzelheiten zu wiederholen, was bis zu den gemeinsamen Kindheitserinnerungen zurückreichte, beim Wiedersehen wieder erwacht war, und seither allen Erlebnissen und den meisten Gesprächen etwas Seltsames gab, läßt sich nicht verschweigen, daß der markbetäubte Anhauch des Stillebens daran immer zu spüren war. Unwillkürlich, und ohne etwas Bestimmtes anzunehmen, das sie hätte leiten können, wandten sie darum ihre Neugierde allem zu, was mit dem Wesen des Stillebens Verwandtschaft haben könnte; und es ergab sich mehr oder minder der folgende Wortwechsel, der wie ein Wirtel das Gespräch nochmals spannte und von neuem abrollen ließ!

Vor einem unerschütterlichen Antlitz, das keine Antwort erteilt, um etwas flehen zu müssen, treibt den Menschen in einen Rausch der Verzweiflung, des Angriffs oder der Würdelosigkeit. Ebenso erschütternd, aber unsagbar schön, ist es dagegen, vor einem reglosen Antlitz zu knien, auf dem das Leben vor wenigen Stunden erloschen ist und einen Schein zurückgelassen hat wie ein Sonnenuntergang.

Dieses zweite Beispiel ist sogar ein Gemeinplatz des Gefühls, wenn je etwas so benannt werden darf! Die Welt spricht von der Weihe und Würde des Todes; es gibt das poetische Motiv der aufgebahrten Geliebten seit hunderten, wenn nicht tausenden Jahren; es gibt eine ganze damit verwandte, zumal lyrische Todespoesie. Es ist wahrscheinlich etwas Knabenhaftes daran. Wer malt sich aus, daß ihm der Tod die edelste der Geliebten zu eigen schenkt? Dem der Mut oder die Möglichkeit fehlt, eine lebende zu haben! Von dieser poetischen Knabenhaftigkeit führt eine kurze Linie zu den Schauern der Geister- und Totenbeschwörung; eine zweite zum Greuel der wirklichen Nekrophilie; vielleicht eine dritte zu den krankhaften zwei Gegensätzen des Exhibitionismus und der gewaltsamen Nötigung.

Das mögen befremdliche Vergleichungen sein, und zum Teil sind es höchst unappetitliche. Aber wenn man sich davon nicht abhalten läßt und sie sozusagen medizinisch-psychologisch betrachtet, zeigt sich, daß eins allen gemeinsam ist: eine Unmöglichkeit, ein Unvermögen, ein Mangel an natürlichem Mut oder Mut zum natürlichen Leben.

Auch ist aus ihnen die Erfahrung zu gewinnen, wenn man sich zu einem solchen Zweck denn schon auf gewagte Vergleiche eingelassen hat, daß das Schweigen, die Ohnmacht und jedwede Unvollständigkeit des Gegenspielers mit der Wirkung verbunden ist, das Gemüt in Überspanntheit zu versetzen.

So wiederholt sich vornehmlich doch, was auch früher gesagt worden, daß ein ungleichwertiger Gegenspieler die Liebe schief macht; es wäre bloß beizufügen, daß es nicht selten schon eine schiefe Verfassung des Gefühls ist, die ihn überhaupt wählen heißt. Und umgekehrt, wäre es der erwidernde, lebende, handelnde Mitspieler, der die Gefühle in Ordnung hält und bestimmt, und ohne den sie zur Spiegelfechterei entarten.

Das Stilleben aber, ist sein seltsamer Reiz nicht auch Spiegelfechterei? Ja, fast eine ätherische Nekrophilie?

Und doch ist eine ähnliche Spiegelfechterei auch in den Blicken von glücklich Liebenden als Ausdruck ihres Höchsten. Sie sehen einander ins Auge, können sich nicht losreißen und vergehen in einem wie Gummi dehnbaren unendlichen Gefühl!

Ungefähr so hatte der Wortwechsel also begonnen, aber an dieser Stelle war sein Faden recht eigentlich hängen geblieben; und zwar eine ganze Weile, ehe er wieder weiterlief. Die beiden hatten einander wirklich angesehen und waren dadurch nämlich ins Schweigen verfallen.

Bedarf es aber einer Bemerkung, die das erklärt, und überhaupt solche Gespräche nochmals rechtfertigt und ihren Sinn ausspricht: so ließe sich vielleicht das sagen, was Ulrich begreiflichermaßen in diesem Augenblick bloß einen stummen Einfall bleiben ließ, daß es nämlich beiweitem nicht so einfach sei zu lieben, wie die Natur dadurch glauben machen will, daß sie jedem Stümper unter ihren Geschöpfen die Werkzeuge dazu anvertraut hat.


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