Balduin Möllhausen
Wanderungen durch die Prairien und Wüsten des westlichen Nordamerika
Balduin Möllhausen

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IV.

Sculleville, die Choctaw-Agentur. – Geschichte der Choctaws. – Sagen der Choctaws. – Rathsversammlung der Choctaws. – Sans Bois Creek. – Pine Grove. – Ballspiel der Choctaws.

Um die benachbarten Indianerstämme gegen den Andrang der Weißen zu schützen und die Unterhandlungen der Indianer mit dem Gouvernement der Vereinigten Staaten zu leiten, um aber andererseits auch die Weißen gegen die Rothhäute zu vertreten, sendet das Gouvernement unter die Stämme Agenten, welche dann gewöhnlich die Gründer einer Niederlassung werden. Nicht nur Indianer, sondern auch Weiße siedeln sich dann in ihrer Nähe an; letztere natürlich von Gewinnsucht getrieben, indem sie mit ihren Tauschartikeln schnell zur Hand sein wollen. Sie verheirathen sich mit Indianerinnen, um festen Fuß bei ihren rothhäutigen Verwandten fassen zu dürfen. Auf diese Art entstand Sculleville. Gleich weit vom Poteau und Arkansas entfernt liegt die Agentur mit den zur Viehzucht und zum Ackerbau nöthigen Gebäuden an einer Quelle oder vielmehr einem kleinen Bache, der auf einer Anhöhe aus dem Gestein sprudelt und mit jedem Schritte wachsend dem Arkansas zueilt. Eine Schmiede und Waarenhäuser ließen nicht lange auf sich warten, wohlbestellte Farmen, umgeben von schönen Kornfeldern und Obstgärten, blühten bald in der Nähe auf, und die Agentur wurde zum Sammelplatz aller industriellen, sowie vagabondirenden Indianer. Der Mangel eines Gasthofes wurde fühlbar, denn gar viele der Indianer und Indianerinnen sind nicht mehr gewohnt, auf der Erde oder im Freien zu schlafen. Ein kleines Kosthaus (Boardinghouse) half darauf das Städtchen vervollständigen, und der reisende Choctaw, der seine die Schule besuchende Tochter sehen will, steigt jetzt mit seiner Familie in der bequem eingerichteten Herberge ab. Obgleich die dortige Bevölkerung an den Umgang mit den Weißen gewöhnt ist, so gab das Erscheinen der Expedition des Lieutenant Whipple doch Grund genug zur Neugierde, um so mehr, da die Compagnie mit Militairbegleitung zog und bei Sculleville ihr Lager aufschlug, um, wie es schien, mehrere Tage daselbst zu verweilen. Dazu traf es sich, daß zur selben Zeit eine Rathsversammlung der Choctaw-Häuptlinge abgehalten werden sollte. Kein Wunder also, daß von nah und fern Alles zusammenströmte, wodurch die kleine Stadt ein Bild von buntem Gemisch und Lebhaftigkeit darbot. Männer und Weiber wogten durch einander, Jeder hatte sich in sein bestes Kleid geworfen, welches, zwar nach europäischem Schnitt gearbeitet, doch größtentheils grelle Farben mit wundersamen, nicht immer unschönen phantastischen Zierrathen verband. Das Lager nahm die Aufmerksamkeit Aller sehr in Anspruch, und da, wo ich in einem Zelte meine Werkstatt aufgeschlagen hatte, drängte sich Alles heran, um die Möglichkeit zu erhaschen, in vollem Staate abgezeichnet zu werden. Scheibenschießen, Wettlaufen und Pferderennen, Tänze und Verabredungen zum nächsten Ballspiel, welches seiner Eigenthümlichkeit wegen wohl einzig dasteht, Alles wurde in diesen Tagen vorgenommen und verhandelt, und glücklich kann sich derjenige nennen, der sich zur Zeit einer Volksversammlung der Choctaws in Sculleville aufhält. Es wird ihm der Genuß geboten, durch eigene Anschauung in kurzer Zeit mehr von diesem so interessanten Stamme zu lernen und zu erfahren, als ihm sonst durch umständliches Fragen und Forschen möglich sein würde.

Die Nation der Choctaw-Indianer, nach Katlin's Angabe in einer Stärke von 22,000 Seelen, hat jetzt die Territorien südlich vom Arkansas und Canadian River inne, welche im Osten an den Staat Arkansas grenzen, südlich an das Gebiet der Chickasaws und westlich an das der Creeks. Die nördlichen Nachbarn der Choctaws sind die Cherokesen; es haben diese Stämme, die auf gleicher Stufe der Civilisation stehen, jetzt nur wenig Unterschied aufzuweisen. Ein solcher ist höchstens noch in ihrem Herkommen, in ihren alten Sagen, Sitten und Gebräuchen zu finden. Vor ihrem Ansiedeln am Arkansas bewohnten die Choctaws die reichen Jagdgründe der Staaten Alabama und Mississippi, welche sie an die Vereinigten Staaten verkauften; die Zahlungen wurden 20 Jahre hindurch in jährlichen Raten geleistet. Der Termin ist jetzt beinahe abgelaufen, und das meiste Geld, ohne viel Vortheil gebracht zu haben, wieder zurück in die Hände der Weißen gewandert. Wenn man indessen die alten Traditionen, welche in diesen Gegenden fortleben, mit einander vergleicht, so kommt man leicht zu dem Resultat, daß dieser Stamm nordwestlich von seinem jetzigen Gebiet in den Felsengebirgen gelebt haben muß, und zwar als Nachbar der Flathead- und Chinook-Indianer. Diese sind nämlich die einzigen Stämme, welche die natürliche Form des Schädels verunstalten, indem sie den Kindern von Geburt an durch das Aufpressen eines Brettes die Stirnknochen niederdrücken. Alte Choctaw-Indianer können sich entsinnen, von ihren Vorfahren gehört zu haben, daß dieser Gebrauch in frühern Zeiten in ihrem Stamme geherrscht habe. Hieran schließt sich die Sage von der großen Wanderung, die, von einem Indianer erzählt, folgendermaßen lautet:

»Vor vielen Wintern lebten die Choctaws weit hin nach Sonnenuntergang, weit hinter dem großen fließenden Wasser (weit westlich vom Missouri), sie lebten hinter den Bergen mit Schnee (westlich von den Rocky Mountains). Sie fingen an zu wandern und brachten auf ihren Reisen manchen Winter und manchen Sommer zu. Ein großer Medizinmann (Zauberer) war ihr Häuptling; er führte sie den ganzen Weg, er ging immer vorauf und trug einen langen rothen Pfahl in seiner Hand. Da, wo er den Pfahl in die Erde steckte, schlugen sie ihr Lager auf. Jeden Morgen nun sahen sie, daß der Pfahl sich gegen Sonnenaufgang geneigt hatte. Der Medizinmann deutete ihnen dies dahin, daß sie so lange wandern müßten, bis der Pfahl aufrecht an seiner Stelle stehen bliebe, und ihnen dadurch anzeige, daß dies der Ort sei, den der große Geist zu ihrer Heimath bestimmt habe. Lange wanderten sie weiter. An einer Stelle nun, die sie Nah-ne-wa-ge (abschüssigen Hügel) nannten, blieb der Pfahl aufrecht stehen. Dort gründeten sie ihre Heimath und schlugen ein großes Lager aus, es war eine Meile lang und eine Meile breit; die Männer lagerten außen herum, die Weiber und Kinder in der Mitte, und Nah-ne-wa-ge wird noch heute als der Mittelpunkt der alten Choctaw-Nation bezeichnet.«

Obschon nun die Traditionen von Indianern durchaus keinen sichern Haltpunkt für die Zeitrechnung gewähren, so beschäftigt man sich doch gern mit ihnen, da sie die Möglichkeit darbieten, sie mit den Traditionen anderer fernerer Stämme zu vergleichen und Betrachtungen anzustellen, die vielleicht sich der Wahrheit nähern. Auch die Sage von einer großen Fluth hat sich bei den Choctaws wie bei den Azteken (Mexikanern) und so vielen Horden östlich von den Cordilleren Südamerikas erhalten. »Es herrschte eine undurchdringliche Finsterniß über die ganze Welt, die weisen Medizinmänner versuchten Alles, die Dunkelheit zu besiegen, und sahen lange nach wiederkehrendem Tageslicht aus. Ihre Bemühung war vergeblich, und die ganze Nation versank in tiefes Unglück. Endlich nach langem Harren sahen sie ein Licht gegen Mitternacht aufgehen; schon glaubten sie am Ende ihrer Leiden zu sein, doch das Licht waren Berge von Wasser, die heranrollten und die Nation vertilgten bis auf einige Familien, die, das Unglück ahnend, sich ein Floß gebaut hatten, auf welchem sie sich retteten, und so die Stammeltern der jetzigen Nation wurden.«

Das Christenthum hat schon seinen Weg in diese Nation gefunden, doch hängen auch noch Manche an dem alten Glauben ihrer Väter, der sie ebenfalls ein Fortbestehen der Seele nach dem Tode lehrt, und in den Hauptsachen ganz derselbe bei fast allen nördlichen Indianerstämmen ist. Der Gestorbene hat demgemäß eine lange Reise gegen Sonnenuntergang zurückzulegen, bis er einen tiefen, reißenden Strom erreicht, der ihn von den seligen Jagdgefilden trennt. Beide Ufer dieses Stromes sind durch einen langen Fichtenstamm verbunden, der, abgeschält und geglättet, als Brücke benutzt werden muß. Der Gute geht fest und sicheren Schrittes über den schmalen Steg, erreicht glückliche Jagdgefilde, und tritt in bleibenden Besitz jugendlicher Kraft. Sein Himmel ist unausgesetzt klar, eine kühlende Brise weht fortwährend, und die Zeit vergeht unter endlosem Jubel, unter Essen, Jagen und Tanzen. Der Böse, der über den Steg schreitet, sieht die weit überhängenden Ufer wanken, er versucht auszuweichen und fällt in die Tiefe hinab, wo das Wasser mit Donnergetöse sich über die Felsen stürzt, wo die Luft verpestet ist von todten Fischen und anderen Thieren, und das Wasser, im Kreise treibend, ihn immer an denselben Ort zurückbringt, wo alle Bäume abgestorben sind, wo es wimmelt von Kröten, Schlangen und Eidechsen, wo die Todten hungrig sind und nichts zu essen haben, wo noch Lebende ein sieches Leben führen und nicht sterben können. Die Ufer sind mit Tausenden der Unglücklichen bedeckt, die hinaufklettern, um einen Blick in die glücklichen Jagdgefilde zu werfen, welche sie nie erreichen können.

Gern lauscht man den Erzählungen dieser Leute; mit wehmüthigem Ernste weilt die Rothhaut bei Ausschmückungen, wenn es den Vorfahren gilt. Ein ungläubiges Lächeln macht den Erzähler stocken, ja veranlaßt ihn abzubrechen, zu schweigen; aber da, wo der scharfe Blick des Indianers Theilnahme in den Zügen des Zuhörers entdeckt, reiht sich an den Schluß einer Sage der Anfang einer andern, und willig und aufmerksam folgt man in Gedanken seinen wilden Phantasien, um keines der langsam nach einander gesprochenen Worte zu verlieren. »Die Krebs-Choctaws (Crawfish Band),« fährt der Erzähler fort, »sind jetzt dem Stamme einverleibt, und lebten früher unter der Erde in einer großen Höhle, wo viele Meilen weit im Umkreise kein Licht war. Durch Moder und Sumpf kamen sie an's Tageslicht und mußten auf dieselbe Weise zurückkehren. Sie sahen aus wie die Krebse, gingen auf Händen und Füßen, verstanden einander nicht und waren sehr scheu und furchtsam. Die Choctaws lauerten ihnen lange auf, um mit ihnen zu sprechen, doch sie standen Niemand Rede und verschwanden immer im Sumpfe. Endlich wurde doch einigen der Rückweg nach dem Moore abgeschnitten, worauf sie dem nahen Felsen zuflohen und durch die Spalten desselben verschwanden. Die Choctaws brachten jetzt Feuer vor die Eingänge, legten grüne Zweige und Kraut darauf, trieben den dicken Dampf in die Höhle und räucherten auf diese Weise einige der Krebsmenschen an's Tageslicht heraus. Sie behandelten dieselben freundlich, lehrten sie sprechen und auf zwei Füßen gehen, schnitten ihnen die langen Nägel ab und rupften ihnen die Haare vom Körper, worauf sie dieselben ihrem Stamme einverleibten; doch viele sind noch in der Erde zurückgeblieben und leben noch heutigen Tages in der großen, dunklen Höhle.«

So lauten die Sagen der Choctaw-Indianer. Von einem Indianer in seiner eigenthümlichen Weise vorgetragen, dienen solche Erzählungen gewiß dazu, immer stärker den Wunsch rege werden zu lassen, lichte Punkte in ihren alten Traditionen zu entdecken; doch immer deutlicher sieht man die Unmöglichkeit ein, mehr leisten zu können, als unwahrscheinliche Schlüsse zu ziehen, – Folgen wir jetzt dem civilisirten Indianer in seine Rathsversammlung, um sein Rednertalent zu bewundern. Auf dem westlichen Ende von Sculleville liegt ein kleines Waarenhaus mit einem etwas erhöhten Corridor. Der Corridor ist die Rednerbühne des Choctaw, der freie Himmel das Dach, welches sich über seinem großen, herrlichen Saale wölbt. Der indianische Redner läßt seine Rede glatt fließen, wenn sein Auge auf die frei durch die Luft schießende Schwalbe fällt, und wenn er vor sich den Baum mit seinen schönen grünen Blättern sieht; denn (wie der Indianer gern figürlich von großen Rednern seines Stammes rühmt), »es reihen sich ihre Worte zusammen wie die frischen grünen Blätter und werden zu einem Ganzen, denn viele Blätter sind an einem Zweige und viele Zweige an einem Baume; der Baum wirft Schatten, daß viele Menschen in den Schatten treten können; und wie ein Schatten fällt ihre Rede auf die Zuhörer und Jeder sagt: die Rede ist gut! Die wilde Biene trägt den Honig summend an dem Redner vorbei, er raubt ihr den Honig und vermischt ihn mit seinen Worten; der Honig ist süß, die Rothhaut ißt ihn gern, und wie Honig saugt der Zuhörer in der Versammlung die Worte ein, und jeder kann die Worte verstehen und lauscht regungslos und scharf wie die Antilope in den Prairien und der Hirsch im Dickicht.«

An einem prächtigen Sommerabend war die ganze männliche Bevölkerung von Sculleville, wobei nur Wenige aus dem Lager des Lieutenant Whipple fehlten, in einem Haufen vor der Rednerbühne zu sehen. Obschon die meisten Indianer ihre Weiber mitgebracht hatten, so blieben dieselben doch bescheidener Weise in den entsprechenden kleinen Lagern und näherten sich nicht der Rathsversammlung. Denn wenn auch die Frauen der Choctaws gewissermaßen ihre Würde wiedergewonnen haben und nicht mehr wie bei uncivilisirten Stämmen Sklavinnen sind, so sind sie auch wieder vernünftig genug, einzusehen, daß die Einmischung eines einzigen Weibes in ihren politischen Angelegenheiten mehr verderben würde, als alle Männer des ganzen Stammes wieder gut machen könnten, so daß es kaum anzunehmen ist, daß unter diesen Stämmen jemals eine Emancipation der Frauen stattfinden wird – Der erste Redner bestieg die Bühne. Es war kein bemalter und befederter Krieger, sondern ein großer Häuptling im kattunenen, phantastisch geschnittenen Jagdhemde. Ein brauner, niedriger Hut beschattete seine kupferfarbigen Züge, er sah von einem langen Ritte betäubt aus, sein Pferd stand nicht weit von ihm noch gesattelt und gezäumt, er hatte keine Zeit, sich zur Rede vorzubereiten, aber er wußte, was er sagen wollte. Bei seinen ersten Worten herrschte lautlose Stille, jeder war gespannt: selbst diejenigen, die keine Idee von dieser fremdartigen Sprache hatten, beobachteten aufmerksam den Redner. Da war kein Pathos, der aus Ueberspannung entspringt, da waren keine theatralischen Bewegungen und Gesticulationen; eine leichte Handbewegung begleitete nur selten den etwas gehobenen Ton der Worte, die, meist aus tiefen Gutturaltönen bestehend, dennoch deutlich von den entferntesten Zuhörern vernommen werden konnten. Frei und ungebunden wurde die Rede gehalten, es unterbrach weder Applaus noch Widerspruch: ein allgemeines »Hau« folgte auf die vom Redner gestellten Fragen, und als er geendet, hörte man ein kurzes Murmeln unter den Zuhörern, und ein anderer Redner bestieg die Bühne.

Die Berathungen betrafen eines Theils die durch das Land der Choctaws zu bauende Eisenbahn, wozu wohl die in der Nähe lagernde Compagnie Anlaß gegeben hatte; anderen Theils auch die Regierungsform, indem man die jetzt auf mehrere Häuptlinge vertheilte Macht auf einen einzigen übergehen lassen wollte.

Ihre Gerichtssitzungen werden auf dieselbe Weise abgehalten. Man kann mit Recht sagen, daß diese Leute eine schonungslose Gerechtigkeit üben; auch die Todesstrafe kommt bei ihnen vor, wobei der Delinquent seinem Richter auf derselben ausgebreiteten Decke mit unterschlagenen Beinen gegenüber sitzt und seinen Tod aus nächster Nähe durch einen Büchsenschuß empfängt. Ein Redner nach dem andern bestieg die Bühne bis spät in die Nacht. Dem letzten wurde dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt wie dem ersten, und selbst diejenigen, die kein Wort verstanden, schienen gar nicht ermüden zu können. Welchen Eindruck die Reden auf den Nichtverstehenden durch Ton und Geberden machten, geht wohl daraus hervor, daß ein Amerikaner aus vollster Ueberzeugung sagte: »Bis jetzt habe ich geglaubt, die englische Sprache sei die schönste auf dem ganzen Erdball; jetzt bin ich aber zweifelhaft, ob die Choctaw-Sprache der englischen nicht beinahe gleichkommt.«

Am nächsten Morgen sah man viele kleine Gesellschaften sich zum Aufbruch rüsten und in den dunklen Waldwegen verschwinden. Auch unsere Expedition, jetzt erst ganz vollständig geworden, setzte sich an diesem Tage wieder in Bewegung, um sich den großen Prairien vorläufig noch in kleinen Märschen zu nähern, eines Theils um Menschen und Thiere zu gewöhnen, dann aber auch, um mit ungeschwächten Kräften den Entbehrungen in den oft wasserlosen, unabsehbaren Steppen besser trotzen zu können. Je weiter man sich nun vom Poteau entfernt, je mehr man sich dem Sansbois Creek nähert, desto lichter werden die Waldungen und desto häufiger die lieblichen grünen Prairien; hin und wieder sieht man Hügelketten, in deren Nähe das Land aber an Fruchtbarkeit verliert; Sandstein liegt dort nahe der Oberfläche, und der Kamm dieser Berge besteht gewöhnlich aus Sandsteinschichten, die von Südost nach Nordwest streichen. Mitunter zeigt sich eine Ceder in den Waldungen, die hauptsächlich eine große Mannigfaltigkeit an Eichen darbieten, so daß es wohl im Far West nicht schwer sein würde, fünfundzwanzig bis dreißig verschiedene Eichenspecies aufzufinden.

Das Land ist reich an Quellen und Bächen, welche dem Sans Bois zueilen, der, von Südwest kommend, einige Meilen unterhalb der Mündung des Canadian sich in den Arkansas ergießt. Das Wasser ist gut und trinkbar und wimmelt von Fischen, von denen die Mehrzahl zu den verschiedenen Species der Pomotis gehören; der Ochsen-Frosch ( Rana mugiens) läßt von jedem Ufer seine brüllende Stimme erschallen, als wenn er Herrscher über alle diese Gewässer wäre, und beim leisesten Geräusch stürzt er sich furchtsam kopfüber in's Wasser, daß die Wellen hoch aufspritzen. Die schwarze Schlange (Coluber constrictor L.) schleicht beutesuchend träge durch's Gebüsch, während die riesenhafte Diamant-Klapperschlange ( Crotalus rhombifer oder C. adamantinus) zusammengerollt lauernd zwischen Gestein liegt und das kleine prächtige Chamäleon ungestraft über sich hinwegspringen läßt.

In der Nähe der Sans Bois-Gebirge windet sich die Straße zwischen felsigen Hügelketten hin, so daß ein schwerer Train nur langsam fortschreiten kann. Wer dann im Besitze eines sicheren Maulthieres ist, der findet es bald langweilig, fortwährend das Knarren von Wagen und das Rufen der Maulthiertreiber zu hören; gern sucht man sich seinen eigenen Weg, auf die Gefahr hin, sich zu verirren, um so mehr, da diese Gefahr verringert wird durch große Lichtungen und Wiesen, welche die Waldung häufig unterbrechen, wo dann dem Reisenden eine weitere Aussicht und mit dieser ein bequemes Auffinden der Wagenspuren gestattet ist.

Abgesehen davon, daß man auf solchen einsamen Wanderungen zuweilen auf eine indianische Farm stößt, wo die immer seltener werdenden und um so angenehmeren Erträge und Erzeugnisse einer ländlichen Wirtschaft für geringen Preis zu erlangen sind; abgesehen von Allem, was zu den gewöhnlichen Lebensereignissen einer solchen Expedition gehört, so führt der Zufall doch hier bisweilen einen wissenschaftlichen Forscher auf unerwartete Schätze, z.B. auf die schönsten Exemplare von versteinerten Abdrücken von Farrenkräutern in den Betten kleiner Gewässer; auf Anzeichen von Steinkohlenschichten, die an den Ufern sichtbar sind; auf neue gegliederte Cactus-Arten, welche die Nähe der Flora von Texas zu verkünden scheinen.

(Anmerkung 3) Endlich findet sich im Westen ein unermeßliches Steinkohlenlager, welches sich, ohne eine Unterbrechung in seiner Ausdehnung, von oberhalb des Forts Moines (Iowa) bis hinunter zum Fort Belknap und dem Rio Colorado in Texas hinzieht. Dieses mächtige Steinkohlenlager ist nur an sehr wenigen Stellen mit Sorgfalt untersucht worden. Alles was man über dasselbe mit einiger Gewißheit kennt, ist die Ununterbrochenheit seiner Ausdehnung und seine Grenzen was sich auf die Beobachtungen gründet, die in verschiedenen Theilen durch die Herren Nicolet, D. D. Owen, Dr. H. King, Dr. Shumard und mich gemacht worden sind. Die obere Kohlenbildung oder das Steinkohlenterrain des Beckens westlich vom Mississippi, bezeichnet mit dem Namen far west coal field, begreift zwei große Abtheilungen: die untere, welche durchaus aus schwarzem mergeligem Schiefer und Betten von Steinkohlen zusammengesetzt ist und die obere Abtheilung, die von rothem Sandstein durch mächtige Lager in sehr regelmäßigen Schichten gebildet ist, in welchen man noch einige Ueberreste von fossilen Pflanzen findet. – Die Steinkohlenbetten sind hier weniger zahlreich als in dem Steinkohlenbecken des Golfs St. Laurent, und es sind kaum fünf oder sechs vorhanden, die mit Vortheil ausgebeutet werden können. Außer der Steinkohle findet man auch in dieser unteren Abtheilung des Steinkohlen-Terrains Eisenerz im Ueberfluß, besonders in den Staaten Arkansas und Texas, so wie einige Anhäufungen von Gyps. Das Terrain des oberen Kohlenkalks (carbonifère supérieur) dieser Regionen übersteigt nicht die Mächtigkeit von 2 bis 3000 Fuß.

(Marcou a.a. O. S. 49. – Marcy a.a. O. Append. S 166.)

Leicht ist es von der Nordseite aus, fast alle die Hügelketten hinaufzureiten; an der Südseite dagegen, schroff und steil, bedarf es aller Vorsicht, um die Felsenwände hinunter zu gelangen, ohne in ernstliche Berührung mit dem nachrollenden Gestein zu kommen. Doch gerade dicht an dem Abhange bietet sich dem Auge eine so wundervolle Aussicht dar, daß man gern den gefährlichen Weg vergißt und immer von Neuem hinunter und an einer andern Stelle hinauf klettert. So gelangt man denn auch auf den etwas höher gelegenen Abhang, der wegen seiner wenigen verkrüppelten, auf dem Plateau wachsenden Fichten den Namen Pine Grove erhalten hat. Bei dem ersten Blick von dort aus auf die sich gegen Süden erstreckende Landschaft wird man nicht nur überrascht, sondern tief bewegt; nur der Gefühllose kann bei so viel Schönheit ungerührt bleiben. Das ganze Land der Choctaws liegt dort vor dem Wanderer ausgebreitet. Zurückblickend gegen Osten, dahin, von wo er gekommen, sieht er zum letzten Male den Sugar-loaf-Berg, an dem die Grenze des Staates Arkansas vorbeigeht; eine niedrige, kaum vom Horizonte zu unterscheidende Bergkette zieht sich hinter die dunkleren Massen des Cavaneau-Gebirges, an welches sich die Sans Bois-Berge schließen, deren höchste Punkte, genau südlich von Pine Grove, sich gegen Westen senken und endlich ganz mit dem Flachlande verbinden.

Das große Thal nun, wie ein eingerahmtes Bild von blauen Bergen umgeben, ist keineswegs eine Ebene, die nur in der Vertheilung von Wald und Prairie Abwechselung zeigt; freilich wäre diese Abwechselung hinreichend, das Land feenhaft erscheinen zu lassen, doch Berge und Hügel heben sich in allen Richtungen, die grünen Prairien und dunklen Wälder sind durchkreuzt von Bächen und Flüßchen, deren Lauf man weithin verfolgen kann; in den Prairien sind die Windungen durch das Gebüsch auf den Ufern erkennbar, im Walde durch das tiefere Grün der Bäume. Wie mächtige, gegen den Süden rollende Wogen, die sich am Fuße der Sans Bois-Gebirge brachen und plötzlich in ihrem Laufe gehemmt wurden, nimmt sich das waldige Land aus, welches sich zwischen Pine Grove und den Sans Bois-Bergen ausdehnt. Mit dichtem Holze bewachsen, tritt jede einzelne Schwellung durch ihre Schattirung deutlich hervor, bis die letzte in das dunkle Blau der Berge übergeht. Ganz gegen Westen öffnet sich das Land in eine große Prairie, die von Waldungen eingefaßt ist und die jetzt gerade belebt wurde durch den langen Train, der mit seinen mit Leinwand gedeckten Wagen sich wie eine Riesenschlange durch das hohe Gras wand, um am anderen Ende der Ebene an einem kleinen Teiche das Nachtlager aufzuschlagen. Kleine, bläuliche Rauchsäulen, die aus dem Walde emporsteigen, verrathen indianische Gehöfte, und das dazu gehörige Vieh sieht man wie wandernde Punkte sich in den Lichtungen und Wiesen bewegen. Der schwere Nachtthau liegt noch auf den Blättern und Blumen, die schon hochstehende Sonne lockt aus den Tropfen blitzende Strahlen hervor, und der dann aufspringende leichte Südostwind, Alles trocknend, raubt dem Sassafras und den Millionen von Blüthen und Blumen den Duft und führt ihn mit sich fort über die Berge. Der Texanische Adler ( Polybonis vulgaris And) und die weiße Gabelweihe ( Nauclerus fuscatus L.) beschreiben große Kreise durch die Lüfte, während unten im Schatten die Drossel ( Turdus migratorius L.) es versucht, ihren Gesang mit den Melodien des Spottvogels ( Mimus polyglottus) zu vereinigen, und der von Zweig zu Zweig kletternde Papagei ausgelassen dazwischen schreit.

Lange steht hier der Reisende bewundernd, denn er ist gelangt an die Grenze des schönen, üppigen Landes; er wird bald da reisen, wo sein Auge vergebens am Horizont nach einem Punkte suchen wird, auf dem es bleibend haften möchte; er nimmt Abschied von diesem Paradiese, schneidet seinen Namen in die am Abhange stehende verkrüppelte Eiche, wirft einen letzten Scheideblick auf den in Nebel gehüllten Sugar-loaf und sucht dann behutsam nach einem Wildpfade, um, seinem Maulthiere vorangehend, den Abhang hinunter zu klettern. Unten wendet er sich gleich westlich, das Holz wird lichter, und bald befindet er sich am Rande der Prairie, an deren westlichem Ende, in einem schmalen Waldstreifen, er mit seinen Gefährten im aufgeschlagenen Lager wieder zusammentreffen wird.

Einzelne dieser größeren, weichen Prairien sind oftmals der Sammelplatz von Tausenden von Indianern, die dort zusammenkommen, um ihre alten herkömmlichen Spiele zu treiben, Spiele, die schon so alt wie die Nation sind, und die nur mit dem Untergange des ganzen Stammes vergessen werden können. Gleichviel, wie weit die dort lebenden Stämme in der Civilisation vorgeschritten sind, der im Osten erzogene indianische Gentleman, so wie der von der Jagd oder vom Ackerbau lebende Wilde desselben Stammes, jeder wirft die beim Spiele hinderliche, lästige Kleidung bei Seite, und nach alter Weise von Kopf bis zu Fuß bemalt, tritt er in die Schranken, um sich mit aller Leidenschaft, mit allem Eifer und mit aller Ausgelassenheit dem großen Nationalspiele, dem Ballschlagen, hinzugeben.

Das Ball- oder Ringspiel ist bei allen nordamerikanischen Indianern mehr oder weniger einheimisch; selbst bei den erst in neuerer Zeit bekannt gewordenen Stämmen der Mohawe- und Pah-Utah-Indianer am Großen Colorado ist das Ringspiel zu Hause. Das Ballschlagen der Choctaws, Chickasaws, Creeks und Cherokesen, welches mit so großen Förmlichkeiten eröffnet und dem noch immer eine große »Medizin« (ein gewisser Zauber) zugeschrieben wird, verdient indessen einer besondern Erwähnung.

Die erste Veranlassung zu solchem Spiele wird gewöhnlich durch die Herausforderung zweier Männer gegeben, die sich schon einen Ruf als Ballschläger erworben haben; der Tag des Kampfes wird bestimmt, und beide schicken ihre Werber aus. Die letzteren sind bemalte Reiter, die mit einem buntgezierten Ballstock bewaffnet und phantastisch geschmückt sind. Von Ansiedelung zu Ansiedelung, von Haus zu Haus reiten diese nun in der Nation umher, jedem Manne die Namen der Herausforderer nebst den schon bestimmten Tag des an einem bezeichneten Orte abzuhaltenden Spieles angebend, und fordern jeden zur Betheiligung auf, um auf die Seite desjenigen Kämpfers zu treten, für den sie als Werber ausgeritten. Die Zusage geschieht durch einfache Berührung des geschmückten Ballstabes, und darf das Wort dann nicht mehr zurückgenommen werden. Da nun jeder Theilnehmer von allen den Seinigen begleitet wird, so findet man an dem vorhergehenden Tage oft die halbe Nation versammelt; die Einen, um am Spiele Theil zu nehmen, die Andern, und besonders die Frauen, um wettend aufzutreten. Die beiden Parteien haben ihre Lager einander gegenüber am Rande einer zum Spiele sich eignenden Prairie aufgeschlagen. Die Vorbereitungen nehmen dann ihren Anfang in folgender Art. Der Mittelpunkt zwischen beiden Lagern wird ausgemessen und bezeichnet, 250 Schritte von diesem schlägt dann jede Partei zwei Stangen 6 Fuß von einander in die Erde und verbindet dieselben in einer Höhe von 16 Fuß durch eine dritte so, daß die auf diese Weise gebildeten Thore einander genau gegenüber stehen. Vier unparteiische alte Männer haben die richtige Abmessung zu überwachen; ihnen liegt ebenfalls die spätere Entscheidung ob. Kaum ist die den Mittelpunkt durchschneidende Linie bezeichnet, so stürzen aus den Lagern die Massen der Wettenden nach derselben hin, wählen sich ihre Gegner, und die Wetten werden dann über der Linie festgestellt. Natürlich ist Jeder des Sieges seiner Partei gewiß und setzt den höchsten ihm nur möglichen Preis aus. Die Preise bestehen aus Pferden, Gewehren, Decken, Kleidungsstücken, Hausgeräthen, kurz aus allen bei ihnen nur denkbaren Gegenständen, die auf der Linie bei den vier Unparteiischen niedergelegt werden, welche die Nacht hindurch diese Sachen bewachen und zeitweise ihren heulenden Gesang unter Begleitung der indianischen Trommel hören lassen, oder aus langen Pfeifen dem großen Geiste zu Ehren rauchen, damit er den Kampf zu einem gerechten Ende kommen lassen möge. Die Zeit bis zu Sonnenuntergang benutzen die Spieler, um sich zu rüsten und vorzubereiten. Jede Kleidung bis auf einen kleinen Schurz wird abgelegt, ein gestickter Gürtel mit einem langen Schweife von gefärbten Pferdehaaren um die Hüften geschlungen, so daß der Schweif hinten flattert. Kein Spieler darf mit Mokkasins (indianische Halbstiefeln von weich gegerbtem Hirschleder) oder Schuhen seine Füße sichern oder bedecken, sondern diese werden, wie der ganze übrige Körper, auf das Wunderlichste mit allen nur denkbaren Farben bemalt. Außer den Spielstöcken, die zum Auffangen oder Schleudern des Balles dienen, darf keine Waffe offen oder versteckt geführt werden. Diese Stäbe sind von leichtem Holze gearbeitet und am äußern Ende mit einem Ringe versehen, der groß genug ist, um den Ball zu halten, und wiederum nicht so groß, daß derselbe hindurchfallen könnte, denn keine Hand darf den Ball berühren. Von der frühesten Jugend an die Handhabung dieser Stöcke gewöhnt, besitzen diese Leute eine merkwürdige Gewandtheit, nicht nur den Ball erstaunlich weit zu schleudern, sondern auch denselben zwischen den Ringen in der Luft aufzufangen. Es wird nur mit einem Balle gespielt, wobei Jeder trachtet, Herr desselben zu werden, um ihn durch das Thor seiner Partei zu werfen. Die Partei nun, die zuerst hundert Mal den Ball nach ihren Stangen geschleudert hat, trägt den Sieg und damit alle Preise davon. Wenn nun die Sonne sich hinter den Bäumen gesenkt, und die immer länger werdenden Schatten sich vereinigt haben, um in Dämmerung überzugehen, so sieht man die Spieler bei Fackelschein sich in zwei Zügen nach ihren entsprechenden Stangen begeben; singend und heulend, trommelnd und mit den Spielstöcken klappernd, tanzen und drängen sie sich um dieselben herum. Auch die Weiber ziehen in Processionen nach der Mitte, stellen sich zwischen den Stangen und dem Mittelpunkte in zwei Reihen auf, tanzen und wiegen sich auf ein und derselben Stelle von einem Fuße auf den andern, ihre Stimmen ebenfalls zum wilden Chor vereinigend. Die Unparteiischen sitzen indessen rauchend auf der Grenzlinie und lassen die Tabakswolken zum großen Geiste aufsteigen. Auf diese Weise geht die Nacht ruhelos hin, von halber Stunde zu halber Stunde wird der Gesang und Tanz wiederholt, und Pausen treten nur auf kurze Zeit ein, um den Lärm mit erneuter Kraft wieder aufnehmen zu können. Die aufgehende Sonne findet Jeden gerüstet, oft harren mehr als Tausend ungeduldig auf das gegebene Zeichen. Jetzt fällt ein Schuß, und der Ball wird von einem Unparteiischen am Mittelpunkt in die Höhe geschleudert; wie rasend stürzen alle Kämpfer beider Theile nach der Stelle hin, und augenblicklich sind sie unter einander gemischt. Eine einzelne Gruppe ist nicht mehr zu unterscheiden, es ist nur noch ein Haufen unter einander wirbelnder Menschenglieder. Der Rasen wird zu Staub gestampft, Alles stürzt sich drunter und drüber, jetzt hält einer den Ball, und schon ist er ihm wieder entrissen; jetzt fliegt der Ball dem Ziele zu, er erreicht es nicht, denn ein wachsames Auge, eine sichere Hand haben seinen Flug gehemmt; der Kampf um ihn entspinnt sich von Neuem, endlich fliegt er durch ein Thor, eine augenblickliche Pause tritt ein, und wiederum wird der Ball in der Mitte aufgeworfen, um hundert Mal eine der beiden Pforten zu durchfliegen, ehe mit der Entscheidung zugleich das Ende dieses rauhen, aufregenden Spieles angekündigt wird, was gewöhnlich erst kurz vor Sonnenuntergang geschieht.


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