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Fünfzehnter Abschnitt.

Von der Neigung der Kinder zur Grausamkeit.

§ 116. Ich habe häufig beobachtet, daß Kinder, wenn sie eines Tieres habhaft werden können, dasselbe zu mißhandeln pflegen; sie quälen und martern junge Vögel, Schmetterlinge und andere Tiere, die sie in die Hände bekommen und scheinen dabei in der Tat ein Vergnügen zu finden. Hierauf hat man Ursache, sehr aufmerksam zu sein und, wenn sich solche Grausamkeit bei ihnen äußert, sie zu einem entgegengesetzten Verhalten zu gewöhnen. Denn die Gewohnheit, Tiere zu martern und zu töten, macht sie nach und nach auch gegen Menschen hartherzig, und wer an dem Leiden und der Zerstörung geringerer Geschöpfe Vergnügen findet, wird nicht leicht gegen sein eigen Geschlecht mitleidig und wohlwollend handeln. Selbst bei der britischen Verfassung ist hierauf Rücksicht genommen, indem die Fleischer (als Geschworene) nicht mit über Leben und Tod richten dürfen. Kinder müssen also von Anfang an so erzogen werden, daß sie einen Abscheu bekommen, irgendein lebendiges Geschöpf zu martern oder zu töten; sie müssen gelehrt werden, kein Wesen zu verderben oder zu zerstören, wofern es nicht zur Erhaltung oder zum Vorteil eines edleren Wesens geschieht. Wahrlich, wenn ein jeder für sich, so viel er könnte, zum Wohl seiner Nebenmenschen beitrüge (so wie dies in der Tat eines jeden Schuldigkeit und das Fundament ist, auf welchem alle Religion, Politik und Moralität beruht), so würden die Menschen weit glücklicher und besser gesinnt sein, als sie sind.

Doch dies nur beiläufig! Ich muß hierbei die Klugheit und Güte einer Mutter von meiner Bekanntschaft rühmen, die gewohnt war, ihren Töchtern, wenn sie Hunde, Eichhörnchen, Vögel oder dergleichen Dinge, welche junge Mädchen gern haben mögen, verlangten, jederzeit zu willfahren; nur mußten sie dieselben, wenn sie sie einmal hatten, auch gut halten und fleißig Sorge tragen, daß ihnen nichts abging, oder daß sie nicht übel behandelt wurden. Die Nachlässigkeit in diesem Stücke ward ihnen sehr hoch angerechnet und brachte sie oft um den Besitz, wenigstens ging es nie ohne einen Verweis ab, und dadurch gewöhnten sie sich frühzeitig zur Ordnung und Gutmütigkeit. Ich glaube auch, daß man überhaupt die Menschen von der Wiege an gewöhnen müsse, wohlwollend gegen alle empfindenden Geschöpfe zu sein, damit sie mutwilligerweise keins verderben oder vernichten. Ich kann mich nicht überreden, daß das Vergnügen, Schaden zu tun, das heißt, etwas ohne alle Absicht zu verderben, vorzüglich aber einem empfindungsfähigen Geschöpf Leiden zu verursachen, seine Quelle in dem Menschen selbst und nicht vielmehr in einer von außen hineingebrachten Neigung und im Umgange angenommenen Gewohnheit haben sollte. Man lehrt das Kind schlagen und lachen, wenn es anderen Schaden tut oder andere leiden sieht, und das Beispiel derer, die es umgeben, bestärkt es darin. Alles, was man ihm von der Geschichte sagt, kommt auf Schlachten und Morden hinaus. Die Ehre und der Ruhm, den diese den Eroberern beilegt, welche meistenteils nur die Henker des Menschengeschlechts waren, bringt den heranwachsenden Jüngling vollends auf die Gedanken, daß Menschenmord das rühmlichste Geschäft und die größte Heldentugend sei. Auf diese Art wird uns widernatürliche Grausamkeit eingeprägt, und so söhnt die Gewohnheit uns mit Dingen aus, vor welchen die Menschheit zurückbebt, indem sie die Bahn der Ehre damit bestreut. So wandelt das Vorurteil und die Mode das in Vergnügen um, was an sich selbst keines ist, noch sein kann. Diesem Hange muß man also bei der Erziehung mit der größten Sorgfalt und sehr frühzeitig vorzubeugen suchen und dahin arbeiten, daß die weit natürlicheren Neigungen des Wohlwollens und Mitleids die Stelle desselben einnehmen, jedoch durch ebenso gelinde Mittel, als ich bereits bei den vorhin gedachten beiden Fehlern empfohlen habe.

Es wird Vielleicht nicht überflüssig sein, noch folgende Erinnerung hinzuzufügen. Richten Kinder etwa Schaden oder Unheil an, ohne daß sie selbst es dafür erkennen oder eine böse Absicht dabei haben, wie dies wohl im Spiel aus Unachtsamkeit und Unwissenheit zu geschehen pflegt, so muß man es entweder gar nicht, oder doch nur sehr gelinde ahnden, wenn der Schade sonst auch an sich wirklich beträchtlich ist. Denn ich kann es, wie mich dünkt, nicht oft genug einschärfen, das, worauf man bei jeder Unart, deren sich ein Kind schuldig macht (sie sei übrigens von welcher Beschaffenheit oder von welchen äußeren Folgen sie immer wolle), hauptsächlich zu sehen hat, ist die Quelle, aus der sie entsteht und die Gewohnheiten, welche sie nach sich ziehen kann. Aus dem Gesichtspunkte muß man auch die Strafen anordnen und deshalb das Kind nie eines Schadens wegen züchtigen, den es etwa beim Spiel oder aus Versehen angerichtet hat. Die Fehler, welche verbessert werden müssen, liegen im Gemüt; sind es aber solche, welche die Jugend mit den Jahren von selbst ablegt und aus denen keine üblen Gewohnheiten entstehen, so mag die einzelne Handlung auch mit noch so unangenehmen Nebenumständen verknüpft sein, so muß man sie ohne weitere Ahndung hingehen lassen.

§117. Ein anderes Mittel, den Kindern Menschenliebe einzustoßen und diese Tugend in dem Herzen der Jugend lebendig zu erhalten, ist, daß man sie zur Höflichkeit im Ausdrucke und im Betragen gegen Geringere, gegen Leute von niederem Stande und besonders gegen die Bedienten gewöhnt. Man bemerkt nicht selten, daß Kinder in guten Familien den Hausbedienten mit gebieterischen und verächtlichen Reden und überhaupt mit einem herrschsüchtigen Wesen begegnen, als ob sie Geschöpfe von anderer Art und von einer niederen Gattung wären. Dieser Hochmut, mag er nun seine Quelle in dem bösen Beispiele, in den Vorzügen des Glücks oder in der natürlichen Eitelkeit haben, so muß man ihm vorbeugen oder ihn ausrotten und dafür die Kinder zu einem sanften, höflichen und leutseligen Betragen gegen Leute von geringerem Stande gewöhnen. Sie verlieren dadurch nichts von ihren Vorzügen; im Gegenteil wird ihr höherer Stand noch mehr hervorstechen, ihr Ansehen noch mehr befestigt werden, wenn Geringere mit der äußeren Ehrerbietung gegen sie zugleich Liebe verbinden und ihre Unterwürfigkeit zum Teil auf persönliche Hochachtung gegründet ist. Das Gesinde wird seine Dienste mit willigerem und vergnügterem Herzen verrichten, wenn es sieht, daß es von der Herrschaft darum nicht geringschätzig behandelt wird, weil das Glück ihm einen niedrigeren Rang anwies. Kinder müssen unter dem Flittergold des äußeren Glücks die Würde der menschlichen Natur nie aus dem Gesichte verlieren. Je mehr ihnen von den Glücksgütern zuteil geworden, desto mehr muß man ihr Herz zur Menschenliebe bilden, desto mitleidiger und wohlwollender müssen sie gegen diejenigen ihrer Brüder gesinnt sein, denen das Schicksal einen geringeren Rang und ein ärmeres Los angewiesen hat. Wenn sie hingegen von der Wiege an den Leuten schlecht und grob begegnen dürfen, weil sie vermöge des Ranges, den ihr Vater besitzt, eine Art von Gewalt sich über sie anmaßen zu können glauben, so werden sie zum mindesten immer ungesittet bleiben; ja läßt man es so hingehen, so wird ihr Stolz nach und nach zu einer eingewurzelten Verachtung aller derer, die unter ihnen sind, anwachsen: und was kann am Ende anderes daraus entstehen als Unterdrückung und Grausamkeit?


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