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Vierundzwanzigster Abschnitt.

Vom Unterricht.

§ 147. Man wird sich vielleicht wundern, daß ich von den Kenntnissen ganz zuletzt rede, und besonders wenn ich hinzufüge, daß ihnen meiner Meinung nach auch in der Tat der letzte Rang gebührt. In dem Munde eines Büchergelehrten mag dies freilich wunderbar klingen und um so paradoxer scheinen, da sonst gewöhnlich das meiste Wesen hiervon gemacht wird, indem man sie als den wesentlichsten Teil der Erziehung betrachtet. Wenn ich bedenke, wie viel Kraft, Mühe und Zeit man auf ein bißchen Latein und Griechisch verwendet, und was für ein Geschrei und Aufheben die Eltern der Kinder davon machen, so kann ich mich nicht enthalten zu glauben, daß sie selbst sich noch vor des Schulmeisters Rute fürchten, als ob sie dieselbe für das einzige Erziehungswerkzeug hielten und als ob es bloß auf eine oder zwei Sprachen ankäme. Wie wäre es sonst möglich, daß man ein Kind sieben, ja acht bis zehn seiner besten Lebensjahre auf die Galeere schmieden könnte, um ihm eine oder zwei Sprachen beizubringen, die es mit einem guten Teil weniger Zeit und Mühe, ja sozusagen bloß spielend lernen könnte?

Man wird es mir daher zugute halten, wenn ich gestehe, ich könne nicht ohne Unwillen daran denken, daß man einen jungen Menschen von honetten Eltern unter eine Herde Schulknaben steckt und ihn, um seinen Geist zu bilden, durch die verschiedenen Klassen des Gymnasiums wie den Soldaten beim Gassenlaufen hindurch geißeln und peitschen läßt. »Aber wie!« sagt man. »Soll er denn nicht schreiben und lesen lernen? Soll er noch unwissender bleiben als unser Dorfküster, welcher Hopkins und Sternhold Zwei Dichterlinge Englands aus dem 16. Jahrhundert, deren Namen ohne diese Anführung Lockes vielleicht nie über die Grenzen ihres Vaterlandes und auf die Nachwelt gelangt wären. Eine Probe ihrer Psalmenübersetzungskünste (in metrischer Form) gibt v. Sallwürk in seiner Ausgabe von Lockes »Gedanken über Erziehung«, S. 155, Anmerk. 4. für die ersten Dichter in der Welt hält und sie durch seine Deklamation noch weit schlechter macht, als sie wirklich sind?« Nicht doch! Nicht doch! Lesen, Schreiben und Kenntnisse sind freilich nötig, aber nicht die Hauptsache. Mich dünkt, ihr selbst würdet den für einen Toren erklären, der einen tugendhaften und klugen Geschäftsmann nicht einem bloßen Stubengelehrten weit vorziehen wollte. Ich gebe gern zu, daß Wissenschaft bei einer wohlgeordneten Seele auch der Tugend und Weisheit zu einer wichtigen Stütze diene; ebenso wahr aber ist es auf der anderen Seite, daß, wenn die Sinnesart nichts taugt, sie nur dazu nützt, den Menschen noch törichter und schlimmer zu machen. Ich sage dies bloß darum, damit ihr, wenn ihr zur Erziehung eures Sohnes euch nach einem Lehrer oder Erzieher umseht, nicht wie gewöhnlich bloß auf Latein und Logik euer Augenmerk richtet. Kenntnisse und Einsichten sind allerdings schätzbar, aber nur insofern sie anderen edleren Eigenschaften zur Stütze dienen. Suchet für euren Sohn einen Mann ausfindig zu machen, der Verstand und Talent besitzt, die Sitten desselben zu bilden, ihn in genauer Aufsicht zu halten, seine Unschuld zu bewahren, das Gute in ihm zu stärken und zu nähren, die bösen Neigungen auf eine sanfte Art zu verbessern und auszurotten und gute Fertigkeiten dafür einzupflanzen. Dies ist die Hauptsache, wofür vor allen Dingen gesorgt werden muß. Wissenschaft kann alsdann um einen sehr geringen Preis hinzugetan werden, wenn man nur auf eine vernünftige Methode bedacht ist.

§ 148. Wenn ein Kind sprechen kann, so ist es Zeit, daß es anfängt lesen zu lernen. Es sei mir aber erlaubt, hier noch einmal zu wiederholen, was gar zu leicht vergessen wird, nämlich daß man sich wohl in acht nehmen muß, ihm das Lesen als eine Arbeit anzukündigen, womit es sich wie mit einem vorgeschriebenen Tagewerk beschäftigen soll. Wir lieben von Natur und von der Wiege an die Freiheit und haben daher vor vielen Dingen bloß darum eine Abneigung, weil sie uns anbefohlen werden. Ich bin stets der Meinung gewesen, daß man den Kindern das Lernen zum Spiel und zur Erholung machen und sie dahin bringen könne, selbst nach dem Unterricht zu verlangen, wenn man ihn denselben als eine Sache vorstellte, welche mit Ehre, Lob, Vergnügen und Ergötzung verbunden wäre, oder als eine Sache, wodurch sie für sonst etwas belohnt würden, und wenn sie für die Verabsäumung desselben nie Schelte oder Verweise zu fürchten hätten. Was mich in dieser Meinung bestärkt, ist das Beispiel der Portugiesen; dort herrscht unter den Kindern ein solcher Eifer, Lesen und Schreiben zu lernen, daß man sie kaum davon abhalten kann. Sie lernen es eins von dem anderen und sind so begierig danach, als wenn es ihnen verboten wäre. Ich erinnere mich hierbei, daß der jüngste Sohn eines meiner Freunde, als er noch einen langen Rock trug und von der Mutter im Lesen unterrichtet ward, mit Mühe zum Buche gebracht werden konnte; ich riet daher, einen anderen Weg einzuschlagen und es von dem Kinde nicht als eine Schuldigkeit zu verlangen. Zu dem Ende äußerten wir uns einst in seiner Gegenwart (aber so, als achteten wir auf den Kleinen nicht) in einem Gespräch, das wir bloß unter uns zu führen schienen, ungefähr auf folgende Weise: Es sei ein besonderes Vorrecht der eigentlichen Erben und der älteren Brüder, daß sie studierten; es würden auf diese Art geschickte und artige Leute aus ihnen, die bei jedermann beliebt wären; was aber die jüngeren Brüder anlangte, so wäre es bloß eine besondere Gunst, wenn man ihnen einige Erziehung erteilte; sie Lesen und Schreiben zu lehren, wäre mehr, als ihnen von Rechts wegen zukäme, im übrigen aber stünde es ihnen frei, so dumm und unwissend zu bleiben, wie sie immer wollten. Das wirkte dermaßen auf das Kind, daß es nachher selbst begehrte, unterrichtet zu werden; es kam von selbst zu der Mutter, um zu lernen, und ließ seiner Wärterin nicht eher Ruhe, als bis sie ihm seine Lektion überhört hatte. Ich zweifle nicht, daß sich bei anderen Kindern ähnliche Mittel anwenden lassen; man darf nur ihren Charakter kennen und nach Beschaffenheit desselben einige Ideen ihnen beibringen, welche ein Verlangen nach dem Unterricht rege machen und sie antreiben, ihn wie irgendein Spiel oder ein Vergnügen selbst aufzusuchen. Dann aber muß man ihnen denselben, wie ich vorhin schon gesagt habe, nie zur Last oder Arbeit machen. So kann man z. B. die Kinder die Buchstaben kennen lehren, indem man sie auf Würfel oder andere Spielsachen klebt, und so lassen sich leicht nach Maßgabe der verschiedenen Anlagen zwanzig andere Mittel erdenken, um den Kindern diesen Unterricht zur Lust zu machen.

§ 149. Auf diese Art kann man Kindern unvermerkt die Buchstaben und sogar das Lesen lehren, ohne daß sie selbst es für etwas anderes als einen Zeitvertreib halten, und indem sie da bloß spielen, wo man sonst die Rute zu brauchen pflegt. Man darf Kindern keine wirkliche Arbeit aufgeben, noch sie ernsthaft beschäftigen, ehe Geist und Körper nicht dazu geschickt sind. Man schadet sonst ihrer Gesundheit; ja ich bin der Meinung, daß die Abneigung, welche manche Leute ihr ganzes Leben gegen Bücher und Wissenschaften behalten, ihren Grund bloß darin habe, daß sie in dem Alter, welches Anstrengung und Zwang am wenigsten ertragen kann, mit Gewalt zum Lernen angetrieben und an die Bücher angefesselt worden sind. Es ist so wie mit gewissen Speisen, die, wenn man sich einmal den Magen damit überladen hat, einen unüberwindlichen Ekel zurück lassen.

§ 150. Ich denke daher, daß, wenn die Spielsachen zu diesem Zweck eingerichtet würden, da sie ohnehin sonst gar keinen haben, man leicht Mittel erfinden könnte, Kindern lesen zu lehren, indem sie bloß zu spielen glaubten. So, wenn man sich z. B. eine elfenbeinerne Kugel von 32 Seiten, wie die in der Royal-Oak, Königseiche. Eine Art von Lotteriespiel in England, wozu man sich einer elfenbeinernen Kugel mit 32 Seiten bedient, auf welchen verschiedene Zahlen ais Lose bemerkt sind.       Coste. machen ließe, oder lieber eine von 24 oder 25 Seiten. Auf einige dieser Seiten klebte man dann ein A, auf verschiedene andere ein B, auf andere C und andere D. Ich würde bloß mit diesen vier Buchstaben den Anfang machen oder vielleicht gar nur mit zweien; und wenn das Kind diese inne hätte, andere hinzusetzen, und so weiter fortfahren, bis nach und nach alle Buchstaben des Alphabetes auf die verschiedenen Seiten der Kugel gebracht wären. Ich wünschte indes, daß erst andere Personen in Gegenwart des Kindes mit dieser Kugel spielten; denn so wie man sonst mit einem anderen Würfel um sechs oder sieben Augen wirft, so kann man ja auch wohl spielen, wer zuerst ein A oder ein B wirft. Wenn ihr nun so unter euch spielt, so fordert das Kind nicht dazu auf, damit ihr es ihm nicht zum Geschäft macht; denn es darf nichts anders wissen, als daß es ein Spiel für Erwachsene ist, und dann wird es schon von selbst sich dazu drängen. Damit es aber um so mehr Ursache habe zu glauben, es sei ein bloßes Spiel, welches ihm nur zuweilen aus besonderer Güte verstattet wird, so lege man die Kugel, wenn das Spiel vorbei ist, allemal an einen Ort, wo das Kind nicht hinzukommen kann, damit sie ihm nicht gleichgültig werde, wenn sie zu allen Zeiten zu haben ist.

§ 151. Um das Kind recht eifrig auf dieses Spiel zu machen, so muß es glauben, daß es nur für Leute, die über ihm sind, gehöre; und wenn es auf die Art die Buchstaben gehörig kennt, so darf man sie nur in Silben zusammensetzen: und es wird lesen lernen, ohne selbst zu wissen wie, ohne darüber gescholten und damit gequält zu werden, und ohne ihm die Bücher überhaupt durch harte Behandlung und Zwang verhaßt zu machen. Wenn man nur acht gibt, so wird man finden, daß Kinder sich ausnehmend viel Mühe geben, verschiedene Spiele zulernen, die sie, wenn man sie ausdrücklich dazu anhielte, als eine mühsame Arbeit verabscheuen würden. Ich kenne einen sehr vornehmen Mann, der mehr noch seiner Gelehrsamkeit und Tugend als seines hohen Ranges und Standes wegen geehrt zu werden verdient; dieser klebte die sechs Selbstlaute (denn in der englischen Sprache ist I auch einer) auf die sechs Seiten eines Würfels, und die übrigen achtzehn Mitlaute auf die Seiten drei anderer Würfel. Mit diesen vier Würfeln spielten seine Kinder dergestalt, daß der gewann, der mit einem Wurf die meisten Worte warf. Hierdurch lernte sein ältester noch sehr kleiner Sohn das Buchstabieren spielend und mit dem größten Eifer, ohne darüber gescholten oder mit Zwang dazu angehalten zu werden.

S 152. Ich habe einst kleinen Mädchen zugesehen, wie sie sich stundenlang in dem sogenannten Dibstonespiel Tipp- oder Fangsteinspiel. Man wirft nämlich ein kleines Steinchen in die Höhe, hebt dann ein anderes Steinchen von der Erde auf und zwar so schnell, daß man das in die Höhe geworfene noch fangen kann, ehe es ganz herabfällt.       Coste. übten und sich unglaubliche Mühe gaben, eine Fertigkeit darin zu erlangen. Bei dieser Gelegenheit fiel mir der Gedanke ein, daß nur ein bißchen Nachdenken, dazu gehöre, um alle diese Tätigkeit und Betriebsamkeit auf etwas Nützlicheres zu richten, und ich bin der Meinung, daß es bloß an der Nachlässigkeit der Erwachsenen liegt, wenn dies nicht geschieht. Kinder sind weit weniger zur Trägheit aufgelegt als Männer; diese aber sind sehr zu tadeln, wenn sie nicht wenigstens einen Teil jener Rastlosigkeit bei Kindern zu guten Zwecken anwenden; zu Gegenständen, sage ich, die ihnen leicht ebenso angenehm gemacht werden können als diejenigen, womit sie sich gewöhnlich abgeben, wenn nämlich die Erwachsenen nur halb so tätig sein wollten, sie durch ihr Beispiel anzuführen, als jene es sind, ihnen nachzuahmen. Ich stelle mir vor, daß irgend einmal einige kluge Portugiesen auf die Art unter den Kindern ihres Landes die vorhingedachte Sitte einführten, vermöge welcher es fast unmöglich sein soll, die Kinder vom Lesen- und Schreibenlernen zurückzuhalten. In einigen Gegenden von Frankreich unterrichten sie sozusagen von der Wiege an einander selbst im Singen und Tanzen.

§ 153. Was die Buchstaben betrifft, die man auf die Seiten eines vieleckigen Körpers oder mehrerer Würfel kleben kann, so ist zu raten, daß man dazu keine großen Anfangsbuchstaben, Sondern gewöhnliche Lettern von etwas größerem Schnitt wähle. Kann das Kind einmal das lesen, was mit solchen Buchstaben gedruckt ist, so wird es auch bald die Anfangsbuchstaben lernen; im Anfang aber muß man es nicht mit zu viel Sachen verwirren. Mit dem gedachten Würfel oder dem vielseitigen Körper kann man eine Art von Lotterie, wie das Royal-Oak, Siehe oben Anmerk. zu § 150. spielen und die Gewinne können Kirschen, Äpfel oder sonst etwas sein.

§ 154. Außerdem lassen sich leicht noch zwanzig andere Buchstabenspiele erfinden, deren sich diejenigen, welchen diese Methode gefällt, zu der Absicht bedienen können. Inzwischen halte ich die vorhin erwähnten vier Würfel für eine so leichte und zweckmäßige Art, daß sich schwerlich eine bessere wird erdenken lassen; auch bedarf es deren nicht.

§ 155. Soviel vom Lesenlernen! Man treibe die Kleinen nur nie mit Schelte oder Gewalt dazu an, sondern täusche es ihnen sozusagen ein, so daß sie es nie als eine Arbeit betrachten. Weit besser, daß das Kind allenfalls ein Jahr später lesen lernt, als daß man ihm dabei mit einem Male einen Ekel gegen alles Lernen beibringt. Laßt ihr es Unzufriedenheit empfinden, so sei es nur über wichtige Gegenstände, welche Wahrheitsliebe und Gutartigkeit betreffen, aber plagt es nicht beim Abc. Wendet alle Geschicklichkeit an, seinen Willen der Vernunft gehorsam und unterwürfig zu machen, ihm Empfindung beizubringen für Lob und Beifall und Scheu gegen die üble oder schlechte Meinung anderer von sich, besonders von seiten der Eltern: das übrige wird sich alsdann von selbst geben. Wollt ihr aber diesen Zweck erreichen, so müßt ihr es nicht in gleichgültigen Dingen mit zu viel Regeln einschränken und fesseln, noch es wegen kleiner Fehler oder solcher, die etwa von anderen für groß geachtet werden, mit Verweisen überhäufen. Doch hiervon habe ich bereits genug gesagt.

§ 156. Hat man das Kind nach dieser Methode so weit gebracht, daß es anfängt zu lesen, so gebe man ihm ein angenehmes, seinen Fähigkeiten angemessenes Buch in die Hände, das ihm eine anziehende Unterhaltung gewährt und ihm die Mühe des Lesens belohnt. Doch versteht es sich von selbst, daß es kein Buch sein müsse, das mit ganz unnützen und ungereimten Dingen angefüllt ist oder wohl gar den Grund zur Torheit und Lasterhaftigkeit bei ihm legen kann. Zu diesem Zweck halte ich Äsops Fabeln für sehr gut; solche Erzählungen dienen nicht nur Kindern zum Vergnügen und zur Unterhaltung, sondern geben auch Erwachsenen Stoff zum Nachdenken. Sollten sich daher dieselben auch dem Gedächtnis des Kindes auf immer eindrücken, so kann es nicht schaden, wenn sie ihm einst bei seinen ernsthaften und männlichen Geschäften wieder beifallen. Hat der Äsop auch Bilder, so wird er es desto besser unterhalten und zum Lesen ermuntern, weil es damit zugleich die Bedeutung der Bilder erfährt. Vergebens spricht man mit Kindern von allerlei sichtbaren Gegenständen; sie nehmen keinen Teil daran, solange man sie ihnen nicht wirklich vors Auge bringt; denn nicht durch den Schall der Worte werden Begriffe in ihm hervorgebracht, sondern durch das Anschauen der Gegenstände selbst oder der Abbildungen davon. Reinecke der Fuchs ist meines Erachtens auch ein Buch, welches zu dieser Absicht gebraucht werden kann. Wir Deutschen haben jetzt viele andere zweckmäßigere Kinderbücher, z. B. »Der Kinderfreund« des Herrn von Rochow. (Ouvrier.) Campe war gegen den Reinecke. Das Buch verdrehe die Begriffe der Kinder »von der Sittlichkeit der Handlungen«. (Rev.-Werk IX, S.460, Anmerk.) Wenn nun diejenigen, so um das Kind sind, öfters mit ihm über die gelesenen Geschichten sprechen oder sie sich von ihm erzählen lassen, so wird es außer anderen Vorteilen dadurch noch mehr zum Lesen aufgemuntert werden, weil es Nutzen und Vergnügen daran findet. Das letztere wird bei der gewöhnlichen Methode im allgemeinen nur sehr spät erreicht; es dauert sehr lange, ehe der Schüler beim Lesen Nutzen und Vergnügen verspürt, um dadurch aufgemuntert zu werden, und dergestalt hält er die Bücher für weiter nichts als einen einmal eingeführten Zeitvertreib oder für eine bloße Qual, die sonst zu nichts dient.

§ 157. Das Gebet des Herrn, die Glaubensartikel und die zehn Gebote muß er notwendig ohne Anstand auswendig lernen, aber meines Erachtens nicht dadurch, daß er selbst sie in seinem Katechismus liest, sondern es muß jemand anders sie ihm wiederholt vorsagen, ehe er noch lesen kann. Auswendig lernen und lesen lernen sind zwei ganz verschiedene Dinge, die man nicht durcheinander mengen und eins durch das andere hindern sollte. In jedem Falle muß man ihm das Lesenlernen so wenig als möglich zur Beschwerde oder zum Geschäfte machen.

Was für andere Bücher von der vorhin erwähnten Art wir in der englischen Sprache haben, welche den Kindern gefallen und ihnen Lust zum Lesen machen können, weiß ich nicht. »In Deutschland fehlt es ja zu unseren Zeiten nicht an Büchern, die Kindern angenehm und nützlich sein können. Ich wünschte nur, daß irgendein pädagogischer Kritikus, um Eltern und Erziehern die Auswahl zu erleichtern und sie vor unzweckmäßigen und schädlichen Kinderschriften zu bewahren, einen Catalogue raisonné(Jugendschriften-Katalog) aller neueren Kinderschriften liefern möchte. Aber dieser Kritikus müßte freilich nicht zu gefällig und zu genügsam sein«, fügen Gedike und Campe im Rev.-Werk hinzu, nach dem dieser Paragraph, da er bei Ouvrier fehlt, ergänzt ist. Weil man aber die Kinder fast durchgängig der Schulmethode preisgibt, nach welcher die Furcht vor der Rute sie zum Lernen zwingen und nicht das Vergnügen an der Beschäftigung sie dazu reizen soll: so hat, glaube ich, diese Art nützlicher Bücher das Schicksal gehabt, sich unter der großen Zahl der unnützen Bücher aller Arten zu verlieren, und man kennt meines Wissens nichts weiter von der Art als die gewöhnlichen Fibeln, Katechismusbücher, Psalmbücher, das Testament und die Bibel.

§ 158. Man bedient sich gewöhnlich der Bibel, um die Kinder im Lesen zu üben. Allein ich bin der Meinung, daß man nicht leicht eine schlechtere Methode, den Kindern das Lesen oder auch Religion beizubringen, erfinden könne, als wenn man sie die Bibel ohne Unterschied vom Anfang bis zum Ende ein Kapitel nach dem andern lesen läßt. Denn wie kann ein Kind am Lesen Vergnügen finden oder Lust dazu gewinnen, wenn es ein Buch liest, wo es so viele Dinge gar nicht versteht? Wie wenig sind die fünf Bücher Moses, das Hohelied Salomons, die Propheten oder die Briefe und die Apokalypse des Neuen Testaments der Fähigkeit des Kindes angemessen? Und obwohl die vier Evangelisten und die Apostelgeschichte dem Inhalt nach hier und da verständlicher sind, so gehen sie insgesamt doch weit über die Fassungskraft der Kindheit hinaus. Ich gebe zu, daß die Lehrsätze der Kirche in der Schrift gegründet und mit den Worten derselben abgefaßt sein müssen; indessen sollte man doch dem Kinde nur diejenigen Lehren bekannt machen, die seiner Fähigkeit und seinen schon erlangten Begriffen angemessen wären. Weit weniger also sollte man es die ganze Bibel ohne Auswahl lesen lassen und zwar bloß, um lesen zu lernen. Was für ein ungeheures Chaos von Gedanken müßte sich in dem Kopf eines Kindes häufen, und welche höchst sonderbare Religionsbegriffe müßte der erlangen, der in seinem zarten Alter alle Bücher der Bibel gradezu als lauter Worte Gottes und ohne alle Auswahl läse! Ich behaupte aber, daß eben dies die Ursache ist, warum viele Menschen ihr Leben lang nie deutliche und richtige Begriffe von der Religion erlangen.

§ 159. Da ich einmal zufälligerweise auf die Materie geraten bin, so erlaube man mir zu sagen, daß einige Teile der Bibel von der Art sind, daß man sie gar wohl einem Kinde in die Hände geben kann, um es zum Lesen aufzumuntern, als da sind: die Geschichte Josephs und seiner Brüder, die Geschichte Davids und Jonathans, desgleichen Davids und Goliaths usw. Andere Stellen sollte man den Kindern zu ihrer Belehrung zu lesen geben, als: Was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch, und mehr dergleichen leichte und verständliche Vorschriften der Sittenlehre, welche man, wenn sie schicklich gewählt sind, oft mit Nutzen sowohl zur Übung im Lesen als zur Belehrung gebrauchen, und so oft wiederholentlich lesen lassen kann, bis sie im Gedächtnisse völlig festsitzen. Nachmals, wenn der junge Mensch reif dazu wird, kann man ihm dieselben bei schicklichen Gelegenheiten als feststehende geheiligte Vorschriften fürs tätige Leben einprägen. Aber das Durchlesen der ganzen Schrift ohne Unterschied bleibt meines Erachtens so lange für Kinder sehr unschicklich, bis sie erst mit den verständlichsten und wesentlichsten Teilen derselben bekannt gemacht worden und eine Art von allgemeiner Übersicht von demjenigen erlangt haben, was sie vornehmlich glauben und ausüben sollen, welche sie meiner Meinung nach in den eigenen Worten der Schrift erhalten sollten und nicht in solchen, welche von Menschen, die schon an Systemen und Analogien hängen, in solchen Fällen verfaßt und den Kindern aufgedrungen werden. Dr. Worthington Ein englischer Theologe (1618–1671). hat, um dies zu vermeiden, einen Katechismus aufgesetzt, worin alle Antworten in wirklichen Worten der Schrift abgefaßt sind. Sein Beispiel verdient Nachahmung; und er hat die Worte mit so richtiger Beurteilung gewählt, daß kein Christ dagegen etwas einwenden oder behaupten wird, sie taugen nicht dazu, daß sein Sohn sie lerne. Aus diesem Katechismus lasse man ihn, sobald er das Gebet des Herrn, den Glauben und die zehn Gebote weiß, alle Tage oder auch alle Wochen eine Frage auswendig lernen, je nachdem sein Verstand fähig ist etwas zu fassen und sein Gedächtnis zu behalten. Und wenn er dann seinen Katechismus völlig auswendig weiß, so daß er fertig und ohne Anstoß jede Frage in dem Buche beantworten kann: dann mögt ihr auch die übrigen moralischen Vorschriften, die hin und wieder in der Bibel zerstreut sind, seiner Seele einprägen als die besten Übungen für sein Gedächtnis, die ihm zugleich auf immer Regeln seines Betragens werden, ihm immer zur Hand bleiben und ihn durch das ganze Leben begleiten müssen.

§ 160. Wenn das Kind seine Muttersprache gehörig lesen kann, so ist es Zeit, es zum Schreiben anzuführen. Das erste, was es hierbei zu lernen hat, ist, die Feder recht zu halten, und hierin muß es erst vollkommen sein, ehe es dieselbe auf das Papier bringt. Denn nicht nur das Kind, sondern auch jeder andere Mensch, der etwas recht lernen will, muß niemals vielerlei zugleich betreiben, nie in zwei verschiedenen Teilen einer Geschicklichkeit zu gleicher Zeit geübt und vervollkommnet werden, wenn es irgend möglich ist, diese verschiedenen Stücke voneinander abzusondern. Ich halte die Manier der Italiener, die Feder bloß mit dem Daumen und dem Zeigefinger zu halten, für die beste; doch hierüber kann man einen guten Schreibmeister, oder wer sonst eine gute und geläufige Hand schreibt, zu Rate ziehen. Wenn das Kind die Feder recht zu halten weiß, so muß es sodann das Papier gehörig legen und eine gute Stellung des Armes und des Leibes beobachten lernen. Wenn dies gehörig geübt ist, so halte ich für die beste und leichteste Methode, es schreiben zu lehren, daß man sich hierzu einer in Kupfer gestochenen Vorschrift, deren Züge uns am besten gefallen, bedient. Die Buchstaben aber müssen ein großes Teil größer sein als die gewöhnlichen, denn ein jeder gewöhnt sich nach und nach eine kleinere Hand zu schreiben, niemals aber eine größere.

§ 161. Kann das Kind gut und fertig schreiben, so muß diese Übung der Hand nicht nur im Schreiben fleißig fortgesetzt werden, sondern man sollte es auch zum Zeichnen anführen. Dies ist eine Sache, die einem Menschen von gutem Herkommen bei verschiedenen Gelegenheiten sehr zustatten kommen kann, besonders auf Reisen. Man kann oft mit wenigen geschickt entworfenen Umrissen mehr ausdrücken, als man durch eine bogenlange Beschreibung darzustellen und verständlich zu machen imstande ist. Wie viel Gebäude, Maschinen oder Kleidungsarten trifft ein Reisender an, von denen er mittels einer geringen Fertigkeit im Zeichnen mit leichter Mühe eine richtige Vorstellung behalten und anderen mitteilen kann, die, wenn er sie in Worten ausdrücken wollte, leicht ganz verloren gehen oder durch die genaueste Beschreibung doch nur unvollkommen aufbehalten werden würde. Ich verlange keineswegs, daß euer Sohn ein vollkommener Maler werden soll; denn um es hierin nur zu einer mäßigen Geschicklichkeit zu bringen, dazu wird mehr Zeit erfordert, als ein junger Mensch von gutem Haufe von seinen weit wichtigeren Studien und Beschäftigungen erübrigen kann. Aber so viel Kenntnis von der Perspektive und Geschicklichkeit im Zeichnen, als erfordert wird, um einen jeden Gegenstand, der ihm vor Augen kommt, menschliche Figuren ausgenommen, leidlich auf dem Papier darzustellen, wird er sich in kurzer Zeit erwerben können, besonders wenn er natürliche Anlage dazu hat. Fehlt aber diese, so ist es (den Fall ausgenommen, daß es unumgänglich nötig wäre) besser, ihn ganz damit zu verschonen, als ihn vergeblich zu quälen. Ebendies hat man bei jeder Sache, die nicht ganz unentbehrlich ist, zu beobachten; denn alsdann gilt die Regel: Nihil invitâ Minervâ Nichts gegen den Willen der Minerva, d. h. tue nichts, wozu du keine Anlage hast.

Es gibt eine gewisse Manier durch Abkürzungszeichen zu schreiben, Kurzschrift die, wie man mir gesagt hat, nur in England bekannt ist. Diese zu lernen, wäre wohl der Mühe wert, teils um etwas zu seiner eigenen Erinnerung in der Geschwindigkeit niederzuschreiben, teils damit dergleichen Sachen nicht jeder andere ohne Umstände ablesen könne, wenn sie ihm zu Gesicht kommen. Denn wer einmal eine solche Art von Kurzschrift gelernt hat, kann sie leicht nach seinem besonderen Gebrauch und Willen abändern oder noch mehr abkürzen, so wie es der Zweck erfordert, den er dabei vor Augen hat. Herrn Richs Manier ist unter allen, die ich gesehen habe, am besten erfunden, könnte aber von einem, der den Bau und die Regeln der Sprache gehörig kennt, mit leichter Mühe noch bequemer und kürzer eingerichtet werden. Doch um diese Geschwindschreiberei zu lernen, hat man nicht nötig, sich so eilig nach einem Lehrmeister umzutun; es ist Zeit genug, wenn irgend einmal sich von selbst eine bequeme Gelegenheit dazu darbietet, nachdem der junge Mensch sich bereits eine schöne und fertige Hand erworben hat; denn Kinder haben wenig Nutzen von Abkürzungszeichen und dürfen auch nicht eher darin geübt werden, als bis sie recht gut schreiben können und es hierin zu einer hinlänglichen Fertigkeit gebracht haben.

§ 162. Sobald das Kind seine Muttersprache reden kann, ist es Zeit, daß es auch eine andere lerne, und dieses muß, wie jeder zugeben wird, die französische sein. Was diese Sprache betrifft, so hat man auch bereits die richtige Methode eingeführt, nämlich durch bloßes unausgesetztes Sprechen mit den Kindern und nicht durch Regeln der Grammatik. Die lateinische Sprache könnte leicht auf ebendiese Art gelehrt werden, wenn der Erzieher, der beständig um das Kind ist, nie in einer anderen mit ihm redete und das Kind ihm in derselben antworten müßte. Da aber die französische Sprache eine lebende ist und weit mehr zum Sprechen gebraucht wird, so muß man sie zuerst lernen; die Sprachorgane müssen, solange sie noch die gehörige Biegsamkeit haben, zur Hervorbringung jener Töne gewöhnt werden, damit das Kind in der Aussprache des Französischen eine vollkommene Fertigkeit erlange, welches immer schwieriger wird, je später man es hinausschiebt.

§ 163. Wenn das Kind das Französische gut sprechen und lesen kann, wozu nach dieser Methode ein oder zwei Jahre erfordert werden, so kann man sodann zum Latein schreiten. Es ist aber in der Tat zu verwundern, daß die Eltern, obwohl sie die Erfahrung im Französischen vor sich haben, nicht darauf verfallen, denselben Weg dabei einzuschlagen, nämlich, es das Kind bloß durch Lesen und Sprechen lernen zu lassen. Indessen muß man dahin sehen, daß das Kind über der Erlernung fremder Sprachen, indem es mit seinem Erzieher nichts anderes spricht und liest, nicht seine Muttersprache vergesse, welches am besten dadurch verhütet wird, wenn die Mutter oder sonst jemand alle Tage sich etwas aus einem guten deutschen Buche von ihm vorlesen läßt.

§ 164. Ich halte das Latein auch für einen Mann von höherem Stande für unentbehrlich. Die Gewohnheit, welche alles beherrscht, hat es einmal zu einem so wesentlichen Teile der Erziehung gemacht, daß man es auch solchen Kindern einzutrichtern pflegt, die, wenn sie einmal die Schule verlassen haben, in ihrem ganzen Leben weiter keinen Gebrauch davon machen. Kann man sich etwas Lächerlicheres denken, als daß ein Vater, der seinen Sohn zur Handlung bestimmt, sein Geld und die kostbare Zeit des jungen Menschen wegwirft, um ihn die Sprache der Römer lernen zu lassen? Denn da er sie bei seinem Geschäft gar nicht braucht, so wird er das Wenige, was er etwa aus der Schule mitgebracht hat, sicherlich bald vergessen, und, zehn gegen eins zu wetten, zugleich eine Sprache von ganzem Herzen verabscheuen, die ihm eine so schlimme Behandlung zugezogen hat. Müßte es nicht unglaublich klingen, wenn man nicht die täglichen Beispiele vor Augen hätte, daß ein Kind gezwungen wird, die Anfangsgründe einer Sprache zu lernen, wovon es bei der Lebensart, wozu es bestimmt ist, keine Anwendung machen kann – und daß man indes verabsäumt, ihm eine gute Hand schreiben oder fertig rechnen zu lehren, welches ihm in allen Verhältnissen des Lebens und in allen Arten von Berufsgeschäften unumgänglich nötig ist? Obgleich nun diese im Handel und Wandel und bei allen Weltgeschäften ganz unentbehrlichen Geschicklichkeiten selten oder nie in den gewöhnlichen lateinischen Schulen zu erwerben stehen, so schicken doch nicht nur Eltern aus den höheren Ständen, die ihre jüngeren Söhne der Handlung widmen, sondern auch sogar Handwerker und Pächter ihre Kinder hinein, obwohl sie weder die Absicht noch das Vermögen besitzen, sie Gelehrte werden zu lassen. Wollte man sie fragen, warum sie dies tun, so würde ihnen diese Frage ebenso sonderbar vorkommen, als wenn man fragte, warum sie in die Kirche gehen. Gewohnheit gilt für Vernunft; jene aber hat dieses Herkommen bei denen, die es für vernünftig halten, dermaßen geheiligt, daß sie sich es zum Gewissen machen würden, ihren Kindern Lillys Grammatik Eine lateinische Grammatik von William Lilly, Lehrer und Direktor an der St. Pauls-Schule in London, gestorben 1523. nicht auswendig lernen zu lassen, ohne welche ihre Erziehung unmöglich orthodox sein könne.

§ 165. So notwendig indes das Latein einigen jungen Leuten wirklich sein mag und bei anderen dafür gehalten wird (ungeachtet es ihnen in der Tat weder Vorteil noch Nutzen schafft), so kann ich doch, alles reiflich erwogen, keineswegs die Methode empfehlen, nach der es in den gewöhnlichen Schulen gelehrt wird. Die Gründe dagegen sind so überzeugend und dringend, daß einige verständige Personen dadurch bewogen worden sind, nicht ohne glücklichen Erfolg die gemeine Heerstraße zu verlassen, wiewohl die Lehrart, welche sie zu dem Ende erwählten, nicht gerade diejenige war, die ich meinesteils für die leichteste und kürzeste halte. Ich glaube nämlich, man müsse Kinder gar nicht mit der Grammatik quälen, sondern ihnen das Latein, sowie die Muttersprache, bloß durch Sprechen beibringen, ohne sie durch Regeln zu verwirren. Denn wenn man es recht bedenkt, so ist einem Kinde, wenn es auf die Welt kommt, das Latein nicht unbekannter als das Deutsche, und doch lernt es Deutsch ohne Lehrer, Regeln und Grammatik. Ebensogut aber kann es auch wie ein Römer Latein lernen, wenn nur immer jemand um das Kind ist, der mit ihm in dieser Sprache redet. Und da wir alle Tage sehen, daß eine Französin in einem oder zwei Jahren ein deutsches Mädchen fertig französisch sprechen und lesen lehren kann ohne Regel und Grammatik bloß durch Plaudern, so muß ich mich in der Tat wundern, wie verständige Leute diese Methode bei ihren Söhnen verabsäumen, oder sie für schlechter und unschicklicher halten als für ihre Töchter.

§ 166. Könnt ihr also einen Mann bekommen, der selbst gut Latein spricht und immer um euren Sohn ist, beständig in dieser Sprache mit ihm redet und ihn selbst nichts anderes sprechen oder lesen läßt, so wird er das Latein ohne Zweifel auf die leichteste und zweckmäßigste Art erlernen ohne Mühe und Schelte, da in den gewöhnlichen Schulen sechs bis sieben Jahrs erfordert werden, es den Kindern einzubläuen. Zu gleicher Zeit aber kann er seinen Geist und seine Sitten bilden, ihn in einigen Wissenschaften gründlich unterrichten, wie in den nötigsten Teilen der Erdbeschreibung, Sternkunde, Zeitrechnung, Kenntnis des menschlichen Körpers, nebst einigen Stücken der Geschichte, und in allen übrigen Dingen, welche in die Sinne fallen und wenig mehr als Gedächtnis erfordern. Denn von diesen muß unsere Erkenntnis, wenn wir den rechten Weg einschlagen wollen, überall ausgehen und darin der Grund gelegt werden, nicht aber von abstrakten, logischen und metaphysischen Ideen, die bei den ersten Anfängen in den Wissenschaften den Verstand mehr verwirren als aufhellen. Denn wenn sich junge Leute eine Zeitlang mit dergleichen trocknen und abstrakten Spekulationen abgeben müssen, ohne zusehen, daß sie dadurch viel weiter kommen oder den Nutzen einernten, den sie sich davon versprachen, so werden sie leicht dahin gebracht, entweder von der Gelehrsamkeit überhaupt oder von sich selbst eine geringe Meinung zu fassen. Sie geraten in Versuchung, das Studieren gänzlich aufzugeben und die Bücher wegzuwerfen, weil sie nichts als rauhe Worte und leere Töne enthalten; falls sie aber glauben, daß wirklich reelle Kenntnisse darin anzutreffen seien, so werden sie mißtrauisch gegen ihre eigenen Verstandeskräfte. Daß dem also sei, könnte ich aus meiner eigenen Erfahrung versichern. Zu den anderen Sachen, die ein nach dieser Methode angeführter junger Mensch lernen kann, während andere von gleichem Alter bloß mit Latein und mit Sprachen aufgehalten werden, rechne ich auch die Geometrie. Ich selbst habe einen so erzogenen jungen Edelmann gekannt, der, ehe er noch das dreizehnte Jahr zurückgelegt hatte, verschiedene Lehrsätze des Euklides zu beweisen verstand.

§ 167. Könnt ihr aber keinen Mann finden, der gut Latein spricht, imstande ist, euern Sohn in den gedachten Kenntnissen zu unterrichten und zugleich die hier vorgeschlagene Methode dabei zu befolgen Lust hat, so rate ich, einen Weg einzuschlagen, welcher diesem wenigstens am nächsten kommt. Man nehme ein angenehmes und leichtes Buch, wie z. B. Äsops Fabeln, schreibe die deutsche Übersetzung (die aber so wörtlich sein muß als möglich) in die eine Zeile und die lateinischen Worte, welche derselben entsprechen, gerade darüber. Die Methode der Interlinear-Übersetzung kam durch Hamilton (1769–1831) wieder in Aufnahme und heißt deshalb auch die Hamiltonsche Methode. Dieses lasse man das Kind alle Tage einigemal überlesen, bis es das Lateinische vollkommen versteht, und dann gehe man zu einer andern Fabel fort; doch ist nicht zu vergessen, daß das alte zuweilen wiederholt werden müsse, um es dem Gedächtnis bleibend einzudrücken. Wenn es nun auch schreiben lernt, so lasse man es dergleichen Fabeln kopieren; dadurch wird es nicht nur seine Hand, sondern auch das Latein üben. Dies ist freilich eine minder vollkommene Methode als das Lateinsprechen; daher auch zuvörderst die Konjugationen nebst den Deklinationen der Nomina und Pronomina fertig auswendig gelernt werden müssen, um ihm die Bekanntschaft mit dem Eigentümlichen der lateinischen Sprache zu erleichtern; indem die verschiedenen Beugungen der Nenn- und Zeitwörter nicht wie zum Teil bei den neueren Sprachen durch Vorsetzung gewisser Partikeln, sondern durch die Verschiedenheit der Endungen geschehen. Mehr als dies aber braucht das Kind von der Grammatik nicht zu wissen, bis es imstande ist, Sanctii Minerva mit den Anmerkungen des Scioppius und Perizonius selbst zu lesen. »Minerva seu de causis linguae latinae«, eine Grammatik von Sanctius aus Spanien, von dem Deutschen Schopp (Scioppius) und dem Holländer Perizonius mit Anmerkungen versehen.

Beim Unterricht der Kinder ist auch noch zu beachten, daß man sie in den meisten Fällen, wo sie nicht fortkönnen, nicht dadurch noch mehr verwirre, daß sie sich selbst heraushelfen sollen; wie dies z. B. der Fall ist, wenn man fragt: »Welches ist der Nominativ in dem zu konstruierenden Satze?« oder: »Was heißt aufero?« um sie auf die Bedeutung des Wortes abstulere zu leiten, wenn sie dieses nicht sogleich sagen können usw. Hierdurch macht man die Kinder nur irre und verdirbt die Zeit. Denn solange sie beim Unterricht Aufmerksamkeit beweisen, muß man sie bei guter Laune erhalten und ihnen alles so leicht und angenehm machen, als nur möglich ist. Stehen sie demnach bei einer Schwierigkeit stille und verlangen vorwärts zu kommen, so helfe man ihnen sogleich darüber hinweg ohne Verweise und Schelte; denn gemeiniglich ist solche rauhe Begegnung nur die Wirkung des Stolzes und der übeln Laune des Lehrers, welcher verlangt, daß die Kinder bald alles so gut wissen sollen wie er selbst. Er sollte vielmehr bedenken, daß sein Amt ist, dem Zöglinge gute Fertigkeiten beizubringen, nicht aber mit orbilischer Strenge Regeln einzubleuen, die für das tätige Leben von geringem Nutzen sind, wenigstens bei Kindern keinen Vorteil stiften, indem sie sie ebenso geschwind vergessen, als sie ihnen gegeben werden. Was indes die Wissenschaften anlangt, welche zur Übung des Verstandes abzwecken, so will ich nicht in Abrede stellen, daß mit dieser Methode nicht zuweilen abgewechselt werden könne, um bei vorkommenden Schwierigkeiten das Nachdenken zu reizen und den Geist zur Anstrengung seiner selbst und zum Scharfsinn zu gewöhnen. Nur darf dies meines Erachtens nicht geschehen, wenn die Kinder noch sehr klein sind und wenn sie in irgendeiner Kenntnis erst den Anfang machen; denn zu der Zeit scheint ohnehin alles schwer zu sein; die größte Kunst und Geschicklichkeit des Lehrers aber ist, alles so leicht als möglich zu machen. Am wenigsten sollte man die Jugend bei Erlernung der Sprachen in Verlegenheit setzen; denn diese erlernt man bloß durch Übung, Gewohnheit und Gedächtnis und spricht sie alsdann nur in der größten Vollkommenheit, wenn man an gar keine grammatische Regel mehr denkt. Ich gestehe, die Grammatik einer Sprache muß in manchen Fällen sehr sorgfältig studiert werden, aber das gehört nur für einen erwachsenen Mann, wenn er sich auf die kritische Kenntnis der Sprache Sprachwissenschaft. legt, und diese wird selten von einem andern als von einem wirklichen Gelehrten gefordert. Soll indes auch ein Edelmann irgendeine Sprache förmlich studieren, so wird man zugeben, daß es nur die seines Landes sein dürfe, damit er diejenige, die er beständig braucht, mit der größten Richtigkeit schreibe und spreche.

Es ist noch ein Grund, warum Lehrer ihren Schülern keine Schwierigkeiten in den Weg legen, sondern im Gegenteil ihnen die Sachen erleichtern, und wo sie etwa sich nicht selbst herausfinden können, ihnen bereitwillig forthelfen sollten. Der Geist der Kinder nämlich ist eng beschränkt und schwach und kann gewöhnlich nicht mehr als einen Gedanken auf einmal fassen. Was das Kind im Kopfe hat, das nimmt ihn zu der Zeit ganz ein, besonders wenn irgendeine Leidenschaft dabei im Spiele ist. Es wird daher eine besondere Kunst und Geschicklichkeit von seiten des Lehrers erfordert, aus dem Gemüt der Schüler, während sie beim Unterricht beschäftigt sind, alle fremde Gedanken zu entfernen, damit das, was er ihnen beibringen will, desto besser Platz finde und mit gehöriger Aufmerksamkeit und Sorgfalt gefaßt werde, weil es sonst keinen Eindruck zurück läßt. Der Natur der Kinder entspricht es, daß sie mit den Gedanken herumirren. Nur die Neuheit fesselt sie; begierig von allem, was sich ihnen darstellt, zu kosten, bekommen sie ebenso bald einen Ekel dagegen. Sie werden jeder Sache bald müde und finden daher bloß in Abwechslung und Mannigfaltigkeit Vergnügen. Die flatternden Gedanken festzuhalten, steht mit dem natürlichen Zustande der Kindheit in wahrem Widerspruche. Es mag nun übrigens an der Beschaffenheit ihres Gehirns oder an der Lebhaftigkeit und Unstetigkeit ihrer Lebensgeister liegen, worüber der Geist noch nicht die gehörige Herrschaft erlangt hat: genug, es ist offenbar, daß es Kindern Mühe macht, ihre Gedanken lange auf einen Gegenstand zu heften. Eine anhaltende, fortgesetzte Aufmerksamkeit ist eine der größten Anstrengungen, die man ihnen auflegen kann; daher muß man sich bemühen, das, worauf sie Fleiß verwenden sollen, ihnen so reizend und angenehm zu machen als möglich oder wenigstens verhüten, daß sie keine widrige, furchterweckende Vorstellungen damit verknüpfen. Wenn sie ihre Bücher nicht mit einem gewissen Vergnügen und mit Lust zur Hand nehmen, so darf man sich nicht wundern, wenn sie ihre Gedanken oft von denselben abwenden, weil sie ihnen mißfallen, und in angenehmeren Gegenständen Unterhaltung begehren, wonach sie unfehlbar umhersuchen werden.

Die gewöhnlichen Mittel, deren man sich bedient, die Schüler zur Aufmerksamkeit zu bewegen und ihren Geist auf den vorliegenden Gegenstand zu heften, sind, wie ich weiß, Züchtigungen und Verweise, sobald sie nur einigermaßen zerstreut zu sein scheinen. Solch eine Behandlung aber wirkt gerade das Gegenteil. Leidenschaftliche Ausdrücke und Schläge erfüllen die Seele des Kindes mit Furcht und Schrecken, und diese Empfindungen reißen es dergestalt hin, daß für andere Eindrücke kein Raum übrigbleibt. Vielleicht ist keiner meiner Leser, der sich nicht erinnern sollte, in welche Verwirrung sein Gemüt durch die heftigen oder gebieterischen Reden seiner Eltern oder Lehrer gesetzt worden, und in welchem Aufruhr seine Seelen zu der Zeit gewesen sei, so daß er sich kaum bewußt war, was er selbst oder andere sagten. Er verlor das, was er vor hatte, aus dem Gesicht, sein Gemüt befand sich in völliger Unordnung und Verwirrung, und in diesem Zustande war er ganz unfähig, auf irgend etwas seine Aufmerksamkeit länger zu richten.

Es ist wahr, Eltern und Erzieher müssen ihr Ansehen über die Gemüter der Zöglinge durch eine gewisse Ehrfurcht festsetzen, um sie dadurch zu lenken, aber wenn dieses Ansehen einmal fest gegründet ist, so sollten sie sich desselben mit großer Mäßigung bedienen und mit ihren Schülern nicht wie Tyrannen umgehen, vor deren Anblick sie allemal zittern müssen. Durch solche Strenge wird zwar die Aufsicht leicht, aber den Zöglingen wenig nützlich. Es ist nicht möglich, daß Kinder etwas lernen können, während ihre Gedanken von irgendeiner Leidenschaft beherrscht oder verwirrt werden, besonders von der Furcht, welche auf ihr zartes und schwaches Nervensystem den stärksten Eindruck macht. Man erhalte ihr Gemüt in einer ruhigen und heitern Stimmung, wenn man sie unterrichtet und sie in irgendeiner Erkenntnis zunehmen sollen. Denn es ist ebenso unmöglich, schöne und regelmäßige Züge in eine zitternde Seele aufzutragen wie auf ein schwankendes Papier.

Die große Kunst des Lehrers besteht darin, die Aufmerksamkeit des Schülers rege zu machen und festzuhalten; kann er dieses, so ist er sicher, so schnelle Fortschritte zu tun, als es die Fähigkeiten des Schülers nur immer erlauben. Gelingt ihm dieses aber nicht, so wird alle Mühewaltung und Anstrengung wenig oder gar nichts helfen. Um nun den gedachten Zweck zu erreichen, muß er dem Kinde, soweit es sich tun läßt, die Nutzbarkeit dessen, was er ihm lehret, begreiflich machen und ihm zeigen, daß es mittels dessen, was es gelernt hat, etwas ausrichten könne, wozu es vorher unvermögend war, und daß es dadurch über andere, die solches nicht wissen, gewisse Vorzüge und Vorteile erhalte. Hierzu muß sich sodann ein gewisses sanftes Wesen bei dem ganzen Unterricht gesellen, und das Kind muß durch eine gewisse Zärtlichkeit, die der Erzieher allenthalben blicken läßt, überzeugt werden, daß es von demselben geliebt wird, und dieser nichts anderes als sein Bestes zur Absicht habe, der einzige Weg, in der Seele des Kindes Liebe zu erwecken, die es bei den Lektionen aufmerksam und alles, was es lernt, ihm angenehm machen wird.

Nur Widerspenstigkeit allein muß durch eine gebieterische und rauhe Begegnung, alle übrigen Fehler aber mit Sanftmut und Gelindigkeit geahndet werden; gutes und freundliches Zureden macht auf ein williges Herz allemal Eindruck und beugt selbst mancher Verkehrtheit des Willens vor, die nicht selten in einem sonst gutartigen und edlen Gemüt bloß durch rauhe und gebieterische Begegnung veranlaßt wird. Es ist wahr, Widerspenstigkeit und vorsätzliche Nachlässigkeit muß schlechterdings gedämpft werden, wenn es auch Schläge kosten sollte: allein ich bin geneigt zu glauben, daß der Ungehorsam der Zöglinge oft bloß von der Übereilung des Erziehers herrühre, und daß die meisten Kinder selten Schläge verdienen würden, wenn unnötige und übelangebrachte Härte sie nicht zur Bosheit verleitete und ihnen Abscheu gegen den Erzieher und gegen alles, was von ihm herkommt, einflößte.

Unachtsamkeit, Vergeßlichkeit, Unstetigkeit und Abwesenheit der Gedanken find natürliche Fehler der Kindheit; wenn man also nur sieht, daß sie nicht vorsätzlich sind, so muß man sie mit Gelindigkeit ahnden und die Verbesserung der Zeit überlassen. Wenn jedes Versehen des Kindes Zorn und Unwillen hervorbringt, so werden die Anlässe zu Verweisen und Züchtigungen so oft wiederkommen, daß der Erzieher den Zöglingen ohne Aufhören Schrecken und Schmerz verursachen muß; eins von beiden aber ist schon an und für sich hinreichend, allen Fortschritt im Lernen zu hindern und alle anderweitige Lehrmethoden unwirksam zu machen.

Die Ehrfurcht, welche der Erzieher dem Gemüt der Kinder eingeprägt hat, sollte durch beständige Beweise von Zärtlichkeit und Wohlwollen dergestalt gemildert werden, daß sie ihre Pflicht aus Liebe erfüllten und in Befolgung seiner Vorschriften Vergnügen fänden. Dieses wird ihnen Vertrauen zu demselben einflößen; sie werden sich ihm so folgsam beweisen wie einem wahren Freunde, der sie liebt und für ihr Bestes Sorge trägt; ihre Gedanken werden frei und heiter sein, wenn sie um ihn sind: und dieses ist der einzige Zustand, in welchem der Geist aufgelegt ist, neue Unterweisungen und bleibende Eindrücke anzunehmen; wenn aber diese nicht haften und nicht behalten werden, so ist alle Mühe des Lehrers und des Schülers verloren. Von beiden Seiten wird Verdruß die Fülle sein und wenig gelernt werden.

§ 168. Wenn nun der Knabe durch diese Methode, bei der man das Latein und das Deutsche übereinander schreibt, eine mäßige Kenntnis von jener Sprache erlangt hat, so kann man alsdann zur Lesung irgendeines leichten lateinischen Buches, wie z. B. der Eutrop oder Justin ist, fortschreiten. Und um ihm das Lesen und Verstehen so wenig ekelhaft und schwer zu machen als möglich, so mag er sich, wenn es ihm gefällt, selbst mit der deutschen Übersetzung forthelfen. Der Einwurf, daß er die Sprache alsdann bloß durch Übung lernen werde, ist von keiner Bedeutung. Denn wenn man es gehörig überlegt, so ist dies gerade die rechte Methode, eine Sprache zu lernen, nämlich durch bloße Übung. Wer im Deutsch- oder Lateinischsprechen es nicht zu der Fertigkeit gebracht hat, daß er bloß an den Gegenstand, von welchem er reden will, nicht aber an die grammatischen Regeln denken darf, um den rechten Ausdruck und die eigentümliche Wendung zu treffen, von dem kann man nicht sagen, daß er gut spreche und die Sprache völlig in seiner Gewalt habe. Man nenne mir eine Sprache, die jemand bloß aus den Regeln der Grammatik vollkommen verstehen oder sprechen lernen könnte. Die Sprachen selbst sind ursprünglich nicht nach Regeln oder systematisch gebildet worden, sondern bloß zufällig und durch den gemeinsamen Gebrauch des Volks. Wer sie also gut sprechen will, hat keine andere Richtschnur als diese und kann sich auf nichts anderes verlassen, als auf sein Gedächtnis und auf die Fertigkeit so zu reden, wie diejenigen, die hierin zum Muster aufgestellt werden, das heißt mit anderen Worten: man lernt bloß durch Übung sprechen.

»Ist denn aber« wird man fragen, »die Grammatik von gar keinem Nutzen; ist die Arbeit derjenigen, welche verschiedene Sprachen auf Regeln und Bemerkungen zurückgebracht, so viel über Deklinationen, Konjugationen und Syntax geschrieben, sowie die Mühe derer, welche das alles gelernt haben, denn gänzlich für verloren zu achten?« Keineswegs, auch die Grammatik hat ihren Nutzen. Indessen ist auf der anderen Seite auch nicht zu leugnen, daß weit mehr Aufhebens davon gemacht wird, als sie verdient, und daß man auch diejenigen damit plagt, für die sie gar nicht gehört, die Kinder nämlich und zwar in dem Alter, in dem man sie gewöhnlich in den lateinischen Schulen damit quält.

Nichts ist augenscheinlicher, als daß Sprachen, durch Übung gelernt, zu den täglichen Geschäften des Lebens und zum gewöhnlichen Umgange völlig hinreichend sind. Frauen von vornehmem Range oder solche, die ihre Zeit in guten Gesellschaften zugebracht haben, beweisen durch ihr Beispiel, daß man es auf diesem geraden und natürlichen Wege zu einem hohen Grade der Eleganz und Feinheit in der Sprache bringen könne ohne das mindeste Studium oder Kenntnis der Grammatik. Ja es gibt Damen, die, ohne zu wissen, was die Ausdrücke Tempus, Partizip, Adverbium, Präposition usw. bedeuten, so rein und richtig sprechen, als – ich will nicht sagen, irgendein Schulrektor (denn das würden sie in der Tat für ein schlechtes Kompliment aufnehmen), sondern als irgendein Kavalier, der nach der in Gymnasien eingeführten Methode erzogen worden ist. Man sieht also, daß man die Grammatik in einigen Fällen entbehren könne, und die Frage ist nur: wem und wenn man sie lehren solle? Hierauf antworte ich:

1. Die Menschen lernen Sprachen für das gesellschaftliche Leben und zur wechselseitigen Mitteilung der Gedanken ohne irgendeinen anderen Zweck oder Nutzen. Zu dieser Absicht aber ist der ganz gewöhnliche Weg, die Sprache bloß durch den Umgang zu lernen, nicht nur vollkommen hinreichend, sondern verdient auch als der kürzeste, eigentlichste und natürlichste in aller Rücksicht den Vorzug. Was demnach diesen Zweck der Sprache betrifft, so ist die Grammatik nicht notwendig. Dies wird wohl jeder meiner Leser zugeben müssen, der nur versteht, was ich sage, oder der andere, mit denen er umgeht, versteht, ohne je die Grammatik der deutschen Sprache gelernt zu haben. Ich kann sicher annehmen, daß dies der ungleich größere Teil meiner Landsleute ist; denn ich habe noch nie gehört, daß jemand seine Muttersprache nach Regeln gelernt hätte.

2. Es gibt indes andere, die den größten Teil ihrer Geschäfte mit der Zunge oder mit der Feder ausrichten müssen, und für diese ziemt es sich, wenn es nicht notwendig ist, daß sie rein und richtig sprechen, damit sie ihre Gedanken anderen mit mehr Leichtigkeit und Nachdruck mitteilen können. In dieser Rücksicht also ist der Grad von Sprachkenntnis, vermöge dessen man sich bloß verständlich machen kann, freilich nicht hinreichend. Sie müssen daher nebst anderen Hilfsmitteln und Kenntnissen, welche zur Wohlredenheit erfordert werden, auch Grammatik studieren, aber nur die Grammatik ihrer Muttersprache oder derjenigen, deren sie sich sonst bedienen; ihre Landessprache aber müssen sie genau inne haben und selbige rein sprechen, ohne die Ohren der Zuhörer durch grobe Sprachfehler und Unrichtigkeiten zu beleidigen. Und hierzu ist die Grammatik allerdings notwendig, aber, wie gesagt, nur die der Muttersprache, und auch nur für diejenigen, die sich mit Verbesserung des Ausdruckes und Vervollkommnung des Stiles Mühe geben wollen. Ob indes nicht alle Personen von guter Erziehung sich hierauf befleißigen sollten, lasse ich dahingestellt sein; wenigstens hält man den Mangel an Sprachrichtigkeit und grammatischer Genauigkeit bei einem Manne von den höheren Klassen immer für unanständig. Dergleichen Fehler werden insgemein als Beweise von schlechter Erziehung oder eines niedrigen Umganges betrachtet. Wenn sich dies so verhält (und mich dünkt, ich irre mich nicht), so muß man sich in der Tat wundern, daß junge Leute von Stande gezwungen werden, die Grammatik fremder und toter Sprachen zu lernen, niemals aber die von ihrer eigenen Muttersprache. Sie wissen kaum, daß es solch ein Ding gibt, geschweige daß sie daran denken sollten, darin unterrichtet zu werden. Auch stellt man ihnen nie vor, daß sie auf das Studium und die Ausbildung ihrer Landessprache Fleiß und Sorgfalt verwenden müssen, ungeachtet sie sie täglich brauchen und im geschäftlichen Leben nicht selten sehr viel darauf ankommt, daß man sich richtig und schön auszudrücken wisse. Statt dessen läßt man sie ihre Zeit auf die Grammatik solcher Sprachen verschwenden, die sie wahrscheinlich nie weder zum Reden noch zum Schreiben brauchen werden; sollte dies aber je der Fall sein, so würden sie wegen der Fehler in derselben weit eher Entschuldigung verdienen. Ein Chinese, der von dieser Art unserer Erziehung Nachricht erhielte, würde sich leicht überreden, daß alle unsere jungen Leute bestimmt wären, Lehrer und Professoren ausgestorbener Sprachen in entfernten Ländern zu werden, nicht aber Geschäftsleute in ihrem eigenen Vaterlande.

3. Es gibt noch eine dritte Klasse von Menschen, die sich auf zwei bis drei fremde, ausgestorbene und, wie man bei uns zu reden pflegt, gelehrte Sprachen legen, ein besonderes Studium daraus machen und sich auf die Kenntnis derselben sehr viel zugute tun. Freilich müssen diejenigen, die eine Sprache zu diesem Zweck erlernen und sich eine wissenschaftliche Genauigkeit darin erwerben wollen, die Grammatik derselben mit allem Fleiß studieren. Nm nicht mißverstanden zu werden, muß ich jedoch erklären, daß ich die Sprache der Römer und Griechen keineswegs herabzuwürdigen gesonnen sei; ich gestehe den großen Nutzen und die Vortrefflichkeit derselben gern zu, und daß man in unserm Erdteile keinen Anspruch auf den Namen eines Gelehrten machen dürfe, wenn man mit denselben ganz unbekannt ist. Was indes ein junger Edelmann aus den griechischen und lateinischen Schriftstellern zu wissen braucht, das, dünkt mich, kann er ohne grammatisches Studium jener Sprachen erhalten und durch bloßes Lesen so weit kommen, daß er sie zu seinen Absichten hinlänglich versteht. Inwiefern ihm in der Folge daran gelegen sein möchte, sich mit der Grammatik und den wissenschaftlichen Subtilitäten einer von diesen Sprachen näher bekannt zu machen, das wird er selbst bestimmen können, wenn er sich irgendein besonderes Studium wählt, wozu dies erfordert wird. Dieses leitet mich nunmehr auf den zweiten Teil der obigen Frage, nämlich, wann die Grammatik gelehrt werden müsse? Nach dem, was ich hier schon vorausgeschickt habe, wird die Antwort leicht sein.

Wenn nämlich die Grammatik irgend einmal gelehrt werden soll, so muß es zu der Zeit geschehen, da man die Sprache bereits sprechen kann. Wie kann man sonst die Grammatik lehren? Dies beweist wenigstens das Beispiel der alten Völker, die für die weisesten und gelehrtesten gehalten werden. Die Ausbildung ihrer eigenen, nicht aber fremden Sprachen machte einen besonderen Teil der Erziehung aus. Die Griechen hielten alle anderen Nationen für Barbaren und verachteten die Sprache derselben; und obgleich die Römer in den letzten Zeiten ihrer Republik die griechische Literatur zu schätzen anfingen, so war doch nur die römische Sprache das eigentliche Studium ihrer Jugend. Sie sollte sich dereinst der Landessprache bedienen und darum ward sie auch in ihr unterrichtet und geübt.

Um die Zeit des grammatischen Unterrichtes noch näher zu bestimmen, so sehe ich nicht, wie derselbe vernünftigerweise eher als ein besonderes Studium betrieben werden könne, als wenn man dem jungen Menschen Anleitung zur Wohlredenheit geben will. Nur dann erst, wenn er anfangen soll den Ausdruck gehörig zu bilden, um besser zu sprechen als der Ungelehrte, nur dann erst ist es Zeit, ihn mit den Regeln der Grammatik bekannt zu machen, aber nicht früher. Die Grammatik lehrt uns nicht sprechen, sondern nur richtig und genau nach den Sprachregeln sprechen; das letztere ist nur ein Teil der Wohlredenheit, und wer bei Erlernung einer Sprache nicht die Absicht hat, sie zum Reden zu gebrauchen, dem ist auch die Grammatik derselben entbehrlich. Ich sehe also nicht ab, warum man mit der lateinischen Grammatik die Zeit verderben und sich den Kopf zerbrechen will, wenn man nicht gesonnen ist, ein Gelehrter zu werden oder lateinische Reden und Aufsätze zu machen. Auch die Diplomaten jener Zeit bedienten sich der lateinischen Sprache in ihren Schriftstücken. Findet sich aber jemand genötigt oder geneigt, eine fremde Sprache gründlich zu studieren und die Kenntnis derselben bis auf Subtilitäten zu treiben, so ist es immer noch Zeit genug, sich eine grammatische Übersicht davon zu verschaffen. Aber wenn er die Sprache bloß brauchen will, um einige darin abgefaßte Bücher zu verstehen, ohne sich auf die kritische Kenntnis derselben einzulassen, so wird, wie schon gesagt, die bloße Lektüre hinreichend sein, seinen Zweck zu erreichen, ohne daß er sein Gedächtnis mit den mancherlei Regeln und Spitzfindigkeiten der Grammatik beschweren darf.

§ 169. Zur Übung im Schreiben lasse man den jungen Menschen zuweilen etwas aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzen. Damit aber die Erlernung der lateinischen Sprache nicht ein bloßes Wortstudium werde (eine für Alte und Junge sehr unangenehme Beschäftigung), so verbinde man damit so viel Sachkenntnisse als nur möglich ist und fange von den Gegenständen an, welche den Sinnen zuerst entgegenkommen, nämlich mit der Kenntnis der Mineralien, Pflanzen und Tiere, insonderheit mit den Zimmerhölzern und Fruchtbäumen, ihren verschiedenen Teilen und den Arten ihrer Fortpflanzung, wobei das Kind vieles lernen wird, was ihm als Mann noch nützen kann. Besonders lehre man ihm Erdbeschreibung, Kenntnis des Weltgebäudes und des menschlichen Körpers. Überall aber hüte man sich, das Kind auf einmal mit zu viel Sachen zu verwirren; man mache ihm nichts zum wirklichen Geschäft, als was unmittelbar die Tugend angeht; man gebe ihm keine Verweise, als über Fehler der Sittlichkeit oder lasterhafte Neigungen.

§ 170. Will dem allen ungeachtet der Unstern des Kindes, daß es eine nach dem alten Schlendrian eingerichtete Schule besuchen soll, um Latein zu lernen, so ist es freilich vergebens, von der besten Lehrart zu reden, die darin eingeführt sein sollte. Ihr müßt euch doch diejenige gefallen lassen, die ihr daselbst vorfindet, und dürft nicht erwarten, daß man sie um eures Sohnes willen abändere. Indessen sucht womöglich soviel wenigstens zu erlangen, daß er keine lateinischen Ausarbeitungen und Deklamationen, am wenigsten aber irgendeine Art von Versen, machen dürfe. Ihr könnt zu diesem Behuf, wenn es fruchten soll, anführen, daß ihr nicht die Absicht habt, einen lateinischen Redner oder Dichter aus ihm zu machen, sondern daß er nur einen lateinischen Autor gehörig verstehen soll. Man sähe ja, daß diejenigen, welche in einer neueren Sprache, und zwar mit gutem Erfolge, unterrichteten, ihren Schülern weder französische noch italienische Aufsätze oder Verse zu machen aufgäben und sich bloß mit der Sprache beschäftigten, nicht aber mit Abhandlungen.

§ 171. Die näheren Ursachen, warum ich nicht wünsche, daß der junge Mensch zu Verfertigung von Aufsätzen und Gedichten angehalten werde, sind folgende. Was zuerst die Aufsätze betrifft, so pflegt man sie freilich durch das Vorgeben zu empfehlen, als lernte man dadurch über verschiedene Gegenstände sich schön ausdrücken. Wenn diese Absicht wirklich erreicht würde, so könnte man den Nutzen derselben allerdings nicht leugnen; denn nichts ist anständiger und in allen Vorfällen des Lebens nützlicher, als wenn man bei jeder Gelegenheit sich schön und zweckmäßig auszudrücken versteht. Allein ich behaupte, daß die Ausarbeitungen, die in Schulen gemacht werden, hierzu nicht das mindeste beitragen. Man sehe nur, was es mit solchen Aufsätzen für eine Beschaffenheit habe. Es ist gemeiniglich eine Rede über einen lateinischen Spruch: Omnia vincit amor Alles besiegt die Liebe. oder Non licet in bello bis peccare Man darf nicht im Kriege zweimal denselben Fehler begehen. und dergleichen. Hierbei muß dann der Knabe, weil es ihm an Kenntnis der Gegenstände gebricht, von denen er reden soll, und die man sich bloß mit der Zeit und durch Beobachtung erwirbt, seine Erfindungskraft auf die Folter spannen, um etwas in einer Sache zu sagen, die er nicht versteht. Dieses gleicht der Tyrannei, womit die Israeliten in Ägypten behandelt wurden, da sie Ziegel machen sollten und keine Materialien dazu hatten. Da geht denn der arme Junge zu einem Schüler von einer höheren Ordnung und bittet ihn, ihm etwas zu machen. Wie vernünftig oder lächerlich nun das herauskommt, was dieser ihm alsdann aufsetzt, lass ich dahingestellt sein. Ehe ein Mensch imstande ist, von einem Gegenstande zu reden, so muß er ihn erst kennen; sonst ist es ebenso töricht, dies von ihm zu verlangen, als wenn man begehrte, ein Blinder sollte von den Farben oder ein Tauber von der Musik reden. Würde man den nicht ein bißchen für verrückt halten, der von einem anderen, welcher nichts von den Gesetzen verstünde, verlangen wollte, daß er ihm einen Aufsatz über irgendeinen Rechtshandel verfertigen sollte? Und, ich bitte euch, was verstehen denn Schulknaben von den Materien, die gewöhnlich zu Ausarbeitungen aufgegeben werden, um darüber zu reden und ihre Erfindungskraft dadurch zu üben und zu schärfen?

§ 172. Man bedenke ferner, in welcher Sprache diese Aufsätze gemacht werden. Es ist nämlich die lateinische, eine ganz fremde und schon längst ausgestorbene Sprache, eine Sprache, in welcher euer Sohn (tausend gegen eins zu wetten), wenn er die Schule verlassen hat, in seinem ganzen Leben nicht ein einziges Mal wieder in den Fall kommen wird, eine Rede zu halten, eine Sprache endlich, deren Einrichtung und Beschaffenheit von der unserigen so himmelweit verschieden ist, daß durch die Vollkommenheit in jener die Reinheit und Leichtigkeit der Schreibart in dieser in der Tat sehr wenig gewinnen kann. Außerdem finden heutzutage bei den englischen Angelegenheiten förmliche Reden auch in unserer eigenen Muttersprache so wenig statt, daß ich gar nicht absehe, was für einen Zweck dergleichen Schulexerzitien haben können, es sei denn, daß man erweisen könnte, die Verfertigung lateinischer Reden sei ein Mittel, in der englischen Sprache gut aus dem Stegreif sprechen zu lernen. Ein besseres Mittel hierzu aber ist, dünkt mich, folgendes. Man lege jungen Leuten vernünftige und lehrreiche Fragen vor, die ihrem Alter und ihren Fähigkeiten angemessen sind, und über Gegenstände, die ihnen nicht ganz unbekannt sind noch außerhalb ihres Gesichtskreises liegen. Über solche Sachen sollten sie, wenn sie zu dergleichen Übungen reif sind, nach einem kurzen Nachdenken auf der Stelle und aus dem Stegreif reden, ohne zuvor etwas niederzuschreiben. Wenn wir die Wirksamkeit dieser Methode untersuchen wollen, so frage ich: wer in irgendeiner streitigen Angelegenheit besser reden wird, der, der gewohnt ist, alles was er sagen will, erst zu Papier zu bringen und aufzuschreiben, oder der, der bloß über die Materie nachdenkt, um sie von allen Seiten zu fassen, und dann aus dem Stegreif darüber spricht? Wer die Sache aus diesem Gesichtspunkt beurteilt, wird ohne Zweifel finden, daß die Methode, junge Leute an studierte Aufsätze und förmliche Ausarbeitungen zu gewöhnen, nicht die beste sei, sie zu Geschäften zu bilden. Locke zielt hier unstreitig darauf, daß die Mitglieder des Ober- und Unterhauses oft weit schönere und zusammenhängendere Reden aus dem Stegreif halten als die Geistlichen in England, welche gewohnt sind, ihre Predigten mühsam auszuarbeiten und dann von dem Papier abzulesen.       Ouvrier.

§ 173. Man kann indes einwenden, es geschehe, um die Schüler in der lateinischen Sprache zu vervollkommnen. Es ist wahr, in den gewöhnlichen Schulen wird sonst nichts getrieben als dieses: allein durch lateinische Aufsätze wird dieser Zweck auch nicht erreicht. Sie zerbrechen sich hierbei den Kopf bloß mit Erfindung der Dinge, die sie sagen wollen, nicht aber mit Erforschung der wahren Bedeutung der Wörter, und wenn sie solche Aufsätze machen, so sitzen und schwitzen sie bloß über den Gedanken und nicht über der Sprache. Da aber die gehörige Erlernung einer Sprache schon an und für sich mühevoll und unangenehm genug ist, so hat man nicht nötig, noch mehr Schwierigkeiten zu häufen, wie dies bei der gedachten Lehrart geschieht. Will man aber doch die Erfindungskraft der Knaben durch dergleichen Übungen schärfen, so lasse man sie lieber Aufsätze in ihrer Muttersprache machen, wo sie die Worte mehr in ihrer Gewalt haben und zugleich ihre Gedanken leichter ausdrücken können. Sollen sie aber Latein lernen, so wähle man dazu die mindest beschwerliche Methode, ohne den Geist durch solche mühsame Arbeiten zu belasten und abzuschrecken, indem, sie zugleich Aufsätze in dieser fremden Sprache machen sollen.

§ 174. Mich dünkt, dies sind Gründe genug gegen die in Schulen gewöhnlichen lateinischen Ausarbeitungen; aber die, welche ich gegen das Versemachen habe, sind noch weit wichtiger und zwar gegen das Versemachen von aller Art. Denn hat der Knabe kein Genie zur Dichtkunst, so läßt sich in der Welt nichts Unvernünftigeres denken, als ihn mit einer Sache zu quälen und die Zeit zu verderben, in der er nie etwas Rechtes leisten kann, hat er aber von selbst einen Hang dazu, so halte ich es für sehr sonderbar, ihn unterhalten oder ermuntern zu wollen. Ich sollte glauben, die Eltern müßten vielmehr bemüht sein, ihn so viel als möglich zu unterdrücken und zu ersticken; denn ich kann mir keinen Grund denken, warum ein Vater aus seinem Sohne einen Poeten machen wollte, wenn er nicht etwa wünscht, daß ihm alle anderen Berufsarten und Geschäfte zum Ekel werden sollen. Doch das ist noch nicht das schlimmste; denn wenn er wirklich ein mittelmäßiger Reimschmied wird und den Ruhm eines Schöngeistes erlangt, so bitte ich auch zu bedenken, in was für Gesellschaften er dann seine Zeit und auch wohl sein Vermögen verschwenden wird. Der Fall ist äußerst selten, daß jemand Gold- und Silbergruben auf dem Parnaß entdeckt. Die Luft daselbst ist angenehm, aber der Boden unfruchtbar; und es gibt wohl wenig Beispiele, daß jemand sein väterliches Gut durch die dort eingeernteten Früchte vermehrt hätte. Ist indes ein Vater der Meinung, daß sein Sohn sich einigermaßen auf die Dichtkunst legen solle, um seine Talente darin zu üben, so wird er doch zugeben müssen, daß es zu diesem Zweck besser sei, lieber die vortrefflichen römischen und griechischen Dichter zu lesen, als selbst in diesen toten Sprachen Verse zu machen. Und wer sich in der Poesie seiner Muttersprache hervortun will, der würde meines Erachtens sehr irren, wenn er sich durch Versuche in lateinischen Versen den Weg dazu bahnen wollte.

§ 175. In den gewöhnlichen Schulen herrscht noch eine andere Gewohnheit, die, soviel ich begreifen kann, ebenfalls keinen anderen Zweck hat, als jungen Leuten die fremden Sprachen einzutrichtern; obwohl die Erlernung derselben ihnen nach meinem Ermessen so angenehm gemacht und alles Mühsame davon so sehr entfernt werden sollte, als es sich nur immer tun ließe. Das, was ich hier meine und worüber ich mich beklage, ist das Auswendiglernen großer Stellen aus den Autoren, über die man doziert. Ich kann hiervon gar keinen Nutzen absehen, wenigstens nicht in Hinsicht auf den gedachten Endzweck. Sprachen können bloß durch Lesen und Sprechen gelernt werden, nicht aber durch auswendig gelernte Bruchstücke aus Büchern. Wer seinen Kopf damit angefüllt hat, besitzt alles, was zu einem Pedanten gehört und ist auf dem rechten Wege, einer zu werden. Was kann wohl lächerlicher sein, als die schönen und reichen Gedanken und Aussprüche eines anderen an die armseligen und mageren Einfälle seines eigenen Gehirns anzuflicken? Die letzteren stechen alsdann nur desto mehr hervor; auch empfiehlt sich der Sprecher dadurch ebenso wie einer, der seinen alten abgeschabten Arbeitsrock mit großen Lappen von Scharlach und Goldstoff ausstaffieren wollte. Stößt man indes auf eine Stelle, deren Inhalt des Behaltens wert und zugleich kurz und kräftig ausgedrückt ist (und dergleichen findet man in den alten Autoren viele), so mißbillige ich es keineswegs, daß man selbige dem Geist der Schüler einprägt und durch solche vortreffliche Züge jener großen Meister das Gedächtnis junger Leute zuweilen in Übung setzt. Was aber das Auswendiglernen ganzer Seiten aus Autoren ohne Wahl und Unterschied betrifft, so wie der Zufall sie an die Hand gibt, so weiß ich nicht, wozu dies anders dienen kann, als Zeit und Mühe zu verschwenden und jungen Leuten Ekel und Abneigung gegen die Bücher überhaupt einzustoßen, indem sie ihnen nichts als unnütze Qual verursachen.

§ 176. Ich weiß wohl, was man gewöhnlich zur Verteidigung dieser Gewohnheit anführt, nämlich, daß das Gedächtnis der Kinder dadurch geübt und verbessert werden soll. Ich wollte wünschen, daß dieses Vorgeben eben so stark durch die Erfahrung unterstützt würde, als es mit Zuversicht behauptet wird, und daß diese Gewohnheit sich mehr auf richtige Beobachtung als auf das Herkommen gründete; denn es ist gewiß, daß die Stärke des Gedächtnisses bloß auf einer glücklichen Organisation beruht, nicht aber durch Übung verbessert oder erworben wird. Es ist wahr, wenn man die Aufmerksamkeit auf eine Sache heftet, und, um sie nicht zu vergessen, die Vorstellung davon oft erneuert, so behält man sie freilich, aber nur nach Maßgabe der natürlichen und individuellen Gedächtniskraft. Ein Abdruck auf Bienenwachs oder Blei gemacht erhält sich nicht so lange als auf Erz oder Stahl. Allerdings dauert er länger, wenn er oft erneuert wird; allein jede Zurückerinnerung ist als ein neuer Eindruck zu betrachten; um also die Stärke des Gedächtnisses zu beurteilen, darf man nur wahrnehmen, wie lange eine Idee haftet, ohne sie erneuern zu dürfen. Das Auswendiglernen ganzer Seiten Latein macht die Gedächtniskraft nicht fähiger, andere Sachen zu behalten, als die Eingrabung einer Sentenz in ein Stück Blei solches tauglicher macht, andere Charaktere desto besser zu konservieren. Wenn dergleichen Übungen imstande wären, die Kraft des Gedächtnisses zu stärken und überhaupt im Kopf eines Menschen aufzuräumen, so müßten die Schauspieler notwendig das stärkste Gedächtnis besitzen und die beste Gesellschaft gewähren. Daß aber die fremden Gedanken und Ausdrücke, welche sie auf die Art memorieren, sie weder geschickter machen, andere Sachen zu behalten, noch ihre anderweitigen Fähigkeiten sonderlich ausbilden, zeigt die Erfahrung. Das Gedächtnis ist bei allen Beschäftigungen und in allen Umständen des Lebens so notwendig, man kann so wenig ohne dasselbe ausrichten, daß nicht zu befürchten steht, es möchte aus Mangel an Übung schwach oder unbrauchbar werden, wenn es anders durch Übung gestärkt werden kann. Allein ich besorge, diese Fähigkeit des Geistes könne überhaupt durch Anstrengung und Übung wenig geholfen und verbessert werden, am wenigsten aber durch solche, die in den lateinischen Schulen eingeführt sind. Wenn Xerxes einen jeden gemeinen Soldaten von seiner Armee, welche aus nicht weniger als hunderttausend Mann bestand, bei seinem Namen zu nennen wußte, so kann man wohl glauben, daß er dieses bewundernswürdige Talent eben nicht dadurch erlangt habe, daß er als Knabe seine Lektionen fleißig memorierte. Überdem wird die Methode, das Gedächtnis durch höchst mühsames Auswendiglernen gewisser Stücke aus Büchern zu stärken, bei Erziehung von Prinzen meines Wissens wenig angewandt, obgleich sie, wenn sie den besagten Nutzen wirklich leistete, bei Prinzen ebensowenig verabsäumt werden sollte wie bei den geringsten Schulknaben. Denn jene haben ein gutes Gedächtnis weit mehr nötig als irgendein anderer Sterblicher und besitzen es gewöhnlich auch in eben dem Grade wie andere Menschen, obwohl man es ihnen nie auf diesem Wege zu verschaffen suchte. Das, worauf die Aufmerksamkeit gespannt ist und was sie interessiert, behält man am besten, aus Ursachen, die ich schon vorhin erwähnt habe. Wenn sodann nur eine gute Methode und Ordnung beobachtet wird, so glaube ich, läßt sich zur Verbesserung eines schwachen Gedächtnisses nichts weiter tun. Wer aber einen andern Weg einschlägt und z. B. es mit einem Schwall lateinischer Vokabeln überladet, welche den Schüler nicht im mindesten interessieren, der wird ohne Zweifel finden, daß der daraus entstehende Nutzen die darauf verwandte Zeit und Mühe nicht zur Hälfte belohnt.

Ich behaupte indes nicht, daß das Gedächtnis der Kinder ganz und gar nicht geübt werden solle. Dieses kann meiner Meinung nach sehr wohl geschehen, aber nur nicht dadurch, daß man ihnen ganze Seiten aus Büchern nach der Reihe aufgibt, die, wenn sie sie einmal als ihr Pensum hergeplappert haben, sogleich auch wieder auf immer vergessen werden. Dadurch gewinnt weder das Gedächtnis noch der Verstand. Was sie aus den alten Autoren auswendig lernen sollten, habe ich schon vorhin erwähnt, hat man aber einmal dergleichen weise und lehrreiche Aussprüche ihnen eingeprägt, so muß man dafür sorgen, daß sie sie auch nie wieder vergessen, und zu dem Ende sie oft wieder in Erinnerung bringen. Außer dem Nutzen, den ihnen jene Stellen, als treffliche Lebensregeln und praktische Beobachtungen, in der Zukunft leisten können, lernen sie dadurch zugleich zurückdenken und sich an das besinnen, was sie zu behalten haben, welches das einzige Mittel ist, das Gedächtnis schnell und wirklich brauchbar zu machen. Die Gewöhnung zum häufigen Zurückdenken bewahrt ihren Geist gegen Zerstreuung und hindert junge Leute, mit ihren Gedanken achtlos und unnütz umherzuschweifen. Daher wird es, dünkt mich, gut getan sein, wenn man ihnen alle Tage etwas zu behalten aufgibt, aber auch nur etwas, und was zugleich des Behaltens wert ist und in ihrer Vorstellungskraft immer gegenwärtig sein muß, sobald man es verlangt, oder sie selbst danach umhersuchen. Hierdurch werden sie genötigt, ihre Gedanken oft in sich selbst zu kehren und zu sammeln, welches eine der vorzüglichsten intellektuellen Fertigkeiten ist, die man ihnen wünschen kann.

§ 177. Übrigens halte ich dafür, daß der Mann, dessen Leitung, Aufsicht und Unterricht das Kind in den zarten und biegsamen Jahren seines Lebens anvertraut wird, das Latein und die Sprachen überhaupt als den geringsten Teil der Erziehung betrachten müsse. Er muß überzeugt sein, daß Tugend und ein wohlgeordnetes Gemüt jeder Gattung von Gelehrsamkeit und Sprachwissenschaft weit vorzuziehen sei und daher sein Hauptgeschäft aus der Bildung des Herzens seines Zöglings machen. Denn wenn nur erst dafür gehörig gesorgt ist, gesetzt auch, daß alles andere darüber hintangesetzt würde, so wird das übrige zu seiner Zeit sich schon von selbst finden. Wird aber die Bildung der Sinnesart verabsäumt, werden die bösen und lasterhaften Fertigkeiten nicht ausgerottet, so dienen Sprachen, Wissenschaften und alle übrigen Vorzüge der Erziehung zu nichts, als den Menschen noch schlimmer und gefährlicher zu machen.

Und wahrlich, so viel Geschrei und Wesen auch vom Latein gemacht wird, als ob es die wichtigste und schwierigste Sache wäre, so kann es eine Mutter ihr Kind selbst lehren, wenn sie des Tages nur zwei oder drei Stunden mit ihm darauf verwenden will und sich von ihm die Evangelisten lateinisch vorlesen läßt. Sie darf sich zu dem Ende nur ein lateinisches Testament kaufen und jemand bitten, daß er über die vorletzte Silbe eines jeden mehr als zweisilbigen Wortes ein Zeichen mache, ob sie lang oder kurz ist, welches hinreichend sein wird, um die Aussprache und den richtigen Akzent zu treffen. Läßt sie sich dann täglich daraus vorlesen, so will ich sehen, ob sie nicht bald das Latein verstehen wird. Verstehet sie aber die lateinischen Evangelisten, so lasse sie sich Äsops Fabeln vorlesen und gehe dann weiter zum Gutrop, Justin und zu den anderen Büchern fort. Ich führe dies nicht an, als eine Sache, die ich mir bloß als möglich vorstelle, sondern als ein Beispiel, welches ich selbst erlebt, und von dem ich gefunden habe, daß auf die Art das Latein einem Kinde ohne Schwierigkeit beigebracht worden ist.

Doch um auf das vorige wieder zurückzukommen, so muß derjenige, der die Erziehung junger Leute und besonders von höheren Ständen übernimmt, wohl etwas mehr als Latein verstehen und etwas mehr als einige Kenntnis der schönen Wissenschaften besitzen. Es sollte nämlich ein Mann von ausgezeichneter Tugend und Weltklugheit sein, der außer einem guten natürlichen Verstande und einem sanften Temperament auch das Talent besäße, mit seinen Zöglingen sich beständig auf eine gesetzte, angenehme und liebreiche Art zu unterhalten. Doch hiervon habe ich bereits gehandelt. Siehe oben § 93.

§178. Zu eben der Zeit, da das Kind Französisch und Latein lernt, muß es auch zur Rechenkunst, Erdbeschreibung, Zeitrechnung, Geschichte und Geometrie Anleitung bekommen. Denn wenn diese Kenntnisse ihm in französischer oder lateinischer Sprache beigebracht werden, sobald es nämlich die eine oder die andere versteht, so wird es mit einer gründlichen Kenntnis der Sprache zugleich auch eine Bekanntschaft mit jenen Wissenschaften erlangen.

Den Anfang sollte man meines Erachtens mit der Erdbeschreibung machen. Denn die Gestalt der Erdkugel, die Lage und Grenzen der vier Weltteile, sowie der einzelnen Königreiche und Provinzen sind bloß Gegenstände des Gesichts und des Gedächtnisses, welche das Kind mit Vergnügen lernen und behalten kann. Ich kann dies mit einem lebendigen Beispiele belegen. In dem Hause, wo ich wohne, ist ein Kind, welches von seiner Mutter nach dieser Methode in der Geographie so gut unterrichtet war, daß es noch vor dem sechsten Jahre seines Alters nicht nur die Grenzen der vier Erdteile, sondern auch jedes Land auf dem Globus fertig anzugeben wußte und auf der Karte von England alle einzelnen Provinzen nebst allen großen Flüssen, Vorgebirgen, Meerengen und Meerbusen in der Welt, sowie die Längen und Breiten der Orte leicht finden konnte. Ich gestehe, diese Dinge, welche dergestalt bloß mit Hilfe des Gesichts und des Gedächtnisses gefaßt werden, sind noch nicht alles, was man vom Globus wissen muß. Inzwischen sind sie doch ein Anfang und eine gute Vorbereitung zu dem übrigen, welches dann, wenn der Verstand dazu reif ist, um desto leichter gefaßt wird. Außerdem aber gewinnt man dadurch viel Zeit, und das Kind lernt zugleich allmählich die Sprache, indem es auf eine angenehme Art seine Sachkenntnis erweitert.

§ 179. Hat man nun die natürliche Beschaffenheit der Erdkugel dem Gedächtnisse eingeprägt, so ist es Zeit, mit der Rechenkunst den Anfang zu machen. Ich verstehe aber unter der natürlichen Beschaffenheit der Erdkugel die verschiedenen Lagen des festen Landes und der Meere mit ihren verschiedenen Namen und mit den Länderabteilungen, ohne mich jetzt auf die künstlichen und eingebildeten Kreise einzulassen, welche bloß zur weiteren Ausbildung dieser Wissenschaft erfunden worden sind.

§ 180. Die Arithmetik gibt die leichteste Gattung von abstrakten Ideen und Schlüssen an die Hand, daher auch mit diesen der Anfang gemacht werden muß, um die Seele des Kindes daran zu gewöhnen. Das Rechnen ist zugleich in allen Ständen und Geschäften des Lebens von so allgemeinem Nutzen, daß fast keine Sache ohne dasselbe abgetan werden kann. Man kann also nicht zu geübt oder zu vollkommen darin sein, und folglich sollte auch der Anfang im Rechnen so frühzeitig als möglich gemacht und die Übung in demselben alle Tage fortgesetzt werden, bis der Schüler dieser Wissenschaft vollkommen mächtig wäre.

Wenn er die Addition und Subtraktion vollkommen innehat, so kann man ihn sodann in der Erdbeschreibung weiterbringen, ihn mit den Polen, Zonen, Parallelkreisen und Meridianen bekannt machen, ihm die Längen und Breiten der Orte und die Konstruktion der Landkarten erklären, um nach den auf dem Rande angezeigten Zahlen die verhältnismäßige Lage der Länder zu beurteilen und selbige auf dem künstlichen Globus aufsuchen zu können. Ist es hierin gehörig geübt, so kann man zum Himmelsglobus fortschreiten, auf diesem wiederum alle Kreise durchgehen und sich insonderheit bei der Sonnenbahn oder dem Tierkreise aufhalten, damit der Schüler einen deutlichen Begriff davon erhalte und mit der Figur und Lage der verschiedenen Gestirne gehörig bekannt werde, die man ihm zuerst auf dem Globus und dann am Himmel zeigen kann.

Wenn dies geschehen ist, so rate ich, ihm eine Vorstellung von der Planetenwelt zu geben und zu dem Ende ihm das Copernicanische System zu erklären, die Ordnung und Stellung der Planeten und ihre Entfernungen von der Sonne, dem Zentrum ihrer Bahn. Dies wird die beste und leichteste Vorbereitung sein, die Theorie und die Bewegung der Planeten verstehen zu lernen. Die Bewegung der Planeten um die Sonne ist jetzt bei den Astronomen eine ausgemachte Sache; der Schüler muß also auch nach dieser Hypothese unterrichtet werden, weil sie nicht nur die einfachste und natürlichste, sondern an sich auch die wahrscheinlichste ist. Doch hier so wie in allen übrigen Teilen des Unterrichts muß man hauptsächlich dahin sehen, daß man mit den einfachsten und leichtesten Dingen den Anfang mache, immer nur wenig auf einmal lehre und nicht eher zu einem neuen Gegenstand fortschreite, als bis der Verstand den vorhergehenden genau gefaßt und begriffen hat. Man lege den Schülern zuerst eine ganz einfache Idee vor und sorge dafür, daß sie diese gehörig verstehen, ehe man weiter geht. So wird der Verstand derselben ohne Verwirrung und Überhäufung allmählich sich entwickeln, mehr als man erwarten sollte. Hat der Zögling aber einmal etwas recht gefaßt, so ist kein besseres Mittel, solches seinem Gedächtnisse recht fest einzuprägen und ihn zu weiteren Fortschritten aufzumuntern, als daß man es ihn andere wieder lehren läßt. Die spätere Methode des »gegenseitigen Unterrichts« von Bell und Lancaster.

§ 181. Nach dieser Bekanntschaft mit den beiden Globen kann man den Unterricht in der Geometrie folgen lassen. Hierzu aber wird meines Erachtens die Erklärung der ersten sechs Bücher des Euklid schon hinreichend sein; denn ich zweifle, ob einem Geschäftsmanns mehr davon zu wissen nötig oder nützlich sei. Sollte er übrigens Neigung und Genie zu diesem Studium haben, so kann er sich in der Folge selbst ohne Lehrer weiter darin forthelfen, wenn er von seinem Erzieher nur erst soweit gebracht worden.

Die künstliche Erd- und Himmelskugel aber muß fleißig und mit aller Sorgfalt studiert werden. Auch muß man in Zeiten damit den Anfang machen, wenn der Erzieher nur gehörig zu unterscheiden weiß, was der Fassungskraft des Kindes angemessen ist oder nicht. In dieser Rücksicht wird er indes mit folgender Regel weit genug kommen, nämlich daß man Kindern alles, was in die Sinne und in die Augen insonderheit fällt, lehren könne, und wobei bloß das Gedächtnis beschäftigt wird. Daher kann man auch selbst kleinen Kindern, sobald sie nur sich in den Zimmern ihres eigenen Hauses zu orientieren wissen, mit leichter Mühe beibringen, wo sie auf dem Globus den Äquator, den Meridian, Europa, England usw. zu suchen haben; wenn man ihnen nur nicht zu viel auf einmal lehren will und ihnen nicht eher etwas Neues vorträgt, als bis sie das vorhergehende recht gelernt und dem Gedächtnis eingedrückt haben.

§ 182. Mit der Geographie sollte die Chronologie verbunden werden, das heißt, man sollte dem jungen Menschen eine allgemeine Übersicht von der ganzen Zeitfolge der Geschichte geben und von den wichtigsten Epochen, welche in derselben zu merken sind. Ohne diese beiden Stücke, Geographie und Chronologie nämlich, wird die Geschichte, die große Lehrerin der Klugheit und Staatskunst, welche jeder Mensch der höheren Volksklassen und jeder Geschäftsmann sorgfältig studieren sollte, sehr schlecht behalten werden und von geringem Nutzen sein, ein bloßes Chaos von zusammengehäuften Tatsachen ohne Ordnung und Brauchbarkeit. Erst durch diese beiden Wissenschaften werden die Taten und Begebenheiten der Menschen in Ansehung der Zeiten und der Länder, wo sie vorfielen, an ihren rechten Ort gestellt und mittels dieser Beziehungen auch dem Gedächtnis leichter eingedrückt; ja sie sind auch bloß in dieser natürlichen Ordnung fähig, diejenigen Bemerkungen herbeizuführen, welche den Menschen besser und klüger machen.

§ 183. Wenn ich von der Zeitrechnung als von einer Wissenschaft rede, in welcher man junge Leute vervollkommnen soll, so will ich dies keineswegs auf die geringfügigen Streitigkeiten ausgedehnt wissen, welche in derselben vorkommen. Sie sind endlos und überdem größtenteils von so geringer Erheblichkeit für einen Weltmann, daß er nicht nötig hat sich darum zu bekümmern, wenn sie auch leicht entschieden werden könnten. Man kann also all dem gelehrten Lärm und Staub der Chronologisten füglich aus dem Wege gehen. Das brauchbarste Buch, welches ich in diesem Teile der Gelehrsamkeit kenne, ist eine kleine Abhandlung von Strauch (12°) Breviarium chronologicum. Aus diesem kann man dasjenige auswählen, was der junge Mensch zu wissen nötig hat; denn alles, was darin enthalten ist, braucht ein Lehrling nicht zu wissen. Es sind in demselben die merkwürdigsten und gebräuchlichsten Epochen auf die Julianische Zeitrechnung zurückgebracht, welches die leichteste, einfachste und sicherste Methode ist, die man in der Chronologie einschlagen kann. Neben dieser Abhandlung des Strauch kann man sich des Helvicus Tabellen anschaffen, um sie bei vorkommenden Gelegenheiten nachzuschlagen. Strauch und Helvicus (Helwig), zwei deutsche Professoren des 17. Jahrhunderts.

§ 184. Nichts belehrt und ergötzt zugleich mehr als die Geschichte. In der ersteren Hinsicht ist sie auch des Fleißes der Erwachsenen würdig und in der letzteren empfiehlt sie sich vorzüglich jungen Leuten, denen man also, sobald sie mit der Chronologie und den verschiedenen Epochen, die von den Europäern angenommen werden, bekannt sind, um selbige auf die Julianische Zeitrechnung zu reduzieren zu verstehen, irgendeinen lateinischen Geschichtschreiber in die Hände geben sollte. Bei der Wahl desselben hat man hauptsächlich nur auf die Leichtigkeit des Stiles zu sehen; der Autor mag dann anfangen, von welchem Zeitpunkt es sei, so wird die Chronologie den Knaben allezeit gegen Verwirrung bewahren. Und da die Annehmlichkeit des Inhalts ihn schon an sich zum lesen reizt, so wird er die Sprache ganz unvermerkt und ohne die schreckliche Qual und Plage lernen, welche die Kinder sonst ausstehen müssen, wenn ihnen Bücher in die Hände gegeben werden, die ihre Fähigkeiten übersteigen, wie die römischen Redner und Dichter, und bloß zu dem Zweck, die Sprache zu lernen. Wenn nun das Kind die leichtern Autoren, z. B. den Eutrop, Justin und Curtius gelesen und verstanden hat, so wird es ihm nicht schwer werden zu den übrigen fortzuschreiten und nach den faßlichsten und leichtesten Historikern, auch die schwersten und erhabensten Schriftsteller, wie Tullius, Cicero. Virgil und Horaz verstehen zu lernen.

§ 185. Wenn der Zögling von Anfang an bei allen schicklichen Veranlassungen mit der Kenntnis der Tugendpflichten bekannt gemacht worden ist und zwar mehr durch Ausübung als durch Regeln, wenn man ihm statt der Befriedigung der Sinnlichkeit das Bestreben zur Erhaltung seines guten Namens zur Fertigkeit gemacht hat: so weiß ich nicht, ob man ihn noch andere Sittenlehren solle lernen lassen, als die er in der Bibel findet, oder ob es ratsam sei ihm eher ein System der Moral in die Hände zu geben, als bis er imstande ist, Ciceros Abhandlung von den Pflichten zu lesen; aber nicht wie ein Schulknabe, bloß um Latein zu lernen, sondern um sich von den Grundsätzen und Vorschriften der Tugend zu belehren und sein Leben danach einzurichten. Der deutsche Jüngling wird diesen Zweck unfehlbar noch sicherer und besser erreichen, wenn bei Lesung dieses Buchs Herrn Professor Garves meisterhafte Übersetzung nebst den von ihm hinzugefügten vortrefflichen Abhandlungen und Erläuterungen gebraucht wird. Es sollte daher auch die Lesung dieses Werks auf die reiferen Jünglingsjahre verschoben werden.       Ouvrier.

§ 186. Wenn er nun den Cicero von den Pflichten gehörig verdaut hat und dabei noch ein kleines Werk von Pufendorf de officio hominis et civis, Samuel Pufendorf (1632–1694): »Über die Pflicht des Menschen und Bürgers«. so wird es Zeit sein, ihn mit dem Grotius de jure belli et pacis Hugo Grotius (1583–1645): »Über das Recht des Kriegs und Friedens«. bekannt zu machen oder, welches vielleicht diesem noch vorzuziehen ist, mit Pufendorf de jure naturali et genetium. »Natur- und Völkerrecht«. Hieraus wird er von den natürlichen Rechten der Menschen, von dem Ursprünge und der Grundlage der Gesellschaft und von den daraus entspringenden Pflichten unterrichtet werden. Diese allgemeine Kenntnis des bürgerlichen Rechtes und die Geschichte sind Studien, die ein junger Mann von den höheren Ständen nicht bloß auf der Oberfläche berühren, sondern womit er sich beständig beschäftigen und die er nie ganz beiseite setzen sollte. Ein tugendhafter, wohlanstelliger junger Mann, der eine gründliche Kenntnis der allgemeinen bürgerlichen Rechte besitzt und zwar nicht in Beziehung auf bloße Privatzänkereien oder Rabulisterei, sondern auf die gemeinsamen Angelegenheiten, den Zusammenhang und die Verhältnisse der gesitteten Nationen untereinander, insofern sie auf Grundsätzen der Vernunft beruhen), ein solcher Mensch kann, wenn er überdies Latein versteht und seine Muttersprache rein und schön schreibt, frei in die Welt treten und gewiß versichert sein, allenthalben geschätzt zu werden und sein Unterkommen zu finden.

§ 187. Es versteht sich wohl von selbst, daß ein Mann vom höheren Stande die Rechte und Gesetze seines Landes wissen müsse. Diese Kenntnis ist in jedem Posten nötig. Vom Friedensrichter bis zum Staatsminister kenne ich keinen Platz, der ohne sie gehörig ausgefüllt werden könnte. Ich verstehe aber hierunter nicht die rabulistische Schikane oder die Prozessierkunst. Ein Mann von Ehre und Rechtschaffenheit macht es sich zur Pflicht, die wahren Grenzen zwischen Recht und Unrecht aufzusuchen, nicht aber Kunstgriffe, um dem, was billig und gerecht ist, ausweichen und Ungerechtigkeiten mit Sicherheit ausüben zu können. Er ist ebenso entfernt, die Gesetze seines Vaterlandes zu solchen Zwecken zu studieren, als er vielmehr beeifert ist, sich dadurch zum Dienste seines Vaterlandes tüchtig zu machen. Wenn daher ein Mann von Stande sich mit der Rechtswissenschaft abgibt, ohne übrigens sein Berufsgeschäft daraus machen zu wollen, so halte ich es für ratsam, daß er sich vor allen Dingen einen richtigen Begriff von der englischen Verfassung und Regimentsform zu verschaffen suche, aus den alten Urkunden des gemeinen Rechts und aus einigen neueren Schriftstellern, die nach jenen Urkunden unsere Verfassung beschrieben haben. Nach dieser vorläufigen Übersicht kann er die vaterländische Geschichte studieren und bei der Regierung eines jeden Königs die Gesetze anmerken, die unter ihm gegeben worden. Auf diese Weise wird er den Grund unserer Statuten, die Art ihrer Entstehung, sowie das Ansehen und die Gültigkeit, die ihnen zukommt, gehörig beurteilen lernen.

§ 188. Da nach der gewöhnlichen Schulmethode die Redekunst und Logik auf die Grammatik zu folgen pflegt, Auf das Trivium (Grammatik, Logik, Rhetorik) folgte im Mittelalter das Quadrivium (Musik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie). so wird man sich vielleicht wundern, daß ich so wenig davon gesagt habe. Die Ursache ist, weil ich glaube, daß diese Wissenschaften jungen Leuten sehr wenig Nutzen leisten. Ich habe selten oder eigentlich nie gefunden, daß jemand die Geschicklichkeit, richtig zu schließen und schön zu reden, durch das bloße Studium der Regeln erlangt hätte, obwohl dies die allgemeine Meinung ist. Einige allgemeine Begriffe davon aus dem kürzesten System, das man nur finden kann, sind, wie ich glaube, hinlänglich, ohne sich bei Betrachtung und Erlernung dieser Formalitäten lange aufzuhalten. Die Kunst, recht zu schließen und gründlich zu urteilen, ist auf etwas ganz anderes gegründet, als auf Prädikamente und Prädikabilien oder auf die verschiedenen Formen und Figuren der Syllogismen. Doch es ist hier der Ort nicht, mich über diese Spekulationen umständlicher zu erklären. Locke hat dies in seinem »Versuche über den menschlichen Verstand« im 4. Buch, 17. Kap. getan. Seine Schrift (Fragment): »Über die Leitung des Verstandes« (in der Univ.-Bibl. als Anhang zu »Über den menschlichen Verstand«, Nr. 3816–25, erschienen) ist keine schulmäßige Logik, sondern »eine Pathologie und Therapie des Denkens, d. h. eine Darlegung der Fehler, in die wir bei unseren Gedankengängen verfallen, und eine Anweisung, wie solche Irrwege zu vermeiden wären«. Vergl. Fechter a. a. O., S. 57. Hier bemerke ich bloß, daß der Jüngling, um gesund urteilen zu lernen, solche Werke wie den Chillingworth Chillingworth (1602–84) war ein gelehrter Theologe der Anglikanischen Kirche. Unter der Regierung Karls I. gab er eine Apologie der protestantischen Religion heraus, welche hauptsächlich gegen die Schrift eines Jesuiten gerichtet war, der den protestantischen Lehrbegriff mit sehr subtilen Argumenten angegriffen hatte. Die Art und Weise, wie Chillingworth diesen Einwürfen begegnet und sie widerlegt, ist es also, was Locke hier empfehlen will.       Nach Coste. lesen und, wenn er sich in der Wohlredenheit bilden soll, sich mit den Schriften des Cicero vertraut machen müsse, der ihm einen wahren Begriff von der Beredsamkeit beibringen wird. Damit er sich aber eine gute und reine Schreibart in seiner Muttersprache erwerbe, so lasse man ihn die besten Schriftsteller lesen, die darin geschrieben haben.

§ 189. Wenn der Zweck und Nutzen einer gesunden Beurteilungskraft darin besteht, sich richtige Begriffe und Vorstellungen von Dingen zu erwerben, das Wahre und Falsche, Recht und Unrecht gehörig unterscheiden zu können und seine Handlungen danach einzurichten: so haltet euren Sohn ja von den in Schulen gewöhnlichen Disputierübungen zurück und flößt ihm einen Abscheu dagegen ein. Ihr werdet sonst, statt eines tüchtigen Mannes, einen schalen Zänker aus ihm bilden, der immer recht behalten will und sich etwas darauf einbildet, anderen stets zu widersprechen, oder, welches noch ärger ist, einen Menschen, der geradezu alles in Zweifel zieht, und zwar nicht etwa in der Absicht, die Wahrheit zu erforschen, sondern bloß seinen Gegner niederzudisputieren. Nichts ist unedler und eines braven Mannes, ja eines jeden vernünftigen Geschöpfs unwürdiger, als der offenbaren Vernunft nicht nachgeben zu wollen und durch Beweisgründe sich nicht überzeugen zu lassen. Was kann der wahren Höflichkeit, die im Umgange gesitteter Menschen herrschen soll, und dem Zweck jeder Art von Unterredung wohl mehr zuwider sein, als wenn man gar keine Antwort annimmt, wie vollständig und genugtuend sie auch wäre, sondern im Disputieren immer fortfährt, solange nur ein zweideutiger Ausdruck vorhanden oder eine leere Distinktion anzubringen ist, sie mag nun zur Sache gehören oder nicht, vernünftig oder unvernünftig sein und mit dem, was vorher behauptet worden, übereinstimmen oder nicht. Denn darin besteht eigentlich die große Kunst der logischen Klopffechterei, daß der Opponent nie eine Antwort gelten läßt und der Respondent nie einen Gegenbeweis annimmt. So etwas darf keiner von beiden sich je zuschulden kommen lassen, es mag sich mit der Wahrheit und Erkenntnis reimen oder nicht, wenn man nicht für einen albernen Wicht gehalten sein will, der nicht imstande ist das auszuführen, was er einmal behauptet hat, als welches das einzige Ziel und der Ruhm ist, den man hier beim Disputieren sucht. Nur durch reifliche und zweckmäßige Betrachtung der Dinge selbst wird die Wahrheit erforscht und begründet, nicht durch logische Kunstwörter und Syllogismen. Die letzteren geben den Menschen nicht Anleitung zur Gutdeckung der Wahrheit, sondern zu dem Verfänglichen und betrüglichen Gebrauch doppelsinniger Wörter – in der Tat eine ganz unnütze und ärgerliche Anwendung der Verstandeskräfte, die eines edlen Mannes und Freundes der Wahrheit ganz unwürdig ist. Auch Montaigne war schon der Meinung. Nur die ersten 15 oder 16 Jahre unseres Lebens, sagt er, müssen der Schule gewidmet sein, die übrigen den Geschäften. Laßt uns also die so kurze Zeit auf den nötigsten Unterricht verwenden. Fort mit den dornigen Subtilitäten der Dialektik, die unser Leben nicht besser und glücklicher machen. Lieber lese man echte philosophische Schriften; sie sind leichter zu verstehen als eine Erzählung von Boccaz. Weiterhin setzt er hinzu: Man mache den jungen Menschen vorsichtig in der Wahl seiner Gründe. Hauptsächlich aber lehre man ihn der Wahrheit nachgeben und sich ihr unterwerfen, wo er sie findet: sie mag nun aus den Händen seines Gegners kommen oder in ihm selbst entspringen. Alle seine Reden müssen von Gewissenhaftigkeit und Tugend beseelt werden; immer müssen sie der Leitung der Vernunft folgen. – Wie aber, wenn jemand ihn mit einer syllogistischen Sophisterei aufs Eis führen wollte und z. B. sagte: »Der Schinken macht, daß man trinkt; das Trinken löscht den Durst. Folglich stillt der Schinken den Durst.« Er spotte darüber; denn es ist klüger, darüber zu spotten, als darauf zu antworten«       Coste.

Man kann sich bei einem Manne von den höheren Ständen nicht leicht einen auffallenderen Übelstand denken, als wenn er sich im Reden und Schreiben schlecht ausdrückt. Vielleicht aber wird keiner meiner Leser sein, der nicht Leute kennte, welche sich nach Maßgabe ihres Ranges und ihrer Vermögensumstände auch durch vorzügliche Geisteseigenschaften über den gemeinen Mann erheben sollten, aber nicht imstande sind, nur eine Geschichte gehörig zu erzählen, geschweige über irgendeine Angelegenheit mit Deutlichkeit und Überredungskraft zu sprechen. Ich glaube indes, daß dies nicht sowohl ihre eigene als die Schuld ihrer Erziehung ist; denn ohne Parteilichkeit für meine Landsleute muß ich ihnen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie in keiner Sache, worauf sie sich einmal legen, von ihren Nachbarn zurückgelassen werden. Nun lehrt man sie in ihrer Jugend zwar Rhetorik, aber nicht, wie sie sich in der Sprache, deren sie sich doch beständig bedienen, im Reden oder im Schreiben geschickt ausdrücken können; als ob die Kunst und Geschicklichkeit, schön zu reden, bloß auf den Namen der Wortfiguren beruhte, womit diejenigen, welche diese Kunst besitzen, ihre Reden ausschmücken. Diese, sowie jede andere praktische Geschicklichkeit, muß nicht durch Auswendiglernen einer größeren oder geringeren Anzahl von Regeln, sondern durch fleißige und fortgesetzte Übung nach guten Vorschriften oder vielmehr nach guten Mustern erworben werden, bis man eine vollkommene Fertigkeit und Leichtigkeit darin erlangt hat.

Zu diesem Zweck wird es daher sehr dienlich sein, wenn man sich von den Kindern, sobald sie dazu fähig find, oft eine Geschichte, die sie wissen, erzählen läßt und dann fürs erste nur die auffallendsten Fehler bemerkt, die sie in Zusammenstellung der Sachen begehen. Wenn sie nun diesen Fehler haben vermeiden lernen, so mache man sie auf einen andern aufmerksam und so fort, bis einer nach dem anderen, wenigstens die gröbsten, gehoben sind. Sind sie dann so weit, daß sie eine Geschichte recht gut erzählen können, so ist es Zeit, daß man sie solche aufschreiben läßt. Äsops Fabeln, das einzige für Kinder schickliche Buch, das ich kenne, wird ihnen sowohl zur Übung im Schreiben der Muttersprache, als auch zum Lesen und Übersetzen Stoff genug geben und sie zugleich mit der lateinischen Sprache bekannt machen. Wenn nun die Kinder über die grammatischen Fehler hinaus und imstande sind, die verschiedenen Teile einer Erzählung im gehörigen Zusammenhange vorzutragen, ohne sich dabei unschicklicher, harter oder oft wieder vorkommender Übergänge zu bedienen, und man sie in dieser Fertigkeit, welche die erste Stufe der Wohlredenheit ausmacht und keiner Erfindung bedarf, noch weiter zu bringen wünscht, so kann man alsdann den Cicero zur Hand nehmen und ihnen die Anwendung der Regeln erklären, welche dieser große Meister der Beredsamkeit in dem ersten Buche de Inventione (im 20. Kap.) gibt. Man zeige ihnen, worin die Kunst und die Schönheiten einer guten Darstellung bestehen, nach Maßgabe der verschiedenen Gegenstände oder Absichten, die man dabei vor Augen hat. Zu jeder dieser Regeln wird man alsdann leicht Beispiele ausfindig machen können, um zu zeigen, wie sie von anderen ausgeübt worden. Die alten Klassiker enthalten einen Überfluß von solchen Beispielen, die also nicht bloß übersetzt, sondern stets als Muster zur Nachahmung aufgestellt werden müssen.

Sind dann die jungen Leute in der erzählenden Schreibart so geübt, daß sie in ihrer Muttersprache etwas in dem gehörigen Zusammenhange, mit dem angemessenen Ausdruck und in guter Ordnung vorzutragen wissen, so kann man sie nunmehr zum Briefschreiben anführen. Man gewöhne sie aber nicht, nach Witz und Komplimenten zu haschen, sondern lehre sie, ihre Gedanken klar und leicht vortragen, ohne Verwirrung, Härte und Unordnung. Dann erst, wenn sie hierin vollkommen geübt sind, kann man ihnen, zur Bildung des Geschmackes, den Voiture als Muster in die Hände geben, um sich mit entfernten Freunden in Briefen höflich, lebhaft, witzig und mit feinem Scherz zu unterhalten. V. Voiture (1538–1648), französischer Schriftsteller. Ciceros Briefe sind indes immer sowohl in Rücksicht auf den Geschäftston, als auf die Unterhaltung vorzüglich zu empfehlen. Das Briefschreiben ist in allen Vorfällen des Lebens eine so unentbehrliche Sache, daß kein Mensch von den höheren Klassen der Gelegenheit ausweichen kann, sein Talent hierin zu zeigen. Die Anlässe, von der Feder Gebrauch zu machen, fallen fast täglich vor, und ungerechnet, daß nicht selten der Erfolg unserer Angelegenheiten bloß von der Art und Weise abhängt, wie man sich hierbei benimmt, so setzt man sich insgemein dadurch einer strengeren Prüfung seiner guten Lebensart und Erziehung, seines Verstandes und seiner Fähigkeiten aus, als durch mündliche Unterhandlungen. Bei den letzteren stirbt der Fehler, der uns entwischte, mit dem Schall, der ihm das Leben gab; er ist daher auch keiner so strengen Beurteilung unterworfen und entgeht der Bemerkung und dem Tadel leichter.

Hätte man bei der Erziehung immer den wahren Zweck vor Augen gehabt, so würde man unmöglich eine so wesentliche Sache ganz haben aus der Acht lassen können. Statt dessen quälte man die Jugend mit lateinischen Ausarbeitungen und Versen, die zu weiter nichts dienen, als die Fähigkeit der Kinder über Vermögen anzustrengen und die sonst leichten und angenehmen Fortschritte in Erlernung der Sprachen durch unnatürliche Schwierigkeiten zu hindern. Aber die Gewohnheit hat es einmal so eingeführt, und wer wagt es, sich ihr zu widersetzen? Wäre es nicht in der Tat auch unbillig von einem hochgelehrten Schulrektor, der alle Tropen und Figuren aus Farnabius' Rhetorik Thomas Farnaby (1575–1647), englischer Gelehrter. auf den Fingern herzuzählen weiß, zu verlangen, daß er seinem Schüler lehren sollte, sich in seiner Landessprache schön und richtig auszudrücken, da er sich offenbar selbst so wenig darum bekümmert hat, daß er in diesem Stücke selbst von der Mutter des Knaben weit übertroffen wird, ungeachtet er auf dieselbe als auf eine Ungelehrte mit Verachtung herabsieht, weil sie kein System von Logik und Rhetorik gelesen hat.

Die Fertigkeit, sich mündlich und schriftlich auszudrücken, verschafft allem, was man vorzutragen hat, eine gewisse Anmut und eine günstige Aufmerksamkeit. Und da jeder gebildete Mann in dieser Hinsicht beständig von seiner Muttersprache Gebrauch machen muß, so sollte er diese auch ganz vorzüglich studieren und es sich möglichst angelegen sein lassen, seinen Stil zu bilden und zu vervollkommnen. Man könnte sich vielleicht eine gewisse Berühmtheit erwerben, wenn man das Latein besser schriebe oder spräche als seine Muttersprache, wenn man aber auf den Nutzen sieht, so ist es weit besser, sich in der letzteren geschickt ausdrücken zu können, weil man sie beständig braucht, als den eiteln Ruhm eines ziemlich unbedeutenden Talents zu besitzen. Demungeachtet wird dies bei uns fast allgemein vernachlässigt; nirgends ist man darauf bedacht, junge Leute in ihrer eigenen Sprache so weit zu bringen, daß sie sie vollkommen verstehen und in ihre Gewalt bekommen. Trifft man hier und da einen unter uns an, der seine Muttersprache in mehr als gewöhnlicher Reinheit und Fertigkeit spricht und schreibt, so hat er dies mehr dem Zufall, seinem eigenen Fleiß und Genie als der Erziehung und der Sorgfalt seiner Lehrer zu verdanken. Die Fehler zu verbessern, welche der Zögling gegen seine Muttersprache begeht, ist unter der Würde eines Mannes, der beim Griechischen und Latein aufgewachsen ist, wiewohl er selbst im Grunde wenig genug davon verstehen mag. Nur die gelehrten Sprachen sind es, mit welchen sich gelehrte Leute auch ganz allein befassen und dieselben lehren müssen; die Muttersprache gehört für den ungelehrten Haufen. Gleichwohl haben einige kluge Nachbarn es der öffentlichen Sorgfalt wert geachtet, die Vervollkommnung ihrer eigenen Landessprache zu befördern und aufzumuntern. Die Ausbildung und Bereicherung ihrer Sprache wird von ihnen für keine Kleinigkeit gehalten. Man hat zu diesem Zwecke sogar Akademien Wie die 1637 gegründete französische. errichtet und Besoldungen ausgesetzt, ja es ist ein besonderer Gegenstand des Ruhmes und des Wetteifers unter ihnen, rein und schön zu schreiben. Es liegt auch am Tage, wieviel sie dadurch gewonnen, und wie weit sie dadurch eine Sprache verbreitet haben, die an und für sich eine der schlechtesten in unserem Erdteile ist, wenn wir nämlich nur einige Regierungen zurückgehen, und das, was sie jetzt ist, vergleichen mit dem, was sie damals war. Die größten Männer unter den Römern übten sich täglich in ihrer Sprache, und die Geschichte hat uns noch die Namen von Rednern aufbehalten, welche selbst einigen von ihren Kaisern das Latein lehrten, obgleich es ihre Muttersprache war.

Die Griechen waren, wie bekannt, noch zärtlicher in diesem Stücke. Sie hielten alle andere Sprachen für barbarisch, außer der ihrigen, und es scheint, als ob dieses gelehrte und scharfsinnige Volk auch keine andere studiert oder geachtet habe, wiewohl es keinem Zweifel unterworfen ist, daß es seine Philosophie und Gelehrsamkeit ursprünglich fremden Nationen zu verdanken hatte.

Meine Absicht ist nicht, mich geradezu gegen das Latein und Griechische zu erklären; ich gebe zu, daß es studiert werden müsse, wenigstens sollte ein jeder von den höheren Ständen das Latein verstehen. Doch mit was für fremden Sprachen sich auch ein junger Mensch befassen mag (und je mehr er deren weiß, desto besser ist es für ihn), so sollte doch seine eigene Muttersprache diejenige sein, die er eigentlich wissenschaftlich studiert und in der er sich täglich übt, um es bis zur größten Leichtigkeit, Klarheit und Eleganz im Ausdruck zu bringen.

§ 190. Philosophie der Natur als eine spekulative Wissenschaft haben wir meiner Meinung nach gar nicht, und ich glaube mit Grund hinzusetzen zu dürfen, wir werden vielleicht nie imstande sein, eine Wissenschaft daraus zu machen. Die Werke der Natur sind durch einen Verstand erfunden und durch Mittel hervorgebracht, die viel zu weit außer dem Kreise unseres Entdeckungsvermögens und unserer Vorstellungskraft liegen, als daß wir je imstande sein sollten, sie in ein wissenschaftliches System zu bringen. Weil Naturphilosophie nichts anderes ist als die Kenntnis von Elementen, Eigenschaften und Wirkungen der Dinge, wie sie an sich sind: so zerfällt sie, meine ich, in zwei Teile, wovon der eine die Lehre von den Geistern und ihrer Natur und Eigenschaften und der andere die Lehre von den Körpern begreift. Der erste Teil wird gewöhnlich zur Metaphysik gerechnet. Indes unter welchem Namen man auch die Geisterlehre abhandeln mag, so muß sie, denk' ich, vor der Betrachtung der Materie und der Körper vorhergehen, nicht deswegen, weil wir sie als eine Wissenschaft systematisch behandeln und auf allgemeine Grundsätze bringen könnten, sondern weil sie die Sphäre unserer Gedanken mit einem richtigeren und vollständigeren Begriff von der intellektuellen Welt erweitert, auf welche wir durch Vernunft und Offenbarung zugleich geführt werden. Und weil das Deutlichste und Ausführlichste, was wir von anderen Geistern außer Gott und unserer eigenen Seele wissen, uns vom Himmel durch Offenbarung mitgeteilt worden, so müßte, denk' ich, der Unterricht, den junge Leute davon erhalten, aus der Offenbarung genommen werden. Und zu diesem Zweck würde es, glaube ich ferner, dienlich sein, wenn wir eine gute biblische Geschichte zum Lesen für junge Leute hätten, und wenn alles, was in eine solche hineingehört, in gehöriger Zeitfolge vorgetragen und verschiedenes ausgelassen wäre, was bloß den Fähigkeiten des reiferen Alters angemessen ist, so würde alle die Verwirrung vermieden werden, welche aus dem ohne Auswahl angestellten Durchlesen aller Bücher der Schrift, so wie sie in unseren Bibeln aufeinander folgen, gewöhnlich zu entstehen pflegt. Ferner gewönne man durch fortgesetztes Lesen derselben auch das, daß den Seelen der Kinder ein Begriff von den Geistern und der Glaube an dieselben eingepflanzt würde, da sie dem ganzen Verfolg dieser Geschichte so häufig eingewebt sind, und dies wäre eine gute Vorbereitung zum Studium der Körperwelt. Denn ohne den Begriff und die Annahme von Geistern wird unsere Philosophie immer verstümmelt und mangelhaft bleiben, wenn ihr die Betrachtung des edelsten und mit den meisten Kräften begabten Teils der Schöpfung fehlt.

§ 191. Ich bin ferner der Meinung, es würde gut sein, wenn von der erwähnten biblischen Geschichte ein kurzer und faßlicher Auszug gemacht wäre, der die hauptsächlichsten und wesentlichsten Stücke enthielte und mit dem die Kinder sich bekannt machen könnten, sobald sie lesen können. Obgleich die Kinder dadurch zeitig einen Begriff von Geistern bekommen, so ist doch dies dem, was ich oben gesagt habe, Siehe oben § 137 ff. nicht entgegen. Ich wollte nämlich nicht, daß man die Kinder im frühesten Alter mit der Vorstellung von Geistern beunruhigte, und meine Meinung war, ich hielte es für unrecht, daß ihre zarten Seelen frühe Eindrücke von Poltergeistern, Gespenstern und Erscheinungen erhielten, womit ihre Wärterinnen und die, die um sie sind, sie so gern in Furcht setzen, um sie folgsam zu machen. Dies tut ihnen oft großen Schaden auf Lebenszeit und macht, daß ihre Seelen dem Schreck, der Furcht und den Besorgnissen, auch der Schwäche überhaupt und dem Aberglauben unterworfen bleiben. Kommen sie dann in die große Welt und unter Menschen, so schämen sie sich dessen, und es geschieht nicht selten, daß sie, um, wie sie glauben, eine recht gründliche Kur mit sich vorzunehmen und sich von einer Bürde zu entladen, die so lange schwer auf ihrer Seele gelegen, alle Gedanken von Geistern überhaupt auf einmal verwerfen und so in das andere Äußerste verfallen, das noch weit schlimmer ist.

§ 192. Der Grund, warum ich wünschte, daß man die Kenntnis der Geister vor dem Studium der Körper vorangehen und die Gemüter junger Leute erst die Lehren der Schrift sich recht einprägen ließe, ehe man sie mit Naturphilosophie bekannt machte – ist: weil die Materie ein Ding ist, mit welchem unsere Sinne beständig zu schaffen haben und deswegen so leicht von der ganzen Seele Besitz nimmt und alle andere Wesen außer der Materie ausschließt, daß das Vorurteil, auf einen solchen Grund gebaut, öfters der Zulassung der Geister oder dem Eingeständnis, daß es überhaupt solche Dinge als unkörperliche Wesen in rerum natura In der Natur der Dinge«, d. h. in der Welt. In der Tat, ein sonderbarer Grund! Sollte es wirklich jemals einen einzigen Menschen gegeben haben, der das Dasein einer Geisterwelt deswegen leugnete, weil man ihn erst mit der Körperwelt bekannt zu machen suchte? Ich zweifle sehr. – Anm. Campes im Revisionswerke. gebe, keinen Raum läßt: ungeachtet es sehr einleuchtend ist, daß aus der bloßen Materie und Bewegung nicht eine einzige von den Haupterscheinungen der Natur erklärt werden kann. Man nehme z. B. nur die so alltäglichen Erscheinungen der Schwerkraft, welche sich meiner Meinung nach unmöglich aus einer natürlichen Wirkung der Materie oder irgendeinem Gesetz der Bewegung, sondern allein aus dem unmittelbaren Willen eines höheren Wesens, das alles dies so ordnet, erklären lassen. Und weil ferner die Sündflut nicht füglich erklärt werden kann, ohne etwas außer dem gewöhnlichen Laufe der Natur zuzulassen, so überlege man, ob die Voraussetzung, daß Gott den Schwerpunkt in der Erde auf eine Zeitlang verlegt habe (eine Sache, die nicht unbegreiflicher ist als die Schwerkraft selbst, und die vielleicht durch eine kleine Veränderung von wirkenden Ursachen, die wir nicht kennen, bewerkstelligt werden könnte), die Flut Noahs nicht besser erklärt, als jede andere Hypothese, die man zur Auflösung des Rätsels gebraucht hat. Der Haupteinwurf hiergegen ist, daß dadurch bloß eine partiale Flut entstehen würde. Gibt man aber die Verlegung des Schwerpunkts einmal zu, so ist es nicht mehr schwer zu begreifen, daß die göttliche Macht den Schwerpunkt, nachdem sie ihn einmal in eine gewisse Entfernung von dem Mittelpunkt der Erde verlegt, während eines bestimmten Zeitraums, rund um diesen Mittelpunkt herumführen könne, wodurch die Flut sogleich allgemein werden würde und alle Erscheinungen der Sündflut, so wie sie Moses erzählt, auf eine viel leichtere Weise erklärt wären als durch alle die schwerfälligen Hypothesen, die man zur Erklärung der Sache gebraucht hat. Doch es ist hier nicht der Ort, diesen Gedanken auszuführen; auch habe ich ihn nur beiläufig erwähnt, um zu zeigen, daß man bei Erklärung der Naturerscheinungen notwendig zu etwas Mehrerem als der bloßen Materie und deren Bewegung seine Zuflucht nehmen muß. Hierzu nun sind die Begriffe von Geistern und ihrer Macht, so wie sie die Bibel uns gibt, worin ihren Wirkungen so viel zugeschrieben wird, eine schickliche Vorbereitung; die vollständigere Erklärung dieser Hypothese und ihre Anwendung auf alle Erscheinungen bei dieser Flut und alle Schwierigkeiten, die in der Geschichte derselben, so wie sie in der Schrift erzählt ist, vorkommen, erspare man auf eine schicklichere Gelegenheit.

§193. Um aber zum Studium der Naturphilosophie zurückzukehren, obgleich die Welt mit Systemen davon angefüllt ist, so kann ich doch nicht sagen, daß ich eines kennte, welches einem jungen Mann als eine Wissenschaft vorgetragen werden könnte, worin er Wahrheit und Gewißheit fände; denn das ist es doch, was jede Wissenschaft von sich erwarten läßt. Ich folgere daraus nicht, daß keines von allen gelesen werden müsse, vielmehr ist es in unserem jetzigen gelehrten Zeitalter notwendig, daß ein Mann von Stande mit einigen derselben bekannt sei, damit er im Umgange seine Rolle spielen könne. Übrigens mag man ihm das System des Cartesius, weil es am meisten im Gebrauch ist, in die Hände geben, oder wenn man will, ihm lieber eine kurze Übersicht von diesem und einigen anderen Systemen verschaffen, so halte ich dafür, daß alle die Systeme von Naturphilosophie mehr auf unserer Halbkugel bekannt geworden, welche deswegen gelesen werden müssen, damit man die Hypothesen und die Kunstsprache der verschiedenen Sekten und ihren Gang im Denken kennen lerne, als weil man hoffen dürfte, dadurch etwas begreiflich Zusammenhängendes und Befriedigendes von den Werken der Natur zu lernen. Doch das läßt sich behaupten, daß die neueren Korpuskularier Anhänger der Atomistik, die Korpuskula (Körperchen) als letzte Bestandteile der Dinge annimmt. über die meisten Gegenstände verständlicher reden als die Peripatetiker, Anhänger des Aristoteles. welche unmittelbar vor ihnen die Schulen in Besitz hatten. Wer noch weiter zurückgehen und sich mit den philosophischen Meinungen der Alten bekannt machen will, der lese Dr. Cudworths Intellectual System, 1678 erschienen. worin der sehr gelehrte Verfasser mit so viel Genauigkeit und richtiger Beurteilung die Meinungen der griechischen Philosophen gesammelt und. auseinandergesetzt hat, daß man hier besser als in irgendeinem anderen mir bekannten Buche sehen kann, auf welche Grundsätze sie ihre Meinungen gebaut, und welches die vornehmsten Hypothesen gewesen, wodurch sie sich voneinander unterschieden. Doch ich möchte keinen deswegen von Untersuchung der Natur abschrecken, weil alle Kenntnis, die wir davon haben oder möglicherweise erlangen können, nie in ein wissenschaftliches System gebracht werden kann. Es gibt viele Dinge darin, deren Kenntnis einem Manne von Stande nützlich und notwendig ist, und viel andere, die den Fleiß der Wißbegierigen mit ebensoviel Vorteil als Vergnügen reichlich belohnen werden. Doch dergleichen Dinge wird man mehr bei solchen Schriftstellern finden, die sich damit beschäftigt haben, vernünftige Versuche und Erfahrungen zu machen als in strotzenden bloß spekulativen Systemen. Solche Schriften also als viele der Boylischen R. Boyle, englischer Naturforscher (1626–91). und anderer, die über Haushaltung, Pflanzen- und Gartenbau und dergleichen mehr geschrieben haben, werden einem Manne nützlich sein, wenn er sich vorher mit einigen der herrschenden philosophischen Systeme ein wenig bekannt gemacht hat.

§ 194. Obgleich die Systeme der Physik, die mir vorgekommen sind, wenig Aufmunterung geben, uns nach Gewißheit und wissenschaftlicher Erkenntnis in irgendeiner Abhandlung umzusehen, die einen Lehrbegriff der Naturphilosophie von den ersten Bestandteilen der Körper überhaupt zu geben vorspricht, so hat doch der unvergleichliche Newton gezeigt, wie weit die Mathematik, auf einige Teile der Natur angewandt, weil sie auf Grundsätzen beruht, die durch Erfahrungen bestätigt werden, uns in der Kenntnis einiger Provinzen (wenn ich so sagen darf) des großen unbegreiflichen Weltalls bringen könne. Und wenn andere uns ebenso richtige und deutliche Begriffe von anderen Teilen der Natur verschaffen könnten, als er uns von unserer Planetenwelt und den merkwürdigsten darin wahrzunehmenden Erscheinungen in seinem bewundernswürdigen Buche Philosophiae naturalis principia mathematica »Die mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie« von dem großen Mathematiker und Physiker Isaac Newton (1642–1727). gegeben hat, so dürften wir hoffen, mit der Zeit eine richtigere und zuverlässigere Kenntnis von verschiedenen Teilen dieser erstaunlichen Maschine zu erhalten, als wir bis jetzt erwarten durften. Und wenn gleich wenig Menschen mathematische Kenntnisse genug besitzen, um seine Beweise zu verstehen, so verdient doch sein Buch, weil diese Beweise den Beifall der größten Mathematikverständigen für sich haben, gelesen zu werden, und es wird eine ebenso belehrende als angenehme Unterhaltung für solche Leser sein, welche gern etwas von den Bewegungen, Eigenschaften und Wirkungen der großen Massen von Materie in diesem unserem Sonnensystem verstehen möchten, wofern sie nur seine Resultate recht überlegen wollen, auf welche man sich als auf gehörig erwiesene Sätze vollkommen verlassen kann.

§ 195. Dies ist in kurzem, was ich von den Studien der Jugend unter den höheren Volksklassen zu sagen hatte. Man wird sich vielleicht wundern, daß ich dabei das Griechische nicht erwähnt habe, obwohl der Ursprung und der Grund aller europäischen Literatur unter den Griechen zu suchen ist. Dies ist freilich wahr; und ich gestehe auch, daß man für keinen förmlichen Gelehrten passieren könne, wenn man in dieser Sprache unwissend ist. Allein mein Zweck war nicht von der Erziehung eines eigentlichen Gelehrten, sondern bloß der Jugend unter den höheren Ständen überhaupt zu handeln, und dieser wird nach dem jetzigen Weltlauf nur das Französische und Lateinische für unentbehrlich gehalten. Hat der Jüngling von der letzteren Klasse alsdann noch Lust, seine Studien weiterzutreiben und sich in der griechischen Literatur umzusehen, so kann er sich die Kenntnis dieser Sprache leicht selbst erwerben. Hat er aber keine Neigung dazu, so wird das, was er beim Hauslehrer davon lernt, ebenso vergeblich und verloren sein, als die Zeit und Mühe, die er darauf wendet, weil er es, sobald er sich selbst überlassen ist, vernachlässigt und nicht mehr daran denkt. Denn wieviel unter hundert mögen deren wohl sein, selbst die Gelehrten nicht ausgenommen, welche das behalten, was sie in der Schule vom Griechischen gelernt haben, oder die es so weit bringen, daß sie die griechischen Autoren ohne Mühe lesen und vollkommen verstehen können?

Ich beschließe diesen Abschnitt vom Unterricht mit der Erinnerung, daß der Erzieher nie vergessen sollte, sein Amt sei nicht, dem Zögling alles Wißbare zu lehren, sondern nur Liebe und Wertschätzung zu den Wissenschaften in ihm rege zu machen und ihm die rechte Methode zu zeigen, wie er sie studieren und sich selbst darin vervollkommnen könne, wenn er Lust dazu hat. Ich will dem Leser nur noch die Gedanken eines scharfsinnigen Schriftstellers über das Sprachstudium mitteilen und zwar soviel wie möglich in seinen eigenen Ausdrücken. »Man kann« sagt er, La Bruyère, Caractères, chap. XIV. de quelques Usages. Tom. II. p. 222 (Edit d'Amst. 1743). »nicht leicht ein Kind zu viel Sprachen lernen lassen, und man sollte, wie mich dünkt, allen Fleiß anwenden, ihm dieselben beizubringen. Sie sind dem Menschen unter allen Umständen nützlich und setzen ihn instand, sich nach Gefallen eine tiefe oder eine bloß angenehme und leichte Gelehrsamkeit zu verschaffen. Will man dieses mühsame Studium bis auf reifere Jahre über die Jugend hinaus verschieben, so fehlt es alsdann entweder an Kraft, um sich aus eigener Wahl dazu zu entschließen oder an Beharrlichkeit, um dabei auszudauern; gesetzt aber auch, man beharret dabei, so wird diejenige Zeit auf Erlernung der Sprachen verschwendet, die eigentlich bestimmt ist, Gebrauch davon zu machen. Man bringt das Alter beim Wörterstudium zu, in welchem man schon weitere Fortschritte machen und sich mit Sachen beschäftigen sollte; wenigstens gehen auf die Art die ersten und besten Jahre unseres Lebens verloren. Ein so weitläufiger Schatz läßt sich füglich nur in dem Alter sammeln, wo alles sich dem Geist ohne Mühe und tief eindrückt, das Gedächtnis noch frisch, lebhaft und treu ist, Verstand und Herz noch von keinen Leidenschaften, Sorgen und Begierden beunruhigt werden, und diejenigen, von welchen man abhängt, uns zu anhaltenden Arbeiten antreiben. Daß die Anzahl der wirklich geschickten Leute so klein, und die Menge der Halbgelehrten so groß ist, rührt, wie ich überzeugt bin, bloß daher, daß man diese Bemerkungen auszuüben vergißt.«

Ich glaube, ein jeder wird diesem scharfsichtigen Verfasser darin recht geben, daß das Sprachstudium eigentlich nur für die ersten Jahre gehört. Es ist aber die Pflicht der Eltern und Erzieher, wohl zu überlegen, was für Sprachen das Kind zu lernen hat. Denn man muß gestehen, daß es Zeitverlust und vergebliche Mühe ist, eine Sprache zu lernen, wovon man bei der Lebensart, der man sich widmet, wahrscheinlich nie Gebrauch machen wird, oder wovon nach dem Charakter des jungen Menschen vorauszusehen ist, daß er sie gänzlich vernachlässigen und beiseite setzen werde, sobald er bei Annäherung der männlichen Jahre seinen Führer verläßt und seinen eigenen Neigungen folgen kann. Diese lassen ihm insgemein keine Zeit zum weiteren Studium gelehrter Sprachen übrig; er bildet sich höchstens nur noch in derjenigen, welche der tägliche Gebrauch oder irgendein anderes Bedürfnis ihm unentbehrlich macht.

Doch um derer willen, die eigentliche Gelehrte werden wollen, will ich noch anführen, was derselbe Verfasser zur Unterstützung der bereits angeführten Bemerkung hinzufügt. Denn es verdient von allen, die nach wahrer Gelehrsamkeit streben, wohl beherzigt zu werden. Lehrer sollten daher diese Bemerkungen ihren Schülern vorzüglich einschärfen und sie ihnen als eine Richtschnur hinterlassen, um ihre ferneren Studien danach einzurichten. »Das Studium der Grundtexte« sagt er, »kann nie zu sehr empfohlen werden; es ist der kürzeste, sicherste und angenehmste Weg Zu jeder Gattung von Gelehrsamkeit. Man nehme die Sachen aus der ersten Hand, schöpfe aus der Quelle selbst, man studiere den Text zu wiederholten Malen, lerne ihn auswendig, schlage ihn bei Gelegenheit wieder nach und bemühe sich insonderheit, den wahren Sinn in seinem ganzen Umfange und mit Rücksicht auf dm ganzen Zusammenhang recht zu ergründen. Man vergleiche das Original mit sich selbst, suche die Grundsätze des Verfassers genau zu bestimmen und leite selbst die Folgerungen davon ab. Die ersten Ausleger sind gerade in derselben Lage gewesen, in die ich wünschte, daß jeder Studierende sich versetzen möchte. Er borge daher das Licht nicht von ihnen und ziehe nur dann ihre Meinung zu Rate, wenn seine eigene Einsicht nicht hinreicht. Ihre Erklärungen sind nicht die seinigen und können ihm daher leicht entgehen. Seine eigenen Bemerkungen hingegen entstehen in seinem eigenen Verstande, bleiben besser haften, und er findet sie bei der Unterredung, oder wenn er befragt wird, leichter wieder. Man gewähre sich das Vergnügen, zu sehen, daß man nur dann durch unüberwindliche Schwierigkeiten beim Lesen aufgehalten wird, wo die Ausleger und Scholiasten Erklärer und Herausgeber griechischer und lateinischer Schriftsteller. selbst nicht fortkönnen, so wortreich sie sonst sind, und oft bei Stellen, die weder ihnen selbst noch anderen Mühe machen, sich mit einem eitlen Wust von Gelehrsamkeit brüsten. Überzeugt euch endlich durch diese Art zu studieren, daß nur durch die Trägheit der Menschen die Pedanterie aufgemuntert worden, die Bibliotheken mehr zu vergrößern als zu bereichern und den Text unter einem Schwall von Kommentarien zu ersäufen, und daß sie dergestalt sich selbst und ihren eigenen Wünschen gerade entgegengehandelt habe, indem eben dadurch das Nachlesen, Untersuchen und die Arbeit, die man zu vermindern suchte, gehäuft worden ist.«

Obgleich diese Bemerkungen nur Gelehrte von Profession anzugehen scheinen, so sind sie doch in Hinsicht auf die rechte Einrichtung ihrer Erziehung und Studien so wichtig, daß man hoffentlich mich nicht tadeln wird, sie hier eingerückt zu haben, besonders da sie auch jedem anderen Jünglinge unter den höheren Volksklassen nützlich werden können, wenn er einst Lust bekommt, tiefer unter die Oberfläche einzudringen und sich gründliche, befriedigende und meisterhafte Einsichten in der Literatur zu erwerben.

Ordnung und Beharrlichkeit bestimmen, wie man sagt, den großen Unterschied zwischen Menschen und Menschen. Wenigstens bin ich versichert, daß nichts die Bahn eines Gelehrten mehr ebnet, ihn weiter bringt und seine Fortschritte erleichtert als eine gute Methode. Sein Lehrer sollte sich daher alle Mühe geben, ihn hiervon zu überzeugen, ihn zur Ordnung gewöhnen und ihm bei allen Geistesbeschäftigungen eine gute Methode beibringen, ihm das Wesen und die Vorteile derselben zeigen und ihn mit den verschiedenen Gattungen derselben bekannt machen, indem man bald vom Allgemeinen zum Besonderen, bald vom Besonderen zum Allgemeinen fortschreitet. Er sollte ihn daher in beiden üben und zugleich ihm Anleitung geben, in welchen Fällen die eine oder die andere Methode vorzuziehen sei, und was für Zwecke dadurch am besten befördert werden.

In der Geschichte muß man der Zeitordnung folgen, bei philosophischen Untersuchungen aber der Natur selbst. So wie man nämlich, um an einen entfernten Ort zu gelangen, sich zuvor in den zunächstgelegenen begeben muß, so muß auch der Geist bei Erweiterung der Erkenntnis immer nur allmählich von der Stufe, auf der er sich befindet, zu der nächstangrenzenden, die unmittelbar mit der vorigen zusammenhängt, fortschreiten, um das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Je mehr also der einzelnen einfachen Teile sind, in die sich die vorliegende Materie zerlegen läßt, desto besser. In dieser Rücksicht wird es sehr gut sein, den Zögling im genauen Distinguieren Unterscheiden ähnlicher oder verwandter Begriffe. zu üben, damit er sich von Gegenständen, bei denen man wesentliche Unterschiede entdecken kann, bestimmte Begriffe erwerbe. Von der anderen Seite aber muß man ihn ebenso sorgfältig Distinktionen vermeiden lehren, die bloß auf Worten, nicht aber auf deutlichen oder wirklich verschiedenen Begriffen beruhen.


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