Balduin Möllhausen
Wanderungen durch die Prairien und Wüsten des westlichen Nordamerika
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII.

Weiterreise der Expedition am Canadian hinauf. – Shady Creek. – Sommerwohnungen und Medizinzelt der Comanche-Indianer. – Fandango in der Steppe. – Pueblo-Indianer. – Opuntia arborescens. – Ueber das Verhältniß zwischen den Mexikanern und Indianern. – Iñez Gonzales. – Beautiful View Creek. – El Llano Estacado.

Für den Zeitraum von mehreren Tagen führte unser Weg am Canadian hinauf; einzelne sandige Stellen erschwerten zeitweise das Fortschreiten, wenn die Expedition durch die Windungen des Flusses genöthigt wurde, einen Weg zwischen Sanddünen hindurch zu brechen. Südlich von der Straße wurden die Ueberreste der Hochebene häufiger und zusammenhängender und die an ihrem Fuß entspringenden Quellen vereinigten sich zu Bächen, welche ihr klares Wasser fröhlich dem Canadian zusendeten, ihre Schätze bald an durstiges, undankbares Erdreich verschwendeten, bald die Wurzeln der auf fruchtbarerem Boden wuchernden Bäume und Stauden netzten und erquickten. Wenn man lange Zeit über harten, kiesigen Boden gewandert ist, schattige Baumgruppen höchstens in bläulicher Ferne wahrgenommen hat, und sich plötzlich und unvermuthet am Rande eines tiefen Thales befindet, wo dunkle Wäldchen und grüne Wiesen, durch welche sich ein kräftiger Bach schlängelt, dem Wanderer so recht einladend entgegen lachen, dann wird gewiß nicht die Frage aufgeworfen: wie früh am Tage ist es noch? oder wie manche Meile könnte noch am heutigen Tage zurückgelegt werden? Nein! man eilt hinab, giebt dem Reitthiere die Freiheit, damit es nach Willkür in den Wiesen grase, während man sich selbst im Schatten nahe dem murmelnden Wasser gütlich thut.

So war es, als unsere Expedition sich vom hohen Ufer hinab in das Thal des Shady Creek wand und des reichen und lieblichen Schmuckes der Landschaft erfreute. Die Sonne hatte noch nicht die höchste Höhe erreicht, eine heimliche Stille ruhte über Wald, Wiese und Bach, eine Ruhe, die noch gehoben wurde durch mehrere Hunderte von Lauben, die, von grünen Zweigen erbaut, den Comanches als Sommerwohnungen gedient hatten. Sie waren jetzt verlassen und leer, aber nicht ohne Leben, denn der Spottvogel saß zwischen den getrockneten Blättern und sang lustig in die Welt hinaus, das Prairiehuhn schlüpfte zwischen dürrem Reisig hindurch und Raben spielten vor den Hütten mit abgenagten Knochen und Lederstücken. Auch die Wilden hatten Gefallen an diesem Thale gefunden und die ersten Monate des Sommers in demselben zugebracht; nur die wandernden Büffel hatten sie fortgelockt und gegen Norden geführt. Das tolle, wilde Treiben war verstummt, aber das Thal so frisch und so grün lag vor uns; nur wenige Minuten nach Ankunft unserer Expedition kreuzten wieder Gruppen von Menschen und zerstreute Heerden durch Wald und Wiese nach allen Richtungen, trieben die Drosseln in's Dickicht, die Prairiehennen in's hohe Gras, die krächzenden Raben aber hinauf auf die dürre Ebene.

Die indianischen Sommerwohnungen erregten allgemeine Aufmerksamkeit und kaum hatte sich Jeder in dem neu aufgeschlagenen Lager häuslich eingerichtet, als er auch hinauseilte, um die Laubhütten näher in Augenschein zu nehmen und auf indianische Weise nach vergessenen oder verlorenen Merkwürdigkeiten zu spüren.

Die Wohnungen bestanden aus grünen Zweigen, die, einander gegenüber in den Boden gesteckt, mit den Kronen so verbunden waren, daß dadurch längliche Lauben gebildet wurden, die indessen nicht hoch genug waren, um Menschen anders als in gebückter ober liegender Stellung aufzunehmen. Die Küche vor jeder Laube, an dem Aschenhaufen in einer Höhlung kenntlich, half die einfache Häuslichkeit vervollständigen. Auch die Medizinhütte fehlte nicht; sie war auf dem Ufer des Baches in derselben Weise, nur in kleinerem Maßstabe als die übrigen Wohnungen, angelegt; zwei Haufen Steine, von kleinen Gräben eingefaßt, befanden sich in derselben und eine Feuerstelle zum Glühen der Steine vor der Thüröffnung. Bei fast allen Krankheiten benutzen die Indianer das Medizinzelt oder, mit anderen Worten, die etwas rohe Art eines Dampfbades, wobei auf folgende Weise zu Werke gegangen wird. Nachdem die Hütte von außen mit Fellen dicht verschlossen und glühende Steine in derselben angehäuft sind, begiebt sich der Patient hinein und nimmt zwischen den beiden Steinhaufen Platz, über welche sodann Wasser gegossen wird. Ein heißer Dampf füllt alsbald den engen Raum und bringt den Eingeschlossenen in Schweiß, der, wenn die Hitze den höchsten Grad erreicht hat, aus dem Zelte heraus und kopfüber in's Wasser stürzt. Dieses wird mehrmals wiederholt, je nachdem die Kräfte des Leidenden ausreichen, und gewöhnlich hat dieses Verfahren, welches vielleicht ganz der indianischen Constitution entspricht, den besten Erfolg. Es versteht sich von selbst, daß ein Medizinmann diese Bäder überwacht und es dabei nicht an heilenden Gesängen und Beschwörungen fehlen läßt. Außer den Kranken unterziehen sich auch junge Leute, welche in die Reihe der Krieger treten wollen, dem Bade, so wie einzelne Krieger, die im Begriffe sind, sich auf einen Kriegs- oder Raubzug zu begeben.

Die vier Mexikaner, welche im Lager der Kioways zu uns gestoßen waren und sich nicht der besten Behandlung von Seiten der Indianer zu erfreuen gehabt, sogar ihre Waffen theilweise daselbst eingebüßt hatten, waren unter dem Schutz unserer Expedition mit fortgezogen. Einige Pueblo-Indianer von Santo Domingo am Rio Grande, die ebenfalls wegen Tauschhandels die Steppen bereisten, hatten sich noch zu uns gesellt, hielten mit uns gleichen Schritt, halfen in einer mondhellen Nacht das wilde Bild eines Fandango in der Steppe vervollständigen und trennten sich dann, mit den Mexikanern eine kleine Karawane bildend, am Shady Creek von der Expedition, um in größeren Märschen ihrer Heimath am Rio Grande zuzueilen.

Hundert Schritte von unseren Wagen lag in einem Halbkreise das Gepäck und die Waaren der Mexikaner und Pueblo-Indianer. Der Mond schien hell über die weite Ebene, die Nacht war so still, so schön, nur selten tönte aus der Ferne das Geheul der Prairiewölfe zum Lager hinüber, wo die Menschen verschiedenster Raçen sich nachlässig unter einander bewegten. Es war eine schöne, eine herrliche Nacht, eine Nacht, die wohl im Stande war, die musikalischen Gefühle eines amerikanischen Wagentreibers zu wecken, der sich auf dem Gepäck das höchste und bequemste Plätzchen aussuchte und einer verstimmten Violine, die er mit vieler Mühe aus seiner fernen Heimath bis hierher gebracht hatte, die wildesten Töne zu entlocken begann. Die schrillen Klänge erreichten jedes Ohr und ein Haufen der verschiedenartigsten Gestalten versammelte sich schnell um den Virtuosen, der, stolz auf die Wirkung seiner Kunst, immer toller mit dem Bogen über die bestaubten und verschimmelten Saiten fuhr. Yankee Doodle und Hail Columbia warf er mit Negerliedern durcheinander. Ha! das waren Melodien, die Jedem an's Herz drangen, denen Niemand zu widerstehen vermochte. Holzscheite flogen in's Feuer, um die dunklen Schatten von dem röthlichen Schein der Flammen beleuchten zu lassen, bärtige Amerikaner, gelbe Abkömmlinge der Spanier und halbnackte Pueblos, Alle von Kopf bis zu Fuß bewaffnet und in Kostümen, welche die Merkmale langer, beschwerlicher Reisen trugen, reihten sich zum wilden, tobenden Tanz. Hier umfaßten sich zwei Amerikaner, um sich in tollen Sprüngen im Kreise zu drehen, dort versuchte ein Mexikaner mit einem Pueblo zu walzen, hier wurde von zwei Söhnen Kentucky's auf energische Weise der Yankee Doodle getanzt, dort reichte sich eine Gesellschaft die Hände zur Quadrille. In einem Winkel aber standen in der Uniform der Vereinigten-Staaten-Infanterie zwei Irländer einander gegenüber, die Hände stützten sie in die Seiten, während ihre Füße den Boden emsig stampften: sie führten einen Nationaltanz auf und gedachten dabei ihrer fernen Heimath jenseits des Oceans, wobei sie sich seufzend zuflüsterten: O! if we had plenty oft whisky! und Ould Ireland for ever!

Auf einer andern Seite befand sich der Wachtposten; er stützte sich auf die Muskete und summte wehmüthig vor sich hin: J'aime à revoir ma Normandie! Der Musiker aber saß auf seinem erhabenen Sitze und sah ernst auf das Gewühl vor sich; er war unermüdlich, und triumphirend bemerkte er, daß nach dem Takte seiner Melodien alle Tänze der Welt zugleich aufgeführt und alle Lieder der Erde zugleich gesungen werden konnten. Er spielte die halbe Nacht, bis eine dicke Staublage sein Gesicht und seine Violine bedeckte und die erschöpften Tänzer bei dem Gepäck niedersanken oder sich auf ihr Lager verfügten, um durch einige Stunden Ruhe frischen Muth und neue Kräfte für den Marsch des folgenden Tages zu sammeln. Mancher träumte vielleicht von der fröhlichen Nacht und dem Fandango in der Steppe.

Ein friedlicherer Menschenstamm, als die Pueblo-Indianer, welche sich auf so gutmüthige Weise zur Theilnahme an dem tollen Fandango bewegen ließen, ist kaum denkbar. Freundlich und gefällig zeigen sie sich gegen Fremde, wo sie ihnen auch immer begegnen mögen, so wie die größte Gastfreundschaft denen zu Theil wird, welche sie in ihren Städten und Wohnungen besuchen. Manche reich bevölkerte Indianer-Stadt blüht noch in Neu-Mexiko, doch sind es nur die Ueberreste des einstmals mächtigen und weitverzweigten Stammes, dessen Spuren und Trümmer in allen Richtungen vom Rio Grande bis an den großen Colorado des Westens zu finden sind. Seit langer Zeit in stetem Verkehr mit den Mexikanern, haben sie vieles in Beziehung auf Sitten und Tracht von denselben angenommen, ist sogar der größte Theil der Bevölkerung der spanischen Sprache mächtig, Fleiß und Betriebsamkeit ist eine ihrer Haupttugenden; sie treiben Acker- und Gartenbau und unternehmen gelegentlich Reisen zu den wildesten Indianern der Steppe, um nach Art der Weißen für Tauschartikel Pelzwerk und Häute mit heimzubringen. Daher kommt es auch, daß Reisende, die sich den Grenzen von Neu-Mexiko nähern, so häufig kleinen Karawanen der Pueblo-Indianer begegnen, die in eiligem Schritt ihre bepackten Esel und Maulthiere über die Ebene treiben.

Als unsere Expedition das Thal am Shady Creek verlassen und sich zwischen rauhen Hügeln und Sandsteinblöcken hindurch wieder nach der Ebene hinaufgearbeitet hatte, nahmen wir sogleich eine Veränderung der Vegetation wahr. Eine neue Cactusart, die Opuntia arborescens, zeigte sich hier zum ersten Male in aller Ueppigkeit und Pracht. Einem Zwergbäumchen ähnlich, hob sich der kurze Stamm aus dem Boden und theilte sich dann in Aeste und Zweige, die sich in eine Krone ausbreiteten und außer den unzähligen Stacheln eine Menge gelber Samenknollen zur Schau trugen. Wir reisten von nun ab nicht mehr im Thale des Canadian River; die Entfernung zwischen uns und dem Flusse vergrößernd, näherten wir uns allmälig dem östlichen Ende der Llano Estacado.

(Anmerkung 9) Die oberste oder vierte Stufe zerfällt in zwei Hauptgruppen. Die untere Gruppe ist von dicken Lagen weißlich-grauen Sandsteins gebildet, der oft rosa und roth ist: die obere Gruppe besteht in Lagen kalkiger, sandiger Thonerde (d'assises d'argile calcareo-sablease), welche Streifen von sehr lebhaften Farben zeigt, als violett, roth, gelb und weiß, mit einem Wort, bunter Thonerde (d'argile irisée). Diese vierte Stufe zeigt eine auffallende Aehnlichkeit mit den marnes irisées Frankreichs, dem Keuper Deutschlands oder den variegated marls von England; mit der jedesmaligen Ausnahme der amarantgelben Farbe, welche ich in Europa niemals wahrgenommen habe; sonst würde ich, anstatt zu denken, ich sei in den Einöden der Prairien und der Felsengebirge, mich nach einigen Punkten des Jura oder des Neckarthales in Schwaben versetzt glauben können. Der Sandstein dieser Stufe ist sehr entwickelt, etwas undeutlich geschichtet und sehr dicht. Seine Mächtigkeit ist 1000 Fuß, dagegen der Keuper oder bunte Mergel marines irisées) nur 500 Fuß hat; was im Ganzen 1500 Fuß für die oberste Stufe des neuen rothen amerikanischen Sandsteins macht. Der bunte Mergel, als Felsen von sehr geringer Festigkeit, ist fast überall durch Abwaschungen (denudations)) entfernt worden, und nur selten kann man denselben anderswo wahrnehmen als da, wo er von jurassischem Terrain bedeckt ist. Die Massen des Sandsteins dagegen haben den Abwaschungen großen Widerstand geleistet, und man findet sie in großen zusammenhängenden Flächen; sie bilden oft bizarre Formen, welche man mit Ruinen von Tempeln, natürlichen Befestigungen, Gräbern von Titanen und Riesen verglichen hat. Auf dem 35. Grade nördlicher Breite krönt dieser Sandstein alle Höhen der Plateaus oder Mesas auf dem rechten und linken Ufer des Canadian, von den Antelope Hills bis zum Llano Estacado, wo er den Fuß desselben bildet; ferner dehnt er sich auf dem Boden des Thales von Rocky Dell Creek und Plaza Larga bis nach Anton Chico und Cañon Blanco in Neu-Meriko aus.

(Marcou, a.a.O., S. 58).

Oede und todt dehnte sich die Ebene bis dahin aus, der unfruchtbare Boden war spärlich mit Grammagras bewachsen und vereinsamt zeigte sich die schöne Cactus, die sich gern mit der schlechtesten Nahrung und Pflege begnügt. Red Bank Creek wurde überschritten, die rothen Ufer desselben hatten nicht die geringste Vegetation aufzuweisen, und Jeder sehnte sich, den Beautiful View Creek zu erreichen, um durch die an diesem Flüßchen zu erwartende weite Aussicht für Entbehrungen anderer Art entschädigt zu werden. Doch der Weg bis dahin war noch weit, und da die äußere Umgebung so wenig ansprechend war und außer Prairiehunden und Erdeulen kein einziges lebendes Wesen sich zeigte, so versuchte Jeder die Langeweile, die er empfand, durch lebhafte Unterhaltung zu verscheuchen, »Mr. Whipple,« redete Einer unserer Gesellschaft den Commandeur der Expedition an, »hätten wir die junge Mexikanerin nicht den Kioways mit Gewalt entreißen können, um sie wieder nach ihrer Heimath zurückzuführen?« – »Allerdings hätten wir das gekonnt,« antwortete Jener, »da die Macht auf unserer Seite war, doch wären wir dann gewiß daran verhindert worden, die uns vom Gouvernement ertheilten Instructionen in Ausführung zu bringen. Unsere Reise bis zum Rio Grande würde ein fortwährender Kampf gewesen sein; die Indianer hätten uns wie Bienen umschwärmt, unfähig zu unseren Arbeiten gemacht, und der Zweck unserer ganzen Reise wäre verloren gewesen. Wir sollen auf unserem Wege genaue Nachforschungen anstellen und nicht Indianer bekriegen, wir werden ohnehin noch gezwungen werden, unsere Waffen zur Nothwehr gegen dieselben zu kehren, ohne daß wir Krieg aus Gründen anfachen, welche es unentschieden lassen, ob ein anderes Recht als das des Stärkeren auf unserer Seite ist. Natürlich werden wir nach unserer Ankunft in Neu-Mexiko die Sache bekannt machen, doch glaube ich kaum, daß ein Versuch zur Befreiung gemacht werden wird. Die Verhältnisse zwischen den Mexikanern und Eingeborenen sind zu verwickelt, und es ist kaum denkbar, daß weniger Mexikaner in der Gefangenschaft der Wilden schmachten, als Indianer Leibeigene der Mexikaner geworden sind, nur mit dem Unterschiede, daß die Indianer ihre Gefangenen selbst unter Gefahren aus den Ansiedelungen holen, während letztere durch Tauschhandel die von anderen Stämmen gemachten indianischen Sklaven in ihre Gewalt bringen, theils um dieselben zu ihren Arbeiten zu gebrauchen, dann aber auch, um sie an ihre Stämme zurückzutauschen, was besonders in dem Falle geschieht, daß solche Individuen böswillig oder untauglich zur Arbeit sind. Auf diese Weise kaufen die Mexikaner oft genug einzelne ihrer gefangenen Landsleute los, wodurch deren Geschick aber nur wenig verbessert wird. Sie bleiben alsdann Leibeigene oder Peons ihrer neuen Herren, bis diese es für gut oder vortheilhaft finden, sie an Nachbarn oder Landsleute in andere Provinzen zu verkaufen. Es ist himmelschreiend, wie namentlich mit dem weiblichen Geschlecht in dieser Beziehung umgegangen wird; ich habe selbst Gelegenheit gehabt, einen solchen Fall beobachten und genau verfolgen zu können, als ich vor einigen Jahren zur mexikanischen Grenzvermessung commandirt war. Ich will Ihnen die Geschichte mittheilen, soweit ich selbst Augenzeuge davon war und soweit mir das Uebrige von Mr. Bartlett, dem ebenfalls zu der Zeit dorthin commandirten Vereinigten-Staaten-Commissair, erzählt wurde. Mein bester Zeuge für die Wahrheit wird Doctor Bigelow sein, der zu damaliger Zeit Mitglied der Expedition war. Wir hatten ein stehendes Lager bei den alten Kupferminen in Neu-Mexiko bezogen und leiteten von dort aus einen Theil unserer Arbeiten und Beobachtungen. Wir standen in ziemlich freundschaftlichem Vernehmen mit den Apache-Indianern, die uns haufenweise umlagerten, doch besuchten uns auch Karawanen von Mexikanern, die einen beschwerlichen Handel treibend das Land durchstreiften. Eines Abends erreichte also eine solche Gesellschaft unser Lager, sie führte eine Heerde Pferde und Maulthiere mit sich und war von einem jungen Mädchen begleitet. Einige aus dieser Gesellschaft wünschten Lebensmittel von uns zu beziehen und im Laufe der Unterhaltung erfuhren wir, daß sie das Mädchen sowohl wie die Thiere von Indianern erhalten und beide Theile nach einer nördlichen Stadt in Neu-Mexiko führen wollten, um einen so hohen Preis wie nur irgend möglich dafür zu erzielen. Da nun die commandirenden Offiziere der Expedition durch Verträge verpflichtet waren, jeden Gefangenen, mit dem sie in Berührung kommen sollten, zu befreien und in seine Heimath zu senden, so wurden unverzüglich Schritte gethan, das junge Mädchen, die sich als eine Mexikanerin auswies, den Händen ihrer grausamen Landsleute zu entreißen, und zu diesem Zwecke die drei ersten Tauschhändler verhört. Nach ihren Aussagen gehörten sie zu einer fünfzig Mann starken Karawane, die nördlich vom Gila mit den Indianern verkehrte. Ungefähr dreißig Personen dieser Gesellschaft waren zurückgeblieben, während die übrigen sich mit ihrem Erwerb auf der Heimkehr nach Santa Fé befanden, wohin sie auch das junge Mädchen, welches sie von den Piñol-Indianern erstanden, zu bringen beabsichtigten, also nach der entgegengesetzten Richtung von der, welche sie hätten einschlagen müssen, um dieselbe den Ihrigen, die in Santa Cruz wohnten, wieder zuzuführen. Es lag also am Tage, die junge Gefangene war zur Leibeigenen bestimmt, die wie gewöhnliche Waare verkauft werden sollte. Auf die Verträge sich stützend, erklärten die Commandeure den Tauschhändlern ihren festen Willen, die Gefangene zurückbehalten und später den Ihrigen wiedergeben zu wollen, und ihr bis dahin alle mögliche Gastfreundschaft angedeihen zu lassen. Alle Widerrede der Tauschhändler, alle die falschen Versicherungen ihrer ehrenhaften Absichten waren vergebens; das Mädchen blieb bei uns im Lager, wo sie die allgemeine Theilnahme in so hohem Grade erregt hatte, daß sich selbst von den rohesten Arbeitern nie Jemand die geringste Unhöflichkeit gegen das arme Wesen zu Schulden kommen ließ. Iñez Gonzales war die Tochter von Jesus Gonzales in Santa Cruz, einer kleinen Grenzstadt am San-Pedro-Fluß in Sonora. Sie hatte das fünfzehnte Jahr noch nicht erreicht, war lieblich und interessant in ihrer Erscheinung, bescheiden und für sich gewinnend in ihrem Benehmen. Im September des vorhergehenden Jahres hatte sie in der Gesellschaft ihres Onkels, ihrer Tante, einer andern Frau und des jungen Sohnes derselben, Santa Cruz verlassen, um zur Feier des heiligen Franciscus zu der 15 Meilen entfernten Stadt Magdalena zu reisen. Zum Schutz gegen umherstreifende, räuberische Indianer wurden sie von einer Wache von zehn Soldaten begleitet. Am zweiten Tage ihrer Reise führte der Weg die Gesellschaft durch eine Schlucht, in welcher ein klarer Bach rieselte, dessen Ufer von dichtem Gebüsch eingefaßt waren. In der Mitte der Schlucht erhob sich ein roh gezimmertes Kreuz, welches dem Andenken irgend eines erschlagenen Mexikaners errichtet war. Als die Reisenden das Kreuz erreichten und anhielten, um für die Ruhe des Ermordeten ein Gebet zu sprechen, erhob sich wildes Geheul hinter dem nahen Gebüsch, und eine Bande der blutdürstigen Piñol-Indianer stürzte auf die Arglosen; ehe diese an Flucht zu denken vermochten, waren der Onkel der Iñez nebst sieben Soldaten erschossen oder von den langen Lanzen der Wilden durchbohrt: nur drei von der Wache entkamen, um in der Heimath das blutige Schicksal ihrer Gefährten verkünden zu können, Iñez, ihre beiden Begleiterinnen, so wie der Knabe wurden gefangen mit fortgeschleppt und getrennt. Die beiden Frauen und der Knabe wurden bald von mexikanischen Tauschhändlern losgekauft und als Leibeigene mit in die nördlichen Ansiedelungen genommen, während Iñez bis zur Ankunft der Mexikaner, von welchen sie erstanden worden, fortwährend bei den Indianern lebte. Obgleich sie während ihres Aufenthaltes unter denselben hart arbeiten mußte und ihrer Kleidung säst gänzlich beraubt worden war, so hatte sie doch keine Ursache gehabt, über sonstige ungebührliche Behandlung zu klagen. Die Pinoloder Piñoleno-Indianer zählen in ihrem Stamme kaum 500 Seelen und durchstreifen das ausgedehnte Gebiet zwischen der Sierra Piñol und Sierra Blanca, welche beiden Gebirge fast an den obern San-Francisco-Fluß stoßen. Ihre Nahrung besteht fast ausschließlich aus der Wurzel der Agave Mexicana, aus der sie eine Art Brod bereiten. Alles Uebrige verschaffen sie sich durch Raub; ihre Gier nach Fortschleppen von Gefangenen hat nur darin ihren Grund, daß sie dieselben auf vortheilhafte Weise wieder an die Mexikaner veräußern können, von welchen sie dadurch, wenn auch nur mittelbar, zu neuen Räubereien aufgemuntert werden. So wußte sich Iñez mehr als zwölf Fälle zu erinnern, daß gefangene Weiber und Männer während ihres Aufenthaltes daselbst eingebracht worden waren, die alle ihr Schicksal theilen mußten.

Die schöne Gefangene wurde also von unserer Commission aufgenommen und alles Mögliche aufgeboten, ihr den Aufenthalt bei derselben erträglich zu machen. Sie wurde so gut gekleidet, wie es die Mittel im Lager erlaubten, und von allen Seiten reich beschenkt; sie füllte ihre Zeit mit weiblichen Handarbeiten und dem Lesen einiger spanischer Bücher aus, die sich zufällig bei der Gesellschaft vorgefunden hatten. Der wehmüthige Ausdruck ihres lieblichen Gesichts verrieth indessen die innige Sehnsucht, mit der sie fortwährend der Lieben in der Heimath gedachte. Wir verließen endlich die Kupferminen, und unsere Arbeiten führten uns südlich in die Nähe von Santa Cruz. Mangel an Fleisch veranlaßte uns, zwei unserer Arbeiter voraus zu senden, um in den Ansiedelungen Schafe zu erstehen. Sie folgten einen Tag lang dem Laufe des San-Pedro-Flusses und erreichten das Lager einiger dreißig Mexikaner, die sich dort aufhielten, um wildes Rindvieh zu jagen. Sie sprachen zu denselben von unserer Expedition, unserer Absicht, nach Santa Cruz zu gehen, und erwähnten zu gleicher Zeit der schönen Iñez. Zufälliger Weise befand sich unter den Leuten, die alle in Santa Cruz wohnhaft waren, der Vater und ein Onkel des jungen Mädchens; es war überhaupt kein Einziger bei dem Trupp, dem die verloren geglaubte Iñez nicht bekannt gewesen wäre. Auf die fast unglaubliche Nachricht von Iñez' Rettung entstand eine plötzliche Aufregung; die Bewachung der Heerde wurde einem einzelnen Mitgliede überlassen, worauf sich alle Uebrigen beeilten, unser Lager in kürzester Frist zu erreichen, um sich von der Wahrheit zu überzeugen, denn bis jetzt war es noch etwas Unerhörtes, daß ein von den Indianern geraubtes Mädchen je wieder zurückgekehrt wäre.

Die Freude des Vaters und der Freunde, als sie die längst verloren Geglaubte erblickten, war unbeschreiblich; Einer nach dem Andern lief zu dem jungen Mädchen hin, um sie auf mexikanische Weise zu umarmen; Thränen der Freude weinten die gebräunten und halbnackten Gestalten, denen die tiefste Rührung die Sprache geraubt hatte.

Laut schluchzend lag das Mädchen in den Armen der Ihrigen, und lange währte es, ehe sie so viel Fassung gewann, daß sie sich nach ihrer Mutter und ihren Geschwistern erkundigen konnte. Die Nachricht über das Wohlbefinden derselben entlockte ihr abermals einen Strom von Thränen, doch waren es Thränen der innigsten Glückseligkeit und Freude, die ein tiefes Gefühl, ein gutes Herz verriethen, und bei deren Anblick selbst die abgehärteten, sonnverbrannten Arbeiter der Commission vergebens ihre Bewegung zu verbergen suchten. Die Urheber so vielen Glückes fanden darin den schönsten Lohn für ihre edle That. Als wir uns Santa Cruz näherten, gingen zwei Mexikaner voraus, um Iñez' Mutter von der Rettung ihrer Tochter in Kenntniß zu setzen und auf das baldige Wiedersehen vorzubereiten. Die Ankunft des Mädchens in der Stadt zu erwarten, wäre für die Mutter zu viel gewesen; zu Fuße und auf Maulthieren zogen die Verwandten und Freunde hinaus und uns entgegen. Als sich der Zug soweit genähert hatte, daß Iñez ihre Mutter zu erkennen vermochte, sprang sie vom Pferde und eilte in ihre Arme. In den lauten Ausrufungen, die Beide im Uebermaß ihres Glückes ausstießen, lag zugleich eine ganze Welt voll Schmerzen und Qualen, welche sie während der langen Trennung gelitten; die Mutter umarmte ihre Tochter immer und immer wieder und ließ sie nur los, um in ihren Zügen zu lesen und sich gleichsam von der Wirklichkeit dessen, was so lange unmöglich geschienen, zu überzeugen. Die Scene war beinahe schmerzlich für uns und langsam zogen wir weiter. Immer neue Bekannte trafen ein, um die schöne Iñez zu bewillkommnen, unter diesen auch zwei Knaben, die Brüder des jungen Mädchens, die zu ihr aufs Pferd kletterten und ihre Freude in knabenhafter Ausgelassenheit zu erkennen gaben. Neben dem Pferde schlich in stummer Verzweiflung ein anderer Knabe; bittere Thränen rollten über seine dunkelfarbigen Wangen, denn seine Mutter war ebenfalls geraubt und sein Hoffen auf Nachricht von derselben vergeblich gewesen; nichts wurde ihm an diesem Tage der Freude zu Theil, als Blicke der innigsten Theilnahme und des Mitleids.

Oft habe ich noch an diese Zeit gedacht und mir nie zusammenreimen können, daß ein Volk, welches so tiefe Gefühle verräth, dennoch so viele Menschen unter sich haben kann, die um schnöden Gewinn das häusliche Glück so mancher Familie zu Grunde gehen lassen und sogar noch mit dazu beitragen. Wenn Diejenigen, welche beabsichtigten, Iñez in Santa Fé als Leibeigene zu verkaufen, Zeugen bei diesem Wiedersehen hätten sein können, sie würden nicht kalt geblieben sein, sie würden Erbarmen gehabt und den gewissenlosen Menschenhandel aufgegeben haben. Von den wilden Eingeborenen ist solches freilich nicht zu verlangen, doch wenn ihnen fest und muthig entgegengetreten würde, anstatt sie, wie es jetzt geschieht, gewissermaßen als nur zu willige Mittel zu schändlichen Zwecken zu benutzen, dann würden der Räubereien allmälig weniger werden und die Wilden, denen solche Erwerbsquellen abgeschnitten, sich wahrscheinlich eher zur Civilisation hinneigen. Doch hören Sie das Weitere über Iñez. Auch ihr wurde ein trauriges, bitteres Loos zu Theil, welches sie nur der Schwachheit ihrer Verwandten zu verdanken hatte, so wie dem Umstande, daß die gesammte dortige Bevölkerung auf einer so niedrigen Stufe der Kultur steht, daß sie ohne Murren gestattet, daß ein Offizier ihres Landes mit dem Glücke ganzer Familien straflos spielen und seine Opfer in den Staub treten darf.

Als wir durch die Stadt zogen, um auf der andern Seite derselben unsere Zelte aufzuschlagen, die uns besser als die mexikanischen Adobe-Häuser zusagten, sahen wir Iñez und die Ihrigen in der Kirche, um Gott und den Heiligen ihren Dank für die Wiedervereinigung darzubringen. Wir hatten Abschied von ihr genommen und glaubten nicht, daß wir jemals wieder von ihr hören würden, denn unsere Arbeiten riefen uns nach anderen Regionen.

Die schöne Iñez blieb indessen bei Allen in frischem Andenken, und es verging kein Tag, an welchem ihrer nicht von dem Einen oder dem Anderen in der Unterhaltung gedacht worden wäre. Ueber ein halbes Jahr war seitdem verflossen, als unser Weg uns wieder in die Nähe von Santa Cruz nach Tubac, einem mexikanischen Militairposten, führte, dessen Gebäude halbzerfallene Hütten und Lehmhäuser waren, und dessen schwache Garnison von einem gewissen Capitain Gomez befehligt wurde. Nun stellen Sie sich also unser Erstaunen vor, als wir dort erfuhren, daß Iñez Gonzales in der Gewalt des mexikanischen Offiziers sei und sich an eben diesem Orte befinde. Dieser wurde von unserer Seite darüber zur Rede gestellt und gab an, daß Iñez allerdings bei ihm sei, jedoch mit ihrer Mutter zurückzukehren gedenke. Nur mit Widerstreben gestattete er uns eine Zusammenkunft mit dem unglücklichen Mädchen. Die Freude, ihre alten Reisegefährten wiederzusehen, war groß, doch sah sie traurig und niedergedrückt aus, wovon Capitain Gomez, der sie nicht aus den Augen ließ, die Ursache zu sein schien. Als wir fragten, ob sie geneigt sei, mit uns nach Santa Cruz zu reisen, antwortete sie zagend, um ihren neuen Herrn nicht zu beleidigen, daß sie sich in den Willen desselben füge. Der Offizier gab uns das feierliche Versprechen, daß Iñez uns am folgenden Tage mit ihrer Mutter, die zur Zeit dort anwesend war, nachfolgen solle. Wir zogen weiter; das Einzige, was wir in Santa Cruz über Iñez erfahren konnten, war, daß die Mutter allein zurückgekehrt sei, daß Gomez Beide durch List nach Tubac gelockt, das Mädchen mit Gewalt zurückbehalten und die Mutter heimgeschickt habe. Ein letzter Weg, Iñez Gonzales zu nützen, wurde eingeschlagen. Mr. Bartlett wendete sich nämlich brieflich an Cubillas, den Gouverneur von Sonora, und versuchte, ihn für das unglückliche Mädchen zu interessieren.

Welchen Erfolg dieser Schritt gehabt hat, ist uns nie kund geworden. Wir kehrten zurück nach den Vereinigten Staaten; der Eine wurde hierhin, der Andere dorthin gesendet, und manches Jahr mag darüber hingehen, ehe Einer von uns wieder jene Gegenden berührt. Ich bin aber überzeugt, daß alle Diejenigen, welche damals die liebenswürdige Iñez und ihr trauriges Schicksal kennen lernten, ihrer noch oft gedenken und ihr ein besseres Loos wünschen!«Die näheren Umstände, Zeit und Ortsangaben aus Bartlett's Personal Narrative. – »Gewiß!« rief Doctor Bigelow aus, »hätte das junge Mädchen ein besseres Loos verdient, und was den verrätherischen Capitain Gomez betrifft, so hätte ich ihm gern eine Kugel durch den Kopf geschossen. Er gehörte indessen dem Staate Sonora an, war also außer dem Bereiche unserer Macht; übrigens glaube ich, daß es einen ganzen Theil der dortigen Bevölkerung kosten würde, wenn alle dergleichen Verbrechen mit dem Tode bestraft werden sollten.«

»Dieses wäre also der Beautiful View Creek,« bemerkte Lieutenant Whipple, der am Rande eines Thales von großer Ausdehnung anhielt, und wie seine Gefährten die Blicke über dasselbe hinstreifen ließ. »In dem Staate New-York oder in dem kleinen District von Columbia würde einer Aussicht wie dieser wenig Aufmerksamkeit geschenkt werden, und doch fühlt man sich von dem Bilde angenehm überrascht, welches sich vor den Augen ausbreitet, wenn man diesen Punkt erreicht hat, obschon das Thal ebenso unfruchtbar zu sein scheint, wie die dürre Steppe, über welche wir hingezogen sind. Wir befinden uns jetzt genau dem östlichen Ende der Hochebene gegenüber, und da es noch früh am Tage und die Entfernung bis zu dem Punkte, wo wir die Llano Estacado zu ersteigen haben, nicht mehr allzu groß ist, so werden wir wahrscheinlich am Fuße derselben in der Nähe irgend einer Quelle die Nacht zubringen.«

Es war so, wie Lieutenant Whipple vorausgesagt hatte; weithin vermochte das Auge dem Laufe des Flüßchens zu folgen, welches in seinem breiten Thale in kurzen Windungen dem Canadian River zueilte.

Die Einfassung der Niederung bestand aus den zerrissenen und von der Natur phantastisch gebildeten Ueberresten der Ebene. Die keilförmigen Hügel, die weit in das Thal hineinragten, auf anderen Stellen mehr zurückblieben, bildeten eine überraschende Perspective. Die röthliche Farbe des Bodens, auf welchem verkrüppelte Cedern in fast regelmäßiger Entfernung von einander zerstreut standen, hoben das Merkwürdige der ganzen Landschaft. Einzelne der Schluchten, nur für sich beobachtet, zeigten ein wildes Chaos von gelben und rothen Sandsteinblöcken, dunkelfarbigen Cedern und sandigem Boden, auf welchem kaum etwas Anderes als die bescheidene Cactus Wurzel zu schlagen vermochte.

Mit leichter Mühe gelangte unsere Expedition hinab in's Thal, überschritt das Flüßchen, erreichte ohne große Schwierigkeit auf dem jenseitigen Ufer die Ebene und zog am Rande der Llano Estacado hinauf, deren cedernbewachsene Schluchten und Spalten auf groteske Weise tief in die Hochebene hineinreichten und Hügel von derselben ganz oder theilweise trennten, die dadurch das Ansehen von riesenhaften Wällen und Befestigungen gewannen. In dem Maße, als sich nun der Wagenzug diesem Tafellande näherte, nahm die Unebenheit des Bodens zu; trotzdem wurde der Schritt der Thiere beschleunigt, um das für diesen Tag gesteckte Ziel, die Schlucht mit der Quelle, zu erreichen, an welcher vorbei die Straße nach der Ebene hinaufführte. Der Weg in der Prairie war freilich bequemer als der, auf welchem die Expedition sich jetzt fortbewegte, doch fröhlicher ging es nun Berg auf Berg ab, das Auge weidete sich an der Umgebung und fand immer neue Gegenstände, an denen es beobachtend haften bleiben konnte. Antilopen sprangen ausgelassen auf den dürren Hügeln umher, Hirsche lugten hinter blaugrünen Cedern hervor, Adler und Weihen beschrieben ihre Kreise in den Lüften, und zierliche Prairiehündchen schauten scheltend und bellend aus den Oeffnungen ihrer dunklen Wohnungen.

Gewiß birgt die Majestät der Natur mit ihren wilden, schattigen Schluchten, ihren grauen Felsmassen, welche stolz ragenden Vesten nicht unähnlich sind, etwas in sich, was die schlummernden Kräfte aufregt und den Geist zum Nachdenken weckt. Wer daher gewohnt ist, in öden Wildnissen zu wandern, wird ermüdende und gefahrvolle Unternehmungen leichteren Arbeiten vorziehen, wenn ihm nur hin und wieder der Genuß geboten wird, im Anblick der ihn umgebenden wilden Natur schwelgen und sich einer hochfliegenden Begeisterung hingeben zu können. Die Zeit verrinnt ihm dann unmerklich, ungern trennt er sich von solchen Scenen und nur zu rasch senkt sich für ihn die Sonne gegen Westen.

Die Quelle war gefunden, das Ziel erreicht; in der Nähe natürlicher Weinberge, die eine Fülle schwellender Trauben boten, wurde am 16. September das Lager aufgeschlagen. Die Expedition hatte bis zu dieser Stelle seit dem Aufbruch von Fort Smith eine Strecke von 564 Meilen in ziemlich gerader Richtung über ebene und rollende Prairie zurückgelegt. Obgleich unmerklich, waren wir während des Marsches allmälig doch zu einer bedeutenden Höhe gestiegen. Fort Smith liegt nämlich nur 460 Fuß über der Meeresfläche, der zweite hervorragende Punkt dagegen, die Antelope Hills oder Grenzhügel von Texas, 2100, und in dem Lager am Fuße der Hochebene befanden wir uns in der Höhe von 4278 Fuß. Die Hochebene, oder el Llano Estacado (die abgesteckte Ebene),Auf dieser Hochebene befindet sich durchaus gar nichts, was dem Reisenden als Landmarke dienen könnte. Mexikanische Tauschhändler hatten deshalb vormals durch lange Stangen, die sie in gewisser Entfernung von einander aufrecht in den Boden steckten, den Reisenden die vortheilhafteste Richtung angegeben, woher der Name el Llano Estacado. die sich über 4 Längen- und 4 Breitengrade erstreckt, erreicht an ihren hervorragendsten Punkten eine Höhe von 4707 Fuß, und die durchschnittliche Erhebung wird auf 4500 Fuß, also 222 Fuß über ihrer Basis gerechnet. Der Boden auf derselben ist sandig, und horizontale Lagen von rothem und weißem Sandstein ziehen sich von einer Grenze bis zur andern. Nur wenig von dieser ausgedehnten Fläche ist bis jetzt bekannt, indem Reisende sich scheuen, in Regionen vorzudringen, wo sie durch gänzlichen Mangel an Holz und Wasser dem Untergange preisgegeben sein würden, und abgesehen davon, daß das Ersteigen derselben nicht zu den leichtesten Arbeiten gehört, bequemt man sich doch ungern dazu, einzelne Ecken derselben abzuschneiden, um dadurch einen großen und beschwerlichen Umweg zu sparen.

Die Strecke, welche Lieutenant Whipple mit seinem Commando auf der wasserlosen Hochebene zurückzulegen hatte, betrug 27 Meilen, mithin einen starken Tagemarsch; es wurde freilich der Encampment Creek im Laufe des Tages berührt, doch war vorauszusehen, daß derselbe trocken sein würde, und daher beschlossen wir, am folgenden Morgen noch vor Aufgang der Sonne die Ebene zu ersteigen, am Encampment Creek eine Stunde zu rasten und dann mit erneuten Kräften dem Rocky Dell Creek, der westlichen Grenze von Texas, zuzueilen, um an demselben von der trostlosen Llano wieder hinabzusteigen. Die kalte Abendluft, so wie der in Aussicht stehende lange Marsch, veranlaßten Jeden, sich früher als gewöhnlich in die wärmenden Decken zu hüllen und der Nachtruhe zu pflegen.

Der Mond war eben untergegangen und Dunkelheit an die Stelle der milden Beleuchtung getreten, als das Signal zum Rüsten gegeben wurde. Halbschlafende Gestalten erhoben sich ringsum im Lager und eilten den niedergebrannten Feuern zu, um dieselben zu schüren und nahe der wärmenden Flamme der unangenehmen Wirkung der schneidend kalten Nachtluft zu entgehen. Undurchdringlich schwarze Finsterniß lag in den Schluchten und Thälern, geheimnißvoll und nur undeutlich stachen die Thürme und Wälle der Hochebene gegen den tiefgrauen Himmel ab. Wir hatten noch zwei Stunden vor dem Aufgange der Sonne, als der erste Schein im Osten das Herannahen des jungen Tages verkündete, breite, milchweiße Strahlen nach allen Richtungen aussendete und in regelmäßigen Zwischenräumen das Firmament bis zum Zenith hinauf bedeckte. Es war kein gewöhnliches Morgenroth, welches schon eine matte Beleuchtung auf die dunklen Schatten geworfen hätte; es war noch zu früh, um ein solches erwarten zu können, denn die äußersten Streifen, die sich schräg gegen Norden und Süden hinneigten, ließen leicht berechnen, wie tief die Sonne noch stehen mußte. Licht ging von den Strahlen Anfangs nicht aus, die bleiche Farbe derselben ließ im Gegentheil den Himmel in noch dunklerem Grau erscheinen.

Als die Strahlen eine röthliche Färbung anzunehmen begannen und dann ein magisches Licht verbreiteten, welches allmälig zunahm und die Dämmerung erzeugte, glimmten nur noch Kohlen in dem verlassenen Lager, in deren Nähe hungrige Wölfe sich um die Abfälle des Frühmahles bissen. Wir waren schon weit fort, einzelne Reiter hielten auf der Hochebene und rüstig folgte ein Wagen dem andern die steile Höhe hinauf.

(Anmerkung 10) Eine unmerkliche Abdachung führt von den Prairien an den Fuß des Llano, dann folgt ein steiler Abhang, der zwischen 300 und 450 Fuß schwankt, welchen man ersteigen muß, um sich auf dem Plateau zu befinden. Während des Aufsteigens bemerkt man augenblicklich, daß die rothen und bunten Felsen, welchen man während mehrerer auf einander folgenden Wochen der Reise in den Prairien begegnet ist, anderen von verschiedener Farbe und Zusammensetzung Platz gemacht haben, und daß die Straten dieses ewigen nouveau grés rouge, dessen Ende man gar nicht zu erreichen glaubte, mit Lagen eines viel neueren Terrains bedeckt sind, welche in übereinstimmender Schichtung auf der vierten Stufe übereinander liegen. – – –

Ich werde die Juraformation, das jurassische Terrain des Llano Estacado so beschreiben, wie es sich mir in meinen Untersuchungen gezeigt hat, indem ich die sich auf dasselbe beziehenden Notizen meinem Reisetagebuche entnehme. Im September 1853 war ich auf dem Llano Estacado an einer Stelle auf der Straße von Fort Smith nach Santa Fe, die unter dem Namen Encampment Creek bekannt ist; hier ist der Durchschnitt, welchen ich auf dem linken Ufer des Flüßchens beobachtet: Zuerst bildet Keuper oder bunter Mergel (marnes irisées) den Boden des Baches, und erhebt sich bis mitten zur Höhe der Schluchten; dann hat man einen kalkig-sandigen (calcareo-sableux) Sandstein von gelblicher Farbe, der auf dem Buntsandstein (new red sandstone) ruht, und zahlreiche Einschlüsse von kohlensaurem Kalk von der Größe einer Haselnuß enthält, in einer Schichtenstärke von 30 Fuß; auf demselben befindet sich eine Lage Conglomerat mit einem kalkigen sehr harten Bindemittel von rosenrother Farbe und 2 Fuß Stärke. Diesem folgt ein Lager von weißem, sehr hartem Kalkstein mit muschligem Bruch. Endlich kommt ein etwas grauer Kalkstein, der öfter sehr weiß, zerbrechlich, halbeolitisch und etwas kreidig ist und manches Analoge mit den weißen korallischen Rogensteinen aus der Umgebung von Porrentruy hat. Dieser letzte Kalkstein, dessen Stratum eine Stärke von 15 oder 20 Fuß hat, bedeckt das Llano und bildet durch seine Auflösung den Boden, denn auf diesem hohen Plateau finden sich keine Spuren eines alluvianischen Terrains. Ich habe durchaus keine Fossilien in dem Terrain des Encampment Creek gefunden, weshalb ich auch keinen Schluß auf sein relatives Alter habe ziehen können, wenn nicht diesen, daß es viel neuer als der amerikanische Keuper ist. Nachdem wir über die Plaza Larga gezogen waren, welche gänzlich von Sandstein und rother Thonerde der vierten Stufe des Buntsandsteins (new red sandstone) gebildet ist, erreichten wir den Fuß des Berges, welchen wir wegen seiner Form den Pyramid Mount, Pyramidenberg genannt haben. Die nördliche Seite, an welcher wir angelangt waren, ist durchaus senkrecht abgestürzt; alle Schichten des Berges sind daselbst blosgelegt, so daß man sich keinen besseren geologischen Durchschnitt wünschen kann, – – – Die steile Höhe, da wo die Flöze zu Tage bloßliegen, beträgt 500 Fuß.

Von der Basis bis zur Hälfte der Höhe, die ersten 200 Fuß, sind aus Straten von buntem Mergel mit rothen, grünen und weißen Streifen gebildet, und gewähren in der That einen Anblick wie der obere Theil des Keupers der Steinbrüche von Boisset bei Salins. Eine Lage von blaugrauer Thonerde von 1 Fuß Stärke bildet die letzte Schicht auf dem neuen rothen Sandstein und ist in unmittelbarer Berührung mit einem weißen Sandstein, der sehr feinkörnig ist, eine Stärke von 8 Fuß hat und schon einer neueren Formation angehört, deren Alter ich zu bestimmen gesucht habe. Darüber hat man ein mächtiges Lager von 80 Fuß Höhe von sehr hartem und feinkörnigem Sandstein von hellgelber Farbe, welcher durch die Spaltung vollständig senkrecht wie eine Mauer geschnitten ist. Lager von weißem Sandstein haben sich darüber hingelegt; sie sind sehr dünn, nicht hart, und sehr dem Einflusse der Atmosphäre unterworfen; auch findet man am Fuße jeder Schicht kleine Sandhaufen, welche durch deren Zerbröckeln entstanden sind; ihre Stärke ist 25 Fuß. Dann kommt Thonerde von blauer Farbe mit einem Anfluge von grau, von schieferartiger Zusammensetzung und 30 Fuß Höhe. In dieser blauen Thonerde, 6 Zoll von dem weißen Sandstein, habe ich das Lager der Gryphäa gefunden, zerrollt und unkenntlich, wie ich sie am vorhergehenden Tage im Bette der Bäche angetroffen. Die Exemplare der Gryphäen, welche ich beim Ersteigen der Höhe gesammelt hatte, überraschten mich durch ihre Form, die der Gryphaea dilatata von Oxford und den Vaches Noires in der Normandie ganz ähnlich ist. – – – Etwas später fand ich in demselben Lager mit der Gryphäa vereinigt eine Schale der Ostrea Marshii in einem ausgezeichneten Zustande der Erhaltung. – Diese Entdeckung von jurassischen Fossilien brachte endlich meine Zweifel über das Alter der Llano Estacado zu einem Ende: ich bin in Nordamerika auf das wirkliche jurassische Terrain gestoßen. – – – Beendigen wir den Durchschnitt des Pyramid Mount. Ueber dem blauen Oxford-Mergel befinden sich Lagen eines sandigen Kalksteins von dunkelgelber Farbe, sehr hart, und mit einem Bruch, der glänzend und spiegelnd (miroitant) wie beim gelben Kalkstein des unteren Regensteines (oolice inferieur) des Jura; jede dieser Lagen hat eine Stärke von 5 bis 6 Fuß, und sie reichen bis zum Gipfel des Berges, wo die alleroberste Schicht aus einem kieselartigen, weißen, sehr festen Kalkstein besteht. – – Also sind die ganzen Höhen des ungeheuren Llano Estacado von dem jurassischen Terrain gebildet, mit Ausnahme des Bodens zweier mächtigen Schichten, welche von Herrn Kendall in seinem Werk, betitelt: Narrative of the Texan Santa Fé Expedition, bezeichnet worden sind. – – –

Im Norden des Llano Estacado sieht man die Gipfel der abgesonderten konischen Berge vom jurassischen Terrain gebildet, wie unter anderen die Höhen des großen und des kleinen Tucumcari, wirkliche Verlängerungen des Llano Estacado, welche sich zwischen den Flüssen Canadian, Cimaron, Purgatoire und oberen Arkansas hinziehen.

(Marcou a. a. O., S. 63-65.)

Oben angekommen, rollten die Räder leicht auf der glatten Fläche, auf der sie keinen Widerstand fanden; kaum merklich lehnten sich die Thiere in die Geschirre und die schweren Lasten folgten willig und leicht nach. Blitzender Glanz im fernen Osten lenkte alle Blicke nach der Richtung hin, wo dunkelglühend die Sonne der Llano Estacado entstieg. Gerade so erhebt sich die Sonne aus dem endlosen Ocean, wenn die wilden Wogen schlafen, kein Hauch die spiegelglatte Fläche trübt und ein feuriger Streifen sich von der Sonne bis zu dem Beobachter erstreckt. Auch auf der Llano fehlte der glanzvolle Schein nicht, doch nicht auf glatter Wasserfläche brachen sich die ersten Strahlen, sondern in Milliarden von Thautropfen, die verschwenderisch die dürren Halme und Gräser beschwerten. Auf dem Ocean späht Jeder, sobald der junge Tag erwacht ist, am fernen Horizont nach Segeln und freut sich bei dem Anblick eines solchen; er wähnt sich dann nicht verlassen und allein in der erhabenen Einsamkeit. Auf der Llano schweifen des Wanderers Blicke vergeblich in die Ferne, kein Baum, kein Strauch grüßt dort sein Auge. Das spiegelglatte Meer schläft nur, und wie das Athmen eines Leviathans verrathen die Schwellungen sein Leben; die Llano Estacado aber ist todt, und geheimnißvoll baut die Mirage ihre trügerischen Nebelbilder auf derselben und giebt dem Menschen eine leise Ahnung von dem, was einst gewesen.


 << zurück weiter >>