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Sechster Abschnitt.
Liebhabertheater

Goethe's segensreicher Einfluß auf den Herzog; seine Versuche, das Weimar'sche Volk zu heben. Popularität der Liebhaber-Theater. Aufführungen unter stetem Himmel. Darstellung von »Minerva's Geburt, Leben und Thaten.« Goethe's Operette »die Fischerin«. Vermischte Darstellungen. Aufführung der »Iphigenia«. Goethe als Schauspieler. Allgemeine Vergnügungen und Beschäftigungen.

»Mag mein jetziges Leben (schrieb Goethe im Januar 1777 an Lavater) so lange währen als es will, so habe ich doch ein Musterstückchen des bunten Treibens der Welt recht heimlich mitgenossen. Verdruß, Hoffnung, Liebe, Arbeit, Noth, Abenteuer, Langeweile, Haß, Albernheiten, Thorheit, Freude, Erwartetes und Unversehenes, Flaches und Tiefes, wie die Würfel fallen, mit Festen, Tänzen, Schellen, Seide und Flitter ausstaffirt, es ist eine treffliche Wirthschaft. Und bei Allem, lieber Bruder, Gott sei Dank in mir und meinen wahren Endzwecken ganz glücklich.«

»Goethe spielt allerdings groß Spiel in Weimar (schrieb Merck), lebt aber doch am Hofe nach seiner eigenen Sitte. Der Herzog ist, man mag sagen, was man will, ein trefflicher Mensch und wird's in seiner Gesellschaft noch mehr werden. Alles, was man aussprengt, sind Lügen der Hofschranzen. Es ist wahr, die Vertraulichkeit geht zwischen Herrn und Diener weit; allein was schadet das? Wär's ein Edelmann, so wär's in der Regel. Goethe gilt und dirigirt Alles, und jedermann ist mit ihm zufrieden, weil er Vielen dient und Niemandem schadet. Wer kann der Uneigennützigkeit des Menschen widerstehen?«

Seine Gegenwart war bereits in geschäftlichen Verhältnissen fühlbar geworden; nicht nur, sofern sein fürstlicher Freund sich unter seinen Einflüssen bildete, sondern auch in praktischen Maßregeln. Er hatte den Herzog veranlaßt, Herder als Hofprediger und Generalsuperintendenten nach Weimar zu berufen; was in Weimar wieder Anlaß zu Mißstimmung und Klatschereien gab, indem man erzählte, Herder habe die Kanzel gestiefelt und gespornt bestiegen. Nicht zufrieden damit, auf die höheren Kreise einzuwirken, suchte Goethe auch die Lage des Volks zu verbessern und entwarf unter anderm einen Plan zur Wiedereröffnung der Bergwerke bei Ilmenau, an die man seit Jahren nicht gedacht hatte.

Die Vergnügungen gingen mit den Geschäften Hand in Hand. Von besonderem Interesse unter den ersteren ist das Liebhabertheater, welches bald nach seiner Ankunft eingerichtet wurde. Das Weimarsche Schauspielhaus war 1774 durch einen Brand zerstört worden; Seyler war mit seiner Truppe weggezogen, und die Stadt befand sich ganz ohne Bühne. Gerade damals aber war die »Wuth« der Liebhabertheater auf dem Gipfel. In Berlin, Dresden, Frankfurt, Augsburg, Nürnberg und Fulda waren gefeierte Liebhabertruppen. In Würzburg trug eine hochadlige Gesellschaft den Kothurn; in Eisenach nahmen Fürst und Hof an den Darstellungen Theil. Selbst die Universitäten, die früher aus religiösen Gründen gegen das Drama geeifert hatten, vergaßen jetzt ihre Feindschaft und erlaubten den Studenten in Wien, Halle, Göttingen und Jena theatralische Aufführungen.

Die Weimarsche Bühne überflügelte alle. Sie hatte ihre Dichter, wie Goethe und Einsiedel, ihre Componisten, ihre Decorationsmaler, ihre Costümschneider. Wer irgend ein Talent für Gesang, Deklamation oder Tanz zeigte, ward herangezogen und mußte mitwirken, wie wenn er sich sein Brot damit verdienen sollte. Die fast täglich vorkommenden Proben der Schauspiele, Opern und Ballete unterhielten und erheiterten Männer und Frauen, die froh waren, auch einmal etwas zu thun zu haben. Die Truppe war ausgesucht: die Herzogin Amalie, Karl August, Prinz Constantin, Bode, Knebel, Einsiedel, Musäus, Seckendorff, Bertuch und Goethe, nebst Corona Schröter, Kotzebue's Schwester Amalie und Fräulein Göchhausen. Sie bildeten zusammen eine wunderbare wandernde Gesellschaft, die von Weimar aus nach allen Schlössern in der Umgegend – nach Ettersburg, Tiefurt, Belvedere, selbst nach Jena, Ilmenau und Dornburg zog. Wenn die Truppe sich in Bewegung setzen wollte, erhielt Bertuch, wie Falk berichtet, noch ganz spät den Befehl, mit Tagesanbruch die Packesel oder den Küchenwagen bereit zu halten. War nur ein kleiner Ausflug beabsichtigt, so genügten drei Küchenesel; ging's aber weiter über Berg und Thal, in die Ferne, da gab es die Nacht genug zu schaffen, und alle herzoglichen Töpfe und Pfannen waren in Bewegung. Welch ein Kochen und Sieden und Braten und Schmoren! welch ein Gemetzel unter den Hühnern, Tauben und Kapaunen! Die Ilmteiche wurden nach Fischen durchstöbert, die Felder nach Rebhühnern, die Keller mußten ihre Weine hergeben. Mit Sonnenaufgang ritt die lustige Schaar fort, voll übermüthiger Lebenslust und reizender Aussichten. Fort ging es, durch Einsamkeiten, deren uralte Riesenbäume nur den über ihren Wipfeln ruhenden Falken oder das scheu an der Hütte des Köhlers vorüberspringende Reh zu erblicken pflegten. Fort ging es: Jugend, Schönheit, Heiterkeit, Hoffnung, ein glänzender Zug, gleich dem im Ardennerwald, wo der ernste Herzog und seine Begleiter die Sorgen und den »gemalten Pomp« der Welt »im Schatten schwermuthsvoller Wipfel« zu vergessen suchten.

Die Bühne war schnell genug hergestellt. Bei Ettersburg sind noch die Spuren der Waldbühne zu sehen, wo bei günstigem Wetter gespielt wurde. Auch ein Flügel des Schlosses war zum Theater eingerichtet. Aber Vorstellungen unter freiem Himmel waren am beliebtesten. Zu den Proben und Aufführungen in Ettersburg wurden die Schauspieler, oft nicht weniger als zwanzig an der Zahl, in herzoglichen Wagen befördert, und am Abend, nach einem fröhlichen Schmause, der oft durch Gesänge belebt ward, begleiteten die Husaren der herzoglichen Leibwache sie mit Fackeln zurück. Da gab man Einsiedels Oper »die Zigeuner,« mit überraschender Lebenswahrheit. Scenen aus dem Götz wurden eingeflochten. Die erleuchteten Bäume, die Zigeunergruppen im Gehölz, die Tänze und Gesänge unter dem Sternenhimmel, zu denen von fern das Waldhorn erklang, gaben ein Bild, dessen magische Wirkung unvergeßlich war. Auch an der Ilm bei Tiefurt, gerade an der Stelle, wo der Fluß eine anmuthige Krümmung macht, hatte man ein förmliches Theater geschaffen. Natürliche Gegenstände, wie Bäume, Fischer, Nixen, Wassergeister, Mond und Sterne, wurden hier mit dem glücklichsten Erfolge zum Mitspielen verwendet.

Der Inhalt der Darstellungen war eben so verschieden wie die Schaubühnen: zuweilen gab man französische Lustspiele, manchmal ernste Kunstwerke, oft übermüthige Possen. Gelegentlich spielte man Charaden, wobei der Plan vorher bestimmt war, der Dialog aber der Eingebung des Augenblicks überlassen blieb. Einst wurde ein Schauspieler, wie das beim Improvisiren vorkommt, zu wortreich und blieb nicht bei der Sache, da stürzten andere auf die Bühne, schleppten ihn mit Gewalt hinweg und benachrichtigten die Zuschauer (wie wenn es zum Stücke gehörte), er sei plötzlich unwohl geworden. Wir besitzen noch die Umrisse eines Zauberspiels »Minerva's Geburt, Leben und Thaten,« das zu Goethe's Geburtstage verfaßt wurde. Es war ein großartiges Schaustück, mit Musik von Seckendorff. Die Charaktere wurden nicht, wie man glauben sollte, durch Puppen, sondern durch Herren und Damen dargestellt. Die Bühne war das sogenannte kleine Colosseum bei Tiefurt, an dessen Stelle früher eine einsame Waldhütte stand. Bei der Aufführung ward jeder Kunstgriff angewandt, um die Wirkung zu erhöhen; die Gestalten bewegten sich als Silhouetten hinter einem durchsichtigen weißen Vorhange. Es war dieselbe Art von Schauspiel, wie es Chiron seinem Zöglinge Achill zum Besten gab; »zitternde Schatten« nennen es die Alten, die Neuern »chinesische Schattenspiele.« Sie waren in dieser Zeit vom Herzoge Georg von Meiningen in Weimar eingeführt worden und standen außerordentlich in Gunst.

Der Inhalt des Tiefurter Stücks ist merkwürdig: Jupiter (Maler Kraus, mit kolossalem Pappenkopf) hat die Metis verschlungen, um die Weissagung zu vereiteln, daß ihr Kind ihn vom Throne stoßen werde. In Folge dessen hat er entsetzliche Kopfschmerzen; Ganymed, der hinter ihm auf einem Adler sitzt, reicht ihm die Nektarschale; indeß, die Qualen des Donnerers nehmen sichtlich zu, und Ganymed erhebt sich in die Lüfte, um Aeskulap und Vulkan zu holen. Aeskulap versucht die Heilung vergebens. Ein herbeigerufener Cyklop bewirkt ein Nasenbluten, aber ohne Erfolg. Nun kommt der mächtige Vulkan (den der Herzog selbst darstellte); mit dem Schurzfell umgürtet, in der einen Hand seinen Hammer, in der andern eine große Eisenstange, tritt er an seinen leidenden Vater heran und zersplittert mit einem gewaltigen Hammerschlage den göttlichen Schädel, aus dem Minerva, die Göttin der Weisheit (Corona Schröter), hervortritt, zuerst ganz klein, aber durch künstliche Vorrichtung rasch heranwachsend, bis endlich ihre ganze hohe Gestalt, von leichter Gaze umhüllt, dasteht. Vater Zeus empfängt sie aufs herzlichste, und alle Götter bringen ihr reiche Geschenke dar. Sie empfängt den Helm, die Aegis und den Speer, Ganymed setzt ihr die Eule zu Füßen, und unter Musik und Chorgesang fällt der Vorhang.

Im dritten und letzten Akt war der Dichter von der mythischen Ueberlieferung abgewichen. Die neugeborne Göttin liest im Buche des Schicksals und findet da den 28. August als einen der glücklichsten Tage angezeichnet. Vor dreiunddreißig Jahren, sagt sie, ward an ihm ein Mann geboren, den die Welt als einen der weisesten und besten verehren wird. Darauf erscheint ein geflügelter Genius in den Wolken und trägt Goethe's Namenszug. Minerva bekränzt ihn und verleiht ihrem Lieblinge unter andern Geschenken die goldene Leier Apolls und den Blumenkranz der Musen. Nur die Peitsche des Momus, auf der das Wort »Vögel« steht, wird von der Göttin weggeworfen, während die Namen Iphigenie und Faust in Transparentfeuer in den Wolken erscheinen. Zum Schluß tritt Momus wohlgemuth vor und überreicht dem Dichter das verworfene Zeichen seiner Gunst.

Das war die Eröffnung und Einweihung des neuen Tiefurter Hoftheaters. Es ist klar, daß das Stück nur den Zweck hatte, den Geburtstag Goethe's, als des Direktors der Gesellschaft, zu feiern; seine Anlage giebt uns keinen ungünstigen Begriff von dem Talent und der Sorgfalt, die auf diese Unterhaltungen verwandt wurden. Bezeichnend übrigens ist es, daß, wenn Goethe zum Geburtstag der Herzogin Feste veranstaltete, Weimar seinerseits den Geburtstag Goethe's mit Festen verherrlichte.

Ein anderes beliebtes Zauberstück war König Midas, das in Amaliens Briefen an Knebel vom Jahre 1781 erwähnt wird. Doch am bekanntesten unter den für Tiefurt bestimmten Dramen ist Goethe's Singspiel, die Fischerin, aus dem Sommer 1782. Der allerliebste Text, den der Erlkönig eröffnet, ist in Goethe's Werken enthalten. Das Stück ward im Tiefurter Parke gespielt, zum Theil am Ufer der Ilm in der Nähe der Brücke, zum Theil auf der Ilm selbst, die mit zahlreichen Fackeln und Lampen erhellt war. Unter hohen Erlen am Flusse standen Fischerhütten verstreut; dazwischen Netze, Boote und sonstiges Geräth. Auf dem Heerde Dorothea's (es war Corona Schröter) brannte Feuer. In dem Augenblicke, wo die zusammenberufenen Fischer ihre Fackeln und Besen anzündeten und sich theils in die Boote, theils am Ufer entlang zerstreuten, um das verloren geglaubte Mädchen zu suchen, erschienen die Hügel, die sich zur Ilm hinab ziehen, plötzlich in glänzender Beleuchtung, die alle nahen Gegenstände bestrahlte und sich im Wasser abspiegelte, während die entfernteren Baumgruppen und Höhen im tiefsten Dunkel lagen. Die Zuschauer hatten sich sehr zahlreich versammelt, und da sie sich auf der hölzernen Brücke zusammendrängten, um das magische Spiel der Lichter auf dem Wasser zu beobachten, so brach die Brücke unter der Last, und die eifrigen Bewunderer fielen in den Fluß. Es wurde indeß niemand beschädigt. Man lachte herzlich über das unfreiwillige Bad, und der Unfall ward als ein spaßhaftes Zwischenspiel angesehen.

Bei der Aufführung von Aristophanes' Vögeln in Ettersburg waren alle Schauspieler in wirkliche Federn gekleidet und trugen vollständige bewegliche Vogelmasken. Sie schlugen mit den Flügeln, rollten mit den Augen und parodirten die Natur auf die lächerlichste Weise. Es gab indeß neben diesen Tollheiten und Schattenspielen auch Aufführungen von völlig ernsthaftem Charakter; so stellte man Goethe's »Mitschuldige« mit folgender Besetzung dar:

Alcest
Goethe,
Söller
Bertuch,
Der Wirth
Musäus,
Sophie
Corona Schröter.

Als der Leipziger Student das Lustspiel schrieb, ließ er sich wohl schwerlich träumen, daß er es einst am Hofe zu Weimar spielen würde! Ebenso führte man »die Geschwister« auf, die Goethe im Laufe dreier Abende, wie es heißt, aus Bewunderung für Amalie Kotzebue, die Schwester des damals ganz jungen Dramatikers, verfaßt hatte. Wie Kotzebue erzählt, übernahm Goethe den Wilhelm, seine Schwester die Marianne, und ihm selbst war die Rolle des Postillons zugefallen, in der er mit nicht geringem Stolze zum erstenmal vor dem Publikum auftrat. Noch ein anderes Stück war Cumberland's »Westindier«, worin der Herzog den Major O'Flaherty, der große Eckhoff den Vater und Goethe den Belcour gab; der letztere sah, wie es heißt, im weißen Rock mit Silbertressen, blauseidener Weste und blauseidenen Hosen zum Entzücken aus.

Ich darf bei dieser Aufzählung die damals erst in Prosa vorhandene Iphigenie nicht übergehen. Hier war die Besetzung:

Orest
Goethe,
Pylades
Prinz Constantin,
Thoas
Knebel,
Arkas
Seidler,
Iphigenie
Corona Schröter.

»Nie werde ich den Eindruck vergessen,« schreibt Hufeland, »den Goethe als Orestes im griechischen Costüm in der Darstellung seiner Iphigenie machte; man glaubte einen Apollo zu sehen. Noch nie erblickte man eine solche Vereinigung physischer und geistiger Vollkommenheit in einem Manne, als damals an Goethe.« Sein Spiel hatte, so viel ich ersehe, die gewöhnlichen Fehler eines Dilettanten; es war ungestüm und doch steif, übertrieben und doch kalt; er entfaltete seine schöne klangreiche Stimme ohne Rücksicht auf die Feinheiten der bewegten Empfindung. Dagegen scheint er in komischen Rollen vortrefflich gewesen zu sein; je derber der Spaß, je wohler fühlte er sich dabei; und man kann sich seinen ganzen behaglichen Uebermuth im »Jahrmarkt von Plundersweilern« oder in der tollen Posse »die geflickte Braut« vorstellen Sie ward in gemilderter Form als »Triumph der Empfindsamkeit« veröffentlicht. Man sehe das nächste Kapitel., in der er seinem Spott über die Empfindsamkeit des Zeitalters Luft machte, seinen eigenen Werther verhöhnte und Jacobi's Woldemar unbarmherzig geißelte. Jacobi sowohl als Wieland waren über seine Verunglimpfung ihrer Schriften höchlich entrüstet; doch ließen sie sich bald wieder versöhnen.«

Ich habe die vereinzelten Nachrichten über diese theatralischen Hergänge ohne Rücksicht auf die Jahreszahlen neben einander gestellt. Welche Fülle von Genuß gewährten sie! welche angenehme gesellige Beschäftigung! welche endlose Unterhaltung bei Tisch in späteren Zeiten! Auch blieben sie nicht ohne Gewinn. Wilhelm Meister ward in dieser Zeit entworfen und zum Theil geschrieben; und wenn man an Goethe's Neigung denkt, überall seine eigenen Erlebnisse zu gestalten, so wird man sich weder über den Reichthum von theatralischen Erfahrungen, den das Werk enthält, noch über den Ernst verwundern, der unter der Leichtfertigkeit verborgen liegt und vermöge dessen sich eine Darstellung, die nur dem Geschmack der Masse zu schmeicheln scheint, als ein Entwicklungsgang zur vollendetsten Bildung offenbart.

Schweinsjagd am frühen Morgen, ministerielle und diplomatische Sitzungen gegen Mittag, Proben am Nachmittag, groteske Serenaden oder Schlittschuhlauf bei Fackelschein am Abend – so gingen viele Tage hin; noch abgesehen von Bällen, Maskeraden, Concerten, Liebschaften und Gedichten. Die Muse war im Ganzen ziemlich schweigsam, obwohl Hans Sachsens poetische Sendung, Lila, einige reizende Lieder und die kleinen Gelegenheitsdramen gegen die Anklage des Müssiggangs Einspruch erheben. Goethe speicherte Stoff für die Zukunft auf. Faust, Egmont, Tasso, Iphigenie und Wilhelm Meister wuchsen heran.

Die Muse schwieg; aber war des Dichters Geist darum unthätig? War er bei den wundersamen und mannigfachen Scenen, die sich um ihn bewegten, nur Mitspieler und nicht auch Zuschauer? Seine Werke müssen darauf Antwort geben. Allerdings hat es manchem geschienen, daß Goethe, indem er seine mächtigen Fähigkeiten zu unbedeutenden Opern und Festspielen verwendete, seiner Sendung und seinem Genius untreu geworden sei. Es wiederholt sich darin der Vorwurf Mercks gegen den Clavigo, und die Erwiderung ist ebenfalls dieselbe, wie sie da gegeben wurde. Herder meinte, der Auserwählte müsse sich auch nur mit großen Werken beschäftigen. Dies ist die pedantische Auffassung eines Schriftstellers, der nicht begreift, daß es auch noch andere Zwecke geben kann, als die Hervorbringung großer Werke. Goethe hatte das Bedürfniß zu leben und nicht bloß zu schreiben. Das Leben erweitert sich zur Unendlichkeit durch Gefühl und Erkenntniß. Er wollte fühlen und erkennen. Die großen Werke, die er seitdem vollendet hat, – Schöpfungen, gewaltig im Entwurf, von strenger Großheit in der Ausführung, die Früchte ernster Arbeit und einsamer Abschließung, – sollten ihn jetzt wohl gegen jeden Vorwurf schützen, als habe er seine Zeit mit Nichtigkeiten vergeudet, wenn auch Herder und Merck sich nicht zu diesem Gesichtspunkt erheben konnten.

Es war seine echte Künstlernatur, seine angeborene dichterische Beweglichkeit, die ihn mit so verschwenderischer Hand die Kleinigkeiten ausstreuen ließen, über welche seine Freunde klagten. Die Poesie war bei ihm die melodische Stimme, in der sich seine ganze Menschheit ausströmte, nicht ein Gewerbe, nicht eine Pflichterfüllung. Lebendige Empfindung war alles; die Saiten seiner zartgestimmten Natur erklangen bei jeder Berührung, bald hehr und feierlich, bald süß und leidenschaftlich, bald launig und zierlich. Er schrieb nicht des Ruhmes wegen. Er schrieb nicht, um Geld zu verdienen. Er schrieb Poesie, weil er sie gelebt hatte; er sang wie der Vogel auf den Zweigen. Jedem Eindruck offen, von der Schönheit gewaltsam entzückt, sang er, wie es der Augenblick ihm eingab, jetzt ein leichtes sorgloses Liedchen, jetzt eine einfache Ballade, bald ein ernstes ruhiges Gedicht voll tiefer und gewichtiger Gedanken, bald eine majestätische Hymne, die aus den Tiefen seines Innern wie von Weihrauchduft umwallt emporschwebt. Naturen von mächtiger schöpferischer Thätigkeit können nicht umhin, auch Kleinigkeiten auszustreuen, wie die Pflanze neben aufgeschlossenen Blüthen zugleich Knospen abwirft. Michel Angelo schuf den Moses und das jüngste Gericht: aber hat er nicht seine Meisterhand auch gebraucht, um reizende Cameen zu schneiden?



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