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Zweiundzwanzigster Abschnitt.

Von der Klugheit.

§ 140. Ich nehme hier das Wort Klugheit in der gewöhnlichen Bedeutung als die Fähigkeit eines Menschen, sein Geschäft mit Geschicklichkeit und Vorsicht zu betreiben. Es gehört dazu ein guter natürlicher Verstand und ein tätiger Geist, mit Erfahrung verbunden, sie ist also insofern keine Sache für Kinder. Das wichtigste, was in dieser Hinsicht geschehen kann, ist, sie gegen List zu verwahren; denn diese ist bloß der Affe der Klugheit und himmelweit von derselben verschieden. Der Affe ist um so häßlicher, weil es ihm, bei seiner übrigen Ähnlichkeit mit dem Menschen, an dem Wesentlichen fehlt, was ihn dazu machen könnte. List gründet sich auf Mangel des Verstandes; denn da dieser nicht hinreicht, seine Zwecke durch gerade Wege zu erreichen, so nimmt er zu Ränken und Umschweifen seine Zuflucht; nur schade, daß ein arglistiger Streich vielleicht wohl einmal hilft, dann aber uns auf immer schadet. Denn es ist keine Decke so dicht oder so künstlich, daß sie den, der darunter spielt, durchaus verbergen sollte. Nie war ein Sterblicher so listig, daß man ihm den listigen Charakter überhaupt nicht hätte anmerken können. Ist derselbe aber erst einmal offenbar, so wird jedermann scheu und mißtrauisch gegen einen so verschmitzten Menschen. Alles vereinigt sich, ihm entgegenzuwirken und ihn zu stürzen; dahingegen der gerade, verständige und kluge Mann, weil er überall offen zu Werke geht, allenthalben Freunde findet. Man gewöhne das Kind, von allen Dingen sich richtige Begriffe zu erwerben und nicht eher zu ruhen, als bis es selbige erlangt hat; man nähre seinen Geist mit großen und würdigen Gedanken und entferne es so viel als möglich von aller Falschheit und Zweideutigkeit: dies ist die beste Anleitung zur Klugheit. Das übrige wird Zeit, Erfahrung, Beobachtung, Bekanntschaft mit den Menschen, ihren Charakteren und Absichten von selbst hinzutun; von der Unwissenheit und Unachtsamkeit des Kindes aber oder von der unüberlegten Hitze und Unerfahrenheit des Jünglings hat man solches nicht zu erwarten. Alles, was in dem unmündigen Alter geschehen kann, ist, wie ich schon gesagt habe, daß man den jungen Menschen zur Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit gewöhnt, zur Unterwerfung unter die Vernunft und soviel als möglich zum Nachdenken über seine eigenen Handlungen.


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