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XXVII.

»Das ist einer jener Fälle,« sagte Marchal am folgenden Tage zu Herbelot, »die den Ehebruch nicht nur entschuldbar, sondern geradezu als eine Notwendigkeit erscheinen lassen! Was soll aus einer schönen jungen Frau, liebenswert und befähigt, zu lieben, werden, der man nur die Wahl läßt, zwischen einer verhaßten Ehe und dem Zwang, unfreiwillig Witwe zu bleiben? Glücklicherweise wird einem der Ehebruch in Frankreich bequem genug gemacht! Die Gesellschaft sieht darüber hinweg, die Behörden kümmern sich nicht darum, solange nicht einer der Ehegatten als Kläger auftritt. Mit einiger Vorsicht ist also der Ehebruch etwas völlig Gefahrloses. Wer sollte es auch wagen, eine Frau, die unschuldigerweise in eine falsche Situation gezwungen wurde, zu verurteilen, wenn sie den einzigen Ausweg benützt, der ihr offen steht?«

Herbelot erwiderte:

»Niemand, solange sie ihr heimliches Glück verbirgt; jedermann, sobald es zum Skandal kommt! In jedem Falle aber kann der Gatte sein Kind zu sich nehmen und braucht das Vermögen seiner Frau nicht auszuliefern … Ein Diebstahl, ohne Zweifel, … aber vom Gesetze gebilligt!«

»Das beweist wieder einmal,« nickte Marchal mit grimmigem Lächeln, »wie dringend es notwendig ist, die Ehegesetzgebung zu modernisieren. Der Wille eines der beiden Gatten müßte genügen und ein kompliziertes Verfahren entbehrlich machen.«

»Wie wäre es mit einer Nichtigkeitsbeschwerde?« warf Herbelot fragend ein.

Marchal hob die Schultern.

»Du weißt ebenso gut wie ich,« sagte er, »daß in einem Scheidungsprozeß formelle Mängel des Verfahrens fast niemals vorkommen. Im besten Falle würde die Sache fünf bis sechs Monate verschleppt werden. Und dann?«

»Auch das wäre immerhin etwas! Wer weiß? Man kauft auch Lose, ohne überzeugt zu sein, daß man den Haupttreffer machen wird …«

Er bedauerte Francine, aber nach seiner dreißigjährigen Erfahrung hatte ihn die Entscheidung nicht überrascht.

Auf ausdrücklichen Wunsch Éparviés, der den Kampf nicht aufgeben wollte, ergriff Francine auch das letzte Rechtsmittel. Wie vorauszusehen, blieb es erfolglos. Drei Monate später, Ende November, war alles endgültig vorbei. Francines Scheidungsprozeß hatte genau zwei Jahre und zwei Monate gedauert und ein kleines Vermögen verschlungen.

An dem Tage, an dem die Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen wurde, ließ sich Charlie bei der Gräfin Favié melden. Er hatte den Zustand tiefer Verzweiflung, in den ihn ihr Brief gestürzt hatte, überwunden und fand in seinem Stolz und Pflichtgefühl den Mut, auf sie zu verzichten. Er war auf sein Ansuchen als Militärattaché der Gesandtschaft in Petersburg zugeteilt worden und kam, um Adieu zu sagen. Ihr Abschied, bitter und schmerzlich, wurde ihnen durch die tiefe Gewißheit erleichtert, daß eine Liebe wie die ihre nur mit dem Tode ein Ende nehmen konnte. Das Opfer, das sie ihren Idealen brachten, hatte ihre Gefühle von allen irdischen Schlacken befreit.

»Adieu, Gabriele!« sprach Charlie, ohne sich der Tränen in seinen Augen zu schämen. »Sei bedankt für alles Glück, das du mir gegeben! Niemals mehr werde ich lieben können.«

»Doch, Charlie, du wirst eine Frau lieben, die deiner würdig ist, ich wünsche es, versprich es mir! Leb' wohl mein Freund … Adieu!«

Ihre Hände ließen einander los, sein Schritt verhallte. Dumpf fiel eine Türe ins Schloß. Charlie und Gabriele hatten aufgehört, für einander zu existieren.

Francine wunderte sich, ihre Mutter so gefaßt, beinahe ruhig zu finden. Als Licht gemacht wurde konnte sie einen Aufschrei kaum unterdrücken. Das Gesicht der Gräfin Favié zeigte die Züge einer alten Frau. Francine kniete nieder und küßte ihrer Mutter die Hände. Aber Gabriele wünschte schon nicht mehr beklagt zu werden. Liebevoll interessierte sie sich für Francines Sorgen und Pläne.

»Armes Kind,« sagte sie, »du leidest zu unrecht! Du hättest ein besseres Schicksal verdient … Wirst du entsagen können?«

»Nein, Mama, dazu fehlt mir deine Größe, deine Tugend. Mein Entschluß ist gefaßt. Ich werde allen Hindernissen zum Trotz frei sein … Vor allem fange ich damit an, Josette auf keinen Fall mehr zu ihrem Vater zu lassen!«

»Du wirst in diesem Kampfe unterliegen! … Und hast du überhaupt das Recht, das Kind seinem Vater zu entziehen?«

Statt jeder Antwort ließ Francine Josette rufen und fragte sie, ob sie darauf verzichten könne, ihren Vater zu sehen, und ob sie bereit sei, immer bei ihrer Mutter zu bleiben.

»Nur bei dir!« rief die Kleine leidenschaftlich. »Reisen wir fort, damit er uns niemals mehr findet, nimm mich mit …!«

»Nun?« fragte Francine, als Josette wieder in ihr Zimmer gebracht worden war.

»Auch sie wird leiden«, seufzte Gräfin Favié.

»Ja, unter der Ungerechtigkeit der Welt, unter der wir alle leiden; das ist keine Schande! Sei versichert, Mama, wenn sie das Herz auf dem rechten Fleck hat, wird sie uns deshalb einst nur um so mehr lieben …«


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