Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel.
Die Heimkehr.

Ungefähr tausend Schritte hatten die drei Männer mit den Pferden zurückgelegt, als der Choctaw auf einen Wink des Farmers einen durchdringenden Ruf ausstieß.

»Das gilt meinen Nachbarn,« kehrte der Farmer sich Adams zu, der befremdet aufsah und sichtbar nach Klarheit rang, »wir haben bereits ein gutes Dutzend Pferde zusammengekauft, und die müssen abwärts getrieben werden, damit sie mit den Ihrigen nicht zusammenlaufen. Sind wir erst handelseinig, hat's keine Not mehr.«

Adams war beruhigt, und von dem Fahrwege abbiegend, gelangten sie nach kurzer Wanderung durch lichtes Gehölz auf eine Waldblöße, die von den Farmern als Lager- und Weideplatz gewählt worden war. An ihrem Rande brannte ein kleines Küchenfeuer. Um dieses herum saßen zwischen Sätteln, Decken und ledernen Quersäcken vier Männer, anscheinend in eine lebhafte Unterhaltung vertieft. Als die Pferde bei ihnen eintrafen, betrachteten sie diese flüchtig, und weiter sprachen sie, als ob keine Störung stattgefunden hätte.

»Ich wäre gerne früher gekommen,« bemerkte der alte Farmer, indem er mit Adams und dem Choctaw vor das Feuer hintrat, »aber der Eigentümer der Tiere ließ mich über die Gebühr warten.« Er säumte, bis Adams einen vertraulichen Gruß an die Männer gerichtet hatte, worauf er fortfuhr: »Er will sie alle sieben verkaufen, und ich müßte mich täuschen, ließe er um den Preis nicht mit sich handeln. Große Fehler sind nicht an den Gäulen zu entdecken; aber meine zwei Augen sehen nicht so viel, wie eure acht. Da möcht' ich raten, daß auch ihr sie ordentlich abschätzt, so lange der Tag noch leuchtet.«

Gemächlich, wie um den Verkäufer über ihre Bereitwilligkeit zu täuschen, erhoben sich die Männer und traten, die Pferde mit den Blicken prüfend, zu beiden Seiten des Strolchs hin.

»Der Schimmel gefällt mir am besten,« sprach der Farmer, in dessen Begleitung Adams gekommen war, »da denk' ich, es wird mir keiner das Vorkaufsrecht abstreiten.«

»Ich will verdammt sein,« rief ein anderer mit erheucheltem Erstaunen aus, »wenn dieser selbige Schimmel nicht vor acht Wochen noch am Red-River in meiner Einfriedigung Maiskörner knackte.«

Wie von einer tödlichen Waffe getroffen und plötzlich vollständig ernüchtert, fuhr Adams nach ihm herum. In dem gleichen Augenblick fühlte er sich hinterrücks von sehnigen Armen umschlungen, und bevor er recht ahnte, was ihm drohte, oder nach seinen Pistolen zu greifen vermochte, lag er auf der Erde und war ein halbes Dutzend Hände eifrig damit beschäftigt, ihn in einer Weise zu fesseln und zusammenzuschnüren, daß es ihm unmöglich war, auch nur ein Glied zu rühren. Zugleich waren vier andere Männer aus dem nahen Gebüsch getreten und beobachteten gleichmütig den Elenden, der im Übermaß des Entsetzens nur noch röchelndes Stöhnen hervorbrachte. Das ihn lähmende Grausen wurde dadurch erhöht, daß nicht nur die ihm fremden Männer in finsterem Schweigen verharrten, sondern auch der Choctaw nicht die leiseste Spur von Teilnahme für ihn verriet.

»Leute,« keuchte er auf dem Gipfel namenloser Bestürzung, »was soll das heißen? Was wollt ihr von mir?«

Da trat der alte Grenzer vor ihn hin. Eine Weile betrachtete er das in Todesangst gräßlich verzerrte Gesicht des Räubers mit unheilverkündender Ruhe; dann hob er an: »Es soll heißen, daß wir vom Red-River her seit zwölf Tagen unterwegs sind, unsere Weiber und Kinder, Felder und Herden schutzlos zurückgelassen haben, um des Schurken habhaft zu werden, der nun schon zum zweiten Male in unsere Ansiedlungen einbrach und die besten Pferde von unseren Weiden holte. Der Schurke liegt jetzt hier; und an uns ist es, unsere Heimstätten ein für allemal gegen fernere Räubereien zu sichern.«

Bei dieser Ankündigung fühlte Adams das Blut in seinen Adern gerinnen. Es war ihm klar, daß er in der Gewalt der eisenharten Männer auf keine Barmherzigkeit zu hoffen habe.

»Es ist nicht wahr!« rief er aus, und er, der kurz zuvor erst einen Mitmenschen mit teuflischer Lust marterte, wand sich jetzt selbst in Höllenqualen, »nein, nicht ich stahl die Pferde, wenn sie überhaupt gestohlen wurden, sondern Leute, denen ich sie ehrlich abkaufte. Indianer waren es – Komanches –«

»Auch den Schimmel?« hieß es mit unerbittlicher Strenge. »Ich vermute, dafür hast du keine Ausrede; denn ich kenne den Mann, in dessen offenes Haus du einbrachst, dessen sauren Schweiß langer Jahre du zu dir stecktest und dessen Pferde du, gemeinschaftlich mit zwei rothäutigen Schurken, davongetrieben hast; wär's weiter nichts, so stände darauf allein schon der Strang.«

»Um Gottes willen – Leute – Irrtum, alles Irrtum und Mißverständnisse,« hob Adams ächzend an, als ein jüngerer Mann vor ihn hintrat und ihm zurief:

.

»Beflecke deine letzte Stunde nicht mit den verfluchtesten Lügen, die je von einem Verbrecher ersonnen wurden. Mir stahlst du mein Geld, mir raubtest du die Pferde, mein Haus verwandeltest du in eine blutige Mordhöhle, indem du einen Mann, der freilich nichts Besseres wert war, darin über den Haufen stachst. Und meine Frau ist es, die heute noch daran siecht, daß sie keine drei Ellen weit von dir Zeuge deiner Missetaten sein mußte. Wenn du also nicht willst, daß ich dir deinen verruchten Kopf zertrete, so rede zu den alten Lügen keine neuen.«

»Es wird sich alles aufklären – ich bin unschuldig,« schrie der Räuber mit halberstickter Stimme. »Wenn ihr glaubt, daß ich einen schädigte, so bringt mich nach dem Fort. Da gibt's Männer, die nicht Partei sind – ihrem Richterspruch will ich mich unterwerfen.«

»Wir brauchen keinen anderen Richterspruch, als den unsrigen,« entschied der alte Farmer wieder finster; »wir befinden uns hier auf freiem Indianergebiet und handeln, wie es uns von rechtschaffenem Denken eingegeben wird. Sattelt die Pferde,« kehrte er sich den Gefährten zu, »hier haben wir nichts mehr zu suchen.«

Schweigend entfernten sich die Männer. Einen Blick des Grausens warf Adams auf den Choctaw, der ihn kaum beachtete.

»Mann,« rief er ihm wie im Wahnwitz zu, »wenn du auf ein seliges Ende für dich und die Deinigen hoffst, so eile nach dem Fort! Sage dem Kommandanten, was hier vorgeht – Mann – ich besitze noch Geld – alles soll dir gehören – beeile dich!«

»Wer Pferde stiehlt, gehört an einen Baumast,« antwortete der Choctaw gleichmütig.

Ausdruckslos starrte Adams ins Leere. Dann stieß er ein wahrhaft tierisches Gebrüll aus. Der alte Farmer trat an den nächsten Baum und nahm eine der dort stehenden Büchsen. Kaltblütig spannte er den Hahn und richtete die Mündung auf den Kopf des Räubers. Dieser verstummte schaudernd, und mit einem Ausdruck, der nicht mißverstanden werden konnte, erklärte der Farmer: »Schurke, niederträchtiger, wir brauchen keinen Menschen zu fürchten. Versuchst du aber nochmals, durch dein Geheul jemand herbeizurufen, so bist du beim nächsten Atemzuge ein toter Mann. Anderenfalls sollst du noch in dieser Nacht vor eine Anzahl ehrlicher Richter gestellt werden, und wie deren Wahrspruch lautet, so geschieht es. Weißt du noch einen Zeugen, der für deine Unschuld eintritt, so nenne ihn –«

»In der Stadt weilt er, hier in Fort Smith,« fiel Adams mit neu erwachender Hoffnung ein, »Charon – der Fährmann am Kanadian – ein Freund von mir. Er wird für mich bürgen –«

»Unsinn,« schnitt der Farmer ihm das Wort ab. »Der bürgt für dich so wenig, wie ich selber, oder er beginge eine Dummheit in gutem Glauben. Denn er weiß noch nicht, daß du auch in sein Haus einbrachst, seinen Tisch gewaltsam öffnetest und sein Geld raubtest. Er weiß noch nicht, daß deine braunen Genossen ihm das Kind entführten, ob tot oder lebendig, das mag Gott wissen.«

.

»Erbarmen, habt Erbarmen um meines Alters willen,« flehte der Räuber keuchend, als der Farmer ihm durch eine Handbewegung Schweigen gebot.

»Je weniger du redest, um so besser für dich,« fügte er mit undurchdringlichem Ernst hinzu. »Was kommen soll, kommt. Keine Macht der Erde kann das dir bestimmte Los von dir abwenden.«

Nachdem alle Vorbereitungen vollendet waren, wurde Adams auf dem Schimmel, den er so lange geritten hatte, festgeschnürt. Wie einen toten Gegenstand behandelte man ihn. Er selbst vermochte nur noch zu wimmern und zu heulen. Nach einem kurzen Abschiedsgruß an den Choctaw setzte die unheimliche Karawane sich in Bewegung. Die zurückerbeuteten Pferde wurden vorausgetrieben. Ihnen folgte ein Reiter, den Schimmel mit dem Verbrecher am Zaume führend. Neben diesem ritt ein Farmer, die Büchse quer vor sich auf dem Sattel.

Als der Zug in die Landstraße einbog, war die Sonne eben untergegangen. Die Dämmerung verdichtete sich zur sommerlichen Dunkelheit. Die Sterne funkelten. Ihr Glanz mäßigte sich, als im Osten der Mond langsam emporstieg. Es war eine kühle, tauige, erquickende Nacht. Gemächlich gingen die Pferde. Schweigend hingen die Männer in den Sätteln. Die Qualen, die der gefesselte Räuber während des Marsches erlitt, waren ärger, als zehnfacher Tod. –

Eine böse Nacht hatte Charon in dem Gasthofe verlebt. Zerschlagen an Geist und Körper erhob er sich am Morgen. In sich gekehrt trat er die Heimreise an. Wie in einem Leichenzuge trotteten die Pferde, indem sie an dem Fort vorbei ihren Weg westlich verfolgten. So ging es weiter Stunde auf Stunde durch den tauigen Morgen, abwechselnd im Schatten dicht verzweigter Haine und im goldenen Sonnenschein. Ihn erquickte nicht die frische Atmosphäre, belästigte nicht die wachsende Hitze. Sterbensmüde saß er auf dem straff gefüllten Strohsack. Sterbensmüde hielt er die schlaffen Zügel, unbenutzt lag die Peitsche neben ihm. Hätten die Pferde still gestanden, er würde es kaum bemerkt haben. Er war zu traurig, zu erbittert.

Bei einer kurzen Biegung des Weges, der aus dem Gehölz auf eine größere, mit wenigen alten Eichen und Hickorybäumen besetzte Lichtung führte, schnaubten die Pferde argwöhnisch. Charon sah auf. Er bemerkte einen Wolf, der scheu dem nächsten Dickicht zutrabte. Sein zweiter Blick streifte eine leichte Rauchsäule, die einer von glimmenden Holzresten umkränzten Aschenfläche entstieg. Ein großes Feuer mußte dort während der Nacht gebrannt haben. Zahlreiche Hufspuren führten nach der Feuerstelle hin. Eine hundertjährige Eiche stand eine kurze Strecke abseits. Sinnend betrachtete er den Baum, hinter dessen Stamm hervor, indem der Wagen seine Stellung zu ihm veränderte, ein formloser Gegenstand mehr und mehr in seinen Gesichtskreis trat.

.

Plötzlich hielt er mit heftigem Griff die Pferde an. Zugleich packte er, wie um sich dadurch aufrecht zu erhalten, mit der freien Faust den Rand des Wagenkastens. Die Farbe des Todes hatte sich über sein Antlitz ausgebreitet. Während er nach der gegen dreißig Schritte weit entfernten Eiche hinüberstierte, schienen seine Augen sich zu verglasen.

Und ein furchtbarer Anblick bot sich ihm in der Tat, vor dem auch ein verhärteteres Gemüt schaudernd zurückgebebt wäre.

Von einem der untersten Äste des Baumes hing an einem Lasso eine menschliche Gestalt so tief nieder, daß kaum eine Elle Zwischenraum zwischen den Füßen und dem Erdboden blieb. Die Hände waren ihr auf dem Rücken zusammengeschnürt; das gräßlich entstellte Antlitz kehrte sie der Landstraße zu. Anfänglich beherrscht von verwirrendem Schrecken, sah Charon nur einen vierschrötigen Körper. Erst allmählich erkannte er an Haar, Bart und Bekleidung seinen unermüdlichen Peiniger. Die Wirkung davon war eine niederschmetternde. Er konnte nicht gleich fassen, daß jemand, mit dem er vor Stunden noch, wenn auch widerwillig verkehrte, so jäh von einem rächenden Geschick ereilt worden. Da tauchte der Gedanke in ihm auf, daß vielleicht noch Leben in dem Elenden wohne, es noch nicht zu spät zur Rettung wäre. Hastig stieg er vom Wagen, doch näher tretend überzeugte er sich leicht, daß der Tod längst sein Opfer gefordert habe. Sein Blick fiel auf ein Stück Papier, offenbar ein Blatt, das einem Notizbuch entnommen und auf der Brust des Gehenkten augenfällig festgesteckt worden war.

»Ein Mörder, Einbrecher und Räuber erlitt hier nach eingehender Klarlegung seiner Missetaten die verdiente Strafe. Richter Lynch,« lauteten die mittelst Bleistifts auf den Zettel geschriebenen Worte.

»Mörder und Räuber,« wiederholte er finster. Er bedeckte die Augen mit der Hand. Seine Füße schienen mit dem Erdboden verwachsen zu sein, die Kraft, den gräßlichen Anblick zu fliehen, schien ihn verlassen zu haben. Vergessen war in diesen Minuten, daß der Mann, der hier in tiefer Einsamkeit gerichtet worden, sein Los hundertfach verdient hatte; vergessen waren die Leiden, die er seit seinem Eintreffen auf der Fähre ihm bereitete, die unheimlichen Drohungen und Erpressungen, deren Opfer er so lange gewesen. Vergessen endlich, daß jemand unwiderruflich aus seinem Wege geräumt worden, den er, ob wachend oder träumend, über alles fürchtete; jemand, in dessen Gewalt es lag, ein schreckliches Verhängnis auf arglose Menschen herab zu beschwören, einen vor einer Sterbenden abgelegten heiligen Eid hinfällig zu machen; und wer konnte wissen, was nicht schon geschehen war.

Er streckte die Hand nach oben, um den Strick zu zerschneiden, aber schaudernd zog er sie zurück. Er gewann es nicht über sich, den Leichnam zu berühren; und woher hätte er die Mittel nehmen sollen, eine Gruft zu schaufeln und dem elenden Räuber eine letzte Ruhestätte zu bereiten?

»Du hast dir dein Los selber bereitet,« sprach er unwillkürlich mit einem letzten, düsteren Blick auf den Toten, »ich habe keinen Anteil daran. Dein Ende entspricht deinem Leben.«

Er kehrte sich ab und schritt nach dem Wagen zurück. Sein verwittertes Antlitz hatte sich noch mehr verhärtet. Mit fester Hand ergriff er die Zügel, und je weiter er sich von der Stätte eines grauenhaften Gerichtsverfahrens entfernte, um so mehr trieb er die Pferde an. In dem gleichen Maße, in dem er ruhiger über eine Handlung urteilte, die nicht mehr ungeschehen gemacht werden konnte, sehnte er sich dringender nach seiner Hütte, nach dem Anblick befreundeter Menschen, nach dem kindlich frohen Gruß seines holden Schützlings. – –

Folgenden Tages zur späten Nachmittagsstunde traf Charon wieder in der Nachbarschaft der Fähre ein. Bevor die Hütte in seinen Gesichtskreis trat, wurde er Fakits ansichtig, der neben dem Weg auf dem Rasen lag. Er hatte ihn offenbar erwartet, denn in Sprechweite von ihm gelangt, erhob er sich, und neben den Wagen hinschreitend, begrüßte er Charon in seiner gewöhnlichen ruhigen Weise. Dieser hatte die Pferde angehalten und sah befremdet in das braune Antlitz. Eine Ahnung sagte ihm, daß am wenigsten eine freundliche Ursache ihm den Indianer entgegengeführt habe. Er kam ihm daher mit der Kunde zuvor, daß Adams die Reservationen nicht mehr betreten werde.

»Ich weiß es,« antwortete Fakit gelassen, »die Männer, die ein Ende mit ihm machten, warten bei der Fähre auf meinen Freund. Sie wollen ihn begrüßen, ihm das Geld zurückgeben, das der Schurke aus dem erbrochenen Tische nahm.«

»Auch das noch,« versetzte Charon finster, aber noch immer suchte er in den undurchdringlich ernsten Zügen seines Freundes; »nun, er hat zum letztenmal die Hand nach fremdem Eigentum ausgestreckt.«

»Jagten wir den Schurken aus den Reservationen, als er zum erstenmal den Kanadian kreuzte, war es besser. Mein Freund duldete es nicht. Jetzt wird er es bereuen.«

»Was ist's, Fakit?« fragte Charon herbe, »ich errate es, ein neues Unglück hat mich betroffen. Sprechen Sie nicht länger in Rätseln. Ich bin ein Mann, ich kann alles ertragen.«

»Mein Freund ist ein Mann,« bestätigte der Kreek, »ich bin ihm entgegengegangen, um mit ihm zu reden. Es ist besser für ihn, er weiß alles, wenn die Männer ihn begrüßen. Steige mein Freund vom Wagen. Hier auf dem Rasen ist Platz für uns beide. Die Pferde stehen gut hier. Sie kommen früh genug auf die Weide.«

Schweigend leistete Charon Folge.

Gleich darauf lagen die beiden Freunde auf dem Rasen, Fakit in seiner eigentümlichen, kurz abgebrochenen, jedoch deutlichen Weise schildernd, Charon seinen Worten mit der Unbeweglichkeit eines niedergebrochenen Baumstammes lauschend. Nur einmal erbleichte er, während verhaltener Jammer mitleiderregend aus seinen Augen lugte; es geschah, als Fakit auf Grund seiner scharfsinnig geführten Nachforschungen erklärte, daß Molly, um von der Sykomore hinunterzustürzen, diese nur im Schlaf betreten haben könne. Dann aber erstarrten seine Züge förmlich. Keine Klage kam über seine Lippen, von keinem Plan zur Befreiung des geraubten Mädchens sprach er. Nachdem Fakit aber geendigt hatte, preßte er dessen Hand, als hätte er sie aus dem Gelenk drehen wollen. Fakit erwiderte den Druck, und darin lag eine Verständigung, wie sie durch die heiligsten Beteuerungen nicht zuverlässiger herbeizuführen gewesen wäre. –

»Ich weiß alles,« sprach Charon zu Milford, als er etwas später in des Kreeks Begleitung nach dem Vorplatz der Fährhütte hinauffuhr und der junge Mann an den Wagen herantrat, »ich weiß alles,« und unter den tief gerunzelten Brauen hervor sandte er einen düsteren Blick zu den Grenzern hinüber, die sich unter den Bäumen häuslich eingerichtet hatten.

Ehrerbietig sah Milford zu dem Fährmann auf. Wie mußten die jüngsten Ereignisse sein Inneres zerreißen, da nicht einmal ein Schatten seiner Empfindungen auf dem undurchdringlich harten Antlitz zum Durchbruch gelangte. Nur hagerer schien er noch geworden zu sein. Teilnahmlos blickten seine Augen, und doch glaubte Milford in ihnen etwas zu entdecken, was an eine gefährliche Entschlossenheit erinnerte. Eintöniger, kälter klang auch seine Stimme, als er mit dem jungen Manne und Fakit, die ihm beim Ausspannen hilfreiche Hand leisteten, ein aus oberflächlichen Bemerkungen bestehendes Gespräch eröffnete.

Während jene den Wagen nach dem kleinen Hofe hinauffuhren, die Pferde ausspannten und nach der Weide hinausführten, hielt Charon in der Hütte flüchtige Umschau. Wieder ins Freie hinaustretend, betrachtete er den Bären eine Weile finster. Nachdem das Tier ihn, wie jeden anderen Fremden, flüchtig beschnuppert hatte, schritt es auf dem beschränkten Raume wieder unruhig hin und her.

»Tommy, wir haben viel verloren,« redete er den Bären gedämpft an, der, abweichend von seinen früheren Gewohnheiten, ihm gar keine Beachtung mehr schenkte, »warst du wachsamer, hätte das Unglück nie geschehen können. Was liegt an dem Schurken, der unter deinen Zähnen verendete.«

Jetzt erst schritt er zu den Grenzfarmern hinüber. Bisher hatte eine gewisse Scheu ihn von ihnen ferngehalten. Als aber die verwitterten, zähen Gestalten ihn umringten, ihn ehrerbietig begrüßten und unter Beteuerungen aufrichtiger Teilnahme ihm die Hände drückten, da sah er in den ihm treuherzig Entgegenkommenden nicht mehr die unbarmherzigen Vollstrecker eines furchtbaren Urteils, sondern die von ehrenwerten Gesinnungen durchdrungenen Richter, die da, bis wohin die Strenge der Gesetze nicht reichte, aus eigener Machtvollkommenheit und ruhigen Gewissens dem Rechte Geltung verschafften.

Mit Widerstreben, als wäre es mit Blut besudelt gewesen, nahm er von ihnen das Geld in Empfang, das er als das seinige anerkennen mußte. Eine flüchtige Prüfung des Tisches hatte ihn belehrt, daß neben dem Gelde auch seine Briefschaften fehlten. Auf sein Befragen erfuhr er, daß man nicht den kleinsten Zettel bei dem Räuber gefunden habe. Er entsann sich der bedrohlichen Worte, die Adams in Fort Smith angesichts der von dem Dampfer entsendeten Rauchwolken an ihn richtete, und sein Herz schnürte sich zusammen bei dem Gedanken an den folgenschweren Mißbrauch, der wahrscheinlich mit den entwendeten Papieren getrieben worden.

Nachdem Milford und Fakit sich ihm zugesellt hatten, verweilte er noch einige Zeit im Kreise der Farmer; dann nahmen die für die Nacht zu treffenden Vorkehrungen die Aufmerksamkeit jedes einzelnen mehr oder minder in Anspruch.

Folgenden Morgens in der Frühe brachen die Farmer zur Heimreise auf. Ihr Abschied von Charon war ein herzlicher. Die Hoffnung, bald wieder bei Weib und Kindern zu weilen, die um sie bangten und sorgten, erfrischte ihre Lebensgeister. Ihre Befriedigung wurde erhöht durch das Bewußtsein, die lange Irrfahrt nicht umsonst unternommen zu haben. Bildeten die zurückerbeuteten Tiere doch einen Hauptbestandteil der Habe des einen und des anderen.

Milford schloß sich ihnen nicht an. Die ernstesten Gegenvorstellungen Charons vermochten nicht, seinen Willen, nur dem eigenen Empfinden Rechnung zu tragen, zu erschüttern. Er blieb, um sich an den Versuchen zur Entdeckung Mollys und deren Befreiung mit ganzer Kraft zu beteiligen. Aber einen Brief an Sparewood gab er den Grenzern mit, in dem er den alten Gefährten für die Dauer seiner voraussichtlich längeren Abwesenheit mit der langsamen Weiterführung der Vermessungen beauftragte.


 << zurück weiter >>