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Erster Abschnitt.

Von der Gesundheit.

§ 3. Wie notwendig die Gesundheit zu unseren Geschäften und zu unserer Glückseligkeit sei, wie sehr eine starke Leibesbeschaffenheit, die vermögend ist, alle Arbeiten und Mühseligkeiten dieses Lebens zu ertragen, erfordert werde, wenn man nur etwas in der Welt ausrichten will: dieses ist zu einleuchtend, als daß es erst bewiesen werden dürfte.

§ 4. Die Betrachtungen, die ich hier über die Gesundheit anstelle, haben nicht den Zweck zu zeigen, wie ein Arzt ein krankes und schwaches Kind behandeln müsse, sondern was Eltern ohne die Hilfe des Arztes tun können, um die gesunde oder wenigstens nicht kranke Beschaffenheit ihres Kindes zu erhalten und zu verbessern. Vielleicht kann dieses alles in diese kurze Regel zusammengefaßt werden: Man erziehe die Kinder wie wohlhabende Landleute die ihrigen. Weil aber manche Mutter dieses zu hart und mancher Vater zu kurz finden möchte, so will ich mich etwas ausführlicher erklären. Nur soviel muß ich Frauen als eine gewisse Beobachtung empfehlen: die gute Leibesbeschaffenheit der meisten Kinder wird durch Verzärtelung verdorben oder wenigstens geschwächt.

§ 5. Vor allen Dingen muß man sorgen, daß Kinder im Winter und Sommer nicht zu warm gekleidet gehen. Das Gesicht ist bei unserer Geburt ebenso zart als jeder anders Teil des Körpers; die Gewohnheit allein macht es hart und fähig, Kälte zu ertragen. Daher antwortete jener szythische Weise einem Athenienser, der sich wunderte, wie er im Frost und Schnee nackend gehen könnte, sehr nachdrücklich: »Wie kannst du es aushalten,« sagte ihm der Szythe, »daß dein Gesicht der scharfen Winterluft bloßgestellt ist?« – »Mein Gesicht ist daran gewöhnt,« antwortete der Athenienser. – »Denke also, ich sei ganz Gesicht,« erwiderte der Szythe. In der Tat steht unser Körper alles aus, wenn er nur von Anfang an dazu gewöhnt wird.

Ein vortreffliches, wiewohl diesem entgegengesetztes Beispiel, nämlich von Ertragung einer übermäßigen Hitze, treffe ich in einer schönen Reisebeschreibung an. » Nouveau voyage du Levant Ich will es mit des Verfassers eigenen Worten anführen. »Die Hitze«, sagte er, »ist auf der Insel Malta weit brennender als an irgendeinem Orte in Europa. Sie ist heftiger als in Rom; sie ist erstickend, und um so viel unerträglicher, weil man selten durch einen kühlen Wind erfrischt wird. Die gemeinen Leute sind hier so schwarz wie die Zigeuner. Aber der Landmann bietet der Sonne Trotz und arbeitet ohne Unterbrechung den heißesten Teil des Tages fort, ohne gegen die brennenden Strahlen Schutz zu suchen. Hieraus ziehe ich den Schluß, die Natur könne Dinge leisten, die an sich unmöglich scheinen, wenn man sich nur von Kindheit auf daran gewöhnt. Dieses tun die Malteser; sie härten ihre Kinder zur Hitze ab, indem sie solche nackend ohne Hemd und ohne Beinkleider von der Mutter Brust bis in ihr zehntes Jahr herumlaufen lassen.«

Man verwahre also Kinder nicht zu sorgfältig für Kälte. Es gibt Leute in England, welche ohne Unbequemlichkeit Winter und Sommer einerlei Kleider tragen, und ohne mehr Kälte zu empfinden als andere. Sollten indes unsere Mütter aus zu ängstlicher Besorgnis, und die Väter aus Furcht vor Tadel, dennoch auf Frost und Schnee einige Rücksicht nehmen, so sorge man wenigstens, daß die Winterkleidung nicht allzu warm sei. Hat die Natur schon von selbst das Haupt des Knaben so gut mit Haaren bedeckt, daß er am Tage ohne Mütze herumlaufen kann, so bedenke man doch, daß dieses ebenfalls auch des Nachts angehe. Denn nichts verursacht mehr Kopfweh, Schnupfen, Flüsse, Husten und andere Krankheiten, als wenn man den Kopf zu warm hält.

§ 6. Ich habe hier von einem Knaben geredet. Denn der Hauptzweck meiner Abhandlung ist, die Erziehung eines jungen Menschen von gutem Herkommen zu zeigen. Das läßt sich nicht in allen Stücken auf Töchter anwenden; doch wird es nicht schwer zu beurteilen sein, wo der Unterschied des Geschlechts eine andere Behandlung erfordert.

§ 7. Ich würde raten, die Füße täglich in kaltem Wasser zu waschen, und die Schuhe so dünn zu tragen, daß die Nässe leicht durchdringen könnte. Hiermit werden Mütter und Mägde freilich nicht zufrieden sein. Die ersteren werden glauben, daß es der Reinlichkeit zuwider sei, und den letzteren wird es mehr Mühe verursachen. Aber die Sorge für die Gesundheit ist doch unendlich wichtiger als alle diese Bedenklichkeiten. Wer erwägt, was für schädliche und tödliche Folgen das Naßwerden und Erkälten der Füße oft bei denjenigen nach sich zieht, welche zu zärtlich erzogen sind, wird wünschen, daß er wie Kinder vom niedrigsten Stande barfuß gegangen sein möchte. Diese werden es so gewohnt, Nässe an Füßen zu ertragen, daß sie davon ebensowenig Schnupfen oder andere Unannehmlichkeiten empfinden, als wenn ihnen die Hände naß werden. Was macht denn sonst, frage ich, den großen Unterschied unter Händen und Füßen aus, als bloß die Gewohnheit? Wäre ein Mensch von Kindheit an immer gewöhnt worden, barfuß zu gehen, die Hände hingegen beständig in warme Tücher zu hüllen und mit Handschuhen zu bedecken, so zweifle ich nicht, daß das Naßwerden an Händen ihm ebenso gefährlich sein würde als vielen anderen die Nässe an den Füßen. Das Mittel dagegen wäre also, daß die Schuhe Wasser zögen und die Füße täglich in kaltem Wasser gewaschen würden. Es würde dieses auch die Reinlichkeit sehr befördern. Jetzt aber sehe ich nur auf die Gesundheit; ich schränke es daher eigentlich auf keine besondere Zeit des Tages ein. Mir ist ein Haus bekannt, wo man es alle Abende mit gutem Erfolg und den ganzen Winter hindurch zu tun pflegte, ohne es auch nur einmal in der strengsten Kälte zu unterlassen. Wenn auch Eis das Wasser bedeckte, so badete das Kind doch seine Füße darin, ob es gleich noch nicht so alt war, daß es sich selbst waschen und trocknen konnte; auch war es überdies sehr zart und kränklich, als es diese Gewohnheit anfing. Der Hauptzweck ist, diese Teile durch fleißigen und öfteren Gebrauch des kalten Wassers abzuhärten und dadurch den Unbequemlichkeiten zu entgehen, die man empfindet, wenn man gelegentlich nasse Füße bekommt, ohne daran gewöhnt zu sein. Ich denke also, man könne es der Beurteilung und Bequemlichkeit der Eltern überlassen, ob sie entweder den Abend oder den Morgen dazu festsetzen wollen. Denn die Zeit halte ich für gleichgültig, wenn nur die Sache geschieht. Die Gesundheit und Festigkeit, welche dadurch erlangt wird, würde schon Vorteil genug sein, wenn sie auch weit teuerer zu stehen käme. Hierzu kommt noch, daß man dadurch von Hühneraugen verschont bleibt; ein Umstand, der allein schon viel wert ist. Man fange erst im Frühling mit lauem Wasser an, nehme immer kälteres, bis man in wenig Tagen ganz kaltes brauchen kann, und dann fahre man des Winters und Sommers also fort. Denn es ist sowohl bei dieser, als bei jeder anderer Veränderung in unserer Lebensart zu merken, daß solche allmählich und unvermerkt geschehen müsse. Auf diese Weise können wir unseren Körper ohne Mühe und Gefahr an alles gewöhnen.

Was zärtliche Mütter hierzu sagen werden, kann man sich leicht vorstellen. Sie werden glauben, daß man ihre zarten Lieblinge ermorden wolle. Wie? Sie sollen ihre Füße bei Frost und Schnee noch in kaltes Wasser stecken, da man sie mit aller Mühe nicht warm genug halten kann. Um ihre Furcht durch Beispiele ein wenig zu mildern, ohne welche die deutlichsten Vernunftschlüsse selten Eingang finden, so erzählt uns Seneca von sich selbst, er sei gewohnt gewesen, sich mitten im Winter in kaltem Quellwasser zu baden. Er hielt dieses nicht nur für erträglich, sondern auch für gesund, da er es sonst gewiß nicht würde getan haben, denn er war reich genug, um die Kosten eines warmen Bades nicht scheuen zu dürfen, und befand sich bereits in hohem Alter, welches Nachsicht verdient haben würde. Will man sagen, seine stoischen Grundsätze hätten ihn zu dieser Strenge verleitet, so mag es sein, daß diese ihm das kalte Wasser erträglich gemacht haben: aber was machte es denn seiner Gesundheit zuträglich? Denn diese litt durch diese Gewohnheit nicht. Horaz folgte keiner Sekte, am wenigsten der stoischen. Dennoch versicherte er uns, er sei gewohnt gewesen, sich auch im Winter in kaltem Wasser zu baden. Man wird einwenden, das Klima sei in Italien milder als in England, und die Kälte der dortigen Gewässer komme der unserigen im Winter nicht gleich. Sind aber die Flüsse in Italien wärmer, so sind die in Deutschland und Polen doch gewiß viel kälter, und gleichwohl baden sich in denselben Männer und Weiber ohne Unterschied der Jahreszeiten und ohne den geringsten Nachteil der Gesundheit. Nicht alle Menschen sind fähig, es für ein Wunder oder eine besondere Kraft des St. Winfrieds-Brunnens Holywell (Heiligenbrunn) in der Grafschaft Flint in Nordwales. zu halten, daß das kalte Wasser dieser berufenen Quelle den zarten Leibern nicht schadet, die sich darin baden. Die bewundernswürdige Wirksamkeit kalter Bäder bei schwächlichen Personen zur Wiedererlangung der Gesundheit und Stärke, wird heutzutage allgemein anerkannt. Einige Jahre vor Lockes Tode standen die kalten Bäder in London in großem Ansehen und behalten noch heute ihren alten Ruhm.       Coste. Sie müssen daher auch denen, die sich besser befinden, zur Stärkung und Abhärtung des Körpers dienen.

Glaubt man etwa, diese Beispiele von Erwachsenen ließen sich auf Kinder nicht anwenden, ihre zarte Leibesbeschaffenheit möchte darunter leiden, so untersuche man nur, wie die alten Deutschen mit ihren Kindern umgingen, und was die Irländer noch jetzt tun. Man wird finden, daß auch die zartesten Kinder ohne Gefahr das Waschen nicht allein der Füße, sondern auch des ganzen Leibes im kalten Wasser ertragen können. Es gibt noch heutzutage in den schottischen Gebirgen vornehme Frauen, welche dieses mit ihren Kindern mitten im Winter tun und finden, daß ihnen das kalte Wasser nichts schadet, auch wenn Eis darinnen ist.

§ 8. Schwimmen zu lernen ist sehr nützlich, wenn ein Knabe von dem Alter ist, daß er es lernen kann, und dabei einen guten Anführer hat. Manchem Menschen rettet er das Leben. Die Römer hielten es für so unentbehrlich, daß sie es mit dem Lesen und Schreiben in eine Reihe setzten. Wollten sie einen schlecht erzogenen Menschen, der zu nichts taugte, bezeichnen, so sagten sie: er hat weder lesen noch schwimmen gelernt. Nec literas didicit, nec natare. Auch die Griechen pflegten zu sagen: Μήτε νείν μήτε γράμματα έπίσταται. Der Mensch erhält dadurch eine Geschicklichkeit, die ihm im Notfall nützlich sein kann. Außerdem bringt das öftere Baden im Sommer der Gesundheit so mannigfache Vorteile, daß ich es nicht für nötig halte, weiter etwas davon zu sagen. Nur muß man die Vorsicht dabei nicht aus der Acht lassen, daß man nie von einer Leibesübung erhitzt oder mit wallendem Blute und klopfendem Pulse ins Wasser gehe.

§ 9. Eine andere der Gesundheit sehr zuträgliche Sache, hauptsächlich bei Kindern, ist, sich häufig in freier Luft, und so wenig als möglich, auch selbst im Winter, am Feuer aufhalten. Hierdurch werden sie sich an Hitze und Kälte, an Regen und Sonnenschein gewöhnen. Wessen Körper alles dieses nicht ertragen kann, der wird wenig in der Welt damit anfangen können. Ist er schon erwachsen, so ist es zu spät, sich dazu zu gewöhnen; es muß in der Jugend, und nach und nach geschehen. Auf diese Art aber kann man es dahin bringen, alles ertragen zu können. Wenn ich einem Knaben raten wollte, ohne Hut im Winde und in der Sonne zu spielen, so würde man es sehr mißbilligen. Man würde vielerlei Einwürfe machen, und der wichtigste darunter würde sein, daß der Knabe von der Sonne möchte verbrannt werden. Soll aber der junge Herr immer im Schatten gehalten und nie der Sonne und dem Winde ausgesetzt werden, aus Besorgnis, seine Gesichtsfarbe zu verderben, so wird man ihn wohl zu einem süßen Herrn, aber nie zu einem brauchbaren Geschäftsmann bilden. Bei Montaigne heißt es: »Härtet Euer Kind zur Hitze und Kälte, zum Winde und zur Sonne und zu allen Witterungen ab. Benehmet ihm alle Weichlichkeit und Zärtlichkeit in Kleidern und Betten, im Essen und Trinken; gewöhnt es zu allem, damit es nicht ein schöner und jungfräulicher, sondern ein frischer und starker Knabe sei. Als Kind, Mann und Greis habe ich stets so geurteilt.« Vers. erstes B. 25. C. Locke las und schätzte Montaigne.       Coste. Bei den Töchtern muß man freilich auf Schönheit mehr Rücksicht nehmen: allein ich bin dreist genug zu behaupten, daß je mehr sie sich ohne Nachteil ihres Gesichtes der freien Luft aussetzen, sie desto stärker und gesünder sein werden, und je mehr ihre Erziehung sich der harten Behandlung ihrer Brüder nähert, desto größere Vorteile werden sie für ihr ganzes Leben davon einernten.

§ 10. Nur diese einzige Gefahr hat das Spielen in freier Luft bei sich, daß der Knabe, wenn er erhitzt ist, sich auf die kalte und feuchte Erde setzen möchte. Dieses und das kalte Trinken nach Erhitzung bringt mehr Menschen ins Grab oder doch an den Rand desselben, durch Fieber und andere Krankheiten als irgendeine andere Ursache. Solange der Knabe klein ist und man ihn immer unter den Augen hat, ist diesem Unglück leicht vorzubeugen. Hat man ihn nun während seiner Kindheit beständig und ernstlich angehalten, sich nie auf die Erde zu setzen oder kalt zu trinken, wenn er erhitzt ist, so geht diese Enthaltung in Fertigkeit über, die ihm sehr zustatten kommen wird, wenn er auch längst den Händen seiner Wärterin und seines Erziehers entwachsen ist. Dies ist denn aber auch alles, was man in diesem Stücke tun kann. Denn mit den Jahren muß man ihm auch mehr Freiheit gestatten und in sehr vielen Dingen ihn gänzlich seiner eigenen Führung überlassen. Er kann nicht immer einen Aufseher haben; die guten Grundsätze und Gewohnheiten, die man in seine Seele gelegt hat, sind für sein ganzes Leben der sicherste und beste Führer. Hierauf also muß man alle Sorgfalt verwenden. Tausendmal wiederholte Warnungen und Regeln helfen gewiß nichts, solange sie nicht durch Übung zur anderen Natur geworden sind.

§ 11. Bei Erwähnung der Töchter fällt mir etwas ein, was man nie aus der Acht lassen sollte: nämlich, daß man die Kleider der Knaben nie zu enge machen lasse, besonders um die Brust herum. Man lasse der Natur Freiheit, den Leib zu bilden, wie sie es für gut findet. Sie wirkt allein gelassen besser, als nach unserer Anweisung. Sollte oft die Bildung der Kinder im Mutterleibe den Müttern selbst überlassen sein, so würden gewiß so wenig vollkommene Kinder geboren werden, als wir wenige wohlgestaltete unter denen finden, die enge eingeschnürt worden sind, oder an denen man viel gekünstelt hat. Diese Betrachtung, dünkt mich, sollte die geschäftigen Leute (ich möchte nicht gern sagen, die unwissenden Ammen und Schnürbrustmacher) abhalten, sich nicht in Dinge zu mischen, die sie nicht verstehen. Sie sollten es sich zur Gewissenssache machen, die Natur bei Bildung des Leibes nicht zu stören, da sie den inneren Bau des geringsten und kleinsten Teiles nicht kennen. Ich weiß viele Beispiele von Kindern, bei denen das enge Schnüren und Einpressen die nachteiligsten Folgen hatte, und ich konnte nicht umhin, daraus den Schluß zu ziehen, daß es außer den Affen auch noch andere Geschöpfe gibt, die nicht viel klüger sind und ihre Jungen durch unvernünftige Zärtlichkeit und zu häufige Liebkosungen ersticken.

§ 12. Die gewöhnlichsten und alltäglichen Folgen der Schnürleiber und engen Kleider sind: Engbrüstigkeit, kurzer und übelriechender Atem, verdorbene Lungen und Rückgratsverkrümmung. Das Mittel also, dessen man sich bedient, den Wuchs fein und schlank zu machen, dient nur dazu, ihn zu verderben. Notwendig muß auch das Ebenmaß der Glieder zerstört werden, wenn die Nahrung, welche in den verschiedenen Gefäßen des Körpers zubereitet wird, nicht der Bestimmung der Natur gemäß verteilt werden kann. Die Nahrung dringt in Teile, die weniger gepreßt sind. Man darf sich daher nicht wundern, wenn oft eine Schulter oder eine Hüfte höher wird als die andere. Es ist bekannt, daß die Chinesinnen, die, ich weiß nicht warum, kleine Füße für schön halten, solche dadurch bekommen, daß sie sie von Kindheit an fest zusammenschnüren. Ich sah vor einiger Zeit ein Paar solche chinesische Schuhe, die von einer erwachsenen Frau sein sollten. Sie waren viel zu klein für eine Frau bei uns, kaum würden sie einem kleinen Mädchen groß genug gewesen sein. Man hat überdies beobachtet, daß ihre Weiber sehr klein sind und selten lange leben; dahingegen die Männer die gewöhnliche Größe anderer Menschen und ein verhältnismäßiges Alter erreichen. Einige suchen die Ursache hiervon in dem unvernünftigen Binden ihrer Füße, wodurch der freie Umlauf des Blutes und folglich das Wachstum und die Gesundheit des ganzen Körpers gehindert wird. Man sieht ja sehr oft, wenn nur ein kleiner Teil des Fußes durch eine Verrenkung oder einen Schlag leidet, daß das ganze Bein alsdann seine Kraft verliert und schwindet. Weit größeren Nachteil muß man daher befürchten, wenn die Brusthöhle, wo das Herz, die Quelle des Lebens seinen Sitz hat, unnatürlich zusammengepreßt und an seiner Ausdehnung gehindert wird.

§ 13. Die Diät der Kinder sollte so einfach als möglich sein. Nach meiner Meinung dürfte man ihnen so lange kein Fleisch geben, als sie noch in dem Kinderkleidchen gehen, wenigstens nicht vor dem zweiten oder dritten Jahre. Ihre Gesundheit würde sich ohne Zweifel besser dabei befinden. Allein so heilsam dieser Rat auch für die gegenwärtige und künftige Gesundheit der Kinder sein mag, so zweifle ich doch sehr, daß Eltern ihn befolgen werden, weil sie selbst in diesem Stücke verwöhnt sind. Sie würden glauben, die kleinen müßten ganz verkommen, wenn sie nicht den Tag über zweimal Fleisch essen sollten. Indessen bin ich überzeugt, die Kinder würden mit weniger Gefahr Zähne bekommen, von Krankheiten freier sein und einen besseren Grund zu einer starken Leibesbeschaffenheit legen, wenn allzuzärtliche Mütter und törichte Mägde den Magen der Kinder nicht mit Speisen überfüllten, oder ihnen die ersten drei oder vier Jahre gar kein Fleisch gäben. Muß aber der junge Herr unumgänglich Fleisch bekommen, so lasse man es doch wenigstens nur mit einem Male des Tages und mit einer Sorte bei jeder Mahlzeit bewenden. Bloßes Rindfleisch, Schöpsenfleisch, Kalbfleisch und so weiter, ohne eine andere Würze als der Hunger ist das beste. Übrigens sollte man sie an vieles Brot gewöhnen, sowohl allein, als sonst bei jeder anderen Speise. Dabei müssen sie alles gehörig kauen. Wir Engländer sind hierinnen oft nachlässig, woraus Unverdaulichkeit und andere Übel entstehen.

§ 14. Zum Frühstück und Abendessen sind Milch, Milchbrei, Hafergrütze, Haferschleim und viele andere in England gewöhnliche Speisen sehr dienlich. Nur muß man immer darauf sehen, daß sie so einfach als möglich zubereitet werden. Den Zucker sollte man nur sehr sparsam, Gewürze aber und andere erhitzende Sachen gar nicht gebrauchen. Man salze nie zu viel, noch gewöhne man Kinder an pikante, scharfschmeckende Speisen. Unser Gaumen gewöhnt sich nur allzuleicht an einen scharfen Geschmack; der unmäßige Gebrauch des Salzes aber erregt zu heftigen Durst, reizt zum übermäßigen Trinken und hat andere nachteilige Folgen. Ein Stück gut ausgebackenes Brot, mit etwas Butter oder Käse oder auch ganz trocken, würde oft das beste Frühstück für den jungen Herrn sein. Das wird ihm wohl bekommen, ihm mehr Kraft und Stärke geben als die ausgesuchtesten Leckereien und ihm auch ebensogut schmecken, wenn er nur daran gewöhnt ist. Verlangt das Kind außer der Mahlzeit zu essen, so gebe man ihm trockenes Brot. Ist es mehr hungrig als lüstern, so wird es das Brot gerne essen, ist es aber nicht hungrig, so braucht es auch nicht zu essen. Dieses wird doppelten Vorteil gewähren. Die Kinder gewöhnen sich, daß sie gerne Brot essen; denn, wie ich schon erinnert habe, unser Gaumen und Magen findet Vergnügen an allen Speisen, an die er gewöhnt worden ist. Der zweite Vorteil ist, daß Kinder nicht zu viel und nicht öfter essen, als die Natur es verlangt. Ich behaupte nicht, daß alle Menschen gleich viel essen sollen. Einige haben von Natur eine stärkere, andere eine schwächere Eßlust; allein ich bin überzeugt, manche Menschen macht die Gewohnheit bloß zu Fressern und Schwelgern, ohne daß die Natur daran schuld ist. In vielen Ländern essen die Menschen des Tages nur zweimal und sind dabei ebenso munter und stark als andere, die es durch Gewohnheit endlich so weit bringen, daß ihr Magen gleich einem Wecker an der Uhr des Tages vier- bis fünfmal Nahrung fordert. Die Römer fasteten ordentlicherweise bis auf den Abend. Dieses war die einzige festgesetzte Mahlzeit auch bei denen, die des Tages mehrmals aßen. Zum Frühstück, welches einige um acht, andere um zehn Uhr, andere zu Mittag und noch später verzehrten, aß man nie Fleisch, noch sonst etwas Gekochtes. Augustus, der größte Monarch auf der Erde, verzehrte, wie er uns selbst sagt, Nach Suetonius, »Leben des Augustus«, Kap. 76. ein Stück Brot in seinem Wagen. Seneca beschreibt in einem seiner Briefe die Art zu leben, die er noch als Greis beobachtete, da sein hohes Alter Nachsicht zu fordern schien. Epistel LXXXIII »Ich pflege«, sagt er, »ein Stück trockenes Brot zu Mittag zu essen, ohne dabei weiter Umstände zu machen.« Seinem Vermögen nach hätte er sich wahrlich eine doppelt so kostbare Tafel halten können, als irgendein Reicher in England, wenn er es sonst seiner Gesundheit für zuträglich gehalten hätte. Bei dieser mageren Diät wurden die Beherrscher der Welt großgezogen, und den jungen Herren im alten Rom ging darum nicht das mindeste weder an Geistes- noch an Leibeskräften ab, ob sie gleich nur einmal des Tages ordentlich aßen. Fügte es sich, daß einer das Abendessen nicht erwarten konnte, denn dieses war, wie ich schon gesagt habe, die einzige ordentliche Mahlzeit, so genoß er weiter nichts als ein Stück trocken Brot und höchstens einige Rosinen oder sonst eine Kleinigkeit dazu. Die Römer hielten diese Mäßigkeit für ihre Gesundheit und zur Betreibung ihrer Geschäfte für so unentbehrlich, daß sogar der überhandnehmende Luxus und die Reichtümer des Orients die Gewohnheit, nur einmal des Tages zu essen, nicht abbringen konnten. Diejenigen, welche die alte Mäßigkeit verließen, gaben doch ihre Feste nicht früher als den Abend. Mehr als eine Mahlzeit des Tages war in Rom so etwas Unerhörtes, daß es noch zu Cäsars Zeiten für eine Schande gerechnet ward, vor Sonnenuntergang ein Gastgebot anzufangen und Tafel zu halten. Ich würde daher auch, falls man mich nicht für zu streng halten wollte, den Rat erteilen, dem jungen Herrn bloß Brot zum Frühstück zu geben. Die Macht der Gewohnheit ist stärker als man denkt. Vielleicht liegt die Ursache von vielen Krankheiten in England darin, daß wir zu viel Fleisch und zu wenig Brot essen.

§ 15. Was die Zeit des Essens betrifft, so sollte man nie eine gewisse Stunde festsetzen, wenn es sonst nur angeht. Gewöhnt man Kinder an eine gewisse Zeit, so wird der Magen immer zur bestimmten Stunde Speise erwarten. Übergeht man sodann nur einmal diese Stunde, so verursacht entweder ein Heißhunger Verdruß und üble Laune, oder der Magen erschlafft, und der Appetit verliert sich ganz. Es würde daher gut sein, wenn Kinder ihr Frühstück, ihr Mittagsmahl und Abendbrot nicht immer zu einer und derselben Zeit bekämen, sondern fast alle Tage damit abgewechselt würde. Hungern sie außer der Mahlzeit, so gebe man ihnen trocken Brot. Vielen wird dieses hart vorkommen. So viel ist indessen gewiß: ein Kind wird nie verhungern oder aus Mangel der Nahrung abnehmen, wenn es zu Mittag Fleisch und des Abends Suppe oder sonst dergleichen etwas bekommt und dazwischen gutes Brot und Bier hat, so oft es hungert. Auf diesen Fuß glaube ich, sollte man die Diät der Kinder einrichten. Der Morgen ist überhaupt zum Lernen bestimmt, und hierzu ist ein voller Magen gewiß eine sehr schlechte Vorbereitung. Bloßes Brot gibt wenig Reiz und ist dennoch das beste Nahrungsmittel. Wer für den Geist und Körper seiner Kinder Sorge trägt, wer es nicht dumm und ungesund machen will, der wird es gewiß früh den Magen nicht zu sehr anfüllen lassen. Man glaube nicht, daß eine solche Behandlung einem Kinde von gutem Hause und großen Glücksgütern nicht zukomme. Alle Leute von Stande sollten so erzogen werden, daß sie dereinst die Waffen tragen und Soldaten werden könnten. Wer sein Kind bloß zum ruhigen Genuß reicher Einkünfte erzieht, der dachte gewiß nie an die Beispiele, die ihm vor Augen schwebten, noch an die Zeiten, worin wir jetzt leben.

§ 16. Mein Rat wäre, daß man Kinder nur dünnes Bier trinken ließe; zwischen den Mahlzeiten aber dürften sie nicht trinken, bis sie ein Stückchen Brot gegessen hätten. Meine Gründe sind folgende:

§ 17. Erstlich entstehen die meisten Fieber und Magenkrankheiten davon, daß man auf die Hitze trinkt. Ist also das Kind vom Spiel erhitzt und durstig, so muß es, ehe es trinken darf, Brot essen. Dieses wird ihm alsdann schwer eingehen; darf es aber dennoch unter keiner anderen Bedingung trinken, so wird es sich endlich daran gewöhnen, auf die Hitze nicht zu trinken. Denn wenn es sehr erhitzt ist, darf es schlechterdings nicht trinken. Während dessen es aber ein Stückchen Brot verzehrt, gewinnt man Zeit das Bier lauwarm zu machen, und dieses kann es ohne Gefahr trinken. Ist es sehr durstig, so wird es auch das warme Bier trinken und den Durst dadurch löschen; will es aber nicht warm trinken, so wird ihm die Enthaltung nichts schaden. Überdies wird das Kind Enthaltsamkeit dadurch lernen; eine Tugend, welche der Gesundheit des Leibes und der Seele äußerst zuträglich ist.

§ 18. Wenn man Kindern zweitens nicht erlaubt zu trinken, ohne etwas gegessen zu haben, so wird die Gewohnheit des vielen Trinkens nicht so leicht einreißen, eine gefährliche Gewohnheit, welche bis zur Ausschweifung führt. Menschen essen und trinken oft nur aus Gewohnheit. Man kann den Versuch machen, wenn man will. Man kann ein Kind, welchem das Nachttrinken abgewöhnt worden ist, durch Gewohnheit wieder dahin bringen, daß es ohne dasselbe nicht schlafen kann. Ammen bedienen sich gemeiniglich dieses Mittels, um die Kinder stille zu machen, wenn sie schreien. Mütter haben daher insgemein viel Mühe, sie vom Nachttrinken zu entwöhnen, wenn sie sie wieder zu sich nehmen. Nachdem die Kinder nach der Sitte jener Zeit vorher bei einer Amme auf dem Lande gewesen waren. Allein diese Gewohnheit gilt vom Tage sowohl als von der Nacht. Man kann ein Kind leicht dahin bringen, daß es alle Stunden durstig ist.

Ich wohnte einst in einem Hause, wo man einem unruhigen Kinde so oft zu trinken gab, als es schrie, so daß es alle Augenblicke trank. Ob es gleich noch nicht sprechen konnte, so trank es doch in vierundzwanzig Stunden mehr als ich. Wer es versuchen will, wird finden, daß man sich sowohl im starken wie schwachen Bier zum Trunk gewöhnen könne. Die Hauptsache bei der Erziehung des Menschen beruht auf den Fertigkeiten, die man ihm beibringt. Man hüte sich also irgend etwas zur Gewohnheit werden zu lassen, wenn man nicht will, daß selbige das ganze Leben hindurch fortgesetzt und stärker werden soll. Es dient zur Gesundheit und Nüchternheit nicht mehr zu trinken, als der natürliche Durst erfordert. Wer nicht scharf gesalzen ißt, noch starke Getränke trinkt, wird selten zwischen der Mahlzeit dursten, wofern er nicht zu unzeitigem Trinken verwöhnt ist.

§ 19. Vor allen Dingen trage man Sorge, daß ein Kind selten oder lieber gar niemals Wein und starkes Getränk zu kosten bekomme. In England aber ist dieser Fehler sehr gemein, und doch ist nichts schädlicher. Kinder sollten eigentlich nie starkes Getränk bekommen, außer auf Verordnung des Arztes, wenn es zu ihrer Stärkung nötig is. In dieser Rücksicht muß man auf die Bedienten ein wachsames Auge haben und es ernstlich ahnden, wenn sie dawider handeln. Diese Leute setzen den größten Teil ihrer Glückseligkeit in starkes Getränk und glauben sich den Kindern des Hauses nicht besser gefällig machen zu können, als wenn sie ihnen das geben, was ihnen selbst das Liebste ist; da sie nun selbst bei solchen Getränken sich so wohl befinden, so meinen sie, sie werden den Kindern auch nichts schaden. Man muß es daher mit der größten Sorgfalt zu hindern suchen, denn nichts ist von gefährlicheren Folgen für Körper und Geist, als wenn sich Kinder an starkes Getränk gewöhnen, besonders wenn sie mit Bedienten heimlich trinken.

§ 20. Früchte sind ein wichtiger Punkt für die Gesundheit. Sie waren es, warum die ersten Menschen das Paradies verlassen mußten. Man darf sich daher auch nicht wundern, wenn Kinder dieser Versuchung nicht so leicht widerstehen können, sollte es auch ihre Gesundheit kosten. Es läßt sich indessen keine allgemeine Regel für das Essen der Früchte festsetzen. Ich bin nicht der Meinung, daß man sie den Kindern ganz verbieten müsse. Ein so strenges Verbot würde nur den Reiz vermehren und sie verleiten alles zu essen, was sie nur bekommen könnten, es möchte gut oder schlecht, reif oder unreif sein. Melonen, Pfirsiche, einige Arten von Pflaumen und alle Sorten von Wein, der in England wächst, sollte man Kindern nicht geben. Sie haben einen reizenden Geschmack, ihr Saft aber ist sehr ungesund. Wäre es möglich, so müßte man Kinder nichts davon sehen lassen. Erdbeeren, Kirschen, Johannisbeeren, wenn sie reif sind, können sie sicher und in Menge essen, nur muß man folgende Vorsicht dabei gebrauchen: Erstlich sollte es nicht nach der Mahlzeit geschehen, wenn der Magen schon voll Nahrung ist. Lieber esse man sie vor oder während des Tisches oder auch zum Frühstück. Sie müssen zweitens reif sein und mit Brot genossen werden. Die Früchte des Sommers haben Beziehung auf die Jahreszeit, sie erfrischen den Magen, den die Hitze erschlafft und schwächt. Hierin würde ich also weniger strenge gegen Kinder sein. Denn wenn man ihnen eine mäßige Quantität wohl ausgesuchter Früchte gibt, so werden sie sich leicht damit befriedigen; will man sie ihnen aber ganz entziehen, so werden sie mit desto größerer Gier über alle ungesunde Früchte herfallen, die sie nur erlangen können, sie mögen nun gelegentlich dazu kommen oder sie von Bedienten und Mägden erbitten. Reife Äpfel und Birnen, die einige Zeit gelegen haben, kann man, denke ich, zu jeder Zeit und in ziemlicher Menge ohne Gefahr essen, besonders Äpfel, denn diese haben, soviel ich weiß, nach dem Monat Oktober noch niemand etwas geschadet. Getrocknetes Obst ohne Zucker ist auch, wo ich nicht irre, sehr gesund, aber von allen Arten von Konfitüren und Eingemachtem, sollte man sie enthalten. Diese Leckereien, wovon es schwer zu sagen sein dürfte, wem sie mehr schaden, ob dem, der sie verfertigt, Wegen des schädlichen Steinkohlendunstes, den in England diejenigen einschlucken, welche die flüssigen Konfitüren verfertigen.       Coste. oder dem, der sie genießt, wollen wir den Damen allein überlassen. Es ist dies, wie ich glaube, eine von den unnützesten Ausgaben, welche die Eitelkeit je ersonnen hat.

§ 21. Unter allem, was weichlich und weibisch zu sein scheint, ist nichts, was bei Kindern mehr Nachsicht verdient als der Schlaf. In diesem Stück kann man ihnen so viel erlauben, als sie selbst wollen; denn nichts befördert die Gesundheit und das Wachstum der Kinder mehr als der Schlaf. Alles, was der Erzieher in dieser Hinsicht anzuordnen hat, ist die Bestimmung der Tageszeit, welche dazu angewendet werden soll. Doch dies ist leicht entschieden, wenn man bedenkt, daß es sehr nützlich ist, sich an frühes Aufstehen zu gewöhnen. Für die Gesundheit kann nichts zuträglicher sein, und wer von Kindheit an dazu angehalten worden ist, wird gewiß nicht den besten und nützlichsten Teil seines Lebens im Schlummer und in den Federn hinbringen. Sollten aber Kinder früh aufstehen, so muß man sie gewöhnen auch zeitig schlafen zu gehen. Hierdurch werden sie in der Folge auch von vielen nächtlichen Ausschweifungen abgehalten werden; denn wer früh zu Bett zu gehen gewohnt ist, wird sich selten dergleichen Unordnungen schuldig machen. Ich will jedoch hiermit nicht sagen, daß ein erwachsener junger Mensch, niemals nach acht Uhr in Gesellschaft gefunden werden oder nicht bisweilen unter Freunden bei einem Glas Wein bis Mitternacht vergnügt sein sollte. Man muß ihm indes schon von den zartesten Jahren an eine Abneigung gegen solche Unordnungen einzuflößen suchen, und man hat schon viel gewonnen, wenn er gewöhnt ist früh schlafen zu gehen, und ihm daher das späte Aufsitzen beschwerlich fällt. Wie manche Ausschweifungen werden dadurch vermieden werden! Sollte dies aber auch nicht immer der Erfolg sein, sollten die Mode und Gesellschaft ihn etwa nach dem zwanzigsten Jahre dahin bringen, zu leben wie andere, so ist es doch immer sehr nützlich, bis zu jenem Alter ihn zum frühen Aufstehen und zeitigen Schlafengehen anzuhalten; weil es nicht nur zur Gesundheit dient, sondern auch noch viele andere Vorteile mit sich bringt.

Wenn ich behaupte, man müsse Kindern, so lange sie klein sind, in Ansehung des Schlafes volle Freiheit lassen, so ist doch meine Meinung nicht, daß man selbige nie einschränken solle, auch wenn sie größer werden. Es ist indessen nicht möglich ganz genau zu bestimmen, wenn man anfangen müsse, ihnen den Schlaf abzubrechen. Man muß hier auf die besondere Beschaffenheit des Temperaments, der Kräfte und Gesundheit Rücksicht nehmen, und ich glaube, daß es zwischen dem siebenten und vierzehnten Jahr Zeit sei, die Zeit des Schlafes nach und nach auf acht Stunden einzuschränken, welches für Erwachsene hinlänglich ist. Hat man den Knaben einmal an frühes Aufstehen gewöhnt, so wird der Fehler des allzulangen Schlafens leicht zu verbessern sein. Die meisten Kinder sind von selbst geneigt, diese Zeit abzukürzen, wenn man ihnen erlaubt, des Abends lange in Gesellschaft zu bleiben. Man muß aber durchaus nicht gestatten, daß sie den versäumten Schlaf des Morgens wieder nachholen, welches sie sonst, wenn man nicht acht auf sie hätte, nicht unterlassen würden.

Sie müssen daher beständig zur gewöhnlichen Stunde geweckt werden und ausstehen, aber nie muß man sie allzu schnell durch eine starke Stimme oder sonst durch ein starkes Geräusch aufwecken. Der Vater des Montaigne trieb diese Sorgfalt noch weiter bei seinem Sohn. »Man hatte meinem Vater«, erzählt der letztere, »den Rat gegeben, mir beides, die Wissenschaften und Pflichten, durch Ungezwungenheit und eigenen Antrieb angenehm zu machen. Er wollte daher meine Seele in Güte und Freiheit erziehen, ohne Härte und Zwang, und ging darin so weit, daß, weil einige dafürhalten, es schade dem zarten Gehirn der Kinder, wenn man sie des Morgens plötzlich aufweckt und auf einmal mit Gewalt aus dem Schlafe reißt, der bei ihnen weit fester als bei Erwachsenen zu sein pflegt, er mich durch den Klang eines musikalischen Instruments wecken ließ.« Montaignes »Versuche«, 1. Bd., 25. Kap. Coste. Der dadurch verursachte Schrecken kann ihrer Gesundheit schaden. Und wer sollte nicht erschrecken, wenn er durch einen plötzlichen Lärm aus einem tiefen Schlaf gerissen wird? Will man das Kind wecken, so rufe und bewege man es anfänglich ganz gemach, bis es sich nach und nach ermuntert; solange es aber noch nicht völlig wach und zu sich selbst gekommen ist, behandle man es sanft und mit freundlichen Worten. Denn es ist an sich schon eine unangenehme Sache, im Schlaf gestört zu werden, es mag auch noch so sanft geschehen. Man muß also das Unangenehme nicht noch vermehren, vornehmlich aber Kinder nicht dabei erschrecken.

§ 22. Das Bett eines Kindes muß hart und lieber eine Matratze als ein Federbette sein. Ein hartes Lager stärkt die Glieder, dahingegen ein weiches, wo man alle Nächte gleichsam in den Federn begraben liegt, den ganzen Körper verzärtelt, oft Kränklichkeit verursacht und den Menschen vorzeitig ins Grab bringt. Die Steinschmerzen rühren oft davon her, daß man die Nieren zu warm einhüllt; außerdem aber ziehen die Federbetten noch viele andere Übel nach sich, indem sie den Grund dazu legen, der in einer schwächlichen Leibesbeschaffenheit besteht. Wer gewohnt ist, zu Hause hart zu liegen, der wird auch auf Reisen, wo er oft kein Bett bekommen kann und wo ihm doch die Ruhe am nötigsten ist, sehr wohl schlafen. Es würde also gut sein, wenn man oft das Bett der Kinder änderte. Bald müßte der Kopf hoch, bald tief liegen, damit sie sich nicht über jede kleine Veränderung beklagen, der sie sich doch aussetzen müssen, wenn sie nicht bestimmt sind ihr Lebenlang in dem Hause ihrer Eltern zu schlafen und beständig eine Wärterin bei sich zu haben, die alles nach der größten Bequemlichkeit anordnet. Der Schlaf ist die beste Erquickung der Natur; wer ihn verliert, wird es gewiß empfinden, und der ist in der Tat zu bedauern, der diesen Nektar nur aus der goldenen Schale seiner Mutter und nicht aus jedem hölzernen Becher nehmen kann. Wer fest schläft, genießt diese Wohltat, und es ist alsdann einerlei, ob er auf einem Bette von Eiderdaunen oder auf einem Brette ruht; denn er bedarf nichts als Schlaf.

§ 23. Eine andere Sache, die den größten Einfluß auf die Gesundheit hat, ist, daß man regelmäßig zu Stuhle geht. Leute, die zu dünnleibig sind, sind selten stark vom Geist und Körper. Da aber diesem Übel weit leichter durch gute Diät und Arznei abzuhelfen ist als dem entgegengesetzten, so habe ich nicht nötig mich dabei aufzuhalten. Wird der Durchlauf stark und anhaltend, so ist es immer noch Zeit genug, ja bisweilen wohl noch zu früh, einen Arzt darüber zu Rate zu ziehen; ist er aber nur mäßig und dauert nicht lange, so tut man am besten, wenn man die Natur sich selbst überläßt. Auf der anderen Seite hat die Verstopfung auch ihre schlimmen Folgen, und es ist in solchem Falle dringender, sich nach einem Arzte umzusehen. Abführende Mittel scheinen zwar Erleichterung zu verschaffen, machen aber das Übel noch schlimmer, anstatt es zu heben.

§ 24. Da ich einst auf eine besondere Veranlassung den Ursachen dieser Krankheit nachforschen mußte und in den darüber nachgeschlagenen Büchern nichts von der Heilart derselben fand, so fing ich selbst an darüber nachzudenken, in der Überzeugung, daß wir noch weit größere Veränderungen in unserm Körper bewirken können als diese, wenn wir nur den rechten Weg einschlagen und allmählich zu Werke gehen.

Ich bemerkte also, erstens daß der Stuhlgang die Wirkung gewisser Bewegungen des Leibes, besonders der wurmförmigen oder peristaltischen Bewegung der Eingeweide sei.

Zweitens, daß gewisse Bewegungen, die nicht ganz von unserem Willen abzuhängen scheinen, doch endlich durch anhaltende Versuche und Übung willkürlich werden können; wenn man sich unausgesetzt bemüht, sie ordentlich und zu festgesetzten Zeiten hervorzubringen.

Da ich drittens einige Personen kannte, die, wenn sie nach dem Abendessen eine Pfeife Tabak rauchten, nie unterließen zu Stuhle zu gehen, so geriet ich auf den Gedanken, diese Wohltat der Natur möchte vielleicht mehr von der Gewohnheit als vom Gebrauch des Tabaks herrühren; oder, wenn der Tabak auch wirklich die Ursache wäre, so geschähe es vielleicht mehr aus dem Grunde, weil er eine starke Bewegung der Eingeweide verursacht, als durch seine abführende Kraft, da sonst die Wirkung ganz anders ausfallen müßte.

Ich hielt also dafür, daß man es hierin zu einer völligen Gewohnheit bringen könne und dachte nur auf ein Mittel, am sichersten zu diesem Zweck zu gelangen.

Ich schloß alsdann, daß, wenn man allzeit des Morgens, nachdem man etwas zu sich genommen, den Versuch zu einem Stuhlgang machte, dieser vielleicht durch anhaltendes Bemühen zur Gewohnheit werden könne.

§ 25. Die Gründe, warum ich eben diese Zeit wählte, waren folgende: Der Magen ist zu dieser Zeit leer; erhält er nun etwas Angenehmes (und ich wollte, daß man, außer im Fall der Not, immer äße, was uns schmeckt, und wenn man Appetit hat) so ist er besser imstande, das, was er empfängt, durch starkes Zusammenziehen seiner Fibern zu zerreiben. Dieses Zusammenziehen wird sich, wie ich vermute, bis in die Gedärme erstrecken, und so die peristaltische Bewegung derselben vermehren; wie man dies auch bei dem traurigen Übel, dem Miserere Darmverschlingung. bemerkt, wo eine umgekehrte Bewegung, die irgendwo im Unterleibe anfängt, sich die ganze Länge herauf erstreckt und sogar den Magen nötigt, dieser unordentlichen Bewegung zu folgen. Diese Zeit ist zweitens auch deswegen bequem, weil man während des Essens sich gemeiniglich aller Sorgen entschlägt und die Lebensgeister alsdann von allen andern Verrichtungen befreit, sich mit desto stärkerer Kraft in den Unterleib verteilen. Alles dieses trägt dazu bei, die gewünschte Wirkung hervorzubringen.

Endlich wird man zu der Zeit, da man Muße hat etwas zu genießen, sich auch leicht zu dieser Verrichtung Muße nehmen können. Ich sehe sonst nicht ab, wie man bei den mannigfaltigen Geschäften und Vorfällen des menschlichen Lebens in diesem Stücke eine gewisse Stunde halten könne, welches doch, wie gesagt, unumgänglich nötig ist. Da aber jeder Mensch des Tages wenigstens einmal ißt, so wird, falls dieses auch nicht immer zu derselben Tagesstunde geschehen sollte, die Leibesöffnung doch deshalb nicht in Unordnung geraten.

§26. Durch diese Gründe bewogen, sing ich an, Versuche anzustellen, und habe niemand gesehen, der durch dieses Mittel, wenn er es genau beobachtete, seinen Leib in wenig Monaten nicht zur regelmäßigen Öffnung gewöhnt hätte. Nur muß man die vorgeschlagene Methode unausgesetzt befolgen und täglich zu der Zeit, wovon geredet worden ist, einen Versuch machen, man mag nun Drang dazu fühlen oder nicht, und die Natur wird unvermerkt zum Gehorsam gebracht werden.

§ 27. Mein Rat wäre also, daß man Kinder täglich gleich nach dem Frühstück dazu gewöhnte. Man bringe sie alsdann allezeit auf den Stuhl, als ob diese Entledigung ebensowohl in ihrer Macht stünde als das Essen, und weder die Wärterin noch das Kind selbst muß es anders wissen, als daß es so sei. Hält man es noch überdies so lange vom Spiel ab oder läßt es nicht eher wieder essen, als bis wirklich die Ausleerung erfolgt ist, oder bis es wenigstens sein möglichstes getan hat, so wird es gewiß in kurzer Zeit dem Kinde zur Gewohnheit werden. Kinder sind gemeiniglich auf ihre kleinen Spiele so erpicht, daß sie alles andere darüber vergessen. Man kann also wohl glauben, daß sie oft auf diese Forderung der Natur nicht achten; und weil sie den gelinden natürlichen Reiz vorübergehen lassen, unvermerkt hartleibig werden. Daß aber dieses Übel durch die vorgeschlagene Methode verhütet werden könne, ist nicht bloße Vermutung; es ist Gewißheit. Ein Kind, welches vor einiger Zeit nach derselben behandelt wurde, kam bald dahin, daß es regelmäßig alle Morgen nach dem Frühstück zu Stuhle ging.

§ 28. Ob Erwachsene diesen Versuch machen wollen, muß man ihnen selbst überlassen. Indessen kann ich nicht umhin zu bemerken, daß, so wie sehr viele schlimme Folgen daraus entstehen, wenn die Natur sich nicht gehörig erleichtert, im Gegenteil nichts vorteilhafter ist als Regelmäßigkeit in diesem Stück. In vierundzwanzig Stunden einmal zu Stuhle zu gehen, ist, wo ich nicht irre, genug. Durch das vorgeschlagene Mittel kann es ohne Arznei erhalten werden, während eine eingewurzelte und zur Gewohnheit gewordene Hartleibigkeit sehr schwer zu heilen ist.

§ 29. Dies ist alles, was ich von der Sorge für die Gesundheit der Kinder zu sagen hatte. Vielleicht erwartet man medizinische Anweisungen, um Krankheiten vorzubeugen. Alles aber, was ich über diesen Punkt zu sagen habe, ist in einer einzigen Regel enthalten, die ich heilig zu beobachten bitte: Man gebe nie einem Kinde Arzeneien aus Fürsorge oder um einer Krankheit vorzubeugen. Die Ausübung der wenigen Grundsätze, die ich empfohlen habe, wird, wo ich nicht irre, mehr tun als alle Kunst der Apotheker; besonders aber verdient die letztere Regel alle Aufmerksamkeit. Einer Krankheit durch Arzenei zuvorkommen zu wollen, ist nicht selten das sicherste Mittel, sie herbeizuziehen. Auch bei kleinen Unpäßlichkeiten hat man nicht nötig, sogleich etwas einzugeben oder den Arzt zu rufen, und dann am wenigsten, wenn es ein umständlicher Mann ist, welcher sogleich die Fenster mit Tropfengläsern und den Magen der Kinder mit Arzeneien anfüllt. In diesem Fall ist es besser, selbige der Natur zu überlassen, als sie den Händen eines Charlatans zu überliefern, der nicht wissen will, daß eine gute Diät für kleine Übel die beste Kur ist. Erfahrung und Vernunft bestätigen es, daß es der zarten Beschaffenheit der Kinder am angemessensten sei, ihnen so wenig Arzenei zu geben als möglich, und nur dann, wenn es unumgänglich nötig ist. Abgezogenes Wasser von rotem Mohnsamen kalt getrunken, ist nebst Ruhe und Enthaltung vom Fleischessen ein gutes Mittel wieder die Überfüllung und oft hinreichend, manche Unpäßlichkeiten, die bei einer zu skrupulösen Behandlung zu schweren Krankheiten anwachsen würden, gleich im Anfang zu heben. Sollten indes solche gelinde Mittel nicht anschlagen und das Übel in eine förmliche Krankheit übergehen, so ist es Zeit, einen verständigen Arzt zu Rate zu ziehen. In diesem Stücke hoffe ich leicht Glauben zu finden. Warum sollte man auch einem Manne nicht trauen, der, nachdem er einen Teil seines Lebens auf die Arzeneikunde verwendet hat, selbst den Rat erteilt, im Gebrauch der Arzeneien und der Ärzte sich nicht zu übereilen?

§ 30. Ich wäre also nun fertig mit dem, was die Sorge für die körperliche Gesundheit der Kinder betrifft. Sie schränkt sich, wie man sieht, auf wenige leicht zu beobachtende Regeln ein, nämlich: Voller Genuß der freien Luft, hinlängliche Leibesübung und Schlaf, einfache Nahrungsmittel, keinen Wein noch starkes Getränk, sehr wenig oder gar keine Arzenei, nicht zu warme und enge Kleider, vornehmlich Kopf und Füße kalt halten und die Füße oft mit kaltem Wasser waschen und der Nässe aussetzen.


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