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19.
Die schöne Melusine

Die schöne Melusine ließ sich den Pelzmantel von dem großen Sänger Tamburini umlegen. Es war ein Anblick, der viele neidisch gemacht hätte, sie waren nur zu müde. Die Gäste kamen verbraucht, bleich oder fiebrig in der Halle an; während nach ihren Kleidungsstücken gesucht wurde, erübrigte ihnen nichts anderes als nur, sich schlecht zu fühlen. Sie hatten einander nichts mehr zu sagen, obwohl noch soeben ihre ausgelassene Laune kaum wußte, wohin. Manche bereuten jetzt, daß sie für die Nacht verpflichtet waren. Die Nacht war vorbei, man hätte sich frei machen und schlafen sollen.

Aus Langeweile betrachtete man sich im Spiegel und überschlug den Schaden. Wieder älter geworden! sahen entzauberte Frauen und hatten nicht übel Lust, ihren Begleiter zu ohrfeigen. Er bemerkte es nicht, sondern gähnte hinter geschlossenen Zähnen.

Die schöne Melusine ließ sich Zeit für den Mantel, den Sänger und das Fortgehen. Eine reife Dame nach der anderen verglich sich mit ihr und erschrak. Das ist die allein übrige, von einer Nacht, die ein einziger Verstoß gegen unsere persönliche Pflege war. Sie hat den Sohn des Hauses erobert, für das erste wird sie sich verjüngen. Bekanntlich wurde die siebzigjährige Ninon von dem Enkel ihres ersten Freundes geliebt. Zu bewundern wäre mehr, wenn auch sie noch geliebt hätte.

Die greise Gemahlin des Konservenpräsidenten hatte Ärgeres ausgehalten, auf der Treppe stolpern kann jeder. Ein kräftiger Junge griff selbstlos zu. Der Gatte hätte sie gewiß rechtzeitig aufgefangen, aber er war verärgert von dem Anblick des Rüstungspräsidenten, wie er abzog mit seiner Nutte.

Dieses phlegmatische Mädchen wieder brachte es bis zu einem Anflug von Verstimmung, als ihre Freundin, das häßliche Entlein, sie überholte, unterstützt, ja getragen von ihrem blondierten Athleten. Mein Penner soll das mit mir versuchen, dachte die Erwählte des Präsidenten und ließ ihn los, nur um besser seine dürftige Figur zu überblicken. »Na komm, Kleiner«, sagte sie, schnell beruhigt.

Es fügte sich, daß die wohlerhaltene Banquière und der berühmte Mann mit dem Verdruß im Rücken zeitweilig allein blieben. Sie hatte sich erboten, ihn nach seinem Hotel zu fahren. Obwohl es gleich um die Ecke war, nahm er aus Höflichkeit an. Anstatt abwärts, wendete sie sich aber nach einer Tür, die angelehnt war, und stieß sie auf. »Ich wette, Maestro, Sie haben noch nicht einmal das Kabinett der Pompadour gesehen?«

Er hatte es gesehen, wenn auch nur von außen, als er unter einem vergoldeten Lorbeerkranz seinen Auftritt besann. Wieder aus Höflichkeit sagte er nein, und beide betraten es – nicht ohne daß Tamburini umblickte, ob par le plus grand des hasards, seine ungnädige Freundin Babiline auftauchte. Im Grunde wußte er, sie sei längst fort, aber das hinderte nicht.

Ebensogut hätte ihm eine unvergessene, obwohl seit zwanzig Jahren vergangene Yvonne einfallen können: sie war sehr stürmisch gewesen; wenn es unmöglich schien, war sie da. Wirklich bekam in seiner Vorstellung Anastasia hier die ganze Art aufzutreten wie einst Yvonne. Sein szenisches Gedächtnis unterstützte die beginnende Neigung des Fünfzigjährigen, die Jahrzehnte zu verwechseln.

Betroffen, als ob er schuldig gewesen wäre, und innerlich auf dem Rückzug, folgte Tamburini der schönen Melusine in das Kabinett, das leer und obendrein historisch war. Figuren, die da hineinpassen würden, bleiben abwesend. Was tun gerade wir an Ort und Stelle? Wir schweigen. Ich äußere keine antiquarische Kennerschaft. Sie hütet sich, auf ihre Schmerzen zurückzukommen.

Dies hatte ihr in Wahrheit ferngelegen, lag ihr fern bis der Augenblick kam. Sie stand schon diesseits der Tür, drückte sie schon ins Schloß, und begriff noch immer nicht, um was es ging. Der äußerste Versuch war dies, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, es aufzuhalten, sich der eigenen Person zu bemächtigen, sie nicht fahrlässig auszuliefern – dem Unglück, was weiß ich, der Würdelosigkeit.

Man kann, zu zweien im Raum, nicht lange abgewendet voneinander stehen, oder es wäre, daß Außerordentliches sich vorbereitet. Plötzlich ruhten eine Schläfe, eine Wange der Schönheit auf der Schulter des Kleinen. Die Knie mußten dieserhalb angestrengt ihre halbe Beugung festhalten. Lange wäre es nicht gegangen; die Stellung war verfehlt, wie der Erfahrene wußte. Schonend sprach er.

»Nicht weinen, meine bewunderte Freundin! Ihrem herrlichen Gesicht ist die bald vergangene Nacht nicht anzusehen. Wenige Tränen könnten viel verderben. Tränen, die Sie nicht zu Boden tropfen lassen, sind gefährlich Ihrer wie jemals glatten Haut.«

»Und meiner faltenlosen Würde, höre ich Sie sagen.«

»Gut, Sie lassen etwas nach von Ihrer Würde. Das hat keine Bedeutung, angesichts des Mannes, der ich bin. Die Würde aufgeben, kann eine Wohltat sein.«

»Der Mann, der Sie sind, verkleinert sich, um auszuweichen.« Dies ist hart gesprochen. Noch gut, daß es entrüstet klingt, er müßte sonst ihre Verachtung fürchten. Lieber nimmt er den Zorn.

Sie sitzt nunmehr auf dem gebrechlichen Kanapee, den übrigen Platz weist sie ihm an. »Ich habe Sie in keine Falle gelockt, mein Freund«, bemerkt sie beiläufig, als ob sie ihn bäte, ein Fenster zu öffnen oder zu schließen.

Tamburini glaubte an dieser Stelle, er dürfe lächeln. »Welch eine süße Falle wäre es gewesen«, sagte er, sowohl eitel als bescheiden. Ihr Blick streifte ihn von oben.

»Es scheint wirklich, Sie verstehen mich nicht.«

Er, die Hand auf der Brust: »Sie haben mich überschätzt, o Frau meiner Träume! Erliegen sogar jetzt noch Täuschungen. In Ihrem Interesse bitte ich Sie, mich zu sehen wie ich bin: ein Durchschnittsmensch ohne höhere Ansprüche für sein Alter als jeder Krämer sie hat. Ich bin nur ausgezeichnet durch zwei, selten gepaarte Gaben. Sie wissen es.«

»Denn Sie sagten es mir gestern abend, in einem anderen dieser Zimmer, wo ich glücklich war.«

»Sie hatten, ich weiß nicht vor wie vielen Minuten, Enttäuschungen erlitten.«

»Eine Enttäuschung. Gerade für sie fand ich Trost bei einem guten Menschen – den ich hier nicht wiedererkenne.«

»Er verstellt sich, um Ihnen nicht wehe zu tun«, sprach Tamburini aufrichtig. Ohne Umstände hielt er ihr Knie mit der Hand nieder; sie drohte aufzustehen und das Gespräch zu beenden.

»Wörtlich will ich Ihnen wiederholen, was ich mir dachte, als Sie gingen und ich Ihnen nachsah. Diese wäre die Frau gewesen für mein Haus im Grünen! Viele Kinder! Lachen! Lärmen!«

»Gewesen«, sprach sie ihm nach. Er erklärte:

»Als ich jünger war. Auch ein anderer von jeher hätte ich sein müssen.«

Melusine lachte: armes Lachen, aber sie schämte sich seiner nicht. Dies war ihre erste Erleichterung seit Stunden und Stunden.

»Lieber Freund«, sagte sie, nicht einmal heiser. »Ihre vielen Bedingungen mache ich nicht, um zu gestehen, was ich mir, gleichzeitig mit Ihnen, gewünscht habe, oder jetzt glaube ersehnt zu haben. Vorbei ist vorbei.«

»Wer das wüßte«, seufzte er und schien sich an seine, oder ihre und seine Unschlüssigkeit zu klammern. Ein Aufschub, bevor man auseinander ging. Beim Eintritt in dieses Gespräch hatte er nicht gewußt, wozu. Jetzt sah er nur seine Angst, es hinauszuziehen so lange wie möglich; ihr zu widersprechen, sie zu halten.

»Vorbei, sagen Sie? Aber Sie gestanden sich, was Sie wünschten.« »Muß ich es in Worte fassen?« Sie deutete ein Ausbreiten der Arme an, ganz kurz lag auch ihr Kopf im Nacken.

Er dachte: Doch von der Oper! Hätte ich sie aufstehen lassen, ihre Knie würden mitspielen. Eine leichte Senkung des Schenkels, um den, der ich nicht bin, angenommenerweise an ihrem so wirklichen, so schönen Körper zu empfangen.

»Sprechen Sie nichts aus, Melusine! Lassen Sie es das Teuerste bleiben, das ich im Leben gehört haben werde.« »Es sollte keine Liebeserklärung werden«, sagte sie nüchtern. Er meinte: »In ihrer Art wäre es dennoch eine geworden. Sie hätte nicht dem weisen und edlen Kleiderstock gegolten: er gäbe den Vorwand, er hülfe der Gelegenheit. Die Zuflucht hätten Sie geliebt. Aber es wäre immerhin die Zuflucht bei ihm gewesen.«

Bevor er es verhindern konnte, stand sie auf den Füßen. Ihr prachtvoller Schenkel beschrieb genau den Grad einer Senkung, den er vorausgesehen hatte. Ihre Arme, von vollkommenem Weiß, da sie die dunklen Pelzärmel zurückwarfen, hielten sich anschaulich offen und bereit. Ihm blieb nichts übrig als hinzusinken, außer, ihn verließen ganz und gar die Kräfte. Dies geschah, und er stürzte vor sie hin. Die Augen geschlossen, ein jählings abgestorbenes Gesicht, lag er auf den Knien, rührte sich nicht, wartete was sie beschließe. Ihn mit der Fußspitze vollends umzustoßen, lag nahe. Auch das grausame Lachen, das sie haben, wenn wir versagen.

Sie faßte ihn aber unter beide Achseln, sie zog ihn hinan, legte ihm wie einem Knaben den Kopf zurecht, daß er sie ansehen mußte, und ihm in die Augen sprach sie:

»Schade. Das war nun ein Menschenfreund, sogar ein uneigennütziger Freund der Frauen: sie dürfen auch häßlich sein. Die Babiline ist weder häßlich noch schön.«

»Oder ist beides«, warf er ein. »Aber ich habe sie gekränkt.«

»Mich nicht. Im Grunde enttäuschen Sie mich kaum. Einen Freund hatte ich mir mit Unterbrechungen gedacht. Die armen Liebhaber mit allen ihren Lücken verlören sonst gegen ihn. Aber Ihre, oh, wie menschliche Haltung verführte mich, ich konnte einen einzigen und letzten Versuch nicht unterdrücken. Sie haben mich verstanden. Richtig verstanden«, wiederholte sie.

»Ich will es bekennen«, sagte er still; und wahrhaft, als beichtete er: »Die Idee kam einer der gesuchtesten (um nicht zu sagen begehrtesten) Frauen, alles zu fliehen, was sie halten wollte: ihre Einsamkeit zu teilen mit einem, der war wie sie, seinen Abschied nahm und in Frieden alt wurde, wie sie.«

»Denn beide waren ausgezeichnet durch –«

»Herrlichkeit und Schande«, ergänzte er folgsam. »Es ist sogar bestimmt, daß die eine nachlassen, die andere überhand nehmen soll. Stände ich in zehn Jahren noch auf der Bühne, meine Stimme wäre verbraucht, und um so anstößiger träte das andere hervor.«

Sie verlangte das andere nicht mit Namen zu hören. Dafür hoffte sie, auch ihren eigenen Bestand werde er, in Worten wenigstens, schonen. Sichtlich erwog er die milde Fassung.

»Eine Frau, die von Grund auf schön ist, bleibt es, den Lebensstufen angemessen, immer. Da ist nicht die Gefahr. Sie liegt in der Flüchtigkeit der Verehrer, die nachgerade sehr jung sind. Die erfahrene Schönheit wünscht Dauer. Daher die Idee einer gesuchten Weltdame, ihre wandelbare Welt zu vertauschen gegen die beständige Zuflucht eines abseitigen Landhauses, mit dem verstummten Sänger darin.«

»Warum nicht?« dies war ihre eindringliche Frage. Ihr antwortete sein Gesicht: der Zweifel, den es darstellte, war endgültig, Worte belehren weniger. »Sechs Monate«, sprach seine reine Gesangsstimme, als wäre es eine Arie der ewigen Liebe. »Sechs Monate, oder geben wir ihm ganze achtzehn. Dann wird er eine neue Abschiedstournee antreten. Zurückgekehrt, findet er sie nicht mehr.«

»Warum aber?« fragte sie wieder. »Beide könnten es abwarten.« Nichts Eindringliches; sie sprach neutral, wie wenn man sich in fremde Angelegenheiten mischt. Sie sprach mit einem heimlichen Bangen: dies bitte nicht oft, es macht alt! Er antwortete:

»Abwarten könnte eher der treulose Virtuose. Die einst gesuchte Frau würde jetzt suchen müssen, was sie leichtfertig verlassen hatte.«

»Nennen Sie es!« verlangte sie. Da er verstummte, auch sein Gesicht, sprach sie selbst. »Ihre nie gesicherten Geschäfte. Die Knaben, die schon nein sagen.«

Er legte die Hand auf die Brust. Die Augen gesenkt bis zu ihren Füßen, bekannte er sich schuldig. »Verzeihen Sie mir, erträumte Gefährtin eines Abschlusses, der nicht stattfinden kann. Mein Gefühl erging sich in Erfindungen, die schön sind und nur darum anstrengen. Ich war es, ich gab Ihnen, nicht überlegt, aber auch nicht gegen meine Absicht, Pläne ein: eine vernünftige Person allein hätte sie nie gefaßt.«

»Sie wünschten es früher als ich? Mehr als ich?« fragte sie, hoffnungsvoll ein letztes Mal.

»Und mit weniger Recht als Sie«, schloß er.

»Ich fange an zu verstehen«, sprach sie vor sich hin. »Sie haben mich behandelt wie ein Publikum, das Sie über das bißchen Anstand belehren – wissen aber dabei, daß es bleibt, wie es ist. Bedienen Sie sich des gewohnten Mittels Ihrer berauschenden Stimme, als ob sie gar so dezent wäre.«

Pause: Sie starrte seitwärts zu Boden, er konnte heimlich nach der Uhr sehen. Zu lange, sah er, die Szene schleppt, aber so darf sie nicht schließen.

»Wollen Sie zulassen«, bat er, »daß ich nach meinem Schuldbekenntnis mich nunmehr rechtfertige? Nicht vor Ihnen; Sie hätten mir viel zu verzeihen. Aber ich war als – Moralist, sage ich mit Vorbehalt, nicht immer unglücklich. Was Sie gütig anhören werden, betrifft keine Frau. Wir sollten uns setzen« – mit anmutigem Wink seiner Hand.

Diesmal bestimmte er selbst, wieviel Raum auf dem Kanapee jeder einzunehmen habe. Er konnte die Arme bewegen, oder sich vorbeugen, unter Umständen nach einem Partner, der in Wirklichkeit abwesend war. Dies tat er alsbald.

»Eh!« machte er. »Lieber Freund Dorlenghi, auch wieder da?« Ihm antwortete niemand. Selbst sprach er weiter. »Mögen Sie schon lange von uns gegangen sein, die arme Tonietta lebt. Ihre einzige Oper, jedes Kind, bei uns zu Hause, kennt sie auswendig. Wer in der Laune ist, singt: Sieh, Geliebte, unser umblühtes Haus!«

»È morto giovane, poveretto«, erklärte er seiner Nachbarin, die keiner Erinnerung bedurfte. Bei seinem ersten Wort erblickte sie die alte Oper auf der Bühne, die überlieferte Dekoration des Bauernhauses, der Rosenhecken, der Lauben von lila Glyzinen, Tamburini in der Rolle des Matteo: die Arie, die er nannte, sollte einsetzen. Er unterbrach den Lauf ihrer Vorstellungen. Noch verweilen wir nicht bei dem umblühten Haus.

»Jetzt sagen Sie mir, wer von aller Welt, hier und anderswo, hat außer uns beiden die arme Tonietta gehört? So wenige Personen, behaupte ich, wie die Gioconda des Maestro Ponchielli, auch sie die Summe eines ganzen Lebens. Wir zu Hause singen sie auswendig.«

Er drückte sich aus, als wäre er selbst ein Mann von der Straße, der mitsingt, weil die Sonne scheint.

»Hier draußen bringt die übliche Radiomusik wohl eine, höchstens zwei Melodien. Niemand fragt, woher. Ich bin nicht stolz«, sagt er ohne Pause. »Dennoch, Italien hat noch Größeres als einen universalen Ruhm. Die unbekannten Meisterwerke meine ich. Jedem Kind Italiens geläufig, über die Grenzen nie hinausgegangen.«

»Schlimm für uns andere«, sagte sie, ohne viel daran zu denken. In ihr sang es: Sieh, Geliebte, unser umblühtes Haus – wie er mit Sicherheit annahm. Ihr Leid ergoß sich in unverbindliche Worte, in Töne, viel zu sehr Träumen gleich, als daß man von ihrer Art eine Forderung hätte an sein wirkliches Erleben.

»Nicht schlimm.« Er beharrte auf seinem Selbstgespräch. »Aber für uns Landsleute der Meister ein wahrer Grund, sie ganz unser eigen zu nennen. Dem Maestro Mascagni sagte ich: Wie stolz sind wir auf Sie, wie stolz auf Italien! Alle Sänger der Welt gebrauchen unsere Sprache, alle singen seit fünfzig Jahren die berühmteste Ihrer Opern.«

»Nur die eine«, sagte sie und schien zu erwachen. »Der erstaunlichste Fall. Warum nicht ›Le Maschere‹?« fragte sie mit einem Anfang von Teilnahme.

»Dasselbe erwiderte mir der weltbekannte alte Meister, dem sie eine vollkommen glückliche unter seinen italienischen Opern nirgends spielen. Ich erklärte ihm: Halten Sie denn das Herz der Welt für unbegrenzt? Nur Ihres ist nie erschöpft. Sie eroberten die Welt, und haben auch noch hervorgebracht, was nur uns gehört, uns für immer. Das reichste der Länder ist unser, von den Künsten die allgemeinste, die unsere eigenste bleibt. Wir haben des Vollendeten zu viel für eine weite Welt.«

»Er verstand Sie wohl?« Nicht nur mit Teilnahme gefragt, auch mit Ironie.

»Ich sah Tränen in seinen alten Augen«, gestand er, und schnell weiter: »Cosa vuole. Tanti capolavori! Kam aber nie hinaus über die eine Oper, Spielzeit nur eine Stunde. So beschränkt ist auch ein großes Leben. E noi?«

Und wir? Daraufhin hatte all sein Reden gezielt: es zeigte sich nun. Merkwürdig, es verwundete sie nicht, es war der Schlag nicht mehr, der es wenig früher gewesen wäre. Wir mögen aus uns fortverlangen, wir haben endgültig nur dies eine Geschick, das wir selbst sind, außen und innen, von den Fingernägeln bis zum Geschlecht. Nichts kann meine Haut ändern, niemand mich in ein neues Leben führen, kein Tamburini in das umblühte Haus.

In diesem Augenblick sang er pianissimo an ihrem Ohr: Sieh, Geliebte, unser umblühtes Haus!

Sie bemerkte, daß er aufrecht stand, in schwebender Haltung, schon zum Abschied gewendet. Die schöne Melusine lauschte ihm wie ein Kind, glänzende Augen, halb offener Mund. »Sehr schön. Sehr grausam«, sagte sie, als es aus war; aber sie lächelte, dankbar und blaß.

Er öffnete ihr die Tür; das heißt, daß seine Hand sie vor ihr geschlossen hielt, sekundenlang, genug, um an ihrer Schulter hin zu sprechen:

»Heiraten Sie Ihren Geschäftsfreund, den man Arthur nennt!«

Sie ging durch die Tür, die er losließ. Sie sah sich nach ihm nicht um. Sein Abschiedswort scheint sie kaum überrascht zu haben.

Unten, draußen, war seither viel erloschen, abgestellt, untergegangen. Bogenlampen, Scheinwerfer, Leibwachen; Portiers, die nach Wagen rufen, rüstige Geheime, die scharf aufpassen; Getränke für die Chauffeure, Straßenmädchen, Faltern gleich in das weiße Licht geflogen, und welcher sonderbaren Passanten man sich noch erinnern mag: alles dahin. Aus die Festbeleuchtung; die einst bedeutenden Ausläufer des Festes, wie es sogar noch die Straße eingenommen hatte, überdacht nunmehr vom herangrauenden Geschäftstag.

Eine einzelne Frau bestieg ihr Automobil, schlechthin das letzte. Auf dem Trittbrett wendet sie sich halb rückwärts. Sie wollte jemand nach Hause fahren.

Wo ist er?


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