Balduin Möllhausen
Wanderungen durch die Prairien und Wüsten des westlichen Nordamerika
Balduin Möllhausen

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XXXV.

Rückkehr der beiden Mohave-Führer in ihre Heimath. – Die Emigrantenstraße. – Zusammentreffen mit reisenden Mormonen. – Nachrichten von der Ermordung des Capitain Gunnison und seiner Offiziere durch die Utah-Indianer. – Abschied vom Mohave River. – Das San Bernardino-Gebirge. – Der Cajon-Paß. – Regensturm im Gebirge. – Entlassen der Arbeiter. – Erster Anblick des Küstenstriches von Kalifornien. – Die Mormonen und deren Geschichte.

Reich beschenkt wurden unsere indianischen Freunde, als sie von uns schieden; auch bot ihnen Lieutenant Whipple zwei gute Maulthiere an als Anerkennung für die von ihnen geleisteten Dienste, damit sie auf bequemere Weise mit ihren Geschenken in ihre Heimath gelangen könnten; sie schlugen indessen die Thiere aus und baten dafür um Decken, die ihnen mit Freuden verabreicht wurden. Sie gaben uns nämlich zu verstehen, daß auch sie vor den bösen Pah-Utahs auf ihrer Hut sein müßten und deshalb Gebirgspfade einschlagen wollten, auf denen ein Maulthier nicht würde gehen können, wo es aber leichter für sie sei, den wilden Bewohnern der Wüste unbemerkt zu bleiben. Wir wünschten den beiden Indianern von Herzen Glück zu ihrer Reise, als sie uns die braunen Hände zum Abschied reichten, ein Gebrauch, den sie von uns erst gelernt hatten, worauf sie am Mohave River hinunter schritten, und bergendes Gebüsch sie bald unseren Augen entzog. Auch wir brachen auf, zogen die Ebene an der Nordseite des Flusses hinauf, und gelangten nach einem Marsche von 3 Meilen auf die vielfach befahrene Emigrantenstraße, welche von den Ansiedelungen im San Bernardino-Thal nach dem Asyl der Mormonen am großen Salzsee führt.

Der Tag war angenehm und warm; wir rasteten gegen Mittag einige Stunden, gingen dann durch den Fluß, der hier eine bedeutende Breite hat, setzten bis zum Abend ununterbrochen unsere Reise auf dem südlichen Ufer fort und übernachteten im dichtbewachsenen Thale. Eine Strecke von 45 Meilen lang blieben wir am Mohave River, wo wir der breiten, ziemlich bequemen Straße folgten, die schon seit einer Reihe von Jahren bereist worden ist. Die Ufer des Flusses boten uns auf dieser Strecke einen ungewohnten Anblick; hohe Bäume wechselten mit Weidenwaldungen ab, die häufig weite Strecken einnahmen oder mitunter einem schilfartigen Grase Raum gelassen hatten. Der Fluß selbst schwankte in seiner Breite zwischen 5 und 30 Fuß, doch kamen wir auch an Stellen vorbei, wo er sich seinen Weg unter der Oberfläche des Bodens suchte und nur ein trockenes Bett zeigte. Ueberall in dem Thale, welches durchgehends von unfruchtbaren hügeligen Ländereien eingefaßt war, erblickten wir die Spuren eines äußerst regen Verkehrs, der zu gewissen Zeiten des Jahres diese Straße beleben muß. Gefällte Bäume, Brandstellen, wo lustige Lagerfeuer geflackert hatten, Schädel und Knochen der Thiere, die von den Emigranten geschlachtet worden, Ueberreste zerbrochener Wagen waren fast immerwährend auf den kleinen Lichtungen zu sehen. Auch der Schädel eines Menschen lag auf dem Wege, mit seinen hohlen Augen wie nach uns herüberstarrend. Wie mancher Vorbeireisende mochte den vielleicht von den Wölfen ausgescharrten Schädel mit dem Fuße angestoßen und vor sich hin gerollt haben! Auch von unseren Leuten gingen einige der rohesten hinüber und trieben dieses Spiel mit ihm, ich aber stieg bei ihm ab und untersuchte ihn, da ich glaubte, unsere Sammlung durch einen indianischen Schädel bereichern zu können; doch er hatte einem Weißen angehört, wahrscheinlich einem Auswanderer, der mit kühnen Hoffnungen und hochfliegenden Plänen die beschwerliche Reise vom stillen Ocean aus angetreten und nach wenigen Tagereisen schon sein Ende in der Wildniß gefunden hatte. War es der Schädel eines armen Arbeiters oder eines reichen Speculanten, eines mittellosen Familienvaters, der diesen Weg eingeschlagen hatte, um für seine in der Heimath zurückgebliebene Familie Brod zu schaffen, oder eines neugierigen Reisenden, dessen Angehörige im Ueberfluß und Wohlleben die Tage dahingehen ließen? Es war der letzte Ueberrest eines Verschollenen, der den Wanderer der Wüste mahnte, jeden Augenblick zur letzten Reise bereit zu sein. Weit fort schleuderte ich den Schädel, der zum Spielzeug der Thiere und Menschen geworden war, weit fort in's dichte Gebüsch, wo es ihm vergönnt sein mag, ungesehen und unberührt allmälig zu verwittern und in Staub zu zerfallen. – Ich war bald wieder in Gesellschaft meiner laut scherzenden, fröhlichen Kameraden und trieb wie diese mein Thier zur Eile an, um so bald wie möglich die weiß schäumende Brandung der Südsee vom Hafen von San Pedro aus zu erblicken.

Am 12. März begegneten wir zum ersten Male, seit wir den Rio Grande verlassen hatten, einigen Reitern, die eine Heerde mit Waaren beladener Thiere vor sich hertrieben. Es waren vier Mormonen, kräftige rüstige Leute, die auf ihre guten Waffen und ihr gutes Glück bauend, einem fernen Ziel, der großen Mormonenstadt am Salzsee zuzogen. Wenn sich in den wilden Regionen des fernen Westens Reisende begegnen, begrüßen sie sich freundlich, fragen sich gegenseitig aus und theilen einander eine kurze Beschreibung ihrer Reise und Tagesneuigkeiten, so weit ihnen dieselben bekannt sind, mit, ehe sie von einander scheidend sich gegenseitig Glück zur Weiterreise wünschen. Auch mit den Mormonen pflogen wir eine kurze Unterhaltung, in welcher wir ihnen die Dauer unserer Reise angaben. »Wenn Sie so lange außer Verbindung mit den Vereinigten Staaten gewesen sind,« sagte Einer derselben, »so wissen Sie wahrscheinlich nicht, daß der Capitain Gunnison, der die Expedition nördlich von Ihnen commandirte, mit einem Theile seiner Offiziere von den Indianern erschlagen worden ist?« Natürlich war diese Nachricht eben so traurig wie neu für uns; aber leider verhielt es sich so, wie der Mormone uns erzählte. Auf dem Gebiete der Utah-Indianer hatte Capitain Gunnison beabsichtigt, sich mit einigen seiner Offiziere auf 2 oder 3 Tage von seiner Expedition zu trennen, um eine andere Richtung der Straße zu untersuchen und hatte noch 4 Soldaten mitgenommen, so daß mit dem Koch und dem Diener die kleine Gesellschaft aus 12 Mann bestand. Um besser gegen Kälte und rauhen Wind geschützt zu sein, hatten die Reisenden, die schon viele Meilen von dem Hauptzuge entfernt waren, hinter einem Rohrdickicht ihre Zelte aufgeschlagen. Die Nacht verging ihnen ohne alle Störung, und am frühen Morgen schon saßen Alle um ihr Frühstück und ließen es sich wohl schmecken. Herr Kern, ein Deutscher, der als Zeichner der Expedition engagirt war, hatte sein Frühmahl zuerst beendigt und stand auf, sich im Gefühle der Behaglichkeit reckend und dehnend. Plötzlich krachte ein Schuß aus dem Dickicht. Herr Kern faßte mit der Hand nach seiner Brust und stürzte lautlos zusammen. Der Schuß war das Signal zum allgemeinen Angriff eines indianischen Hinterhalts, wildes Geheul erfüllte die Luft, und aus dem Dickicht stürzte eine Bande der Utah-Indianer, die auf drohende Weise ihre Waffen schwangen. Beim ersten Schuß war Capitain Gunnison aufgesprungen und hatte, ein Mißverständnis vermuthend, den Indianern Friedenszeichen geben wollen, indem er seine beiden unbewaffneten Hände empor hielt. In dieser Stellung nun, die nur wenige Augenblicke dauerte, war er das Ziel für die indianischen Pfeile geworden, welche ihn dicht bedeckten und tödtlich verwundet zu Boden warfen. Mehrere der Weißen lagen zu der Zeit schon getödtet oder verwundet umher, und immer neue mordgierige Wilde stürzten aus dem Dickicht hervor. – So lauteten die Nachrichten von einem Augenzeugen, der als Koch zur Zeit des Ueberfalles in seiner etwas abgelegenen Küche beschäftigt war und sich dadurch, daß er sich auf ein nahestehendes Pferd warf und die Flucht ergriff, rettete. Ebenso entgingen drei Soldaten und ein Sergeant dem drohenden Tode; der Eine von diesen verdankte sein Leben nur einem außerordentlichen Zufall. Derselbe hatte nämlich, als er das Kriegsgeheul vernahm, den Hahn seiner Muskete gespannt und war im Begriff, mit dem Gewehr in der Hand aus dem Zelte zu treten, als plötzlich ein Indianer vor ihm stand, der, den Bogen in der linken Faust, mit der rechten den befiederten Pfeil an's Ohr zog. Der Soldat, den Finger an dem Drücker des Schlosses, gab Feuer ohne anzulegen, was in dem entscheidenden Augenblicke zu zeitraubend gewesen wäre, und der Indianer stürzte mit zerschmettertem Schädel zu Boden. Nur einen Blick warf der mit genauer Noth dem Tode Entgangene auf die Mordscene und die zehnfach überlegene Anzahl der Wilden, schwang sich dann ebenfalls auf ein Pferd, sprengte seinen Kameraden nach und brachte mit diesen zugleich dem Haupttrain die Nachricht, daß Capitain Gunnison nebst sechs seiner Gesellschaft gefallen sei. Lieutenant Beckwith von der Artillerie der Vereinigten Staaten, der die Escorte befehligte und dem nunmehr das Commando der ganzen Expedition zugefallen war, ging sogleich mit einer Abtheilung nach der verhängnißvollen Stelle zurück und fand, wie sich nicht anders erwarten ließ, nur die gräßlich verstümmelten Leichen der sieben Ermordeten. Nicht nur die Kopfhaut war den Erschlagenen abgezogen, sondern auch die Schnurrbärte theilweise mit der Lippe aus dem Gesichte geschnitten worden. Alle, die nicht beim ersten Angriff gefallen waren, mußten bis zum letzten Augenblicke mit dem Muthe der Verzweiflung gekämpft haben, so daß selbst die Indianer aus ihre eigenthümliche Art ihnen die letzte Ehre erwiesen, nämlich das tapfere Herz aus der Brust geschnitten und den starken Arm von dem Körper getrennt und mitgenommen hatten. Lieutenant Beckwith und seiner Abtheilung fehlten die Mittel, die Leichen zu bestatten; sie schützten dieselben aber durch Steinhaufen und Zweige gegen den Angriff der Wölfe und nahmen dann Abschied von dem traurigen Orte, wo sie ihren braven Commandeur und so viele ihrer guten Kameraden verloren hatten. Am Salzsee bei den Niederlassungen der Mormonen angekommen, machten sie die traurige Begebenheit bekannt, nach deren Kundwerdung der Gouverneur Joung sogleich eine Abtheilung seiner Leute abschickte, die den Gefallenen ein gebührendes Begräbniß zu Theil werden ließen. Auch gelang es dem Gouverneur, die Papiere des Capitain Gunnison, die von den Indianern geraubt waren und wichtige, die Reise betreffende Notizen enthielten, wieder zu erlangen, so daß es Lieutenant Beckwith, der die Expedition weiter führte, möglich wurde, einen vollständigen Rapport über den ganzen Verlauf der Reise auszuarbeiten. Dies waren die Nachrichten, die wir von den Mormonen erhielten und deren Wahrheit uns in Pueblo de los Angeles bestätigt wurde.

Am 13. März erreichten wir endlich die Stelle, an welcher wir den Mohave River verlassen mußten, um in westlicher Richtung den San Bernardino-Bergen zuzueilen. Es war gegen Mittag, als wir den Fluß, der dort über 100 Schritte breit ist, hinter uns ließen und auf seinem nördlichen Ufer lagerten, um nach einigen Stunden die 35 Meilen lange Reise über die Ebene anzutreten, welche uns von den San Bernardino-Bergen trennte.

(Anmerkung 27) Von dem Punkte, wo wir den Mohave River verließen bis zum Cajon-Paß befindet sich ein Plateau, welches von einem weißen Sandstein-Conglomerat in ungeordneter Stratification gebildet und von der Sierra Nevada ausgehend ist. Dieser Sandstein ist augenscheinlich tertiär.

(Marcou: Résumé of a geolog. reconnaissance etc. Doc. 129. S. 48)

Nachdem unsere Thiere sich an frischem grünem Grase, welches zwischen schwarzen verbrannten Stoppeln hervorkeimte, zur Genüge gütlich gethan, zogen wir nach der Ebene hinauf. Der Weg war gut, doch vermochten wir nicht, wie wir es uns vorgenommen, in einem Marsch über dieselbe hinüber zu kommen, indem immer mehr unsere Thiere vollständig ermüdeten, so daß wir noch vor Mitternacht unter zerstreut stehenden Cedern und Yuccas uns hinwarfen, um die zurückgebliebene Heerde zu erwarten und am folgenden Morgen durch den Cajon-Paß zu ziehen, der nur noch einige Meilen von uns entfernt war. Lieutenant Johns mit seiner Mannschaft trennte sich nun ebenfalls von uns, um sein Commando nach San Diego zu führen, zugleich aber auch vorauseilend uns von den Ansiedelungen aus Lebensmittel zurückzusenden, da wir kaum noch für einen Tag mit halben Rationen versehen waren.

In aller Frühe des 14. März begaben wir uns schon auf den Weg und folgten der Straße, die uns nach kurzem Marsch auf die Höhe des Cajon-Passes brachte, von wo aus wir zu den Küstenländern der Südsee hinabzusteigen hatten. Vom Soda Lake, wo wir uns 1116 Fuß über dem Meeresspiegel befanden, bis zur Höhe des Cajon-Passes hatten wir 110 Meilen zurückgelegt und waren auf dieser Strecke 3554 Fuß gestiegen, befanden uns demnach 4670 Fuß über der Meeresfläche. Von Fort Smith waren wir 1798 und von dem Uebergangspunkte des großen Colorado 242 Meilen entfernt.

Die stolz emporragenden San Bernardino-Berge blieben zu unserer Rechten liegen, als wir uns an den steilen Bergabhängen hinunter wanden, wo uns gleich bei den ersten Schritten eine andere Vegetation als oben auf der unfruchtbaren Ebene entgegenlachte. Bäume und Sträucher, die im Begriffe waren, Knospen zu treiben, wucherten überall, wo nur etwas Erde ihren Wurzeln Nahrung bot. Den in schönem Grün prangenden Strauch, der in Californien oft Meilen weit Strecken bedeckt, sahen wir hier zum ersten Mal, so wie die prächtige Tanne (Abies Douglasii), die mit ihren lang herabhängenden Zweigen und den dunkelfarbigen Nadeln eine melancholisch-schöne Erscheinung war. Immer tiefer abwärts zogen wir, bis wir uns in dem trockenen Bette eines Gießbaches befanden, dessen Richtung wir abwärts folgten. Mächtige FelsmassenIm Cajon-Paß fand ich Syenit, Trapp und Serpentine. – Die Eruptivfelsen, welche fast das ganze Land zwischen Cactus-Paß und Cajon-Paß einnehmen, liefern ausgezeichnetes Material zum Bau von Brücken, Straßen und Häusern; ebenso findet sich daselbst schöner Marmor, rother Porphyr, und man könnte hoffen, daß dort einst reiche Silber- und Goldminen entdeckt werden. von Sandsteinconglomerat thürmten sich zu beiden Seiten von uns auf und wechselten mit einzelnen runden Hügeln und Bergen ab, die mit grünem Strauchwerk dicht bewachsen waren. Gegen Mittag erreichten wir endlich das fließende Wasser, welches in dem Cajon-Paß entspringt und den San Bernardino Creek bildend, der Südsee zueilt. Wir rasteten daselbst einige Stunden und setzten dann unsere Reise in der wilden, vielfach gewundenen Schlucht fort. Als wir gegen Abend auf einer kleinen Erweiterung anlangten, trafen wir mit einem Mormonen zusammen, der mit einer ganzen Fuhre Lebensmittel uns entgegengekommen war. Lieutenant Johns, der die Ansiedelungen schon am frühen Morgen berührt hatte, war die Ursache, daß die Leute, einestheils um uns zu helfen, dann aber auch des Gewinnes wegen, mit lauter uns willkommenen Gegenständen herbei kamen. Augenblicklich machten wir Anstalt, unser sehr ärmliches Lager aufzuschlagen und uns dann von den Schätzen des Händlers für baare Münze Etwas auszusuchen. Tabak war das Erste, wonach wir fragten, denn manchen Tag hatten unsere Pfeifchen kalt in der Jagdtasche zugebracht, und von dem Mormonen, der selbst ein Freund des Rauchens zu sein schien, war er nicht vergessen worden. Auch einen tüchtigen Mehlvorrath kaufte ihm Lieutenant Whipple ab und ließ denselben sogleich unter unsere Gesellschaft vertheilen. Branntwein führte der Geschäftsmann gleichfalls bei sich, doch wurde ihm streng angerathen, denselben nicht zu verkaufen, indem sich unter unseren Leuten Viele befanden, die nicht Maß zu halten verstanden und im Rausch des Spiritus und der Freude über die glückliche Ankunft in Californien zu leicht zu Excessen geneigt gewesen wären. Trotz des Versprechens, welches uns der Lieferant gab, fanden sich doch nach Verlauf kurzer Zeit vielfach Betrunkene im Lager, die dann auch auf unangenehme Weise Unordnungen hervorriefen, so daß Einer derselben, und zwar gerade mein Diener, um ihm den Gebrauch des Verstandes wieder zu verschaffen, mit den Händen in einen heruntergebogenen Baum gehängt werden mußte, so daß in Folge der Schwungkraft des zähen Stammes der Uebelthäter nur mit den Fußspitzen den Boden berührte.

Das schöne trockene Wetter, welches uns während der letzten Zeit unserer Reise so sehr begünstigt hatte, änderte sich in dieser Nacht; es begann zu regnen, so daß wir nach Verlauf von einigen Stunden durchnäßt unter unseren Decken lagen, die Lagerfeuer erloschen, und wir vor Kälte zitterten und bebten und sehnlichst den Tag herbei wünschten. Dieser erschien endlich, doch kein besseres Wetter; unaufhörlich goß der Regen auf uns hernieder; der kleine Bach, der an unserem Lager vorbeirieselte, war in einen wilden Bergstrom verwandelt worden, der die von den Gebirgen niederstürzenden Wasser aufnahm und brausend in seinem Felsenbette weiter führte. An Weiterreisen konnten wir an diesem Tage nicht denken und weil wir nunmehr ganz bequem allein mit unseren mexikanischen Packknechten unsere Reise beendigen konnten, die übrigen Arbeiter und Wagenführer der Expedition aber jeden Tag bedeutendes Geld kosteten, so zahlte Lieutenant Whipple Letztere an diesem Tage aus und entließ sie. Nun erst erkannten wir so recht, was für eine Classe von Leuten im Dienste der Expedition gewesen war. Auf der Reise hatten sich freilich Alle als treue und unverzagte Arbeiter ausgewiesen, doch jetzt, nachdem sie ihre eigenen Herren geworden waren, ließen sie den wilden Leidenschaften freien Lauf, und eine tollere Gesellschaft ist wohl niemals aus dem Cajon-Paß gezogen, als ein Theil unserer entlassenen Arbeiter. Bill Spaniard, der Halb-Indianer, der wegen Mordes angeklagt gewesen war, war noch bei Weitem der Ruhigste; ernst und gesetzt trat er zu seinen früheren Vorgesetzten, dankte für die ihm zu Theil gewordene gute Behandlung, drückte die Hände, die ihm hin und wieder dargereicht wurden und wanderte dann seines Weges durch Regen und Sturm. Einen alten Mann, der ebenfalls als Wagenführer bei uns engagirt gewesen war, sah ich später auf der Reise von Pueblo de los Angeles nach San Francisco wieder, und war nicht wenig verwundert über die Veränderung, die in jeder Beziehung mit ihm vorgegangen war. Er hatte die Gelegenheit benutzt, mit unserer Expedition nach Californien zu kommen, wo er seiner Aussage gemäß Kinder hatte, die er besuchen wollte. Er war Methodist und sollte sogar Prediger gewesen sein. Während der Reise wurde er von dem ganzen Personal unserer Expedition nur immer der alte Mann genannt, obgleich er fast täglich auseinandersetzte, daß sein Name Charrot sei. Ein bescheidnerer und genügsamerer Mensch kann kaum gedacht werden, als der alte Mann Charrot; seiner Liebe zum Frieden hatte er manche Arbeit zu verdanken, die er zu leisten nicht nöthig gehabt hätte, indem sie ihm von dem brutaleren Theil seiner Mitarbeiter zugeschoben wurde. Nichts vermochte ihn aus seinem Gleichmuth zu bringen, als höchstens wenn er auf die Religion seiner Sekte zu sprechen kam, und seinen Worten nicht die gewünschte Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wie es übrigens in seiner rohen Umgebung nicht anders zu erwarten war. Jedem, der ihm am Morgen begegnete, wünschte er auf die verbindlichste Weise einen guten Tag, der ihm von dem besseren Theile unserer Expedition mit einem eben so freundlichen Gruße erwiedert, von dem ungebildeteren aber mit einem unpassenden Scherz beantwortet wurde, den der geduldige alte Mann ruhig hinnahm, – »Guten Morgen Mr. Murphy,« hörte ich ihn einst zu einem der brutalsten Arbeiter sagen, – »D – m your Goodmorning, wenn es so schlechtes Wetter ist, wie heute,« antwortete ihm Jener auf rauhe Weise. – »O,« antwortete der alte Mann, »ich nahm mir nur die Freiheit, Ihnen einen guten Morgen zu wünschen und nach ihrem Befinden zu fragen; nehmen Sie es nur nicht übel.« Als ich später auf dem Dampfboot Fremont den alten Mann, der nunmehr Mr. Charrot geworden war, wieder sah, vermochte ich ihn kaum zu erkennen. In seinem Benehmen zeigte er eine gewisse Sicherheit und ein unbeschreibliches Unabhängigkeitsgefühl, welches ganz gut zu seinem ehrbaren schwarzen Anzug paßte. »Die Zeiten haben sich geändert,« redete er mich an, »ich bin nicht mehr der alte Mann, der Wagenführer, der sich Befehle ertheilen lassen muß, ich zeige mich jetzt als das, was ich eigentlich bin, nämlich als ein Gentleman. Ich habe auf der Reise meine Rolle ganz zu meiner eigenen Zufriedenheit gespielt und stehe Ihnen jetzt in jeder Unterhaltung zu Diensten. Wählen Sie irgend ein Thema, sei es Geologie, Theologie, Botanik, Astronomie, Geschichte oder Mineralogie, Sie werden überall keinen unwissenden Mann in mir finden,« Obgleich mir die Ordnung, in welcher Mr. Charrot die verschiedenen Wissenschaften unter einander warf, ein Lächeln entlockte, und mich etwas an seiner großen Gelehrtheit zweifeln ließ, so konnte ich doch nicht umhin, mich zu wundern, daß der schlichte, genügsame Mann auf unserer Reise nur eine angenommene, freilich ganz kluge Rolle gespielt hatte, und nun nicht mehr die geringste Probe der früheren anspruchslosen Bescheidenheit in ihm zu entdecken war. »Es thut mir leid,« erwiederte ich ihm, »daß es mir an hinlänglicher wissenschaftlicher Ausbildung gebricht, um mich Ihren umfassenden Kenntnissen gegenüber auf unbefangene Weise in den eben von ihnen aufgezählten Zweigen unterhalten zu können,« – »Sie sind noch jung,« antwortete Mr. Charrot mit einem gewissen Bedauern, »doch sollten Sie gelehrte Unterhaltungen nicht von sich weisen, sondern denselben nachjagen, um dadurch zu lernen,« worauf er sich mit triumphirendem Gesichte von mir wendete und nach dem anderen Ende des Dampfbootes schritt. – Also auch solche Leute befanden sich unter den Arbeitern, die im Cajon-Paß von Lieutenant Whipple entlassen wurden.

Unser längeres Verweilen in dem Engpasse hatte noch einen besonderen Grund; da nämlich bei etwaiger Anlage einer Eisenbahn durch diesen Paß ein Tunnel von 3 bis 4 Meilen gebaut werden müßte, so beabsichtigte Lieutenant Whipple mit uns und dem Reste unserer Leute an der Ostseite der Sierra Nevada hinauf zu ziehen und das Tulare-Thal zu untersuchen, um den dortigen Paß mit dem Cajon-Paß vergleichen zu können. Lieutenant Johns hatte deshalb den Auftrag erhalten, sich in San Diego zu erkundigen, ob das Tulare-Thal in neuester Zeit von amerikanischen Offizieren durchforscht worden sei, und uns die Nachricht darüber umgehend zukommen zu lassen. Pünktlich theilte er uns durch einen Expressen mit, daß Lieutenant Williamson schon diese Arbeit vollendet habe und dadurch eine Forschung von unserer Seite unnöthig geworden sei, weshalb denn auch unser Aufbruch nach Pueblo de los Angeles auf den folgenden Tag angesetzt wurde.

Es regnete unaufhörlich den ganzen 16. März, ebenso während der darauf folgenden Nacht, und als wir am 17. unsere durchnäßten Sachen auf die Maulthiere luden, goß der Regen noch immer in Strömen vom Himmel. 2 Meilen lang hatten wir noch hohe Berge zu beiden Seiten unserer Straße, die sich fortwährend senkte. Der Paß erweiterte sich indessen mehr und bildete ein kleines Thal, durch welches der von Regen angeschwollene Bernardino Creek dahin brauste. Am Ende des Passes theilte sich die Straße, indem ein Weg gerade aus gegen Westen nach den Ansiedelungen der Mormonen und nach San Diego führte, während der andere am Gebirge entlang gegen Norden lief. Den letzteren hatten wir einzuschlagen, und nachdem wir noch zwischen einigen bewaldeten Hügeln hindurch gezogen waren, befanden wir uns plötzlich an dem Rande der herrlichen Ebenen, welche die Küstenländer Californiens charakterisiren. Es ist mir nicht möglich, den Eindruck zu beschreiben, den die im frischesten Grün prangenden Wiesen und die in denselben sich erhebenden eben so grünen Hügel, die einzelnen Baumgruppen und die in der Ferne sichtbaren Ranchos (Meierhöfe) auf uns machten. Sei es nun, daß wir eben erst die graue Wildniß verlassen hatten, daß hoch oben im Gebirge der Schneesturm wüthete, oder daß das Frühlingsgrün, welches die californischen Küstenländer schmückt, lieblicher als anderes ist: genug, ich glaubte nie etwas Schöneres gesehen zu haben. Der Himmel war trübe, die Gipfel der nahen Gebirge in einen undurchdringlichen Schleier gehüllt, unaufhörlich stürzte der Regen auf uns nieder; doch so nah auch die Decken um unsere Schultern hingen, so war uns unter denselben doch unaussprechlich wohl. Fröhliches Leben lachte uns aus jedem Keime, aus jeder aufspringenden Knospe entgegen, Alles schien sich in der milden Luft an dem fruchtbaren Frühlingsregen zu laben und kräftig emporzurichten, und wir sollten unmuthig werden da, wo die Natur ein stilles Fest zu feiern schien? Wir schüttelten das Wasser von unseren triefenden Decken und zogen die Straße dahin, uns manchmal umschauend nach den Hügeln, hinter welchen Rauchsäulen emporstiegen und uns die Ansiedelungen der Mormonen verriethen.

Die Mormonen,Ich gebe hier eine kurze Beschreibung des Mormonenthums, zusammengestellt aus Notizen, welche ich dem Report vom Capitain Howard Stansbury, vom Jahre 1852, und der Abhandlung des von den Indianern später erschlagenen Capitain Gunnison über das Mormonenthum, ebenfalls aus dem Jahre 1852, entnommen, und mit meinen eigenen im Jahre 1852 unter den Mormonen am oberen Missouri gesammelten Erfahrungen in Verbindung gebracht habe. Absichtlich vermeide ich es, die neuesten Vorgänge am Salzsee, so wie die politische Stellung der Mormonen gegenüber den Vereinigten Staaten zu berühren, indem es schwierig ist, bei den sich häufig widersprechenden und wegen der großen Entfernung wenig begründeten Nachrichten sich ein klares Bild zu schaffen. So viel ist indessen erwiesen, daß das Gouvernement der Vereinigten Staaten gegen diese eigenthümliche Sekte mit größter Nachsicht und gewohnter Liberalität verfährt. die in neuester Zeit so sehr die Aufmerksamkeit der ganzen civilisirten Welt auf sich gezogen haben, sind eine Sekte, deren eigenthümliche Einrichtungen gewiß eine besondere Erwähnung und Beschreibung verdienen. Ihre gegenwärtige Hauptstadt und ihre Hauptansiedelungen befinden sich im Thale des großen Salzsee's, Dieser liegt ziemlich in der Mitte zwischen den Ländern des Mississippi und Californien, westlich von den Staaten, wo die Menschen durch Betriebsamkeit und Geschäftssinn erreichen, was auf der anderen Seite auf gierige Weise dem goldhaltigen Boden entnommen wird. Die Thäler am großen Salzsee sind ganz abgesondert von bewohnbaren Landstrichen; gegen Norden und Süden erstrecken sich unabsehbare wüste Regionen. Gegen Osten dehnt sich wie eine lange Scheidewand die Kette der Felsengebirge aus, während im Westen Sandsteppen mit dürren Gebirgszügen abwechseln und eine feste Mauer bilden, wie die Rocky Mountains auf der anderen Seite. Das Land der Mormonen wird auch das große Becken (great basin) genannt, da aus dieser Region jenseits der Rocky Mountains das Wasser nicht abfließt. Dieses große Becken ist das Hochland (4000 Fuß über dem Meeresspiegel) zwischen der Sierra Nevada und der Wahsatch-Gebirgskette, Es besteht eigentlich aus einer Wüste mit einigen fruchtbaren Streifen an dem Fuße der Höhen. Größtentheils ist das Gebiet gebirgig, indem Bergketten von 2 bis 3000 Fuß Höhe, meist mit den Rocky Mountains parallel laufend, das Land durchziehen; in dem östlichen Theile des nach jeder Richtung etwa 500 Meilen breiten Landes haben sich die Mormonen angesiedelt. Man kann nicht sagen, daß dieses Volk in seinen jetzigen Territorien sehr von der Natur begünstigt wäre, indem nur spärlich gutes Wasser dort vorhanden ist, das Holz fast ganz mangelt, und gute Weiden nur an den Abhängen der Gebirge und in den Niederungen zu finden sind. Doch die Thäler an den Flüssen, die kultivirt werden können, sind sehr fruchtbar, und es ist kaum anzunehmen, daß für's Erste das Land mit so vielen Bewohnern bevölkert werden wird, als es ernähren kann.

Der Glaube dieser Sekte nun, die mit so ungeheuren Anstrengungen und Opfern darauf hinarbeitet, ihre Religion über den ganzen Erdball zu verbreiten, ist begründet auf der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß alle christlichen Sekten auf Wegen wandeln, die nicht zum Himmelreiche führen, und daß dieses nur den Anhängern der »Melchisedek-Priesterschaft« zu Theil werden könne. Diese wurde nach der Versicherung der Mormonen vor achtzehnhundert Jahren von der Erde entfernt, seit welcher Zeit keine wirklich wahre Religion existirt hat, bis im Jahre 1826 dem Gründer des Mormonenthums, Joseph Smith, ein Engel erschien, und ihn in der Wahrheit unterrichtete, indem er ihn an eine Stelle führte, wo eine steinerne Kiste vergraben lag. In dieser befanden sich goldene Tafeln, auf welchen in der von ihm so benannten reformirten ägyptischen Sprache Gesetze geschrieben standen. Der Engel nahm eine Anzahl der religiösen Anweisungen aus der Kiste und übergab sie Joseph Smith, ertheilte ihm aber auch zugleich die Kraft, das, was auf den Tafeln eingegraben war, zu lesen und zu verstehen. Joseph Smith übersetzte nun die wunderbare Schrift und veröffentlichte sie unter dem Namen: »Das Buch Mormon.« Er wurde dann auf göttlichem Wege der Melchisedek-Priesterschaft einverleibt und erhielt die Fähigkeit, alle Sprachen zu verstehen. Er und seine Gefährten wurden ebenso als Apostel eingesetzt, um das Evangelium zu predigen und unter den Völkern die »Kirche Jesu Christi der neuen Heiligen (the latter day saints)« zu gründen. Im Jahre 1830 wurde diese Kirche zuerst organisirt, indem sechs Mitglieder zusammentraten, deren Nachfolger und Schüler in kurzer Zeit zu einer Gesellschaft von vielen Tausenden anwuchsen. – Die Mormonen erklären, daß die Bibel der Protestanten göttlichen Ursprungs sei, doch versichern sie zugleich, es sei so viel in derselben verändert und verdorben worden, daß eine neue Übersetzung nöthig gewesen, welche ihr Prophet ausführte. Von dem Buch Mormon glaubten sie ebenfalls, es komme von Gott und sei ebenso, wie die heilige Schrift, maßgebend für das Bekenntniß. Sie glauben streng an Wunder und daß die Aeltesten der Kirche Kranke durch Auflegen der Hände zu heilen im Stande seien. Die Art ihres Gottesdienstes ist ähnlich dem der Protestanten, indem gepredigt und gesungen wird. Eine Musikbande befindet sich hinter den Sängern, begleitet die Lieder und spielt zu Anfang und zum Schluß des Gottesdienstes.

Die häuslichen Einrichtungen der Mormonen sind unendlich weit verschieden von denen jeder anderen christlichen Sekte, und dies bewirkt vor Allem das System der »geistigen Ehe« (spiritual wife system). Als man die Mormonen aus Illinois vertrieb, wurde Vielweiberei als eine der Hauptklagen gegen sie angeführt, damals indessen streng von ihnen abgestritten. Doch ist es längst erwiesen, und es wird jetzt auch kein Geheimniß mehr daraus gemacht, daß Polygamie bei ihnen herrscht. Selbst die Prediger erklären öffentlich von der Kanzel, daß es ihnen frei stände, sich 1000 Weiber zu nehmen, wenn es ihnen beliebte, und sie fordern Jeden auf, aus der Bibel das Gegentheil zu beweisen. Joseph Smith's Ansichten über die Polygamie sind wahrscheinlich nie veröffentlicht worden, doch machte er seinen Anhängern bekannt, er habe, so wie Diejenigen, die er für würdig hielte, ähnlich den alten Heiligen, David, Salomon und Jacob, den Vorzug, so viele Weiber zu nehmen, wie sie zu erhalten im Stande wären, um ein heiliges Haus für den Dienst des Herrn zu gründen. Sie geben zu, daß in dem Buche Mormon vorgeschrieben ist, jeder Mann solle ein Weib und jede Frau nur einen Mann haben; da nun das Wort »nur« bei den Frauen allein angewendet ist, so bleibt dem Mann natürlich die Vielweiberei gestattet, und sie erklären, daß die Principien dieser Einrichtung durchaus rein und heilig seien. Sie behaupten sogar, daß Jesus Christus drei Frauen gehabt habe, nämlich Maria, Martha und die andere Maria, die er liebte, und daß er alle auf der Hochzeit zu Kana geheirathet habe.The Mormons or latter day saints in the valley of the great Salt Lake, by J. W. Gunnison, pag. 68. Wenn ein verheiratheter Mann sich eine zweite Gehülfin zu nehmen wünscht, so muß er sich, nachdem er mit dem Mädchen und deren Eltern einig geworden, auch noch die Erlaubniß des Oberherrn oder Präsidenten einholen. Die Frau wird ihm alsdann feierlich »angesiegelt (sealed)« und steht fortan in jeder Beziehung in demselben Range mit der ersten Frau ihres Gatten. Solche Ehe halten die Mormonen für eine durchaus tugendhafte und ehrenvolle, und alle nachfolgenden Gattinnen behalten dieselbe Stellung in der Gesellschaft, als wenn sie die zuerst Erwählte wären. Ueberhaupt erklären die Mormonen solche Ehebündnisse für fester und bindender, als die aller anderen Religionen und Sekten, um so mehr, als nach ihrem Dafürhalten das künftige Leben sowohl hinsichtlich des Mannes als der Frau in enger Beziehung mit den ehelichen Verhältnissen in dieser Welt steht; denn ihre Kirche lehrt, daß ein Weib ohne einen Gatten ebenso wenig zu den himmlischen Freuden gelangen kann, als ein Mann, der nicht im Besitze von wenigstens einer Frau ist, und der Grad der Seligkeit des Letzteren hängt mit von der Zahl der Frauen ab, die ihm auf Erden angehört haben. – Jeder Gedanke an Sinnlichkeit, als Grund zu solchen Bündnissen, wird streng verworfen, indem das Hauptaugenmerk Aller ist, so schnell wie möglich eine heilige Generation zu gründen, die das Königreich des Herrn auf Erden bauen soll.

Da das Oberhaupt oder der Präsident der Kirche allein die Macht hat, solche Ehen zu gestatten oder auch wieder aufzulösen, so läßt es sich leicht denken, welchen ungeheuren Einfluß diese Macht dem geben muß, der sie in Händen hält, und welche Umsicht und Weisheit von dem erfordert wird, der als vertrauter Rathgeber der Familien, als kirchliches und politisches Oberhaupt der Gemeinde gegenübersteht. Jede unverheirathete Frau hat ferner ein Recht, im Falle sie vernachlässigt oder vergessen wird, zu ihrem Seelenheil einen Gatten zu fordern; der Präsident muß in diesem Falle auf die eine oder andere Weise für sie sorgen und hat sogar das Recht, jeden beliebigen Mann, den er für passend erachtet, zu der Heirath zu zwingen, so wie jeder Mann verpflichtet ist, die Seele einer Frau, die ihm angeboten wird, durch eine Heirath zu retten. Mancherlei sind die Eigenthümlichkeiten des Mormonenthumes; doch beabsichtige ich nicht, hier eine theologische Abhandlung über die verschiedenen religiösen Ansichten und Gebräuche zu schreiben, ich versuche nur, diejenigen Punkte hervorzuheben, die so gänzlich im Widerspruche mit Allem stehen, was man jetzt von der christlichen Religion kennt.

Was nun die weltliche Stellung der Mormonen betrifft, sollte man denken, daß in einem Hausstande, in welchem sich bis zu dreißig Frauen befinden, fortwährend Hader und Zank herrschen müßte; doch ganz im Gegentheil waltet in den meisten Häusern Friede, Eintracht und schwesterliche Zuneigung unter den Gefährtinnen, und im geselligen Verkehre der verschiedenen Familien herrscht eine Fröhlichkeit, die an Ausgelassenheit grenzt. Manchem jungen Mädchen mag es indessen einige Ueberwindung kosten, vielleicht die zwei und dreißigste Frau eines Mannes zu werden, so wie es in mancher jungen Frau, die so lange die einzige Gefährtin ihres Gatten war, traurige Gefühle erwecken muß, wenn sie von Zeit zu Zeit von einer neuen Hochzeit ihres Gemahls in Kenntniß gesetzt wird.

Der Eifer der Mormonen, ihre Sekte zu vergrößern, hat schon alle Länder mit ihren Missionairen angefüllt, und von allen Seiten strömen Bekehrte und Bekenner der neuen Religion dem Salzsee zu, »wo die Quelle der Wahrheit von den Lippen der Propheten Gottes fließt, und nur die Heiligen die wahre Freiheit genießen können.« Ein bedeutender, fortwährend wachsender Fond ist von den Mormonen angelegt worden und unter dem Namen: »immerwährender Auswanderungs-Fond« nur dazu bestimmt, den nach dem Salzsee Wandernden die Reise und später die Ansiedelung zu erleichtern. Von allen Welttheilen fließen Beiträge in diese Kassen, indem gelehrt wird, daß das Unterstützen armer Brüder so gut ist, wie die Taufe nach Ablegung aller Sünden. Und so scheinen denn die Ansiedelungen der Mormonen im fernen Westen zu blühen und sich immer mehr auszubreiten. Wie lange das Utah-Territorium, welches unter vielen Mängeln auch der Landplage der Heuschrecken ausgesetzt ist, das Asyl der Mormonen bleiben wird, kann erst die Zeit lehren. Was an der eigenthümlichen Religion zu billigen oder zu verdammen ist, werden die Theologen aller Sekten gewiß längst entschieden haben; der Laie aber, der ein andächtiger Verehrer der Natur und ihrer weisen Gesetze ist, mißbilligt Alles, was gegen diese verstößt und bildet sich seine eigenen Ansichten über jede Religion, die neben ihrem eigenen Glauben keinen anderen als seligmachend anerkennt.

Die Geschichte des Mormonenthums seit seiner Gründung bis zur jetzigen Zeit ist mit wenigen Worten erzählt. In den Jahren 1831 bis 1832 wurde im Staate Missouri nicht weit von der Stadt Independence von den Mormonen unter der Leitung des Joseph Smith die Stelle zum neuen Jerusalem ausgewählt und die Stadt Zion gegründet. Hier nun, an den äußersten Grenzen der Civilisation, glaubten sie ungestört wohnen und die in ihrer Nachbarschaft lebenden, damals noch sehr wenigen Ansiedler leicht bekehren zu können. Zwei Jahre verbrachten sie dort in Frieden, als die Bevölkerung der Provinz Jackson sich zusammenrottete und die Mormonen vertrieb, die ihre Zuflucht in der Provinz Clay suchten, doch nur um von dort nach Caldwell im Staate Missouri verdrängt zu werden. Die Zahl der Mormonen nahm indessen mit jedem Tage zu, so daß sie sich bald stark genug glaubten, sich ferneren Unterdrückungen widersetzen zu können. Als sie abermals verjagt wurden, wobei es schon zu ernstlichen Kämpfen kam, zogen sie nach Illinois und fanden dort am Ufer des Mississippi eine vorläufige Ruhe. Sie gründeten daselbst die Stadt Nauvoo und erbauten einen prachtvollen Tempel. Bei der Eigenthümlichkeit ihrer Religion war es vorherzusehen, daß sie nicht lange mit ihren Nachbarn in Frieden würden leben können, und im Jahre 1841 bis 42 gab die Vielweiberei, deren Existenz damals erst ruchbar geworden war, den ersten Anstoß zu Anfeindungen. Immer neue Verbrechen, vom Diebstahl bis zum Mord, wurden (ob mit Recht oder Unrecht, ist nicht erwiesen) den Mormonen zur Last gelegt, bis endlich die Feindseligkeiten wieder ausbrachen, und damit endigten, daß der Prophet Joseph und sein Bruder Hyrum erschossen und Nauvoo niedergebrannt wurde. Brigham Young wurde darauf von den Mormonen zum Präsidenten gewählt, und unter seiner Führung zogen sie an den oberen Missouri, 20 Meilen oberhalb der Mündung des Platte River, wo sie sich dann abermals ansiedelten, zugleich aber ihre besten Jäger ausschickten, um das Land in allen Richtungen durchforschen zu lassen. Im Jahre 1847 begaben sich 143 ihrer Männer vom Missouri aus auf den Weg gegen Westen; ihnen folgte in kleinen Abtheilungen die ganze Gemeinde nach, und so erreichten sie denn endlich nach einer mühevollen Fahrt den großen Salzsee, wo sie ihr Reich zu gründen beschlossen. Das Land wurde eingesegnet, der Plan zu einer Stadt entworfen, und bald entstanden unter den Händen der Mormonen, obgleich sie durch Hungersnoth und Krankheit vielfach heimgesucht wurden, blühende Ansiedelungen, die sich um so schneller hoben, als Tausende und aber Tausende von Bekehrten den ersten Ansiedlern nachfolgten und bald ein Reich bilden halfen, über welches Brigham Young unter dem Namen eines Gouverneurs des Utah-Territoriums herrscht.

Um den neuen Bekennern und Anhängern ihres Glaubens den Weg nach dem Salzsee zu erleichtern, haben die Mormonen kleine Ansiedelungen am San Bernardino-Fluß gegründet. Die Emigranten können nunmehr, anstatt die mühevolle Reise durch die Prairien und die Rocky Mountains zurückzulegen, über Panama nach San Diego gehen, von wo aus sie nur eine kurze Strecke bis zu ihren Glaubensgenossen am San Bernardino-Gebirge haben, die sie dann mit Rath und Mitteln zu ihrer weiteren Reise nach dem großen Salzsee unterstützen. So suchen die Mormonen auch nach außen zu wirken, während sie zugleich ihre inneren bürgerlichen und staatlichen Verhältnisse ordnen und Gesetze schaffen, die mit ihren Ansichten im Einklang stehen. Schulen und Universitäten werden gegründet, Fabriken jeder Art erbaut, Ackerbau und Viehzucht im großen Maßstabe betrieben und ganz darauf hingearbeitet, die Mormonen unabhängig von dem Verkehre mit anderen Völkern zu machen, obgleich sie sich Amerikaner nennen, und das Gouvernement von Washington anerkennen. Ihre Regierungsform ist die einer Republik mit einer freien liberalen Constitution und ihr Criminalcodex ihrer eigenthümlichen Stellung und ihren Ansichten angemessen.

Dies ist ein oberflächliches Bild von der Geschichte und der Einrichtungen der Mormonen, deren Ansiedelungen wir in der Ferne wahrnahmen, als wir unsere Straße im San Bernardino-Thale verfolgten.


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