Balduin Möllhausen
Wanderungen durch die Prairien und Wüsten des westlichen Nordamerika
Balduin Möllhausen

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XXXVII.

Das Dampfboot Frémont. – Reise auf demselben nach San Francisco. – Golden Gate. – Capitain Sutter. – Der Hafen von San Francisco. – Die Stadt San Francisco und das Leben daselbst. – Die Markthäuser. – Die Spielhäuser. – Die Chinesen. – Die Goldminen.

Am 23. März 1854 hatten wir also unser Ziel erreicht, unsere Aufgabe vollendet und sollten nunmehr auf dem kürzesten Wege nach Washington zurückkehren, dort die auf der Reise gesammelten Notizen ausarbeiten und Lieutenant Whipple baldmöglichst in den Stand setzen, seinen vollständigen Report nebst seinem Gutachten über die von uns durchforschte Straße dem Congreß vorzulegen. In San Pedro befanden wir uns unter 33º 43' nördlicher Breite und 118º 18' Länge westlich von Greenwich. Zurückgelegt hatten wir während der ganzen Reise 1892 englische Meilen, eine Entfernung, die in gerader Linie 1360 Meilen betragen würde. Eine viel größere Meilenzahl mußten wir zurücklegen, um nach Washington zu gelangen; nur wie im Fluge sollten wir uns an den Küsten Kaliforniens hinauf nach der Weltstadt des Westens, nach San Francisco, begeben, dann, einzelne bedeutende Punkte an der Südsee berührend, der heißen Zone zueilen, die Landenge von Panama überschreiten, durch den Golf von Mexiko an der Ostküste der Vereinigten Staaten hinauf, auf dem schnaubenden Dampfer den weißschäumenden Atlantischen Ocean durchfliegen und in New-York, der östlichen Weltstadt des nordamerikanischen Continents, landen. Mit der Erreichung der Südsee-Küste konnten wir also, wie ich eben bemerkte, unsere Arbeiten im Felde als beendigt betrachten.

Auch der im Anfange dieses Werkes ausgesprochenen Absicht, die Reise unserer Expedition nach dem stillen Ocean zu beschreiben, hätte ich hiermit genügt, um so mehr, als unsere officiellen Tagebücher nur bis zum 23. März, der Ankunft in San Pedro, reichen. Doch wie ich zurückdenke an die Heimreise, die für uns, nach Lösung unserer schweren Aufgabe, ein fortwährendes Fest war; wie ich in Gedanken mir die unter Menschenhänden entstandenen Werke der ältesten und neuesten Zeit ausmale, die ich auf der Heimreise zu bewundern vielfach Gelegenheit hatte: wie ich in der Erinnerung klar und deutlich die Bilder einer verschwenderischen Schöpfung und ihrer Meisterwerke vor mir sehe, von denen der Mensch sich trennt, um einen unauslöschlichen Eindruck für's ganze Leben mitzunehmen, wie dieses Alles vor mich tritt und mich daran erinnert, daß mit jedem Tage mehr Vergangenheit sich zwischen das Jetzt und mein Reiseleben drängt, dann ist es mir, als müßte ich immer und immer wieder im Geiste die von mir besuchten und durchzogenen Räume durcheilen, wohl bekannte Punkte und Gegenstände freundlich begrüßen und immer fester noch die schönen Bilder meinem Gedächtnisse einprägen, um so liebliche Rückerinnerungen in jugendlicher Frische zu erhalten und in meine Schilderungen Leben, Wahrheit und etwas von dem eigenen Enthusiasmus hineinflechten zu können. Nicht als Tagebuch lasse ich daher die Beschreibung meiner Heimreise folgen, sondern als Bilder, gesammelt in dem schätzebergenden Californien und auf der palmenbeschatteten Landenge des altertümlichen Panama, auf dem ewigen Weltmeere und in dem ewig wechselnden Treiben einer rastlos durcheinander wogenden Bevölkerung.

Gleich nach Anbruch des Tages versammelte sich am 24. März am Strande bei San Pedro eine große Gesellschaft, die bald ihre Blicke hinunter auf die leichte Brandung, bald hinauf auf's hohe Meer richtete, wo wie ein Punkt das Dampfboot Frémont sich am Horizonte zeigte.

Der Hafen von San Pedro verdient eigentlich nicht den Namen eines solchen, indem er nur aus einer offenen Einbuchtung des Meeres besteht, die zwischen den beiden am weitesten in's Meer ragenden Punkten 12 bis 15 Meilen in der Breite hat. Nur gegen Ost- und Nordwinde sind die dort ankernden Schiffe gesichert, wogegen dieselben bei Südstürmen ihre Zuflucht hinter der 12 Meilen entfernten Insel Catalina suchen müssen. Nur zwei Gebäude, die zugleich als Wohnungen, Gasthöfe und Waarenlager benutzt werden, befinden sich an diesem Hafen; gewöhnlich halten Schiffe daselbst, um sich mit Wasser zu versehen und zugleich Rindfleisch aufzukaufen, welches sie an dieser Stelle billiger als in anderen mehr besuchten Häfen erhalten.

Eine Viertelmeile von dem Strande warf das Dampfboot Frémont Anker und sendete alsbald seine Boote, die uns mit unseren Sachen an Bord schaffen sollten. Als wir noch mit dem Einschiffen beschäftigt waren, nahmen wir in der Richtung von Los Angeles zwei Reiter wahr, die ihre Pferde zur größten Eile antrieben und augenscheinlich vor Abfahrt des Frémont den Landungsplatz zu erreichen beabsichtigten. Unsere Freude war unbeschreiblich, als wir unseren Doctor Bigelow erkannten, der noch rechtzeitig genug auf der Mission Nachricht von der Ankunft des Dampfbootes erhalten hatte, um, begleitet von einem Führer, durch einen nächtlichen scharfen Ritt sich wieder zu uns gesellen zu können. Das Einschiffen selbst dauerte etwa 1 bis 1 1/2 Stunden, worauf der Schraubendampfer seine Anker lichtete und dem Norden zusteuerte. Wir hatten fast fortwährend Land in Sicht, und wer nicht von der Seekrankheit befallen war, konnte vom Bord des Schiffes aus etwas von dem Charakter der californischen Küstenstriche kennen lernen, die sich bald grün und hügelig, bald als nackte Felsen aus dem Meere erhoben. Drei Tage waren wir auf dieser ersten Seefahrt unterwegs und berührten auf derselben nur die Stadt Monterey, wo wir einige Passagiere, frisches Fleisch und Fische einnahmen.

Monterey hat eine liebliche Lage an dem Abhange sanft ansteigender Hügel, hinter welchen sich die Küstengebirge erheben. Wie bei San Pedro befindet sich auch bei Monterey eine offene Seite, und zwar nach Nordwesten, von welcher die im Hafen ankernden Schiffe nicht gegen Stürme geschützt sind. Gegen Südwest gewährt der in's Meer hineinragende Point Pinos dem ankommenden Schiffe Schutz. Man sieht in der Stadt Häuser, die von Adobes fest und geräumig aufgeführt sind; diese sind zweistöckig und gehören augenscheinlich der älteren Zeit an; die neuen Gebäude sind von Holz erbaut und geben mit ihrem weißen Anstrich dem Orte ein überaus freundliches Aussehen. Abgesondert von der Stadt gegen Osten erhebt sich auf einer Ebene eine alte Kirche, die sich im Zustande des Verfalls befindet: ein kleiner See liegt nicht weit von derselben, welcher, in früherer Zeit mit dem Meere in Verbindung stehend, allmälig durch eine wachsende Sandbank von demselben getrennt sein soll. Die Besatzung des alten Presidio oder der Garnison, die eine etwas erhöhte Lage hat, besteht jetzt aus Militair der Vereinigten Staaten.

Das Dampfboot hielt nur so lange an, als eben nöthig war, um verschiedene Geschäfte zu ordnen, worauf es seine Reise gegen Norden fortsetzte. Unter den an Bord gekommenen Passagieren befand sich Einer, der die Beweise an sich trug, welchen unglücklichen Zufällen die Ansiedler Californiens zuweilen ausgesetzt sind. Es war nämlich ein junger Mann, dessen Kopf mit einem Tuche verbunden war und die untrüglichsten Spuren zeigte, daß eine Verwundung die Ursache dieser Hülle sei. Doctor Bigelow, der ein ungemeines Interesse an Allem zeigte, was in sein Fach schlug, verstand es, auf geschickte Weise Näheres über die Geschichte des jungen Mannes herauszubringen, und was noch mehr war, er veranlaßte denselben, uns die gräßliche Wunde zu zeigen, die ihm erst vor vierzehn Tagen durch ein unglückliches Mißverständnis von seinem Freunde beigebracht worden war, und wunderbar war es, daß ihn dieselbe nicht augenblicklich getödtet hatte. Eine Pistolenkugel war ihm nämlich unter dem rechten Ohr in den Kopf gedrungen und aus dem linken Auge wieder herausgefahren. Nur wenige Tage hatte er an dieser Verwundung darniedergelegen und war jetzt wieder auf dem Wege nach San Francisco, um zusammen mit seinen Gefährten ihrer alten Beschäftigung, dem Viehhandel, obzuliegen. Eine Heerde Rinder zwischen sich treibend, waren diese beiden Händler am frühen Morgen, noch ehe die Dämmerung ihnen zu ihrer Beschäftigung hinlängliches Licht gewährte, aus ihrem Nachtlager, nicht weit von Monterey, aufgebrochen und zogen langsam ihre Straße. Plötzlich entstand an der einen Seite der Heerde wilde Unordnung und lautes Getöse; mehrmals rief der Nachtreibende dem vor dem Zuge Reitenden zu, erhielt jedoch keine Antwort; sei es nun, daß in der Dunkelheit ihm alle Gegenstände in veränderter Gestalt erschienen, oder daß seine aufgeregte Phantasie die Ursache davon war, genug, er glaubte einen Gebirgsbären zu erblicken, der die Heerde angriff. Ohne sich zu besinnen riß er seinen Revolver aus dem Gürtel, zielte auf den vermeintlichen Bären und gab Feuer. – Auf den lauten Schrei, den sein Kamerad ausstieß, stürzte er nach der Stelle hin, wo er ihn denn in seinem Blute liegend fand. Hülfe mußte er bald gefunden haben, denn es wäre sonst unmöglich gewesen, daß der junge Mann diese gräßliche Verwundung, die ihm ein Auge raubte, überlebt hätte.

Am 27. März näherten wir uns dem Hafen von San Francisco. Ehe wir noch die mächtigen Felsenmauern zu unterscheiden vermochten, durch welche das Ufer in das weite Becken führte, erkannten wir die Nähe der Weltstadt an der Menge von Segeln, die nach allen Richtungen hin den Ocean bedeckten. Wir fuhren in nicht allzu großer Entfernung vom Strande nordwärts; thurmähnliche Felsen ragten hin und wieder aus dem Meere hoch empor, und da das Fahrwasser nach den Aussagen der Seeleute nur in der Nahe des Strandes durch unsichtbare Klippen gefährlich wurde, so konnte das Dampfboot, ohne von seiner Richtung abzuweichen, dicht an den sichtbaren Felsmassen hinlaufen. Ein eigenthümliches Schauspiel erwartete uns an den Felseninseln; diese waren nämlich mit Seekühen, Seelöwen und Robben mancher Art dicht bedeckt, die mit neugierigen Augen den heranschwimmenden großen Ruhestörer beobachteten. Ein von einem der Passagiere abgefeuerter Schuß brachte indessen schnell Leben in die regungslos daliegenden Fleisch- und Fettmassen, denn mit Aufbietung aller ihrer Kräfte humpelten die unförmlichen Thiere, immer eins hinter dem anderen, einer überragenden Stelle zu, von welcher sie sich kopfüber in's Meer hinabstürzten und in den Wellen verschwanden. Es lag etwas Komisches in den unbeholfenen Bewegungen der erschreckten Gesellschaft, deren einzelne Mitglieder von der Größe eines Ochsen bis hinab zu der eines kleinen Hundes über einander purzelten und bei dem jedesmaligen Sturz in's Wasser den weißen Schaum hoch aufspritzen machten. Bis dicht an das Felsenthor wiederholte sich dieses Schauspiel, welchem wir mit immer neuem Interesse zuschauten. Doch auch nach anderen Seiten wurde unsere Aufmerksamkeit gelenkt; da waren riesenhafte Fische, die spielend ihre unförmlichen Köpfe über das Wasser hoben und allmälig wieder untertauchten; Tausende und aber Tausende von Vögeln der mannigfaltigsten Art wiegten sich auf den Wellen oder hoben sich wie Wolken in die Lüfte, die von dem wilden fröhlichen Kreischen, Schnattern und Schreien förmlich zitterten, und diese zahllosen Thiere, welche, als seien sie seit dem Schöpfungstage unberührt und ungestört geblieben, in den Lüften, auf den Wellen und in der Tiefe dicht gedrängt sich regten, befanden sich nur wenige Meilen von der geräuschvollen Weltstadt, vor dem Felsenthore des Hafens von San Francisco.

Der ganze Erdball mit seiner ewig wechselnden Oberfläche, mit Allem, was über derselben und in ihrem Schooße lebt, wurde für den Menschen geschaffen; doch wem es vergönnt ist, die Wunder der Natur auszusuchen und in dem Anschauen derselben zu schwelgen, der findet oftmals Punkte, von denen er sich sagen muß, daß sie von der Natur liebreich bevorzugt und geschmückt wurden, um den Menschen daselbst durch die Schönheit der Umgebung und die mit derselben zugleich gebotenen Vortheile gleichsam mehr als anderswo zu fesseln. Dieser Gedanke kann nicht fern bleiben, wenn man zwischen hochaufstrebenden Felsen in der breiten sicheren Straße, die den Namen Golden Gate (Goldenes Thor) führt, auf dem eilenden Dampfboote dahin fährt, plötzlich in das schöne weite Becken des Hafens von San Francisco eintritt und sogleich, auf den sich in weiten Bogen hinziehenden Ufern die Spuren eines regen Verkehrs, einer wunderbaren, schnell wachsenden Kultur bemerkt. Da wo vor 10 Jahren der rauhe Jäger des Westens der Otter seine Fallen stellte, den Riesenhirsch und den grauen Bären jagte, erheben sich jetzt Städte, die auf unglaubliche Weise an Ausdehnung gewinnen und Proben der Kultur von allen Ländern der Erde aufzuweisen haben.

Fast unwillkürlich gedenkt man des Capitain Sutter, auf dessen Besitzung vor so wenigen Jahren das Gold entdeckt wurde, welches den ersten Grund zu dem schnellen Aufschwunge Californiens gab, und doch befindet sich Capitain Sutter selbst, dessen Name mit der neuesten Geschichte Kaliforniens in so enger Verbindung steht, nach dortigen Begriffen in mäßigen Vermögensumständen, obgleich er einer der reichsten Leute Amerikas hätte sein können. Capitain Sutter, ein geborener Schweizer, befand sich als Offizier in der Schweizergarde, als die Julirevolution unter der Regierung Karls des Zehnten ausbrach. Er wanderte in Folge derselben nach den Vereinigten Staaten aus und lebte mehrere Jahre im Staate Missouri. Von dort aus ging er zu Lande nach Oregon, wo er sich niederzulassen gedachte. Dort nun traf er mit einigen Leuten zusammen, die ihm das damals noch unbekannte Californien und besonders das Thal des Sacramento River als so schön und unermeßlich reich schilderten, daß er sogleich beschloß, daselbst seine Heimath zu gründen. Da indessen zu damaliger Zeit noch keine andere directe Verbindung zwischen Oregon und Californien als höchstens zu Lande auf einem langen und mühseligen Wege bestand, so benutzte Sutter eine Gelegenheit, um nach den Sandwich-Inseln zu kommen, von wo aus er nach Mexiko ging. Von dort aus fand er es leichter, mit Schiffsgelegenheit nach Monterey und in den Hafen von San Francisco zu gelangen. Es war im Jahre 1839, als er dort nach einer zwölfmonatlichen Reise eintraf, wo er nur einige wenige Ansiedelungen fand. Er hatte die Absicht, im Inneren des Landes unter den wilden Eingebornen eine Niederlassung zu gründen; zwar wurde ihm vielfach von dem gefährlichen Unternehmen abgerathen, doch führte er seinen Vorsatz aus und begab sich mit mehreren entschlossenen Leuten in einem kleinen Boote auf die Reise. Nach manchem vergeblichen Suchen entdeckte er endlich die Mündung des Sacramento River und folgte dann diesem Flusse stromaufwärts, bis er eine Stelle fand, die seinen Wünschen entsprach. Dort baute er ein starkes Fort, um sich gegen die Angriffe der Eingebornen vertheidigen zu können, während er befreundete Indianer zu seinen Diensten verwendete. So lebte er denn glücklich und zufrieden auf seinen Ländereien, die ihm von der mexikanischen Regierung als Eigenthum zugesprochen wurden, von welcher er zugleich die Stellung und den Titel eines Militair-Commandanten der Grenze erhielt. Nach der Entdeckung der Goldlager wurde er indessen vielfach das Opfer nichtswürdiger Speculanten, die seine Gutmüthigkeit und seinen Namen mißbrauchten und ihn zu Unternehmungen verleiteten, in welchen er seine Ländereien bis auf geringe Ueberbleibsel verlor, die indessen bei dem unglaublich schnell steigenden Werthe des Grundbesitzes noch hinreichend sind, ihm ein sorgenfreies Leben zu sichern. Er hat nunmehr das Alter von einigen sechszig Jahren erreicht und lebt in einer gewissen Zurückgezogenheit auf seinem Gütchen Hock's Farm, wo er sich der Achtung aller Derer erfreut, die ihn kennen, und gewiß sind nur Wenige in Californien, denen der Name des Capitain Sutter unbekannt wäre.

Am Ende der Golden Gate, wo der eigentliche Hafen beginnt, ragt auf der südlichen Seite ein hoher abgeflachter Felsen weit in die Straße hinein. Eine geeignetere Stelle zur Anlage von Befestigungen kann nicht leicht gedacht werden und das amerikanische Gouvernement hat auch in der That eine starke Fortification auf diesem Plateau angelegt, welche zur Zeit, als ich dort vorbeireiste, eben im Bau begriffen war. Die Einfahrt des Hafens wird von diesem Punkte aus vollständig beherrscht, so daß selbst das kleinste Fahrzeug nicht ungestraft unter den Kanonen vorbeifahren kann. So wie man um Fort Point, welchen Namen die Befestigung trägt, herumbiegt, sieht man zur Rechten hinter einem Walde von Masten, von welchen die Flaggen aller Nationen herabwehen, den großen Stapelplatz des Westens, die Stadt San Francisco amphitheatralisch sich erheben und die sanft ansteigenden Hügel bis oben hinauf bedecken. Der Frémont fuhr langsam bis beinahe vorbei an der Stadt, gleichsam an den in's Wasser hineingebauten Werften nach einer unbesetzten Stelle suchend, da die größten Kauffahrteischiffe dicht gedrängt neben einander lagen. Wie in New-York, Liverpool oder New-Orleans herrschte auch hier geschäftige Bewegung unter den Schiffen selbst; einzelne wurden hinein, andere wieder hinaus bugsirt, hier sah man ein Verdeck dicht angefüllt mit europäischen Auswanderern; dort einen Ostindienfahrer, auf welchem mit runden Filzmützen und langen Zöpfen viele Hunderte von Chinesen standen. Hier verließ ein Flußdampfboot mit Passagieren die Landungsbrücke, um die golddurstigen Menschen den Sacramento River hinauf zu bringen; dort landete ein aus dem Minendistricte zurückkehrendes Fahrzeug Menschen und Schätze. Es war ein Schwirren und Durcheinandertreiben, und doch schien eine gewisse Ordnung überall zu herrschen, die aufrecht erhalten wurde durch den natürlichen Wunsch eines Jeden, so wenig als möglich Zeit zu vergeuden. Etwas weiter abwärts, so daß die Schifffahrt nicht gehemmt wurde, lagen wie Leichen von mächtigen Riesen eine Anzahl abgetakelter Schiffsrümpfe. Es waren dieses die ersten Schiffe, die dort nach Entdeckung der Goldlager landeten und deren Bemannung, angelockt von den im Inneren des Landes verborgenen Schätzen, heimlich ihren Dienst verlassen hatte. Da keine Hand sich fand, das Steuer zu lenken und die Segel auszulassen, so mußten die zum Theil noch sehr guten Schiffe ruhig vor ihren Ankern liegen bleiben und einstweilen zu Speichern und Lagerböden dienen. Nach einigem Hin- und Herfahren gelang es endlich dem Frémont, eine Stelle an der Landungsbrücke zu erreichen, wo sich sogleich Kärrner, Fuhrleute mit eleganten Kutschen und Agenten der verschiedenen Gasthöfe einstellten und mit lautem Rufen und Schreien ihre Dienste anboten. Wegen der Menge von Sachen, die wir mit uns führten, konnten wir erst ganz zuletzt das Boot verlassen und begaben uns dann Alle zusammen nach einem Gasthofe, wo wir gute Stuben und Betten erhielten, aber darauf angewiesen waren, außerhalb zu speisen.

San Francisco, die Stadt, die durch ihren wunderbar schnellen Aufschwung in dem Zeitraume von wenigen Jahren die ganze Welt in Erstaunen gesetzt hat, ist jetzt der bedeutendste Ort an der Westküste des amerikanischen Continents, und gewiß ist die Zeit nicht allzu fern, in welcher sie eine der ersten Handelsstädte auf dem ganzen Erdball sein wird. Ihre glückliche Lage an der Mündung der Hauptflüsse Californiens trägt dazu bei, daß von dort aus der Verkehr mit Leichtigkeit bis in's Innere des Landes getrieben werden kann; dazu kommt vor allen Dingen der ungeheure Hafen, in den die Schiffe so leicht gelangen können und wo sie Schutz vor jedem Sturme finden. Die Stadt selbst bietet ein förmliches Chaos der verschiedenartigsten Gebäude, Bretterhütten, Zelte und palastartige Waaren- und Wohnhäuser bilden die regelmäßigen, aber noch ungepflasterten Straßen, und immer neue und großartigere Bauten werden unternommen, seit Steinbrüche und Ziegelöfen in der Nähe der Stadt eröffnet worden sind. In den Straßen ist ein fortwährendes Gewirr; Menschenknäuel, Repräsentanten aller Nationen enthaltend, wogen durch einander; Wagen, Karren und Kutschen suchen einander auszuweichen. Producte aus allen Enden der Welt werden hin und her geschafft. Alles, was dort eingeführt wird, findet seine Liebhaber; mit den unscheinbarsten Gegenständen werden Geschäfte getrieben, und für die unbedeutendsten wie für die kostbarsten Sachen sind dort Käufer und Gold in Fülle. Denn es giebt keine Speculation, die zu groß für einen Californier wäre; zu jedem Unternehmen ist er bereit, und gewiß zu manchem, welches in anderen Theilen der Welt für thöricht, ja für unmöglich gehalten würde.

Wenn man plötzlich nach einer Seereise, auf welcher man mit aller Ruhe seinen Gedanken nachhängen konnte, in die Straßen von San Francisco versetzt wird, so vermag man sich einer gewissen Befangenheit gar nicht zu erwehren. Es ist nicht allein das wilde Treiben, das schwindlig zu machen droht, sondern auch die Umgebung, die aus so vielen verschiedenartigen Elementen zusammengesetzt ist. Man befindet sich im Gedränge zwischen Amerikanern aller Gattungen und Europäern jeder Nation; man erblickt Californier in ihren Zerapes, Mexikaner mit ihren betreßten Calcineros, und Chilianer mit ihren Sombreros, man erkennt den Kanaken vom Hawai, den Chinesen mit dem langen Zopf, und Goldgräber, deren Physiognomien unter der gebräunten Haut und dem verwirrten Bart kaum mehr herauszufinden sind, und alle diese Menschen stürzen und eilen durch einander, jeder seiner eigenen Geschäfte gedenkend und keiner sich um den anderen kümmernd. Man ist endlich froh, dem Getümmel zu entrinnen und in einem Gasthofe ein Unterkommen zu finden, wo man es versucht, durch gute nächtliche Ruhe sich für den folgenden Morgen zu einem Spaziergang durch die Straßen vorzubereiten.

Schon mit dem Frühesten beginnt in den Straßen von San Francisco ein reges Leben, denn die Zeit ist dort zu kostbar, als daß auch nur ein geringer Theil derselben unbenutzt gelassen würde. Die ersten Arbeiter, die sich blicken lassen, sind gewöhnlich die Stiefelputzer, die in allen Straßen, besonders aber an den Ecken, neben ihren bequemen Stühlen stehen, auf deren Lehne die neuesten Zeitungsnummern hängen. Sie brauchen nicht lange auf Arbeit zu warten, denn der Eine oder der Andere der Vorübergehenden fühlt doch mitunter das Bedürfniß, seinen Stiefeln etwas Schwärze zukommen zu lassen und setzt sich in solchem Falle, ohne Worte zu verlieren, auf den Stuhl, legt die Füße auf einen vor demselben angebrachten Block und liest so lange in der ihm dargereichten Zeitung, bis er die Worte vernimmt: »Fertig, Herr!« worauf er dann ¼ Dollar zahlt, – die geringste Münze, die man zur Zeit meiner Anwesenheit in Kalifornien zu kennen schien – und sich entfernt, einem Anderen seinen Platz überlassend. So hat denn der Stiefelputzer während des größten Teils des Tages seine Arbeit und seinen Verdienst, indem der augenblicklich leere Stuhl gar zu oft Ursache ist, daß ein Vorübergehender die günstige Gelegenheit, die sich ihm so bald nicht wieder darbietet, benutzt, nach vielleicht sehr langer Zeit zum ersten Male wieder seine Stiefeln gebürstet zu sehen. Die Leute, die auf den Märkten Einkäufe zu besorgen haben, verwenden dazu ebenfalls gewöhnlich die Morgenstunden, und wohl ist es für den, der von keinen Geschäften abgehalten wird, ein Genuß, die Markthäuser zu besuchen, um sich zu überzeugen, welche prachtvollen Früchte und Gartengewächse Californien jetzt schon liefert, und wie das saftigste und fetteste Fleisch, das wohl in der Welt zu finden ist, dort massenhaft zum Kauf angeboten wird, – Auf den Fischmärkten könnte man stundenlang vor den verschiedenen Fässern und Tischen stehen und das Merkwürdigste an Eßbarem, was der Ocean und die Flüsse Californiens bieten, bewundern. Neue Formen, neue Arten aus dem Reiche der Fische fesseln die Aufmerksamkeit; centnerschwere Schildkröten, riesenhafte Hummer, beide durch träge Bewegung Leben verrathend, locken die Käufer an. Erreicht man dann den Wildmarkt, so glaubt man in ein zoologisches Museum zu treten, so mannigfaltig sind die Gruppen, in welchen die jagdbaren Thiere des Landes dort unter einander liegen. Da sieht man den Elkhirsch mit riesenhaftem Geweihe und die schöngezeichnete Gabelantilope; dort hängt an einem starken Fleischerhaken der wilde Gebirgsbär mit geöffnetem blutigem Rachen aber trüben gebrochenen Augen, und um ihn herum zahlreiche Hasen, Kaninchen und Eichhörnchen. Das Vogelwild liegt in großen Haufen durcheinander oder hängt in langen Reihen über den Tischen, so daß es einem Naturalienliebhaber nicht schwer wird, sich ein ganzes Cabinet mit den prächtigsten und seltensten Vögeln anzufüllen, besonders da nur der Fleischwerth und nicht die Art jedes Vogels bezahlt wird, dieser freilich aber auch nach californischen Preisen. Von den Märkten aus, auf welchen man einigen chinesischen Köchen begegnet ist, benutzt man diese als Wegweiser, um in das Stadtviertel der Kinder des himmlischen Reiches zu gelangen und diese eigenthümliche Menschenraçe, ihr Treiben und Wirken, so wie ihre Häuslichkeit genau kennen zu lernen. Auch in den Hauptstraßen findet man einige Läden, die reichen und vornehmen Chinesen angehören, doch haben Läden sowohl wie Bewohner schon sehr viel von ihrem nationalen Charakter verloren, und man eilt deshalb nach den Straßen, die von niedrigen Häusern gebildet werden, und wo aus großen Brettern in Zeichen, die für die meisten Menschen unverständlich sind, die Namen der Verkäufer und der feilgehaltenen Waaren angeschrieben stehen. Viele haben zugleich eine Übersetzung in englischer und spanischer Sprache neben ihren Schildern angebracht, doch ist man der Verlegenheit dadurch immer noch nicht ganz überhoben, indem man beim besten Willen nicht im Stande ist, die merkwürdig buchstabirten Namen auszusprechen.

Ehe man sich etwas an chinesische Physiognomien gewöhnt hat, glaubt man fast immer einem und demselben Sohne des himmlischen Reiches zu begegnen, so ähnlich sieht Einer dem Anderen; da erblickt man dieselbe Größe und Gesichtsfarbe, dieselbe kurze Nase, vorstehenden Unterkiefer, aufgeworfene Lippen und geschlitzte Augen, kurz denselben Ausdruck in den nichtssagenden häßlichen Zügen, die selbst durch das Alter nicht auffallend verändert werden, und in welchen man erst durch längere Uebung einen Unterschied zu entdecken vermag. Die Gegenstände nun endlich aufzählen zu wollen, die in einem chinesischen Laden ausgeboten werden, wäre zu viel, um so mehr, als die Kunstfertigkeit dieser Raçe im Sticken, Schnitzen und Auftragen prächtiger Farben überall hinlänglich bekannt ist und sich großen Ruf erworben hat. Es bleibt mir nur zu bemerken, daß in San Francisco allein bei den Chinesen etwas von dem geforderten Preise abgedungen wird, während bei anderen Geschäftsleuten der Käufer, wenn er einen geforderten Preis für zu hoch hält, weiter nicht handelt, wohl wissend, daß es vergebliche Mühe sein würde, und schon ein anderer Käufer sich finden wird; übrigens werden die Preise schon immer durch die Concurrenz in den Schranken der Vernunft gehalten. Die Chinesen dagegen sind mit dem geringsten Verdienste zufrieden, und da sie nur sehr niedrig in der Achtung der Californier stehen und deshalb keinen Schutz gegen eine harte Bedrückung finden, so ist es ihnen nur vergönnt dort Geschäfte zu treiben und Gold zu graben, wo die Weißen nicht mehr ihre Rechnung finden und den Boden schon ausgebeutet haben. Theilweise arbeiten diese armen Leute für geringen Tagelohn bei ihren Unterdrückern, und bei dem Mangel an Waschfrauen ist deren Arbeit gänzlich in die Hände der Chinesen übergegangen, welche sie pünktlich, billig und stets zur Zufriedenheit Aller ausführen. Daß die Chinesen bei ihrer Charakterlosigkeit in vieler Beziehung die Verachtung, die ihnen zu Theil wird, verdienen, kann nicht geleugnet werden, doch leider erfährt diese Classe der californischen Bevölkerung die meisten Unbilden gerade von solchen Individuen, die auf der tiefsten Stufe des Verbrechens stehen und das Eldorado des Westens in so großer Anzahl überfluthen, weil sie dort bei den noch jungen Gesetzen leichter ihren verbrecherischen Leidenschaften ungestraft freien Lauf lassen können.

Wohl Jeder, der San Francisco besucht hat, erwähnt der Spielhäuser und der gesetzlosen Bande von Spielern, die dort ihr Wesen treibt. Auch ich habe diese Spielhäuser besucht und stundenlang vor den Goldhaufen gestanden, die fortwährend ihre Besitzer wechselten, um endlich in die Hände der privilegirten Diebe, wie man jeden professionirten Spieler nennen kann, überzugehen. Am Abend mit mehreren Kameraden langsam durch die Straßen wandernd, hin und wieder in hellerleuchteten Restaurationen einsprechend, gelangte ich an ein großes Gebäude, durch dessen offene Thüren ich in geräumigen Sälen eine gedrängte Menschenmasse erblickte, die bei den Klängen eines wohlbesetzten Orchesters, welches die sentimentalsten Symphonien spielte, mit ernsten Dingen beschäftigt schien. Ich trat ein, und nach einiger Mühe gelang es mir so weit durchzudringen, daß ich lange Reihen von grünen Tischen wahrnehmen konnte, an welchen jedes nur denkbare Hazard in größtem Maßstabe gespielt wurde. Ich wendete meine Aufmerksamkeit natürlich den verschiedenen Bankhaltern zu, die für eine ungeheure Summe, welche sie als Miethe für das Local bezahlten, das Recht hatten, ungestraft Andere um ihr Geld zu betrügen. Die Gemeinheit war in den Physiognomien dieser Leute ausgeprägt; die ruhig Karten und Würfel auf geschickte Weise unter dem Schutze der vor ihnen auf dem Tische liegenden Revolverpistolen handhabten; auch eine Dame erblickte ich, die fast ganz versteckt unter massiven werthvollen Schmucksachen, mit geübter Hand ihren Goldhaufen vergrößerte und hin und wieder Blicke des Einverständnisses mit einigen Männern in ihrer Nähe wechselte, die augenscheinlich ihre Genossen waren. Mit Abscheu wendete ich mich hiervon ab und beobachtete eine Zeit lang die unglücklichen Menschen, die von ihren Leidenschaften unaufhaltsam getrieben, ihre kaum erworbenen Schätze, mit welchen sie sich eine mehr als behagliche Existenz hätten gründen können, in die Spielhölle getragen hatten, um ihren ganzen Erwerb an dem grünen Tische zu verlieren. »Zwanzig Unzen!« »Hundert Unzen!« »Zweihundert Unzen!« hörte ich nach allen Richtungen rufen, als ich mich langsam der Thüre näherte; bei derselben angekommen, wurde ich fast übergelaufen von einem Menschen, der ohne Hut, mit beiden Händen in den Haaren auf die Straße stürzte; mit Bedauern blickte ich ihm nach, als er im Dunkel verschwand und wanderte dem chinesischen Stadtviertel zu, um auch dort die Spielhäuser kennen zu lernen. Ich hatte nicht nöthig, Erkundigungen über diese einzuziehen, denn schon von Weitem drangen die Töne eines eigenthümlichen Concerts zu mir und ließen mich nicht im Zweifel über die Richtung, die ich einzuschlagen hatte, um die Spielhöllen, eine nach der anderen, in Augenschein zu nehmen. Ich trat in die erste ein und war fast überrascht von der Unansehnlichkeit, ich möchte sagen Aermlichkeit des Gemaches, und doch lagen auf dem Tische, der ringsum mit einer Leiste eingefaßt war, große Geldsummen. Ernst und vertieft standen die kleinen Gestalten umher, die in ihren weiten Jacken und kurzen Beinkleidern, den genähten Strümpfen, den kolossalen, dabei aber fein gestickten Schuhen und den langen Zöpfen nichts weniger als anmuthig aussahen; die kleinen Augen funkelten, und mißtrauisch verfolgten sie den Verlauf des Spieles. Dieses selbst war mir unverständlich; ich sah nur, daß mitten auf dem Tische ein Haufen Zahlpfennige lag, die mit einem Gefäß bedeckt waren, daß Einer der Spieler mit der Hand unter dasselbe faßte und eine Anzahl der Marken hervorschob, die er mit einem langen, spitzen Stäbchen zu zählen begann. Nach Zählung derselben wurde Geld in Umlauf gesetzt, und das Spiel begann von Neuem, so daß es mir fast schien, als handle es sich bei der ganzen Sache nur um »Paar oder Unpaar«. Lange hielt ich es in diesen Spielhallen nicht aus, denn das ohrenzerreißende Concert der Musikanten, die mit langen Bogen zweisaitige Violinen und Cellos bearbeiteten, dazu mit kleinen Hämmern auf Trommeln und hölzerne Becken schlugen und den markerschütternden Lärm der GongsGroße Kupferplatte, die mit einem wattirten Hammer geschlagen wird. und ihre eigenen kreischenden Stimmen hören ließen, trieb mich aus dieser Gesellschaft fort nach dem Schauspielhause, wo ich mich bis nach Mitternacht an Gesang, Musik und Tanz ergötzte, wozu Frankreich mit seine besten Kräfte geliefert hatte.

Nach einem flüchtigen Umherschauen in San Francisco besucht gewiß jeder Reisende gern einmal den Minendistrict im Innern des Landes, um sich von der Wahrheit der mährchenhaft klingenden Nachrichten zu überzeugen, die ihn in seiner Heimath, wo auch immer dieselbe liegen mag, schon längst erreichten. Freilich lernt er dort nur die verschiedenen Weisen kennen, aus welche das kostbare Metall von Sand und Gestein getrennt wird, doch von dem unermeßlichen Reichthum selbst sieht er nur sehr wenig, indem Derjenige, dem das Glück lächelt, seine Schätze vorsichtig vor neidischen Augen zu verbergen sucht und der glücklichste Goldjäger den Frager mit endlosen Klagen über das undankbare Geschäft des Goldgrabens überhäuft. Gar Viele giebt es freilich, die gänzlich enttäuscht Hacke und Schaufel von sich werfen und es bitter bereuen, von allzu kühnen Hoffnungen getrieben, eine so weite Reise unternommen zu haben; es fehlen ihnen die Mittel zur Heimreise, und von der bittersten Noth gezwungen, verdingen sie sich oder unternehmen auch auf eigene Hand irgend eine beliebige leichtere Arbeit. Manche dieser Letzteren unterliegen den ungewohnten schweren Anstrengungen und den klimatischen Krankheiten; Andere glücklichere dagegen erreichen durch kluge Anwendung ihrer Fähigkeiten und Kräfte das, was sie in den Minen vergebens suchten, und in dem Maße, wie ihr Reichthum wächst, nimmt auch ihr Golddurst wieder zu und verliert sich die Sehnsucht nach der Heimath.

Die Gruben nun, welche von den muthlos Gewordenen verlassen wurden, nehmen Andere, die vielleicht mit weniger Hoffnungen anlangten, in Besitz und entdecken oft nach Entfernung weniger Schaufeln von Erde reiche Goldadern, die sich nur wenige Zoll weit von den Händen ihrer verzagenden Vorgänger befanden, und fördern, vom Glück geleitet, Schätze auf Schätze aus dem dunklen Schooße der Erde. Dies sind Zufälle, wie sie in den Goldminen fast täglich vorkommen, und die sich so lange wiederholen werden, als Californien das Eldorado des Westens bleibt, und Jahrhunderte mögen noch darüber hingehen, ehe die unermeßlichen Goldlager so weit erschöpft sind, daß die Gruben und Minen als nicht mehr ergiebig genug verlassen werden. – Wenn man die Goldregionen durchwandert und Tausende von Leuten beobachtet, die mit gebräunten und bärtigen Gesichtern, alle in demselben groben Costüm eines Arbeiters, Hacke, Schaufel und Waschpfanne mit Geschicklichkeit handhaben, so drängt sich fast unwillkührlich die Frage auf, in welcher Sphäre wohl diese, von allen Enden der Welt zusammengewürfelten Menschen gelebt haben. Könnte man dann Jeden plötzlich in der Stellung und in dem Kleide sehen, wofür er sich ausgebildet hat und erzogen ist, so würde man sich gewiß mehr noch über die eigentümlichen Contraste, als über die zu Tage geförderten Schätze wundern; man würde Kaufleute, Handwerker, Matrosen, Geistliche, Schauspieler, Studenten, Offiziere, kurz, alle Stände reichlich vertreten finden, die gemeinsam mit Dieben und Mördern Flüsse ableiten, Felsen sprengen, Berge umkehren und die Erde durchwühlen, um in Besitz dessen zu gelangen, wonach mit nur wenigen Ausnahmen die ganze Menschheit strebt.

Unter so verschiedenartigen Elementen Gesetze einzuführen, die jedem Einzelnen zusagen, mag gewiß eine der schwierigsten Ausgaben sein; und doch macht sich gerade hier der Mangel einer obrigkeitlichen Ordnung am schnellsten fühlbar. Dieses erkennend, haben denn auch die Bewohner und Bearbeiter der verschiedenen Minendistricte unter sich Gesetze geschaffen, die zwar von furchtbarer Strenge sind, aber doch das Leben und Eigenthum Derer schützen, die darauf angewiesen sind, beides ihren Mitbürgern blindlings anzuvertrauen. Freilich kommen Diebstahl und Mord noch häufig genug vor, doch die fast jedesmalige Ergreifung der Verbrecher und die darauf folgende schnelle Ausführung des Lynch-Urtheils, bei welcher der Uebelthäter gepeitscht oder an dem nächsten Baume aufgehängt wird, dienen als Warnung; und trotz der stets zunehmenden Bevölkerung werden dergleichen Fälle seltener, wozu auch beiträgt, daß die Regierung von Californien täglich besser organisirt wird. Und so ist es denn allmälig so weit gekommen, daß einfache Zelte oder aus Baumrinde und Brettern zusammengefügte Hütten mehr als ein festverschlossenes Gewölbe vor unbefugten Eindringlingen gesichert sind, und das Vorhandensein von Geräthschaften in einer Goldgrube hinreicht, jeden Anderen außer dem Eigenthümer von der Bearbeitung derselben abzuhalten. –

Wem es nun zu eng wird in dem dichten Gewühl schnell wachsender Städte, wer betäubt wird durch das Getöse eines ewig regen Weltverkehrs, in der Gesellschaft von Menschen, die für Alles, außer für das Gold, abgestumpft sind, für dessen Erlangung sie gierig Gesundheit und Leben hinopfern: der findet tausendfachen Ersatz in dem milden Klima des Landes, auf dem fruchtbaren Boden, mit welchem die Ströme eingefaßt sind, in deren Wellen sich wiederum riesenhafte Eichen und Tannen spiegeln. Seine geringste Mühe wird die unerschöpfliche Zeugungskraft des Bodens reichlich belohnen; und während der sieche Goldgräber mißtrauisch und furchtsam über seinen Schätzen wacht, beobachtet der Ackerbauer die zarten Keime seiner Pfleglinge, der Pflanzen, die ihm so vielfältigen Segen versprechen, oder wandert hinaus zu seinen Heerden, die auf üppigen Weiden gedeihen und seinen Wohlstand vermehren helfen.


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