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Fünfundzwanzigster Abschnitt.

Von den körperlichen Geschicklichkeiten.

§ 196. Außer den Vollkommenheiten des Geistes, die ein junger Mensch unter den höheren Ständen sich durch Studieren und aus Büchern erwerben muß, gibt es noch andere körperliche Geschicklichkeiten, deren Erlangung Zeit und Anweisung von Meistern erfordert.

Das Tanzen verschafft dein Menschen nicht nur überhaupt eine zierliche Stellung, Haltung und Bewegung des Körpers, sondern es verleiht insbesondere auch schon Kindern männliches Ansehen und Sicherheit. Es kann also nicht früh genug gelernt werden, so bald nämlich Alter und Kräfte es erlauben. Man muß sich aber nach einem guten Meister umsehen, der sich auf wahre Grazie und Anstand, und auf das, was allen Bewegungen des Körpers Freiheit und Ungezwungenheit erteilt, recht versteht und es Kindern beizubringen weiß. Ein Tanzmeister, der dieses nicht lehren kann, ist schlimmer als gar keiner; denn die rohe ungekünstelte Natur ist affenmäßigen, affektierten Stellungen weit vorzuziehen und mich dünkt, es sieht erträglicher aus, wenn jemand wie ein ehrbarer Landmann seinen Hut abzieht und sich verbeugt, als wenn er sich hierbei wie ein steifer Tanzmeister benimmt. Denn was die besonderen Tänze und Pas betrifft, so haben sie in meinen Augen wenig mehr Wert, als insofern man sich dadurch anmutige Haltung erwirbt.

§ 197. Die Tonkunst ist einigermaßen mit dem Tanzen verwandt, und eine Fertigkeit auf einigen Instrumenten wird von vielen Leuten sehr hoch geachtet. Allein ein junger Mensch muß so viel Zeit verlieren, um es darin nur zu einer mäßigen Geschicklichkeit zu bringen, und gerät dadurch so oft in schlechte Gesellschaft, daß andere es für ratsamer halten, ihn gar nicht Musik lernen zu lassen. Überdem habe ich selten beobachtet, daß Männer, die sonst Talente besaßen oder zu Geschäften brauchbar waren, darum gerühmt oder geschätzt wurden, weil sie sich durch musikalische Geschicklichkeit auszeichneten, ich würde ihr also auch unter allen Vorzügen und Vollkommenheiten den letzen Platz anweisen. Unser Leben ist viel zu kurz, als daß wir uns mit allen Dingen befassen könnten. Auch verträgt es sich mit der Beschaffenheit unseres Geistes nicht, beständig zum Lernen angestrengt zu werden. Die Schwache der Körper- und Seelenkräfte erfordert öftere Ruhe; und wer nur von irgendeinem Teil des Lebens einen guten Gebrauch machen will, muß beträchtliche Zwischenräume bloß den Erholungen widmen. Wenigstens sollte man die letzteren der Jugend nicht versagen, wenn man nicht das Mißvergnügen erleben will, sie dadurch, daß man sie zu früh alt macht, vor der Zeit dahinsterben oder in eine zweite Kindheit verfallen zu sehen. Daher halte ich dafür, daß die Zeit und Mühe, welche zu ernsthaften Arbeiten bestimmt ist, auf nützlichere und wichtigere Gegenstände verwandt werden müsse, und dabei sollte man sich überall der kürzesten und leichtesten Methoden bedienen, die sich nur erdenken lassen. Es würde in dieser Hinsicht auch, wie ich oben schon erwähnt habe, keins von den geringsten pädagogischen Geheimnissen sein, wenn man mit den Anstrengungen des Geistes und Körpers dergestalt abwechselte, daß sie sich gegenseitig zur Erholung dienten. Ich zweifle auch nicht, daß ein verständiger Erzieher in dieser Hinsicht vieles leisten könne, wenn er einmal den Charakter und die Neigung seines Zöglings genau kennt; denn, wer vom Studieren oder vom Tanzen ermüdet ist, wünscht darum nicht sogleich sich schlafen zu legen, sondern nur etwas anderes vorzunehmen, was ihn ergötzt und vergnügt. Überhaupt aber muß man nie vergessen, daß nichts unter die Erholungen gerechnet werden kann, wobei man kein Vergnügen empfindet.

§ 198. Fechten und Reiten werden für so wesentliche Stücke der Erziehung gehalten, daß man mir es für einen wichtigen Fehler anrechnen würde, wenn ich nichts davon erwähnte. Das Besuchen der Reitbahn, wozu man insgemein nur in großen Städten Gelegenheit findet, ist überdem in diesen Wohnsitzen des Wohllebens und der Schwelgerei eine der Gesundheit so zuträgliche Übung, daß ein junger Mensch von Stande in aller Absicht sehr wohl tun wird, wenn er während seines Aufenthaltes daselbst einen Teil seiner Zeit darauf verwendet. Und infofern diese Übung dazu dient, daß man fest und mit Anstand zu Pferde sitzen, das Pferd gehörig regieren und lenken und sich recht auf den Hüften halten lernt, kann es einem Edelmann im Krieg und Frieden sehr wohl zustatten kommen. Ob aber diese Sache wichtig genug ist, um ein eigenes Geschäft daraus zu machen und mehr Zeit darauf zu wenden, als bloß die Gesundheit erfordert, deren Erhaltung von Zeit zu Zeit dergleichen starke Leibesbewegungen nötig macht: das muß ich der Klugheit der Eltern und Erzieher überlassen, welche bei allen Erziehungsgegenständen nie vergessen dürfen, daß dasjenige den meisten Aufwand von Zeit und Fleiß verdiene, was bei der Berufsart, welcher der junge Mensch sich widmet, von größerer Wichtigkeit ist und am öftesten vorkommt.

§ 199. Das Fechten ist meines Erachtens auch eine zur Gesundheit dienliche Leibesübung, aber dem Leben gefährlich. Das Vertrauen auf diese Geschicklichkeit verwickelt manchen in Schlägereien, als ob er bloß zu diesem Zweck gelernt hätte, den Degen zu führen. Dieser Wahn macht das Ehrgefühl nicht selten allzu reizbar und verleitet zu Ausforderungen. Junge Leute von warmem Blute geraten leicht auf den Gedanken, als hätten sie das Fechten umsonst gelernt, wenn sie ihre Geschicklichkeit und ihren Mut niemals in einem Zweikampf zeigten, und, was das schlimmste ist, sie scheinen einigermaßen recht zu haben. Allein welche tragische Auftritte hat dieser Scheingrund nicht schon veranlaßt! das können die Tränen so mancher Mütter bezeugen. Ein Mensch, der nicht fechten kann, wird sich mehr vor der Gesellschaft mit Spielern und Schlägern in acht nehmen, er wird nicht halb so zanksüchtig und überhaupt vorsichtiger sein zu beleidigen oder geschehene Beleidigungen trotzig zu rechtfertigen, als welches letztere zu den meisten Händeln Anlaß gibt. Wer sich mit mittelmäßiger Geschicklichkeit auf den Kampfplatz wagt, der wird, statt seinen Gegner zu parieren, ihm nur desto mehr Blößen geben. Ja, ich bin versichert, daß ein solcher mittelmäßiger Fechter gegen einen Menschen, der gar nicht fechten gelernt hat, aber Herz besitzt, meistenteils den kürzeren ziehen wird, besonders wenn der letztere überdem im Ringen geübt ist; denn er gibt sich nicht mit Parieren ab, sondern legt es bloß darauf an, dem Gegner eins zu versetzen. Wollte man daher für solche Vorfälle einige Maßregeln ergreifen, oder sollte ein junger Mensch sich zum Duell geschickt machen, so würde ich raten, ihn lieber zu einem guten Ringer als zu einen: mittelmäßigen Fechter zu bilden; denn das letztere wird er doch immer bleiben, wenn er nicht unaufhörlich den Fechtboden besucht und alle Tage das Rapier in Händen hat. Da indes die Reitbahn und die Fechtschule für so wesentliche Stücke der Erziehung eines Edelmannes gehalten werden, so darf man ihm wohl diese Unterscheidungszeichen seines höheren Ranges nicht gänzlich versagen. Ich muß es daher der eigenen Überlegung des Vaters überlassen, zu untersuchen, inwiefern die Gemütsart seines Sohnes oder der Posten, den er wahrscheinlich dereinst bekleiden wird, es zulassen oder erfordern, daß er diese Mode (nämlich die Übung im Fechten) mitmache, obwohl sie im bürgerlichen Leben ziemlich entbehrlich ist, in älteren Zeiten den kriegerischsten Völkern gänzlich unbekannt war und bei den neueren Nationen, von denen sie eingeführt worden, zur Vermehrung der Leibesstärke und Herzhaftigkeit wenig beigetragen hat: man müßte denn glauben, daß die kriegerische Tapferkeit und Bravour durch das Duellieren vermehrt worden. Denn durch die Wut der Duelle ist die Fechtkunst entstanden und wird wahrscheinlich auch wieder mit ihr aussterben.

§ 200. Dies wären also meine gegenwärtigen Gedanken über den Unterricht in Wissenschaften und anderen Vorzügen. Tugend und Weisheit aber bleiben immer die Hauptsache.

Nullum numen abest, si sit prudentia Wo Weisheit ist, da fehlt nichts. (Juvenal, Sat. X.)

Lehret euren Sohn seine Neigungen beherrschen und seine Begierden der Vernunft unterwerfen. Habt ihr dies erreicht und durch beständige Übung in Fertigkeit verwandelt, so ist das schwerste überstanden. Um aber den jungen Menschen dahin zu bringen, kenne ich kein besseres Mittel als die Liebe zum Lob und Beifall, die ihm daher durch alle möglichen Kunstgriffe eingeflößt werden muß. Man mache sein Herz so empfindsam als möglich für die gute oder schlechte Meinung anderer von sich, und wenn dies geschehen ist, so hat man ihm eine Triebfeder gegeben, die in allen seinen Handlungen, auch wenn man ihn nicht beobachtet, wirksam sein wird. Diese Wirksamkeit ist mit dem Eindruck eines kleinen Streiches mit der Rute gar nicht in Vergleichung zu setzen; sie ist gleichsam der Stamm, worauf in der Folge die wahren Grundsätze der Sittlichkeit und Religion gepfropft werden können.

§ 201. Ich habe noch etwas hinzuzusetzen; allein ich besorge, sobald ich es nenne, den Vorwurf zu hören, als hätte ich meinen Gegenstand aus dem Gesicht verloren und vergessen, daß ich bloß von dem, was zur Erziehung eines Mannes von den höheren Ständen gehört, handeln wollte. Ein eigentliches Metier oder Handwerk aber scheint gar nicht dahin zu gehören. Und dennoch muß ich offenherzig gestehen, nach meiner Meinung sollte auch ein junger Mensch von dieser Klasse wenigstens ein eigentliches Metier oder mechanisches Geschäft, noch besser aber zwei bis drei, eins aber ganz vorzüglich lernen.

§ 202. Da der Trieb zur Tätigkeit bei Kindern immer auf etwas Nützliches geleitet werden muß, so ist bei der Wahl der Gegenstände, womit man sie beschäftigt, immer auf zweierlei Vorteile Rücksicht zu nehmen, nämlich erstens, ob die Geschicklichkeit, in der man sie üben will, an sich selbst lernenswert ist. Es hat aber nicht nur die Bekanntschaft mit Sprachen oder Wissenschaften, sondern auch die Geschicklichkeit im Malen, Drechseln, in der Gärtnerei, im Eisenhärten, in Stahlarbeiten und in allen übrigen nützlichen Künsten schon an und für sich einen Wert. Zweitens ist zu untersuchen, ob die dazu erforderliche Übung schon ohne anderweitige Rücksicht zur Erhaltung der Gesundheit notwendig oder zuträglich sei? In gewissen Dingen müssen die Kinder, wenn sie noch klein sind, schon einige Kenntnis und Fertigkeit erlangen und einen Teil der Zeit darauf verwenden, ungeachtet die dazu erforderlichen Beschäftigungen eben nichts zu ihrer Gesundheit beitragen. Dahin gehört das Lesen und Schreiben und alles andere, was zur Bildung des Geistes dient, gewöhnlich sitzend betrieben wird und unvermeidlich von der Wiege an einen großen Teil der Zeit wegnimmt. Mechanische Künste hingegen, die durch Anstrengung körperlicher Kräfte erlernt und ausgeübt werden, befördern nicht nur die Geschmeidigkeit und Geschicklichkeit der Glieder, sondern auch die Gesundheit, besonders wenn es in freier Luft geschieht. Hier vereinigt sich also Sache und Gesundheitssorge; man sollte demnach für denjenigen, der sich dem Studieren und den Büchern widmet, unter diesen Beschäftigungen einige wählen, die ihm zur Erholung dienen könnten. Bei dieser Wahl aber müßte man auf das Alter und die Neigung des Individuums gehörig Rücksicht nehmen und niemals einen jungen Menschen mit Gewalt dazu antreiben; denn Zwang und Befehl bringen sehr oft Abneigung hervor, heilen sie aber niemals. Wozu einer mit Zwangsmitteln angehalten wird, das wird er, sobald er nur kann, verlassen; er wird ebensowenig Nutzen als Erholung dabei finden, wenn er sich damit abgeben muß.

S 203. Unter allen Künsten gefällt mir keine mehr als die Malerei, wenn nicht ein oder zwei Gründe dagegen wären, auf die sich nicht leicht antworten läßt. Erstens ist nichts unerträglicher als ein schlechtes Gemälde; um es aber nur zu einer mäßigen Geschicklichkeit zu bringen, wird gar zu viel Zeit erfordert. Hat der junge Mensch schon von selbst eine Neigung dazu, so gerät er in Versuchung, alle anderen nötigeren Studien zu verabsäumen, um diesem nachzuhängen; hat er aber keine Neigung, so wird Zeit, Mühe, Geld und alles, was daran gewandt wird, geradezu weggeworfen sein. Ein anderer Grund, warum ich jungen Leuten unter den höheren Klassen nicht rate, sich mit dem Malen abzugeben, ist, weil es sitzend getrieben wird und mehr dem Geist als dem Körper zur Erholung dient. Das Studieren gehört unstreitig zu den wichtigeren Beschäftigungen eines solchen Jünglings, und wenn er sich hierbei erholen oder ausruhen will, so muß es durch Leibesbewegung geschehen, wobei der Geist sich nicht anstrengen darf und die Gesundheit und Stärke des Körpers gewinnt.

§ 204. Außerdem wollte ich zu diesem Zweck auch wohl die Gärtnerei und Landwirtschaft vorschlagen, besonders wenn man auf dem Lande lebt; ferner das Arbeiten in Holz, wie Tischlerei und Drechseln. Dies sind die gesündesten Zerstreuungen für einen Gelehrten oder Geschäftsmann. Denn da der Geist es nicht aushält, sich ununterbrochen mit derselben Sache und auf dieselbe Weise zu beschäftigen und Gelehrte oder andere Leute, welche eine sitzende Lebensart führen, Erholungen bedürfen, wobei der Geist sich zerstreut und der Körper in Tätigkeit gesetzt wird, so kenne ich besonders für einen Landedelmann nichts Besseres als jene beiden Arten von Beschäftigungen, mit welchen er wechslungsweise bald im Hause, bald im Freien, je nachdem es die Witterung erlaubt, sich abgeben kann, übrigens wird er durch die erste, den Gartenbau nämlich, imstande sein, seinen Gärtner gehörig anzuführen und anzuweisen, durch die zweite aber mancherlei Dinge zum Nutzen und Vergnügen zu erfinden und zu verfertigen. Doch meine ich nicht, daß dieses der eigentliche Zweck dieser Arbeiten, sondern nur eine Anreizung dazu sein solle. Meine Absicht ist bloß, eine nützliche und gesunde Handarbeit zur Zerstreuung von anderen ernsthaften Geistesbeschäftigungen vorzuschlagen.

§ 205. Die großen Männer des Altertums verstanden es sehr gut, Handarbeiten mit Staatsgeschäften zu verbinden; sie hielten es nicht für erniedrigend, die einen zur Erholung von den anderen zu machen. Wie es scheint, war es der Ackerbau hauptsächlich, womit sie sich insgemein in ihren Nebenstunden zu zerstreuen und zu beschäftigen suchten. Gideon unter den Juden wurde von der Tenne und Cincinnatus unter den Römern vom Pfluge abgerufen, die Heere ihres Vaterlandes gegen die Feinde anzuführen. Ihre Geschicklichkeit, den Dreschflegel oder den Pflug zu handhaben, und ihre Übung in diesen harten Arbeiten war ihnen nicht hinderlich bei Führung der Waffen, machte sie nicht unfähig zur Kriegs- oder Regierungskunst. Sie waren ebenso große Heerführer und Staatsmänner wie Landbauer. Der ältere Cato, welcher die wichtigsten Ämter in der Republik mit dem größten Ruhm verwaltete, hat von seiner eigenen Hand Er lebte 254 – 149 v. Chr. und schrieb für seinen Sohn eine Schrift » de re rustica« (»Über den Landbau«). uns einen redenden Beweis hinterlassen, wie genau er mit der Landwirtschaft bekannt war. Cyrus hielt, wie ich mich erinnere, es so wenig unter der Würde des Fürstenstuhls, sich mit dem Gartenbau zu beschäftigen, daß er dem Xenophon eine große, mit Fruchtbäumen besetzte Ebene zeigte, die er sämtlich selbst gepflanzt hatte. Der französische Übersetzer macht hierbei eine Anmerkung, um zu zeigen, daß dieser Cyrus nicht mit dem Stifter der persischen Monarchie zu verwechseln sei; ferner, daß derselbe nicht, wie Locke in der ersten Ausgabe seines Werks dem Cicero nachgesagt hatte, wirklicher König von Persien, sondern nur Statthalter von Lydien, Phrygien und Cappadozien gewesen sei und daß er endlich den im Text erwähnten Baumgarten nicht dem Xenophon, sondern dem Lysander gezeigt habe. Man könnte noch eine Menge solcher Beispiele aus dem jüdischen und heidnischen Altertum aufstellen, wenn es nötig wäre, den Nutzen dieser Art von Erholungen durch Beispiele zu beweisen.

§ 206. Man wird mich, denke ich, auch keines Irrtumes beschuldigen, wenn ich dergleichen Übungen in mechanischen Künsten Zerstreuungen und Erholungen nenne. Denn, um sich zu erholen, darf man, wie jeder eingestehen wird, eben nicht müßig sein, sondern bloß durch abwechselnde Beschäftigung dem ermüdeten Teile Ruhe verschaffen. Und wer nicht glaubt, daß bei harten und mühevollen Arbeiten Zerstreuung stattfinde, vergißt, daß die Liebhaber der Jagd oft sehr früh aufstehen, das stärkste Reiten, Hitze, Kälte und Hunger ertragen, und dennoch ist dies das gewöhnlichste Vergnügen von Personen vom ersten Range. Die Menschen würden unstreitig am Graben, Pflanzen, Pfropfen und anderen nützlichen Beschäftigungen ebensowohl Vergnügen finden, wie an andern eitlen Modeergötzungen, wenn sie sich nur dazu entschließen wollten; die Gewohnheit und eine dadurch erlangte Fertigkeit in solchen Hantierungen würde sie ihnen bald angenehm machen. Ja ich bin versichert, es gibt viele Personen, denen das Kartenspiel oder andere Spiele, gegen die sie sonst eben keine Abneigung hatten und mit welchen sie sich zuweilen gern zerstreuten, bloß dadurch ekelhafter und lästiger geworden sind, als die anstrengendsten und mühsamsten Geschäfte des Lebens, weil sie oft von Leuten, denen sie es nicht abschlagen konnten, dazu genötigt wurden.

§ 207. Die Spiele, mit welchen vornehme Personen, besonders Damen, so viel Zeit verschleudern, sind ein klarer Beweis, daß die Menschen durchaus nicht ganz müßig sein können. Sie müssen notwendig etwas vorhaben: wie könnten sie sonst so viele Stunden hintereinander bei einem Zeitvertreib sitzen, der, solange man damit beschäftigt ist, im Grunde mehr Unruhe als Vergnügen gewährt? Auch ist nicht zu leugnen, daß das Spiel, wenn man hinterher darüber nachdenkt, eben keine Selbstzufriedenheit zurückläßt, und daß weder Seele noch Körper dabei gewinnt. Spielt man höher, als man seinen Umständen nach kann, so ist es alsdann keine Erholung mehr, sondern ein Gewerbe, womit sich wenig ehrliche Leute, die sonst zu leben haben, abgeben. Ein Spieler von Profession aber, der auf Kosten seiner Ehre seine Taschen füllt, ist wahrlich eine verächtliche Kreatur.

Erholungen gehören nicht für Leute, die gar nichts zu tun haben und sich bei keinen Berufsgeschäften anstrengen oder ermüden. Von Rechts wegen sollte man seine Erholungen immer so anordnen, daß man, während dessen die angestrengte und ermüdete Kraft sich erholte und ausruhte, immer etwas anderes vornähme, welches außer der Zerstreuung und dem Vergnügen, das es uns zunächst gewährt, zugleich einen reellen Nutzen leistete. Nur die Eitelkeit und der Stolz der Großen und Reichen hat die unnützen und gefährlichen Zeitvertreibe (wie man sie zu nennen pflegt) in die Mode gebracht und die Menschen zu dem Wahn verleitet, daß das Studieren oder die Beschäftigung mit einer nützlichen Handarbeit kein Vergnügen eines Mannes von Stande sein könne. Dieser Wahn aber hat den Spielkarten, Würfeln und dem Trinken so viel Eingang und Beifall in der Welt verschafft. Hierbei verschwendet ein großer Teil der Menschen seine Nebenstunden, nicht etwa, weil sie wirklich Vergnügen dabei empfinden, sondern weil es die Gewohnheit einmal so mit sich bringt, und sie ihre Erholungsstunden mit keinen nützlicheren Beschäftigungen auszufüllen verstehen. Sie können die tötende Plage der Langeweile und das Unbehagliche einer gänzlichen Untätigkeit nicht ertragen, und da sie keine löbliche mechanische Kunst gelernt haben, um sich damit zu zerstreuen, so nehmen sie zu solchen schlechten und törichten Zeitvertreiben ihre Zuflucht, an welchen ein vernünftiger Mann, so lange er durch die Gewohnheit nicht verdorben ist, sehr wenig Vergnügen finden kann.

§208. Ich behaupte jedoch nicht, daß ein junger Mensch sich niemals mit den unschuldigen Vergnügungen, die unter Leuten seines Alters und Standes üblich sind, abgeben solle. Ich bin so weit entfernt, ein so finsteres und mürrisches Betragen zu billigen, daß ich ihm vielmehr rate, an der Fröhlichkeit und den Ergötzungen derjenigen, mit denen er umgeht, mehr als gewöhnlichen Anteil zu nehmen und gegen das, was sie in dieser Hinsicht von ihm verlangen, sich weder abgeneigt noch störrisch zu bezeugen, insofern es nämlich einem gesitteten und rechtschaffenen Menschen geziemt. Was indes die Karten und Würfel anlangt, so halte ich es für das beste, nie ein solches Spiel zu lernen, um diesen gefährlichen Versuchungen und dieser elenden Verschwendung der so kostbaren Zeit gänzlich zu entgehen. Wenn man nun auch dem jungen Menschen an der lustigen und frohen Unterhaltung und an den üblichen Vergnügungen, solange sie in den Schranken des Anstand es bleiben, teilzunehmen erlaubt, so wird er doch von seinen ernsthaften Hauptgeschäften noch immer Zeit genug übrig behalten, irgendein Metier zu lernen. Es liegt nicht an der Zeit, sondern am Mangel des Fleißes, daß die Menschen nicht in mehr als einer Kunst geschickt sind. Wer jeden Tag unausgesetzt nur eine Stunde auf solch eine Zerstreuung anwenden wollte, würde in kurzer Zeit weiter kommen, als er selbst glaubt. Würde hierdurch auch sonst weiter nichts bezweckt, als die Verbannung der gewöhnlichen, höchst unnützen, bösen und gefährlichen Modezeitvertreibe, so wäre dies allein schon der Mühe wert und würde zugleich zeigen, daß sie entbehrlich seien. Entwöhnte man die Menschen von Jugend an von der weichlichen Untätigkeit, in welcher viele, durch den Hang der Gewohnheit, einen großen Teil ihres Lebens ungenutzt, ohne Geschäfts und Vergnügen verstreichen lassen, so würden sie Zeit genug erübrigen, sich in hundert Dingen Geschicklichkeit und Erfahrung zu erwerben, die, wenn sie auch mit ihrem Beruf in keiner Verbindung stünden, demselben doch nicht Eintrag tun würden. Ich behaupte daher aus diesen und anderen vorhin angeführten Gründen, daß bei jungen Leuten ein solches träges und verdrossenes Wesen, in welchem man die Lebenslage verträumt, am wenigsten geduldet werden müsse. Es ist dies bloß der Zustand eines Kranken, dessen Gesundheit in Unordnung geraten ist, und taugt übrigens bei keinem Menschen, wes Alters oder Standes er auch sein mag.

§ 209. In den vorhin gedachten Künsten gehören auch das Parfümieren, Bereitung von wohlriechenden Essenzen, eine Modebeschäftigung jener Zeit. Lackieren und Gravieren, nebst verschiedenen Arbeiten in Stahl, Erz und Silber. Und wenn ein junger Mensch, wie dies gewöhnlich geschieht, eine beträchtliche Zeit in einer großen Stadt zubringt, so kann er auch Edelsteine schneiden, schleifen und fassen lernen oder sich üben, optische Gläser zu schleifen. Es ist unmöglich, daß unter der großen Menge von mechanischen Künsten nicht eine sein sollte, an der er Gefallen und Vergnügen fände; es sei denn, daß er faul oder ausschweifend wäre, welches aber bei einer guten Erziehung nicht stattfinden wird. Da er auch nicht immer studieren, lesen oder gesellschaftlichen Unterhaltungen beiwohnen kann, so wird ihm außer den Stunden, die er auf Leibesübungen wendet, noch manche übrigbleiben, die er, wenn er sie nicht auf solche Art gebraucht, gewiß schlecht zubringen wird. Denn ich glaube, ein junger Mensch will selten ganz untätig und müßig sein, und wenn dies der Fall wäre, so müßte man den Fehler zu verbessern suchen.


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