Balduin Möllhausen
Wanderungen durch die Prairien und Wüsten des westlichen Nordamerika
Balduin Möllhausen

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XIX.

Die Führer. – Leroux. – Die drei ältesten Backwoodmen. – Züge aus deren Leben. – Kit Carson. – Ankunft von Lieutenant Ives. – Aufbruch von Albuquerque. – Reise am Rio Grande hinauf. – Die Indianerstadt Isleta und deren Bewohner.

Ein Führer durch Länderstrecken, die nur die harten Sandalen oder der leichte Mokkasin der Eingeborenen und Trapper berührte, ist für Reisende von unbezahlbarem Werthe, aber auch oftmals gar nicht zu erlangen; denn unter den Weißen giebt es nur sehr Wenige, die genugsam solche Regionen kennen, um die Verantwortlichkeit eines Führers zu übernehmen, und die Eingeborenen sind wieder zu wenig mit der Sprache und den Gebräuchen der Weißen vertraut, um zu solchen Zwecken verwendet werden zu können. Von der Umsicht und Erfahrung der Führer hängt nicht nur oftmals der Erfolg der Arbeiten einer ausgesendeten Expedition, sondern auch häufig das Leben der ganzen Gesellschaft ab. Darum trachtet denn auch Jeder, der am Rande gänzlich unbekannter Territorien steht, einen Waldläufer, Trapper oder erfahrenen Indianer für seine Dienste zu gewinnen. Gleich nach Ankunft unserer Expedition am Rio Grande hatte Lieutenant Whipple Erkundigungen nach brauchbaren Führern angestellt, doch lange vergebens. Mancher aus der dortigen Bevölkerung wußte wohl von den wilden Indianerhorden und dem Edelsteine und Gold bergenden Sande in der Nähe des Colorado zu erzählen, auch wurden sogar kleine Säckchen mit schönen Granaten, einzelnen Rubinen und Smaragden aus dem Schuttlande vorgezeigt, doch waren mythische Erzählungen mit den anlangenden Steinchen von Mund zu Mund gegangen, welche von den listigen Navahoe-Indianern selbst herstammten, die Manches von undurchdringlichen Urwildnissen erdichtet hatten, um die Weißen von einer Reise dorthin abzuschrecken.

Die Edelsteine wurden überbracht, um andere, nützlichere Gegenstände dafür einzutauschen. Der Einzige, dessen Nachrichten einigermaaßen verbürgt schienen, war ein gewisser Aubrey, der mit Schafheerden in Californien gewesen und mehrfach in ernsten Conflict mit den Keulen-Indianern gekommen war. Sehr ermuthigend für den Zweck unserer Reise konnten die Nachrichten alle nicht genannt werden, doch versprachen wir uns in Folge der mancherlei Erzählungen nur um so mehr neue und interessante Erfahrungen, die wir in den westlichen Regionen zu erwerben Gelegenheit finden würden.

So hatte sich auch das abenteuerliche Gerücht verbreitet, daß die Eingeborenen, von denen Einige im Besitze von Feuerwaffen sein sollten, in Ermangelung von Blei mit goldenen Kugeln schössen. Wir bekamen in der That mehrere solcher Kugeln von reinem Golde in der Größe eines Rehpostens zu Gesicht, doch bewies deren ganzes Aussehen, daß sie aus Goldstaub, wie das meiste Gold in den Wäschen von Californien gewonnen wird, mit Quecksilber amalgamirt bestanden, und durch Druck zusammengeballt waren. Dieses Verfahren konnte indessen nur von professionirten Goldgräbern angewendet worden sein, und die Exemplare, die uns gezeigt wurden, waren, wenn sie aus indianischen Händen kamen, von diesen durch Raub von den Goldgräbern erlangt worden. Je märchenhafter die Gerüchte klangen, um so fester wurden sie von einem großen Theile unserer Arbeiter und Maulthiertreiber geglaubt und Mancher speculirte in Gedanken schon auf eine wohlgefüllte indianische Kugeltasche.

Zu derselben Zeit, als wir Albuquerque erreichten, war ein gewisser Leroux, ein in den Steppen und Gebirgen ergrauter Canadier, in seine jetzige Heimath, die Stadt Taos, zurückgekehrt, welche einige Tagereisen nördlich von Santa Fé liegt. Er hatte den Capitain Gunnison, der die Expedition commandirte, welche der Parallele vom 38. Grade nördlicher Breite folgen sollte, bis durch die Rocky Mountains begleitet und dann beschlossen, den Winter zu Hause zu verbringen. Der große Ruf, den sich Leroux als Trapper, besonders aber als Führer erworben, ließ es doppelt wünschenswerth erscheinen, gerade ihn für unsere Expedition zu gewinnen. Lieutenant Whipple schickte ihm deshalb eine Depesche mit den besten Anerbietungen, wenn er uns nach Californien begleiten wolle. Statt der Antwort kam Mr. Leroux selbst, um das Nähere zu erfahren, und je nach den Umständen sogleich den Contract abzuschließen. Einen Theil der Ländereien, durch welche wir zu ziehen beabsichtigen, kannte er allerdings, denn er war zwei Jahre früher mit der von Capitain Sitgreaves commandirten Expedition an den Colorado und diesen Fluß hinunter bis zum Gila gezogen, doch da wir von der uns vorgeschriebenen Richtung, dem 35. Grad nördlicher Breite nicht zu sehr abweichen durften, es aber auch nicht im Plane des Gouvernements der Vereinigten Staaten liegen konnte, denselben Weg zweimal durchforschen zu lassen, so war anzunehmen, daß Leroux mit uns durch Gegenden kommen würde, die ihm selbst unbekannt sein mußten. Nichts desto weniger drang Lieutenant Whipple in ihn, das Engagement anzunehmen, wohl wissend, daß derselbe durch langjährige Gewohnheit auch in unbekannten Gegenden sich bald orientiren, besonders aber bei Zusammenkünften mit den Eingeborenen am leichtesten eine Unterredung würde vermitteln können. Mr. Leroux nahm endlich das Anerbieten an, unsere Expedition für 2400 Dollars nach Californien zu begleiten. Das Vertrauen, welches sich der alte Trapper in dem Zeitraume von einigen 30 Jahren seines Lebens in den Urwildnissen erworben hatte, war so groß, daß wir uns Alle nicht wenig freuten, als wir erfuhren, daß ein festes Uebereinkommen mit ihm abgeschlossen war.

Die drei ältesten lebenden Backwoodmen (hinterwaldkundige Männer) oder Führer sind dem Alter nach, Fitzpatrick, Kit Carson und Leroux. Alle drei sind Greise oder doch dem Greisenalter nahe, und Fitzpatrick hatte schon über ein halbes Jahrhundert die Steppen und Wildnisse von Nordamerika durchwandert. Man kann gewiß nicht umhin, diesen Leuten die größte Achtung und Bewunderung zu zollen, wenn man bedenkt, wie oft seit ihrer ersten Bekanntschaft mit den westlichen Regionen und deren wilden Bewohnern nur ein kleiner Raum zwischen ihrem Schädel und dem Skalpirmesser der Rothhäute gewesen ist; wie oft ihnen der Tod in den schrecklichsten und verschiedenartigsten Gestalten gedroht hat; bald durch Hunger oder durch Durst, bald durch schwere Verwundungen und Krankheiten, bald durch die reißenden Thiere der Wildniß. Wie manchen ihrer Gefährten sahen diese Leute an ihrer Seite fallen oder zu Grunde gehen, und nichts desto weniger haben sie so viele Jahre unter Verhältnissen verlebt, vor denen die Mehrzahl der Menschen zurückschreckt, Verhältnisse, die ihnen aber lieb und werth geworden sind, und fortwährend ihren Körper und ihre Geisteskräfte jung erhalten, wenn auch das Greisenalter bei ihnen schon eingekehrt ist.

Einem Zufalle verdankt es z. B. Fitzpatrick, daß er als ganz junger Mann nicht am Marterpfahl erschossen wurde, und noch heute in voller Rüstigkeit mit dem jüngsten und kräftigsten Wanderer Schritt zu halten vermag. Vor vielen Jahren nämlich, als die weißen Menschen, welche die Rocky Mountains gesehen hatten, noch zu zählen waren, und nur wenige der Prairie-Indianer das Schießgewehr kannten, jagte Fitzpatrick, der sich etwas von seinen Gefährten getrennt hatte, einsam und allein an einer Stelle in den Felsengebirgen. Das Unglück wollte es, daß er in der Ferne einer Kriegspartei der dortigen Indianer ansichtig wurde, die auch ihn in demselben Moment erblickt hatte und sich sogleich anschickte Jagd auf ihn zu machen. An ein Entrinnen war nicht mehr zu denken, doch machte der junge Jäger den Versuch einer Flucht, um wenigstens so viel wie möglich Zeit zu gewinnen. Aus Erfahrung wußte er, daß diese mit der Feuerwaffe noch nicht vertrauten Wilden mehrmals weiße Jäger ergriffen, und die denselben entrissenen Büchsen aus der Nähe auf deren Brust abgedrückt hatten, um die neue Art Waffen und deren Wirkung genauer kennen zu lernen. Sich hieran erinnernd, zog Fitzpatrick vorsichtig die Kugel aus seiner Büchse und setzte dann seine Flucht fort. Die Indianer folgten seiner Spur und brachten ihn nach kurzer Zeit in ihre Gewalt, worauf sie ihn entwaffneten und an einen Baum schnürten. Ein Krieger, der den Mechanismus des Losdrückens kannte, ergriff das Gewehr, stellte sich auf wenige Schritte vor den Gefesselten hin, zielte auf dessen Brust und gab Feuer. Als die Indianer darauf durch den Pulverdampf nach Fitzpatrick hinblickten, stand er wohlbehalten an seiner Stelle, zog eine Kugel, die er an seinem Körper versteckt gehalten, hervor und warf sie seinen Feinden zu. Dies ging über die Begriffe der abergläubischen Indianer; vor ihren Augen hatte Fitzpatrick die Kugel in ihrem Fluge aufgehalten, er war unverwundbar, und ein großer Zauberer, und dem ganzen Stamme drohte nach ihrer Meinung Gefahr, wenn sie ihn nicht schleunigst befreiten. Sie zerschnitten alsbald seine Banden, warfen ihm seine Büchse hin und entfernten sich so rasch als möglich, dem jungen Jäger anheimstellend, seine Wanderungen fortzusetzen oder sich wieder zu seinen Gefährten zu verfügen. Aehnliche Abenteuer könnten diese drei alten Jäger Hunderte und aber Hunderte beschreiben, und es geschieht auch, wenn sie mit ihren Kameraden in gemüthlicher Unterhaltung vergangener Zeiten gedenken; doch prahlen sie dann nicht mit ihren Erlebnissen, sondern einfach und treu schildern sie die schauderhaftesten Begebenheiten, die ihnen im Laufe der Zeit alltäglich geworden sind und weiter nichts als eine interessante Rückerinnerung hinterlassen haben.

Da ich selbst längere Zeit, durch seltsame Verhältnisse geleitet, das Leben eines Trappers geführt habe, und durch langen Verkehr mit den Pelzjägern des Westens sich mein Interesse für diese kühnen Abenteurer gesteigert hat, so war ich stets darauf bedacht, Näheres über die Erlebnisse des Einen oder des Anderen zu erfahren. Es gelang mir daher häufig, ganze Lebensbeschreibungen zu sammeln, von denen ich hier die des berühmten Kit Carson zu geben die beste Gelegenheit habe.

Carson, der dem Colonel Frémont auf seinen mühseligen Reisen und erfolgreichen Forschungen im fernen Westen stets als treuer Freund und Führer zur Seite gestanden hat, ist der Sohn eines Kentuckiers, der sich als Jäger und in den Kriegen gegen die Indianer einen bedeutenden Ruf erworben hatte. Der junge Kit oder Christopher Carson fand schon als Knabe von 15 Jahren seinen Weg nach Santa Fé und durch Neu-Mexiko nach den Silber- und Kupferbergwerken in Chihuahua, indem er sich Handelskarawanen anschloß, und später als Wagenführer sich verdingte. Mit dem 17. Jahre unternahm er seinen ersten Ausflug als Trapper, indem er in Gesellschaft von andern Pelzjägern den Rio Colorado of the west hinauf zog. Der Erfolg, von dem sein erstes Unternehmen dieser Art trotz der vielen ihn umgebenden Gefahren gekrönt wurde, verdoppelte seine Liebe zum Jagdleben. Er kehrte nach Taos zurück, zog mit einer andern Trapper-Expedition an die Quellen des Arkansas und von dort nördlich nach den Rocky Mountains, wo der Missouri und der Columbia River entspringen. In diesen Regionen blieb er 8 Jahre und erwarb sich bald den Ruf eines tüchtigen Fallenstellers, eines ausgezeichneten Schützen und sicheren Führers. Sein Muth, seine Klugheit und Ausdauer waren weit und breit bekannt, so daß bei gefährlichen Unternehmungen und bei Angriffen auf die Indianer er sich immer mit betheiligen mußte. So verfolgte er z. B. einmal mit 12 Gefährten die Spuren einer Bande von 60 Crow-Indianern, die einige Pferde der Trapper gestohlen hatten. Er holte dieselben ein und es gelang ihm und seinen Kameraden, sich unbemerkt an die Indianer heranzuschleichen, die in einem verlassenen Fort ein Unterkommen gesucht hatten. Die kleine entschlossene Gesellschaft schnitt die Pferde, die nur 10 Fuß weit vom Fort angebunden waren, los, griff die Indianer an und entkam glücklich mit den wieder erlangten Pferden und einem Crow-Skalp, den ein Carson begleitender Indianer erbeutet hatte. Bei einem anderen Zusammentreffen mit den Indianern erhielt Carson eine Büchsenkugel in die linke Schulter, die den Knochen zerschmetterte, und dieses ist der einzige bedeutende Unfall, der ihn auf seinen gefahrvollen Wegen betroffen hat. Da die Trapper ihr Leben in einem Lande hinbringen, wo nur Gesetze gelten, die Jeder sich selber schafft, so ist es dem Friedfertigsten oft nicht möglich, sich von Streitigkeiten fern zu halten, die häufig unter ihnen ausbrechen und nicht selten ein blutiges Ende nehmen. So hatte auch Carson einst einen Kampf auf Leben und Tod mit einem Franzosen, ebenfalls einem Trapper, zu bestehen. Im Verlaufe einiger Streitigkeiten, die wie gewöhnlich um geringfügige Sachen entstanden waren, äußerte der Franzose, daß er schon manchen Amerikaner besiegt habe, und diese zu weiter nichts gut wären, als gepeitscht zu werden. Carson, der auf diese Weise seine Nationalität angegriffen sah, antwortete ihm, er sei nur ein unbedeutender Amerikaner und der Franzose würde gut thun, mit der Peitsche bei ihm den Anfang zu machen. Einige heftige Worte wurden noch gewechselt, worauf sich Beide bewaffneten und zu ihren Pferden eilten, um durch einen Kampf den so entstandenen Streit auszugleichen. Der Franzose führte eine Büchse, Carson dagegen nur eine Pistole; Beide machten sich schußfertig und ritten mit Gewalt auf einander los. Als die Pferde sich beinahe mit den Köpfen berührten, gab Carson Feuer und zerschmetterte seinem Feinde mit der Kugel den Schädel, noch ehe Jener Zeit gehabt hatte mit seiner Büchse auf ihn zu zielen. Carson rettete diesmal sein Leben durch seine Gewandtheit, denn unfehlbar hätte er sonst in diesem eigenthümlichen Duell von der sicheren Waffe des Franzosen fallen müssen. – Durch einen Zufall wurden Frémont und Carson auf einem Dampfboote mit einander bekannt, als Frémont im Begriffe war, seine erste Expedition nach Californien anzutreten. Carson schloß sich dem damals noch jungen Offizier an, begleitete ihn auf allen seinen späteren Expeditionen, und unter Gefahren und Entbehrungen wurde die Freundschaft zwischen diesen beiden Männern geschlossen, die noch heute warm und innig fortbesteht. Im Jahre 1847, als Carson Washington besuchte, wurde er von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zum Lieutenant in demselben Jägerregiment ernannt, in welchem Frémont als Lieutenant-Colonel diente.

Da wir immer noch nicht die Zeit unseres Aufbruches bestimmen konnten, so kehrte Mr. Leroux nach Taos zu den Seinigen zurück; um noch einige Tage bei denselben zu verweilen, zugleich aber auch sich auf eine längere Abwesenheit von seiner Heimath vorzubereiten, und zur Reise zu rüsten, so daß er auf die erste Nachricht gleich zu uns stoßen könne.

Außer Mr. Leroux engagirte Lieutenant Whipple als zweiten Führer noch einen Mexikaner, der vorgab, mehrmals am Colorado gewesen zu sein. Von einer andern Seite wurde uns mitgetheilt, daß derselbe wirklich mit mehreren seiner Landsleute dorthin gezogen sei, um mit den Eingebornen Tauschhandel zu treiben, vielleicht auch bei dieser Gelegenheit einige junge Indianer und Indianerinnen zu erbeuten. Das Unternehmen war indessen fehlgeschlagen, die Mexikaner mußten sich glücklich schätzen, überhaupt mit heiler Haut davon gekommen zu sein, und aus ihren Reisen waren ihnen daher nur Kosten und viele Mühseligkeiten erwachsen. Die auf solchen Streifzügen gewonnenen Erfahrungen konnten indessen vom größten Nutzen für uns sein, und dadurch, daß der würdige Don Antonio Survedro, wie er von dem amerikanischen Theil unserer Expedition genannt wurde, es übernahm, für die Summe von 1200 Dollar mit uns nach Californien zu wandern, gelang es ihm, den ersten Vortheil aus den von ihm früher vielleicht etwas leichtsinnig unternommenen Reisen zu ziehen.

Die Unruhe, die jeder Einzelne unserer Gesellschaft über das Ausbleiben des von Texas heraufkommenden Commandos allmälig zu empfinden begann, wurde endlich in der fünften Woche unseres Aufenthaltes in Albuquerque durch die Ankunft des Lieutenant Ives, des Doctor Kennerly und des Mr. Hugh Campbell gehoben. War die kleine Abtheilung nun auch glücklich mit ihren beiden Wagen und wenigen Leuten zu uns gestoßen, so hatte sie doch unterwegs mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, die theils durch Krankheit der eben genannten Herren selbst, besonders aber dadurch entstanden waren, daß das Commando wegen seiner Schwäche sich nach andern Karawanen hatte richten müssen, unter deren Schutz es den verabredeten Punkt am Rio Grande zu erreichen beabsichtigte. Es waren somit nur noch die letzten Vorbereitungen zu treffen, und unserem Aufbruche stand alsdann nichts weiter im Wege.

Bedeutend verstärkt sollten wir den Rio Grande überschreiten, denn hatte das Personal unserer Expedition mit Einschluß der Militairbedeckung von 25 Mann aus dem ersten Theile der Reise aus 70 Köpfen bestanden, so wurde unsere Gesellschaft nunmehr auf 114 Mann gebracht, das heißt, mit Hinzurechnung einer zweiten Militair-Escorte von 25 Mann, die wir von dem am westlichen Abhange der Felsengebirge gelegenen Fort Defiance zu erwarten hatten, und die in der Nähe von Zuni zu uns stoßen sollte. Die Zahl unserer Maulthiere war ebenfalls verdoppelt worden, so wie eine starke Schafheerde zum Unterhalte der Mannschaften mitgenommen wurde. Nicht ohne Grund wurden vorzugsweise Schafe und Ziegen gewählt; einige Ochsen und Kühe wurden zwar auch angekauft, doch waren diese dazu bestimmt, gleich im Anfange der Reise geschlachtet und an die Mannschaften vertheilt zu werden, um die Schafe für spätere Zeiten aufzusparen; denn einestheils finden Schafe und Ziegen leichter Nahrung in unwirthlichen Wüsten, andererseits aber ist das Rindvieh, wenn es lange über steinigen Boden und scharfe Lava zu schreiten hat, eher dem Erlahmen ausgesetzt.

So waren wir denn endlich so weit gediehen, daß der Tag des Aufbruches bestimmt werden konnte. Unsere Sammlungen und Arbeiten waren einem Kaufmanne zur Beförderung nach Washington übergeben worden. Provisionen, Geräthschaften, Werkzeuge und sonstige Effecten hatten ihren Platz in den Wagen gefunden oder waren für die Rücken der Packthiere bestimmt worden. Leroux hatte sich eingestellt und sobald das Signal gegeben war, konnten die Zelte abgebrochen werden und demnächst unsere ganze Expedition durch den Rio Grande ziehen.

Gemäß der Anordnung des Lieutenant Whipple wurde unsere Gesellschaft getheilt, indem Lieutenant Ives nebst zwei Astronomen und Doctor Kennerly, deren Gesellschaft auch ich zugetheilt wurde, einen Tag früher aufbrechen und auf dem westlichen Ufer des Rio Grande 20 Meilen weit hinauf bis zur Indianerstadt Isleta ziehen sollte. Nachdem dieser Ort astronomisch bestimmt, zugleich aber auch Untersuchungen angestellt worden, in wie weit die beiden Ufer des Rio Grande an dieser Stelle sich zum Bau einer Brücke eignen würden, sollte die kleine Abtheilung Isleta verlassen und in gerader Linie westwärts ziehen. Einige Meilen vor der Indianerstadt Laguna mußte sie dann in die Landstraße gelangen, die von Albuquerque direct nach Laguna führt; dort sollte sie ihr Lager aufschlagen und den Hauptzug erwarten, der einen Tag später auf dem kürzeren Wege Albuquerque verlassend zu ihr stoßen mußte.

Unter den herzlichsten Glückwünschen nahmen wir daher von unseren Freunden und Bekannten in Albuquerque Abschied, sagten unseren Kameraden, die noch einen Tag länger verweilen sollten, auf drei Tage Lebewohl, und zogen am Abend des 8. November 1853 durch den Rio Grande. Auf dem westlichen Ufer des Flusses, gegenüber dem Lager der Zurückbleibenden schlugen wir unsere Zelte auf, um am folgenden Morgen in aller Frühe unsere Reise gegen Norden antreten zu können. Der Anfang derselben war nicht sehr ermuthigend, denn von den beiden Wagen, die uns begleiteten, blieb der eine dergestalt im Bette des Flusses stecken, daß es uns nur mit der größten Mühe und nach Zerbrechung der Deichsel gelang, denselben auf's Trockne zu bringen. Glücklicherweise war das Hauptlager so nahe, daß von demselben aus Schmied und Stellmacher geschickt werden konnten, die in der Nacht den Schaden wieder ausbesserten. Am flackernden Lagerfeuer wurde der erste Unfall indessen schnell vergessen; wenige Schritte von uns eilten die trüben Fluthen des Rio Grande vorüber, von dessen jenseitigem Ufer die fröhlichen Stimmen unserer Kameraden, die Musik und das laute Geräusch des ewigen Fandango's zu uns herüber schallten; in den dunkeln Schatten des Placers, nur an den einzelnen Lichtern erkennbar, lag die Stadt Albuquerque. Wir blickten hinüber nach dem Orte, wo wir ein so fröhliches, ungebundenes Leben geführt hatten; sogar eine Anwandlung von Wehmuth beschlich uns bei dem Gedanken, den Ort nie wieder zu sehen, doch blieb vorherrschend die Freude darüber, uns endlich wieder auf dem Wege zu befinden, der uns an unser Ziel führen mußte.

Am 9. November in aller Frühe war unsere kleine Karawane schon wieder in Bewegung und zog auf ebener Straße im Thale des Rio Grande dahin. Einzelne zerstreute Ansiedelungen oder mehr zusammengedrängt liegende Gehöfte verliehen der Landschaft einige Veränderung, die sonst einen öden wenig ansprechenden Charakter trug. Der Herbst mit seinen zerstörenden Nachtfrösten war über die sonst so grünen Wiesen hingezogen und hatte der Vegetation eine Färbung zurückgelassen, die sich nur wenig von der der dünenartigen Sandhügel unterschied, welche gewissermaßen den Uebergang von dem Thale zum Hochlande bildeten. Bäume oder Sträucher waren nur in Gärten zu sehen, wohin sie fleißige Hände mit Mühe gepflanzt hatten; an den dunkeln Streifen dagegen in den Gebirgen, die sich von allen Seiten erhoben, waren die Cedernwaldungen zu erkennen, welche den Ansiedlern Bau- und Brennholz lieferten. Ueber diese so wenig ansprechende Landschaft wölbte sich der mexikanische Himmel in seiner fast ewigen Klarheit; doch war es kühl und die schräger fallenden Strahlen der Herbstsonne theilten nur noch wenig Wärme mit.

Wir waren alle auf guten Maulthieren beritten; Doctor Kennerly und ich beschlossen daher kleine Umwege zu machen, doch mußten wir bald die Jagd aufgeben, denn im Thale selbst hatten wir fortwährend mit Gräben und Canälen zu kämpfen, und auf den Anhöhen war es der lockere Sand, der den Schritt unserer Thiere hemmte und uns bald veranlaßte, uns wieder zu unseren Gefährten auf der Landstraße zu gesellen. Eine Meile nach der anderen legten wir schnell zurück; wir berührten die Städte Arisco, Pajarito und Padillas, Orte, die eigentlich nur den Namen von Dörfern verdienten, und begegneten auf unserem Wege Menschen aller dortigen Raçen, von verschiedenem Alter und Geschlecht. Der Contraste gab es viele; da galoppirte auf edlem Pferde der prunksüchtige Mexikaner, im gestickten, mit Knöpfen reich besetzten Jäckchen und mit weiten betreßten Beinkleidern stolz an uns vorüber, und trug Sorge, daß die Knöpfe und Kettchen an den kolossalen Spornen klingelten, als er gravitätisch seinen Hut mit einem Buenos dies zog. Dort kam auf einem bescheidenen, kleinen Esel der friedliche Pueblo-Indianer angetrabt, während des Reitens die Zehen aufwärts haltend, um mit den Füßen nicht in fortwährende Berührung mit Steinen und unebenem Boden zu kommen. Aus den Gärten bei den Gehöften schauten einzelne Mitglieder des weiblichen Geschlechts neugierig zu uns herüber. Das Alter so wie die Gesichtsbildung derselben waren indessen nicht zu erkennen, so sehr hatten sich diese Schönen das Gesicht mit Kalk oder Blut von geschlachtetem Vieh beschmiert. Ob die Bewohnerinnen von Neu-Mexiko diese Gewohnheit von den Indianern angenommen haben, oder solches Verfahren als Schutz gegen die Sonnenstrahlen und zum Bleichen der von Natur etwas dunkleren Haut anwenden, konnten wir nicht erfahren, doch entging es uns nicht, daß selbst die hübschesten Gesichter durch diese eigenthümliche Mode schrecklich entstellt wurden. Daß ihr Aeußeres unter einer Lage derartiger Schminke gerade nicht sehr gewann, schien den eitlen Schönen ebenfalls nicht fremd zu sein, denn Manche derselben verhüllte bei unserer Annäherung ihre Züge in ihre schleierartige Decke ( rebosos) dergestalt, daß nur aus dichten Falten die schwarzen, feurigen Augen auf uns blitzten. Auch kleinen Karawanen begegneten wir, die mit Packthieren nach Albuquerque zogen, so wie Pueblo-Indianern, die auf plumpen zweirädrigen Karren mit Holzladungen aus dem Gebirge kamen.

In den Nachmittagsstunden erreichten wir Isleta, eine Stadt, die in ihrer Bauart, so wie in ihrer Lage viel Aehnlichkeit mit Santo Domingo hat, nur daß in Isleta nahe den zwei- und dreistöckigen Wohnungen der Indianer sich auch einstöckige Häuser einiger daselbst angesiedelter Mexikaner finden. Als wir uns der Stadt näherten, bemerkten wir eine Anzahl Indianer, die eifrig in einem Weingarten beschäftigt waren, mit Hacken und sonstigen Geräthschaften unter lautem Jubel den Boden von saamentragendem Unkraut zu reinigen, während die bequemen Mexikaner vor ihren Thüren lagen und Cigaritos rauchten. Bei Letzteren hielten wir an, um etwas Obst zu kaufen, zogen dann durch die Stadt und schlugen auf der nördlichen Seite derselben nahe dem Flusse unser Lager auf. Wir befanden uns zwischen Feldern, auf welchen die letzten Ueberreste einer gesegneten Ernte zu erblicken waren und in deren losem, wohlkultivirten Boden wir nur mit Mühe die Zeltpflöcke zum Straffhalten der ausgespannten Leinwand befestigen konnten. Kaum standen unsere Zelte, als wir von allen Richtungen von der Stadt her Indianerinnen, die Töpfe mit Milch und Körbe mit Obst auf ihren Köpfen trugen, auf uns zueilen sahen. Freundlich boten sie uns ihre Waaren zum Kauf an, von welchen wir einen kleinen Vorrath erstanden; freilich kauften wir nur eben so viel, als wir verwenden konnten, doch ergötzten wir uns bis zum Abend an den harmlosen Leuten, die uns friedlich umschwärmten.

Die Nacht war schon vorgerückt, als Trommeln und wildes Singen von der Stadt her zu uns in's Lager schallte und unsere Neugierde rege machte. Das Wetter war kalt aber schön und einladend zu einem Spaziergang, weshalb Mehrere von uns der Richtung zuschritten, von woher wir das laute Treiben vernahmen. Die Straßen waren öde und leer; nur ein einziger Indianer begegnete uns, der an uns vorüberschritt und wie wir vernehmen konnten, einige Schritte von uns entfernt, einen Stein zur Erde fallen ließ. Es war klar, daß derselbe bei unserer Annäherung als nächste Vertheidigungswaffe einen Stein ergriffen hatte, ein Beweis für uns, daß selbst diese friedlichen Indianer sich in ihren Städten nicht ganz sicher fühlen und zeitweise den Angriffen von Räubern und Vagabunden ausgesetzt sind, obgleich sie nur wenig Werthvolles besitzen, was die Gier indianischer oder gar weißer Räuber rege machen könnte. Wir ließen uns von den Tönen des wilden Concerts auf unserm Wege leiten, doch mußten wir uns, vor dem Hause angekommen, aus welchem uns die Musik entgegenschallte, damit begnügen, durch eine Lichtöffnung in der Mauer des untern Stockwerkes das Schauspiel zu beobachten. Bei der Beleuchtung, die von brennenden Holzscheiten ausging, saß auf der Erde eine Anzahl von Männern, die laut und kräftig die indianische Trommel rührten und mit heulenden Stimmen dazu sangen, während Weiber und Mädchen dazu gedrängt umherknieten und nach dem Takte Mais stampften oder zwischen Steinen zu Mehl rieben. Es war ein eigenthümlicher Anblick und lange standen wir beobachtend vor dem Hause, weil uns der Eintritt oder vielmehr das Hineinklettern nicht gestattet wurde. Spät kehrten wir in unser kleines Lager zurück, wo wir den Lieutenant Ives noch mit astronomischen Beobachtungen, die der mexikanische klare Himmel fast allnächtlich erlaubte, beschäftigt fanden.

Am folgenden Morgen stießen zwei Dragoner zu uns, die von der benachbarten Militairstation entsendet waren, um uns als Führer bis zur Zuñi-Straße zu dienen. Ehe wir uns jedoch wieder in Marsch setzten, nahmen wir sorgfältig die beiden Ufer des Rio Grande, so wie die nächste Umgebung topographisch auf, und sagten dann dem Flusse, vielleicht auf ewig, Lebewohl.

Eine belebte Scene gewährte die kleine Ebene, welche die Stadt Isleta vom Flusse trennt, in den ersten Morgenstunden. Fast die ganze weibliche Bevölkerung war daselbst zu sehen, wie sie, halb verhüllt in ihren Decken, große Thongefäße auf dem Kopfe tragend, mit leichten Schritten hinunter an den Fluß eilte, um den Wasserbedarf für den Tag in die Wohnungen zu schaffen. Die Männer waren ebenfalls nicht unbeschäftigt; Ackergeräthschaften oder die Axt sah man in ihren Händen, während die Jugend munter um sie herumspielte.

Wir folgten der Straße, die in westlicher Richtung den Höhen und Gebirgen zuführte. Der Weg war eben und vielfach befahren, denn auf diesem hatten schon seit Bestehen der Stadt Isleta die Indianer ihren Holzbedarf herangeholt, welchen ihnen eine Cedernwaldung, die 12 Meilen weit westlich liegt, lieferte und noch liefert. Oede und unfruchtbar nahm sich bis dahin das hügelige Land aus, dessen Boden fortwährend anstieg,

Doctor Kennerly, der eben so wie ich Naturalien sammelte, war von nun an fast mein beständiger Gefährte; wir hatten uns in Washington kennen gelernt, und ich hatte dort schon eine besondere Vorliebe für seine offene, ehrliche Persönlichkeit gewonnen. Dadurch, daß wir verschiedene Wege nach Albuquerque eingeschlagen hatten, waren wir für lange Zeit getrennt gewesen, doch hatten wir uns schon vor Antritt unserer Reise darauf gefreut, vereint so interessanten Arbeiten obliegen zu können. Die ersten Tage unseres Zusammenreisens lieferten uns indessen nur eine geringe Ausbeute. Schlangen und sonstige Reptilien hatten sich vor der Annäherung der kalten Herbstnächte in ihre Höhlen zurückgezogen, und an anderen Thieren schien das Land förmlich ausgestorben zu sein. Nur der Wolf, der uns aus der Ferne mißtrauisch beobachtete, und Reihen von Gänsen und Kranichen, die gegen Süden zogen, verriethen Leben in der anscheinend schlafenden Natur. Unsere Büchsen ruhten müßig vor uns auf dem Sattel, denn selbst die kleinen Vögel, die mitunter die dürren Steppen beleben, waren verschwunden. Weit voraus dem kleinen Zuge ritten wir also unseres Weges und erzählten von den Reisen, die in den letzten Jahren nach dem fernen Westen unternommen worden waren. Wir gedachten dabei des Mannes, der mit unerschütterlicher Energie unter den schrecklichsten Entbehrungen und Gefahren zuerst von dem höchsten Gipfel der Rocky Mountains das Banner der Vereinigten Staaten wehen ließ und die gänzlich unbekannten Regionen zu beiden Seiten des riesenhaften Gebirgszuges mit unermüdlichem Fleiße durchforschte, und der, wie Alexander von Humboldt mehrmals in seinen Werken hervorhebt, das größte, riesenhafteste, barometrische Boden-Nivellement ausgeführt hat, das je unternommen worden ist.Alexander von Humboldt, Ansichten der Natur. I. Theil, Seite 58. Wir gedachten des Colonel Frémont, der sich zu derselben Zeit ebenfalls mit einer Expedition, die er auf eigene Kosten ausgerüstet hatte, auf dem Landwege nach Californien befand, um auf dieser seiner fünften Reise Arbeiten wieder aufzunehmen, die auf seiner vorhergehenden durch Unglücksfälle unterbrochen worden waren.

Als ich im Jahre 1851 auf derselben Straße nach den Rocky Mountains zog, auf welcher Colonel Frémont im Jahre 1842 seine erste Expedition unternahm, hatte ich schon die größte Bewunderung und Verehrung für den kühnen Forscher empfunden. Diese Gefühle wurden gesteigert, als ich auf eben dieser Straße die Leiden kennen lernte, mit welchen der einsame Reisende in den schneebedeckten Wüsten zu kämpfen hat. Jede Gelegenheit, genauere Nachrichten über Colonel Frémont zu erhalten, war mir daher willkommen, und nicht wenig war ich erfreut, als ich durch Doctor Kennerly Manches erfuhr, was mir dazu diente, die mir von Mr. Leroux und Andern mitgetheilten Bruchstücke aus dem Leben Frémont's in Verbindung zu bringen. Nur besser geordnet, lasse ich daher unsere Unterhaltung als Doctor Kennerly's Erzählung folgen.


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