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2.
Die ungleichen Generationen

Er ließ es bei der Auffassung bewenden. »Sportlich sind Sie berühmt, fahren Sie immer dies Tempo? Geschäftlich hört man auch von Ihnen.«

»Und meine Schönheit siehst du«, schloß anstatt seiner die Dame.

Worauf André jählings mehr Farbe bekam. Er vergalt es ihr mit feinen Worten:

»Ich brauche für ein Plakat eine Vollschlanke vor ganzen Haufen Konserven. Die Frau und die Mayonnaise, alles matt, in rosigem Weiß und Fleischfarbe – wie deine«, sagte er der Vierzigjährigen.

Als Antwort nahm Melusine noch mehr Tempo.

In dem anderen Wagen rächte das junge Mädchen ihr Erröten. »Bei Herren, die weniger als vierzig Meilen fahren, steig ich ruhig ein, die sind nicht unternehmend. Die Hand weg!« mußte sie in demselben Atem verlangen. »Ein älterer Herr, mit einer einzigen Hand steuern, das fehlt noch, damit ein Unglück geschieht.«

»Ich bin linkshändig«, erläuterte der Fahrer.

»Von mir bekommen Sie es mit der Rechten.« Es war kein leeres Versprechen. Arthur dankte für den Schlag. Ungefähr gleichzeitig bemerkte er:

»Was ist das, Ihre Frau Mama übertreibt. Sie entführt mir den Jungen.«

»Das kommt davon. Sie hatten es auf die Banquière abgesehen. jetzt geht Sie Ihnen mit André durch.«

»Das werden wir in Ordnung bringen«, erwiderte er und begann zu jagen. Seinen Namen weiß sie, dachte er und schoß dahin, bis sie seine Schulter als Halt ergriff. Melusine, dort vorn, nahm ohne zu verlangsamen die scharfen Biegungen der Straße, immer dicht über dem Abhang, der einen harten Sturz voraussagte. »Wie bin ich als Fahrerin?« Dies beantwortete André auf Umwegen.

»Ich selbst bin oberflächlich. Abgründe brauche ich nicht, um Sie berückend zu finden, wenn das die Absicht Ihres Rekordrennens ist, Melusine.« Hiermit wendete er sich nach der anderen Seite, für die Dame die beste Gelegenheit, mit ihren Lippen seine Wangen zu streifen. Ihre Hand erschlaffte am Steuer, der Wagen schleuderte.

»Unsinn«, sagte André lehrhaft. »Man fährt oder man küßt. Das eine unterlasse ich aus Widerspruchsgeist, ich bin grundsätzlich Fußgänger.«

»Dann also das zweite.« Sie hielt ihm den halbgeöffneten Mund entgegen.

Arthur unterrichtete Stephanie davon, daß sie bestimmt nicht weniger jugendlich sei als ihre Mutter. Sie würde den Wagen noch kühner lenken. Sie klärte ihn auf, sie lenke niemals. Er glaubte ihr nicht. Sie gehe ebensowenig zu Fuß wie sein Sohn. Aber sie habe es beschlossen, entgegnete sie, denn jetzt chauffiere die vorige Generation. »In die wollen Sie mich versetzen.«

»Damit Sie mich nicht älter als meinen Sohn finden«, gestand er.

Sein erstes unfreiwilliges Wort, ihr wurde bange, andere könnten folgen, auch eines von ihr. Schnell rief sie:

»Wo sind die beiden geblieben? Wir verlieren das Rennen, Arthur!Sie lassen nach.«

Wenigstens hatte sie seinen Namen ausgesprochen – vielleicht aus ehrlicher Furcht. »Ohne Sorge!« bat er. »Sie müssen von Melusine nicht Abschied nehmen. Die hält sich, ich weiß mit ihr Bescheid. Viel eher bricht mein Sohn sich den Hals.«

»Ich eher als sein Papa, der hier den Verrückten spielt. Das habt ihr nötig, die junge Generation auszurotten. Da! Der Wagen taucht wieder auf und er schleudert. Himmel! Mama!«

Er verschloß kraftvoll seine Lippen. Kein Wort dem ärmsten Kind von der tödlichen Schleife, wohin die anderen tasten. Aber was! Dies ist Melusine, seine erfahrene Zeitgenossin. Noch eine Minute, eher weniger. Die Lage ist verzweifelt, muß sie darum ernst sein? Keine halbe mehr. »Bums«, machte Stephanie. Was blieb zu sagen, es war geschehen. Sie wollte die Augen bedecken. schrie aber auf: »Retten Sie Mama!«

Der Wagen Melusines war unmittelbar vor dem Absturz gegen einen Baum gestoßen. Sie und André flogen hinaus, in geschickter Art, ohne Schaden zu nehmen. Melusine faßte sogleich Fuß, ihr Auserwählter kam vom Boden auf und wurde von ihr begrüßt: »Du siehst, es soll sein!«

Dieser Wagen stand quer. Als der folgende mit Vollgas in die Schleife einbrach, konnte er nur den ersten anfahren, wenn er sich nicht überschlagen wollte. Beide Insassen sprangen rechtzeitig ab, Stephanie taumelte in einen Busch am Rande der bewaldeten Wand und blieb darin stecken. Schon machte Arthur sie los und hob sie auf die Straße.

»Natürlich Sie«, bemerkte die Gerettete. »Ihr Sohn war früher hier.«

Der verspätete André fragte wenigstens: »Sind Sie sehr erschrocken?«

»Machen Sie psychologische Reportage?« fragte sie dagegen. »Helfen Sie lieber Mama!«

»Leider bedarf sie meiner noch weniger, Sie selbst sind mit Recht von meinem Papa gerettet.«

Sie zeigte ihm die Schulter. Er wendete sich an Melusine, die abseits im Grase saß. »Wollen Sie aufstehen? Bitte um Ihren Arm.«

»Warum nicht gleich um meine Hand?« Sie war unzufrieden, erklärte auch warum. »Überzeugen Sie sich doch von dem Zustand meines Wagens! Ihr lieber Vater hat ihm wahrscheinlich die Form einer Ziehharmonika beigebracht.«

»Eine Frau wie Sie, untätig auf Blümchen ruhen! Ich werde glauben, daß Ihnen die Knie zittern.«

Hinzu trat Arthur, er verkündete: »Der meine ist unbeschädigt.«

»Natürlich. Und meine Tochter haben Sie gerettet.«

André bestätigte ihre Aussage: »Arthur ist von einer Energie!« Übrigens schien ihm auf der Seite der Mutter peinliche Schwüle zu herrschen; er beschloß einen neuen Versuch bei der Tochter.

Arthur beruhigte Melusine: »Nichts zu danken.«

Sie sprang ohne ihn auf die Füße. »Habe ich Ihnen schon gedankt? Sie sind derselbe wie zu der Zeit unserer Verträge, an denen nur Sie verdienten. Ihr Wagen ist unbeschädigt, meine Tochter wollen Sie verführen.«

»Und verzichtete auf Dank«, erinnerte er höflich. Melusine lachte, sympathisch angezogen. Sie näherte sich ihrem wohlerhaltenen Zeitgenossen bis zur Berührung der Brust. »Ihre Energie!« warnte sie mild. »Ich neige schon allein zum Halsbrechen. Sie fehlen mir gerade.«

»Bereuen Sie unser Wettrennen?« fragte er vertraulich. Sie sagte ebenso intim:

»Die Fahrt war angenehm.«

»Auch meine«, erklärte er, und weiter: »jetzt müssen wir den einen Wagen hierlassen. Wir nehmen alle vier den anderen.«

»Schade«, sprach sie süß.

»Ich auf dem Führersitz neben Ihnen, Melusine.«

»Sie verlangen auch noch Belohnung, weil Sie mich an den Rand des Abgrundes gejagt haben.«

Er ahmte ihre sanfte Schwermut nach. »Sie und ich sind dort wie zu Hause.«

»In Abgründen, oder nur an den Rändern?« fragte sie. Er bemerkte: »Ihre Stimme!«

»Meine Stimme?«

»Ist Ihnen niemals aufgefallen, daß die Verschleierung sich hebt, sobald Sie verliebt sind?«

Die Sängerin fiel dem Impresario um den Hals, küßte ihn und sagte du, alles wie sonst üblich, als sie sang.

Stephanie sah mit Nichtachtung über beide Wagen weg. »Worauf warten wir? Sie, mein Junge, taugen gar nichts.« Er war einverstanden.

»Ich weiß es.«

»Ich auch nicht«, gab sie zu. »Ein Busch als letzter Halt, und Mama behauptet ihr unerschütterliches Gleichgewicht! Sie kommen gewiß jeden Morgen zu spät ins Geschäft.«

»Richtig.« Er reichte ihr seine Zigaretten. »Die Konservenfabrik hat übrigens Zeit, bis ich erscheine. Ihre Büchsen und der Inhalt halten garantiert jahrelang. Das einzig Frische sind meine Plakate.«

»Konservenfabrik?« Ah! Sie hatte begriffen. »Der Zeichner Lindi sind Sie.«

»Soll heißen: l'indifférent. Den Namen auszuschreiben wäre denn doch zu anspruchsvoll. Aber Sie? Was tun Sie in Ihrer Anstalt?«

Es ergab sich, daß beide demselben Unternehmen angehörten. Sie waren einander nie begegnet, da Stephanie ihre schriftlichen Arbeiten von zehn bis vier Uhr verfertigte; André machte Nachtschicht. »Ich bin Langschläfer, mit dem Tag weiß ich nichts anzufangen.«

»Ich höre den Gleichgültigen in Mattblau, dessen erste Silben Sie unter Ihre hübschen Bilder setzen.«

Er erkundigte sich: »Wie kommen wir nur zusammen, damit ich endlich ihre pflanzenhafte Anmut zu Papier bringe, als Gleichnis unserer Gemüse?«

»Verunglücktes Kompliment«, stellte sie fest. Darüber verwirrte er sich.

»Kennen Sie die Geschichte von dem Arbeitsmann und dem Freudenmädchen?«

»Immer ärger«, sagte sie mitleidig. »ja, ich kenne die Geschichte. Der Arbeitsmann verließ täglich um sieben Uhr früh das Haus. Das Freudenmädchen, das auch dort wohnte, kehrte zu derselben Stunde heim. Sie trafen einander auf der Treppe, solange bis sie heirateten. Jeder setzte seinen Stundenplan fort, und sie bekamen viele Kinder.«

»Ich bin untröstlich«, murmelte André. »Was kann man danach machen?«

»Ein Plakat, signiert Lindi, mit der vollschlanken Pracht Melusines. Ganz zweifellos haben Sie es Mama schon angeboten.«

»Ich gestehe.«

»Das ist nett. Ich mag nicht, wenn einer abstreitet. Oder streitet überhaupt.«

»Oder sich großartig anstrengt, wie unsere armen Eltern«, ergänzte er. Sie nickte flüchtig.

»Es ist wahrscheinlich, daß wir nächstens weiterfahren«, meinte sie und setzte sich auch schon. In dem brauchbar gebliebenen Wagen nahm sie einen der hinteren Plätze, beiläufig wies sie neben sich, er glitt hinein.

Arthur ließ sich einfallen, die Gesellschaft förmlich vorzustellen: »Arthur, Impresario. Melusine, aktive Mitinhaberin des Bankhauses Barber und Nolus. Mein Sohn André, der Grund hätte, sich an meiner Tatkraft aufzurichten. Dies begabte Töchterchen einer berühmten Frau.«

»Berühmt, begabt, nur das nicht«, ließ Stephanie rückwärts vernehmen. »Plakate, wenn ich das unglückliche Talent hätte, ich schriebe kein noch so sinnloses Lindi darauf.« Das letzte sprach sie gegen die Lehne, wo nur André es hörte.

Hierauf blieb jedes der beiden Paare bei sich und seinen Angelegenheiten. Arthur fuhr mäßig schnell. Sein Ziel war diesmal nicht, ein achtzehnjähriges Herz im Sturm zu erobern; ein kühler, reifer Verstand sollte gewonnen werden. Er begann damit, Herrn Nolus herabzusetzen. Was es mit ihm nur sei. Er habe die Gewohnheit angenommen, tagtäglich neu beschuht seinen Platz an der Börse zu beziehen. Seine immerfrischen Maßschuhe schienen seine Gegenwart allein zu rechtfertigen. Geschäftlich war er abwesend. Arthur warnte vor bösen Zeichen, mehr als einmal war auf sie der Selbstmord gefolgt. Als Melusine ein Erschrecken unterdrückte, schwächte Arthur seine Meinung ab.

»Nolus war schließlich von jeher ein Schatten. Sagen wir, der beleibte Schatten eines Finanziers, wie sie früher aussahen. Zu den Zeiten Barbers sagte dies Genie ihm, welche Werte ihn zu interessieren hatten. jetzt tun Sie es. Gerade jetzt«, setzte er auf gut Glück hinzu – als hätte er gewußt, daß ein ungewöhnlicher Plan sich bis übermorgen, Montag, durchsetzen wollte in dem Kopf seiner alten Freundin. Sie dachte: Spricht er noch ein Wort, dann lasse ich's. Man kauft Aktien nicht zurück, wenn sie auf zweihundert stehen. Das ist der Selbstmord, den er meinem Teilhaber voraussagt. Nun, was hat er mir anzukündigen?

Gar nichts. Sondern wenn der Inhaber der Agentur die Banquière als glückliche Spekulantin dem matten Nolus entgegenhielt, dann wollte er von ihr etwas; es ließ sich kurz und bündig ausdrücken.

Das tat er und berief sich in seinem Innern sowohl auf seine, als auf ihre entschlossene Natur. Keine Umwege – außer denen, die er schon gebraucht hatte. Kurz und bündig, die Gründung eines zweiten großen Opernhauses trat in ihren aktuellen Zustand, sie nahm Gestalt an.

»Glückwunsch«, war alles, was die Geschäftsfrau dazu bemerkte; und als er fragte, wem?

»Dem Zustand. Daß er sich aufrafft und Gestalt annimmt. Du meinst die Gestalten der Aktionäre.«

Die meinte er und wünschte, daß Barber und Nolus ihre Zeichnungen garantierten. Die unsicheren Geldgeber dieser bewegten Zeiten erforderten als Rückhalt eine Bank, der jeder traute. Sie schwieg und erkannte deutlich, daß sie die abgestoßenen Aktien zurückkaufen werde. Sie hörte ihn:

»Morgen, Sonntag abend, empfange ich in größtem Stil. Ein Unternehmen wie dieses zieht immer wieder verhängnisvoll an.«

»Ich nehme Kenntnis«, sagte sie, während er leichthin ergänzte: »Übermorgen werden wir jeder um eine Viertelmillion reicher sein.« Was er und auch sie dahin verstanden, daß Bank und Agentur von ihren Gläubigern eine Atempause bekämen, solange die Sache des Opernhauses schwebte. Daneben und für alle Fälle rechnete jeder von ihnen auf den Erfolg, wie er sein soll, und die schwindelnden Gewinne, die das Natürliche wären. Leider neigen die Tatsachen zur Unnatur.

Genug davon. Arthur zeigte nicht nur guten Geschmack, er folgte seinem aufrichtigen Bedürfnis, wenn er das rein Persönliche wieder aufnahm.

»Was aus uns geworden ist! Ich darf behaupten, daß ich der erste war, dir eine große Zukunft anzusehen.«

»Bei der Bühne? Ich war dir nicht schön genug. Du zogst meine Freundin Alice vor, ein Ungeheuer an Muskelkraft. Sie hast du berühmt gemacht.«

»Deine Erinnerung täuscht dich. Meine kennt unvergängliche Augenblicke. Soviel gebe ich zu, daß deine Schönheit inzwischen jede Erwartung übertroffen hat.«

»Wenn die Stimme futsch ist«, erklärte sie ihm, gemäßigten Haß im Seitenblick. Er riet feurig:

»Beklage dich! Woher ist dir deine überlegene Menschenbehandlung gekommen? Mit Stimme hättest du Rollen studiert und dich betrügen lassen, wie Alice. Auch ich wäre vielleicht ein Talent geworden, wie mein kleiner Junge. Mein Vater besaß Millionen. Rechtzeitig verlor er sie, daher mein notgedrungener Aufstieg.«

Sie äußerte erfahren: »Irgendeine Kleinigkeit muß abhanden kommen, damit man groß wird. Alice hat ihre Stimme, aber keine Figur, die man öffentlich vorführen sollte.«

»Beneide auch die erfolgreichste Sängerin nicht«, riet er. Wirklich verließ sie ihren schmerzhaftesten Punkt:

»Sieh meinen Teilhaber Nolus! Er hat keinerlei Talente zu verlieren, aber sein Gedächtnis. Neulich hat er den Kassenschrank offengelassen, und meine Brillanten waren darin.«

Das läßt ein Mann wie Arthur nicht auf sich sitzen. Er prahlte kühn »In meinem Safe liegen Juwelen, die ich verschenke – an große Sängerinnen, dann unterschreiben sie jeden Vertrag.«

»Du hast verachten und wagen gelernt!« sagte sie – glaubte übrigens an seine Kleinodien wie an ihre eigenen. Wenn nichts da ist! Dies ließ sie weg, sie sprach das nächste: »Der Lebenskampf belohnt sich selbst.«

Er ging noch weiter. »Ich bin stolz auf meinen Beruf. Geschäftsmann, mit Tatkraft geladen, immer im Wagen unterwegs, nach dem Geld, das auf mich wartet!«

»Wie ich!« Sie machte täuschend die glückliche Existenz. »Wo ich selbst bin, gelingt es.«

Der Ton konnte nicht länger gehalten werden. Nochmals hatte Arthur den Takt, neu einzusetzen. »Ach! Dennoch ach! Wo ich nicht bin, dort ist das Glück.«

Sie begriff aufs Wort. »Du sehnst dich nach einer Frau«, sagte sie, eine Oktave tiefer.

»Von meiner Lebensart und Unverwüstlichkeit.«

»Nach mir. Ich habe verstanden. Beabsichtigst du weiter, meine Tochter zu verführen?« fragte sie nett.

Er antwortete ebenso: »Absichten hat der Zufall.«

Darauf ging sie gern ein: »Der Zufall wird fügen, daß ich meinen Gatten mit zwanzigjährigen Knaben betrüge.«

»Ich kenne meine Freundin; wir haben Zeit versäumt. Holen wir eilends nach! Zwei bedeutende Energien, das doppelte Glück, ein zehnfaches Geschäft.«

»Das letzte zuerst«, riet sie, der Beruhigung wegen. Er griff zu:

»Morgen abend bei mit! Große Soirée. Du sollst mich in meinem Glanz erleben – ewig Geliebte, sage ich kühn.«

»Alter Taugenichts, sage ich kurzgefaßt.« So schloß Sie.

Während derselben Strecke – zwischen Teilen Waldes, unvollständigen Siedlungen, den Blumenhainen gewagter Prunksitze und knappen Andeutungen von Wüste – hatten André und Stephanie nichts gleich Dringliches mitzuteilen. Sie machten weder Rühmens von ihrem Glanz, Schmuck, Beruf, Geschäften, noch priesen sie einander die Auszeichnungen, wie Natur sie leiht. »Wenn ich wollte«, seufzte André einmal, »wer verböte mir, auf jeder Wölbung meiner Brust einen riesigen Ordensstern zu befestigen!«

Die Mundwinkel Stephanies deuteten an, daß auch Sie das Gespräch dort am Steuerrad mehr oder weniger beachtet habe. »Schön, so zu sein«, sagte sie. – »Meinen Ahnherrn beneide ich«, fügte er hinzu.

»Der rettet Sie aus dem Busch, und ich stehe dabei.«

»Unsere Ahnen«, erklärte das Mädchen, »verdienen um ihre Unschuld beneidet zu werden.«

»Was für Kinder sind sie!« Dies kam dem Jungen aus gepreßter Brust.

»Schließlich könnte man das alles auch«, meinte sie.

»Überschätzen wir uns nicht?« fragte er.

Sie besann sich, bevor sie entschied: »Nein, dem Gelde nachstellen, oft mit Glück und öfter ohne, kann jeder. Sich fühlen und groß tun, liegt nicht jedem. Die Ahnen kämpfen furchtbar. Trotzdem ist es leichter.« Sie vollendete mit einer Wendung der Hand. Er hatte verstanden:

»Leichter, viel vorzuspiegeln, als wenig zu sein. Das Wenige, das wir sind, uns eingestehen.«

Sein Entgegenkommen störte die Achtzehnjährige. Geistig wollte sie nicht geschmeichelt sein. »Seien wir streng mit uns«, sagte sie und berichtigte ihre erste Auffassung. »Bequem machen doch wir es uns. Nachtschicht. Ein Plakat wöchentlich. Den prix fixe essen. Die Ahnen steuern lassen.«

»Und Sie flirten mit Papa«, sagte der Zwanzigjährige, denn er bemerkte, wenn er den Kopf hob, was vorging auf den vorderen Plätzen.

Sie leugnete nicht. Sie belehrte ihn: »Le rétroviseur heißt das Ding, nach dem Sie den Hals recken. Die anderen Sprachen haben vielleicht auch ein Wort dafür. Von den Bestandteilen des Wagens ist dieser fast der einzige, der mir einen Namen und Begriff vermittelt.«

»Es genügt«, das kam zerstreut. Er war bemüht, mit dem Gesicht das Stückchen Spiegelglas zu erreichen.

»Sie und Mama wären nicht abgeneigt. Aber es würde Sie Ihre Bequemlichkeit kosten«, warnte sie.

»Und wozu?« bestätigte er. »Die Ahnen haben alles für uns gemacht oder streben danach heftig. Die Liebe in derselben Front mit der Macht und der öffentlichen Geltung, um nicht geradeheraus das Geld zu nennen.«

Das Mädchen sagte: »Unsere lieben Eltern nährten eine unglückliche Neigung für die schönen Künste.«

Der Knabe gab zu: »Ebensowenig haben ihre Kinder sie befriedigt. Blieb allein der Kampf um das Geld. Was soll man sagen? Das ist ein Kampf, den erst der letzte Atemzug entscheidet. Ich möchte so nicht sterben. Nicht nach einem Leben um Geld.«

Gerade begeisterte das vordere Paar sich für die eigene Art und Unverwüstlichkeit. Die beiden Kinder sahen einander aus gesenkten Lidern an. Ihr Ausdruck war vor Widerwillen schläfrig.

Stephanie flüsterte, er mußte ihr die Worte von den Lippen ablesen: »Es ist geschehen, daß ich meine Mutter erblickte – krank, was sag ich, entseelt; ein armer Unmensch ohne Scham und Ehre. Alles, weil irgendeine eingebildete Zahl zusammenbrach oder nicht, und jemand anderer wider Erwarten sich oben hielt. Nachher ein Pulver, ein Glas kalte Milch, die Rückverwandlung, eine siegreiche Schönheit mehr ist in Umlauf gesetzt, bis zur nächsten Abrechnung.«

Auch André bewegte den Mund, daß es für aufmerksame Augen einen Sinn ergab: »Meinen Vater habe ich vom Stuhl fallen gesehen. Keine Lähmung, vielmehr die Wut, sich bestialisch zu erleichtern. Wenn der kürzlich abgegangene Besucher jetzt nochmals eingetreten wäre, der Unglückliche hätte ihn auf dem Gesäß um das Zimmer gefahren.«

Hörbar sprachen beide: »Lohnt es? Sie sagen ja. Wir: nein.« Der männliche Kritiker entschied: »Selbst ohne Entseelung und Kriecherei, die ich vergessen will – der Kampf um das Geld ist nach dem getriebenen Mißbrauch nunmehr ein unannehmbarer Fluch. Wir weisen ihn zurück.«

»Ein Fluch kann immer noch tragische Würde auferlegen«, bestimmte der weibliche Philosoph. »Der Kampf um das Geld ist längst schon unappetitlich; er verletzt die einfache Scham, mehr als krankhafte Sittenlosigkeit vor allen Leuten. Wir sind nur die ersten, danach zu handeln«, beendete sie stolz.

Er lächelte nachsichtig. »Weil ich pathetisch werde?« fragte sie. »Uns beide meine ich nicht allein. Ich kenne ein reiches Mädchen, das Haus ist wirklich reich: sie wohnt möbliert, und wäscht Geschirr.«

»Ihnen macht das ernsten Eindruck?« Er zog die Brauen hinauf. »Arbeit als Liebhaberei und sozialer Protest? Eitle Arbeit? Das Richtige und durchaus Übliche ist, nichts zu haben. Einmal anerkannt, daß Besitz von selbst und unwiederbringlich schon weggefallen ist.«

Sie warf dazwischen: »Unsere Ahnen vermeiden die Einsicht.«

»Dann arbeiten wir, weil es sein muß, infolge der natürlichen Beschaffenheit der Welt – und unser selbst. Aber wir werden uns nicht überanstrengen. Die Schwere der Arbeit tut es nicht. Viel eher ihre Leichtigkeit. Plakate sind, was sie sind.«

»Meine Sprachkenntnisse auch, nämlich schwach«, sagte sie fröhlich. »Außerdem gestehen wir nur, daß wir Rückfälle haben! Schließlich könnte Mama den großen Coup landen. Ich wäre eine begehrte Erbin.«

Da er Bedenken zeigte, verbesserte sie schnell:

»Ohne Garantie.«

Er hütete sich, seine neue Gefährtin zu entmutigen. »Ich habe Ihnen nichts vorzuwerfen. Manchmal halte ich Papa für gesichert, wenn Sicherheit keine bloße Formel unseres überkommenen Denkens wäre. Mein Großvater war siebenfacher Goldmillionär.«

»Sie Wunderkind!« rief Stephanie.

André schloß: »Er hat gar nichts mehr.«

»Oh!« machte sie, freundlich und ironisch. Er bat:

»Warten Sie! Wo viel war, bleibt wohl etwas hängen; sowieso sind alle Geldsachen jetzt unklar. Ich forsche nicht. Papa unternahm vordem ihn anzupumpen.«

»Ihren Großvater?«

»Ja. Mittlerweile ist er neunzig Jahre alt und hat das Wort Geld aus seinem Gedächtnis gelöscht, oder ungefähr.«

»Damit ist man am Ziel«, seufzte Stephanie. Auch der Wagen mit den ungleichen Generationen langte an.


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