Balduin Möllhausen
Wanderungen durch die Prairien und Wüsten des westlichen Nordamerika
Balduin Möllhausen

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XI.

Der Dry River und seine Eigenschaften. – Der große Cottonwood Tree. – Art des Reisens der Steppenbewohner. – Des Naturaliensammlers Erzählung seiner Reise mit den Ottoe-Indianern. – Ankunft der Expedition bei den Kioway-Indianern. – Unterredung mit den Kioway-Indianern. – Die Kioway-Indianer. – Uebergang über den Canadian. – Doctor Bigelow's Entkommen aus dem Triebsand.

Der Marsch des folgenden Tages brachte uns schon in den Frühstunden an den Dry River, einen Fluß, der seiner merkwürdigen Eigenschaften wegen gewiß besonderer Erwähnung verdient.

Der Dry River entspringt an den Llano Estacado, in der Nähe der Quellen des Sweet Water Creek, oder vielmehr der Northfork des Red River von Texas, und führt seine Wasser in nordwestlicher Richtung dem Canadian zu. Das Bett des Dry River ist verhältnißmäßig breit, denn nahe seiner Mündung mißt es über 600 Fuß, was um so auffallender ist, als dieser Fluß nur eine kurze Strecke zu durchlaufen hat. Sein Thal mit den zerrissenen, hohen Ufern dehnt sich in demselben Verhältniß wie das Flußbett zu beiden Seiten aus und hat schon zehn Meilen vor der Mündung eine Breite mehrerer Meilen. Der geologische Charakter dieses Thales macht recht anschaulich, auf welche Weise die in der Prairie zerstreut liegenden konischen Hügeln mit den breiten Tafeln entstanden sind, und warum dieselben als die Ueberreste der Llano Estacado angesehen werden müssen. Der Dry River mit seinem breiten Thale verdankt sein Entstehen vielleicht nur einem Büffelpfade; wild stürzende Wasser verwandelten diesen in einen Bach, Furchen und Spalten, auf gleiche Weise gebildet, mündeten in denselben, führten dem Bache neue Wassermassen zu, die mit vereinigten Kräften bald im Stande waren, den sandigen Boden fortzuführen und die in demselben horizontal liegende Schicht von weißem Sandstein zu durchbrechen; der Bach wurde zur tiefen Schlucht, in welcher der entstehende Fluß sich allmälig ein bequemes, breites Bett wühlte, sein Thal bis zur jetzigen Ausdehnung brachte und noch erweitern wird, da dieselben einwirkenden Ursachen noch immer in Thätigkeit sind. Die Höhen nun, welche das Thal einfassen, wurden auf diese Weise unterminirt, von der Ebene losgewaschen und getrennt, und da die deckende Sandsteinlage sich gegen den zerstörenden Einfluß der Zeit und der Elemente weniger nachgiebig zeigte, so entstanden allmälig Hügel, die mit der Ebene ringsum abschneiden, und bedeckt mit der nach allen Seiten vorragenden Felstafel, den Antelope Hills und Natural Mounds ähnlich sind. Natürlich ist ihr Umfang kleiner; ihre Bildung gehört einer neuern Epoche an, während die anderen Felsen zugleich von älterer Formation zu sein scheinen. Eine Eigenschaft, die bei den meisten fließenden Gewässern dieser Gegend bemerkbar ist, fällt beim Dry River besonders in's Auge, Bei niedrigem Wasserstande nämlich ist dieser Fluß nach seiner Mündung zu trocken, dagegen weiter aufwärts Wasser haltend, und an Stellen, die während des Tages vollkommen trocken sind, sammelt sich während der Nacht Wasser, welches, sobald die Sonne höher steigt und mit voller Kraft wirkt, sogleich wieder eintrocknet. Für ersteres mag der Grund sein, daß die Sandanhäufung nahe der Mündung zu groß ist und der Fluß unter derselben durchrieselt, wie es bei den Nebenflüssen des großen Colorado des Westens auf der Strecke zwischen dem 34. und 37. Grad nördlicher Breite so häufig und in so auffallender Weise vorkommt. Reißend fließende Wasser verlieren sich nämlich dort plötzlich im Sande, rieseln viele Meilen weit unter der Oberfläche fort und, eben so unerwartet wie sie verschwanden, sprudeln sie aus dem dem Ansehen nach trockenen Erdreich wieder hervor. Für die zweite Eigenschaft kann als Ursache angenommen werden, daß die Verdunstung während des Tages durch den von der Sonne erhitzten Sand zu sehr verstärkt wird, als daß das Wasser die Oberhand zu gewinnen vermöchte, und erst nachdem die Atmosphäre kühler geworden, die fließende Wasserschicht Siegerin bleibt.

Nur eine Meile von seiner Mündung in den Canadian zog unsere Expedition durch das sandige Bett des Dry River; es war noch am frühen Tage. Hin und wieder waren kleine Wasserspiegel sichtbar, von deren Vorhandensein und Dauer das Wild genaue Kenntniß haben mußte, denn die nahe denselben eingedrückten Spuren, so wie die in der Nachbarschaft lauschenden Hirsche und Antilopen, ließen keinen Zweifel darüber, daß nur in den Morgenstunden, wenn das Wasser seinen höchsten Standpunkt erreicht hatte, an diesen Stellen Labung geboten wurde, die für den ganzen Tag ausreichen mußte. Freilich fand sich in einigen Niederungen westlich von diesem Flusse Wasser genug, doch dieses war bitter und untrinkbar. Auch hatte sich in ausgetrockneten Niederungen Magnesia wie weißer Reif an spitze Gräser und seine Halme gesetzt.

Um die Mittagszeit führte uns der Weg an einem Baume vorbei, der sich einsam in der Ebene erhob und durch seinen riesenhaften Umfang und seine merkwürdig verschlungenen Zweige und Aeste nicht nur reges Interesse, sondern das größte Erstaunen hervorrief. Es war eine alte, hundertjährige Pappelweide ( Cottonwood tree). In einem Durchmesser von 12 Fuß ragte der knorrige Stamm aus der Erde, theilte sich in der Höhe von 8 Fuß in zwei mächtige Arme, die sich mit ihren zahllosen Aesten weit ausbreiteten und den dürren Boden unter sich beschatteten. Junge, niederhängende Schößlinge waren zu Bäumen geworden, stützten sich mit ihrer ganzen Schwere auf den Boden, um mit erneuter Kraft dicht belaubte Kronen emporzuheben, die sich mit der ganzen Laubmasse ihres ehrwürdigen Erzeugers vereinigten und das Großartige seiner Erscheinung vermehren halfen. Wie der Gruß eines alten, lieben Freundes wirkt der Anblick eines Baumes in der öden, sonnigen Steppe auf den müden Wanderer; er lenkt seine Schritte fast unwillkürlich nach demselben hin und scheut selbst große Umwege nicht, um endlich im willkommenen Schatten auszuruhen, sich dort Träumen und Phantasien ungestört hinzugeben bei dem Anblick der Umgebung oder der Zeichen, die andächtige Indianer oder muthwillige Weiße einst in die narbige Rinde schnitten. Eine ernste, zum Nachdenken auffordernde Erscheinung steht der alte, erhabene Baum da mit seinen geheimnißvoll verschlungenen Zweigen, mit seinen glänzenden Blättern, die vor jedem leisen Hauche des Windes beben und zittern, Jahrhunderte zogen an ihm vorüber, und doch ist sein Leben nur eine kurze Spanne, im Vergleich mit den Jahrtausenden, die nöthig waren, um den von Salzwasser bespülten Meeresgrund in die grüne Prairie mit ihrem jetzigen Naturcharakter zu verwandeln, nachdem ein mächtiger Wille den Boden gehoben und die Wasser zurückgewiesen hatte, um der Vegetation ein neues, unabsehbares Feld zur Thätigkeit zu eröffnen. Winde und Vögel trugen Saamen nach der neugeschaffenen Ebene, die sich schnell in einen Mantel üppiger Gräser und vielfarbiger Blumen hüllte, und zwar so dicht, so undurchdringlich und erstickend, daß es nur selten dem zarten Keime eines jungen Baumes gelang, sein Haupt über das wogende Grasmeer zu erheben. Als ein Traumbild der Phantasie, welches die Einsamkeit der Steppe hervorruft, denkt man sich, wie vor vielen, vielen Jahren der alte, ehrwürdige, einzeln stehende Baum ein Pflänzchen war, das kräftig emporwuchs und weit um sich zu schauen vermochte, wie das Bäumchen zum Baume wurde, als sei es von der Sehnsucht belebt, den Blick auf den Theil der Hochebene zu werfen, die sich in südlicher Richtung von ihm hinzog. Es wuchs und breitete seine Schatten aus, daß die Thiere in seinem Laube sich erquickten, Schaaren geselliger Vögel ihr Nest bauten, daß die rothen Menschen ihn verehrten und Gebilde von Klapperschlangen und langhälsigen Pferden in seine Rinde zeichneten.

Einer unserer Gefährten hatte Spuren reisender Indianer erkannt, »Frische Spuren von Indianern sind frische Ursachen zur Vorsicht,« sagte er zu den übrigen unter dem Riesenbaume Lagernden, »unsere Wagen befinden sich weit voraus, wir sind unserer nur Wenige, und es muß ein ganzer Trupp Kioways oder Comanches sein, wie aus den Spuren zu entnehmen ist, der in der Nachbarschaft hauset; unsere Thiere sind gesättigt und werden gewiß mit uns einverstanden sein.« Die Nachzügler, denen ich mich angeschlossen hatte, zäumten ihre geduldigen Maulthiere, kletterten gemächlich in die Sättel, warfen noch einen letzten Scheideblick auf den schönen Baum und bogen dann in einen frisch gebrochenen Indianerpfad ein, der sie in der Richtung, welche die Expedition eingeschlagen hatte, weiter führte.« – »Wie merkwürdig!« sagte der Doctor, der zwischen einem Ingenieur und seinem deutschen Freunde ritt, »wir reiten hier zu Dreien neben einander und haben Jeder einen besondern und guten Pfad; unsere Gesellschaft mit ihren schweren Wagen läßt nur zwei Geleise zurück, während die Indianer, die zu Fuß und zu Pferde reisen, deren drei schaffen, die, wie wir hier vor uns wahrnehmen können, eben so parallel wie unsere Wagengeleise neben einander hinlaufen. Was kann die Ursache davon sein?« – »Sehr einfach,« antwortete der Amerikaner, »die Indianer haben keine Wagen, wie Sie bemerkten, lieber Doctor, damit ist aber noch nicht festgestellt, daß sie keine einspännigen Karren mit sich führen.« – »Es müßte eine breite Karre sein,« erwiederte lachend der Doctor, »an der die Räder über 8 Fuß weit auseinander stehen; nein! das sind keine Karrenspuren.« – »Ich will es Ihnen erklären,« fiel sein Begleiter zur andern Seite mit gewichtiger Miene ein, auf der es geschrieben stand, wie angenehm es ihm sei, mit seinen Erfahrungen aushelfen zu können: »Bei einer frühern Gelegenheit habe ich Ihnen die Beschreibung eines indianischen Zeltes gegeben, wie dasselbe aus Büffelleder und Zeltstangen besteht; wollen die Indianer nun wandern, so schnüren sie das Zeltleder, so wie alle übrigen Habseligkeiten, in kleinere oder größere Bündel und packen dieselben nach unserer gewöhnlichen Art auf den Rücken ihrer Thiere. Die Zeltstangen werden so auf die Packpferde vertheilt, daß vier oder sechs derselben auf jedes bepackte Thier kommen, und dann mit dem dicken Ende an die äußeren Bündel so befestigt, daß der obere und schwächere Theil der Stangen auf der Erde nachschleift. Da die Thiere nun auf jeder Seite zwei oder drei derselben mit sich schleppen und immer eins in die Fußtapfen des andern tritt, so entstehen diese drei Pfade; in den beiden äußern schleifen die Stangen, in dem Mittlern geht das Pferd und die dazu gehörige Squaw, die das Pferd führt, welchem die übrigen zu dem Wigwam gehörigen Thiere, immer eins an des andern Schwanz gebunden, folgen. Mitunter werden die beiden Stangen durch eine ausgespannte Büffelhaut verbunden, um auf derselben kranken und schwachen Mitgliedern des Stammes einen Sitz zu verschaffen und die Mühe des Reitens zu ersparen. Den Hunden, die ebenfalls zur Arbeit angehalten werden, befestigen die Indianer mittels eines breiten Riemens auf dieselbe Weise an den Seiten zwei kleine Pfähle, die dann mit leichteren Gegenständen, zuweilen auch mit Kindern, beladen werden. Findet man solche Fährte, so kann man ihr ohne Gefahr nachfolgen, als einem sicheren Zeichen, daß Weiber und Kinder im Gefolge des Zuges sind und man auf keine Kriegspartei stößt. Denn Indianer auf Kriegs- und Raubzügen beschweren sich nicht mit Zelten, einestheils um durch die Last nicht behindert zu sein, anderntheils um nicht in die Nothwendigkeit zu gerathen, ein Zelt aufschlagen zu müssen, eine Arbeit, die den Weibern gebührt, mithin als entehrend für den Mann angesehen wird.

Wenn ein Trupp dieser Wilden in rauhen Jahreszeiten nach einer Rast mehrerer Tage aufzubrechen und schnell zu wandern beabsichtigt und zu diesem Zweck gutes Wetter wünscht, so wenden sie sich direct an ihren Manitu. Sie rauchen und singen zu ihm und setzen dieses so lange fort, bis sie am klaren Wetter erkennen, daß ihr großer Geist sie erhört hat und mit den ganzen Vorbereitungen zur Reise zufrieden ist. Ich wohnte zum ersten Male dergleichen Feierlichkeiten bei, als ich die Gastfreundschaft der Ottoes, die mich aus der schon früher von mir beschriebenen schrecklichen Lage am Sandy Hill Creek errettet hatten, genoß, und nach einer Pflege von fünf Tagen, welchen Zeitraum diese Leute meinem entkräfteten Körper zuerkannt hatten, für stark genug befunden wurde, von des Morgens bis gegen Abend im tiefen Schnee zu waten. Der Tag des Aufbruchs war also bestimmt und die Vorbereitungen dazu wurden am vorhergehenden Abend getroffen, das heißt, es wurde gutes Wetter für die Dauer der Reise herbeigesungen, und dabei auf folgende Weise zu Werke gegangen:

Hell flackerte das Feuer in Farfars Zelt, ernst saßen und hockten die Krieger um dasselbe herum; Weiber und Kinder, mit Ausnahme von Wones-hee's Gemahlin, hatten das Zelt verlassen. Der Kessel hing über den Flammen, doch war sein Inhalt nur brodelndes und dampfendes Wasser. Da ich während des Tages die Festlichkeiten des Abends und mit diesen eine reichliche Mahlzeit vermuthete, so hatte ich meinen Appetit etwas geschont, um in der Reihe der Krieger endlich einmal mit Ehren bestehen zu können. Beinahe ungeduldig harrte ich des Augenblicks, in welchem getrocknetes Büffelfleisch und Biberschwänze zum Medizinmahl dem wild schäumenden Kessel übergeben werden sollten. Die Biberschwänze waren schon bereit, doch noch kein Büffelfleisch zu sehen; statt dessen lag nahe dem Feuer an einem Riemen befestigt ein großer, zottiger Wolfshund, der verschlafen mit den Augen blinzelte.

Zufällig war es gerade der Hund, dessen besonderer Zuneigung oder vielmehr nächtlicher Zudringlichkeit ich mich zu erfreuen gehabt hatte, und ich schrieb daher seine Fesseln diesem Umstande und der indianischen Höflichkeit zu, die mich in so feierlichen Momenten vielleicht nicht von Hunden belästigt sehen wollte. Ich war ganz unbekannt mit dem tragischen Ende, welches dem armen Thiere bevorstand. Nachdem Wa-ki-ta-mo-nee mit kunstgeübter Hand einige gelbe Linien in meinem Gesicht verbessert und in symmetrische Ordnung gebracht hatte, nahmen die Feierlichkeiten ihren Anfang.

Die indianische Trommel, ein ausgehöhlter, mit Büffelhaut überzogener Block, wurde in langsamem Takte von den beiden jungen Burschen geschlagen, und zu dieser eintönigen, dröhnenden Musik gesellte sich alsbald der wilde, Ohren und Nerven zerreißende Gesang aller Mitglieder: Hau-Hau-Hau Ottoe-Wine-bag-Ottoe-Wine-bag-kero-kero-li-la! Es war um davon zu laufen, »Kero, Kero, Kero!« brüllte der Medizinmann und ließ seinen Tomahawk über seinem Kopfe wirbeln, »Kero, Kero, Kero!« heulte er, als das Beil niedersauste und dem armen, schnarchenden Hunde den Schädel zerschmetterte. Der Gesang verstummte, nur wenige Minuten und der Hund war seines Pelzes entledigt und zerlegt. Er wurde alsdann stückweise, nebst einigen Biberschwänzen, in den siedenden Kessel geworfen. Um dich, armes, unglückliches Thier verzehren zu helfen, habe ich also heute mehr als mäßig gelebt! so dachte ich, als ich jede Probe von Appetit schwinden fühlte. Ich mußte aber von dem Medizinmahle genießen: ich wußte, ich fühlte, daß ich beobachtet wurde, und war auf meiner Hut. – Das Fleisch der Wölfe, welches weit hinter dem der Hunde zurücksteht, hatte ich ja schon essen gelernt, und nur ein kleines Vorurtheil hatte ich also in diesem Falle zu besiegen. Hätte ich das Thier nicht so genau gekannt, so wäre es mir wahrscheinlich leichter geworden. Ich überwand indessen meinen Widerwillen und kann Ihnen versichern, daß kein Hammelfleisch besser schmecken kann, als die wohl zubereiteten Stücke eines Hundes. Nach Beendigung der reichlichen Medizinmahlzeit wurde noch etwas geraucht und dann gingen wir Alle sehr zufrieden hinaus in's Freie, um den Stand des Wetters zu beobachten. Es war furchtbar kalt, der Schnee knirschte unter den Mokkasins, die Sterne funkelten und heiser tönte das Geheul der hungrigen Wölfe durch die Nacht. Der Medizinmann ließ seine Blicke nach allen Himmelsgegenden schweifen, wo keine Wolke das schimmernde Firmament trübte. »Der Gesang war gut!« rief er aus, »die aufgehende Sonne bringt günstiges Reisewetter.« – »Wenn aber trotz Hundefleisch und Singen ein Schneesturm eintritt?« fragte ich Farfar, den Halbindianer. – »Es kommt oft genug vor,« antwortete dieser, »dann singen und essen wir aber unverdrossen so lange, bis wir einen schönen Tag haben, und sind wir erst unterwegs, dann kehren wir uns nicht an Stürme, wenn nur bei unserm Aufbruch die Sonne freundlich geschienen hat.«

Am nächsten Morgen waren unsere Weiber schon in aller Frühe in Bewegung; ich hörte von meinem Lager aus das Getrappel unserer Pferde, die herangetrieben und gesattelt wurden, was mich nicht wenig verwunderte, da ich die Männer, in ihren Decken eingehüllt, noch ruhig liegen sah. Ich war aber mit den Sitten und Gebräuchen dieser Leute noch nicht hinlänglich bekannt, um dies natürlich zu finden. Ich kann Ihnen, lieber Doctor, übrigens versichern, daß sich nichts leichter lernt, als das Zusehen, wenn andere Menschen arbeiten; so wurde es mir denn auch in der That nicht schwer, mit meinen Gefährten am Feuer sitzen zu bleiben, bis die Zelte über unseren Köpfen verschwunden und unsere Lagerpelze buchstäblich unter uns fortgezogen waren. Als nun zwei Pferde vor mein schwer beladenes Wägelchen gespannt und die übrigen mit dem Reste unserer Habseligkeiten bepackt waren, setzte sich der alte Wo-nes-hee an die Spitze des Zuges und schritt in nordwestlicher Richtung über die weiße Ebene dahin. Ich blieb mit den Kriegern am Feuer sitzen, die noch eine Pfeife rauchten und anscheinend sich verabredeten, um welche Zeit sie im neuen Lager eintreffen wollten. Endlich trennten wir uns; zu Zweien oder Dreien verschiedene Richtungen einschlagend, folgten wir dem Lauf kleiner Bäche, an deren Ufer sich spärliches Holz zeigte, wo wir aber Wild im Ueberfluß finden mußten. Ich folgte dem Halfbreed und Sha-ho-ha-ta-ko, und wußte in kurzer Zeit nicht mehr, in welcher Richtung unsere übrige Gesellschaft gefunden werden könnte. Ich muß gestehen, es ist mir heute noch unerklärlich, wie die Indianer in einer endlosen mit Schnee bedeckten Steppe, ohne sich je zu verirren, reisen können, da sich nichts dort dem Auge bietet, was als Landmarke dienen könnte. So lange ich auch mit den Eingebornen lebte und wanderte, so weiß ich doch keinen einzigen Fall, in welchem sich Einer verirrt hätte oder nicht zur bestimmten Zeit in dem neu errichteten Lager erschienen wäre. Es wurde mir schwer, mit meinen beiden Gefährten, die halb gehend, halb trabend den Windungen der Bäche nachfolgten und dabei nur selten in den festgefrorenen, tiefen Schnee einbrachen, gleichen Schritt zu halten. Ich wählte meinen Weg auf den Höhen, von welchen der Wind den meisten Schnee fort und in Niederungen geweht hatte; das Gehen wurde mir dort leichter, und da ich die beiden Indianer nicht aus den Augen verlor, zugleich auch die von ihnen zu haltende Richtung weit hin an dem schmalen Holzstreifen zu erkennen vermochte, so kam es mir zu Statten, daß ich mitunter eine Ecke oder einen Winkel ihrer Straße abschneiden konnte. Die scharfe Eiskruste, über welcher die Indianer leicht hinwegglitten, die aber unter meinen Füßen fortwährend einbrach, hatte bald meine Füße durch die weichen Mokkasins hindurch zerschnitten, und nur unter den größten Schmerzen schleppte ich mich weiter. Wie sehr ich litt, mögen Sie, meine Herren, daraus entnehmen, daß ich mich bei Gelegenheit einer Waschbärenjagd ruhig auf den Boden warf und dem Treiben meiner Kameraden zusah, ohne selbst an einem Vergnügen Theil zu nehmen, welches mir stets die angenehmste Aufregung und Unterhaltung gewährt hatte. Waschbären oder Racoons, wie die Thiere hier zu Lande genannt werden, waren dort im Ueberfluß, und das zarte Fleisch, besonders aber das wohlschmeckende Fett dieser Thiere veranlaßte uns, mit allem Eifer denselben nachzustellen und sie aus den hohlen Bäumen, ihrem Lieblingsaufenthalt, herauszuräuchern. War ein Waschbär erst aufgespürt, so genügte eine kurze Zeit, um denselben in unsere Gewalt zu bringen. Mit einer kleinen Axt wurde eine Oeffnung in den hohlen Stamm geschlagen, die groß genug war, einen brennenden Grasbüschel durch und in den Stamm hinein gleiten zu lassen; dürre Blätter und Ranken wurden nachgeschoben und mußten den Brand nähren, der einen dicken, erstickenden Qualm inwendig hinausschickte. War dann ein Waschbär oder irgend ein anderes Thier in dem Baume verborgen, so steckte es schon nach wenigen Minuten seine Schnauze aus einer oberen Oeffnung, um frische Luft zu schöpfen; der zunehmende Qualm ließ aber nicht nach und das unglückliche Thier rettete sich auf den nächsten Zweig, wo es dann von einer Kugel oder von Pfeilen begrüßt wurde.

Doch, wie ich schon bemerkte, konnte ich in den ersten Tagen an dergleichen Vergnügungen keinen Theil nehmen; ich mußte jeden Schritt zu sparen suchen, um überhaupt nachzukommen. Blieb ich zurück oder verlor die leitenden Spuren, so mußte ich rettungslos in der ersten Nacht der furchtbaren Kälte, gegen die ich mich durch Feuer allein nicht hätte schützen können, unterliegen. Gewartet oder meinetwegen zurückgegangen wären die Indianer nicht, denn Farfar wäre gewiß recht gern mein Erbe geworden, wogegen die Andern ein solches Vertrauen in ihren Medizingesang setzten, daß ihnen mein Untergang unmöglich schien, wenn ihr Manitu es nicht anders bestimmt hatte, in welchem Falle sie seinem Willen unter keiner Bedingung würden entgegen gehandelt haben und mich lieber hätten verderben lassen.

Wir hatten am ersten Tage 18 bis 20 Meilen zurückgelegt, und ich war glücklich, als ich kurz vor Sonnenuntergang einem kleinen, dichten Gehölz vor mir Rauchsäulen entsteigen sah. Alle meine Leiden waren plötzlich vergessen und rüstig eilte ich Farfar nach, um mich so bald als möglich im schirmenden Zelte wieder erholen zu können. Die Zelte standen schon, als ich anlangte; tüchtige Scheiterhaufen wärmten die Luft in denselben und thauten zugleich die letzte Probe vom Schnee an den Stellen auf, wo große Bündel frischgerupften, dürren Grases gestreut werden sollten, um die Felle und Decken nicht in unmittelbare Berührung mit dem gefrorenen Boden kommen zu lassen. Matt und erschöpft lag ich endlich am Feuer; Wa-ki-ta-mo-nee's Töchter hatten die nassen Leggins und Mokkasins von meinen Füßen entfernt, um dieselben zu trocknen und mit stärkeren Sohlen zu versehen. Ich blieb aber gleichgültig bei aller Aufmerksamkeit und Freundlichkeit: ich war zu hungrig, um an etwas Anderes als an Essen denken zu können, ich kaute mechanisch an einem Riemen gedörrten Fleisches und wendete meine Blicke nicht von Wo-nes-hee's Squaw, die einen Haufen Mais stampfte, der in einen wohlschmeckenden Brei verwandelt weiden sollte. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, wie ich an diesem Abende mit Heißhunger über den Berg der nicht übermäßig reinlich zubereiteten Mehlspeise herfiel und dazu noch das Viertel eines Racoons verzehrte, so kommt es mir noch immer wie ein wilder Traum vor. Ich ließ es mir aber schmecken, und damit noch nicht zufrieden, blieb ich den ganzen Abend damit beschäftigt, wie die übrige Gesellschaft zwischen zwei Steinen süße Hickory-Nüsse aufzuschlagen, deren von den Weibern und Kindern eine Unmasse aus dem Schnee hervorgekratzt worden waren und die einen kleinen Winkel im Zelt einnahmen, so daß sie Jedem bequem zur Hand lagen.

Selbst in einem indianischen Zelte kann man sich so recht behaglich und zufrieden fühlen; so ging es mir an diesem Abend, nachdem ich meinen Hunger gestillt und meine Glieder aufgewärmt hatte. Ich lag auf meiner Büffeldecke am helllodernden Feuer und hatte keine anderen Sorgen, als höchstens die, welche mir von einer etwas härteren Nuß verursacht wurden; meine Füße schmerzten nicht mehr und Wo-nes-hee trug dafür Sorge, daß die Pfeife nie kalt wurde. Der alte Wo-nes-hee war überhaupt für mich eine Person von größerem Interesse geworden, seit ich erfahren hatte, daß er ein Geisterseher sei, dem alle Dahingeschiedenen seines eigenen, so wie anderer Stämme des Nachts erschien und Mittheilungen machten.

Wenn der greise Krieger die Decke über sein Haupt zog und während mehrerer Stunden mit klagender Stimme die Worte: » Ottoe Winebag« sang, dann waren die Geister Derjenigen um uns herum, deren Skalpe von ihren Feinden genommen waren und die deshalb in den glückseligen Jagdgefilden keine Ruhe finden konnten; sie waren in unserem Zelte und zeigten dem alten Wo-nes-hee ihre klaffenden Wunden, ihre blutigen Schädel und mahnten zur Rache, wobei sie aber für jeden Andern unsichtbar blieben. Alle Uebrigen waren an die nächtlichen Gesänge des beschneiten Kriegers schon gewöhnt, doch machten sie auf mich nicht den angenehmsten Eindruck, obgleich Farfar mich von der großen Medizin Wo-nes-hee's in Kenntniß gesetzt hatte. Diese Medizin schrumpfte indessen in meinen Augen bedeutend zusammen, als ich mich davon überzeugt hatte, daß eine merkwürdige Einbildungskraft dem braven, halbschlafenden Wo-nes-hee die ihn umgebenden Gegenstände in ganz veränderter Gestalt erscheinen ließ. So weiß ich, daß er in einer Nacht ein Paar zum Trocknen aufgehangener Leggins für zwei Pferde ansah, die er in seiner Jugend hätte stehlen können, jedoch zu nehmen versäumt hatte, und daß er sich jetzt singend die bittersten Vorwürfe über das Versehen machte. Ein anderes Mal wurde mir am frühen Morgen mitgetheilt, daß während der ganzen Nacht ein skalpirter Missouri-Häuptling auf mir gesessen und vergebens seinen blutigen Kopf am Feuer zu trocknen versucht habe. Ich erwiederte, daß ich den Druck wohl gefühlt und eben so wohl wisse, welcher von unseren Hunden auf mir gelegen habe. Doch Wo-nes-hee ließ sich nicht irre machen; nach seiner Meinung konnten nicht alle Menschen im Besitz derselben Medizin sein, und was ich für einen Hund gehalten, konnte nur der Missouri-Häuptling gewesen sein.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, war ich fast unfähig, auf meinen Füßen zu stehen, und wünschte sehnlichst einen Tag zu rasten. Um meinen Zweck zu erreichen, erklärte ich, daß ich, am ganzen Körper krank, durchaus unfähig zum Reisen sei, und verlangte, es solle Ruhetag gehalten werden. Wäre ich mehr an die indianischen Schuhe gewöhnt gewesen, so hätten meine Kräfte schon wieder so weit gereicht, wie die einer Rothhaut, allein mit Wunden an den Füßen glaubte ich am zweiten Tage unserer Reise das neue Nachtlager nicht erreichen zu können. Mein Entschluß wurde also dem Doctor Wa-ki-ta-mo-nee mitgetheilt, der es denn auch sogleich übernahm, mich sofort von Grund aus zu kuriren. Nun merken Sie wohl auf, lieber Doctor,« wendete der Erzähler sich an seinen Freund, »damit Sie etwas lernen, was Sie später bei unseren eigenen Fußkranken vielleicht in Anwendung bringen können. Wa-ki-ta-mo-nee besuchte mich auf meinem Lager und zwar mit der gewichtigen Miene eines Studenten, der eben sein Doctorexamen bestanden hat. Er faßte nicht nach meinem Puls, sondern fing an, auf eine fürchterliche Weise meinen Magen zu kneten: seiner Meinung nach war ein böser Geist in meinen Körper gefahren, der nur einer kleinen Aufforderung bedürfe, um seinen jetzigen Aufenthaltsort sogleich wieder zu verlassen. Mein Lachen über diese komische Ansicht bestärkte ihn in seinem Glauben, und ohne länger zu säumen, ging er sogleich an die Arbeit. Mit einer indianischen Trommel und einem tüchtigen Schlägel bewaffnet, setzte er sich zu mir auf's Lager und zwar so, daß die Trommel recht nahe an meine Ohren zu stehen kam, und dann fing er an, die über den Klotz gespannte Haut so fürchterlich zu bearbeiten, daß mir beinahe Hören und Sehen verging. Er begann mit gellender Stimme zu singen, von dem tiefsten Baß bis hinauf zu den höchsten Cadenzen, der Schweiß rieselte seine bemalten Wangen hinunter und seine Augen funkelten in wilder Wuth. Ich hoffte den aufgeregten Indianer zu ermüden und in mein Unglück ergeben, fast betäubt von der gräßlichen Musik, blieb ich regungslos und versuchte einige seiner Worte zu erhaschen; doch vermochte ich nur das immerwährende Hau hau und den Ruf Ra-van-ga tan-ga zu unterscheiden, was so viel heißt wie großer Mosquito, eine Benennung, welche mir von meinen Ottoe-Freunden beigelegt worden war, weil ihnen die Aussprache meines Namens zu viel Schwierigkeit verursachte. An zwei Stunden hatte ich auf dieser Folter gelegen, als ich die Unmöglichkeit einsah, meines besorgten Arztes Geduld zu erschöpfen, zugleich aber auch wahrnahm, daß meine eigene schon längst ihr Ende genommen. Ich machte Anstalt, mich vom Lager zu erheben und zu entfernen, doch kaum bemerkte Wa-ki-ta-mo-nee, daß ich mich rührte, als er seinen Gesang in lautes, gräßliches Heulen verwandelte und auf seine Trommel einhieb, als wolle er dieselbe in Stücke schlagen. Seiner Meinung nach hatte der halsstarrige böse Geist endlich dem Einfluß der großen Medizin nachgegeben, und es bedurfte nur noch dieses letzten kräftigen Angriffs, um ihn auf immer zu verscheuchen. Freilich war er verscheucht, denn ich kroch in's Freie mit dem festen Willen, lieber meinen Pfad nach dem Missouri durch eine Blutspur zu bezeichnen, als noch länger solch rasendem Getöse und Lärmen in nächster Nähe ausgesetzt zu sein, Wa-ki-ta-mo-nee trocknete sich indessen den Schweiß von der Stirne und erklärte mit triumphirender Miene seiner Umgebung, daß seine Medizin so ausgezeichnet sei, daß nichts derselben zu widerstehen vermöchte. Er gab alsbald das Zeichen zum Aufbruch. Die Medizin war wirklich nicht so schlecht; meine Füße gewöhnten sich an die Mokkasins, die Wunden heilten während des Laufens und bald war ich so weit hergestellt, daß ich wie eine vollblütige Rothhaut dem Elkhirsch und dem Bären auf dem scharfen Schnee nachspürte. Unsere Reise ging nun glücklich von Statten, bald brachten wir einen Hirsch, bald eine wilde Katze oder einen schwarzen Bären in's Lager und erfreuten uns auf diese Weise einer Art von Luxus; wir erreichten allabendlich ein kleines Gehölz und Wasser und es blieb uns also nichts, gar nichts zu wünschen übrig: wir besaßen das unter solchen Verhältnissen Wünschenswertheste.

Die erste Unterbrechung erlitt unsere Reise durch einen Regentag, der nicht nur unsere Straße furchtbar glatt machte und verdarb, sondern auch die Bäche in reißende Ströme umwandelte, so daß wir genöthigt waren, am waldigen Ufer eines solchen Wassers still zu liegen, um eine Aenderung des Wetters abzuwarten. Wir litten indessen keine Noth und die Langeweile vertrieben wir uns durch Aufknacken von Nüssen, die durch das eingetretene milde Wetter in großen Massen blosgewaschen waren. Dem Regenwetter folgte klarer Frost und wir zogen weiter. Das Eis auf den Gewässern, welche unsere Straße durchschnitten, war nicht stark genug, um uns und unsere Pferde zu tragen; der jedesmalige Uebergang mußte daher auf eine Weise bewerkstelligt werden, die für Menschen und Thiere gewissenlos genannt werden konnte; wir kamen indessen hinüber, und das genügte uns. Uebrigens habe ich mich in dieser widerwärtigen Zeit davon überzeugt, daß eine indianische Squaw mit Recht zu den besten Arbeitern der Welt gerechnet werden kann, so lange sie nur allein die Sklavin ihres Gatten ist und nur für sich und die Ihrigen zu arbeiten braucht.

Um bei solchen Gelegenheiten also das jenseitige Ufer zu gewinnen, wurde der Anfang damit gemacht, daß wir die Thiere ihres Gepäcks entledigten, dem stärksten Pferde eine lederne Leine oder Lasso um den Unterkiefer schnürten und an seinen Schwanz ein zweites Pferd befestigten, welchem die übrigen dann auf dieselbe Weise zu folgen gezwungen wurden. Waren diese Vorkehrungen getroffen, so watete die Hälfte der Männer, das Eis vor sich zerbrechend, durch den Strom und nahm das eine Ende der zusammengeknüpften Leine mit hinüber. Ich war schon etwas an Kälte gewöhnt, kann Ihnen aber die Versicherung geben, daß man sich gar keinen Begriff von der Empfindung machen kann, sobald man dem eisigen Bade entsteigt und augenblicklich die nasse Lederkleidung steif gefriert; wie ein Messer wühlt die Kälte in der Haut und trostlos sieht man die Unmöglichkeit ein, sich zu erwärmen. Aus Verzweiflung greift man dann gern nach dem Lasso, an dessen anderem Ende auf dem jenseitigen Ufer in langer Reihe die Pferde gefesselt harren, und zieht mit allen nur zu Gebote stehenden Kräften, während die zurückgebliebenen Männer, Weiber und Kinder durch Schläge und Stöße die Thiere in die Fluthen treiben, vor denen sie zitternd zurückbeben. Sind sie erst im Wasser, so werden sie leicht nach dem andern Ufer hinübergelenkt und gezogen. Das Gepäck wird auf Eisschollen nachgeflößt, schnell wieder auf die zitternden Thiere geladen und weiter geht es im Trabe über die blendende Schneefläche, um den stockenden Kreislauf des Blutes durch die rasche Bewegung wieder herzustellen.

Doch auch diese Leiden nahmen ihr Ende, scharfer Frost baute uns sichere Brücken, und starker Schneefall, der uns dicht vor einer rettenden Schlucht beinahe tödtete und begrub, verschaffte uns eine bessere Straße, so daß wir uns rasch der Mündung des Nebrasca und dem daselbst gelegenen Dorfe der Ottoes näherten. Unsere Jagden fielen fast immer glücklich aus und ich glaube mit Recht sagen zu können, daß ich nie eine interessantere Zeit verlebt hatte, als gerade auf diesem Theile der Reise. Es ist wahr, ich hatte fast fortwährend mit Strapazen und Entbehrungen zu kämpfen, doch wie gern vergißt der Mensch dergleichen, wenn er mit jedem Augenblicke mehr fühlt, wie wohlthätig Gottes schöne, freie Natur auf den Körper und den Geist einwirkt; mit Stolz blickte ich auf meine zerrissenen Mokkasins und vernarbten Füße und lachte des eisigen Nordwindes, der zwischen den Falten meiner Büffelhaut meine bloße Brust suchte.

Ich war glücklich, überschwenglich froh, weil die Träume meiner Jugendzeit, hervorgerufen durch Cooper und Washington Irving, verwirklicht worden waren, und wenn ich dem mächtigen Riesenhirsch den Gnadenstoß gab oder dem Bären mit meiner Kugel den Schädel zerschmetterte, dann war es mir in der Begeisterung des Augenblickes, als möchte ich mit keinem Menschen auf Gottes Erdboden tauschen; und wenn die rothhäutigen Krieger mir die Pfeife reichten und zuriefen: Ra-van-ga tan-ga, Ka-hi-ga tanga!»Der große Mosquito, ein großer Häuptling.« dann war ich über alle Maßen für meine Entbehrungen bezahlt.

Vier Wochen waren wir unterwegs, als Farfar mir mittheilte, daß wir an diesem Tage den Missouri erreichen würden, auf dessen östlichem Ufer weiße Pelztauscher kleine Ansiedelungen gegründet hatten. Er machte zugleich den Vorschlag, daß er selbst vorauseilen wolle, um Leute über den Fluß zu holen, die mir behülflich sein sollten, gleich bei unserer Ankunft meine Uebersiedelung von den Ottoes zu den Weißen zu bewerkstelligen. Farfar handelte unserer Verabredung gemäß und war schon in aller Frühe verschwunden; ich folgte mit den Uebrigen etwas später nach und gegen Mittag näherten wir uns dem Waldstreifen, der den Lauf des Missouri bezeichnete. Ehe wir hinab in das Thal zogen, kamen wir an dem Begräbnißplatze der Ottoes und bald darauf an ihrem Dorfe vorbei. Ersterer zeigte eine Anzahl von Hügeln, die von rohen Palissaden eingeschlossen und mit Stäben geschmückt waren, von denen bunte Zeugstreifen und Federn herabflatterten. Das nur wenige hundert Schritte weiter entfernte Dorf bestand aus ungefähr sechzig Hütten verschiedener Bauart; einige, von Erde aufgeführt, glichen großen Backöfen oder Heuschobern, während andere, in Form kleiner Häuser, von dicker Eichenrinde zusammengefügt waren. Die Wohnungen standen größtentheils leer, indem die Bewohner ihre Zelte auf den beiden Winkeln, die vom Nebrasca und Missouri gebildet werden, aufgeschlagen hatten; sie waren daselbst in der Niederung mit ihren Thieren mehr gegen die heftigen Stürme geschützt und fetteres Gras war in den Bottom-Ländereien unter dem bergenden Schnee in Fülle vorhanden.

Wa-ki-ta-mo-nee mit seinen Hausangehörigen blieb im obern Dorfe, während Wo-nes-hee mit den Seinigen hinab in die Niederung zog, und kurz vor Abend stand ich auf dem Eise des Missouri und machte die Bekanntschaft eines Mr. Marten, der mich freundlich zu sich in seine Behausung auf dem jenseitigen Ufer des Flusses einlud. Ich nahm einen vorläufigen Abschied von meinen Ottoe-Freunden und bezeichnete ihnen das kleine Blockhaus, in welchem ich vorläufig wohnen würde und wo ich sie Alle wiederzusehen wünschte. Meine Sachen wurden in den kleinen Wagen geworfen, in demselben über das dicke Eis des Flusses geschoben und bald befand ich mich unter freundlichen, weißen Menschen, die miteinander wetteiferten, mich wieder mit Kleidungsstücken zu versehen, die der weißen Hautfarbe angemessener waren. Förmlich umgewandelt saß ich an diesem Abend am flackernden Kaminfeuer, aß gutes Brod zu einem Glase Whisky-Punsch und unterhielt meine Umgebung mit der Erzählung meiner Reisen und Abenteuer. Ich hatte die Genugthuung zu bemerken, daß selbst diese rauhen Ansiedler des fernen Westens Antheil an meinen Leiden und Freude über meine Rettung bezeugten. Ich blieb indessen nicht lange dort, sondern ging nach acht Tagen schon wieder zurück zu den Ottoes und von diesen weiter nördlich zum Stamme der Omaha's, mit denen ich noch vierzehn Wochen verlebte. Ich verschaffte mir während meines Aufenthaltes daselbst ziemlich genaue Kenntniß der dortigen Indianer, ihrer Sitten und Gebräuche, und ich glaube, es wird Sie interessiren, wenn ich Ihnen zu gelegener Zeit weitere Mittheilungen über meine ferneren Erlebnisse an den Council Bluffs mache.«

Unter solchen Gesprächen waren wir fortgezogen; wir hatten die Wagen bald überholt, die Heerden waren hinter uns zurückgeblieben, einzelne der jungen Leute hatten sich noch zu uns gesellt, so daß unser kleiner Trupp den Zug in der Entfernung von einer halben Meile eröffnete. An kahlen Hügeln, deren einzigen Schmuck niedrige Cacteen bildeten, schlängelte sich der Indianerpfad hin; die Windungen waren kurz, so daß wir nicht weit um uns zu schauen vermochten, und ehe wir es vermutheten, uns unter einer kleinen Heerde prächtiger Pferde befanden, die, über die Störung erschreckt, mit gehobenen Schweifen und geöffneten Nüstern schnaubend auseinander stoben. Es waren zahme Pferde, obwohl ohne Hüter; das Lager der Indianer mußte ganz in der Nähe sein und vorsichtig wurde deshalb in mehr geschlossener Ordnung weiter geritten.

Bei einer neuen Biegung des Weges erblickten wir einen kleinen Fluß, der, von Cottonwood-Bäumen und niedrigem Strauchwerk beschattet, auf seinem westlichen Ufer ein indianisches Lager zeigte, welches aus achtzehn großen Zelten bestand. Die Bewohner schienen noch keine Ahnung von der Annäherung einer so starken Abtheilung der Weißen zu haben, denn Weiber wie Kinder, auf ungezäumten Pferden beritten, umkreisten sorglos eine zahlreiche Heerde, die an dem Flüßchen ruhig weidete. Das Auftauchen von Bleichgesichtern in unmittelbarer Nähe des Dorfes brachte eine plötzliche Veränderung hervor. Die hütenden Weiber wurden durch junge Bursche ersetzt, welche die Heerde dem Canadian River zutrieben, um sie aus dem Bereich eines Besuches zu bringen, dessen Absichten ihnen noch fremd waren. Der Vortrab unserer Expedition hatte unterdessen den kleinen Fluß erreicht und machte Miene, durch denselben zu reiten, als auf dem jenseitigen Ufer einige Indianer erschienen, die uns die deutlichsten Zeichen gaben, daß unsere Gegenwart in dem Dorfe vorläufig noch nicht gewünscht würde, sondern daß sie selbst vorher hinüberkommen wollten, um mit den Bleichgesichtern Freundschaft zu schließen. Dem Verlangen der Indianer gaben wir willig nach und erwarteten den Häuptling nebst einigen seiner Krieger, die ihre Decken, welche ihre Glieder verhüllten, über die Schulter warfen und durch das Wasser wateten. Als der Häuptling uns erreichte, stellte er sich als Ku-tat-su, den Häuptling der Kioways, vor und fragte in gebrochenem Spanisch und durch Zeichen nach dem Capitano des Zuges. Da der Lieutenant Whipple bei den Feldmessern und dem Wagenzuge zurückgeblieben war, so kam einer der jungen Amerikaner auf den Einfall, den Doctor Bigelow als Häuptling zu bezeichnen. Ku-tat-su betrachtete aufmerksam den Doctor und fragte die Umstehenden, ob dieser wirklich der Capitano wäre, als sei er gleichsam noch im Zweifel, daß die kleine, schmächtige Figur dieses Herrn mit dem sanften Ausdruck in seinen Zügen, der, nur auf einem bescheidenen Maulthiere sitzend, jeder kriegerischen Auszeichnung entbehrte, ein Häuptling sein könne. Es wurde ihm indessen versichert, daß der Doctor nicht nur ein Häuptling, sondern auch ein großer Medizinmann sei, und sogleich schritt der Indianer zur Begrüßung; er nahm seine Decke zurück, reckte seine Arme weit aus, trat vor den Doctor hin und umarmte ihn auf die zärtlichste Weise, indem er sein bemaltes Gesicht an des Doctors bärtiger Wange rieb, ein Gebrauch, der sich von Mexiko bis zu den Wilden verpflanzt haben muß. »Guter, alter Bursche!« rief der Doctor förmlich gerührt aus, beugte sich ebenso zärtlich von Billy zu dem Wilden nieder und klopfte ihm schmeichelnd mit der Hand auf seine broncefarbenen Schultern. Die gefühlvolle Scene, in welcher der alte Herr sich zur größten Belustigung seiner Freunde so ziemlich wie in der Umarmung eines Bären ausnahm, wurde durch die Ankunft des Lieutenant Whipple unterbrochen, der, nachdem er den Kioways als erster Häuptling bezeichnet worden war, sich ebenfalls ihren Liebkosungen unterwerfen mußte. Freundschaft war nun mit den Indianern geschlossen, der Wagenzug angelangt und es wurde dem Ueberschreiten des Flusses weiter kein Hinderniß entgegengestellt. Junge und alte Krieger, die sich in der Eile geschminkt und geschmückt hatten, stellten sich in größerer Anzahl ein, während andere, wie in den halbzurückgeschlagenen Zelten wahrgenommen werden konnte, noch emsig vor den kleinen Spiegeln mit ihrer Toilette und dem unvermeidlichen Anstreichen ihres Gesichts beschäftigt waren. Unter den zuerst Angekommenen erregte ein ganz greiser Krieger besondere Aufmerksamkeit; sein Anzug bestand nur aus einem blauen amerikanischen Blanketrock, der ihm viel zu groß war, auf den er aber bedeutenden Werth zu legen schien; außerdem besaß er eine besondere Zungenfertigkeit, mit der er es sich äußerst angelegen sein ließ, einen guten Eindruck auf die Amerikaner zu machen. Da er vielleicht von dem früheren Kriege zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko gehört hatte, so suchte er nun auf alle mögliche Weise zu verdeutlichen, daß die Kioways geschworene Freunde der Amerikaner seien, daß nur ein kleiner Theil des Stammes sein Lager hier aufgeschlagen habe, während die Uebrigen nach Mexiko gezogen seien, um den Feinden der Amerikaner Pferde zu stehlen, wobei der alte Redner nicht verfehlte, recht oft zu wiederholen: »Stehlen, Haufen, Pferde, viele Pferde.«

In Folge einer Aufforderung kletterte der Häuptling in den kleinen Wagen, der zum Transport von Instrumenten diente und immer voraus fuhr, und hielt seinen Einzug in das Dorf, wobei er sehr darauf bedacht war, von allen den Seinigen gesehen zu werden, welche ihm die größte Bewunderung über sein ehrenwerthes Auftreten zollten. Nur kurze Zeit hielt unser Zug auf dem freien Platze vor den Zelten und begab sich dann wieder auf den Weg, um gemäß einer Uebereinkunft mit den Wilden das Nachtlager einige hundert Schritte weiter westlich vom Indianerdorfe aufzuschlagen, wo sich die angesehensten Krieger dann einfinden wollten, um eine Unterredung mit den Weißen zu halten und, da auf gewaltsame Art nichts zu gewinnen war, auf gütlichem Wege durch Schmeicheln und Betteln einen kleinen Tribut zu erheben. Ku-tat-su (das fuchsrothe Pferd), begleitet von dreien seiner angesehensten Krieger, erschien demnächst vor dem Zelte des Lieutenant Whipple. Jasa-sorra, Pat-foot-koe-cat und Tu-ga-sone, die Gefährten des Häuptlings, waren große, kräftig gebaute Männer, die, wie Ku-tat-su, dem vorgerückten Alter angehörten und sich, wie dieser, auf alle bei den Indianern nur denkbare Weise geschmückt und bemalt hatten. Der Häuptling trug auf seinem Kopfe einen prächtigen Schmuck von Adlerfedern, während seine Krieger ihr langes, schwarzes Haar als einzige Kopfbedeckung benutzten, und nur die Skalp-Locke mit langen Schnüren aufgereihter runder Blechstücke verziert hatten. In der Malerei, die ihr Gesicht und den Oberkörper bedeckte, war eine besondere Vorliebe für die gelbe Farbe zu erkennen, so wie gelbe, messingene Dinge in großer Zahl an Arm, Hals und in den Ohren befestigt waren. So traten sie in das Zelt, wo sie von dem Commandeur, von einigen Mitgliedern unserer Expedition und dem kleinen Dollmetscher Vincenti erwartet wurden. Vor dem Beginn der Unterhaltung kreiste die Pfeife, worauf Lieutenant Whipple durch Vincenti folgende Worte an seine Gäste richten ließ: »Unser großer Großvater in Washington (der Präsident der Vereinigten Staaten) hat uns geschickt, wir sollen sehr weit nach Sonnenuntergang reisen, wir sollen bis an's große Wasser ziehen und alle seine rothen Kinder besuchen; wir sollen durch das Gebiet der Kioways wandern und die Pfeife des Friedens mit ihnen rauchen; wir sollen uns überzeugen, ob die Kioways sich wie Freunde und Brüder der Amerikaner betragen, ob sie keine Reisenden morden und keine Pferde stehlen und wir sollen ihnen dann Geschenke verabreichen. Sollte der Stamm der Kioways aber schlecht und böswillig sein, dann wird der große Großvater in Washington so viele Soldaten schicken, wie die Kioways Pferde haben, überdies viele dicke Flinten (Kanonen), und die ganze Nation bis auf den letzten Mann vertilgen lassen.«

Diese Anrede, wiewohl nicht sehr ceremoniös, war doch ganz für die Kioways berechnet, die schon seit langen Jahren als die verrätherischsten Indianer in den Steppen bekannt waren und schon vielmals einsame Ansiedelungen überfallen und ausgeplündert, die Männer auf die grausamste Weise gemordet, Weiber und Kinder dagegen gefangen mit fortgeschleppt hatten. Hierzu kam noch, daß Lieutenant Whipple durch vier mexikanische Tauschhändler, die mit der Expedition bei den Kioways zusammengetroffen waren, in Erfahrung gebracht hatte, daß dieser kleine Trupp Indianer zwei gefangene Mexikaner mit sich führe. Er wünschte also die Wilden einzuschüchtern, um die Befreiung der Gefangenen leichter erwirken zu können. Diese nun waren ein junger Mann und eine Frau, die schon als Kinder geraubt worden waren und seitdem unausgesetzt mit ihren Räubern zusammen gelebt hatten. Der junge Mann war indessen schon zu einem vollständigen Indianer geworden, dessen lockige schwarze Haare allein noch die spanische Abkunft verriethen; zudem verstand er noch kaum genug von seiner Muttersprache, um sich dahin zu erklären, daß er gar nicht geneigt sei, seinen jetzigen Aufenthaltsort mit einem andern zu vertauschen. Die Frau dagegen hatte offen ihren Wunsch ausgesprochen, wieder in ihre Heimath zurückzukehren, trotzdem sie Gattin des Ku-tat-su und Mutter eines jungen Häuptlings geworden war. Es ließ sich unter diesen Verhältnissen mit Recht annehmen, daß jede Bemühung, wenn auch nur die junge Frau zu befreien, vergeblich sein würde, doch wurden die Versuche gemacht. Auf die Ansprache des Lieutenant Whipple antwortete der Indianerhäuptling in folgender Weise: »Die Rede ist gut und nicht gespalten, der große Großvater liebt aber seine rothen Kinder nicht, sonst würde er denen, die durch unser Dorf reisen, gesagt haben: zuerst gebt den Kioways Geschenke, dann redet mit ihnen.« Nach dieser etwas anmaßenden Meinungsäußerung ließ Lieutenant Whipple den Wilden auseinandersetzen, daß er zuerst mit ihnen reden und dann Geschenke machen wolle; damit indessen Alle sehen sollten, mit welchen friedfertigen Gesinnungen die Amerikaner zu ihnen gekommen seien, wolle er sogleich einige Sachen unter sie vertheilen lassen und sie dann weiter hören und mit ihnen reden. Es wurden nun Glasperlen, rothe Farbe, einige Decken, Messer und Tabak unter sie vertheilt und dann die Unterredung wieder aufgenommen. Wie gewöhnlich erklärten sich die Kioways als geschworene Freunde und Brüder der Amerikaner, wobei sie gewiß im Stillen herzlich bedauerten, daß ihr jetziger Besuch zu stark sei, um denselben ausplündern oder gar skalpiren zu können. Die Forderung, ihre Gefangenen frei zu lassen, wiesen sie ohne Bedenken zurück, und für die größten Geschenke war der alte Häuptling nicht zu bewegen, seine Frau und sein Kind aufzugeben, die wiederum ohne ihr Kind sich nicht von den Indianern trennen wollte. Die Unterredung nahm hier ihr Ende, worauf Lieutenant Whipple zum Zweck eines allgemeinen Festessens im Namen des großen Großvaters in Washington eine Kuh an das Dorf schenkte, welche augenblicklich auf gierige Weise mit Pfeilen getödtet, zerlegt, vertheilt und fast ebenso schnell von der wilden Horde verzehrt wurde. Rothhäute und Bleichgesichter mischten sich alsdann in beiden Lagern unter einander, um kleine Tauschgeschäfte zu betreiben, Knöpfe, Münzen, Schnallen und dergleichen wurden für Büffelhäute und gestickte Mokkasins hingegeben und erst nach Sonnenuntergang wurden die verschiedenen Besucher aufgefordert, sich, der allgemeinen Sicherheit wegen, in ihr entsprechendes Gebiet zurückzuziehen.

Die Kioways unterscheiden sich in ihrem Aeußern, in Sitten und Gebräuchen nur wenig von den Comanches, die nicht nur ihre nächsten Nachbarn sind, sondern auch dieselben Reviere mit ihnen durchstreifen. Trotzdem ist nicht die geringste Verwandtschaft in den Sprachen dieser beiden Nationen zu entdecken; nur durch ihre Dollmetscher vermögen die Leute dieser verschiedenen Stämme sich mit einander zu verständigen, wenn sie nicht ihre Zuflucht zu der Sprache der Kaddo-Indianer, eines weiter südlich lebenden Stammes, oder zu der allgemeinen Prairiesprache nehmen wollen. Die erstere wird von beiden Nationen hinlänglich verstanden, um darin mit einander verkehren zu können. Die andere dagegen besteht fast ausschließlich aus Zeichen, ist aber ausreichend, um eine Verständigung zwischen allen Indianern der Steppe zu ermöglichen; zu gleicher Zeit giebt sie den weißen Tauschhändlern die Mittel an die Hand, mit den verschiedenen Stämmen in Verbindung treten zu können. Wie die Comanches zeigen die Kioways in ihren politischen und häuslichen Einrichtungen große Aehnlichkeit mit den Nomaden-Völkern der alten Welt. Sie werden von einem Häuptlinge regiert, dessen Würde so lange erblich bleibt, als sein Regiment die Billigung seines Stammes findet. Er ist Anführer im Kriege und Vorsitzender bei den Rathsversammlungen, doch wird er ohne weitere Rücksicht seines Amtes entsetzt, sobald er sich durch eine feige That oder schlechte Verwaltung entwürdigt, und alsdann ein anderer, fähigerer Krieger in seine Stelle gewählt. Ihre Gesetze entsprechen ganz ihrer eigenthümlichen Lebensweise und sind von dem Willen des ungetheilten Stammes abhängig; die Ausführung derselben geschieht mit Genauigkeit und Strenge und liegt den kleineren Häuptlingen ob.

Ihre Begriffe über Eigenthumsrecht sind höchst ungezwungen; sie halten den Diebstahl für durchaus ehrenhaft und ruhmwürdig, in Folge dessen größere Räuber kaum denkbar sind, als gerade diese Wilden. Sie nun durch offenen Krieg für ihre Räubereien bestrafen zu wollen, würde gewiß eine schwere Aufgabe sein, denn wie die Prairie-Indianer von frühester Jugend im Gebrauch der Waffen und des Pferdes erzogen werden und keine bestimmten Dörfer oder Verstecke haben, so entspringen ihnen keine Unbequemlichkeiten daraus, wenn sie genöthigt werden, mit ihren Familien und ganzen Habseligkeiten plötzlich von einem Ende der Büffelregion nach dem andern zu ziehen. Im Besitz vieler und ausdauernder Pferde vermögen sie mit der größten Schnelligkeit zu wandern, wobei ihnen die genaue Kenntniß der Oertlichkeiten und Quellen bedeutend zu Statten kommt; leicht entziehen sie sich in den Grassteppen jeder Verfolgung. Ein Krieg würde daher für sie bei weitem nicht das Elend im Gefolge haben, wie bei andern Stämmen, die ihre alten Dörfer und Wohnsitze niemals ändern. Auch wäre es nutzlos, ihnen die Quellen ihres Unterhaltes abschneiden zu wollen, denn ihre zahlreichen Pferde- und Maulthierheerden würden ihnen auf lange Zeit hinreichende Nahrung gewähren. Sie kennen indessen ihre Unzugänglichkeit, und dieses Bewußtsein macht sie um so verwegener und gefährlicher.

Aberglaube ist bei allen Indianern zu Hause, so auch bei den Kioways. Sie setzten ihr Vertrauen in Träume, tragen Medizinbeutel, Amulette und suchen die Gunst der unsichtbaren Geister durch Opfer, Tanz und Musik zu erwerben. Die Existenz und die Kraft eines großen übernatürlichen Wesens, welches Alles lenkt und regiert, erkennen sie an und gleich den Comanches verehren sie dieses in der Sonne. Auch glauben sie an ein Fortbestehen der Seele, doch nehmen sie an, daß die zukünftige Existenz der irdischen ähnlich sein wird; darum geben sie stets den Kriegern ihre Jagd- und Kriegsrüstung mit in's Grab, damit sie ehrenvoll in den ewigen Jagdgefilden erscheinen mögen. Bis jetzt sind noch keine Versuche gemacht worden, die moralische oder physische Bildung dieser Wilden auf eine höhere Stufe zu bringen und dadurch den Grund zur Civilisation und zum Christenthum zu legen. Die frommen Männer Amerikas sehen gleichgültig auf die Heiden vor ihrer Thüre und senden ihre Missionäre nach andern Ländern und Welttheilen, um das Christenthum zu predigen. Erst dann, wenn durch die Habsucht der weißen, civilisirten Raçe die freien Steppenbewohner verdorben und ausgerottet sind, wird die christliche Liebe ihren Weg zu den leeren Wigwams dieser Stämme finden und Kirchen und Bethäuser auf den Gräbern der armen, geopferten, rechtmäßigen Besitzer der grünen Prairien gründen. –

Die Nacht ging ruhig und ohne Störung vorüber, ruhiger als sich in der Nähe der diebischen Indianer erwarten ließ, die sich am andern Morgen in aller Frühe schon wieder einstellten, um den Aufbruch der Weißen zu beobachten und vergessene oder verlorene Gegenstände auf der verlassenen Lagerstelle sogleich mit Beschlag belegen zu können, ähnlich den Wölfen, die bisher nach dem Abzug des letzten Menschen die rauchenden Lagerfeuer umschlichen und nach Abfällen gespürt hatten. Der Weg gegen Westen war durch hohe Sanddünen und sumpfige Niederungen versperrt, es wurde daher beschlossen umzukehren, zurück durch das Dorf der Kioways und durch den seichten Canadian zu ziehen, um auf der Nordseite desselben die vorgeschriebene Richtung zu verfolgen. Der Boden daselbst war indessen so uneben und erschwerte das Reisen mit Wagen so sehr, daß Alle das südliche Ufer wieder zu gewinnen suchten, sobald die Dünen nicht mehr hindernd im Wege waren. Bei dem Zurückgehen durch den Fluß ereignete sich ein Unfall, der glücklicher Weise nur ein derbes Lachen hervorrief, aber auch ebenso leicht für den Doctor Bigelow sammt seinem Billy hätte verderblich werden können. Um einen passenden Uebergangspunkt für den Wagenzug ausfindig zu machen, waren der Doctor und ich an einer Stelle in den Fluß geritten, wo eine breite Insel einige Erleichterung versprach, und zwischen welcher und dem Ufer kein Tropfen Wasser über den feuchten Sand rieselte, so, daß wie der Doctor sich äußerte, unter seiner Führung kein Maulthier der Expedition sich die Hufeisen zu befeuchten brauchte. Kaum waren wir hundert Schritte vom Ufer entfernt, als unter den Hufen unserer Thiere der Boden sich wellenförmig zu bewegen begann. Die drohende Gefahr erkennend, trieb ich mein Thier zur Eile und beschrieb einen weiten Bogen, um die Last der beiden Maulthiere mehr auf dem gefährlichen Boden zu vertheilen, und erreichte nach kurzer Anstrengung das Ufer. Der Doctor versuchte gleichfalls, auf den warnenden Zuruf, sein Thier auf derselben Stelle umzuwenden, doch bei jedem Schritt erhielt der trügerische Sand eine glänzendere Farbe, Wasser zeigt sich auf der Oberfläche, die sich immer mehr unter der Last des Reiters bog, schwankte und endlich den Hufen des Maulthieres keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen vermochte, welches ringend und kämpfend einbrach. Glücklicher Weise war der Doctor durch Billy's Anstrengungen im entscheidenden Augenblick weit aus dem Sattel geschleudert worden und ehe noch der Triebsand unzerreißbare Fesseln um die Glieder des Thieres gelegt, arbeitete sich dieses, nun von der Last des Reiters befreit, mit Anwendung aller seiner Kräfte empor. Es eilte durch den Morast dem Ufer zu, wo es von seinem Herrn in Empfang genommen wurde, der ebenfalls noch zur rechten Zeit das Weite gesucht hatte und, wie Billy, die ziegelrothe Farbe des Canadian auf seinem ganzen Körper trug. Der eifrige Botaniker schenkte indessen seinem Aufzuge ebenso wenig Aufmerksamkeit, wie der überstandenen Gefahr, er öffnete seine Ledertasche und blickte mit dem Ausrufe hinein: »Ein wahres Glück, daß kein Wasser in meine Tasche gelaufen ist, wodurch mir ein äußerst werthvolles Exemplar einer Cactus hätte verderben können.«

Natürlich wurde ein anderer Uebergangspunkt gewählt und zwar an einer Stelle, wo klares Wasser über festen Boden rieselte und sich nicht im wilden Sande verlor.


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