Balduin Möllhausen
Wanderungen durch die Prairien und Wüsten des westlichen Nordamerika
Balduin Möllhausen

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V.

Fraeser, der indianische Schmied. – Sans Bois Creek. – Die vier Trapper. – Dr. Bigelow und sein Abenteuer. – Der Ausflug an den Canadian.

Sobald man Pine Grove und die Haupthöhen der Sans Bois-Gebirge hinter sich hat, bietet das Land für eine kurze Zeit einen ganz anderen Charakter dar. An den Niederungen oder an den Ufern kleiner Gewässer ziehen sich nur noch Waldstreifen entlang, und einzelne Baumgruppen beleben hin und wieder die »rollende« grüne Ebene ( rolling Prairie, amerikanische Bezeichnung für eine wellenförmige Ebene). War man bis jetzt durch Waldung mit Prairien gezogen, so ist es die Prairie mit Waldung, welche nun vor dem Wanderer liegt. So wie man sich aber dem Sans Bois Creek auf einige Meilen genähert hat, findet man die Vegetation kräftiger; häufiger stößt man auf Einfriedigungen, Kornfelder und Viehheerden, und sieht oftmals ein Blockhaus durch die Bäume schimmern. – Wenn man der Straße folgt und auf derselben in den Forst einbiegt, der den breiten Saum des Sans Bois bildet, hört man fast zu jeder Tageszeit kräftig auf sprühendes Eisen und auf den Ambos fallende Hammerschläge, die im raschen Takte auf einander folgen, so oft nur ein fleißiger, lebensfroher Schmied den Hammer zu schwingen vermag. Dem Geräusch der Schmiede nachgehend, muß man sich bald zwischen wohlgenährten Kühen und Ochsen den Weg suchen, die mit größtem Behagen sich mitten auf der Straße gelagert haben und gar nicht geneigt scheinen, sich von irgend wem in der Welt in der süßen Arbeit des Wiederkäuens stören zu lassen. Man befindet sich jetzt an der Lichtung vor der Einfriedigung eines Hofes, in dessen Mitte sich ein roh, aber fest gezimmertes Blockhäuschen erhebt; vor der Thür balgen sich einige Indianerkinder umher, ein stolzer Haushahn beobachtet vorsichtig ihr Treiben, während seine eigene große Familie, auf dem Hofe zerstreut, sich Futter sucht; eine reinlich gekleidete Indianerin geht ihren häuslichen Geschäften nach, während ihre ernsten, schwarzen Augen ihren kleinsten sich im Grase wälzenden Liebling überwachen; einige große Hunde haben sich im Schatten eines Baumes ausgestreckt, sie pflegen gemächlicher Ruhe, und nur durch Schnappen nach den sie belästigenden Fliegen verrathen sie Leben. Der gewichtige Hammer fährt indessen ungestört fort, den Ambos und die ganze kleine Schmiede zu durchzittern, und in langen, tiefen Zügen athmet der Blasebalg. Das süße Bild des Friedens liegt in diesem fernen Lande vor dem Wanderer, der fast zaudert, es durch seinen Eintritt zu unterbrechen. Sein Thier an den nächsten Baum bindend, nähert er sich der Einfriedigung; er wird zuerst angemeldet durch einen Haufen grunzender Hausthiere, die auf der andern Seite des Zaunes sich mit der größten Behaglichkeit sonnten und jetzt bei seiner Annäherung schnaubend davonstürmen. Das Lärmsignal ist gegeben, die Hunde stürzen auf den Reisenden los, die Kinder suchen die Hausthüre zu erreichen, das kleinste windet sich neugierig in den Armen seiner Mutter, der Haushahn läßt ein drohendes Gackern hören und die Hühner verkriechen sich in's Gebüsch. Der Lärm dringt in die Schmiede und macht Blasebalg und Hammer ruhen. Ein rußiger Indianer tritt vor die Thür, ruft die Hunde zurück, ladet den Fremden ein, in seine Wohnung zu treten, und bietet ihm freundlich die Hand mit den Worten: »Wie geht's ( how do you do)?« Sein Gehülfe, ein blauschwarzer Neger, läßt ebenfalls Blasebalg und Schmiedefeuer im Stich, um den so seltenen Besuch von weißen Menschen zu bewillkommnen. Der Wagenzug hat sich indessen genähert und Einer nach dem Andern spricht in der kleinen Farm ein, um sich nach Eiern, Milch, Butter, jungen Hühnern und ähnlichen Leckerbissen umzusehen. Freiwillig werden hohe Preise für jede Kleinigkeit bezahlt, und die Augen der Indianerin leuchten beim Empfang des blanken Geldes, denn im Geiste sieht sie bereits die schönen bunten Stoffe und Bänder, die für den unerwarteten Erlös angeschafft werden können. Der indianische Schmied verkauft unterdessen einige Stück Rindvieh und eine Wagenladung Mais, und läßt sich sogar geneigt finden, der Expedition als Führer bis zum Gaines Creek, der Grenze zwischen der Choctaw- und Chickasaw-Nation, zu dienen. Die Bedingungen sind bald festgestellt, der Schmied wäscht sich Ruß und Asche vom Gesicht, ordnet seine langen schwarzen Haare; seine handfesten Jungen satteln ihm ein Pferd, seine Frau reicht ihm das bunte Jagdhemd, Pulverhorn und Kugeltasche; die Büchse nimmt er sich selber, ein kurzes Lebewohl den Seinen, einige Anweisungen noch für den Neger auf die acht Tage seiner Abwesenheit, und er besteigt sein Pferd, begiebt sich an die Spitze des Zuges und verfolgt dann, ohne sich weiter umzusehen, seine Straße, am ersten Tage seiner Führung das Ufer des Sans Bois zum Nachtlager wählend.

Obgleich der Sans Bois den größten Theil seines Wassers von den Sans Bois-Bergen erhält, in deren Nähe er eine ziemliche Strecke lang hinfließt, so entspringt er doch weiter westlich in dem Winkel, der vom Gaines Creek und dem Südarm des Canadian gebildet wird. In gerader Richtung östlich fließend, gleicht er einem Bache bis an die große Biegung, wo ihm der am Canadian entspringende und sich südöstlich wendende Cooper's Creek seine Wasser übergiebt, um sie in nordöstlicher Richtung dem Arkansas zuzuführen. Wie alle Gewässer der dortigen Gegend, so ist auch der Sans Bois von Ländereien eingefaßt, wie sie zur Cultivirung nicht besser gewünscht werden können. Sein Wasser, das klar und gut ist, fließt meistens über Gerölle; Unmassen von Fischen beleben seine Fluthen, und wohl lohnt es sich der Mühe, in der Abenddämmerung die Angel auszuwerfen und dabei dem nächtlichen Leben im Walde zu lauschen. Da hört man den lauten Flügelschlag des wilden Truthahns ( Meleagris gallopavo), wenn er von Zweig zu Zweig flattert und in den höchsten Bäumen sein Nachtlager aufschlägt; der weiße Reiher ( Ardea egretta) giebt sich durch sein heiseres Kreischen kund, und der Uhu ( Bubo virginianus) läßt seinen dumpfen Ruf wiederhallen. Schnell zieht man einen Fisch nach dem andern auf's Ufer, greift auch wohl mitunter, durch ein nahes Geräusch erschreckt, nach der bereit liegenden Büchse, um sie, durch den Ruf eines Erpels getäuscht, beschämt wieder bei Seite zu legen. Ja, es ist ein Genuß, solche Einsamkeit! nur darf man noch nicht durch den Gedanken an Gefahr zur Vorsicht gemahnt worden sein; der wilde Comanche ist ja noch so fern, und deutlich schallt das Rufen der Schildwachen vom nahen Lager herüber. Ist man dann mit dem Erfolge des Fischfanges zufrieden, so packt man die zum Frühmahl bestimmte Beute zusammen und windet sich leichten Herzens durch die Gebüsche dem Lager zu, wo die verschiedenen Gruppen noch lange aufbleiben, die Zeit durch lebhaftes Erzählen und die Mosquitos durch gute Tabakswolken vertreiben. Unsere Abendunterhaltungen betrafen gewöhnlich Gegenstände, die den augenblicklichen Verhältnissen am nächsten lagen; Indianer und TrapperTrapper, amerikanischer Name für Biberfänger und Pelzjäger, abgeleitet von der englischen Bezeichnung Trap, für die Falle, also eigentlich Fallensteller. waren das Hauptthema. Jeder kramte gern seine ganzen Erfahrungen aus, wohl wissend, daß aufmerksame Ohren lauschten, und gewiß mancher von seinen Zuhörern wünschte, auch einmal die Hauptrolle in einer abenteuerlichen Geschichte zu spielen, freilich unter der Bedingung eines glücklichen Ausganges.

»Die Civilisation schreitet mit Riesenschritten westwärts,« so hob einer aus unserer kleinen Gesellschaft an, der durch seinen Accent seine deutsche Abkunft verrieth, »denn da, wo vor dreißig Jahren noch der schwarze Bär und der Biber gejagt wurden, stehen heute Städte, und zwar zum größten Leidwesen der Trapper, deren Reviere zugleich mit denen der Indianer beschränkt werden. Vor zwei Jahren traf ich oben am Missouri nahe den Council Bluffs mit einem solchen verindianerten Trapper zusammen; seine Haare waren ihm unter Entbehrungen und Gefahren ergraut, aber Gewohnheit war ihm zur andern Natur geworden. Der Schlag der Axt im Urwalde war ihm ein Gräuel und das Herz blutete ihm, wenn er die Abnahme der Büffel in den grasigen Prairien und die Entvölkerung der Biberdörfer vor der andringenden Civilisation wahrnahm. Mit einem Gemisch von Wollust und wehmüthiger Rührung gedachte er der Zeiten, wo St. Louis nur erst eine kleine Ansiedelung war, noch keine Dampfboote sich zwischen den gefährlichen Holzklippen aufgehäufter schwimmender Baumstämme des Mississippi und Missouri hindurchwanden, und mit dem leichten Canoe Monate lang auf Strecken gereist werden mußte, die man jetzt in wenigen Tagen zurücklegt. Zu dieser Zeit also war es in den ersten Tagen des Juni, als der alte Pierre sich mit drei Kameraden in der Ansiedelung St. Louis reisefertig machte. Sie waren alle vier Freitrapper, das heißt Trapper, die nicht von den großen Pelzhandlungen engagirt sind, sondern unabhängig in den Wildnissen umherstreifen, Biber fangen, Bären schießen und alljährlich einmal in einem Boote, welches aus zwei an einander gebundenen, ausgehöhlten Baumstämmen besteht, ihre Beute den Mississippi oder Missouri hinunterflößen, ihre Waaren selbst nach den nächsten Posten der Handlungshäuser bringen, und einen höhern Preis erlangen, je nachdem sie nun gute Jäger sind und das Glück ihnen günstig war. Solche Freitrapper brauchen nur wenig Mittel und wenig Zeit, um sich zu einer Jagdexpedition vorzubereiten. Ein Reitpferd für Jeden, zwei Packpferde zum Transport von Munition, Biberfallen, ein Fäßchen Branntwein und ein guter Vorrath von Tabak war die ganze Ausrüstung der vier Abenteurer. Das Bett in Gestalt einer wollenen Decke packte Jeder unter seinen Sattel, und leichten Herzens wanderte die Gesellschaft am Mississippi hinauf, um zum Herbste in der Nähe der Fälle des St. Antony in den kleinern Gewässern dem Biber und der Otter nachzustellen. Damals gab es noch keine Fährboote, viel weniger noch Fährleute auf der von ihnen eingeschlagenen Route, und oftmals mußte ein breiter Strom mit Hülfe einiger trockner Baumstämme durchschwommen werden; doch näherten sie sich rasch dem obern Mississippi. Rock Island wurde passirt, Prairie du Chien blieb hinter ihnen zurück und der Pepin-See war erreicht, ehe der Sommer zu Ende ging. Von da ab mußte indessen eine andere Art zu reisen gewählt werden, denn die dort beginnenden hohen, felsigen Ufer machten das Reisen mit Pferden fast unmöglich, und dann mußte das Terrain auch untersucht werden, um eine Stelle ausfindig zu machen, wo bei der Rückkehr im Spätherbste noch mit Erfolg Fallen aufgestellt werden konnten. In dem nächsten Dorfe der Chippeway-Indianer gaben sie ihre Pferde auf und tauschten dafür ein leichtes Canoe und Pelzwerk ein. Das letztere, bestehend aus kostbaren Otter- und Biberfellen, nahm nur wenig Raum in dem von Birkenrinde gebauten Boote ein; das versteckt gehaltene Fäßchen Branntwein wurde unter den Fellen verpackt, und als die vier Trapper ihr Boot bestiegen, schien dasselbe noch gar nichts von seiner Leichtigkeit verloren zu haben und gab willig jedem Ruderschlage nach. Viel bessere Ruderer mag der Mississippi noch nicht gesehen und kräftigere Arme mögen das Ruder noch nicht in die Fluthen getaucht haben, als da die Vier stromaufwärts zogen. Die Strömungen vermeidend, suchten sie die stillen Wasser am Ufer und leicht flog ihr Canoe vor ihren vereinten Ruderschlägen dahin, immer den Fällen des St. Antony entgegen. Die Mündungen kleiner Flüsse wurden untersucht, doch noch ohne Erfolg, bis oberhalb des Einflusses des St. Peter in den Mississipi, da wo das Getöse der großen Fälle ihr Ohr erreichte. Dort bemerkten sie, daß der Lauf eines aus dem Westen kommenden Flüßchens gestaut war: sie folgten dem seichten Bette eine kurze Strecke lang und entdeckten bald Biberdämme, wodurch ein kleines Thal ganz unter Wasser gesetzt war; frisch abgenagte Bäume, mehr aber noch die aus dem Wasser ragenden Biberwohnungen sagten ihnen, daß sie nun das Revier zu ihrer Herbstjagd gefunden hatten. Das ganze umliegende Terrain wurde mit größter Vorsicht abgesucht, und zu ihrer Beruhigung und Freude fand sich nicht die geringste Spur einer Rothhaut.

Um den Bälgen der Biber noch einen Monat Wachsthum zu gönnen, wurde beschlossen, so lange oberhalb der Fälle zu jagen und auf der Rückreise dann die Biberrepublik auszubeuten. An einer trocken gelegenen Stelle wurde ein rundes Loch gegraben und dahinein wanderten die erbeuteten, so wie die von den Chippeways erstandenen Felle und Bälge, ebenso das Fäßchen Branntwein, welches für die kalten Herbstnächte bestimmt war. Die überflüssige Erde wurde sorgfältig an's Ufer getragen und in's Wasser geworfen und die kleine Vorrathskammer so genau und vorsichtig mit Rasen und Steinen überdeckt, daß selbst die feine Nase eines Indianers von dem Versuche hätte abstehen müssen, diese Schätze aufzuspüren und auszugraben.Eine solche Grube wird von den Pelzjägern Cache genannt.

Da die ganze Ladung zurückgeblieben war und die vier Trapper nur das Allernothwendigste mitgenommen hatten, so war das Canoe auch viel leichter zu handhaben, und es gelang ihnen, bis dicht an die Fälle vorzudringen. Die Fälle selbst wurden umgangen, das heißt, das Canoe wurde aufs Land gezogen, umgekehrt auf die Schultern genommen, an den Fällen vorbeigetragen und da, wo das Wasser ruhiger floß, wieder hineingeschoben. Bei einem Fahrzeuge, welches aus Birkenrinde verfertigt ist, haben dergleichen Umgehungen nur wenig Schwierigkeiten, und bald ruderten sich die Abenteurer oberhalb der Fälle weiter. Sie hielten sich dicht am westlichen Ufer und vermieden auf diese Weise die starken Strömungen der den Felsen zueilenden Wasser. Das schöne Biberdorf im Rücken wissend, schienen sie nicht mehr so große Eile zu haben, vorwärts zu kommen, und die Jagd im Walde war jetzt mehr ein Zeitvertreib als vortheilbringend, obschon eine Hirschhaut damals so gut wie baares Geld war. Nach einigen Tagereisen, wiewohl nur wenig Meilen oberhalb der Fälle, wurden sie vom Appetit getrieben und von Bequemlichkeit dazu aufgefordert, früher als sonst an's Ufer zu gehen, um dem Hunger durch ein geröstetes Stück Hirschfleisch und der Bequemlichkeit durch gemüthliches Hinstrecken in's Gras zu fröhnen. Der alte Pierre und einer seiner Gefährten übernahmen für die Küche die Sorge, während die andern Beiden mit ihren Büchsen ausgingen, um sich von der Sicherheit der nächsten Umgebung zu überzeugen. Ein kleines Feuer von trockenem Holze brannte bald, ohne den geringsten Rauch in die Höhe zu schicken, der ihre Anwesenheit hätte verrathen können: der alte Pierre beobachtete aufmerksam die bratenden Leckerbissen, die, auf kleine Stäbchen gespießt, im Kreise um das Feuer standen, einen nach dem andern umwendend, während sein Gefährte mit geübter Hand die Federn einem fetten Truthahn ausrupfte.

Plötzlich fiel ein Schuß in der Ferne, ein zweiter folgte bald darauf. Der alte Pierre und sein Kamerad spitzten die Ohren, Pierre, mit seiner Küche beschäftigt, rieth seinem Gefährten, einen Baum zu ersteigen, um einen Blick in die Ferne zu werfen; dieser leistete auch Folge, doch nicht ohne seine Büchse mitzunehmen, und bald verbargen ihn die Blätter eines dicht belaubten Zuckerahorns. Nur kurze Zeit hatte er sich dort oben umgesehen, als die mit Angst ausgesprochenen Worte: »Rette Dich!« von oben herab die Ohren Pierre's berührten, Büchse, Horn und Kugeltasche ergreifen und in's Canoe werfen, war das Werk eines Augenblickes, als bereits ein Rudel Indianer durch das Dickicht brach und mit geschwungenem Tomahawk auf Pierre losstürzte. Dem Canoe einen mächtigen Stoß gebend, sich selbst zu gleicher Zeit hineinschwingend, erreichte dieser glücklich die Strömung, doch mit Zurücklassung aller Ruder. Dieser Umstand war den Indianern nicht unbemerkt geblieben, und vier der Vordersten stürzten sich mit wüthendem Geheul in den Fluß. Schnell hatte die Strömung das leichte Boot fortgerissen, doch schneller noch folgten die Rothhäute nach; jeder Stoß brachte sie dem ruderlosen Fahrzeuge näher und die am Ufer weit zurückbleibende Rotte stieß ein triumphirendes Geheul aus. Jetzt hob Pierre seine lange Büchse, es galt dem Nächsten, der durch Untertauchen der Kugel zu entgehen versuchte; doch vergebens, sie zerschmetterte ihm den Schädel; noch einmal hob sich der Wilde hoch im Wasser und sank dann unter, nur einen blutigen Streifen auf der Oberfläche zurücklassend. Wüthendes Geheul tönte vom fernen Ufer herüber, mit wüthendem Geheul antworteten die drei noch übrigen Verfolger; zwei derselben waren nahe dem Boot und in dem Augenblicke, als Pierre eine neue Kugel in den Lauf stoßen wollte, legten Beide die Hand an's Boot. Zeit war nicht mehr zu verlieren, der Jäger ließ die Büchse fallen, griff nach dem Messer und stieß es rasch dem Nächsten seiner Feinde unterhalb des Halses in die Brust; der langgedehnte Todesschrei des Wilden erstarb in den über ihn zusammenschlagenden Wellen. Der Moment jedoch, in welchem Pierre sich von dem einen Feinde befreite, war von dem andern benutzt worden, um sich mit starkem Griff an dem Halse des Trappers festzuklammern und sich so mit der ganzen Schwere seines Körpers anzuhängen. Pierre, dessen Luftröhre durch die Gewalt des Druckes zusammengepreßt wurde, fing an die Besinnung zu verlieren, seine Arme, auf die er sich stützte, um das Umschlagen des Bootes zu verhindern, erschlafften, die geschlossene Faust öffnete sich, das Messer lag frei da. Das Canoe neigte sich auf die Seite; dem Umstürzen vorzubeugen, versuchte der sein Opfer festhaltende Wilde das Boot zu ersteigen, sein nacktes Knie legte sich auf den Rand, jetzt ruhte der Körper schon ganz auf demselben: doch schlüpfrig geworden durch das Wasser, verlor das Knie im entscheidenden Augenblicke seinen Haltpunkt, der Körper fiel zurück in's Wasser, die eine Hand ließ in ihrem tödtlichen Griffe nach, und ehe der Wilde von Neuem fassen konnte, hatte Pierre sich mit der äußersten Anstrengung seiner schwindenden Kräfte aufgerichtet, und als der letzte seiner Feinde die Hand nach dem Boote ausstreckte, stieß er rasch dem ersten das Messer in die Brust und stellte sich dann dem andern gegenüber. Dieser nun, um den jetzt ungleichen Kampf zu vermeiden, änderte rasch seine Absicht und schwamm dem Ufer zu, um den Seinigen das Loos seiner eigenen Gefährten zu verkünden und durch die schmerzhaftesten Martern sich an den Kameraden Pierre's, welche sie in ihre Gewalt bekommen hatten, zu rächen; denn der jetzt Entkommene war ohne Ruder und trieb mit seinem Canoe rasch den Fällen und also seinem gewissen Untergange entgegen. Pierre's Aufmerksamkeit wendete sich nunmehr auf das pfeilschnell dahin fliegende Fahrzeug; das Erste, was er bemerkte, war das schrecklich verzerrte Gesicht des Indianers, welches ihn mit stieren Augen anglotzte; derselbe hatte sich im letzten Todeskampfe mit krampfhaftem Griff an's Boot angeklammert; er war todt, aber seine starre Faust konnte nur mit dem Messer gelöst werden, worauf die Wellen über ihn zusammenschlugen. Den Indianern vorläufig entgangen, zeigte sich dem alten Pierre die Gefahr von einer andern Seite. Die Fälle waren nicht mehr weit entfernt und das leichte Canoe trieb mit rasender Schnelligkeit seinem Verderben entgegen; er mußte das Boot verlassen oder mit hinunterstürzen, denn an Schwimmen in dem Strudel war nicht mehr zu denken. Das Boot war der Strömung nach der andern Seite hin gefolgt und flog dicht an den hervorstehenden Felsen des Ufers vorbei, doch ohne dieselben zu berühren. Eine einzige Rettung war nur möglich, der Versuch wurde mit Pulverhorn und Kugeltasche gemacht; abermals an einem Felsen vorbeifliegend, brachte ein rascher, sicherer Wurf beides auf's Trockene; der nächste Felsen nahm die Büchse auf, und es blieb ihm noch die schwierigste Aufgabe, selbst das Ufer zu erreichen. Felsen folgte auf Felsen, doch keiner bot den Füßen einen Haltpunkt oder den Händen einen rettenden Strauch. Das Donnern des Wasserfalles konnte er schon deutlich vernehmen, der Sprung mußte gewagt werden; als das Canoe nun einen weiter vorstehenden, aber schroffen Felsen fast streifte, setzte er einen Fuß auf den schmalen Rand des Fahrzeuges, und seine ganze Kraft aufbietend, sprang er hinter dem Felsen in's Wasser. Der Stoß hatte das Canoe umgeworfen, aber Pierre war gerettet. Er stand bis an die Hüften im ruhigen Wasser und mit geringer Mühe erkletterte er das Ufer. Er war gerettet, doch wo waren seine Freunde? Waren alle in die Hände der Indianer gefallen? Konnte nicht einer derselben sich so gut wie er selbst gerettet haben? Der Fluß trennte ihn von seinen Freunden, sowie von seinen Feinden, er konnte also ohne Gefahr bis dahin zurückwandern, wo ihm der hohe Zuckerahorn auf dem jenseitigen Ufer die unglückliche Lagerstelle bezeichnete, und diesen ersten Plan führte er aus. Er war bald wieder im Besitz seiner Büchse sowie der Munition, und vorsichtig wanderte er stromaufwärts. Er ging die Nacht hindurch, und als der Tag graute, konnte er den hohen Zuckerahorn erkennen. Es war die Lagerstelle; die Kohlen des verlöschenden Feuers hatten das Gras angezündet, welches am Ufer langsam weiter glimmte und in den trockenen Treibreisern hinlänglich Nahrung fand. Vorsichtiger noch schlich er weiter, bis er sich der Unglücksstelle gegenüber befand; lange lag er und lauschte; Alles war todt und stille. Jetzt schickte er den bekannten Signalpfiff über den Fluß, und gleich wurde er beantwortet, doch nichts zeigte sich. Nun stellte er sich aufrecht an's Wasser, so daß er vom jenseitigen Ufer gesehen werden konnte, und zu seinem nicht geringen Erstaunen entdeckte er seinen Gefährten, der mit der Büchse auf dem Rücken eilig von dem Ahornbaume stieg. Es war gut, daß der gerettete Freund seine Waffe mit auf den Baum genommen, denn sonst würde er den Spürnasen der Indianer nicht entgangen sein. Die Nacht in den Zweigen mag nicht die angenehmste gewesen sein.« – »Elf Uhr! Alles in Ordnung!« rief unser Wachtposten, »Elf Uhr!« wiederholte der Erzähler, »meine Pfeife ist ausgebrannt, die Mosquitos beißen mich, müde bin ich zwar noch nicht, aber träge, meine Geschichte muß ich ein andermal beendigen, für heute Abend wäre sie doch zu lang.« Sich reckend und dehnend, auch wohl einige Bemerkungen über den schönen Mondschein oder das in Aussicht stehende gute Wetter machend, erhob sich Jeder und schlenderte langsam seinem Zelte zu, um sich zum Schutz gegen den starken Thau und die immer dreister werdenden Insekten in seine Decken zu verkriechen.

Geführt von dem Indianer Fraeser hatten wir den Sans Bois überschritten und zogen an der Nordseite desselben weiter. Bewaldete, felsige Hügel, blumige, duftende Ebenen, durchschnitten von klaren, dem Sans Bois zueilenden Bächen geben diesen Ländereien einen lieblichen Reiz. Die tief ausgewaschenen Wagengeleise dagegen, die zur Zeit der dort so schweren Regen in ebenso viele schäumende Gießbäche verwandelt werden, erlauben nur langsames Vorschreiten in den wellenförmigen Niederungen. Dieselben stürzenden Wasser haben zu gleicher Zeit aus den Höhen hinderndes Gerölle bloßgelegt, und mühsam muß das Zugthier nach einem sichern Haltpunkte für den gleitenden Huf suchen. In kleinen Märschen näherte sich unser Zug den Quellen des Sans Bois. Die fast senkrechten Strahlen der brennenden Augustsonne machten das Reisen in den Mittagsstunden schwierig und erschöpfend, und jeder sehnte sich dann nach kühlem Schatten und erfrischendem Wasser. Bald nach Sonnenaufgang war daher auch der knarrende Wagenzug gewöhnlich schon wieder in Bewegung, und verfolgte mit rüstigem Schritte die unebene Straße, um so viel wie möglich den Tagemarsch in den Frühstunden zurückzulegen. Der zehn Miles nördlich von der Straße fließende sandige Canadian war bis jetzt noch nicht berührt worden, und es wurde von einigen Mitgliedern unserer Gesellschaft beschlossen, einen Ausflug nach der Stelle zu machen, wo die Northfork und die Southfork fast einander gegenüber in den Canadian münden. Ein Ruhetag wurde dazu bestimmt.

In einem reizenden Thale, noch zwei Tagereisen von Gaines Creek entfernt, wurde deshalb das kleine Lager mit mehr Sorgfalt als gewöhnlich aufgeschlagen. Unter hohen, schattigen Bäumen, an dem Ufer eines murmelnden Baches, erhoben sich die weißen Zelte; sie stachen lieblich ab gegen die saftige, von Blumen schillernde Wiese, welche sich vor dem Lager bis an den Fuß der nahen, waldigen Berge ausdehnte. Die von der drückenden Last befreiten Thiere grasten heerdenweise, oder wälzten sich behaglich im frischen Grün, um den getrockneten Staub und Schweiß von ihrem Körper zu entfernen. Die Gesellschaft hatte sich in verschiedenen Gruppen hingestreckt, um auf die gemüthlichste Weise sich über Tagesneuigkeiten zu unterhalten, als die Abwesenheit des beliebten, alten Doctor Bigelow, des Botanikers unserer Expedition, bemerkt wurde. Bei weitem der älteste der ganzen Gesellschaft, war der betagte Doctor ein Muster von Sanftmuth und Geduld; ausgelassen mit den Frohen, fehlte er nirgends, wo heiteres Lachen und glücklicher Scherz gehört wurde; seiner Sonderbarkeiten war er sich bewußt, und gutmüthig genug gab er sich gern kleinen Spöttereien preis. Er war eifriger Botaniker und leidenschaftlicher Jäger; im ersteren Fache leistete er sehr viel, während die ganzen Erfolge seines Jagdglückes, mehr bescheidener Art, sich nur auf eine Klapperschlange und einen Hut beschränkten. Die zusammengerollte Schlange erlegte er auf fünf Schritte mit dem siebenten Büchsenschusse und den Hut durchlöcherte er, als ihm derselbe auf die Mündung der Pistole geworfen wurde. Seine Patienten behandelte er aufmerksam und liebreich, sein Maulthier Billy wie ein ungezogenes Kind. Der gute, alte Doctor wurde also vermißt, und da noch kein Grund zu ernsten Besorgnissen vorhanden war, so versuchte Jeder auf die beste Art sein Ausbleiben zu erklären. Als noch hin und her Vermuthungen ausgesprochen wurden, vernahmen wir die laute Stimme des Doctors, der, Billy vor sich hertreibend, aus dem Dickicht in die Lichtung trat und eine mächtige Schlange hinter sich her schleppte, Halloh, Dutchman! (mit diesem Namen hatte er den deutschen Naturaliensammler der Gesellschaft beehrt) Halloh, Dutchman! Hier ist etwas für Sie! das schönste Exemplar einer Schlange! Mit diesen Worten warf er eine riesige, rautenförmig gezeichnete »Klapperschlange« ( Diamond Rattlesnake) in den Kreis; bei einer Länge von 7 Fuß hatte sie 4 Zoll im Durchmesser, ihr weit geöffneter Rachen war furchtbar mit giftigen Zähnen bewaffnet. Sie war todt, zeigte aber keine Spuren einer Verwundung, und Jeder war neugierig, den Verlauf des Kampfes unseres Doctors mit dem Drachen zu vernehmen.

Ohne vorher abgelegt zu haben, gab er willig dem allgemeinen Verlangen nach und erzählte auf seine humoristische Weise: »Nachdem ich am Fuße der Berge eine reiche Ernte von Farrenkräutern gehalten, kam ich auf den Gedanken, eine der Höhen zu ersteigen, um von den grauen Felsblöcken etwas Moos für mein Herbarium zu sammeln, Billy schien dazu keine besondere Lust zu haben; ich nahm daher das gute Thier am Zügel, um ihm das Steigen zu erleichtern, doch ohne meine Güte anzuerkennen, ließ es sich von mir den Berg hinaufziehen. Außer Athem oben angekommen, wollte ich mich auf einem Sandsteinblock ausruhen. Wie ich mich niederlasse, fängt es unter dem Steine an zu rasseln. Der Ton war mir nicht unbekannt und wurde der Grund, daß ich mich durch einen plötzlichen Sprung eiligst aus dem Gefahr drohenden Bereiche entfernte. Nachdem ich Billy in Sicherheit gebracht, überzeugte ich mich genau, wo das klappernde Unthier lag, nahm meine Büchse, zielte vorsichtig, um die Schlange nicht zu treffen und die prächtige Haut mit der Kugel nicht zu verderben, und gab Feuer. Ich wollte sie nur erschrecken und so in's Freie locken, was mir auch vortrefflich gelang. Außerhalb ihres Verstecks rollte sie sich in einen Knäuel zusammen und reckte ihren dicken Kopf drohend in die Höhe, mit der gespaltenen Zunge spielend. Ich schnitt mir darauf eine lange Gerte und ging mit derselben auf sie los, um sie durch einen wohl angebrachten Hieb unterhalb des Kopfes zu lähmen. Der erste Streich mißglückte, denn nachdem sie denselben erhalten, wollte sie zum Angriff schreiten; ich habe indessen so lange auf das Thier geschlagen, bis die sechzehn Klappern sich kaum noch regten. Ich band ihr dann einen Strick um den Hals und da ich in ihrer Gesellschaft nicht reiten konnte, es aber auch eben so schwierig war, die Schlange und Billy zugleich zu ziehen, so bin ich den ganzen Weg gegangen, Billy vor mir und die Klapperschlange hinter mir.« So lautete des braven Doctors Erzählung, und von allen Seiten wurde er ob seines tapferen Benehmens beglückwünscht. Als nun schließlich des Ausfluges an den Canadian erwähnt wurde, ließ er sich sehr gern bereit finden, daran Theil zu nehmen.

Nach einem Ritte von 15 Meilen durch sumpfige Niederungen, über sanfte Anhöhen, die in dem Schmucke einer üppigen Vegetation prangten, über Bergrücken, wo die bewaffneten Hufe der trabenden Thiere wie klingende Hammerschläge auf das feste Gestein fielen und den kleinen Hasen im niedrigen Eichengestrüpp aufschreckten, erreichte die kleine Recognoscirungs-Abtheilung, der auch ich mich angeschlossen hatte, den Canadian da, wo die Northfork und Southfork sich mit ihm vereinigen. Das breite, sandige Bett des Canadian zeigte einige schmale und seichte Canäle, in welchen nur wenig trübes Wasser, dieses aber mit bedeutender Schnelligkeit, dahinfloß und wohl vermuthen ließ, daß bei hohem Wasserstande der so unschuldig scheinende Fluß einen wilden Charakter anzunehmen vermöge. Wir hatten das Bild einer traurig öden Wildniß, die sich vor uns ausbreitete; selbst die reich mit Cottonwood und einzelnen Cedern bewachsenen Ufer vermochten keinen angenehmen Eindruck in dieser Landschaft hervorzurufen. Halbversandete Bäume lagen auf den Bänken umher; vom Einflusse des Wassers und der Zeit schwarz geworden, ragten ihre dürren Zweige und Wurzeln gespenstisch empor. Unbeweglich und wie versteinert saß hier der weiße Reiher, dort die graue Rohrdommel, und der Geier kreiste träge über den fast trockenen Flußbetten. Ein Schuß ward abgefeuert, das Echo schwieg, nur der Reiher, in seinem dumpfen Brüten gestört, reckte den dürren Hals, breitete die langen Schwingen aus, flog eine kurze Strecke weiter, ließ sich nieder und nahm seine steife, regungslose Stellung wieder ein. Der in den Lüften schwimmende Geier schlug einige Male mit den Flügeln und beschrieb ruhig seine Kreise, als ob nichts vorgefallen wäre.

Gern und leicht trennte sich Jeder von den Scenen, die so wenig Einladendes boten, und der Untergang der Sonne wurde von unserer kleinen heimkehrenden Truppe bereits beobachtet, als dieselbe noch 5 Meilen vom Lager entfernt war. Gern hätte Mancher noch Jagd auf wilde Truthühner gemacht, die jetzt massenhaft jedes Holz belebten und lockend und flügelschlagend in hohen Bäumen ihr Nachtlager aufsuchten, doch Fraeser trieb zur Eile; es war noch eine felsige Hügelkette zu überschreiten; die Dämmerung ging rasch in Finsterniß über, und wenn auch der sternenbesäete Himmel manchmal durch die Oeffnungen im dichten Laub sein freundliches Licht sendete, so diente es doch nur, um uns zu blenden und die dunklen Schatten noch schwärzer erscheinen zu lassen. Ohne den Schritt seines Pferdes zu mäßigen, ritt der Indianer immer schweigend voran, dicht folgte Einer hinter dem Andern, schnell ging es an den Abhängen hin, schneller noch hinab in die Schluchten. Niemand wollte zurückbleiben, und im Eifer und in der Dunkelheit wurde ein Weg zurückgelegt, welchen man bei Tageshelle gewiß am liebsten vorsichtig umgangen hätte. Bald bewiesen die in der Ferne flackernden Lagerfeuer, mit welcher unerklärlichen Genauigkeit Fraeser in der pfadlosen Wildniß seine Richtung genommen hatte.


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