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Achter Abschnitt.

Von den verzeihlichen und strafwürdigen Fehlern der Jugend.

§ 72. Wieder auf die Strafen und Belohnungen zurückzukommen, Siehe oben § 56–62. so habe ich schon bemerkt, daß Kinder um solcher Fehler und kindischer Handlungen willen, welche mit den reiferen Jahren von selbst verschwinden, nicht geschlagen werden müssen, wiewohl dies leider nur zu oft geschieht. Rechnet man hierher auch den Unterricht im Lesen, Schreiben, Tanzen, in fremden Sprachen usw., so bleiben in der Tat nur wenig Gelegenheiten übrig, bei denen man zu Gewalt und Schlägen seine Zuflucht nehmen müßte. Die beste Methode, Kinder zu unterrichten, besteht darin, ihnen Neigung und Geschmack an dein, was sie lernen sollen, beizubringen, um ihre Tätigkeit und ihren Fleiß zu ermuntern. Dieses ist, dünkt mich, nicht schwer, wenn man die Kinder gehörig zu behandeln versteht, die vorhin erwähnten Belohnungen und Strafen mit Klugheit anwendet und überdies folgende wenige Regeln in acht nimmt.

§ 73. Erstlich muß man den Kleinen das, was sie zu lernen anfangen, nicht als lästig oder als eine wirkliche Arbeit vorstellen. Was sich ihnen von dieser Seite darstellt, wird ihnen sogleich ekelhaft und erweckt Widerwillen, wenn es ihnen zuvor auch wirklich angenehm oder wenigstens gleichgültig war. Man verlange nur von einem Kinde, daß es allemal zu bestimmten Zeiten des Tages seinen Kreisel peitschen soll, es mag Lust dazu haben oder nicht; man fordere dies als eine Schuldigkeit von ihm, womit es sich den Vor- und Nachmittag einige Stunden beschäftigen muß, und man wird sehen, ob es nicht auf die Art nicht nur dieses, sondern auch jedes Spieles bald überdrüssig werden wird. Ist es nicht ebenso bei Erwachsenen? Wie bald wird ihnen nicht eine Sache ekelhaft und unausstehlich, wenn man sie ihnen zur Schuldigkeit macht, so gern sie sich auch sonst von selbst damit abgegeben haben mögen! Man mag sagen was man will, so haben Kinder ebensowohl einen Trieb, ihr Freiheitsgefühl zu äußern und zu zeigen, daß ihre guten Handlungen aus eigener Entschließung entstehen, daß sie sich selbst bestimmen können und unabhängig sind wie erwachsene Männer, sie mögen auch für noch so stolz gehalten werden.

§ 74. Hieraus folgt die zweite Regel, daß man Kinder selten, selbst zu solchen Dingen, wozu sie Neigung haben, zu einer anderen Zeit anhalten sollte, als wenn sie selbst Luft und Trieb dazu empfinden. Wer noch soviel Vergnügen am Lesen, Schreiben, Musik usw. findet, hat doch wohl Augenblicke und Stunden, wo er sich nicht gern damit abgibt, und wenn er sich zu solchen Zeiten mit Gewalt dazu antreibt, so quält und ermüdet er sich nur vergebens. Diese veränderliche Stimmung muß man genau wahrnehmen und die günstigen Augenblicke der Aufgelegtheit und des eigenen Antriebes sorgfältig benutzen. Äußert sich aber diese Stimmung nicht oft genug von selbst, so muß man Kindern, ehe sie ein Geschäft vornehmen, auf eine gute Art erst Lust dazu beizubringen suchen. Dies ist, dünkt mich, keine so schwere Sache für einen verständigen Erzieher, der den Charakter seines Zöglings gehörig studiert hat und sich die kleine Mühe nicht verdrießen läßt, den Kopf desselben mit Vorstellungen anzufüllen, die ihm eine Liebe Zu dem vorliegenden Geschäft einstoßen. Bei dieser Methode kann man ungemein viel Zeit und Langeweile ersparen; denn ein Kind lernt, wenn es recht aufgelegt ist, ungleich mehr als in der doppelten Zeit und mit doppelter Anstrengung, wenn es nicht aufgelegt ist und mit Widerwillen dazu getrieben wird. Weiß man dies recht anzufangen, so kann man ein Kind so lange spielen lassen, als es selbst Lust hat, und es wird immer noch Zeit genug übrigbleiben, das zu lernen, was sich für sein Alter und seine Fähigkeit schickt.

Bei dem gewöhnlichen Schlendrian aber wird hierauf gar nicht Rücksicht genommen; es kann auch nicht wohl geschehen. Denn die rauhe Kinderzucht mit dem Stock ist auf ganz andere Grundsätze gebaut, hat gar nichts Anziehendes und nimmt gar keinen Bedacht auf die Laune, in der sich das Kind befindet, noch auf die Neigung und Stimmung desselben. In der Tat wäre es auch lächerlich von einem Kinde zu verlangen, daß es aus eigenem Antriebe das Spiet verlassen und mit Vergnügen die Gelegenheit zum Lernen ergreifen sollte, wenn ihm einmal durch Schläge und Stöße ein Widerwillen dagegen beigebracht worden ist; da hingegen der Unterricht in jeder Sache, die es lernen soll, wenn man es nur recht anfängt, leicht zur Erholung bei seinen Spielen gemacht werden kann, sowie das Spiel sonst die Erholung vom Lernen zu sein pflegt. Die Mühe ist beim Spiel und beim Unterricht ziemlich gleich; auch machen sich die Kleinen daraus nichts, denn sie wollen stets beschäftigt sein, und bloß der Wechsel und die Veränderung ist es, woran sie von Natur Vergnügen finden. Der Unterschied besteht bloß darin, was wir Spiel nennen wollen. Bei diesem beschäftigen sie sich ohne Zwang; die Mühe, die sie dabei anwenden (und daran lassen sie es, wie man leicht bemerken kann, nie fehlen) ist freiwillig. Zum Lernen aber werden sie gewöhnlich gezwungen und mit Befehlen angetrieben, und dadurch wird es ihnen gleich beim ersten Anfang zuwider, denn sie vermissen dabei ihre Freiheit. Anstatt daß der Lehrer sie zum Unterricht herbeiruft, müssen sie von selbst zu ihm kommen und ihn bitten, daß er sie unterrichte, sowie sie auch von selbst ihre Kameraden zum Spiel einzuladen pflegen. Dann werden sie am Lernen Vergnügen finden und sich ebenso frei dabei fühlen als in anderen Dingen, sich dabei ebenso freuen, wie bei ihren Spielen und Zeitvertreiben. Bei dieser Methode wird ein Kind leicht dahin gebracht werden, daß es selbst ein Verlangen äußert, in dem unterrichtet zu werden, was ihr wünscht, das es lernen soll. Das älteste oder erstgeborene Kind macht, ich gestehe es, immer die größte Mühe; ist aber dieses nur einmal recht angeführt, so kann man auch die nachfolgenden desto leichter ziehen, wie man sie haben will.

§ 75. Ob es gleich keinem Zweifel unterworfen ist, daß das die bequemste Lernzeit für Kinder ist, wenn ihr Geist sich recht aufgelegt und heiter befindet und weder Schlaffheit oder Trägheit noch eine fremde Richtung der Vorstellungskraft auf andere Dinge sie ungeschickt und abgeneigt macht, so darf man doch folgende zwei Regeln hierbei nicht aus der Acht lassen, nämlich 1. daß man jene Zeiten nicht gar zu sorgfältig wahrnehme und, so oft sie sich zeigen, allemal unausgesetzt benutze; denn im Falle diese gute Disposition sich nicht so oft einfinden sollte als nötig wäre, um das Kind weiterzubringen, so könnte ihm Trägheit und Saumseligkeit leicht zur Gewohnheit werden. 2. Obgleich das Lernen nicht gut vonstatten geht, wenn der Geist nicht recht aufgelegt oder mit anderen Dingen beschäftigt ist, so ist es doch ungemein wichtig und der Anstrengung wert, der Seele eine gewisse Herrschaft über sich selbst zu verschaffen, damit sie fähig sei, nach eigener Wahl ihre Aufmerksamkeit von manchen heißverfolgten Gegenständen abzuziehen und selbige mit Leichtigkeit und Vergnügen auf andere zu lenken, oder sich oft selbst aus der Trägheit herauszureißen und mit Eifer und Lebhaftigkeit das zu betreiben, was die Vernunft oder der Rat unserer Freunde erheischet. Hierzu kann man Kinder gewöhnen, indem man sie zuweilen zu einem vorgeschriebenen Geschäft anhält, wenn ihr Gemüt entweder schläfrig oder auf einen ganz anderen Gegenstand gerichtet ist. Werden die Kinder dergestalt in Beherrschung ihrer selbst geübt, so kann man sie zuweilen die Gedanken und Geschäfte, womit sie sich eben abgeben, beiseite legen lassen, um sich ohne Widerwillen und Unlust an andere minder angenehme Verrichtungen zu machen. Dies wird ihnen nützlicher sein und heilsamere Folgen haben als Latein und Logik oder andere Dinge, womit man sie sonst plagt. § 76. Da Kinder in diesem Alter tätiger und rastloser zu sein pflegen als in irgendeinem anderen Teile ihres Lebens und es ihnen übrigens gleichgültig ist, was sie vornehmen, wenn sie es nur zu tun imstande sind, so wird es ihnen z. B. einerlei sein, ob sie tanzen oder auf einem Beine hüpfen lernen, dafern nur die Ermunterungs- oder Verweismittel in beiden Fällen gleich sind. Nur alsdann bekommen sie einen Ekel an dem, was sie lernen sollen, wenn es ihnen anbefohlen und als Arbeit aufgelegt wird, wenn man sie mit Schelten und harten Worten dazu antreibt, so daß sie sich mit Furcht und Zittern dazu anschicken, oder endlich wenn man sie, selbst dann, wenn sie gern daran gehen, bis zum Überdruß dabei aufhält: kurz, alles das verleidet ihnen den Unterricht, was ihre natürliche Freiheitsliebe beeinträchtigt; sowie im Gegenteil ebendieser Trieb ihnen ihre gewöhnlichen Spiele so reizend und angenehm macht. Man kehre nur die Methode um und man wird sehen, daß sie bald fleißig werden, besonders wenn diejenigen, von denen sie glauben, daß sie mehr sind, sie durch ihr Beispiel ermuntern. Kann man überdies die Anstalt treffen, daß das, was andere tun, sich ihnen als ein Vorrecht eines höheren Alters und Standes darstellt, so wird sie die Ehrliebe und das Verlangen, immer vorwärts zu kommen und denen, die weiter find, es gleich zu tun, schon von selbst in Tätigkeit setzen und ihnen Eifer und Vergnügen für ihre Pflicht einflößen – Vergnügen an dem, was sie aus eigenem Antrieb angefangen haben. Hierbei wird der Genuß der so hochgeschätzten Freiheit kein geringes Aufmunterungsmittel abgeben. Kommt nun noch die Neigung nach Beifall und nach einem guten Ruf hinzu, so bin ich versichert, daß es keines anderen Spornes bedarf, um sie so fleißig und arbeitsam zu machen, als nötig ist. Freilich wird, ich gestehe es, Geduld und Geschicklichkeit erfordert, Güte und Aufmerksamkeit, um es fürs erste dahin zu bringen. Aber wozu brauchte man einen Erzieher, wenn die Erziehung keine Mühe verursachte. Hat man aber dies erst einmal zustande gebracht, so gibt sich alles übrige alsdann von selbst und geht weit leichter vonstatten als bei einer strengen und gebieterischen Zucht. Auch glaube ich, ist die Sache so gar schwer nicht oder würde es zuverlässig nicht sein, wenn keine schlimmen Beispiele auf die Kinder wirkten. Die größte Gefahr rührt also, wie mich dünkt, immer von Bedienten, unartigen Kindern oder anderen närrischen Leuten her, welche jungen Gemütern teils durch das schlechte Beispiel ihrer verdorbenen Sitten, teils dadurch schaden, daß sie ihnen Geschmack an lasterhaften Vergnügungen beibringen und falsches Lob erteilen.

§ 77. So wie man Kinder nur sehr selten mit Schlägen strafen muß, so ist es auch nicht gut, sie oft und mit Leidenschaft zu schelten. Dies schwächt das Ansehen der Eltern und die Ehrerbietung der Kinder, denn man muß nicht vergessen, daß die Kleinen sehr bald Vernunft und Leidenschaft unterscheiden lernen, und so wie jene ihnen notwendig Hochachtung einflößt, so empfinden sie gegen die letztere bald Verachtung. Gesetzt aber auch, sie werden dadurch in Schrecken gejagt, so geht der Eindruck doch geschwind vorüber und ihr natürliches Gefühl macht sie gleichgültig gegen ein leeres Gepolter, welches nicht von Vernunft beseelt wird. Werden Kinder von ihren Eltern bloß in bösen Dingen eingeschränkt (und deren gibt es in diesem zarten Alter nur wenig), so wird ein Blick, ein Wink hinreichend sein, sie zurechtzuweisen, wenn sie fehlen. Ist man indes genötigt, Worte zu gebrauchen, so müssen sie ernsthaft, sanft und gemäßigt sein und ihnen das Böse oder Unanständige erklären; bedient man sich aber harter und empfindlicher Ausdrücke, so weiß das Kind alsdann nicht mehr, ob der Unwille seiner Person oder bloß seinen Fehlern gilt. Leidenschaftliche Verweise werden insgemein in bitteren und niedrigen Redensarten erteilt und das hat die üble Wirkung, daß es die Kinder zu eben der Sprache berechtigt, denn sie werden sich nicht scheuen, anderen die Namen zu geben, die ihnen von ihren Eltern und Vorgesetzten beigelegt worden.

§ 78. Wie aber, wird man mir einwenden, wenn man Kinder um ihrer Vergehungen willen weder schlagen noch schelten soll, so muß man ihnen also in allen Unarten und Unordnungen den Willen lassen. Nicht so sehr als man denkt, antworte ich, wenn man nur bei der ersten Bildung der Kinderseelen den rechten Weg einschlägt und ihnen, wie oben erwähnt, wahre Ehrfurcht für ihre Eltern einflößt, denn Schläge stiften, wie die tägliche Erfahrung lehrt, wenig Gutes, wenn dabei der körperliche Schmerz das einzige ist, was das Kind fürchtet oder empfindet. Es gibt jedoch einen – und zwar nur einen einzigen Fehler, um derentwillen Kinder geschlagen werden müssen, nämlich Widerspenstigkeit und vorsätzlicher Ungehorsam. Doch auch in diesem Falle muß man dahin sehen, daß das Gefühl der Schande, nicht aber des sinnlichen Schmerzes das empfindlichste bei der Strafe sei. Schamgefühl, unrecht getan und Züchtigung verdient zu haben, ist die einzige zweckmäßige Strafe, welche Gutes bewirken kann. Der Schmerz der Rute geht bald vorüber, wird geschwind vergessen und verliert durch Gewohnheit alles Furchtbare, wenn er nicht mit Beschämung verbunden ist. Ich habe Kinder einer gewissen Standesperson gekannt, bei denen die Furcht, daß man ihnen die Schuhe ausziehen würde, ebenso stark wirkte, als bei anderen die Scheu vor der Rute, die beständig über ihnen schwebte. Strafen von dieser Gattung halte ich für weit zweckmäßiger als Schläge. Denn wenn Kinder edle Gesinnungen annehmen sollen, so muß das Gefühl der Reue über den begangenen Fehler und die Vorstellung des Mißfallens, das sie sich dadurch zugezogen, weit mehr wirken als körperlicher Schmerz. Aber Widersetzlichkeit und vorsätzlicher Ungehorsam müssen durch Gewalt und Schläge bestraft werden, denn es gibt kein anderes Mittel dagegen. Alles, was ihr eurem Sohne zu tun oder zu lassen befehlet, das muß er genau befolgen; hierin müßt ihr keine Nachsicht, keinen Widerstand stattfinden lassen. Denn wenn es einmal zwischen beiden zu einem Versuch kommt, wer Herr oder Meister sein soll (welches der Fall ist, wenn der Vater befiehlt und der Sohn sich weigert zu gehorchen), so muß der Vater, falls Winke und Worte nichts ausrichten sollten, seine Sache mit Gewalt durchsetzen und durch Schläge den Ungehorsamen bändigen, sonst würde er zeitlebens in der Abhängigkeit des Sohnes stehen müssen. Eine kluge und sanfte Mutter von meiner Bekanntschaft sah sich in einem ähnlichen Falle genötigt, ihre kleine Tochter, als sie sie von der Amme zurücknahm, acht Tage hintereinander alle Morgen zu peitschen, ehe sie ihre Widerspenstigkeit bändigen und sie in einer sehr leichten und gleichgültigen Sache zum Gehorsam bringen konnte. Hätte die Mutter eher nachgelassen und die Rute nicht zum achten Male gebraucht, so würde sie dem Kinde auf immer geschadet, es in seinem Eigensinn bestärkt und in der Folge, aller angewandten Mühe ungeachtet, schwerlich gebessert haben. Da sie aber diese kluge Standhaftigkeit beobachtete und nicht eher abließ, als bis sie den Sinn und den Willen der Kleinen gebrochen hatte, welches der einzige Zweck der Strafe sein muß, so befestigte sie ihr Ansehen gleich anfangs dermaßen, daß die Tochter nach der Zeit immer die größte Folgsamkeit in allen Stücken bewies, und so wie dies die ersten Schläge waren, so waren es unstreitig auch die letzten.

Wenn man zum erstenmal genötigt ist, körperliche Strafen zu gebrauchen, so muß die Züchtigung solange fortgesetzt und, ohne abzulassen, verstärkt werden, bis der Eigensinn ganz überwunden und das Ansehen der Eltern gesichert ist; und dann muß man dieses Ansehen, durch Ernst mit Güte vermischt, immerdar zu erhalten suchen.

Wenn man hierüber gehörig nachdächte, so würde der Gebrauch der Rute und des Stocks weit seltener sein; man würde endlich von dem elenden Vorurteile zurückkommen, Schläge seien das Universalmittel, dessen man sich geradezu bei allen Gelegenheiten bedienen könne. Soviel ist wenigstens gewiß, daß sie zwar nichts Gutes, aber großen Nachteil stiften. Wenn sie den Eigensinn nicht dämpfen, noch den Willen bändigen, so verhärten sie nur den Übertreter, denn die Schläge mögen ihn noch so sehr geschmerzt haben, so bestärken sie ihn doch nur in der belobten Hartnäckigkeit, die ihm diesmal den Sieg verschafft hat, und erregen in ihm die Hoffnung, künftig durch neue Widersetzlichkeit zu triumphieren. Auf diese Art, glaube ich, wird mancher bloß durch übel angebrachte Züchtigung widerspenstig und eigenwillig, der sonst sehr folgsam und biegsam gewesen sein würde. Denn wenn ihr bei der Strafe so verfahrt, als wolltet ihr bloß den einmal begangenen Fehler, der euren Zorn rege gemacht hat, an dem Kinde rächen, was kann dies wohl in seinem Gemüt, welches doch allein gebessert werden soll, für eine Wirkung hervorbringen? Leuchtete aus seinem Vergehen nicht zugleich Trotz und Eigenwillen hervor, so weiß ich nicht, wozu solche Strenge und Schläge nötig waren. Sind es bloß kleine Fehler, die aus Schwäche, Vergessenheit oder Unachtsamkeit entstehen, so sind ernsthafte und sanfte Erinnerungen hinreichend, und mehr braucht es dazu nicht. Beruht aber der Fehler auf einer Verkehrtheit des Willens, so muß die Strafe, falls es vorsätzlicher und überlegter Ungehorsam wäre, nicht nach der Wichtigkeit oder Kleinfügigkeit der Sache, worin er sich zeigt, abgemessen werden, sondern nach dem Grade der Abweichung von der Ehrfurcht und Unterwerfung, die der Sohn den Befehlen des Vaters schuldig ist; und dann muß man ihm auch die Schläge ganz nach der Strenge und nach dazwischen fallenden Pausen erteilen, bis das Gemüt erweicht ist und man Zeichen aufrichtiger Neue und des Vorsatzes, gehorsam zu sein, verspürt.

Hierzu gehört freilich etwas mehr, als etwa ein Kind zu einem Pensum hinzusetzen und dann ohne weitere Umstände darauf loszuschlagen, wenn es dasselbe nicht fertigschafft oder nicht nach unserem Sinne macht. Es wird Sorgfalt, Achtsamkeit und Beobachtungsgeist erfordert, ein genaues Studium der Kinderseelen und eine sorgfältige Würdigung der Vergehungen, ehe man zu solchen Strafen schreitet. Aber ist denn dies nicht besser, als immerfort die Rute in der Hand zu haben, als gäbe es kein anderes Werkzeug der Erziehung; ist es denn nicht besser, als wenn man dieses äußerste und wirksamste Mittel durch zu häufige Anwendung bei allen Gelegenheiten abnutzt und für den Fall, wo es wirklich nötig ist, ganz unkräftig macht? Und was läßt sich wohl von demselben erwarten, wenn man sich seiner bei jedem unbedeutenden Vergehen bedient? Wenn man einem sonst wohlgesitteten und fleißigen jungen Menschen bei jedem Verstoß gegen die Syntax oder gegen die Prosodie einen ebenso derben Streich versetzt wie einem ungezogenen Buben bei einem vorsätzlichen Frevel; wie kann solch ein Verfahren das Herz bessern und zur Tugend bilden? Und das ist ja der einzige Zweck der Erziehung; denn wenn das Herz mit tugendhaften Gesinnungen erfüllt ist, so gibt sich alles, was man sonst von der Jugend erwartet, von selbst.

§ 79. Wenn also der Wille des Kindes nur gut ist und keiner Verbesserung bedarf, so sind auch keine Schläge nötig. Alle anderen Fehler, die nicht in einem verkehrten Herzen oder in dem Ungehorsam gegen Eltern und Vorgesetzte ihren Ursprung haben, sind bloße Versehen und müssen oft gar nicht bemerkt werden. Werden sie aber bemerkt, so hat man bloß gelinde Mittel anzuwenden, nämlich Rat, Zurechtweisung und Tadel; es sei denn, daß die wiederholte und wissentliche Nichtachtung alles dessen einen Fehler des Herzens verriete und eine offenbare Verkehrtheit des Willens der Grund des Ungehorsams wäre. Wenn es aber wahre Widerspenstigkeit ist, die sich durch offenbaren Trotz zutage legt, so darf man weder Nachsicht noch Geduld anwenden, sondern muß sie auf der Stelle dämpfen und unterdrücken, sich aber sorgfältig in acht nehmen, daß man sich nicht irre und daß es in der Tat Widersetzlichkeit sei und nichts anderes.

§ 80. Da man indes die Gelegenheit zu Strafen, besonders aber zu Schlägen, so sehr als möglich vermeiden muß, so darf man es auch nur selten soweit kommen lassen. Denn wenn den Kindern nur erst wahre Ehrfurcht eingeprägt ist, so wird in den meisten Fällen ein bloßer Wink hinreichend sein. Auch darf man ja nicht von kleinen Kindern dasselbe Verhalten, ebendas gesetzte Wesen und den Fleiß verlangen wie von den größeren. Man muß ihnen die Kindereien und Albernheiten, die ihren Jahren angemessen sind, zugute halten, ohne sich darum zu bekümmern. Unachtsamkeit, Leichtsinn und Fröhlichkeit ist der Charakter dieses Alters. Es wäre höchst unschicklich, die Strenge, von der ich soeben gesprochen, auf dergleichen Fälle auszudehnen, oder das, was eine natürliche Äußerung ihres Alters oder ihrer kindischen Laune ist, sogleich für Widerspenstigkeit und Eigensinn zu erklären. Bei solchen Vergehungen muß man ihnen zu Hilfe kommen, sie wieder auf den rechten Weg führen und sie als Schwache behandeln, die mit einer natürlichen Krankheit behaftet sind; auch darf man ihnen, wenn sie gleich schon gewarnt worden, nicht jeden Rückfall als eine förmliche Übertretung anrechnen und sie deshalb sogleich als widerspenstig behandeln. Schwachheitsfehler müssen zwar nie vernachlässigt werden und ohne Erinnerung bleiben, solange indes der Wille keinen Teil daran nimmt, muß man sie weder vergrößern, noch zu hart ahnden, sondern den Strauchelnden mit Sanftmut zurechtweisen, wie es die Jahre und Umstände erfordern. Bei dieser Methode werden die Kinder bald begreifen, welches Betragen vorzüglich mißfällt und deshalb vermieden werden muß – und, was die Hauptsache ist, so wird sie diese Erkenntnis antreiben, selbst an ihrer Besserung zu arbeiten, weil sie einsehen, daß sie dadurch großem Mißvergnügen entgehen, und im übrigen bei anderen kleineren Fehltritten von ihren Eltern und Vorgesetzten nicht eben Zorn oder leidenschaftliche Verweise, sondern teilnehmende Sanftmut und Hilfe zu erwarten haben. Man bewahre sie nur vor dem Laster und vor lasterhaften Neigungen, die gute Lebensart wird sich nach und nach schon von selbst einfinden, so wie es die Jahre und die Gesellschaft, in der sie leben, mit sich bringen; je älter sie werden, desto mehr wird auch ihr Fleiß und ihre Aufmerksamkeit zunehmen. Doch müßt ihr immer dahin sehen, daß eure Reden nie das gehörige Gewicht und Ansehen bei ihnen verlieren. Verbietet ihr daher dem Kinde einmal etwas, wenn es auch sonst wirklich unbedeutend wäre, so müßt ihr es notwendig durchsetzen, damit das Kind sich keine Herrschaft anmaße. Indessen wünschte ich, daß der Vater in diesen und ähnlichen Fällen nur selten sein Ansehen oder Befehle gebrauchte, es sei denn, daß man böse Gewohnheiten befürchten müßte. Es gibt, dünkt mich, noch andere Mittel, die Jugend zu lenken; meistenteils mögen vernünftige Vorstellungen und Zureden besser angebracht sein als Härte, wenn nur erst die Hauptsache, nämlich Unterwerfung unter euren Willen, vorhanden ist.

§ 81. Man wird sich vielleicht wundern, daß ich von vernünftigen Vorstellungen Gegen das sogenannte Räsonieren, Vernünfteln (Anführen von Vernunftgründen) wendet sich Rousseau im »Emil«, während Basedow Locke zustimmt. rede; allein ich bin in der Tat der Meinung, daß dies die beste Methode sei, mit Kindern umzugehen. Sie werden dieser Vorstellungen fähig, sobald sie sprechen lernen, und wenn ich nicht ganz falsch beobachtet habe, so wollen sie weit eher, als man denkt, wie vernünftige Geschöpfe behandelt sein. Man sollte diesen Stolz bei ihnen unterhalten und ihn soviel als möglich zum wichtigsten Werkzeug ihrer Leitung machen.

Wenn hier aber von vernünftigen Vorstellungen die Rede ist, so meine ich nur solche, die der Fähigkeit und der Fassungskraft der Kinder angemessen sind. Niemand wird wohl glauben, daß man mit einem Knaben von drei bis sieben Jahren so räsonieren könne, wie mit einem erwachsenen Manne. Lange Reden und philosophische Abhandlungen können bei einem Kinde höchstens Staunen und Verwirrung hervorbringen, aber es nicht unterrichten. Wenn ich demnach Kinder wie vernünftige Geschöpfe behandelt wissen will, so ist meine Meinung bloß, daß man ihnen durch eine gelinde und sanfte Begegnung, ja selbst durch das Benehmen bei ihrer Züchtigung begreiflich machen müsse, alles was man mit ihnen vornimmt, sei vernünftig, nützlich und notwendig, es sei weder Eigensinn, Leidenschaft noch Laune, wenn man ihnen dieses oder jenes befiehlt oder verbietet. Dieses können sie wohl begreifen, und es gibt, wie ich glaube, keine Tugend, zu welcher sie nicht durch Überzeugung angetrieben, noch irgendeinen Fehler, von welchem sie nicht durch Vernunftgründe zurückgebracht werden könnten. Diese Gründe aber müssen ihrem Alter und Verstande angepaßt und in wenigen, aber klaren und deutlichen Ausdrücken ihnen mitgeteilt werden. Die Urbegriffe, auf welchen alle und jede Pflichten beruhen, und die Quellen von Recht und Unrecht, aus welchen sie entspringen, können vielleicht nur wenig Erwachsenen recht faßlich gemacht werden, weil sie ihren Geist nicht zum Nachdenken gewöhnt haben. Viel weniger also wäre es bei Kindern angebracht, von entfernten Grundsätzen auszugehen. Sie sind nicht stark genug, eine lange Schlußkette zu übersehen. Die Vorstellungen, welche auf sie wirken sollen, müssen ihnen naheliegen, ihrer Denkkraft angemessen sein und ihnen sozusagen handgreiflich gemacht werden. Wenn man indes auf ihr Alter, Temperament und ihre Neigungen genau Rücksicht nimmt, so wird es nie an Motiven fehlen, die hinreichend sind, sie zu überzeugen. Wenigstens werden folgende, dafern es keine anderen geben sollte, immer faßlich und stark genug sein, sie von einem Fehltritt zurückzuschrecken, nämlich: daß sie sich dadurch eine schlechte Meinung, Verachtung und euer Mißfallen zuziehen.

§ 82. Unter allen Mitteln, die Kinder zu belehren und ihre Sitten zu bilden, ist unstreitig das einfachste, leichteste und wirksamste, daß man ihnen Beispiele von solchen Dingen, die sie tun oder lassen sollen, vor Augen stellt. Wählt man diese Beispiele überdem aus den Handlungen solcher Personen, die sie kennen, und stellt zugleich einige Betrachtungen über das Schöne und Wohlanständige oder das Unschickliche dabei an, so wird das weit mehr wirken und sie stärker zur Nachahmung reizen oder davon abschrecken, als die besten Ermahnungen. Tugenden und Laster können ihrem Verstande nie so anschaulich gemacht werden, als sie sich in den Handlungen anderer Menschen darstellen, wenn man ihre Aufmerksamkeit darauf leitet und sie diese oder jene gute oder schlechte Eigenschaft in ihrem Verhalten bemerken läßt. Was in den Handlungen der Menschen schön oder häßlich, gut oder tadelhaft sei, lernt man besser und nachdrücklicher durch Beispiele als durch abgezogene Regeln und Lehren.

Diese Methode ist nicht bloß bei kleinen Kindern, sondern auch dann noch anwendbar, wenn sie bereits zu reiferen Jahren gelangt sind, ja ich halte sie in der Tat für die zweckmäßigste, junge Leute zu bessern; denn nichts macht auf den Geist des Menschen einen sanfteren und tieferen Eindruck als das Beispiel. Selbst über die Fehler und Gebrechen, die man an sich selbst übersteht und entschuldigt, muß man beschämt werden und sie mißbilligen, sobald sie uns an anderen in die Augen fallen.

§ 83. Wenn nun aber wirklich der Fall eintritt, daß man zu dem äußersten Mittel, nämlich zu körperlicher Züchtigung, schreiten muß, so entsteht die Frage: wenn und von wem sie ausgeübt werden müsse? ob es gleich nach begangenem Fehler auf frischer Tat geschehen und ob die Eltern selbst das Kind züchtigen sollen? Was das erste betrifft, so rate ich, es nicht sogleich auf der Stelle zu tun, weil sich sonst die Leidenschaft leicht ins Spiel mischt und die Strafe, sobald das gehörige Maß überschritten wird, ihre Wirksamkeit verliert; denn Kinder merken bald, ob man etwas mit Leidenschaft tut. Nur das macht, wie ich schon gesagt habe, einen starken Eindruck auf sie, was bloß aus der kalten und ruhigen Vernunft herzukommen scheint – und dieses wissen sie wohl zu unterscheiden. Habt ihr sodann einen verständigen Bedienten, der das Kind etwa unter Aufsicht hat, und dem ihr so etwas auftragen könnt (denn wenn ein Erzieher da ist, so versteht sich von selbst, daß dieser es tut), so halte ich es für besser, daß die Strafe unmittelbar aus einer fremden Hand kommt, nur muß sie auf Anordnung und im Beisein der Eltern vorgenommen werden. Auf die Art wird das Ansehen der letzteren erhalten und die Abneigung des Kindes wegen der erlittenen Strafe wendet sich mehr gegen die Person, die sie unmittelbar ausübte. Denn ich behaupte, daß ein Vater sein Kind nur selten und im dringendsten Notfalle schlagen müsse; dann aber muß es auch so geschehen, daß das Andenken daran nicht sogleich vorübergehen kann.

§ 84. Aber wie gesagt, sind Schläge das schlechteste und daher auch das letzte Mittel, Kinder zu bessern; können auch nur dann erst stattfinden, wenn alle gelinderen Mittel bereits angewandt und fruchtlos befunden worden sind. Wird dies genau beobachtet, so kann die gedachte Notwendigkeit nur selten eintreten; denn es läßt sich nicht denken, daß ein Kind, sich oft dem ausdrücklichen Befehl des Vaters in irgendeiner Sache widersetzen sollte. Wenn der Vater nicht etwa über kindische und gleichgültige Handlungen, in welchen man dem Kinde einige Freiheit lassen muß, oder in betreff des Lernens und des Fleißes, wobei kein Zwang stattfinden darf, unverbrüchliche Gesetze vorschreibt und sein ganzes Ansehen ganz unnötigerweise dabei aufs Spiel setzt, so bleibt in der Tat nur das Verbot einiger lasterhaften Handlungen übrig, wo das Kind wahre Widerspenstigkeit ausüben und Schläge verdienen könnte. Wer also die Pflichten einer guten Erziehung genau erwägt und befolgt, wird sehr wenig Gelegenheiten finden, solche harte Mittel zu gebrauchen. Denn welcher Laster ist ein Kind in den ersten sieben Jahren wohl fähig (außer den Lügen oder einigen boshaften Streichen), deren wiederholte Verübung gegen des Vaters ausdrückliches Verbot es der Widersetzlichkeit schuldig machen und Züchtigung mit der Rute verdienen sollte?

Zeigt sich eine lasterhafte Neigung bei dem Kinde, so muß man sie gleich bei dem Entstehen, bei den ersten Ausbrüchen gehörig zu behandeln wissen. Zuerst gebe man seine Verwunderung darüber zu erkennen, und wenn sie zum zweitenmal sich äußert, so muß der Vater, der Erzieher und alle, die zugegen sind, sie ihm ernsthaft verweisen. Dabei wird ihm so begegnet, wie ich bereits oben erwähnt habe und es der Zustand des Mißfallens mit sich bringt. Diese Begegnung hält denn auch solange an, bis das Kind in sich geht und über den begangenen Fehler Reue und Scham empfindet. Auf diese Art wird es, wie ich glaube, keiner anderen Züchtigung bedürfen und niemals bis zu Schlägen kommen. Denn die Notwendigkeit solcher Strafen entsteht insgemein nur aus vorhergegangener allzu großer Nachsicht und Vernachlässigung. Ist man auf fehlerhafte Neigungen gleich bei ihrer Entstehung aufmerksam und behandelt die ersten Äußerungen derselben auf diese gelinde Weise, so wird man selten mit mehr als einer Unart auf einmal zu kämpfen haben und diese ohne Lärm und Geräusch zu unterdrücken imstande sein, so daß weder Härte noch Schläge erfordert werden. Auf diese Art kann man dieselben, eine nach der anderen, so wie sie sich hervortun, dergestalt ausrotten, daß keine Spur, kein Merkmal ihres Daseins übrigbleibt. Lassen wir aber durch zu große Nachsicht gegen die Kleinen ihre Fehler in die Höhe wachsen, festwurzeln und überhandnehmen, so sind wir alsdann genötigt, das Feld ganz von vorn zu bestellen; der Pflug und der Spaten müssen sehr tief gehen, um das Unkraut mit den Wurzeln herauszuheben; wir müssen alle Kräfte, Geschicklichkeit und Sorgfalt aufbieten, um den verwilderten, mit Disteln bedeckten Acker zu reinigen und die Hoffnung zu der Fruchternte wiederherzustellen, welche unsere Mühe belohnen soll.

§ 85. Bei dieser Methode wird sowohl der Vater als das Kind der wiederholten Erinnerungen und vielfältigen Vorschriften, was es tun oder lassen soll, überhoben sein; denn ich bin der Meinung, daß selbst in Ansehung solcher Handlungen, welche böse Gewohnheiten nach sich ziehen können, und welches übrigens die einzigen sind, wo ein Vater sein Ansehen geltend machen muß – man Kindern eher nichts verbieten sollte, als bis sie wirklich schuldig befunden würden. Denn wenn dergleichen Verbote auch nichts Schlimmeres bewirken, so führen sie die Kinder doch wenigstens auf die Gedanken, daß die Jugend solcher Fehler sich wohl schuldig zu machen pflege. Besser wäre es demnach, wenn diese Fehler ihnen ganz unbekannt blieben. Das beste Mittel, sie zu unterdrücken, ist daher auch, wie ich schon gesagt habe, sobald man an dem Kinde eine Äußerung wahrnimmt, welche eine böse Neigung verrät, darüber Verwunderung und Erstaunen zu erkennen zu geben. Betrifft man es z.B. zum erstenmal auf einer Lüge oder auf einer Bosheit, so muß man mit ihm wie von einer außerordentlichen, abscheulichen Sache davon reden, deren man es nicht für fähig gehalten hätte, damit es sich derselben schäme.

§ 86. »Man mag indes von der Lenksamkeit der Jugend und von der Wirksamkeit solcher gelinder Mittel, wie Lob und Beschämung es sind, sagen was man will, so gibt es doch manche Kinder, die nimmermehr ein Buch anrühren oder sich von selbst zum Lernen antreiben würden, wenn man sie nicht mit Schlägen dazu zwänge.« Dies ist der Ton des alten Schlendrians und die Sprache verschrobener Orbile, welche durchaus keine neue, auch noch so vernünftige Methode dulden wollen. Warum, kann man ihnen entgegensetzen, ist denn zum Latein und zum Griechischen der Stock so unentbehrlich, da er doch beim Französischen und Italienischen nicht nötig ist? Die Jugend lernt Tanzen und Fechten, ohne daß dabei Schläge ausgeteilt werden, und ebenso auch Rechnen, Zeichnen und andere Künste. Dieses leitet natürlicherweise auf den Gedanken, daß entweder die Dinge selbst, welche in den lateinischen Schulen gelehrt werden, oder die Methode, welche daselbst herrscht, etwas Widernatürliches und Zurückstoßendes an sich haben müsse und solche strenge Zucht notwendig mache – wenn es nicht überhaupt ein leerer Wahn ist, daß die gelehrten Sprachen nicht ohne Schläge erlernt werden können.

§ 87. Gesetzt aber auch, es gäbe so träge und faule Kinder, welche auf keinem gelinden Wege zum Lernen gebracht werden könnten (denn man muß eingestehen, daß die Charaktere sehr verschieden sind), so folgt doch daraus noch nicht, daß eine solche strenge Behandlung mit dem Stock bei allen anwendbar sei. Auch kann man nicht eher behaupten, daß alle gelinden Methoden nicht anschlagen, als bis man sie wirklich alle versucht hat, und wenn diese dann ganz unwirksam bleiben und den Knaben nicht vermögen, zu tun, was er kann, so wollen wir eine solche Hartnäckigkeit keineswegs entschuldigen. Schläge sind alsdann das beste Zuchtmittel, nur muß es nicht nach der gewöhnlichen Weise angebracht werden. Ein Kind, das mit Vorsatz seine Lektion nicht lernt, mit Fleiß sich weigert, das zu tun, was es tun kann, was der Vater verlangt und er ihm ausdrücklich anbefohlen hat, muß nicht etwa in vorübergehender Hitze nur zwei oder drei Hiebe bekommen, und so oft es in der Folge dieselbe Nachlässigkeit und denselben Ungehorsam wieder bezeigt, auf ähnliche Art bestraft werden. Ist es einmal soweit gediehen, daß offenbare Widersetzlichkeit Schläge notwendig macht, so rate ich, die Züchtigung mit gelassenerem Mute und mit etwas mehr Strenge auszuüben, und mit untergemischten Ermahnungen sie so lange fortzusetzen, bis sie wirklich Eindruck gemacht hat, bis Ton und Miene des Kindes zeigen, daß ihm nicht sowohl der körperliche Schmerz, als vielmehr der begangene Fehler wirklich wehe tut und daß es wahre Reue darüber empfindet. Wäre eine solche Züchtigung, wenn sie nach gehörigen Zwischenzeiten einigemal versucht und mit sichtlichem Widerwillen des Vaters (über die spät erfolgende Wirkung) nach und nach bis zur äußersten Strenge getrieben würde, nicht imstande, das Gemüt zu erweichen und das Kind zum Gehorsam zu bringen, so weiß ich nicht, was man noch von den Schlägen hoffen, oder wozu man noch damit fortfahren sollte. Ein Kind schlagen, ohne daß man einen guten Zweck davon erwartet, steht mehr der Wut eines ergrimmten Feindes ähnlich als dem guten Willen eines mitleidigen Freundes, und solche Züchtigungen ziehen nur Erbitterung nach sich, ohne alle Hoffnung zur Besserung. Ist ein Vater so unglücklich, einen so verdorbenen und unbeugsamen Sohn zu haben, so weiß ich in der Tat nicht, was er anderes für ihn tun kann, als für ihn beten. Allein ich glaube, daß, wenn man Kinder nur von Anfang an gehörig behandelte, es gewiß wenig so schlimme geben würde. Sollten sich aber hin und wieder solche Beispiele finden, so können sie bei Erziehung der besser gearteten, welche gelinder behandelt werden müssen, nicht zur Richtschnur dienen.

§ 88. Könnt ihr einen Erzieher bekommen, der Vaters Stelle vertritt, seine Sorge auf sich nimmt, an der hier geschilderten Erziehungsmethode Geschmack findet und gleich von Anfang an sie ausübt, so wird ihm in der Folge sein Werk sehr leicht werden und euer Sohn wird, wie ich vermute, in kurzer Zeit, sowohl im Unterricht als in den Sitten, größere Fortschritte machen, als ihr euch vorstellt. Ohne euer Vorwissen und Einwilligung aber darf er das Kind nie schlagen; es sei denn, daß ihr seine Klugheit und Mäßigung schon aus Erfahrung kenntet. Damit er aber ein völliges Ansehen über den Zögling erhalte und insbesondere auch der Umstand nicht bekannt werde, daß der Gebrauch der Rute nicht von ihm allein abhängt, so müßt ihr ihn selbst sehr in Ehren halten, und das ganze Haus muß ein gleiches beobachten. Denn ihr könnt nicht erwarten, daß euer Sohn demjenigen Achtung bezeige, dem ihr selbst oder die Mutter Geringschätzung beweist. Haltet ihr ihn eurer Verachtung wert, so habt ihr eine schlechte Wahl getroffen, und lasset ihr sie ihn fühlen, so wird das Kind unfehlbar bald ein gleiches tun. Ist es aber erst so weit gekommen, so mag alsdann der Mann Verdienste besitzen, welche er will, und noch so große Geschicklichkeiten zu seinem Geschäft: bei dem Kinde sind sie verloren; er wird ihm niemals nützlich werden können!

§ 89. So wie des Vaters Beispiel dem Kinde Ehrerbietung gegen den Erzieher einflößen muß, so muß das Beispiel des letzteren auch das Kind zu allem dem anführen, was es tun soll. Seine Handlungen müssen seinen Vorschriften nie widersprechen, wenn er es nicht verderben will. Vergebens predigt der Erzieher Bezähmung der Leidenschaften, wenn er selbst sich ihnen überläßt; vergebens wird er bei seinem Zöglinge ein Laster oder eine Unart zu verbessern suchen, wenn er es sich selbst gestattet. Schlechte Muster werden sicherlich weit besser befolgt als gute Lehren; daher muß er den Zögling sorgfältig vor dem Einfluß böser Beispiele bewahren, besonders vor denen der Bedienten, welche insgemein die gefährlichsten sind. Doch muß er ihn nicht durch Verbote von ihrer Gesellschaft entfernen, denn das würde sie ihm nur noch reizender darstellen, sondern durch andere Mittel, wovon ich oben schon geredet habe.


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