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Fünfter Abschnitt.
Das Gartenhaus

Es war der Frau von Stein gewidmet; der Herzog überträgt es von Bertuch an Goethe; es wird dessen Lieblingsaufenthalt. Seine Vorliebe für frische Luft und Wasser. Seine Ballade »der Fischer.« Er erscheint als Wassernix.

Noch jetzt kann der Besucher die Inschrift lesen – eine Huldigung und ein Andenken – durch welche Goethe die glücklichen Stunden der Liebe mit den glücklichen Stunden einsamer Thätigkeit verknüpft hat, die er in seinem Gartenhause im Park verlebte. Mit Recht ist der Platz der Frau von Stein geweiht. Die ganze Umgebung spricht von ihr. Hier sind die Beete, von denen fast jeden Morgen Blumen, noch naß von Thau, begleitet von nicht minder frischen und reizenden Briefen, als Gruß der Liebe bei ihr eintrafen. Hier sind die Beete, wo der Spargel wuchs, den er so stolz war ihr senden zu können. Hier ist das Zimmer, wo er von ihr träumte; hier das Zimmer, wo er arbeitete, während ihr Bild ihn umschwebte. Das Haus ist nur zwanzig Minuten von ihrer Wohnung entfernt; ein Gehölz von mächtigen Bäumen lag dazwischen.

Die Lage des Gartenhauses wird dem Leser aus der Schilderung des Parks erinnerlich sein. Ursprünglich gehörte es Bertuch. Eines Tages als der Herzog lebhaft in Goethe drang, in Weimar zu bleiben, erwähnte der noch unschlüssige Dichter, der damals im Jägerhause an der Belvedere-Allee wohnte, unter andern Entschuldigungen den Mangel eines eigenen Grundstücks, wo er seine Neigung zum Gartenbau ungestört befriedigen könnte. »Zum Beispiel Bertuch befindet sich vortrefflich; hätte ich nur ein Fleckchen Land wie das!« Darauf geht der Herzog (der Zug ist charakteristisch) zu Bertuch und sagt ihm ohne Umschweife: »Bertuch, ich muß deinen Garten haben.« Bertuch ist höchst erstaunt; »Aber Durchlaucht –!« »Kein Aber!« unterbricht ihn der junge Fürst, »ich kann dir nicht helfen, denn Goethe will ihn haben und mag hier ohne ihn nicht leben.« Vielleicht wäre dies für Bertuch nicht bestimmend gewesen, wenn nicht der Herzog seine willkürliche Forderung durch das Anerbieten eines weit werthvolleren Hauses und Gartens annehmbar gemacht hätte. In wenigen Tagen erhielt Goethe das Gartenhaus als Geschenk seines fürstlichen Freundes.

Es liegt allerliebst und ist, obwohl nicht groß, doch eins der beneidenswerthesten Häuser in Weimar. Durch die Wiesen, die es umgeben, fließt die Ilm. Die Stadt, obgleich so nahe, wird durch die dichten Bäume durchaus verdeckt. Die Einsamkeit ist vollständig; nur gelegentlich durchbricht sie der Schall der Kirchenglocken, die Musik von der Kaserne her und der Schrei der Pfauen, die sich im Parke brüsten. So entzückt war Goethe von diesem Hause, daß er hier sieben Jahre lang Winter und Sommer hindurch wohnte; und als ihm der Herzog 1782 das Haus auf dem Frauenplan schenkte, konnte er sich nicht entschließen, es zu verkaufen, sondern zog sich nach wie vor mit Vergnügen dahin zurück. Oft, wenn er allein und ungestört sein wollte, verschloß er sämmtliche Thüren der Brücken, die von der Stadt zu dem Hause hinführten, so daß man, wie Wieland klagte, nur mit Hilfe von Dietrichen und Brechstangen zu ihm dringen konnte.

In diesem kleinen Garten war es, wo er die Entwicklung der Pflanzen studirte und manche jener Beobachtungen und Untersuchungen anstellte, durch die er sich einen hohen Rang unter den Naturforschern erworben hat. Hier war es, wo der Dichter dem Hofe entschlüpfte. Hier war es, wo der Liebende in seiner Liebe glücklich war. Wie bescheiden ist dieses Gartenhaus in der Wirklichkeit, wie entfernt von allen Vorstellungen, die man sich etwa davon gebildet hat! Die Lage ist allerdings von der Art, daß sie mancher reiche Kaufmann in England gern zu einer hübschen Villa annehmen würde: auf sanftem Abhange ein freundlicher Obst- und Blumengarten; gegenüber ein großer Fahrweg an der lieblichen Wiese entlang, die von den stattlichen Bäumen des Parks beschattet wird. Das Haus selbst dagegen würde ein englischer Hauptmann auf Halbsold als eine elende Hütte betrachten, und doch genügte es für den Hofmann und Minister. Hier war der Herzog beständig bei ihm; oft saß er bis tief in die Nacht in ernstem Gespräch und schlief auf dem Sopha, statt nach Hause zu gehen. Oft kam er mit seiner Gemahlin und speiste mit dem Dichter in der einfachsten und anspruchslosesten Weise; die ganze Mahlzeit bestand einmal, wie wir gelegentlich aus den Briefen an die Stein erfahren, aus einer Biersuppe und kaltem Braten.

Es hat etwas äußerst Anziehendes, solche Züge der Einfachheit des damaligen Lebens zu verfolgen. Die eigene Hütte des Herzogs, das Borkenhaus, ist bereits beschrieben. Die Hütte, worin Goethe bei Ilmenau lebte, und die mehr als bürgerliche Bescheidenheit des Gartenhauses sind redende Beweise dafür, daß er, wenn er sein Genie dem Hofe geopfert, es wenigstens sicher nicht gethan hat, um sich Sinnengenüsse oder äußeren Prunk zu verschaffen. Seinem einfachen Geschmack war jede Art von Luxus völlig gleichgültig.

Die Liebe zur Natur war es, der er diese Einfachheit und Abhärtung verdankte. Er hatte kein Bedürfniß, als sie zu empfinden. In einer Zeit, wo ein großer Theil des deutschen Bürgerstandes, besonders der Gelehrten, gegen alle Bewegung im Freien einen förmlichen Widerwillen zu haben schien, waren freie Luft und kaltes Wasser für Goethe unentbehrlich. Beim Umbau seines Gartenhauses zog er trotz der rauhen Jahreszeit nicht aus, und mit Triumph erzählt er: »ich habe wieder Fenster und kann wieder Feuer anmachen, das mir bei der Witterung sehr zu Statten kommt.« Am 3. Mai 1777 schreibt er an die Stein: »Guten Morgen mit Spargels. Wie ist's Ihnen gestern gegangen? Mir hat Philipp noch einen Eierkuchen gebacken, und darauf hab' ich mich in meinen blauen Mantel gehüllt auf den Altan an dem Boden in ein trocken Winkelchen gelegt und im Blitz, Donner und Regen herrlich geschlummert, daß mir sogar mein Bett nachher fatal war.« Und am 19. Mai: »Danke für das Frühstück. Hier schick ich etwas dagegen. Heut Nacht hab' ich auf meinem Altan unterm blauen Mantel geschlafen, bin dreimal aufgewacht um 12, 2 und 4, und jedesmal neue Herrlichkeit des Himmels um mich.« Zu allen Tageszeiten suchte er Kraft in der freien Himmelsluft:

Tauche mich in die Sonne früh,
Bad' ab im Monde des Tages Müh'.

Die Bäder in der Ilm erquickten ihn selbst in tiefer Nacht. Mit Hülfe von Korkstücken (die er nachher so oft als dichterische Bilder benutzt hat) lernte er schwimmen, und keine Unfreundlichkeit des Wetters konnte ihn von diesem Genusse zurückhalten. Die Ballade vom Fischer spricht den zauberischen Reiz der Fluth, der uns gewaltsam in die tückische Tiefe lockt, mit wundervoller Anmuth aus.

Eine kleine Anekdote möge hier Platz finden. In einer Nacht, wo der Mond ruhig auf unsern poetischen Schwimmer schien, wollte ein Bauer aus Oberweimar auf dem Heimwege eben über das Gatter der Schloßbrücke steigen. Goethe bemerkte ihn, und in einem Anfalle der tollen Laune, die Weimar so oft in Bewegung gesetzt hatte, gab er wilde und wunderbare Töne von sich und tauchte mit seiner weißen Gestalt und seinem langen schwarzen Haar im Wasser auf und nieder, so daß der Bauer entsetzt davonfloh, als wäre ihm ein Heer von Teufeln im Nacken.



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