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7.
Die Lebenden

An diesem Abend hatte Arthur, zu Ehren seiner Gäste, einen roten Frack angelegt. Er empfing sie am oberen Rande der großartigen Treppe, die frei zu schweben schien. Ihre Sockel, vom Beginn bis zur Mündung je zwei und zwei einander gegenüber, waren mit vielarmigen Leuchtern besetzt. Personen, die sich gern Rechenschaft ablegten, zählten die Kerzen. Vergebens, zu einem sicheren Ergebnis kam man nicht.

Gemäß der Bedeutung jedes einzelnen ging der Hausherr ihnen höchstens sieben, mindestens die erste der Stufen entgegen. Die Künstler begrüßte er ohne Platzwechsel, aber herzlich. Immerhin machte er Ausnahmen, für den Tenor Tamburini, der drei Stufen bekam, und bei der Ankunft der Sängerin Alice, als er bis auf den Absatz hinunterstieg. Übrigens hatte sie dort Stellung genommen und ihn ins Auge gefaßt. Ihr auch den Arm zu reichen, dahin bekam sie ihn nicht.

Dies war der Fürstin Babiline vorbehalten. »Fürstin Anastasia!« rief Arthur entzückt und erregte wirklich die Neugier aller Angesammelten. Er lief die ganze Treppe abwärts, um Madame Babiline hinaufzugeleiten. Über das Geländer gelehnt, bestätigten Bankier Nolus und sein Nachbar einander ihre gesellschaftlichen Kenntnisse.

»Sie ist echt. Eine der letzten grandes dames der Vorkriegszeit.« Der zweite Herr, ein lebenswichtiger Kriegsindustrieller, erfreute sich eines scharfen Gehörs. Noch unterwegs, fragte die Fürstin:

»Es ist abgemacht? Ich werde die Carmen singen?«

Der Impresario beruhigte sie: »N'en doutez pas, Madame. Der Intendant stirbt vor Ungeduld, Sie zu hören.«

Zu dem Geldhändler sagte der Lebenswichtige: »Es wird Zeit für sie mit Carmen. Welches Alter geben Sie ihr?«

»Alter, gar keines«, erwiderte Nolus. »Aber die Mittel, ihre Launen zu bezahlen.«

Der Kriegsindustrielle wurde nachdenklich: »Ich fange an zu begreifen, wie heute, trotz den lebenswichtigsten Forderungen, ein neues Kunstinstitut noch Platz findet.«

Nolus, der inzwischen andere Bekannte bemerkte, widmete diesem hier noch einen letzten Gedanken: »Auch Sie, verehrter Massenmörder, werden nächstens die Gelegenheit ergreifen, mit Begeisterung Ihre blutigen Dividenden an die Kultur abzustoßen. Sie sind für unser Opernhaus der geborene Gastgeber.«

Der Präsident eines Trustes gediegener Waffenfabriken sah dem Bankmann nach, er dachte über ihn: Zwei Paar neue Schuhe täglich, so weit ist er in seinem verzweifelten Geltungsbedürfnis. Wie lange kann es mit ihm noch dauern? Traurig zu sehen, wie jemand sich schon auf Weib, Wein und Gesang verläßt! Das Jahrhundert gehört den Männern!

Wenn jeder der beiden Herren die Gefahren des anderen richtig beurteilte, trat die nächste doch für den Industriellen ein. Er geriet an eine Filmnutte, der es beschieden war, unter seinem Schutz ein Star zu werden. Arthur, im roten Frack, entwickelte schon hier die Anfänge seines Planes mit diesem Paar.

Immer die Fürstin am Arm, begab er sich durch die getäfelte Halle in den Festsaal: weiß-golden, Bündel von Kerzen vor allen den hohen schmalen Spiegeln. Rote, sehr niedrige und breite Sofas lagen zwischen den fünf Fenstern, deren Vorhänge als Wolken hinanschwebten. Droben schimmerten und verschwammen sie, vermöge einer indirekten Deckenbeleuchtung, die übrigens das schmeichelhafteste Geriesel auf die ganze Gesellschaft verteilte. Noch dazu war es drehbar.

Bedeckt mit kreisenden Sternchen und in schweifende Strahlen mild eingewoben, bewegten sich, als wär's ihr heimisches Element, die Industriellen der verschiedenen Ränge und Befehlsgebiete, bei den Möbeln angefangen bis hinauf zum Stahl, wo schon die Staatsautorität ihr sympathisches Gesicht zeigte, ungerechnet, daß es ehern ist.

Der Veranstalter des Abends verschönte alle diese Gestalten der öffentlichen Macht durch seine Lichteffekte; er glättete ihre härtesten Ecken und täuschte auf stumpfen oder grausamen Mienen etwas von Wohlwollen und Freude vor. Das wesentliche aber: Arthur setzte sich selbst instand, ihnen jeden gebührenden Respekt zu widmen. Eine gemäßigte Ironie behielt er sich vor. Dennoch fand er den obersten Gebieter des Konserven-Konzerns bedeutend genug, daß er einen Augenblick damit umging, ihm die Babiline anzuvertrauen. Einmal mußte er sie doch loswerden.

Sie selbst entschied anders. Unmerklich, vielleicht auch ohne Absicht, drückte sie seinen Arm. Er gab der seelischen Führung nach, viel mehr als der physischen. Plötzlich hielt sie vor dem Tenor Tamburini, der es nicht anders erwartet hatte. »Fürstin«, sprach er kostbar aus, womit die gegenseitige Vorstellung überflüssig wurde. Wer weiß wo in der Welt mußten sie einander längst begegnet sein.

Arthur trat sogleich zurück. Diese beiden machten, allein in der ungefähren Mitte des Saales, die merkwürdigste Figur: sie, die große Dame der anderen Zeiten und von demgemäßem Wuchs, er um zwei Köpfe kleiner, zwischen den Schultern einen bescheidenen Höcker. Der hohe Herr war dennoch er. Mit der schönen Hand eines Verwachsenen deutete er seine gnädige Gesinnung an. Sie beugte wahrhaftig das Knie, ein unvollendeter Hofknicks.

In seinem Stilgefühl befriedigt, wurde der Impresario andererseits von Sorge berührt wegen der Gage des berühmten Sängers. Was sie zahlt, um die Carmen geben zu dürfen, beinahe dasselbe wird es kosten, daß der andere die Zähne öffnet! Er behielt nicht Zeit, sich schweren Gedanken hinzugeben: Künstler und Künstlerinnen bemächtigten sich seiner.

»Meister! Professor!« riefen sie durcheinander. »Mir haben Sie wieder einmal nicht Wort gehalten! Im Badezimmer hörte es sich anders an!« Alle waren geräuschvoll aus Überzeugung, jeder einzelne glaubte seine Stunde gekommen, sein Stern als hellster stand im Zenit über dem Opernhaus, das erst noch finanziert werden mußte. Der Unternehmer ließ sich nicht einfallen, sie aufzuklären.

Er suchte die beiden kräftigsten der jungen Männer aus, um sie aufeinander zu hetzen. Er behauptete, der eine habe den halbausgefertigten Vertrag des anderen an sich gebracht, gegen den Bürobeamten sei er tätlich geworden. Obwohl ungenau, genügte die erste Lesart, die Mitbewerber verwickelten sich in gegenstandslose, aber heftige Abrechnungen. Die übrigen ergriffen für und wider Partei, die Berufsehre wurde angerufen. Das betraf nicht Arthur, er schied aus.

Aber auch die Schar der Künstlerinnen, seine preisgekrönten Nutten, wie er sie nannte, waren uninteressiert an Ehrensachen. Sie verfolgten ihn: »Professor! Ich habe meinen Klavierspieler mitgebracht. Du läßt mich natürlich auftreten, heute abend, vor dem reichen Publikum!«

»Sonst ist es zwischen uns aus!« drohten auch gleich eine zweite und dritte.

»Hier stinkt es nach Geld«, bemerkte gelassen eine aufgeschossene junge Person. Sie erschien, gegen ihre überaus lebendigen Kameradinnen gehalten, müde und bleich. Eine studierte Blässe hob die Wirkung der gemalten Augen, ihrer Gleichgültigkeit, die schamlos war, und des ungeheuren Mundes. Seine gepolsterten Lippen forderten den Vergleich mit den breiten roten Sofas heraus. Die Haltung der Person war nachlässig mit Vorbedacht. Sie zeigte geschickt den Gegensatz ihrer schmächtigen Hüften und des großen Busens. Die gewölbten, schmalen Schenkel wurden um so länger, je weniger sie ihre gepuderten Schultern aufhob.

Frauenkenner Arthur unterschied in der gespielten Gebrechlichkeit eine außerordentliche Kraft, auf der Lauer nach dem ergiebigen Opfer. Dieses war zur Stelle, kein anderer als der lebenswichtige Kriegsindustrielle begehrte aus einiger Entfernung, noch unentschlossen, aber heiß, nach der richtigen Verwendung hier auf verlorenem Posten. Sie sollte ihm zuteil werden. Wenn sogar ein Dritter genaue Einsicht nahm in seinen Zustand, dann hatte die Circe selbst ihn längst heraus, und ihre Unwissenheit war List. In Wirklichkeit setzte sie alles, worauf es ankam, seinen getrübten Blicken aus.

Der unerbittliche Machthaber über Schicksale, die er nicht zählt, nicht kennt, begegnet endlich seinem eigenen: es wird gnadenlos sein. Noch weiß er nicht, daß er in seinem dunklen Innern mürb und reif geworden ist, seine edle Gemahlin zu verlassen, sie selbst mitsamt ihren Überlieferungen, die bald achtzig Jahre zurückgehen bis zu den angeschwärzten Vorfahren auf Kohlenkähnen und noch jetzt bei der umfassenden Kontrolle des Bergbaues keineswegs haltmachen. Die Familie und ihren ruhmreichen Stammbaum, den homosexuellen Großvater, die Gunst eines Kaisers, alles soll er aufgeben.

Noch mehr, ein Komplex von Werken mit geradezu staatlichem Belang, worin Generäle und Präsidenten, auf dem Wege von Lieferungen im voraus bereichert, nach ihrer amtlichen Abdankung um so gewinnbringender weiterdienen, wird von dem gegenwärtigen Inhaber verraten werden an eine Circe aus dem letzten Hinterhaus. Überzeugter Anhänger der individualistischen Wirtschaft, die ihm das Abbrennen der Welt, ja die Entzündung der Luft und Vernichtung des organischen Lebens wert wäre, wird er dennoch versuchen, seine Söhne zu enterben, Freiherren wie sie sind, Ehrendoktoren und Rittmeister a la suite, wie sie heißen.

Dies alles wegen einer Nutte. Es scheint unfaßbar, aber sowohl der Impresario wie seine Künstlerin erkannten in dem fiebrigen Leidensgesicht des Opfers jeden fabelhaften Fall, der eintreten konnte. Die Künstlerin war hierin die Größere. Erstens hatte sie dem Industriellen noch kein Blinzeln vergönnt: sie sah und dachte mit ihrer Linie, auf ihre Art dachte auch die rückwärtige, je bildhafter sie heraustrat infolge nachlässiger Haltung. Ihr Körper, mit eingeschlossen das weiße Profil, Nase gewöhnlich, Mund aufgeworfen, war sich bewußt seiner Zwecke und Macht: Den bekomm ich. Mit dem mach ich, was ich will.

Die Einsichten Arthurs hatten ein geringeres Verdienst, er war ohnedies unterrichtet über die Lage eines sonst Lebenswichtigen, den neuerdings der Staat nur zum Schein noch anerkannte. Staatskapitalistisch drang man bei ihm ein, seine Arbeiter waren verstaatlicht, im Aufsichtsrat saß der Staat, die Aufträge erteilte er sich selbst; er füllte die Kassen und leerte sie wieder. Wie lange noch, er enteignete den Betriebsleiter.

Der Gealterte, so meinte der hiesige Gastgeber, hängt krampfhaft an der Illusion seiner Unentbehrlichkeit; bei dem Mägdelein ist dasselbe Gefühl gesünder. Mit den Machthabern überworfen zum mindesten im Gemüt, in der Falle wie ein Fuchs, beißt er sich schließlich einen Fuß ab und entkommt. Die Flucht nach dem Ausland, zu seinen geretteten Millionen, beschäftigt ihn zeitweilig als eine Versuchung des Bösen, an den er nicht glaubt. Ungläubig mag er bleiben, unterliegen wird er doch. Nein, diese Preisnutte behalt ich nicht lange: er nimmt sie mit, zuerst nach seiner Residenz, so viel ich weiß, aber fürderhin zu Abenteuern, die er selbst in seinem hohen Dasein bis jetzt nicht ernstlich vermutet.

Nur seine zarte Verderberin, Arthur war dessen versichert, traut sich dies und noch mehr zu; wird alles mit Glanz überstehen, und wenn es vorbei ist, sich nie gewundert haben. Wozu übrigens? Den Zufall schafft sie nicht, und jeder ist ihr recht. Wäre sie dem kalten Gebieter vor sechs, acht Monaten begegnet, er hätte an ihr vorbeigesehen und sie an ihm. Er war nicht reif, ihr hinterer Teil hätte ihm eine plastische Geringschätzung erwiesen, anstatt daß er ihm nunmehr Hoffnungen macht. Sie liefert genau den Vorwand, den er braucht, um Ordnung und Gesetz zu verlassen; ein outlaw, distinguierter Paria, wenn nicht sogar das harte Wort Emigrant demnächst auf ihn zutrifft. Bewahre jeden die Gnade! Ich fürchte, hier bleibt sie unbeteiligt.

Arthur! Wer wird denn philosophieren? Indessen verzögerten seine Betrachtungen um keine Sekunde, was er zu tun hatte. Arthur denkt nur, wenn er handelt. Seinen roten Frack berührten von allen Seiten die Weibchen, denen er helfen sollte, angeblich um zu singen. »Helft erst einmal mir!« sagte er.

Die Bedienung bestand aus vier gemieteten Kellnern, unter dem Befehl der hübschen, aber flüchtigen Nina. Sie verlor den Kopf gleich anfangs, als nur Erfrischungen zu reichen waren. Später, zu der Stunde des großen Büfetts, sollte Nina sich wiederfinden. Eines Beistandes bedürftig, suchte sie in den umliegenden Räumlichkeiten nach André, der nicht da war. Um so schlechter arbeiteten die vier Lohndiener, beansprucht oder »gehandicapt«, wie sie es selbst nannten, von ihrer Livree. Für die außerordentliche Gelegenheit waren sie kostümiert als die Lakaien eines Granden, den man sich vor zweihundert Jahren verblichen dachte. Ihre Perücken streuten Puder auf die Bretter mit den Getränken, Sorbetts und Konfitüren, was alles in ihren Händen bebte, denn die groben weißen Handschuhe paßten nicht.

Die jungen Freundinnen des Hausherrn mögen die nützlichsten Mitglieder der Gesellschaft sowohl erfrischen als anregen: der Herr des Hauses belehrte sie dahin sachlich und ohne Augenzwinkern, sie verstanden ihn aufs Wort. Schon schwirrten sie ab und verteilten ihre angenehmen Gestalten über den Festsaal, der sich zusehends mit Gästen füllte. Auf sein leises Zeichen blieb nur die Auserwählte des Geschickes bei Arthur zurück.

Er flüsterte mit durchaus nichtssagendem Gesicht: »Wir wissen Bescheid und meinen denselben. Er will Geld loswerden, deshalb ist er hier. Er will soviel wie möglich seinen Nachfolgern entziehen; Erklärungen führen zu weit. Du begreifst, daß niemand zum bloßen Vergnügen herkommt, auch dieser nicht ausschließlich deinetwegen.«

»Jetzt hat er mich entdeckt«, stellte sie ruhig fest.

»Sehr wahr. Aber wer mußte dich vorher entdecken? Oh, keinen Dank!«

Sie dachte gar nicht an den Dank, den er ablehnte. »Was kann ich für dich tun?« fragte sie nachlässig,

»Für dich selbst«, berichtigte er, ernst und kühl. »Veranlasse ihn, das Opernhaus zu finanzieren! Er muß einen völlig wahnsinnigen Betrag zeichnen.« Die Zahl wurde nahezu unhörbar ausgesprochen. »Danach«, betonte Arthur, »du bist ein nüchternes Mädchen, danach bemessen sich die geldlichen Ausschweifungen, die er für dich begehen soll.«

»Am Anfang muß er sich vormachen können, daß er die Kunst aushält und keine Nutte«, versetzte sie klar.

»So anstandslos würde ich es nicht ausgedrückt haben«, gab Arthur zu. »In Wirklichkeit bin ich ein Kunsthändler, nicht das andere, worauf du anspielst. Deinerseits wirst du das ganz große Geschäft als Künstlerin machen. Ein Bettel und nichts weiter entfiele auf eine poule de luxe.«

»Was ist das?« wollte sie wissen.

»Preisnutte«, übersetzte er. »jetzt geh und nimm meinen Segen! Mach aber Umwege! Laß ihn sich nach dir verzehren!«

Sie hatte schon gewendet. Ihre Rückseite war nicht mißzuverstehen, sie sprach: Bist du dumm, alter Mädchenverkäufer, mit deinen überflüssigen Ratschlägen!

Wenn immer alles planmäßig verliefe im Krieg und Leben! Eine Häßliche hatte das Gespräch belauscht. Das häßliche junge Entlein, begabt wie es war, kannte gleichwohl seine Bestimmung, nie ein Schwan zu werden. Keine Verführung stand ihm zu Gebot, auch in seiner großen Stimme keine.

Nun kommt viel auf das Zeitalter und seine Übungen an. In einem milden, das nach allgemeiner Übereinkunft mit der Armut die Ehrbarkeit verbindet, würde die arme Häßliche den Kopf gesenkt und sich verborgen haben. Dagegen jetzt und hier, oho! Sie nahm den Kampf auf. Mit dem Tablett, das sie einer anderen entriß, begab sie sich stracks zu der lebensnotwendigen Rüstungsindustrie.

»Baron Sowieso«, redete sie ihn an, »ich habe eine wichtige Information. Sie betrifft die Dame, an die Sie denken.«

Da er sein Glas Champagner wieder hinsetzte, es wäre ihm aus der Hand gefallen, kam der häßlichen Kleinen erst ihre ganze Dreistigkeit. Sie forderte für sich einen Betrag, der stumm bewilligt wurde. Hierauf verriet sie, mehr oder weniger wortgetreu, das Komplott des Agenten und seiner reizenden Mitverschworenen. Aus eigenem tat sie hinzu, daß die beiden ihren Geldgeber verhöhnt haben sollten, was er ihr nicht glaubte. Ein Reicher wird nicht ausgelacht. Seine Gelüste, was sie ihn auch kosten, sind achtbar.

Eher fürchtete der Lebenswichtige die weitere Angabe der Häßlichen: daß seine Begehrte ihn verachte; persönlich habe sie es auf den weltbekannten Automobilfabrikanten abgesehen; ihr Traum sei, zehn Wagen zu besitzen. Der Agent habe es schwer gehabt, sie zu überreden. Dies fand der Kriegsmaterialienhändler wahrscheinlich: mit Tanks war dem Götterweib nicht gedient. Er sah ein, daß er in seinen Zugeständnissen werde weit gehen müssen.

Die Häßliche hatte auf dem Gebiet der Seele falsch gerechnet. Mit ihrer Provision zog sie ab. Ihrer beneideten Kameradin war deshalb nicht geschadet, höchstens dem Opernhaus. Auch diese Beeinträchtigung ließ sich allenfalls ausgleichen, gesetzt, die Auserwählte des Geschickes hätte die Lehren Arthurs beherzigt. Sie wird ihre Reize um so klüger verwenden müssen, ist auch schon gewappnet, denn natürlich sind die Machenschaften der Häßlichen ihr nicht entgangen.

Unterwegs zu ihrem vorbestimmten Opfer trat sie der Feindin auf den Fuß und gebrauchte ihren Ellenbogen derart, daß alle Erfrischungen zu Boden flossen.

»Was willst du?« erwiderte die Häßliche. »Ich habe weder Vater noch Mutter.«

Wer auf den Ausbruch eines Faustkampfes gehofft hatte, wurde enttäuscht. Die Damen entfernten sich in entgegengesetzten Richtungen.

Eingetroffen waren, wenn man sich umsehen wollte, genug der fesselnden Erscheinungen: gleich anfangs die Sängerin Alice, aber sie zog weiter die Blicke auf sich. An öffentlicher Beglänztheit war sie nur vergleichbar den Präsidenten der Möbel, Schuhe, Autos und Konserven. Ernste statistische Forschungen würden vielleicht ergeben, wer das größere Publikum hat, wen Presse und Radio mehr verwöhnen, alle Präsidenten zusammen oder die einzelne Sängerin Alice.

Kürzlich angelangt war die, mehreren Generationen vertraute, Schönheit Barber. Ihr erster Blick fiel auf die Sängerin Alice. Auch sie entdeckte Melusine sogleich, und die Damen grüßten einander mit den Augen. Eine Annäherung unterblieb.

Neben einer Mutter wie dieser, in der paillettierten Robe, mit dem prachtvollen Ausschnitt des Rückens, konnte Stephanie weniger Beachtung verlangen. Sie tat es auch nicht. Sie begnügte sich, einfach ihre schlanken Füße zu setzen, ihr klares, gar nicht weiches Gesicht in die kreisende Beleuchtung zu halten; und da sie vom Schimmer der Sternchen und Streifen um keinen Preis verführerisch werden wollte, vermied sie es wirklich. Jungfräulich – geht das jetzt wieder? bemerkten, jeder für sich, die älteren Herren.

Stephanie selbst nahm zur Kenntnis, was schwerlich zu übersehen war. Der verspätete André machte von hinten her eine Schleife, um ihr nicht zu begegnen. Sie war einverstanden; aus Gründen, die sie nicht aufklärte, wäre auch sie ihm ausgewichen. Das kommt oder kommt nicht. Greifen wir nicht vor! sagte beiden, André und Stephanie, ihr Gefühl, damit ließen sie es gut sein.

Melusine zu empfangen beeilte sich Arthur, aber sein Eifer war unauffällig. »Alles in Ordnung«, raunte er, während er ihre erhobene Hand zu küssen schien. Ihr Armband, dieses unvergleichliche Stück, blitzte ihn dermaßen an, daß er die Augen schloß. Die Hand der Tochter schüttelte er derb, wobei er nicht verfehlte, das Innere leicht zu kitzeln. Hiervon nahm Stephanie nicht Kenntnis.

In aller Kürze unterrichtete er die Banquière von seinem gelungenen Manöver mit dem Kriegsindustriellen. Tatsächlich durfte er es als geglückt betrachten: auf einem der niedrigen roten Sofas saßen, mehr oder weniger einverstanden, der Lebenswichtige und seine nachlässige Verderberin. Die Mühe, die er ihr etwa machte, war ihr nicht anzusehen. Sie behandelte ihn wie einen Jüngling, den sie einweihen mußte. Nur zu gern ließ der Unglückliche es geschehen.

Stephanie wohnte unbeteiligt der Beratung ihrer Mutter bei. Ein einmaliger Seitenblick zeigte, daß sie Melusine nachsichtig bedauerte. Sie lächelte dabei, ernste Warnungen kamen nicht in Frage, die Tochter hielt dergleichen für vergeblich.

Arthur, im Schutz des Stimmengewirrs ringsum, warf schnell hinzu: »Er zeichnet jeden Betrag. Alle anderen bekomme ich daraufhin in einer einzigen Konferenz.«

Melusine sagte müde, aber die Müdigkeit konnte erkünstelt sein: »Ganz schön. Was unsere Garantieleistung betrifft.«

Er unterbrach: »Wie die Dinge mittlerweile stehen, sollen Barber und Nolus nichts garantieren. Das war vor meiner geglückten Operation.«

»Deine?« fragte Melusine, noch deutlicher ermüdet. »Die übertrieben gewöhnliche Person dort drüben geht unabhängig vor. Du traust ihr!«

»Gleichviel!« Arthur verlor die Geduld. Schwierigkeiten ohnegleichen überwinden, und jetzt auf nichtige Einwände stoßen! »Die Bank kassiert nur ein, ohne eigenes Risiko, daher mit herabgesetzter Beteiligung.«

»Ich hör es gern«, sprach Melusine, unverhohlen ironisch. »Da ist nur Nolus. Er lehnt das ganze Geschäft ab.«

Mit Recht mißtraute Arthur der Behauptung; sie sollte ihn unter Druck setzen, in jedem anderen Betracht fand er sie unbegründet. Nolus selbst, obwohl in Gesprächen begriffen, hatte fortwährend ein Auge auf ihn und seinen roten Frack mitsamt der paillettierten Dame. Sie bildeten allerdings ein beachtenswertes Paar.

Stephanie sah voraus, daß sogleich auch der Bankier zu ihnen stoßen werde. Sie trat selbständig ihren Weg an, geriet aber nach wenigen Schritten in die Einflußsphäre einer Persönlichkeit, der man nicht einfach entgeht. Wer über Häuser springt! Wer unwillige Zahler gleich niederboxt!

Poulailler war schlechthin der eleganteste Mann dieses weitläufigen Empfanges von Kunst, Finanz, allen ihren Abarten, mit eingerechnet die Macht des Geschlechtes und die dreisten Habenichtse. Die hier vertretene Welt schien eigens für ihn erschaffen, eine solche Figur machte Poulailler. Weder groß noch klein, trug er auf Schultern von natürlicher Breite und verschmälertem Untergestell seinen Abendanzug, als wär er mit ihm geboren wie mit seiner Haut.

Stephanie, die gewitzten älteren Herren hätten es den Instinkt der Jungfräulichkeit genannt: sie glaubte es ihm nicht. Sie glaubte Poulailler weder dies noch das, sondern dachte ihn sich in Ballonmütze und Pantoffeln, des Nachts an einer Straßenecke. Die Verwandlung wäre kaum eine gewesen. Das Gesicht darf bleiben wie es ist, derselbe muskelstarke Hals, der dünne Strich des Bärtchens über dem roten Mund, der nur wenig verzerrt werden muß, um grausam wie die süßen Augen zu sein.

Er bot Stephanie seinen Arm an, wie ein anderer es gemacht hätte, nur daß gerade die anständige Bewegung gegen ihn zeugte: ihm stand sie nicht an. Stephanie nahm den Arm, damit Poulailler sich nichts einbildete. Die Frage war, wohin er sie zu führen plante: vorn in das längliche Eintrittszimmer und die Halle, seitlich nach der Konzertbühne, wenn nicht vielmehr zu den Räumlichkeiten gegenüber. Intimer beleuchtet und weniger besucht, erhielten gerade sie von dem Kavalier den Vorzug.

Sie blieb rechtzeitig stehen. »Nein«, sagte sie. Er war in anschaulicher Art betroffen, mit dem Finger deutete er auf seine Brust. Sie lachte ihn aus. »Sie geben vor, daß wir uns kennen. Es ist so wahr wie das übrige. Ich habe nicht geleugnet, daß Sie mir gestern begegnet sind, wenn auch in einem verwilderten Zustand.«

»Angeregt«, verbesserte er. »In heftiger aber glanzvoller Tätigkeit!«

Sie stimmte bei. »Sie strahlen immer und handeln schnell. Fehlt nur ein menschenleeres Schlafgemach, schon wäre ich gefesselt, geknebelt und im Schrank versteckt, bis Sie Gelegenheit fänden, mich über See zu verkaufen.«

»Nach allem, warum nicht?« fragte er. »Sie sind hier eine der klügsten Personen. Nicht wahr, die ganze abgetakelte Gesellschaft genießt einzig noch unsere Hochachtung. Wir sollten in Kompagnie treten: die Jungfrau und –«

»Der Hochstapler«, vollendete sie. Er wendete ein, daß dieser Begriff der Literatur angehöre; das Leben sei mehrdeutig. Hierbei verwies er sie auf die niedrigen roten Sofas in ihrer Nähe, mit der richtig gepaarten Besetzung: Rüstungskapitän und Nutte, große Dame, vergangen, großer Sänger, verwachsen.

Seine Absicht war, daß sie mehr bemerken möge als nur dies, und wirklich konnte sie nicht länger umhin. Ihre schöne Mutter hatte die beiden Geschäftsfreunde einander überlassen, soeben traf sie im Musikzimmer, du glaubst es oder glaubst es nicht, mit André zusammen. Melusine war es, die von hinten seine Schulter berührte.

Stephanie dachte: Alles in Ordnung. Gleichwohl drehte sie sich einmal um sich selbst und wußte für den Augenblick durchaus nicht wohin. Hierauf stürzte sie in das erstbeste Gedränge. Der abgeschaffte Poulailler verzerrte den Mund, genau wie sie es erwartet hatte. Aber er war schon vergessen.

Zu Nolus sprach Arthur: »Meinen Glückwunsch, lieber Freund! Ein Geschäft wie dieses bekommt auch der genialste Kaufmann nur einmal in die Hände.«

Der Bankier versuchte zu zweifeln: »Genial, das bin ich, aber die Hände sind Ihre.«

»Ganz recht«, bestätigte Arthur. »Ich allein konnte alle Umstände wahrnehmen, die abweichenden Interessen vereinigen: Finanz, Kunst und was Sie sonst noch auf einem Haufen sehen.«

»Ich sehe Hereingefallene«, probierte Nolus behutsam. Daß er nur der Mann der täglichen neuen Schuhe blieb! Etwas verschroben, aber harmlos. In Wirklichkeit war er entschlossen, diesmal kein Verlierer zu sein. Es wurde Zeit, seine Verhältnisse zu ordnen, am einfachsten als Tourist. Er dachte sogar an Übersee.

Unter diesen Verhältnissen war das wenigste, daß er Arthur reden ließ: »Sie sehen keine Gesellschaft von aigrefins und poires. Was Sie erblicken, ist das Jahrhundert!«

So der kühne Anlauf des Agenten. Der künftige Weltreisende nickte ein stilles Meinetwegen.

Der Agent rief: »In der Tat, das Jahrhundert!« Er wurde im folgenden laut genug, daß eine Umgebung sich versammelte. Er hatte nichts zu verheimlichen. Das neue Opernhaus, materiell so gut wie gesichert, erhielt nunmehr als obersten Zierat seine sittliche Verklärung. Nur hereinspaziert. Niemand sitze auf seinen Ohren!

Der Form wegen an Nolus gewendet, redete Arthur für eine Welt, die nur gehandhabt werden will. Seine Festigkeit und Begeisterung wurden von der Übung um so echter.

»Sie als Finanzier, sind auf die Kunst persönlich angewiesen, sind ihr wesentlich verbunden. Sie werden immer nur gedeihen und blühen in einem Jahrhundert, das sich achtet. Hier, der Schwarm berühmter Namen und der Namen, die ich berühmt machen werde, rechtfertigt das Jahrhundert, das es, wir wollen ehrlich sein, sehr nötig hat. Die ausgelassene Menschheit dieser Zeit würde sich überhaupt nicht mehr schämen. Das Sterbebett der Kultur ganz allein gemahnt sie an den letzten Rest von Anstand.«

Arthur ertappte sich auf rednerischen Ausschweifungen; es bedurfte seiner erhöhten Kraft, sie zum Guten und Erlaubten zu wenden.

»Wir insgesamt, gesicherter Reichtum, unvergängliche Schönheit und ein Können, das jedes Zeitalter in die Schranken fordert, was sag ich, das Bollwerk sind wir gegen die Barbarei. Keine Übertreibung, aber können Sie sich geschäftliche Transaktionen mit Wilden vorstellen?«

»Je nachdem«, sagte vom Sofa her die reizende Künstlerin, die den Kriegsindustriellen gezähmt hatte.

»Ich«, rief Arthur befeuert. »ich bewahre meine Zeitgenossen vor dem Menschenfressen! Das macht meinen Beruf ehrwürdig. Das neue Opernhaus zu eröffnen, wird für jeden einzelnen unter uns, zu schweigen vom Ehrgeiz und Gewinn, ein Gegenstand ohnegleichen. Wie wir da sind, retten wir die Zivilisation!«

Er schloß, der Mund und die Augen waren ihm naß geworden. Eine Dame, leider die häßliche Kleine, warf sich ihm an den Hals. Aber alle anderen jubelten, klatschten in die Hände, und der Radio-Präsident drückte Arthur die Hand.

»Sprechen Sie das bei mir, gemildert natürlich. Meine Preise gehen Ihnen morgen zu.«

Nolus dankte mit den übrigen Hörern. »Kommt vom Herzen, geht zum Herzen«, sagte er. Bei sich sprach er mit einer Wärme, die er nur dem Redner verdankte: San Domingo ist auch eine Gegend.


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