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Zwanzigster Abschnitt.

Vom Lügen der Kinder.

§ 131. Nichts scheint bequemer und kürzer, einen begangenen Fehltritt zu verbergen, als Lügen, und es ist unter Leuten von allen Klassen so gewöhnlich, daß auch einem Kinde diese Untugend alle Augenblicke auffallen muß und es sehr schwer hält, es davon rein zu erhalten. Allein es ist eine so schlimme Eigenschaft und die Mutter so vieler anderer Laster, welche von ihr ausgebrütet werden und unter ihrem Schirm gedeihen, daß man Kindern den größten Abscheu dagegen einstoßen muß. So oft es die Gelegenheit gibt, sollte man in seiner Gegenwart mit dem größten Unwillen davon sprechen wie von einer Eigenschaft, die dem guten Namen und dem Charakter eines ehrbaren Menschen gerade entgegensteht, so daß kein ehrlicher Mann die Beschuldigung einer Lüge auf sich haften lassen darf; man sollte ihm das Lügen als ein Laster vorstellen, welches die größte Verachtung verdient, den Menschen zu dem niedrigsten Grade schändlicher Niederträchtigkeit herabwürdigt, ihm seine Stelle unter der verächtlichsten Menschengattung und dem verworfensten Pöbel anweist, als ein Laster endlich, das an einem Menschen, der mit Leuten von Stande umgehen will und in der Welt einigen Anspruch auf Achtung und guten Ruf macht, ganz und gar nicht geduldet werden kann. Das erste Mal, daß man ein Kind bei einer Lüge betrifft, sollte man, anstatt sie ihm wie einen gewöhnlichen Fehler zu verweisen, bloß seine Verwunderung darüber bezeugen wie über eine außerordentliche Sache. Schützt dieses es nicht vor dem Rückfall, so muß es das nächste Mal einen scharfen Verweis bekommen, und Vater, Mutter und alle, die um das Kind sind und die Sache erfahren, müssen es die größte Unzufriedenheit empfinden lassen. Sollte aber auch dieses noch nicht helfen, so muß man endlich zu Schlägen greifen; denn nachdem es dergestalt gewarnt worden, hat man eine vorsätzliche Lüge immer als eine Widerspenstigkeit zu betrachten, die nie ungeahndet hingehen darf.

§ 132. Kinder pflegen aus Furcht, ihre Fehler in ihrer Blöße aufgedeckt zu sehen, wie alle Adamssöhne auf Entschuldigungen zu deuten. Diese Unart verleitet gewöhnlich zur Unwahrheit und muß darum auch nicht geduldet, jedoch mehr durch Beschämung als durch Härte gehoben werden. Wird daher ein Kind zur Rede gesetzt und seine erste Antwort ist eine Entschuldigung, so ermahne man es mit Gelassenheit, die Wahrheit zu sagen, und wenn es dann beharrt, sich durch Unwahrheit herauszuhelfen, so muß es gezüchtigt werden. Gesteht es aber die Sache offenherzig, so lobe man seine Aufrichtigkeit und verzeihe ihm den Fehler, er sei, welcher er wolle – und zwar dergestalt, daß man ihm denselben nie wieder vorwerfe, noch dessen erwähne. Denn wenn ihr wollt, daß es die Aufrichtigkeit liebgewinnen und durch beständige Übung sich dieselbe angewöhnen soll, so muß man dahin sehen, daß sie ihm nicht die geringste Unannehmlichkeit verursache, im Gegenteil lasse man es nicht dabei bewenden, daß das Geständnis es gänzlich von der Strafe befreie, sondern ermuntere es zugleich durch einige Merkmale des Beifalls. So oft indes die Entschuldigung, die es vorbringt, so beschaffen ist, daß man es von der Unwahrheit derselben nicht geradezu überführen kann, so lasse man sie für wahr passieren und zeige ganz und gar keinen Verdacht. Die gute Meinung, die man von ihm hat, muß ihm über alles gelten und daher auch solange als möglich beibehalten werden; denn wenn es erst gewahr wird, daß es diese eingebüßt hat, so ist das beste und wirksamste Erziehungswerkzeug verloren. Solange es also nur vermieden werden kann, ohne ihm zu schmeicheln, so lasse man es nicht auf den Gedanken geraten, daß man es für einen Lügner halte, und darum übersehe man allenfalls einige kleine Abweichungen von der Wahrheit. Ist es aber einmal für eine Lüge bestraft worden, so muß man sie ihm nie wieder verzeihen, wenn man es darauf ertappt oder erfährt, daß es sich derselben schuldig gemacht habe. Denn da ihm dieser Fehler verboten worden und es ihn, wenn es sonst nicht störrisch ist, auch wohl vermeiden kann, so muß man seine Wiederholung als eine vorsätzliche Bosheit betrachten und so bestrafen, wie sie es verdient.

§ 133. Dies ist es, was ich über die Erziehung eines jungen Menschen im allgemeinen zu sagen hatte. Obwohl ich nun weit entfernt bin zu glauben, alles und jedes, was bei zunehmenden Jahren und besonderen Charakteren zu beobachten ist, berührt zu haben, so schmeichle ich mir doch, daß man aus diesen Bemerkungen im ganzen Erziehungslaufe überhaupt einigen Nutzen werde schöpfen können. Ich will nun noch einige besondere Betrachtungen über verschiedene einzelne Teile der Erziehung hinzufügen.


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