Balduin Möllhausen
Wanderungen durch die Prairien und Wüsten des westlichen Nordamerika
Balduin Möllhausen

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XVI.

Anton Chico. – Fandango daselbst. – Aufbruch von Anton Chico. – Cuesta. – Cañon Blanco. – Der Wolkenbruch. – Galistes. – Fitzwater. – Vulkane in Neu-Mexiko. – Cañon Boca.

Anton Chico ist bereits eine sehr alte Ansiedelung, die es indessen nie über dreihundert Einwohner hat bringen können. Die Lage an sich ist keine glücklich gewählte, indem der Verkehr, der sich nach Santa Fé, der Haupthandelsstadt des Westens, hinzieht, nur auf Umwegen nach dieser kleinen Stadt gelangen kann; dann aber ist auch die Umgebung der Ansiedelung von der Natur nicht begünstigt genug, um den Ackerbau zur Haupterwerbsquelle der Einwohner werden zu lassen. Nur Viehzüchter und deren Hirten bewohnen die wenigen Häuser, die, von ungebrannten Steinen ( Adobes) in Form größerer Quadern erbaut, durchaus jeder äußerlichen Schönheit und aller Bequemlichkeit im Inneren entbehren. Eine in demselben Stile aufgeführte Kirche und nebenan der Fandango-Saal (Fandango ist die dort gewöhnliche Benennung für jeden Tanz oder Ball) helfen die kleine Stadt vervollständigen. Der Raum zwischen den Häusern und dem Pecos ist eine kleine Strecke am Flusse hinunter zur Anlage von Gärten und Maisfeldern bestimmt worden, die auf künstliche Weise bewässert werden müssen. Kleine Gräben und Furchen laufen in den Feldern dicht aneinander hin und haben den wesentlichen Zweck, in trockenen Monaten den Früchten Wasser aus dem alsdann gestauten Flusse zuzuführen, und ebenso bei schwerem Regen die überflüssige Feuchtigkeit nach dem Pecos abzuleiten. Diese Vorkehrungen sind nämlich unerläßlich, wenn auf dem schweren Lehmboden Ernten erzielt werden sollen, denn derselbe Boden, der in trockenen Monaten die Festigkeit eines Felsens erhält, wird durch Regen schmierig und klebrig. Der Pecos hat viel Aehnlichkeit mit dem Gallinas, der ihm an Breite und Tiefe etwas nachsteht. Die hohen Tafelländer, welche das Thal von Anton Chico einschließen, halten die kalten Nordstürme ab; doch findet eine andere Plage ihren Weg zu den duldsamen Bewohnern: die wilden Eingeborenen, die von Zeit zu Zeit erscheinen und auf gewaltsame Weise einen Tribut erheben.

Die Ankunft von Fremden hatte die ganze Bevölkerung vor die Thüren oder auf die flachen Dächer ihrer Adobe-Häuser gelockt, von wo aus sie die Ankömmlinge mit neugierigen Blicken betrachteten. Die Fragen nach Kaufläden waren leicht beantwortet, und wie emsige Bienen schwärmten unsere Leute nach denselben hin, um die wenigen Schillinge, die sich hin und wieder vorgefunden hatten, so bald wie möglich umzusetzen. Bei einem Amerikaner, der sich inmitten der mexikanischen Bevölkerung angesiedelt und mit einer bildschönen Tochter des Landes verheirathet hatte, war Lieutenant Whipple am vorhergehenden Tage eingekehrt; er empfing uns daselbst, und stellte uns zugleich der ersten Magistratsperson des Ortes, dem Alcalde, vor. Dieser, ein breitschulteriger, ächter Mexikaner, stolzirte in Hemdsärmeln umher und war lauter Höflichkeit gegen alle Besucher. Mit graziöser Bewegung lüftete er bei jedem Gruß seinen breitrandigen Sombrero, beobachtete dabei aber eine steife, etwas theatralische Haltung, die dem stolzesten spanischen Granden Ehre gemacht haben würde, und verglich man seine Zuvorkommenheit gegen Fremde mit seinem herablassenden Benehmen gegen die Bürger, so konnte gewiß kein Zweifel mehr über die hohe und wichtige Persönlichkeit eines mexikanischen Alcalde obwalten. Spät erst kehrte unsere Gesellschaft mit Schätzen beladen nach dem Lager zurück, wo nunmehr alle Delicatessen von Anton Chico mit Ausnahme des rothen Pfeffers in den Feldküchen zu finden waren.

Den rothen spanischen Pfeffer, mit welchem die äußeren Wände der Lehmhäuser, zum Zweck des Trocknens, behangen, ja auf's prächtigste decorirt und theilweise bedeckt waren, hatten die Amerikaner zur größten Verwunderung der Mexikaner verschmäht und zu ihrem noch größeren Erstaunen waren Diejenigen, welche sich hatten verleiten lassen, in den Wohnungen das sonderbare, ungewohnte Gemüse zu kosten, mit einer Anschwellung des Mundes und des Gesichtes gestraft worden, woher denn auch Alle mit Verachtung auf die schöne rothe Frucht schauten, die eine Lieblingsspeise der Mexikaner zu sein schien.

Am folgenden Tage in aller Frühe erschien der edle Alcalde in Begleitung der vornehmen Bürger im Lager, um auf feierliche Weise unsere ganze Gesellschaft zum Fandango, der am Abend veranstaltet werden sollte, einzuladen. Natürlich wurde die Einladung mit Freuden angenommen und Jeder ging sogleich an's Werk, eine Art von Ballstaat zusammenzusuchen, um sich am Abend auf würdige Weise unter die tanzenden Señorita's mischen zu können. Nadel und Zwirn wurden in Bewegung gesetzt und wie durch Zauberschlag verschwanden in den vielgebrauchten Kleidungsstücken Risse und Oeffnungen, die ihr Dasein theils dem schweren Dienste auf der langen Reise, theils auch unglücklichen Zufällen verdankten; künstliche Schwärze wurde seit langer Zeit zum ersten Male wieder auf das Schuhzeug gebracht und die prächtigsten Vatermörder und Chemisettes aus steifem Zeichenpapier angefertigt, kurz Alles wurde hervorgesucht, was nur immer zum Staat verwendet werden konnte. Wohl war es eine bunte Schaar, die sich am Abend auf den Weg machte, als die Kirchenglocke, die dort zum Gottesdienste wie zum Fandango ruft, in's Lager hinüberschallte. Da waren Gestalten, die unten in lederne Leggins und schwere Stiefeln, oben dagegen in einen zerknitterten, modischen Jagdrock gekleidet waren, Andere, die umgekehrt unten Civilisation und oben Mangel an Kultur zeigten. Mit papierner Wäsche paradirten die Meisten; doch auch ein Paar weißer Glacéhandschuhe zeigte sich, obgleich freilich die geplatzten Nähte die sonnenverbrannte Haut durchschimmern ließen. Das Tragen von Waffen auf dem Balle war eigentlich verbeten worden, doch stahl sich häufig aus den Falten der Gewänder der braune Kolben eines Revolvers oder das blanke Heft eines Bowiemessers hervor. In diesem malerischen Aufzuge erschienen also die Amerikaner vor dem Gebäude, welches neben der Kirche zu öffentlichen Zwecken errichtet worden war. Nachdem wir uns am Eingange mit schlechten Erfrischungen, gegen gute Bezahlung verabreicht, gütlich gethan hatten, traten wir in die kleine längliche Halle, wo wir vom Alcalde bewillkommnet und von einem Haufen Mexikaner in beschnürten Calcineros und Mexikanerinnen in dicken Schleiern oder leichten Decken erwartet wurden. Die verschiedenen Nationen mischten sich bald unter einander und versuchten auf alle mögliche Weise sich einander verständlich zu machen; freilich ging es sehr mangelhaft, doch wurden die Zungen loser, als die schwarzäugigen Señorita's feine Cigaritos füllten, anrauchten und den Fremden darreichten, der Whisky-Punsch kreiste, das Orchester, bestehend aus zwei Guitarren und einer Violine, zum Walzer rief und Alles sich zum wilden Tanze die Hände reichte.

Der Tanz begann; ernst und gemessen bewegten sich anfänglich die Paare, doch der würdige Alcalde in seinen Hemdärmeln gab den Spielleuten ein Zeichen, aus welches die Finger derselben schneller über die klingenden Saiten eilten und in rascherem Takte die Füße der Tanzenden auf der staubigen Lehmtenne dahinglitten. Unermüdliche Tanzlust leuchtete aus den dunklen Augen der Señorita's, wohlgefällig schauten die ausgearteten Abkömmlinge der Spanier auf ihre eigenen beweglichen Glieder, während wilde Ausgelassenheit auf den bärtigen Zügen der Amerikaner strahlte. Da war kein Tanz, an dem die Fremden sich nicht betheiligt hätten, und wenn auch nicht nach den Regeln der Kunst und der dortigen Mode, so suchten sie doch mit dem besten Willen und nach Kräften in den verwickeltsten Touren ihren Platz zu behaupten. Mitleidig beobachteten die Mexikaner die derberen Bewegungen unserer Leute und die von denselben gestörte Tanzordnung, doch kümmerte das nicht die lachenden Töchter des Landes, die jede kleine Pause benutzten, um Cigaritos zu rollen, anzurauchen und glimmend auf die liebenswürdigste Weise ihren Tänzern anzubieten. Mit einem » thank you,« woran gewöhnlich sich der Ausruf schloß: »Ach, wenn ich doch nur etwas Spanisch verstände,« wurden die Gaben angenommen. Die Unmöglichkeit einer Unterhaltung zwischen den verschiedenen Nationen that der Fröhlichkeit indessen keinen Abbruch, es wurde getanzt, gesungen, gelacht, getrunken, und erst gegen Morgen trennte sich die Gesellschaft, und zwar ohne daß Balgereien und blutige Köpfe den Jubel auf's Höchste gesteigert hätten, was um so merkwürdiger war, als Wagentreiber und Soldaten, unter letzteren Exemplare aller Nationen Europas, mit wankenden Füßen und benebelten Köpfen sich in das tolle Treiben gemischt hatten.

Als am folgenden Morgen die Sonne ihre ersten Strahlen über unser kleines Lager sendete, herrschte in demselben die tiefste Ruhe; nur ein lautes Schnarchen ließ sich mehrfach aus dem Innern der Zelte vernehmen und deutete auf den erquickenden Schlummer, dem unsere ganze Expedition nach der körperlichen Bewegung der vorigen Nacht und den geistigen Genüssen anheimgefallen war. Träge Ruhe schien über dem Thale von Anton Chico zu schweben; wohl krähten die Hähne in dem kleinen Städtchen, wohl wieherten die Maulthiere in den fernen Schluchten, doch trafen diese Töne kaum andere Ohren als die der Wachtposten, die, auf ihre Musketen gelehnt, über das traurige Geschick nachzudenken schienen, welches ihnen versagt hatte, an dem Jubel der verflossenen Nacht Theil zu nehmen. – In der Frühe des 29. September, des zweiten Tages nach Ankunft unserer Expedition in Anton Chico, trennte Lieutenant Whipple das Commando, um zwei verschiedene Wege nach Albuquerque verfolgen und untersuchen zu lassen. Er selbst, in Begleitung eines Topographen, des Geologen, des Botanikers und meiner Person, beabsichtigte das Thal von Cuesta zu besuchen, demnächst am Ende der Cañon Blanco noch einmal mit der ganzen Expedition zusammenzutreffen, dann aber in nordwestlicher Richtung abzubiegen, die Gold Mountains oder Placer südlich liegen zu lassen, die Stadt Galisteo zu berühren, dem Bette des Flüßchens gleiches Namens folgend, den Rio Grande bei der Pueblo-Stadt Santo Domingo zu erreichen und dann an diesem Flusse hinunter bis nach Albuquerque zu ziehen.

(Anmerkung 11) In den Gebirgen des alten Placer und des neuen Placer bei Santa Fé in Neu-Mexiko bearbeitet man Quarzgänge, welche Gold in hinlänglicher Quantität enthalten, um die Kosten der Arbeit zu decken. –

[Marcou a. a. O., S. 111.]

Das Hauptcorps sollte unterdessen in gerader Richtung südlich von den Gold Mountains durch das Städtchen S. Antonio und den San-Pedro-Paß an den gemeinsamen Bestimmungsort eilen, wo es, einer oberflächlichen Berechnung gemäß, zwei Tage früher als wir eintreffen mußte.

»Auf Wiedersehen am Rio Grande!« riefen Lieutenant Whipple und sein kleiner Trupp, als wir mit zwei Wagen und fünf Soldaten unsere Reise antraten. »Auf Wiedersehen in Albuquerque!« antworteten die Zurückbleibenden, die sich ebenfalls schon rüsteten, das Thal von Anton Chico zu verlassen.

Auf den Regen, der am vorhergehenden Tage und während der Nacht gefallen war, folgte drückende Hitze und da in den ersten Stunden während des Marsches der Weg zu einer bedeutenden Höhe hinaufführte, so war der Anfang der Reise nichts weniger als angenehm; und auf der Höhe, wo wir, um nach Cuesta zu gelangen, von der Hauptstraße nördlich abbogen, machten steiniger Boden und verwachsenes Cederngestrüpp das Fortschreiten beschwerlich. In den letzten Nachmittagsstunden gelangten wir endlich an den Rand des Thales von Cuesta, welches in schauerlicher Tiefe, von hohen Felsen eingeschlossen, einen herrlichen, imposanten Anblick gewährte.

Nur wenige Schritte von der Stelle entfernt, wo ein schmaler, gefährlicher Maulthierpfad hinabführte, wurde das kleine Lager errichtet. Mr. Whipple stieg mit einem Wagentreiber in die Ansiedelungen hinunter, um einige Maiskolben für die Thiere, die in dieser Nacht das Wasser entbehren mußten, herbeizuschaffen, während wir anderen an den Abhängen umherkletterten, um von verschiedenen Punkten eine Aussicht auf die malerische Landschaft zu gewinnen. Hohe, gelbe Tafelländer, durchzogen mit weißen, horizontalen Kalkstreifen, begrenzten das längliche Thal von Cuesta, welches, in rechtwinkelige Korn- und Gartenfelder getheilt, von oben gesehen einem Gewebe glich. In vielen Windungen schlängelte sich der Pecos durch die romantische Ebene und an der Stadt Cuesta vorbei, die einer kleinen Festung ähnlich auf einer niedrigeren Abstufung der Hochebene lag. Außerdem zeigten sich kleinere und größere Ansiedelungen, die wie zerstreute Würfel theils aus bergenden Schluchten hervorragten, theils, weiter vom Fuße der Berge entfernt, frei in der Ebene aufgeführt waren. Wir befanden uns in einer Höhe von 500 Fuß über dem Spiegel des Pecos, so daß die angebaute Niederung wie eine plastische Karte vor uns lag.

Nur wenig Buschwerk auf den Ufern des Flusses und selten eine vereinzelte Pappelweide zierten das Thal, über welches der Herbst hingestrichen war, doch ohne daß er vermocht hätte, alle Reize desselben zu zerstören. Was aber besonders die malerische Aussicht hob, das waren die lichten Cedernwaldungen auf den nächsten Tafelländern und die hinter diesen hochaufstrebenden dunkelblauen Berge und Felsenmassen, ihrerseits weit überragt von einer hohen Gebirgskette, deren lichtes, duftiges Blau kaum von der klaren Atmosphäre zu unterscheiden war. Unten in den Ansiedelungen fing es an zu dämmern, doch lange noch beleuchtete die Sonne die Kuppen der Gebirge und ließ dieselben in einem rosigen Lichte glühen.

Bei eintretender Dunkelheit versammelten wir uns vor den Zelten unter einer dichten Gruppe von Cedern; fettes, kieniges Holz nährte ein lustig flackerndes Feuer, um welches sich die einzelnen Mitglieder in gemüthlicher Unterhaltung hingestreckt hatten und ungeduldig der Ankunft des Lieutenant Whipple entgegensahen, um dann gemeinsam einer frugalen Abendmahlszeit gebührende Ehre zu erweisen,

»Es fehlt uns nur der Ingenieur,« hob der Geologe an, »und wir wären wieder dieselbe Gesellschaft, die jenseits der Laguna Colorado den Pyramidenfelsen bestieg. Sie erinnern sich vielleicht, daß, als wir oben auf der Kuppe saßen und unsere Kräfte durch Hinunterschleudern von Gestein erprobten, Einige von uns die Meinung äußerten, daß wir wohl die ersten Weißen wären, die jemals den Pyramid Rock bestiegen hätten. Sie erinnern sich vielleicht auch, daß ich der Letzte war, der den luftigen Sitz verließ? Nun wohl, was Anfangs unsern Augen entgangen war, entdeckte ich, als ich, zuletzt noch auf die vorspringende Felswand trat, nämlich den sichern Beweis, daß nicht nur Europäer vor uns dort oben gewesen, sondern sogar in neuester Zeit den Punkt besucht haben müssen. Sehen Sie, diese Spitzkugel, die ich seit der Zeit bei mir geführt und fast vergessen habe, sie war vorsichtig, wahrscheinlich als Denkmal, auf den äußersten Rand der Kuppe gestellt worden. Natürlich nahm ich sie mit und ich beabsichtige dieselbe als Andenken aufzubewahren,«

Der Doctor und sein Freund, die so lange geschwiegen hatten, brachen nunmehr in ein schallendes Gelächter aus und erzählten, daß sich die Kugel noch keine fünf Minuten an der Stelle befunden habe, als sie von dem Geologen entdeckt worden sei. Nur unseren vereinigten Versicherungen gelang es endlich, den glücklichen Finder von der Thatsache zu überzeugen, der alsbald die Kugel verächtlich von sich warf.

Noch lachten wir über diese komische Täuschung, als die Schildwache mit einer Meldung zum Feuer trat, die keine geringe Aufregung hervorrief. Es waren nämlich am Fuße des Berges mehrere Schüsse gefallen, und da Lieutenant Whipple noch immer nicht von seinem Ausflug zurückgekehrt, zugleich Niemandem die so wenig freundliche Gesinnung der meisten Mexikaner gegen ihre Besieger, die Amerikaner, unbekannt war, so erregte diese Nachricht große Besorgniß. Jeder griff augenblicklich zu seinen Waffen und nur zwei Mann bei den Thieren und Wagen zurücklassend, eilten wir dem Abhange zu, um trotz der großen Finsterniß den gefährlichen Weg in's Thal hinab anzutreten. Schauerlich gähnte uns der schwarze Abgrund an, den die flimmernden Lichter in den Wohnungen nur noch tiefer und schwärzer erscheinen ließen. Das Echo eines Schusses, welches schwach zu uns hinauf drang, entfernte indeß die letzten Bedenklichkeiten. Jeder schnallte den Gurt fester um seine Hüften und stürzte vorwärts, ohne auf den gewundenen Pfad in der Dunkelheit zu achten, oder sich um nachrollendes Gestein zu kümmern. Halb fallend, halb gleitend ging es bergab. Das abermalige Blitzen von Schüssen spornte uns zur größten Eile auf dem gefährlichen Wege, bis wir endlich keuchend vor Anstrengung, mit blutenden Gliedern und zerrissenen Kleidern festen Fuß auf einer breiten Straße faßten, die nach der Richtung hin führte, wo ein neuer Schuß und lautes Schreien auf den vermeintlichen Kampfplatz riefen. Geschlossen und im vollen Lauf eilten wir auf dem Wege weiter, doch hatten wir die ersten Häuser der Ansiedelungen noch nicht erreicht, als wir die Annäherung von Leuten vernahmen, die sich im Schatten von herabgerollten Felsblöcken uns entgegen bewegten. »Wer da!« rief Einer unserer kleinen kampflustigen Schaar den Unbekannten zu, und das Knacken der Hähne von einem halben Dutzend Revolver und Büchsen begleitete diesen Ruf. »Sie werden mich doch nicht erschießen wollen?« fragte Lieutenant Whipple zurück, der sich wohlbehalten mit einigen Mexikanern und einem beladenen Maulthiele auf dem Rückwege in's Lager befand. »Nein sicherlich nicht!« wurde ihm erwiedert, »wir kommen nur um zu retten!« Erklärungen folgten nun von beiden Seiten und es stellte sich heraus, daß Lieutenant Whipple allerdings feindliche, selbst beleidigende Blicke und Worte genug erhalten hatte, doch war es zu einem Kampfe nicht gekommen und das Schießen und Schreien rührte nur von einigen aufgeregten Gemüthern her, die ihre ganzen Kräfte aufboten, einen Fandango auf die gewöhnliche geräuschvolle Weise zu verherrlichen. Langsam und verdrießlich über den mühsamen Weg kletterten wir wieder hinauf in's Lager, wo wir erst um Mitternacht, und zwar hungrig und gänzlich erschöpft, anlangten.

Die Aussicht über das Thal von Cuesta und die angrenzenden rauhen Gebirgszüge genügte, um uns zu überzeugen, daß es vergebliche Mühe sein würde, zum Zwecke der Auffindung eines zur Eisenbahn geeigneten Weges den Lauf des Pecos genauer untersuchen zu wollen; wir kehrten daher am folgenden Morgen zur Hauptstraße zurück, um unsern nunmehr vorangeeilten Gefährten durch den Paß Cañon Blanco nachzufolgen.

Es war ein breiter, bequemer Weg, der zwischen Bergketten hinführte; hochstämmige Fichten bedeckten die Thäler und beschatteten den Fuß der Gebirge, verkrüppeltes Nadelholz mancher Art hatte in den Spalten und Schluchten der Sandsteinfelsen Wurzel geschlagen, selbst auf den höchsten Punkten erhoben blaugrüne Cedern ihre dichten Kronen. Kleine baumlose Ebenen, die mit den Kiefernwaldungen abwechselten, waren die Heimath Tausender von Prairiehunden geworden, die bei der Annäherung unserer kleinen Karawane die Köpfe aus ihren Wohnungen steckten und übermüthig ihre feinen Stimmchen in den Wald hineinschallen ließen; graue und rothe Eichhörnchen sprangen fröhlich auf dem Rasen umher, flüchteten sich vor dem ungewohnten Geräusch in die höchsten Bäume hinauf und lugten neugierig hinter deckenden Zweigen hervor, während ihr buschiger Schweif von dem Winde bewegt wurde und dem vorbeiziehenden Jäger ihr Versteck verrieth. Niedrig kreisten Adler und Weihen in der nebligen Luft und kleine Rebhühner schlüpften mit genäßten Schwingen über feuchtes Moos. Der Nebel, der in den ersten Frühstunden die Luft getrübt hatte, verdichtete sich mehr und mehr, bis er als feiner Regen niedersank. Um diese Zeit erreichten wir die Lagerstelle des Haupttrains, die an rauchenden Aschenhaufen und verkohlenden Fichtenstämmen weithin zu erkennen war; natürlich wurde daselbst sogleich nach Wasser gesucht, doch erwies es sich, daß auch hier die Heerden die so nothwendige Erfrischung hatten entbehren müssen und durstig die Weiterreise angetreten hatten.

Von dort ab verengte sich der Paß immer mehr, steile Felswände hoben sich bis zu einer Höhe von 1000 Fuß senkrecht aus dem Boden und zeigten bunte, hauptsächlich hellfarbige Sandsteinlagen. Die Straße blieb indessen nach wie vor bequem und leicht rollten die Räder auf dem festen Boden, auf welchem der fallende Regen den Staub angeklebt hatte. Um die Mittagszeit zerstreuten sich die schweren Wolken und freundlich warf die Sonne ihre Strahlen über Berg und Wald; als wir aber aus der Cañon Blanco traten, an welcher Stelle wir die Heerden und Nachzügler des Haupttrains überholten und wo wir weit um uns zu schauen vermochten, wurden wir gewahr, daß uns ein schreckliches Wetter bevorstand, welches uns die Aussicht auf die Gold Mountains benahm und mit Windeseile auf uns zutrieb.

Die Spitze des vorderen Zuges hatte unterdessen einen kleinen See erreicht, wo das Lager aufgeschlagen werden sollte. Alles beschleunigte seine Schritte, um so bald als möglich an Ort und Stelle zu gelangen und unter schirmendem Zelte das Unwetter zu erwarten. Doch war die Mühe vergeblich, denn noch war der Kreis der Wagen nicht geschlossen, als der Orkan losbrach, die halbstehenden Zelte zu Boden schleuderte und als Vorbote des Wolkenbruches mit unwiderstehlicher Gewalt über die Ebene sauste. Schwere Tropfen schlugen auf den Boden, ihnen folgten dichte Wassermassen, die bald zu Strömen wurden Alle Versuche, Schutz vor dem Unwetter zu schaffen, wurden aufgegeben und Jeder begnügte sich damit, seinem Thiere die Freiheit zu geben, sich selbst auf dem umgekehrten Sattel zusammenzukauern, die Decke um die Schultern zu werfen und geduldig auf das Ende des Wetters zu harren. In wenigen Minuten glich die Umgebung, so weit die Blicke durchzudringen vermochten, einem rauschenden See und trotz des Gefälles des Bodens, durch welches das Ablaufen des Wassers befördert wurde, standen die Füße bis an die Knöchel in dem strömenden Elemente. Allmälig legte sich die Wuth des Sturmes, der Regen hörte auf, doch folgte ein eisiger Wind, der scharf über die Ebene strich und den aufgeweichten Boden wieder trocknete, zugleich aber auch die durchnäßten Gestalten bis auf's Mark erkältete. Das von dem Engpasse mitgenommene Holz war unter diesen Umständen nur mit vieler Mühe zu entzünden und, einmal im Brennen, wurde es rasch von den Flammen, die der Wind heftig peitschte, verzehrt, so daß der kleine Vorrath kaum zum Bereiten der Speisen ausreichte, und an Trocknen und Erwärmen der halberstarrten Leute nicht gedacht werden konnte. Kaum hatte daher der morastige Boden wieder so viel Festigkeit erlangt, daß die Zeltpflöcke einigen Halt in demselben fanden, als auch Jeder sich beeilte, ein nothdürftiges Obdach sich zu schaffen und sich dann in Decken und Büffelhäuten verkroch.

Der Wind hatte während der Nacht ununterbrochen geweht, so daß am Morgen die Räder der schwer beladenen Wagen nicht mehr allzu tief in den aufgeweichten Boden einschnitten und ein schleuniger Aufbruch bewerkstelligt werden konnte.

Wiederum trennte sich die Gesellschaft, indem Lieutenant Whippie nördlich abbog, um in die Straße zu gelangen, die ebenfalls von der Cañon Blanco auslief, von dort aber in nordwestlicher Richtung an den Gold Mountains vorbei nach Galisteo und Santa Fe führte.

Der rauhe Herbst hatte sich Plötzlich eingestellt, eisiger Westwind trieb dicke Hagelschauer vor sich her, und wenn auch zeitweise die Sonne zwischen zerrissenen Wolken durchbrach, so war die Wirkung ihrer strahlen doch kaum zu fühlen. Wir befanden uns übrigens nahe an 7000 Fuß über dem Meeresspiegel, ein Umstand, der die Kälte in der so südlichen Breite nicht ungewöhnlich erscheinen ließ.

Im raschen Schritte zogen wir also unsere Straße; es waren 30 Meilen bis nach Galisteo und dieser Ort war das Ziel des Tagemarsches, So wie die Entfernung bis zu diesem Städtchen abnahm, färbten sich die blauen Massen der Gold Mountains dunkler, und deutlicher waren Schluchten und Bergrücken zu erkennen.

Felsig und unfruchtbar zeigte sich das Land aus dieser Strecke und da das Gras kurz abgenagt war, die Heerden sich aber in schützende Schluchten zurückgezogen hatten, so erhielt die Umgebung, die grünender Vegetation und lebender Wesen entbehrte, einen öden, traurigen Charakter, Kurz vor Sonnenuntergang setzte unser kleiner Trupp bei Galisteo über den Fluß gleiches Namens und bezog nahe den ersten Häusern sein Lager.

Das Städtchen, welches sich an einem sanften Abhange hinaufzog, hatte eine reizende Lage und machte in der Ferne den angenehmsten Eindruck, doch schwand derselbe, sobald wir in den schmutzigen Straßen umherwanderten, fast überall auf Dürftigkeit stießen und von Jedem mit mißtrauischen Blicken beobachtet wurden. Wie ächte Banditen schauten die Meisten der männlichen Bevölkerung mit ihren bärtigen Gesichtern aus schmutzigen Decken hervor, ein Ausdruck frecher Verworfenheit spiegelte sich in den Physiognomien der Weiber, die uns mit herausforderndem Spott begrüßten. In einer Art Gasthof, der von allen Gebäuden noch am einladendsten aussah, beschlossen wir den Abend hinzubringen. Wir traten in die Halle, die als Wohn-, Schlaf- und Gastzimmer zugleich diente, wo uns der Wirth nebst seiner Familie, so wie einige amerikanische Offiziere, die sich auf der Durchreise nach Santa Fe befanden, willkommen hießen. Decken wurden sogleich vor dem hell flackernden Kaminfeuer ausgebreitet, und in lebhafter Unterhaltung lagerten Alle im Kreise. Die Offiziere kamen von Albuquerque, wo ihrer Aussage gemäß, unsere Expedition noch nicht erwartet wurde; ebenso war die zu unserer Expedition gehörige Nebenabtheilung, die, von Texas heraufkommend, mit dem Hauptcorps in Albuquerque zusammentreffen sollte, noch nicht angelangt, wodurch einige Besorgniß über deren Verbleiben erregt wurde. Doch da das kleine Commando zu schwach war, um allein über die Steppen zu reisen, und sich einem größeren handels- oder Militairtrain anschließen mußte, so konnte der Grund der Verzögerung eben in diesem Umstände liegen.

Natürlich wurde von Lieutenant Whipple's Gesellschaft manche Frage gestellt über Albuquerque, die dortigen Verhältnisse und Persönlichkeiten, mit denen wir nun bald in nähere Berührung kommen sollten, Fragen, die bereitwillig von den Andern beantwortet und zugleich von erläuternden Erzählungen begleitet wurden,

»Der alte Fitzwater,« hob einer der Offiziere an, »den Sie gewiß Alle dem Namen nach kennen, ist nunmehr aus Lebenszeit von unserem Gouvernement auf der Militairstation in Albuquerque angestellt. Dieser alte Krieger ist wohl die größte Merkwürdigkeit, die Sie dort vorfinden werden, denn ich glaube, daß er kaum noch einen Knochen an seinem Körper hat, der nicht schon zerschossen oder zerschlagen worden und wieder zusammengeflickt wäre. Sein linkes Bein wird z.B. mittelst einer Eisenstange steif gehalten, weshalb er nur von der rechten Seite sein Pferd zu besteigen vermag. Die meisten Narben hat er in Scharmützeln mit Indianern, die schwersten aber in unserem Kriege mit den Mexikanern davon getragen. Er war damals schon ein alter Sergeant, aber immer noch ein Soldat, der es ganz bequem im Ertragen von Entbehrungen und Strapazen mit dem jüngsten Burschen der Armee aufnehmen konnte. Ich weiß nicht, in welcher Schlacht es war, als der alte Fitzwater mit seiner Section hinter Felsblöcken postirt stand, so daß sein Rücken durch eine Granitwand gedeckt war. Er sowohl wie seine Leute ließen ihre Musketen tüchtig auf die feindlichen Tirailleurs spielen, die ihrerseits nach Kräften antworteten und gelegentlich durch einen Traubenschuß ihrer Artillerie unterstützt wurden. Fitzwater war eben im Begriff, sein Gewehr zu laden, als eine Kartätschenkugel seinem Nebenmanne durch den Hals fuhr und mit solcher Gewalt gegen die Felswand schlug, daß die Granitstücken pfeifend umherflogen und eines derselben dem Fitzwater ein Auge raubte. Kaum fühlte dieser die Verwundung, als er sich mit blutendem Gesichte zu seinen Kameraden wendete und ausrief: So etwas ist mir noch nicht vorgekommen und bis jetzt habe ich es für unmöglich gehalten, daß eine Kugel, die schon vorbeigeflogen ist, noch rückwärts verwunden kann; es ist nur gut, daß es nicht das rechte Auge getroffen hat. So sprechend legte er ruhig sein Gewehr auf einen Mexikaner an. Nach dem Kriege übernahm er es, die Post von Texas nach Santa Fé und wieder zurück regelmäßig zu befördern, und auf diesen Reisen war es, wo er so häufig mit feindlichen Indianern zusammengerieth. Die unendliche Kaltblütigkeit, die ihn in den Stunden der Gefahr stets auszeichnete, verließ ihn auch hier nicht und nur seiner Ruhe und Geistesgegenwart hat es der alte Fitzwater zu verdanken, daß er heute noch Fouragemeister in Albuquerque ist. Seine grimmigsten Feinde waren von jeher die Apaches, die ihm auf allen Wegen nachspürten und seiner habhaft zu werden suchten. Eines Morgens nun, gar nicht mehr sehr weit von El Paso, saß der alte Fitzwater am Feuer und bereitete für sich und seinen einzigen Gefährten und Begleiter das Frühstück, das kein ganz gewöhnliches war, denn so vielfach der Alte auch in seinem Leben zerhauen und zerschossen worden war, so hatte das seinem gesunden Appetite doch nicht im mindesten geschadet. Er hatte sich mit ganzer Seele in die Zubereitung eines saftigen Bratens und eines trefflichen Kaffees vertieft, als er sich plötzlich von einem Haufen Apaches umringt sah, die allem Anscheine nach die besten Absichten auf sein Leben hatten. Fitzwater sah das Nutzlose eines Widerstandes ein, denn er wußte, daß in demselben Augenblicke, in welchem er nach seinen Waffen griffe, ein Tomahawk seinen Schädel zerschmettern würde. Er ließ sich also durch die drohenden Gestalten nicht in seiner Beschäftigung stören, sondern rief mit gleichgültiger Miene den Wilden zu, sie möchten sich nur niederlassen und unter den schon fertigen Fleischschnitten zulangen, während er ihnen Kaffee einschenken und neue Fleischstücken zum Rösten an's Feuer legen wolle. Diese ungewöhnliche Kaltblütigkeit, vereint mit der freundlichen Einladung zum Frühmahle, war für die Wilden so überraschend und machte einen solchen Eindruck auf sie, daß sie sich fast unwillkürlich wie auf Befehl niederkauerten, Fitzwater's Leckerbissen in Angriff nahmen und nach Befriedigung ihres Appetites, ohne ihm ein Leid zuzufügen oder etwas von seinen Sachen anzurühren, davon gingen. Fitzwater war froh, nebst seinem Kameraden mit heiler Haut davon gekommen zu sein, erklärte indessen hinterher, daß er den Wilden lieber sein langes Messer als seinen Kaffee und Zucker zu kosten gegeben hätte.« – Unter solchen Gesprächen ging uns die Zeit unbemerkt dahin, die Bewohner und Bewohnerinnen der Hacienda erinnerten zuerst an die vorgerückte Nacht, indem sie Matratzen auf dem Flur auseinander rollten, sich selbst entkleideten und mit dem Ausdruck der größten Behaglichkeit auf ihre einfachen, aber gewiß nicht unbequemen Lager verfügten. Wir nahmen Abschied, wickelten uns in unsere Decken und begaben uns nach unseren Zelten. Der Wind hatte sich gelegt, klarer Frost überzog die stehenden Gewässer mit einer Eiskruste, die Atmosphäre war rein und klar, und wie Milliarden von Diamanten funkelten die Sterne am Firmament. Ein schönerer Herbstmorgen ist wohl kaum über Neu-Mexiko aufgegangen, als der, an welchem wir Galisteo verließen. Kein Lüftchen regte sich, eine geheimnißvolle Ruhe lagerte auf dem zackigen Gebirge und der hügeligen Ebene; die Sonne schaute lachend auf die stille Landschaft, erreichte mit ihren Strahlen jeden kleinen Winkel und verdrängte die Schatten, doch störrisch behaupteten Steine und Felsblöcke, die zerstreut umherlagen, ihr Recht; nicht so die gefälligen Cedernbüsche, die zwischen dunklen Nadeln hindurch den wärmenden Strahlen einen Blick in ihr dunkles Reich erlaubten. Am Fuße der Gold Mountains hin rieselte durch tiefe Schluchten der Galisteo, so daß von dem Versuche, dem Thale desselben ganz zu folgen, abgestanden werden mußte, und wir einen größeren Bogen um das Gebirge beschrieben, um erst in der Nähe des Rio Grande in das eben genannte Thal einzubiegen. Mehrere Stunden Weges hatten wir noch ein starkes Steigen des Bodens zu besiegen und befanden uns dann auf dem höchsten Punkte; von dort aber ging es schnell bergab einer Niederung zu, wo am Fuße ausgebrannter Vulkane Gärten und Wohnungen zur Rast einluden.

War in den letzten Tagen Mangel an Wasser fühlbar gewesen, so reisten wir nun plötzlich in einem Landstriche, wo in kurzen Zwischenräumen krystallklare Quellen aus schwarzem Gestein sprudelten und die Wahl von Lagerstellen nur von dem größeren oder geringeren Reichthume der Weideplätze abhängig war. Das Vorhandensein so vieler Adern, welche gedrängt liegende Felder und Gärten bewässerten, hängt wahrscheinlich zusammen mit der Spalten erregenden Wirkung einer nahen Gruppe konischer Hügel, die als kleine ausgebrannte Vulkane nicht zu verkennen waren. Jahrhunderte hatten freilich schon auf die einstmals rauchenden Krater gewirkt, sie zugefüllt und die Narben mit einer zähen Grasdecke überzogen, doch ragten an den Seiten noch die scharfen Zacken der Lavabäche hervor, die während des Herunterrieselns erkalteten. Aehnliche vulkanische Ausbrüche an dem östlichen Abfalle der Rocky Mountains finden sich weiter nördlich gegen Santa Fé und Pecos hinunter, in der Kette, welche Raton Mountains heißt. Ein solches isolirtes, trachytisches Gebiet ist auf einer schönen geognostischen Karte von Marcou (fast im Meridian des Tucumcari) verzeichnet.

(Anmerkung 12) Der erste Vulkan, auf welchen ich auf meinen Forschungen in den Felsengebirgen gestoßen bin, liegt zwischen Galisteo und Peña Blaca; er führt den Namen Cerrito, erstreckt sich in das Thal des Rio Grande del Norte, und liegt wie eine Art Verbindungsmittel zwischen den Sierras von Santa Fé, de Jemez, de Sandia und den Placers. Dieser alte Vulkan ist nicht sehr hoch, die verschiedenen Kegel, von welchen er gebildet wird, erheben sich nicht höher als 800 bis 1000 Fuß über das Plateau, auf welchem er aufsteigt. Seine Laven erstrecken sich über die gesammten Ländereien, zwischen Galisteo, Cieneguilla, Nanle und den Pueblos von Cochiti und San Felipe. Der Rancho von Cerrito liegt sogar mitten im Krater. Der Rio Grande und der Rio Bajado oder Cieneguilla haben ihre gegenwärtigen Betten, in den Laven des Vulkans eingefurcht, und in den Sectionen, welche mittels Durchschnitte zu Tage gebracht werden, sieht man, daß die Ströme der basaltischen Lava den Drift wieder bedeckt, und an manchen Stellen sogar in Marmor ( brèche) oder vulkanisches Conglomerat verwandelt haben.

(Marcou a. a. O., S. 113-115. – Um die Geographie und Geologie von Neu-Mexiko haben sich neben Herrn Marcou sehr verdient gemacht: Emory, Wislizenuè, Dr. French, Marey, Capitain Sirgreaves und Bartlert.)

Auf schwankendem Boden in gefährlicher Nähe arbeitender Vulkane blühten in beiden Continenten vielfach Städte auf, die rasch an Bevölkerung zunahmen, jedoch nur zu häufig in Feuer und Asche untergingen; auf den Trümmern der Wohnungen ihrer Vorfahren entstanden neue Geschlechter, die, von süßen Quellen und fruchtbaren Niederungen angezogen, im Anblick eines majestätischen Naturschauspiels jeder Gefahr zu vergessen schienen und ihre Umgebung in paradiesische Gärten verwandelten. Die Vulkane von Neu-Mexiko aber sind todt oder ruhen vielmehr in einem langen festen Schlaf, und die Ansiedler, die sich am Fuße derselben niedergelassen, genießen die ihnen daselbst gebotenen Gaben, ohne zu ahnen, daß sie sich auf dem erkalteten Kampfplatze wüthender Elemente befinden, die ihren Hader im tiefen Schooße der Erde fortsetzen und ihnen durch die in die Erdoberfläche gerissenen Klüfte und Spalten reichen Segen zusenden. Langhörnige Rinder, feinwollige Schafe und bärtige Ziegen trinken an solchen Stellen mit Lust von dem kühlen Wasser, der schwarzschwänzige Hirsch und die Gabel-Antilope kommen dorthin, um ihre Zunge zu netzen; bedächtig steigt aus den dunklen Höhlen der nahen Gebirge der graue Bär hernieder, und von Durst getrieben schreitet er den entlegeneren Quellen zu.

Nahe diesen kleinen Ansiedelungen beschlossen wir zu übernachten, um so mehr, als saftige Melonen, schwellende Trauben und rothbäckige Pfirsiche, die uns von allen Seiten entgegenlachten, uns ein köstliches Mahl versprachen und zur Rast aufforderten.

Da am folgenden Tage der Rio Grande erreicht werden sollte, so setzten wir uns schon in aller Frühe in Bewegung und verfolgten unsere über rauhes Land in ein Thal hinabführende Straße, wo an den Ufern eines Nebenflüßchens des Galisteo sich mexikanische Ansiedelungen dicht aneinander reiheten und förmlich eine Stadt bildeten. Nur kurze Zeit zogen wir in diesem Thale weiter und gelangten dann in das steinige Bett des Galisteo, welches, von hohen Trappfelsen und Gerölle eingeschlossen, den Namen einer langen Schlucht verdient. Starkes Senken des Bodens war bemerklich, denn das wenige Wasser, welches in dem Flusse zurückgeblieben war, rieselte eilig zwischen glatt gewaschenen Steinen hin dem Rio Grande zu. Die Wagen folgten den Windungen des Flusses, die so kurz waren, daß wir uns fortwährend in einem Felsenkessel befanden und unser Gesichtskreis außerordentlich beschränkt war. Blickten wir aber dahin, woher wir gekommen waren oder wohin wir zu gehen beabsichtigten, so hatten wir eine herrliche Decoration vor uns, die von den vorspringenden oder zurücktretenden Abhängen gebildet wurde, während sich zu beiden Seiten die rauhen Felsmassen zu einer Höhe von mehreren hundert Fuß aufthürmten. Zahllose Erd-Eichhörnchen sprangen zwischen losem Gestein umher, und hurtig schlüpften die Bruchhähne ( Chapporal cock, Geococcyx mexicanus) hinter bergende Gegenstände, um sich den Augen der spähenden Jäger zu entziehen.

Nach einem Marsche von einigen Stunden in der Cañon Boca, wie diese Schlucht von den Mexikanern benannt worden ist, senkte sich das linke Ufer zu einer weiten Ebene, die sich bis an die auslaufenden Schluchten des Placers und das tiefere Thal des Rio Grande erstreckte, und über welche die verschiedenen Wege nach den Ansiedelungen führten. Noch im Bette des Galisteo vermochten wir schon die blauen Bergmassen zu unterscheiden, die sich auf dem westlichen Ufer des Rio Grande erhoben und uns den Lauf dieses Flusses bezeichneten, während südlich von uns die Kette des Sandia-Gebirges sich an die blauen Massen des Gebirges anschloß, welches den Namen Placer führt. An der Stelle, wo wir die Cañon Boca verließen, um die bessere Straße über die Ebene einzuschlagen, erregten wunderbare, weiße Sandsteingebilde Aller Aufmerksamkeit in so hohem Grade, daß Jeder fast unwillkürlich vor denselben verweilte und sich im Anschauen des herrlichen Naturspieles versenkte.

Wie Pfeifen einer mächtigen Orgel ragten dicht aneinander geschlossene Säulen aus dem Bette des Galisteo hervor, die zusammenhängend sich nach dem Ufer hinaufzogen, gegen das Ende hin kürzer und schwächer wurden und aus geringer Entfernung solche Aehnlichkeit mit einem künstlichen Gebäude trugen, daß es kaum den Eindruck von etwas Ungewöhnlichem gemacht haben würde, wenn feierliche Klänge aus dem Innern der zierlich gekerbten und beringten Säulen hervorgedrungen wären. Doch in erhabener Stille lagen die Felsen da, und nur dem sorgsamen Lauscher gelang es, Tausende der verschiedenartigsten Stimmen zu entdecken. In den klaren Lüften wiegte sich majestätisch der Bussard und sandte seinen durchdringenden Ruf zur Erde hinab; tief unter ihm beschrieben zwitschernde Schwalben ihre bunten Zickzacklinien; an dürren Grashalmen hingen farbige Heuschrecken und trillerten in die Welt hinaus; in dunklen Spalten des weichen Erdreichs zirpten die munteren Heimchen; der Bruchhahn scharrte im Sande, wo zarte Stimmchen an sein Ohr schlugen, und am Baume, der nahe der stummen Orgel sein alterndes, morsches Haupt neigte, hämmerte laut der Specht und schreckte die nagenden und schnarrenden Bewohner der durchlöcherten Rinde. Alle diese verschiedenartigen Töne und Stimmen vereinigten sich zu einem das Gemüth anregenden Chor und sangen in übereinstimmender Weise das Loblied der Mutter Natur, ihrer großen Lehrerin. Wenn Reisende an den schönen Sandsteingebilden vorbeiziehen, dann erfreuen sie sich des herrlichen Anblickes und bewundern in stillem Ernste die Kraft der fallenden Wassertropfen, die im Laufe der Zeit so künstliche Bildhauerarbeit herzustellen vermochten; fromme Mexikaner entblößen auch wohl dort ihr Haupt, bekreuzigen sich und beten ein Ave Maria.


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