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1.
Wochenende der Glücklichen

»Hier wird geparkt«, sprach der Vater zu dem Sohn. Das French Restaurant nannte sich »A la grande vie«, und überdies »Château«, wegen seines Türmchens, das eine Attrappe war.

»Es liegt zu bequem an der Landstraße«, sprach der Sohn zu dem Vater. »Kaum zwölf Uhr und schon kein Platz mehr zum Parken.«

Arthur erwiderte: »Laß das meine Sorge sein!« Schneller als er es sagen konnte, hatte er es getan, und sein Wagen stand in der Ecke unter dem Türmchen.

»Papa, hier drängst du dich absichtlich hinein«, bemerkte André. »So eng ist es nicht überall.«

»Kluges Kind«, rief Arthur fröhlich. »Du begreifst auch meine Gründe.«

Der junge André lehnte ab. »Ich soll nicht lunchen, wenn ich eine Ahnung habe.«

Er bekam keine Antwort. Sie waren nach der Front des Hauses gegangen und warfen einen Blick durch die große Glasscheibe. Gleich am Fenster saßen zwei Damen. Der nächste der vorderen Tische war frei, nicht gerade als einziger in dem Raum.

»Man hat uns erwartet«, murmelte der Vater.

»Wer?« fragte der Sohn. Aber er erfuhr es nicht.

Sie traten ein und setzten sich ohne Besinnen. Ebenso schnell war der maître d'hôtel zur Stelle, um zu melden, daß der Tisch reserviert sei. Arthur schüttelte ihm die Hand. »Das dachte ich mir schon, lieber Freund. Für Ihre besten Gäste, das sind wir.«

Der maître versuchte etwas einzuwenden. Aber es war ein so ansehnlicher Herr im kräftigsten Alter, der ihn auf die Schulter klopfte. Der Ton war sowohl vertraulich als gebieterisch. »Zuerst eine Flasche Pommery! Wenn Ihre Eiswasser-Gäste noch kommen, legen Sie unsere Gedecke hinüber zu den beiden Damen!«

Der Mann im Frack ließ es gelten. Er nahm anderswo drei Bestellungen an, bevor er dem sommelier – oder war es kein Weinkellner, hatte er doch eine rote Nase – den Champagner in Auftrag gab. Vater und Sohn betrachteten inzwischen die Speisekarte, spähten aber an ihr vorbei nach den beiden Damen. Diese teilten gleichfalls ihre Aufmerksamkeit zwischen den angebotenen Gerichten und den Herren, die offenbar Wert auf ihre Nachbarschaft legten.

Die Tochter las halblaut: »Steak, Küken, langweilig. Die Leute nebenan auch. Sie haben gedroht, daß sie uns belästigen wollen. Kennst du sie denn?«

»Bis jetzt nicht«, sagte ihre schöne Mutter.

»Arthur, ich durchschaue dich«, erklärte an dem anderen Tisch der Sohn.

»Endlich«, gestand sein Vater. »Ich hatte natürlich ihren Wagen erkannt. Du nicht?«

»Weder ihn noch die Damen«, behauptete der Sohn. Er setzte hinzu: »Und du kennst sie ebensowenig.« Denn er beobachtete, daß Arthur die reifere Schönheit mit den Augen zu grüßen versuchte und daß sie wegsah, auf die Straße, wo die Autos rollten. »Oder kennst du sie doch, dann nur geschäftlich, und sie ist mit dir nicht einverstanden, Arthur.«

»André, sei nicht so scharfsinnig«, verbesserte sein Vater. »Ich und Melusine sind ganz alte Freunde, aber nicht darauf kommt es an. Wechsle den Platz mit mir, mein Sohn, damit ich die Tochter sehe! Stephanie heißt sie.«

»Stephanie heißt sie«, wiederholte André. Aber er beeilte sich nicht. Die Damen waren schneller, sie vertauschten die Stühle. Als die Tochter schon auf dem anderen saß, widersprach sie der Mutter. »Nein, Melusine, das Licht hat dich hier nicht geblendet. Jetzt sehe ich auf den grünen Berg.«

»Und auf den Opernagenten«, ergänzte die Mutter. »Den mag ich nicht als Aussicht.«

»Lieber den Zwanzigjährigen. Immer dieselbe Melusine«, sagte das junge Mädchen nett und nachsichtig.

»Ein frisches Gesicht ist wirklich als Gegenüber vorzuziehen«, bestätigte die Mutter. »Findest du nicht?« fragte sie.

»Mir gleich«, versicherte Stephanie, eher nachlässig. »Kennt man sie erst, tritt das Alter zurück.«

»Du, die Männer kennen!« wendete ihre Mutter ein. Das Mädchen blieb dabei. »Einer ist wie der andere. Wir übrigens auch.« Sie ließ die Mutter reden.

»Du gehst in deiner Menschenkenntnis zu weit, mit deinen achtzehn Jahren.«

Die Tochter zuckte nur die Achseln. »Wenn ich deine fünfundvierzig haben werde –.«

»Man hört dich«, kam es scharf zurück.

»Fünfunddreißig. Was sagte ich?« Es klang unschuldig. »Verzeih, meine süße Melusine. Für den Sohn des Agenten war es nicht bestimmt. Der Vater ist fünfzig und viel stattlicher. Ich gefalle ihm, und du dem Jungen.«

»Kellner!« rief Arthur zum zweiten oder dritten Male. Gleichzeitig befahl auch Melusine: »Kellner!«

Hiermit hatten sie bis jetzt nur erreicht, daß der maître d'hôtel die entgegengesetzte Seite des Lokals besuchte. Da aber dort hinten nach ihm noch dringender verlangt wurde, entschied er sich nunmehr für die vorderen Gäste, die Herren zuerst. Arthur bestellte Kaviar und das weitere. André erhielt Zeit, die Schönheit, die er jetzt greifbar vor sich hatte, mit den Augen zu grüßen. Ihm erwiderte Melusine. Reizvolle Blicke wurden beiderseits genossen, bis der maître seine Sache besorgt hatte und zu den Damen überging.

»Arthur, wie weit bist du mit der Kleinen?« erkundigte sich der Sohn. »Sie hat es dir erspart, den Platz zu wechseln. Übrigens ist die Kleine größer als ihre Mutter, die mit mir flirtet. Es wäre gut zu wissen, wer sie sind. Du schweigst darüber?«

Die Auskunft wurde leicht hingeworfen. »Die Mutter ist Mitinhaberin des Bankhauses Barber und Nolus.« Unglaublich schnell kam hier der Eisblock mit dem Kaviar und unterbrach die Auskunft.

»Die Damen haben gewählt?« fragte der maître.

»Cocktails«, bestimmte Melusine.

»Für mich keinen«, sagte Stephanie um so gleichgültiger.

»Was nimmt man?«

Ihre Mutter wußte es. »Einen Salat, Tomatensaft. Eiscreme.«

Die Tochter suchte einen Anhalt. »Was essen sie an den anderen Tischen? Sie scheinen es gut zu finden.«

Der Vertreter des French Restaurant erklärte: »Le splendide appétit du prix fixe.« Das genügte, die junge Person willigte sogleich in den festen Preis. Sie waren wieder allein. »Du bist etwas zu bescheiden, arme Stephanie«, bemerkte ihre Mutter etwas zu spät.

»Warum arme Stephanie?« fragte die Tochter. »Ich muß noch keine Linie halten wie du. Ein Bankhaus wie deines werde ich auch niemals führen, oder es von einem Herrn Nolus führen lassen. Wir sind eine andere Generation.«

»Wer wir?« Melusine hörte nur halb. Sie berührte kaum den Salat mit Mayonnaise, Schlagsahne und Anchovis, der aufgetischt wurde. Ihre Eßlust erwartete Anregung vermittels der verführerischen Proben, die ihre erfahrenen Augen am nächsten Tisch nahmen. Entschieden nur die Zwanzigjährigen, das war ihre Meinung, und zwar unverkennbar. Nicht, daß sie gesprochen hätte; aber so ausdrucksvolle Lippen versteht man, sogar ein André, der gelassen dasitzt. Darum weiß er doch, daß er begehrt wird und daß es das Gewöhnliche ist. Er hat nur andere Sorgen, oder macht sich gar keine, weder diese noch sonst welche.

»Du hast es auf die Junge abgesehen?« fragte er ungläubig. »Arthur, ich durchschaue dich. Mit Vorbedacht hast du mich den üppigen Lockungen ausgesetzt. Du suchst eine Annäherung an das Bankhaus.«

»Falsch, mein Sohn.«

»Richtig, mein Vater. Alles spricht dafür: die Krise, in der sich dein Unternehmen befindet. Denn warum sollte es gerade jetzt nicht kritisch stehen. Die Bank wahrscheinlich desgleichen. Gerade darum könntet ihr zusammengehen. Jede andere Bank, jede zweite und dritte Agentur, musikalisch oder nicht, würden genauso gut aufeinander passen.«

Arthur gab zu: »Ich lasse mit mir reden. Meine Natur ist großzügig. Deine ist bequem, um nicht zu sagen, ängstlich. Nimm endlich zur Kenntnis, daß diese Zeiten etwas mehr verlangen als nur Talent. Das deine vermietest du einer Konservenfabrik und machst Plakate. Kannst du davon dieses Frühstück bezahlen? Nein. Wirst du es in drei Jahren können?«

»Es besteht Aussicht, daß dann nicht mehr gefrühstückt wird«, hauchte André. Auch Arthur sprach gedämpft, aber entschlossen:

»Verlasse dich auf meine Energie! Nichts kann sie bändigen.«

»Wir sind eine andere Generation.« Bei diesem Wort traf der junge André zum erstenmal in die Augen der jungen Stephanie. Sie hätten sich, wie ihre Stühle gerichtet waren, nacheinander umwenden müssen; indessen geschah es in dem Spiegel zwischen den beiden Tischen, daß ihre Blicke sich fanden. Merkwürdig ernst sahen sie aus, mit ihren hellen, leichten Gesichtern. Beiden fiel es auf. Sie gaben sich der Betrachtung hin. Der Jüngling unterbrach sie aus Anstand. Die Jungfrau vergaß zu erröten wegen der Kleinigkeit; ohnedies hatte sie natürlich Rot aufgelegt.

Sie wendete sich ihrer Mutter zu. Melusine rauchte, anstatt zu essen. »Mama, wie kommt es überhaupt, daß ihr euch nicht kennt?«

»Ich und der Agent? Ein großer Agent, der größte am Platz. Die größte Privatbank sind wir.«

»Strenge dich nicht an! In unserem Direktionszimmer sprechen sie laut, wenn ich tippe. Da höre ich, was alles wackelt.«

»An Barber und Nolus wird nicht gezweifelt«, sprach die Mitinhaberin fest. Ihre Tochter rührte es, wie Melusine in der Abwehr die Maske eines Geschäftsmannes annahm. Stephanie lenkte ein. »Ich habe niemand genannt.«

Sie streichelte der Mutter die Hand. »Du magst ihn nicht. Du mußt ihn genau gekannt haben. Du tratest damals als Sängerin auf. Dein Ruhm hat sich erhalten, die Bühnen vermissen dich.«

Die schöne Frau war gleich versöhnt. »Genau gekannt? Nicht, wie du denkst, keusches Mädchen. Bevor ich deinen Vater heiratete, vermittelte der Agent mir Verträge, es waren meine ersten, er hat es vergessen. Ich auch.«

»Oder ihr tut so.« Stephanie streichelte. »Damals wäret ihr arm, und wollt jetzt reich sein.«

Melusine lehnte die Wange an die Hand, aber vorsichtig, um nichts zu beschädigen. Ein herrliches bracelet begann zu funkeln. Ihrer Haltung gemäß äußerte sie ihre Träumereien. »Man ist nicht nur so jung wie man aussieht, auch so reich. Das einzige, was sich nicht nachmachen läßt, ist eine Stimme, die man nicht mehr hat.«

»Arme Melusine. Deine war himmlisch.« Aus echter Teilnahme verriet die Tochter, was sie von der Mutter hielt. »Der Alkohol, das Nachtleben, lauter Bedürfnisse und keine Zucht: so seid ihr.«

»Jedem das Seine«, sagte die einstige Sängerin. Nicht, daß sie widersprechen wollte; sie fügte sich, noch immer traumhaft, in Erfahrungen, die abgeschlossen und nicht zu ändern waren. Man vergleicht sie dann wohl mit der Summe eines anderen Lebens, das vordem unserem eigenen nahe verwandt schien. Da ist die Jugendfreundin Alice, noch heute ein Stern der Opernbühnen. Ihr Aufstieg hat eingesetzt mit dem Augenblick, als Melusine nachließ und abtrat.

Vor der Tochter verheimlichte sie ihren tiefsinnigen Aberglauben, als wäre der Verlust ihrer Stimme nicht so sehr einer falschen Diät geschuldet, viel eher habe die erfolgreiche Mitbewerberin sie ihr geraubt; die Kraft und Ausdauer der gleichaltrigen Alice nähre sich eigentlich von Melusine, von ihrer entschwundenen Begabung. Dergleichen behält man für sich. Im Innern bleibt es ungeklärt. Nach außen läßt man allenfalls durchblicken, daß jeder das Seine hat, und wer lange eine große Stimme behält, steht darum nicht auf festen Füßen.

»Mit Stimme«, sagte Melusine, »hätte ich niemals das Bankfach erlernt; ich wäre wahrscheinlich ohne Kapital, ohne gesicherte Geltung bei der Gesellschaft, ungerechnet, daß man von dem einseitigen Training breite Schultern und einen muskulösen Nacken bekommt.«

»Wie die berühmte Alice«, ergänzte die scharfsinnige Tochter. »Für sie ist es mit der Liebe aus.«

Ach! Melusine hätte nicht gewünscht, daß ihre alte Kameradin, reizlos wie sie nun war, jetzt in die Türe träte. Sie selbst mußte sich überzeugen, daß der reizende Zwanzigjährige mehr Augen für das Gefunkel an ihrem Arm hatte, als für den Arm und ihre ganze Person. Wie dumm, gerade heute das Ding anzulegen! Die hingegossene Vollschlanke seufzte und hüllte sich in Rauch.

Aber das kommt von den unpassenden Vergleichen und unvorsichtigen Erinnerungen! Genug damit, sie rückte sich zurecht.

»Deine Stimme, liebes Kind, wäre noch glänzender als meine war. Du weigerst dich, sie auszubilden.«

»Wozu?«

»Das fragst du, und läßt dir erzählen, daß Barber und Nolus wackeln? Nimm an, es wäre wahr. Wir könnten deine Stimme aber nötig haben.«

»Gerade dann hat man sie verloren. In meinem Büro nehme ich Diktate auf und übersetze sie – etwas ungenau, aber auch singen würde ich falsch.«

»Sekretärin bei der Direktion einer Konservenfabrik.« Die einstige Berühmtheit betonte ihre Geringschätzung. »Du hast es gewollt. Deiner Generation fehlt in geradezu beleidigendem Maße unser Selbstvertrauen.«

Daraufhin rief sie nach der Rechnung. Der Zählkellner, der vorbeiging, folgte pünktlich einem anderen, entfernten Ruf. Das Kind wiederholte folgsam:

»Euer Selbstvertrauen. Wir bewundern es. Wir haben vor Augen, wohin es führt.«

Melusine küßte ihre Tochter, oder die gefärbten Lippen deuteten an, daß sie küßten. »Ich bin in euch alle verliebt«, gestand sie, reizend geduldig. Nur etwas Ironie blieb übrig. »Deinen prix fixe hast du abgegessen?«

»Mit bestem Appetit, verhältnismäßig billig, aber ich wäre zufrieden, wenn ich das mein Leben lang hätte.«

»Schrecklich genügsam«, murmelte die Banquière für sich. Denn als man ihn am wenigsten erwartete, kam der maître. Stephanie sagte noch schnell in einer Sprache, die er vermutlich nicht kannte:

»Barber und Nolus haben keinen Pommery nötig, um ihr Ansehen zu heben.«

»Bien entendu«, bestätigte er dennoch. »Die Damen verzeihen, daß hier auch sogenannte gute Gäste verkehren.« Beide betrachteten ihn scharf.

Ihre Nachbarn hatte er nicht gemeint. Er bezeichnete aus den Augenwinkeln einen Tisch zwei Reihen rückwärts, wo allerdings gelärmt wurde. »Die Steaks verlangten diese Herren doppelt groß und halb roh. Die Cocktails müssen später nachgerechnet werden. Der Whisky läuft noch«, erklärte er und verzog keine Miene.

Stephanie erkundigte sich: »Verachten Sie die Menschen überhaupt oder nur Ihre Kunden?«

»Mit Nachsicht. Ich lese Montaigne. Erscheinungen kommen vor, wirkliche Weltdamen, sie würden sogar ihn von seiner Skepsis bekehren.« Angedeutete Verbeugung, der Weltmann trug den Teller mit dem Geld von dannen.

Melusine gab ihm recht. »Das sind dort hinten furchtbare Leute. Gehen wir, bevor es zur Schlägerei kommt.« Indessen stellte sie ihre Schönheit wieder her.

»Schnell die Rechnung!« rief Arthur, mit dem Erfolg, daß die Betrunkenen noch mehr Alkohol erhielten. »Poulailler wird gefürchtet«, bemerkte Arthur, übrigens ohne Gereiztheit, weil er selbst zurückgesetzt wurde.

»Poulailler?« fragte André. Er erfuhr:

»Mein Freund. Morgen Abend wird er bei meinem Empfang sein, wenn er bis dahin nicht im Gefängnis sitzt.«

André hörte endlich nach dem Geschrei hin. »Er wettet, daß er über das Haus springen wird. Ein Amateur, wie es scheint.«

»Man kann ihn so nennen«, gab Arthur freudig zu. Auch André freute sich über Poulailler.

»Ich habe gefunden. Dein Freund ist genau der Typ des Abenteurers, den ich zeichnen will. Er bricht in unsere aufgestapelten Konserven ein. Titel: Die Unterwelt weiß, was gut ist.«

»Eine vorzügliche Empfehlung«, sagte Arthur. »Übrigens hat er das Gesicht des normalen Zeitgenossen, nur etwas gesteigert.«

»Das ist alles, was ich brauche«, sagte André. »Glaubst du, daß Poulailler über das Haus springt?«

»Niemand wird wagen zu widersprechen, wenn er sagt, daß er es getan hat.« Arthur machte Miene zu gehen, worauf urplötzlich die Rechnung dalag.

Draußen fand er, wie erwartet, die beiden Damen bei vergeblichen Anstrengungen, ihren Wagen aus der Enge zu befreien. »Es geht nicht«, sagte die Tochter. »Was für Flegel, die sich in den Winkel geklemmt haben!« Melusine sah die Flegel kommen und kämpfte stumm mit dem Steuer.

»Einen Augenblick, meine Damen«, bat Arthur. »Ich fahre meinen Wagen heraus, Sie werden Platz zum Wenden haben.« Niemand nahm von ihm Kenntnis. »Mama, fahr ihn an! Den anderen Wagen meine ich. Sie haben es absichtlich getan«, behauptete Stephanie. André bat höflich: »Nicht gleich das Schlechteste von uns denken!«

Arthur ermahnte ihn flüchtig, bei der Wahrheit zu bleiben. »Ich rechnete auf die bekannte Geschicklichkeit der Fahrerin. Lassen wir sie nur machen!« – »Aber nicht zu lange«, schlug der Sohn vor. Melusine ermüdete sichtlich und gab es auf. Stephanie erklärte wütend, daß sie Hilfe hole.

Um durch die knappe Öffnung in seinen eigenen Wagen einzudringen, mußte Arthur der schlanke Mann geblieben sein. Der Arzt hatte ihm gesagt: »Sie haben jetzt die Wahl, ob Sie ein dünner oder ein fetter Greis werden wollen.« Arthur hatte beschlossen: weder dies noch das. Immerhin berannte er mit seiner Stoßstange das leichte Gebäude des French Restaurant. »A la grande vie« benannt, erschreckte es dennoch tödlich, das Türmchen drohte umzufallen. Was wäre aus dem château geworden! Nun gut, der erste Wagen war draußen. Für den zweiten wurde es hohe Zeit: die Betrunkenen stürmten heran, gewillt, ihre Wette auszutragen.

Melusine verlor den Kopf, sie saß hilflos da, aber ein jugendlicher Sprung Arthurs, am Steuer seine feste Hand, auch der zweite Wagen verließ die unsichere Zone.

»Steigen Sie aus!« sagte Stephanie an Stelle ihrer Mutter, die einen Dank sogar in dieser Form vermied. Arthur gehorchte. Vater und Sohn traten beiseite, bereit, die Frauen voranzulassen. In dem Fall wären sie ihnen auf dem Fuß gefolgt. Darüber bestand Einigkeit zwischen ihnen; man darf annehmen, auch bei den Damen. Diese hielten aber am Rande des Hofes und sahen Poulailler über das Haus springen. Er hatte hauptsächlich das Profil des gefährlichen Mannes, Bewegungen wie ein raubgieriger Kater, jeder Zuschauer hätte sich unter Verzicht auf eine wirkliche Leistung für befriedigt erklärt. Anders Poulailler persönlich.

Er wirbelte in zwei Aufschwüngen, zuerst nach dem kleinen Balkon, der nur ein Zierat der geschlossenen Wand war; dann auf das Dach, wo er das Türmchen umarmte und abbrach. Beide, das Türmchen und der Akrobat, verließen schneller als gedacht den First des French Restaurant auf der anderen Seite. Die Betrunkenen verkündeten alsbald, ihr Genosse habe sich den Hals gebrochen, und ließen ihn hochleben. Auf einmal redete Melusine den Opernagenten als alten Bekannten an.

»Das mußtest du mir zeigen? Jetzt wird die Polizei uns belästigen.«

»Keine Sorge um Poulailler«, versicherte Arthur mit Recht, denn um die Ecke kam der Totgesagte, er schwenkte die Spitze des Türmchens, die ihm in der Hand geblieben war mitsamt dem nationalen Fähnchen. Es flatterte lustig. Die Seinen kreischten, alle ihre Beine warfen sie von sich, er aber verachtete ihren Beifall. Er grüßte mit dem Fähnchen seinen Freund Arthur, bot es den beiden Damen als Andenken an, und obwohl sie es aus dem Fenster warfen, versprach er ausdrücklich, ihnen die Ehre seiner Begleitung zu erweisen.

»Halt!« befahl hier eine Stimme, die man sonst höflich kannte. Der maître d'hôtel drohte seinen besten Gästen mit Polizei und Gericht, falls der angerichtete Schaden nicht augenblicklich beglichen werde.

Poulailler, sich hinbegeben und einen der Herren niederschlagen war eins. Die anderen begannen vielleicht zu begreifen, daß sie die Wette verloren hätten und zahlen müßten. Kein Vernünftiger wird die weiteren Zwischenfälle abwarten. »Nur fort!« bestimmte Arthur und schob in seinen Wagen nicht André, sondern Stephanie. Sie fügte sich scheinbar aus Versehen. Auch André gehorchte, als Melusine ihm winkte. Es war geglückt, sie hatte den reizenden Jüngling neben sich und fuhr ab, der Starter versagte keineswegs.

»Wo bin ich?« fragte Stephanie, als sie einsah, daß sie eigentlich kaum erschrocken war; nur die dargebotene Abwechslung hatte sie angenommen. Arthur betrachtete die blonde Heuchlerin, ein Blick genügte. Er zuckte die Achseln. Stephanie aber, hier bekam sie mehr Rot, als aufgelegt war.

Zu André sagte Melusine: »Endlich sind Sie mir vorgestellt.«


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