Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Jockeiklamm.

Während der Abwesenheit des Barons hatte sich auf dem Hofe und in dessen nächster Nachbarschaft mancherlei zugetragen, was im Vergleich mit der sich sonst still abspinnenden Zeit die Tage als recht bewegte erscheinen ließ. Vierundzwanzig Stunden nach seinem Aufbruch war nämlich auch Blisterchen abgereist, ohne über Ziel und Zweck sich viel auszusprechen. Ihr Weg führte zu dem Juden Baruch, um vor ihm ihr bedrängtes Gemüt zu erleichtern. Und nicht nur der verhängnisvolle Brief war es, der sie tief beunruhigte, sondern auch die bedrohlichen Äußerungen Wiedehopfs, vor allem aber der Umstand, daß sie, fortgesetzt argwöhnisch beobachtend, eine innigere Zuneigung Unicas zu Joachim entdeckt zu haben glaubte. Ersteres nahm Baruch am leichtesten, jedoch immer noch ernst genug, um sich zu einer Reise zu entschließen und, wenn möglich, mit dem Gefängnisarzt in Verkehr zu treten, von dem Blisterchen voraussetzte, daß er bei der Flucht des Junkers Hans beteiligt gewesen. Die anderen beiden Nachrichten erschreckten ihn dagegen in einer Weise, daß er darauf bestand, Unica baldigst aus einer Umgebung verschwinden zu lassen, in der Unheil brütende Wolken sich um sie zusammenzogen. Blisterchen genügten seine Ratschläge und Versprechungen, daß sie, wenn auch betrübt über die in Aussicht stehende, abermalige Trennung von ihrem Liebling, erheblich leichteren Herzens die Heimreise antrat.

Als ein anderes Ereignis durfte bezeichnet werden, daß am zweiten Tage nach Blisterchens Abreise Doktor Amandus Velten ganz unerwartet gegen Abend eintraf, um von den Seinigen mit hellem Jubel empfangen zu werden.

Und so war wiederum ein Tag heraufgezogen, so sonnig und erquickend, wie nur immer möglich, nachdem die Atmosphäre durch Gewitter und Regengüsse gereinigt worden.

Der halbe Vormittag war dahingegangen, und noch funkelten Tau- und Regentropfen im Grase, als ein einsamer Wanderer sich den Zwillingshäuschen näherte. Von der Stadt kam er her, wo er kurz zuvor mit der Post eingetroffen war. Schon aus der Ferne hätte man, mit Rücksicht auf Haltung und Bekleidung, einen vornehmen Herrn erraten. Er tändelte mit einem goldknöpfigen schwarzen Rohrstöckchen und trug einen glänzenden hellfarbigen Zylinderhut. Dabei schaute er so frei und selbstbewußt um sich, als wäre die ganze Welt nur eigens und allein für ihn erschaffen worden. Bei näherer Betrachtung hätte man auch auf günstige Vermögensverhältnisse schließen mögen. Denn abgesehen von der Feinheit des Stoffes seiner stutzerhaft geschnittenen Kleider, der blendend weißen Wäsche und der hellen Farbe der enganschließenden Handschuhe vom kostbarsten Ziegenleder, funkelte in der kunstvoll verschlungenen blauen Atlasschleife eine mit Diamanten besetzte Tuchnadel und hing an schwerer goldener Uhrkette ein Bündel silberner und goldener Spielereien, vorzugsweise Sportsembleme, von der gelben Weste nieder. Blickte man dagegen in sein Antlitz, so fühlte man sich freilich enttäuscht. Dessen Hagerkeit wäre zwar zu entschuldigen gewesen, denn sie stand im Einklang mit dem nur wenig über die Mittelgröße hinausgewachsenen, dürren Körper; allein die Lederfarbe der welken Haut mit den unzähligen feinen Runzeln, sogenannten Krähenfüßen, die unterhalb der Augen und der Kinnbacken stattliche Säcke bildete, schmälerte den ersten oberflächlichen Eindruck erheblich, und ihre Häßlichkeit konnte weder durch den pechschwarz gefärbten kleinen Schnurrbart mit den nach oben weisenden Borstenspitzen noch durch das glänzende Schwarz des Haupthaares wieder ausgeglichen werden. Wie letzteres prangten die Brauen gleichfalls in Ebenholzfarbe, wogegen die Lider sich statt der Wimpern mit der roten Einfassung einer chronischen Entzündung begnügten.

Trotz aller künstlichen Nachhilfe hätte ein Kenner, auch ohne den langen dürren Hals einer eingehenden Prüfung zu unterwerfen, seine sechzig und einige Jahre aus dem aufgedonnerten Gesicht herausgelesen.

In gleicher Höhe mit Blisterchens Heimstätte blieb der jugendlich übertünchte Greis stehen. Mit graziöser Handbewegung einen an schwarzem Schnürchen von seinem Giraffenhalse niederhängendem runden Glasscherben ins rechte Auge klemmend, betrachtete er die geschlossene Tür nachdenklich.

»Kein Portier. Schlechte Einrichtung. Scheint heruntergekommen zu sein,« grollte er halblaut, und nachlässig kehrte er sich der Schmiede zu.

Dort feierte mein eben die Frühstückspause. Die kurze Pfeife im Munde, die beiden Fäuste auf der Brust hinter das Schurzfell geschoben, stand Kunibertus in der Tür der Werkstatt. Als der Fremde seiner ansichtig wurde, krähte er herablassend hinüber: »Baron von Scherben zu Hause?«

Und ebenso herablassend antwortete Kunibertus: »Der Herr Baron ist verreist.«

»Aber die Frau Baronin und der Herr Leutnant?«

»Werden wohl auf dem Hofe sein.«

»Wie gelange ich dahin?«

Kunibertus nahm die Pfeife aus dem Munde und wies gemächlich auf die neben dem Torwege liegende Pforte.

»Da hindurch,« sagte er gedehnt, und es war ersichtlich, daß die Erscheinung des Fremden, wohl mehr noch dessen Wesen ihm mißfiel.

»Ich bin der Herr von Klamm,« hieß es hoheitsvoll zurück.

»Schadet nicht,« versetzte Kunibertus mit unerschütterlichem Gleichmute, während ein Geselle und der Lehrbursche, die hinter ihn getreten waren, verstohlen lachten. »Sie mögen deshalb ungehindert hindurchgehen. Die Tür ist nur eingeklinkt. Auf der anderen Seite sehen Sie eine Allee. Der folgen Sie nach bis ans Ende; da wird sich wohl jemand finden, der Ihnen zurechthilft.«

»Tölpel! Schöne Ordnung hier!« murmelte Klamm vorsichtig gedämpft, und sein Stöckchen in scharfen Hieben schwingend, den Hut von links nach rechts hinüberwippend, trat er durch die Pforte in den Park, wo er die vorgeschriebene Richtung einschlug. Gleich darauf schallte gleichsam höhnisch das dumpfe Dröhnen ihm nach, mit dem in der Werkstatt die Hämmer auf den Amboß fielen.

Obwohl von dem ersten Empfange nicht sonderlich erbaut, schwebte Herr von Klamm doch sorglos einher, wie jemand, der gewohnt ist, wenn ihm kein anderer Ausweg bleibt, Grobheiten mit derselben Heiterkeit der Seele über sich ergehen zu lassen, wie die verbindlichsten Komplimente, und er fuhr nicht schlechter dabei, wie er durch langjährige Erfahrungen belehrt worden war. Und ein langes, vielbewegtes Leben lag ja hinter ihm. Nach seinen eigenen Mitteilungen war er einst Besitzer mehrerer Rittergüter gewesen. Diese gingen indessen auf dem Wege einer unbezähmbaren Spielwut verloren, wie er mit anerkennenswerter Nichtachtung irdischer Güter behauptete, und als er endlich so weit gelangt war, mit mehr Umsicht, daher auch mehr Glück seiner alten Leidenschaft fröhnen zu können, da fehlten ihm die Mittel zu Bewunderung erheischenden Einsätzen. Seitdem hatte er sich darauf beschränkt, seine reichen Erfahrungen, wenn auch nicht ganz uneigennützig, anderen zur Verfügung zu stellen. Bald ging er mit dem Bankhalter, bald gegen ihn – am Spieltisch war ja noch immer seine Heimat –, bald schoß er aus eigenen Mitteln kleinere Summen vor, wo man in vorübergehende Verlegenheit geriet; bald vermittelte er auch größere Anleihen, die, aus Gefälligkeit auf seinen Namen geschrieben, am grünen Tisch zerrannen; und wo nur immer ein brauchbarer Kavalier zu diesem oder jenem Zweck gesucht wurde, da konnte man darauf rechnen, daß er sich in der Nähe befand. Außerdem galt er als unterhaltender, witziger Gesellschafter, als kaltblütiger Sekundant und Zechgefährte, als tüchtiger Reiter und Schnitzeljäger, vor allem aber als ein Mann von strengster Diskretion. Ob er nur ein schlichter Klamm oder ein wirklicher von Klamm, wußte man nicht genau, wollte es auch wohl aus besonderen Gründen nicht wissen, und so umging man diese Klippe dadurch, daß man ihm den schmeichelhaften Kosenamen Jockeiklamm beilegte. –

Ungefähr zwei Drittel seines Weges hatte er in der Kastanienallee zurückgelegt, als eine kurze Strecke vor ihm hinter einem Hain hervor Joachim in seinen Gesichtskreis trat. Zwei Teckelhunde folgten ihm. Statt der Uniform trug er eine kurze, kleidsame Joppe, auf der Schulter sein Jagdgewehr.

Beim Anblick des leicht erkennbaren Jockeiklamm, der während des Einherschreitens mit seinem Stöckchen bald tändelnd eine in Federsaat geschossene Butterblume köpfte, bald nach einem Käfer oder einer Bremse schlug, blieb er stehen. Einige Sekunden betrachtete er den sich Nähernden scharf; dann breitete tiefe Blässe sich über sein krankhaft gewelktes Antlitz aus. Dabei schienen seine Augen sich zu verglasen, und wie um einer Anwandlung von Schwäche zu begegnen, stellte er das Gewehr vor sich auf die Erde, es als Stütze benutzend.

.

»Ich komme überraschend,« rief Jockeiklamm heiter, während Joachim das Blut in seinen Adern erstarren fühlte, »hoffe aber, deshalb nicht minder willkommen zu sein. In der Stadt alles tot – Saison morte – vor Langeweile fallen Fliegen von den Wänden. Bedurfte einer Kräftigung, um in voller Pace zu Winter zu gehen. Dachte an meinen alten Freund, Ihren Vater; meinte, daß es ihm nicht unangenehm sei, wenn ich einige Wochen die schöne ländliche Einsamkeit mit ihm teile.«

Er war dicht vor Joachim eingetroffen, und des sichtbar Bestürzten Hand ergreifend und kräftig schüttelnd, fuhr er förmlich gerührt fort: »Noch einmal, Gott zum Gruß, mein teurer Junker. Sehnte mich krampfhaft nach Ihnen. Haben sich etwas verändert, auf Ehre – hoffentlich keine unglückliche Liebe? Sehen blaß und angegriffen aus –«

»Das wundert Sie?« stieß Joachim nunmehr heftig hervor, »wähnen Sie etwa, daß Ihr Erscheinen hier tröstlich auf mich einwirkt? Ich dächte, Sie hätten sich mit meinem Wort begnügen können, anstatt Ihre Forderungen vor meinem Vater selbst geltend zu machen.«

Jockeiklamm kicherte, der Hut wippte nach links hinüber, und Joachim vertraulich auf die Schulter schlagend, krähte er leichtfertig: »Verkennen mich vollständig, mein teurer Junker. Auf Ehre, ich wäre der letzte, die kleinen Verlegenheiten, über die wir spielend – famoses Wortspiel – hinwegkommen, auch nur mit einer Silbe zu berühren –«

»Wo gäbe es eine herbere Mahnung, als die durch Ihren bloßen Anblick?« warf Joachim erbittert ein; »das wissen Sie, und darauf begründet sich Ihr unerwarteter Besuch.«

»Mein verehrter Junker, Sie werden ungerecht,« versetzte Jockeiklamm mit einem gelungenen Anfluge sittlicher Entrüstung, »ich verpfände mein Ehrenwort, nichts lag mir ferner, als Ihrem Herrn Vater durch wenig kavaliermäßige Offenbarungen auch nur auf eine Stunde die Laune zu verderben.« Er klemmte wieder das Glas ins Auge, wippte den Hut nach rechts zurück und fügte hinzu: »Hier draußen in Gottes schöner, freier Natur wollen wir uns gemeinschaftlich erholen und vergnügen; daher zum Teufel mit allem, was uns auch nur vorübergehend die Laune umdüstern könnte. Hörte nebenbei, daß Herr Vater nicht zu Hause.«

Argwöhnisch sah Joachim in des professionierten alten Spielers munter blinzelnde Augen, um die infolge des Einkneifens des Glases die Krähenfüße sich zu einem Gewebe verdichteten.

»Und dennoch befremdet es mich,« erklärte er mit heimlichem Zagen, »daß Sie urplötzlich auf den Gedanken gerieten, gerade hier die Freuden des Landlebens zu suchen.«

»Sie sind unverbesserlich,« hieß es gutmütig tadelnd zurück, »Sie vergessen, daß ich von jeher ein treuer Freund und diskreter Berater Ihres elterlichen Hauses gewesen. Bin sogar in der Lage, das sofort beweisen zu können. Das heißt, was ich mitzuteilen habe, wäre auf dieser, herzlichem Beisammensein geweihten Stätte nie über meine Lippen gekommen, hätten Sie durch Ihr offen ausgesprochenes Mißtrauen mich dazu nicht gewissermaßen gezwungen. Habe mich nämlich für das Ganze verbürgt, sogar dreißigtausend Taler aus eigenen Mitteln gedeckt, außerdem die Vereinbarung getroffen, daß nach Ablauf Ihres Urlaubs Ihnen vierzehn Tage Zeit zum Ordnen bleiben. Bis dahin gelingt es uns leicht, auf die eine oder die andere Art alles abzuwickeln. Ist ja eine alte Erfahrung, daß nach einer längeren Pause das Glück gerade die entgegengesetzte Richtung von der einschlägt, die es vorher so lange störrisch verfolgte. Auf Ehre! Hätte in jüngeren Jahren mir ein ebenso aufrichtiger und erfahrener Freund mit gutem Rat zur Seite gestanden, so lebte ich heut auf anderem Fuße. Kopflosigkeit und Kleinmut hatten sich meiner bemächtigt, und die Güter waren zum Teufel. Aber brechen wir davon ab, mein verehrter Junker. Lassen wir in dieser ziemlich harmlosen Angelegenheit wenigstens hier das letzte Wort gesprochen sein, und gewöhnen Sie sich ab, schwarz zu sehen, wo die Sonne des Glücks eben im Begriff ist, Ihnen holdselig zuzulächeln. Vielleicht entscheiden Sie sich dafür, Ihrer verehrten Frau Mutter mich vorzustellen – o, die hätten Sie als Mädchen sehen sollen –« und Zeigefinger und Daumen zierlich an die Lippen hebend, küßte er die Spitzen der perlgrauen Handschuhe zärtlich, »auf Ehre, strahlende Schönheit. Auch als Frau erregte sie noch lange ungeteilte, aufrichtige Bewunderung,« und er warf einen forschenden Seitenblick auf den jugendlichen Gefährten, dessen Haupt, wie vor Ermüdung, auf die Brust gesunken war.

Joachim richtete sich straffer empor. Die wenigen aufmunternden Worte hatten genügt, ihn etwas zu beruhigen.

Gleich darauf wurde Herr von Klamm von der Frau Baronin empfangen und willkommen geheißen. Es geschah mit einem unzweideutigen Ausdruck der Befriedigung. Sie kannte den ewig jungen Jockeiklamm schon sehr lange und wußte ebenso lange die Gabe einer fesselnden Unterhaltung an ihm zu schätzen. – –

Die Mittagsstunde war nicht mehr fern, als Herr von Klamm, dessen Reisekoffer unterdessen eingetroffen war, sich zurückzog. Wiedehopf, in der Haltung die volle, stumpfe Würde seiner Stellung, führte ihn in das ihm bestimmte Zimmer, um ihm beim Auspacken und Umkleiden behilflich zu sein. Kaum aber waren sie eingetreten, als er den maschinenhaften, äußeren Zwang abstreifte, nach dem Fenster hinüberschritt, sich halb auf dessen Brett setzte und, die Arme auf der Brust verschränkend, den Gast stier betrachtete. Erst nachdem dieser den Koffer geöffnet hatte und mit einem eigentümlichen Ausdruck der Verlegenheit sich nach seiner Beihilfe umsah, bemerkte er in gleichmütigem Diskant: »Herr von Klamm, Ihnen ferner zu Diensten zu sein, habe ich satt. Meinen Sie, daß ich die alten Zeiten vergessen habe, so irren Sie sich.«

»Sie sind ein Einfaltspinsel,« versetzte Jockeiklamm vornehm nachlässig, indem er den Rock auszog und über die nächste Stuhllehne warf. »Mich schüchtern Sie mit solchen Redensarten nicht ein. Auch ich vergaß jene Zeiten nicht, mögen seitdem der Jahre zwanzig, fünfundzwanzig verstrichen sein. Ich konnte sie nicht vergessen, weil mir von Zeit zu Zeit ein altes Schriftstück in die Hände fiel, das bei entsprechender Ausnutzung einem gewissen Wiedehopf recht viele Unannehmlichkeiten bereiten könnte, und Sie waren es doch, der den Bruch zwischen den beiden Brüdern bis zur Unheilbarkeit erweiterte.«

Stierer blickten die Fischaugen, indem Wiedehopf erwiderte: »Sie hatten keine Hand dabei im Spiel?«

Auf Jockeiklamms Zügen offenbarte sich Mißvergnügen, und mit Eifer dem Auspacken des Koffers sich hingebend, versetzte er wie beiläufig: »Zu was soll es führen, alte, verjährte Geschichten aufzuwärmen? Waren Sie nicht, wie Sie mir groß und deutlich schrieben, so möchte der Brief Ihres Herrn zur rechten Zeit an den Mann gekommen sein, in dessen Händen es lag, die Klage niederzuschlagen. Die Stunde wurde aber durch Ihre Schuld verpaßt, und der Prozeß gegen den Junker Hans mußte seinen Verlauf nehmen.«

»Wobei Sie am besten fuhren, Herr von Klamm, denn Sie kamen zu Ihrem Gelde, und davon war jeder Pfennig im Spiel verdient, also leicht genug. Redete ich dem Baron Joachim zu, Sie abzufinden, so warte ich heut noch auf die mir versprochene Vergütigung.«

»Haben Sie seitdem kein Geld von mir bezogen?«

»Ja, aber nur für neuere Dienste,« entwand es sich den schmalen Lippen des breiten Mundes, »die alte Schuld schwebt noch. Ich bin indessen bereit, einen Strich durch die Rechnung zu machen, wenn Sie mir meinen Brief zurückgeben.«

»Das wäre zuviel verlangt,« erklärte Jockeiklamm. »Ich behalte den famosen Brief, und Sie bleiben mein Gläubiger.«

Die Weigerung schien auf Wiedehopf nicht den leisesten Eindruck zu machen.

»Sie bezogen damals recht viel Geld von dem Junker Hans,« bemerkte er im kalten Fistelton, »und spielten Sie ihm nicht die Wechselformulare seines verstorbenen Vaters in die Hände, möcht's ihm schwerlich eingefallen sein, anderer Leute Namen zu mißbrauchen.«

»Wer will das beweisen? Und ferner: Wer stahl dem alten Baron die Formulare? Doch ich wiederhole, mein lieber Wiedehopf, lassen Sie die alten Zeiten ruhen. Der Junker Hans wollte sein Geld an den Mann bringen, da war es gleichgültig, an wen er es abtrat.«

»Wie jetzt unser Leutnant,« fügte Wiedehopf hinzu.

»Ganz ähnlich so,« bestätigte Jockeiklamm kaltblütig, »nur mit dem kleinen Unterschied, daß der Leutnant Eltern besitzt, die ihn um keinen Preis sinken lassen; ferner, daß es in seiner Gewalt liegt, durch eine reiche Heirat die Folgen seines Leichtsinns auszugleichen und nach der empfangenen wohltätigen Lehre ein neues Leben zu beginnen.«

»Wenn er seine Eltern nicht vorher ruiniert.«

Jockeiklamm sah ungläubig in Wiedehopfs stumpf blickende Augen, drehte das Bärtchen empor und bemerkte zögernd: »Hunderttausend Taler werden sie wohl noch missen können.«

»Kaum halb soviel, und dann bleibt ihnen selber nicht genug, um nur leben zu können wie ein Dorfküster.«

»Unmöglich, Wiedehopf. Das Vermögen der Baronin allein soll nach Hunderttausenden zählen.«

»Wenn der Rechenfehler mit dem Schwiegervater nicht gewesen wäre.«

»Sie kennen die Vermögensverhältnisse genau?«

»So wie meine eigenen,« antwortete Wiedehopf, und er stierte auf den halbleeren Koffer, wie der Karpfen auf einen in seiner Nähe treibenden Köder, dem er nicht traut.

Jockeiklamm nagte auf seinen Lippen, und bemerkte nach einer Pause, wie zu sich selbst sprechend: »Fünfzigtausend reichen nicht. Unser Junkerchen ist in neuerer Zeit zu scharf vorgegangen.«

»Dann fragt sich noch, ob sein Vater zum dritten Male zahlt.«

»Er ist das einzige Kind, Wiedehopf.«

»Aber er gab dem Vater das Ehrenwort, keine Karte mehr anzurühren.«

»Wirklich? Bisher glaubte ich nicht recht daran. Pah, was ist das Ehrenwort einem Vater gegenüber wert? Die Zärtlichkeit der Eltern überwiegt alles.«

»Das traue ich ihnen diesmal nicht zu. Weit eher, daß sie ihm ins Ausland helfen.«

»So dumm wird er doch nicht sein,« versetzte Jockeiklamm nachdenklich.

»Weshalb nicht? Ich möcht's ihm selber anraten.«

»In Ihnen steckt der Satan, Mann. Vergessen Sie nicht, dadurch würden Sie sich selbst am meisten schaden. Übrigens opfert sein Vater lieber das letzte, bevor er einen Makel an seinem Namen duldet.«

Wiedehopf zuckte die Achseln.

»Wozu würden Sie raten?« fragte Jockeiklamm sichtbar in Verlegenheit.

Statt eine Antwort zu erteilen, zuckte Wiedehopf nur abermals die Schultern.

»Ich verstehe,« sprach der alte Spieler nunmehr unwirsch, und seine schwergefüllte Börse ziehend, zählte er eine Reihe Goldstücke auf den Tisch.

Wiedehopf verließ seinen Fenstersitz, trat heran, versenkte das Geld in die Tiefe seiner Tasche und bemerkte gelassen: »fünfundzwanzig Friedrichsd'or auf Abschlag.«

»Zum Teufel, ja denn, auf Abschlag,« polterte Jockeiklamm, »sind die Geschäfte hier erst zur Zufriedenheit abgewickelt, sollen Sie nicht über Knauserei klagen. Aber jetzt raten Sie, und ich müßte mich arg täuschen, hätten Sie nicht längst alles in Ihrem erfinderischen Kopf zurechtgelegt.«

»Einigermaßen,« bestätigte Wiedehopf, »ich sage aber vorher: Gehen Sie auf meinen Vorschlag nicht ein, so ist meine Weisheit zu Ende. Nach meiner genauen Berechnung darf der Baron, ohne an den Bettelstab zu kommen, nur noch fünfundvierzigtausend Taler verlieren –«

»Die decken kaum die Ehrenschulden!« warf Jockeiklamm verstört ein.

»Dann habe ich nichts mehr hinzuzufügen,« meinte Wiedehopf.

»Es geht nicht, es geht durchaus nicht,« eiferte Jockeiklamm, »Sie wissen, bei Spielschulden akkordiert man nicht, wie bei einem gemeinen Konkurs.«

»Entweder fünfundvierzigtausend, oder nichts,« bekräftigte Wiedehopf, »meine jetzige Stellung kann ich noch nicht aufgeben, eine neue finde ich in meinem Alter nicht, und mit einem gänzlich verarmten Herrn dessen Not zu teilen, steht mir nicht an. Sie überlegen sich die Sache vielleicht noch in den nächsten Tagen und bemessen die Forderungen nach dem vorhandenen Gelde,« und da der Spielerveteran ihn mit unverkennbarem Mißtrauen betrachtete, fügte er mit unschuldiger Miene hinzu: »Mit dem Verschwinden des Junkers erledigt sich alles am einfachsten. Offiziere mit altem Namen werden überall im Auslande gern angenommen. Aber noch eins, Herr von Klamm, wie würde es Ihnen gefallen, wenn plötzlich der Baron Hans wieder unter den Lebenden auftauchte und in Gesellschaft seiner Tochter obenein, um selber alte Geschichten aufzuwärmen? Ich dächte, diese Nachricht wäre allem den Brief wert, den ich damals in meiner Einfalt an Sie schrieb.«

Wie seinen Sinnen nicht trauend, sah der alte Spielerin die seltsam unbeweglichen, meergrünen Augen. Dann lachte er spöttisch.

»Mein lieber Wiedehopf,« bemerkte er geringschätzig, »das verfängt bei mir nicht. Gräber geben ihre Toten nicht heraus. Wie kommen Sie auf so 'ne Schrulle?«

»Ich kann nicht mehr sagen, als daß mir glaubwürdige Nachrichten darüber zugegangen sind. Binnen wenigen Wochen werden auch die Beweise dafür vorliegen. Ich mein', da wär' es ratsam, wenn Sie die Angelegenheit mit dem Leutnant noch vorher ordneten, und um Ihrer selbst willen etwas gelinde.«

»Wiedehopf,« entgegnete Klamm, »Sie sind ein ganz vortrefflicher Mensch, werden mir aber nicht zumuten, Dinge zu glauben, die Sie selbst für Verrücktheiten halten.«

In diesem Augenblick belebte sich Wiedehopfs knochige Gestalt. Alles an ihm war Würde und Dienstfertigkeit. Mit kundigem Griff nahm er den Leibrock, ihn so auseinanderbreitend, daß Jockeiklamm nur hineinzufuhren brauchte. So stand er da, wie eine Bildsäule, in den meergrünen Augen wie in den verlängerten Mundwinkeln nur den einzigen Ausdruck stumpfer Unterwürfigkeit. Gleich darauf unterschied auch Jockeiklamm feste Schritte auf dem Korridor. Als wäre er dadurch ebenfalls beeinflußt worden, ergriff er zwei Bürsten, mit peinlicher Sorgfalt den bis zum Nacken herunterreichenden dünnen Scheitel noch einmal glättend. Er schloß damit ab, daß er dem anklebenden Schläfenhaar eine Schwingung nach der Stirne hinauf gab.

Das Eintreten Joachims schien er überhört zu haben; denn erst als dieser ihn anredete, wirbelte er auf der Stelle herum.

»Meine Mutter erwartet uns zu Tisch,« rief der Baron ihm mit einer scheuen Heiterkeit zu.

»Und ich stehe zu Befehl,« antwortete Jockeiklamm fröhlich, und schwebenden Schrittes flog er förmlich in den von Wiedehopf gehaltenen Rock hinein.


 << zurück weiter >>