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Siebzehnter Abschnitt.

Von der Gleichgültigkeit mancher Kinder gegen den Unterricht.

§ 123. Bei manchen Kindern bemerkt man eine dieser regen Wißbegier ganz entgegengesetzte Stimmung, nämlich eine gleichgültige Achtlosigkeit gegen alles, so daß nichts sie interessiert und in allem ihrem Tun eine gewisse Verdrossenheit herrscht. Diese Gleichgültigkeit ist unstreitig eine der schlimmsten Eigenschaften bei Kindern und am schwersten zu heilen, wenn der Grund davon wirklich im Charakter liegt. Man kann sich aber hierin leicht irren, und man hat daher wohl zuzusehen, daß man über die Trägheit, worüber man sich zuweilen bei Kindern in Ansehung der Bücher und der ihnen angewiesenen Geschäfte beklagt, ein richtiges Urteil fälle. Bei dem ersten Verdachte, den ein Vater wegen einer solcher Anlage bei seinem Sohne schöpft, muß er genau beobachten, ob derselbe durchgängig oder nur in einigen Stücken sich so träge, sorglos und gleichgültig zeigt, oder ob er in anderen Dingen desto mehr Lebhaftigkeit und Munterkeit äußert. Denn wenn er sich auch bei dem Buche verdrossen beweist und einen großen Teil der Zeit im Lernzimmer müßig verschleudert, so ist doch daraus noch nicht auf einen gleichgültigen Charakter zu schließen. Es kann sein, daß er aus Kinderei andere Dinge, worauf er gerade verfällt, dem Studieren vorzieht, und daß ihm das Buch zuwider ist, mag vielleicht daher rühren, daß er wie zu einem Tagewerk dazu gezwungen wird. Um ihn also ganz kennen zu lernen, muß man ihn beim Spiel, wenn weder Zeit noch Ort ihn zum Studieren antreibt und er seinen eigenen Neigungen folgt, genau beobachten und zusehen, ob er alsdann träge oder geschäftig ist, ob er ein gewisses Ziel sich vorsetzt und es mit unverdrossenem Eifer verfolgt, bis er es erreicht hat, oder ob er seine Zeit in lässiger Sorglosigkeit verträumt. Äußert sich diese Trägheit bloß bei den Büchern, so, deucht mir, kann sie leicht gehoben werden. Liegt sie aber in seiner Anlage, so erfordert es mehr Aufmerksamkeit und Mühe, ihr abzuhelfen.

§ 124. Habt ihr durch den Ernst, den der junge Mensch bei seinen Spielen oder bei anderen Dingen beweist, womit er sich außer den ordentlichen Arbeitsstunden abgibt, euch überzeugt, daß seine Trägheit nicht in seiner Anlage begründet ist, sondern daß er bloß aus Mangel des Geschmacks am Studieren faul und verdrossen bei der Arbeit ist, so stellt ihm fürs erste die Torheit und Ungereimtheit einer solchen Aufführung liebreich vor, und daß er durch seine Schläfrigkeit einen großen Teil der Zeit verliert, die er sonst zu seinem Vergnügen anwenden könnte. Dieses muß anfangs ganz gelassen und freundlich und mit wenig Worten geschehen. Hilft es, so habt ihr euren Zweck auf die beste Art erreicht, nämlich durch Vernunft und Güte. Schlagen aber diese gelinden Mittel nicht an, so versuche man es, ihn deshalb zu beschämen. Man lache und spotte seiner und frage ihn alle Tage, wenn er zu Tisch kommt und kein Fremder zugegen ist, wie viel Zeit er heute bei seiner Arbeit zugebracht habe. Und wenn er sie in der seinen Fähigkeiten entsprechenden Zeit nicht beendigt hat, so ziehe man ihn deshalb auf, ohne ihn jedoch zu schelten. Der Vater aber nehme eine ganz kalte Miene gegen ihn an, bis er sich bessert, und die Mutter, der Erzieher nebst allen anderen, die um ihn sind, müssen dann ein gleiches tun. Sollte dies noch nicht den gewünschten Eindruck machen, so sage man ihm, er solle nicht länger mit einem Führer belästigt werden, der für seine Erziehung Sorge trägt: man wolle weiter keine Kosten anwenden, damit er seine Zeit in Faulheit verschwenden könne, sondern da er diese oder jene Sache (es sei ein Spiel oder Zeitvertreib) den Büchern vorziehe, so solle er sich künftig auch ganz allein damit beschäftigen, und so halte man ihn im Ernst zu dem belobten Spiele an, damit er es ununterbrochen, wie ein ordentliches Geschäft, Vor- und Nachmittag fortsetze, bis er es gänzlich überdrüssig ist und es gern gegen einige Lehrstunden vertauschen möchte. Wenn ihr ihm aber ein Spiel dergestalt zur Arbeit macht, so müßt ihr selbst acht haben oder einen anderen dazu bestellen, damit er es unausgesetzt forttreibe und nicht auch hierbei nachlässig sei. Ich sage, daß ihr es selbst tun müßt; denn so beschäftigt auch sonst ein Vater sein mag, so kann er doch wohl zwei oder drei Tage seinem Sohne widmen, um ihn von einem so großen Übel, wie die Nachlässigkeit ist, zu heilen.

§ 125. So, denke ich, muß man verfahren, wenn die Faulheit nicht von der natürlichen Anlage, sondern von einer besonderen, angenommenen Abneigung gegen das Lernen herrührt, welches man sorgfältig untersuchen muß. Nur darf er es selbst nicht merken, daß ihr oder ein anderer ihn zu der Zeit, da er sich selbst überlassen ist, so genau beobachtet. Das würde ihn sonst hindern, der Neigung zu folgen, die seine ganze Seele beschäftigt, und da er von der einen Seite aus Scheu vor euch es nicht wagt, den Gegenstand zu verfolgen, womit sein Kopf und Herz angefüllt ist, von der anderen Seite aber auch alles das vernachlässigt, woran er zu der Zeit keinen Geschmack findet: so könnte man leicht auf die Gedanken geraten, daß er durchaus faulen und trägen Temperaments sei, wiewohl er im Grunde nur auf den gedachten Gegenstand erpicht ist, und bloß euer aufmerksames Auge und die Furcht ihn zurückhält, sich damit zu beschäftigen. Um nun hierin ganz hinter die Wahrheit zu kommen, so muß die Beobachtung in eurer Abwesenheit angestellt werden, wenn nicht der mindeste Verdacht, bemerkt zu werden, ihm Zwang auflegt. In solchen Augenblicken, da er sich vollkommen frei dünkt, muß jemand, auf den ihr euch verlassen könnt, wahrnehmen, wie er seine Zeit anwendet und ob er sie ganz untätig verschleudert, wenn er ungehindert seiner Neigung folgt. Dergestalt wird man nach dem Gebrauch, den er in voller Freiheit von seiner Zeit macht, leicht beurteilen können, ob die Trägheit wirklich in seinem Temperament liegt, oder ob nur der Abscheu vor Büchern an seiner Nachlässigkeit in den Lehrstunden schuld ist.

§ 126. Hat aber jene Stumpfheit, Gleichgültigkeit und Schlaffheit ihren Grund in der natürlichen Anlage, so ist es in der Tat keine leichte Sache, eine solche nichtsversprechende Gemütsbeschaffenheit gehörig zu behandeln; denn gewöhnlich ist eine gänzliche Sorglosigkeit in Ansehung der Zukunft damit verknüpft, und es mangeln Vorhersehung und Begierde, zwei wichtige Triebfedern der Tätigkeit. Es entsteht also die Frage: wie diese bei dem Kinde anzuregen und zu beleben sind, wenn die Anlage von Natur kalt und schläfrig ist. Sobald man sich überzeugt hat, daß dies wirklich der Fall sei, so ist genau zu untersuchen, ob ihm nichts Vergnügen macht. Man muß acht geben, woran es am meisten Gefallen findet. Zeigt sich dann irgendein bestimmter Hang, so muß man alles tun, ihn zu nähren und sich seiner bedienen, um das Kind in Tätigkeit zu setzen und zu beleben. Vielleicht ist es reizbar für Lob, Spiel, schöne Kleider usw., oder es fürchtet auf der anderen Seite Schmerz, Tadel, Mißfallen und dergleichen, kurz alles, wofür es einige Reizbarkeit äußert (nur die Faulheit ausgenommen, bei der es nie die Arbeit liebgewinnen wird), muß man anwenden, um es aus der Trägheit herauszureißen und zu ermuntern. Denn bei solchen trägen Temperamenten hat man auch nicht wie in jedem anderen Falle zu befürchten, daß irgendeine Begierde durch Begünstigung zu stark anwachsen möchte. Dies ist es eben, was wir bei ihnen vermissen: und darum muß man selbige auf alle Weise anzuregen bemüht sein; denn wo keine Begierde ist, da ist auch keine Tätigkeit.

§ 127. Ist dies noch nicht hinreichend, das Kind zur Geschäftigkeit zu ermuntern, so halte man es zu irgendeiner körperlichen Arbeit an, damit es sich gewöhne, doch etwas vorzunehmen. Besser wäre es freilich, es mit Kopfarbeit stark zu beschäftigen, damit es seine Seelenkräfte üben und anstrengen lernte. Allein da man von dem Grade seiner Aufmerksamkeit nicht nach dem Äußeren urteilen und niemals gewiß wissen kann, ob es wirklich faul ist oder nicht, so gebe man ihm lieber körperliche Verrichtungen, mit welchen es sich beständig beschäftigen müsse. Gesetzt, daß diese auch wirklich etwas beschwerlich und beschämend wären, so ist nichts dabei verloren, weil es sie dann noch eher überdrüssig werden und verlangen wird, zum Buch zurückzukehren. Laßt ihr es aber die Handarbeit gegen das Buch vertauschen, so müßt ihr ihm ein solch Pensum aufgeben, daß es in der dazu bestimmten Zeit nicht Gelegenheit habe, seiner Faulheit nachzuhängen. Habt ihr dann den jungen Menschen auf diesem Wege zur Aufmerksamkeit und zum Fleiß bei den Büchern gebracht, so könnt ihr ihm zur Belohnung, wenn er in der gesetzten Zeit sein Pensum gehörig vollendet hat, eine Erholung von seiner körperlichen Arbeit verstatten. Diese kann sodann nach und nach vermindert werden, sowie er mehr Fleiß und Tätigkeit zeigt, und wenn seine Nachlässigkeit beim Unterricht völlig gehoben ist, kann man sie ihm ganz erlassen.


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