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Sechster Abschnitt.
Der Löwe der Literatur

Heirathslotterien. Anna Sybilla Münch. Beaumarchais' Memoire. Geschichte Clavigo's und Beaumarchais'. Goethe schreibt den »Clavigo«. Unbedeutendheit des Stücks. Bekanntschaft mit Klopstock und Lavater. Lavater's Charakter. Wahrscheinlicher Ursprung der religiösen Ansichten Goethe's. Glauben und Wissen. Bekanntschaft mit Basedow, dem pädagogischen Reformator. Wildes und geniales Treiben. Bekanntschaft mit Fritz Jacobi. Welche Eindrücke Goethe's wunderbare Persönlichkeit machte. Er studirt Spinoza, daneben die Geschichte und Lehre der Brüdergemeinden. Faßt den Gedanken, die Geschichte des ewigen Juden in einem Epos zu bearbeiten. Entwirft einen Prometheus. Vergleichung seines Fragments mit dem äschyleischen Prometheus.

Goethe stand in seiner schriftstellerischen Laufbahn jetzt an der bedenklichen Wendung, wo er nach einem glänzenden Erfolge entweder mit anmaßender Hast nach neuen Lorbern zu greifen oder auf den gewonnenen Lorbern träge auszuruhen Gefahr lief. Beide Gefahren vermied er; weder machte er aus dem Ruhm ein Geschäft, noch hielt er seine Entwicklung für beendet. Indem er für jetzt größeren Werken weislich fern blieb, hielt er seine Kunstfertigkeit an Kleinigkeiten in Uebung und förderte die Entwicklung seines Geistes durch ernste Studien.

Unter jenen Kleinigkeiten sind Clavigo, das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern und der Prolog zu Bahrdt's neuesten Offenbarungen.

Der Clavigo führt uns vor das Erscheinen des Werther, in den Kreis der Frankfurter Freunde zurück, mit denen er den Sommer 1774 verlebte. Da ist uns als Freundin von Goethe's Schwester Anna Sibylla Münch schon bekannt, deren Reize ihn damals fesselten. Dieser muntere Kreis bestand auch nach der Verheirathung der Schwester fort; wöchentlich einmal versammelte man sich zu lustigem Thun. Eines Abends wurde beschlossen, »es solle alle acht Tage gelost werden, nicht um, wie vormals, liebende Paare, sondern wahrhafte Ehegatten zu bestimmen. Wie man sich gegen Geliebte betrage (meinte die Gesellschaft), das sei ihnen bekannt genug; aber wie sich Gatte und Gattin in Gesellschaft zu nehmen hätten, das sei ihnen unbewußt und müsse nun, bei zunehmenden Jahren, vor allen Dingen gelernt werden. Als Regel wurde angenommen, daß man thun müsse, als wenn man einander nicht angehöre; man dürfe nicht neben einander sitzen, nicht viel mit einander sprechen, viel weniger sich Liebkosungen erlauben: dabei aber habe man nicht allein alles zu vermeiden, was wechselseitig Verdacht und Unannehmlichkeiten erregen könnte, ja man würde im Gegentheil das größte Lob verdienen, wenn man seine Gattin auf eine ungezwungene Weise zu verbinden wisse. Das Loos wurde hierauf zur Entscheidung herbeigeholt, und die allgemeine Ehestandskomödie mit gutem Humor begonnen und jedesmal am achten Tage wiederum erneut«. Wunderbar genug fiel Goethen dreimal nach einander dasselbe Mädchen als Frau zu. Beim dritten Male erklärte die Gesellschaft, der Himmel habe gesprochen, sie könnten nunmehr nicht geschieden werden, und Goethe sowohl wie seine »Frau« ließen sich das bestens gefallen. In diesen geselligen Zusammenkünften wurde jedesmal etwas neues vorgelesen. Eines Abends brachte Goethe als ganz frische Neuigkeit das Memoire des Beaumarchais gegen Clavigo mit. Es wurde gelesen und besprochen; da meinte sein »lieber Partner«, wenn sie seine Gebieterin und nicht seine Frau wäre, so würde sie ihn ersuchen, dieses Memoire in ein Schauspiel zu verwandeln; es scheine ihr ganz dazu geeignet zu sein. »Damit Du siehst, meine Liebe, antwortete er, daß Gebieterin und Frau auch in einer Person vereinigt sein können, so verspreche ich, heute über acht Tage den Gegenstand dieses Heftes als Theaterstück vorzulesen«. Man verwunderte sich über ein so kühnes Versprechen, aber er war entschlossen, es zu erfüllen. »Was man in solchen Fällen Erfindung nennt, sagt er, war bei mir augenblicklich, und gleich als ich meine Titulargattin nach Hause führte, war ich still; sie fragte, was mir sei; ich sinne, versetzte ich, schon das Stück aus und bin mitten drin, ich wünsche Dir zu zeigen, daß ich Dir gern etwas zu Liebe thue. Sie drückte mir die Hand, und als ich sie dagegen eifrig küßte, sagte sie: Du mußt nicht aus der Rolle fallen; zärtlich zu fein, meinen die Leute, schicke sich nicht für Ehegatten. »Laß sie meinen!« war meine Antwort; »wir wollen es auf unsere Weise halten.«

Schon als er das Memoire für sich allein gelesen, gesteht er übrigens, sei ihm der Gegenstand dramatisch, ja theatralisch vorgekommen, aber ohne die Anregung der Liebe würde das Stück, wie so viele andere, unter den möglichen Geburten geblieben sein. Neu ist dabei die Art, wie er die Bösewichter zeichnete. Der Charaktere müde, die aus Rache, Haß oder kleinlichen Absichten sich einer edlen Natur entgegensetzen und sie zu Grunde richten, wollte er »in Carlos den reinen Weltverstand mit wahrer Freundschaft, Neigung und äußerer Bedrängniß wirken lassen«. Durch Shakespeare's Vorgang berechtigt, nahm er keinen Anstand, die Hauptscene und die eigentliche theatralische Darstellung wörtlich aus dem Memoire zu übersetzen, und den Abschluß entlehnte er einer alten Ballade Wie er in der Lebensbeschreibung sagt: »einer englischen Ballade«. Das ist unrichtig; die Ballade ist eins von den zwölf deutschen Volksliedern, die er selbst im Elsaß »auf seinen Streifereien aus den Kehlen der ältesten Mütterchens aufgehascht« hatte und im Spätsommer 1771 in eigenhändiger Abschrift an Herder als Beitrag zu dessen Volksliedern schickte; vgl. Herder's Nachlaß von Düntzer I, 153 ff. Die hierher gehörigen Verse sind aus dem Liede »vom Herren und der Magd«:
Halt' still, halt still, ihr Todtenträger,
Laßt mich die Leich beschauen!
Er hub den Ladendeckel auf
Und schaut' ihr unter die Augen,
. So wurde er fertig, ehe noch die Woche um war, und erntete vielen Beifall.

Zum Verständniß des Stückes einige Worte über das Memoire. Beaumarchais hatte zwei Schwestern in Madrid, von denen die ältere an einen Baumeister verheirathet, die andere, Marie, mit einem jungen armen Schriftsteller Clavigo verlobt war. Clavigo (oder wie er richtig spanisch heißt: Clavijo) brach das Verhältniß ab, nachdem er die Stelle, auf die er mit seiner Verheirathung gewartet, erhalten hatte. Auf die Kunde davon eilt Beaumarchais von Paris nach Madrid; er sucht Clavijo auf und verlangt von ihm mit kaltblütiger Entschlossenheit ein schriftliches Eingeständniß, daß er sich gegen seine frühere Braut verächtlich benommen. Gleich darauf sucht sich Clavijo mit ihm auszusöhnen und erklärt seine Absicht, sie zu heirathen. Beaumarchais willigt ein, aber grade als die Hochzeit stattfinden soll, hört er von geheimen Anschlägen Clavijo's, der unter der Anklage, er sei von ihm zur Heirath gezwungen, einen Ausweisungsbefehl von der Regierung erwirkt hat. Entrüstet über solche Niederträchtigkeit, wendet sich Beaumarchais an die Minister, dringt bis zum König und setzt die Entlassung des Clavijo von seinem Amte durch. Das ist kurz der Inhalt des Memoire's, das im Februar 1774 in Frankreich erschien. Die Geschichte selbst hatte sich schon zehn Jahre früher zugetragen, und Clavijo, der ein berühmter Schriftsteller wurde, mußte sich nicht allein den scharfen Pfeilen Beaumarchais' ausgesetzt sehen, sondern hätte sich auch – er starb erst 1806 als Vicepräsident der naturwissenschaftlichen Gesellschaft in Madrid – auf deutschen Bühnen umbringen sehen können. Vermuthlich wußte Goethe, als er sein Drama schrieb, nichts davon, daß Clavijo noch lebte.

Den Goethe'schen Clavigo mit dem Memoire des Beaumarchais in der Hand zu lesen, ist sehr anziehend; der Dichter hat sich so genau an dasselbe gehalten, wie die dramatische Form nur irgend gestattet. Zugleich giebt das Stück den Beweis, wie weise er that, daß er damals nicht den Faust (von dem er einige Bruchstücke schrieb) oder den Cäsar vollendete. Er hätte sich unzweifelhaft nur wiederholt; der äußere Hergang ist ein anderer, das innere Erlebniß, das sich darin ausspricht, ist dasselbe. Clavigo ist ein zweiter Weisungen; ja, nach Goethe's Absicht sollte er das sein. »Ich habe ein Trauerspiel gearbeitet, schreibt er in einem seiner damaligen Briefe, – Clavigo, moderne Anekdote dramatisirt, mit möglichster Simplicität und Herzenswahrheit; mein Held, ein unbestimmter, halb groß, halb kleiner Mensch, der Pendant zum Weislingen im Götz, vielmehr Weislingen selbst in der ganzen Rundheit einer Hauptperson.« Das Bild, welches er von dem ehrgeizigen Schwächling entwirft, der immer höher in der Welt strebt und sich durch eine Leidenschaft, die in den dunkeln Tagen einer dürftigen Jugendzeit sein Glück machte, in seiner Laufbahn gehemmt sieht, ist sehr gelungen; und nicht weniger ist der Carlos, der in schonungslosem Spott die Kränze abstreift, mit denen die poetische Phantasie seines Freundes die Geliebte geschmückt hat, scharf und klar gezeichnet. Marie ist ein schwaches, empfindsames Wesen; ohne besondere Individualität, ist sie wohl die dürftigste Skizze, die Goethe von einer weiblichen Figur entworfen hat. Aber ein kleiner Zug verräth den Dichter: als Clavigo reuig zu ihren Füßen liegt und an ihre Neigung sich flehend wendet, wirft sie sich weinend ihrer Schwester um den Hals und ruft: »Ach Schwester! woher weiß er, daß ich ihn so liebe?«

Die Freude über die Rückkehr des Geliebten ist nur kurz; der Dämon des Ehrgeizes erfaßt den Clavigo wieder und lenkt ihn von einer Verbindung ab, die zu seinen sonstigen Plänen so wenig stimmt; Carlos, in welchem ein mephistophelisches Element sich nicht verkennen läßt, drängt ihn mit kaltem Hohne auf dieser Bahn weiter: »es ist nichts erbärmlicher in der Welt, ruft er so bitter wie wahr ihm zu, als ein unentschlossener Mensch, der zwischen zwei Empfindungen schwebt, gern beide vereinigen möchte und nicht begreift, daß nichts sie vereinigen kann, als eben der Zweifel, die Unruhe, die ihn peinigen;« er schlägt ihm vor, den Beaumarchais einfach einstecken zu lassen, denn – fügt er ganz in Mephistopheles' Weise hinzu: »wer den Bruder einstecken läßt, giebt pantomimisch zu verstehen, daß er die Schwester nicht mag.« Danach handeln sie denn; der Verhaftsbefehl wird unter falschen Vorwänden erwirkt, und Marie stirbt am gebrochenem Herzen über die Verrätherei ihres Geliebten.

Bis hierher, wenigstens bis zu dem Tode Marien's, ist Goethe dem Memoire getreu gefolgt; der fünfte Akt, der die dramatische Lösung enthält, ist Zusatz des Dichters. Marie soll begraben werden; da kommt Clavigo die Straße entlang; er sieht ihren Sarg, öffnet ihn, kniet über die Leiche; Beaumarchais tritt aus dem Hause und Clavigo fällt von seinem Degen. Dieser Akt ist auf der Bühne von großer Wirkung, aber ästhetisch betrachtet ist er sehr dürftig und gewöhnlich. Die Art, wie das Zusammentreffen der beiden Gegner herbeigeführt wird, ist außerordentlich plump Rosenkranz, Goethe und seine Werke S. 185.: Clavigo sucht den Carlos; er hat seinem Bedienten, der ihm die Fackel vorträgt, Befehl gegeben, die Straße zu vermeiden in der die Familie Beaumarchais wohnt, aber der Bediente führt ihn gerade durch diese Straße, weil er sonst »einen gar großen Umgang hätte nehmen müssen.« Das heißt die Lösung gewaltsam erpressen, nicht sie sich entwickeln lassen.

Immerhin ist der Clavigo als Bühnenstück recht interessant und voll wirksamer Scenen; die Schürzung des dramatischen Knotens ist vollendet; die Fabel ist einfach und von raschem Verlauf, die Sprache kräftig, leidenschaftlich, markig. Aber einen großen Maßstab darf man an das Stück nicht legen. Merck, der für seines Freundes Ruhm sehr besorgt war, wollte sich nicht herbeilassen, es als bloßes Bühnenstück anzusehen, sondern erklärte, solch einen Quark wie diesen müsse er ihm künftig nicht mehr schreiben, das könnten die andern auch. Goethe meint, Merck habe falsch geurtheilt und ihm zum ersten Male Unrecht gethan. »Muß ja doch, sagte er, nicht alles über die Begriffe hinausgehen, die man nun einmal gefaßt hat; es ist auch gut, wenn manches sich an den gewöhnlichen Sinn anschließt. Hätte ich damals ein Dutzend Stücke der Art geschrieben, welches mir bei einiger Aufmunterung ein Leichtes gewesen wäre, so hätten sich vielleicht drei oder vier davon auf dem Theater erhalten. Das ist indeß schwerlich stichhaltig. Merck hätte ihm erwidern können, das möge wohl wahr sein, aber er, Goethe, sei eben zu größeren Dingen als zu Bühnenstücken berufen. Nichts destoweniger hatte Goethe Recht mit seinem Thun, nur aus andern Gründen. Clavigo und die übrigen Kleinigkeiten jener Zeit müssen als Skizzen betrachtet werden, wie sie der Künstler für seine Mappe zeichnet, nicht als Werke, die in Gallerien glänzen sollen. Goethe's Schöpfungstrieb war unwiderstehlich; ging er auf Kleinigkeiten, so schuf der Dichter Kleinigkeiten. Seine unendliche Thätigkeit mußte sich in kleineren Werken ergehen, weil er dunkel fühlte, daß er für Größeres nicht reif sei.

Er begann nun, seines Ansehens sich bewußt zu werden, und die Berühmtheiten des Tages suchten eifrig seine Bekanntschaft. Voran Klopstock, Lavater, Basedow, Jacobi und die Stolberg's. Auf den Briefwechsel mit ihnen folgte nun persönlicher Verkehr. Klopstock kam im Oktober 1774 grade vor dem Erscheinen des Werther, nach Frankfurt. Goethe verkehrte mit ihm, las ihm die Bruchstücke seines Faust vor und besprach sich mit ihm über das Schlittschuhlaufen. Aber der große religiöse Dichter stand dem Treiben seines jungen Nebenbuhlers zu fern, um ihn so ins Herz zu schließen, wie die Stolbergs, und eben so wenig fühlte Goethe sich besonders leidenschaftlich zu ihm hingezogen.

Im Juni, einige Monate vor Klopstock, kam auch Lavater nach Frankfurt. Seit den »Briefen eines Pastors aus Schwaben« stand er mit Goethe in Korrespondenz. Ueberhaupt war damals recht die Zeit des brieflichen Verkehrs. Man schrieb Briefe, die in ganzen Freundeskreisen vorgelesen zu werden bestimmt waren; man theilte einander Briefe mit wie neue Gedichte. Lavater quälte seine Freunde um ihre Porträts und Schattenrisse und verlangte von ihnen auch ideelle Porträts, wie sie sich den Erlöser vorstellten, alles für das große physiognomische Werk, welches er damals vorbereitete. Der Künstler, der Goethen für ihn zeichnete, schickte ihm statt dessen das Bild des berüchtigten Bahrdt; indeß so ließ sich Lavater nicht fangen; auf das bestimmteste erklärte er, das könne nicht Goethe's Bild sein. Als er nun Goethe leibhaftig vor sich sah, war er auch nicht zufrieden gestellt. Verwundert starrte er ihn an. »Bist's« – »Ich bin's«, und sie fielen einander um den Hals. Lavater ließ sogleich merken, er habe ihn anders erwartet. Goethe versicherte ihn dagegen, »nach seinem angeborenen und angebildeten Realismus, da es Gott und der Natur nun einmal gefallen habe, ihn so zu machen, so wollten sie es auch dabei bewenden lassen.« Nachdem die erste Ueberraschung vorüber war, wandte sich die Unterhaltung den bedeutendsten Fragen zu; sie fanden sich in größerer Uebereinstimmung, als es nach dem Goethe'schen Berichte erscheint, der erst viele Jahre später, nachdem Lavater durch abergläubischen Dogmatismus und pfäffische Sophisterei so viele seiner Freunde erbittert und sich entfremdet hatte, geschrieben wurde.

Lavater ist eine merkwürdige Figur in der Geschichte jener Tage, eine Mischung von priesterlicher Unduldsamkeit und gemachter Empfindelei. Von tüchtiger Begabung, mit einem Anfluge von Genialität, wurden Eitelkeit und Heuchelei sein Verderben. Er war acht Jahre älter als Goethe. Wie er sich in dem Entwurfe seiner eigenen Lebensbeschreibung selbst darstellt, hat er schon als Knabe erkennen lassen, welche Rolle er als Mann spielen würde. Er bildete sich ein eigenes und vertrautes Verhältniß zu Gott und blickte auf seine Schulgenossen verächtlich und mitleidig hinab, weil sie nicht sein »Bedürfniß nach Gott« theilten. Er bat um Wunder und die Wunder stellten sich ein: Gott verbesserte seine Schularbeiten, Gott verdeckte seine vielen Fehler, Gott brachte seine guten Thaten an's Licht. In der That, Lavater war ein geborner Heuchler, und mit Recht nannte ihn Goethe später »einen Lügner von Anfang an, der um Einfluß zu gewinnen, zu den gemeinsten Schmeicheleien sich erniedrigt habe.« Mit dieser geschmeidig einschmeichelnden Glätte vereinigte er pfäffische Herrschsucht. Seine ersten Schriften machten großes Aufsehen. Im Jahre 1769 übersetzte er Bonnet's Palingenesie und gab dazu Anmerkungen in einem Ton von religiöser Schwärmerei, der damals viel Anklang fand. Zu einer Zeit, wo die Gelehrten den Homer und die alten Balladensänger wieder zu Ehren brachten, war ein Versuch zur Wiederbelebung des Geistes der ersten apostolischen Zeit ganz an der Tagesordnung, und da der Glaube an dichterische Begeisterung das oberste Dogma war, fand auch der Glaube an religiöse Begeisterung eifrige Jünger. In den Lavater'schen Briefwechsel zeigt sich die sentimentale Ueberschwänglichkeit jener Tage in voller Blüthe; so z. B. schickte ihm die reizende Marquise Branconi ihre Strumpfbänder mit folgenden Worten: »O, Du Geliebter für's Leben, Seele meiner Seele! Dein Taschentuch, Deine Haare sind mir, was meine Strumpfbänder Dir sind,« und in dem Tone weiter. Daß sich ein Geistlicher das schreiben läßt, ist ein wenig stark, wird man zugeben, aber es geht noch darüber hinaus, wenn ihn ein anderer Verehrer anschwärmt: »O daß ich liegen könnte an Deiner Brust in Sabbath-heiliger Abendstille – o Du Engel!« Man sieht, die Ueberschwänglichkeit war aus allen Seiten; man weinte und beweinte sich gegenseitig.

Zur Zeit dieses Frankfurter Besuchs war Lavater in der ersten Blüthe seines Ruhms. Seine Anziehungskraft für Goethe lag nicht nur in der Eigenthümlichkeit seines Charakters, sondern auch in einer gewissen Gemeinsamkeit religiöser Schwärmerei. Ihrem Glaubensbekenntniß nach standen sie nicht in Uebereinstimmung, das war unmöglich. Wie Goethe fühlte, mag aus seiner Anhänglichkeit an Fräulein von Klettenberg geschlossen werden; wie er dachte, spricht sich in einem Briefe an Pfenninger, einen Freund Lavater's, aus: »Glaube mir, schreibt er, es wird die Zeit kommen, da wir uns verstehen werden. Lieber, Du redest mit mir als einem Ungläubigen, der begreifen will, der bewiesen haben will, der nicht erfahren hat. Und von all dem ist grade das Gegentheil in meinem Herzen. Du wirst viel Erläuterung finden in dem Manuscript, das ich Euch bald schicke. Bin ich nicht resignirter im Begreifen und Beweisen als Ihr? Hab ich nicht eben das erfahren als Ihr? Ich bin vielleicht ein Thor, daß ich Euch nicht den Gefallen thue, mich mit Euren Worten auszudrücken, und daß ich nicht einmal durch eine reine Experimental-Physiologie meines Innersten Euch darlege, daß ich ein Mensch bin und daher nichts anders sentiren kann, als andere Menschen, daß Alles, was unter uns Widerspruch scheint, nur Wortstreit ist, der daraus entsteht, weil ich die Sachen unter andern Combinationen sentiren und darum, ihre Relativität ausdrückend, sie anders benennen muß, was aller Controversien Quelle ewig war und bleiben wird. – Und daß Du mich immer mit Zeugnissen packen willst! Wozu die? Brauch' ich Zeugniß, daß ich bin? Zeugniß, daß ich fühle? Nur so schätze, liebe, bet' ich die Zeugnisse an, die mir darlegen, wie Tausende oder Einer vor mir das gefühlt haben, das mich kräftiget und stärket. Und so ist das Wort der Menschen mir Gottes Wort, es mögen's Pfaffen oder H – gesammelt und zum Canon gerollt, oder es als Fragmente hingestreut haben. Und mit inniger Seele fall' ich den Bruder um den Hals: Moses, Prophet, Evangelist, Apostel, Spinoza oder Macchiavell! Darf aber auch zu Jedem sagen: Lieber Freund, geht Dir's doch wie mir! Im Einzelnen sentirst Du kräftig und herrlich; das Ganze ging in Euern Kopf so wenig als in meinen!«

Auf Spinoza nimmt er in diesen merkwürdigen Sätzen Bezug; in der That scheint der ganze Brief nur eine Umschreibung der Stelle in Spinoza's Ethik zu sein, in der dieser große Denker erklärt, »daß jeder Mensch je nach der Anlage seines Gehirns über die Außenwelt urtheilt oder daß ihm vielmehr seine persönlichen Eindrücke statt der Dinge gelten. Es ist daher auch, beiläufig gesagt, nicht zu verwundern, daß so viele Meinungsverschiedenheiten unter den Menschen herrschen, woraus denn endlich der Sceptizismus erwachsen ist. Denn obwohl die Körper der Menschen in vielen Punkten einander gleichen, in den meisten sind sie doch verschieden, und darum scheint dem einen schlecht, was dem andern gut, diesem geordnet was jenem verworren, diesem angenehm was dem andern unangenehm.« Noch genauer auf Goethe's spinozistische Studien einzugehen, ist hier einstweilen unnöthig; mit der Herleitung seiner an Pfenninger ausgesprochenen Ansichten aus der eben angeführten Stelle Spinoza's mag es genug sein.

Der Unterschied zwischen dem Christenthum Lavater's und dem des Fräulein von Klettenberg regte ihn an und beschäftigte sein Nachdenken. In manchen Punkten mit beiden, aber ganz mit keinem einverstanden, suchte er sich den Gegensatz von Glauben und Wissen so auszugleichen: »Beim Glauben komme Alles darauf an, daß man glaube; was man glaube, sei völlig gleichgültig. Der Glaube sei ein großes Gefühl von Sicherheit für die Gegenwart und Zukunft, und diese Sicherheit entspringe aus dem Zutrauen auf ein übergroßes, übermächtiges, unerforschliches Wesen. Auf die Unerschütterlichkeit dieses Zutrauens komme alles an; wie wir uns aber dieses Wesen denken, dies hänge von unsern übrigen Fähigkeiten, ja von den Umständen ab, und sei ganz gleichgültig. Der Glaube sei ein heiliges Gefäß, in welches ein jeder sein Gefühl, seinen Verstand, seine Einbildungskraft so gut, als er vermöge zu opfern bereit stehe. Mit dem Wissen sei es grade das Gegentheil; es komme gar nicht darauf an, daß man wisse, sondern was man wisse, wie gut und wie viel man wisse. Daher könne man über das Wissen streiten, weil es sich berichtigen, sich erweitern und verengern lasse,« aber über den Glauben nicht.

Lavaters Anziehungskraft war so groß, daß Goethe ihn den Rhein hinunter nach Ems begleitete. Die Reise war sehr angenehm; schönes Sommerwetter und Lavater's vergnügte Heiterkeit waren eine erfreuliche Zugabe zu ihren religiösen Gesprächen. Nach Frankfurt zurückgekehrt, erwartete ihn die Zerstreuung eines andern Besuchs – Basedow, der pädagogische Reformator, war angekommen. Von allen Berühmtheiten des Tages stand er zu Lavater in denkbar schroffstem Gegensatze. Lavater war ein hübscher Mann, zierlich im Aeußern, heiter, von feinen Manieren, fromm; Basedow war häßlich, schmutzig zum äußersten, sarkastisch, rücksichtslos, ungläubig; der eine versuchte das apostolische Christenthum wiederherzustellen, der andere hielt auch den unverschämtesten Spott auf die Bibel, die Dreieinigkeit, die ganze christliche Lehre nicht zurück.

Auch Basedow (geb. 1723) hatte schon in früher Jugend seine künftige Bedeutung erkennen lassen. In der Schule rebellirte der wilde und schmutzige Junge mit Macht gegen alles, was System und Methode hieß; bei seinen Studien verschlang er alles und sprang von einem auf das andere, als wolle er für jeden Lebensberuf sich ausbilden; von Haus lief er weg und wurde Bedienter bei einem Edelmann; dann lernte er Rousseau's Lehre vom Naturzustande kennen und suchte sie auf die Erziehung anzuwenden; schrieb endlose Schriften oder richtiger endlose Wiederholungen einer Schrift, rief das Volk zur Unterstützung seiner philanthropischen Pläne auf, sammelte Beiträge von gutmüthigen Thoren, griff die bestehenden Einrichtungen, namentlich die christlichen Glaubenssätze an, machte beträchtlichen Lärm in der Welt und erwies sich kurz als ein Mann von rastloser Thatkraft und umfassendster Unwissenheit.

So sehr ein solcher Charakter seiner eigenen Natur entgegengesetzt war, Goethe, immer lernbegierig, fühlte sich doch zu ihm hingezogen; er machte ein Studium daraus. Wie so manches andere Studium, hatte indeß auch dies seine Schattenseiten. Goethe mußte das unaufhörliche Tabackrauchen und die unablässigen Spöttereien des schmutzigen Pädagogen in den Kauf nehmen. Den Geruch des schlechten Tabacks ertrug er mit Geduld; die Angriffe auf das Christenthum überbot er mit noch verwegeneren Paradoxen. Eine so herrliche Gelegenheit, sich, wo nicht aufzuklären, doch gewiß zu üben, konnte er nicht vorübergehen lassen; er vermochte Vater und Freunde, die nothwendigsten Geschäfte zu übernehmen, und fuhr nun, Basedow begleitend, abermals von Frankfurt ab. In Ems trafen sie Lavater, und zusammen machten dann die drei ihre Besuche in der Nachbarschaft, namentlich auf den Schlössern adliger Frauen, die gar bereit waren, die Löwen des Tages aufzunehmen. Wenn Goethe erzählt, er sei auf dieser Reise mit Fragen über den Werther gequält worden, so irrt er, beiläufig gesagt; der Werther erschien erst im Oktober nach diesem Ausfluge; desto mehr wird er Recht haben, daß er den Kindern die seltsamsten Märchen erzählt habe. Sein Auftreten war durchaus wild und genial. »Basedow und ich, sagt er, schienen zu wetteifern, wer am unartigsten sein könnte.« Tag und Nacht ging es lustig zu; des Schlafes genossen sie sehr wenig. Basedow legte sich nie zu Bett, sondern diktirte unaufhörlich. Manchmal warf er sich aufs Lager und schlummerte, indessen sein Gehülfe, die Feder in der Hand, sitzen blieb und sogleich bereit war, fortzuschreiben, wenn der Halberwachte seinen Gedanken wieder freien Lauf gab. Und zwar geschah das in einem dichtverschlossenen, von Tabacks- und Schwammdampf erfüllten Zimmer. Goethe tanzte derweile; so oft er einen Tanz aussetzte, sprang er zu Basedow hinauf, der gleich über jedes Problem zu sprechen und zu disputiren geneigt war und, wenn Goethe dann nach Verlauf einiger Zeit wieder zum Tanze hineilte, noch ehe er die Thür hinter sich zuzog, den Faden seiner Abhandlung so ruhig diktirend aufnahm, als wenn weiter nichts gewesen wäre.

Diese Verbindung von philosophischer Erörterung mit vergnüglichem Genuß, von rastlosem Theoretisiren mit wilder Lebenslust zeigt am besten, in welcher Stimmung er sich befand. »Ich bin vergnügt, äußerte er gegen Lavater, ich bin glücklich; das fühle ich, und doch ist der ganze Inhalt meiner Freude ein wallendes Sehnen nach etwas, das ich nicht habe, nach etwas, das ich nicht anschauend erkenne.« Dies »Etwas« konnte ihm weder der fromme Prediger Lavater noch der polemisirende Basedow geben. Der Gegensatz, in welchem er zu beiden stand, fühlt sich in dem drastischen »Diner zu Coblenz«, das aus jener Zeit stammt, scharf und bestimmt heraus.

»Prophete rechts, Prophete links,
Das Weltkind in der Mitten –«

so stand er zwischen beiden: Lavater erklärt einem Landprediger die Offenbarung Johannis, erzählt topographische Details vom himmlischen Jerusalem, und Goethe

»– war indeß nicht weit gereist,
Hatte ein Stück Salmen aufgespeist.«

Basedow setzt derweile einem Tanzmeister die Unzweckmäßigkeit der Kindertaufe auseinander, und Goethe

»– behaglich unterdessen
Hätt' einen Hahnen aufgefressen.«

Ebensowenig konnte er jenes »Etwas« in Fritz Jacobi finden, mit dem er, im Verfolg seiner Reise rheinabwärts, in freundschaftliche, ja in leidenschaftliche Beziehung trat. Wohl mochte er in Jacobi's Schwärmerei und sein philosophisches religiöses Sehnen bis auf einen gewissen Grad einstimmen, denn die Wertherei der Zeit hielt ja auch ihn gefangen; wohl mochte er mit ihm in ruheloser Schwärmerei in die Nacht hinein schwelgen, während auf dem ruhig fließenden Rhein vor ihnen das Mondlicht zitterte, und frisch vom Herzen seine neuesten Gedichte vor ihm ausströmen; wohl eine Freundschaft mit ihm schließen, die er auf der ewigen Grundlage vollkommener Sympathie für fest begründet hielt, aber der Stachel in seinem Innern, der ihn rastlos weiter drängte, ließ sich nicht abstumpfen noch losreißen, als bis neue Erlebnisse neue Wandlungen in seiner Entwicklung vollbracht hatten. Der Jüngling Goethe ist es, den wir hier vor uns haben, der Jüngling mit seinem titanischen Ringen und schweifenden Strebungen, nicht der Mann, der sich zur Klarheit kristallisirt hat.

Jacobi dagegen war glücklich in seinem neuen Freunde; er glaubte endlich in Goethe den Mann gefunden zu haben, dessen sein Herz bedurfte, der mit seinem Einfluß ihn stützen und leiten könne. »Je mehr ich's überdenke (schrieb er kurz darauf an Wieland), je lebhafter empfinde ich die Unmöglichkeit, dem, der Goethe nicht gesehen noch gehört hat, etwas Begreifliches über dieses außerordentliche Geschöpf Gottes zu schreiben. Man braucht nur eine Stunde bei ihm gewesen zu sein, um es im höchsten Grade lächerlich zu finden, daß er anders denken und handeln soll, als er wirklich denkt und handelt. Hieraus will ich nicht andeuten, daß keine Veränderung zum Schöneren und Besseren in ihm möglich sei; aber nicht anders ist sie ihm möglich, als so wie die Blume sich entfaltet, wie die Saat reift, wie der Baum in die Höhe wächst und sich krönt.«

Den gleichen Eindruck scheint Goethe's wunderbare Persönlichkeit überall gemacht zu haben. In einem Briefe, den Heinse, der Verfasser des Ardinghello, damals an Gleim schrieb, heißt es: »Goethe war bei uns, ein schöner Junge von fünfundzwanzig Jahren, der vom Wirbel bis zur Zehe Genie und Stärke ist, ein Herz voll Gefühl, ein Geist voll Feuer mit Adlerflügeln; ich kenne keinen Menschen in der ganzen gelehrten Geschichte, der in solcher Jugend so rund und so voll von eigenem Genie gewesen wäre wie er.« Dieses Apollobild wird für die Goethefreunde, die sich ihn als den kalten stattlichen Minister, den alten Jupiter auf seinem Weimarschen Throne vorzustellen gewöhnt haben – und das haben die meisten – etwas überraschend sein; aber es ist nicht zu übersehen, daß er nicht blos jung war, wild ins Leben hinein stürmte und seine Adlerflügel mit kühnem Vertrauen auf ihre Kraft schwang: er war überdies ein Rheinländer, und das rasche Blut dieses Geschlechts, leicht und feurig wie der Wein des Landes, floß in seinen Adern.

So weit das zweifelnde Sehnen des Jünglings damals Befriedigung finden konnte, fand er sie in Spinoza. In seines Vaters Bibliothek war eine kleine Schrift gegen Spinoza, eine von jenen vielen thörichten »Widerlegungen«, die der Mangel an Verständniß für das System des großen Juden hervorgerufen hat. Dieses Büchlein jedoch machte ihm keinen Eindruck, weil er überhaupt Controversen nicht liebte, indem er immer vorzog, von dem Menschen zu erfahren, wie er dachte, als von einem andern zu hören, wie er hätte denken sollen. Doch veranlaßte es ihn, den Artikel Spinoza in Bayle's Wörterbuche wieder durchzulesen, den er denn – mit Recht – erbärmlich fand. Auch die philosophischen Systeme, meinte er, sollten nach ihren Früchten beurtheilt werden, und da konnte er die allgemeinen Verwünschungen gegen die Philosophie eines Spinoza unmöglich für gerecht gelten lassen. Er machte sich daher an die nachgelassenen Werke Spinoza's, und die Beruhigung und Klarheit, die daraus über ihn gekommen, trug er noch lange in dankbarer Erinnerung. An den Verkehr mit Jacobi anknüpfend, schreibt er: »Die Gedanken, die mir Jacobi mittheilte, entsprangen unmittelbar aus seinem Gefühl, und wie eigen war ich durchdrungen, als er mir, mit unbedingtem Vertrauen, die tiefsten Seelenforderungen nicht verhehlte. Aus einer so wundersamen Vereinigung von Bedürfnis Leidenschaft und Ideen konnten auch für mich nur Vorahnungen entspringen, dessen, was mir vielleicht künftig deutlicher werden sollte. Glücklicherweise hatte ich mich auch schon von dieser Seite wo nicht gebildet, doch bearbeitet und in mich das Dasein und die Denkweise eines außerordentlichen Mannes aufgenommen, zwar nur unvollständig und wie auf den Raub, aber ich empfand davon doch schon bedeutende Wirkungen. Dieser Geist, der so entschieden auf mich wirkte, und der auf meine ganze Denkweise so großen Einfluß haben sollte, war Spinoza. Nachdem ich mich nämlich in aller Welt um ein Bildungsmittel meines wunderlichen Wesens vergebens umgesehen hatte, gerieth ich endlich an die Ethik dieses Mannes. Was ich mir aus dem Werke mag herausgelesen, was ich in dasselbe mag hineingelesen haben, davon wüßte ich keine Rechenschaft zu geben, genug ich fand hier eine Beruhigung meiner Leidenschaften, es schien sich mir eine große und freie Aussicht über die sinnliche und sittliche Welt aufzuthun. Was mich aber besonders an ihn fesselte, war die gränzenlose Uneigennützigkeit, die aus jedem Satze hervorleuchtete. Jenes wunderliche Wort: »Wer Gott recht liebt, muß nicht verlangen, daß Gott ihn wieder liebe,« mit allen den Vordersätzen worauf es ruht, mit allen den Folgen die daraus entspringen, erfüllte mein ganzes Nachdenken. Uneigennützig zu sein in allem, am uneigennützigsten in Liebe und Freundschaft, war meine höchste Lust, meine Maxime, meine Ausübung, so daß jenes freche spätere Wort »Wenn ich dich liebe, was geht's Dich an?« mir recht aus dem Herzen gesprochen ist. Uebrigens möge auch hier nicht verkannt werden, daß eigentlich die innigsten Verbindungen nur aus dem Entgegengesetzten folgen. Die alles ausgleichende Ruhe Spinoza's contrastirte mit meinem alles aufregenden Streben, seine mathematische Methode war das Widerspiel meiner poetischen Sinnes- und Darstellungsweise, und eben jene geregelte Behandlungsart, die man sittlichen Gegenständen nicht angemessen finden wollte, machte mich zu seinem leidenschaftlichen Schüler, zu seinem entschiedensten Verehrer. Geist und Herz, Verstand und Sinn suchten sich mit nothwendiger Wahlverwandtschaft, und durch diese kam die Vereinigung der verschiedensten Wesen zu Stande. Nun war aber alles in der ersten Wirkung und Gegenwirkung, gährend und siedend. Fritz Jacobi, der Erste den ich in dieses Elend hinein blicken ließ, er, dessen Natur gleichfalls im Tiefsten arbeitete, nahm mein Vertrauen herzlich auf, erwiderte dasselbe und suchte mich in seinen Sinn einzuleiten. Auch er empfand ein unaussprechlich geistiges Bedürfniß, auch er wollte es nicht durch fremde Hülfe beschwichtigt, sondern aus sich selbst herausgebildet und aufgeklärt haben. Was er mir von dem Zustande seines Gemüthes mittheilte, konnte ich nicht fassen, um so weniger, als ich mir keinen Begriff von meinem eigenen machen konnte. Doch er, der in philosophischem Denken, selbst in Betrachtung des Spinoza, mir weit vorgeschritten war, suchte mein dunkles Bestreben zu leiten und aufzuklären.«

Mit so großer Verehrung aber er den Spinoza auch studirte, systematisch trieb er dies Studium nicht. Die mathematische Form, in welche dieser Denker den Granit seiner Gedanken gegossen hat, war für einen so ungeduldigen, abspringenden, unmathematischen Kopf wie Goethe ein unübersteigliches Hinderniß. Aber ein Studium kann sehr unsystematisch und doch sehr fruchtbringend sein; eine einzige Wendung kann befruchten, wenn sie auf den rechten Boden fällt. Gewiß hat jeder an sich erlebt, daß ein Gedanke, der ihm ganz vereinzelt, ganz zufällig aufgestoßen, den dauerndsten Einfluß auf seinen Geist geübt hat. Für mich persönlich ist die zufällige Anführung eines Satzes aus Spinoza ein Ereigniß gewesen, und bis auf den heutigen Tag erinnere ich mich der Stelle, wo ich ihn las, und der förmlichen Revolution, die er in meinen Gedanken hervorbrachte. Für Goethe genügten einige wenige Ideen Spinoza's, um seinem Geiste Richtung zu geben. Spinoza wurde für ihn, was Kant für Schiller; nur daß dieser – ein charakteristischer Unterschied der beiden Geister – seinen Philosophen systematisch studirte und dessen Lehre systematisch zu reproduziren suchte.

Bei den spinozistischen Studien beschäftigte ihn ein dunkler Drang, mit dem Christenthum in's Reine zu kommen. Der Einfluß von Fräulein von Klettenberg brachte ihn in ein nahes Verhältnis; zu der Brüdergemeinde, in der ihm Lehre und Leben der ersten Christen auf's Neue verwirklicht schien; mit seiner gewohnten Leidenschaftlichkeit studirte er ihre Geschichte und Lehre und schon ließ er volle Bekehrung hoffen, als die Entdeckung, eine wie weite Kluft zwischen ihnen lag, seine Zuneigung abkühlte. »Was mich von der Brüdergemeinde, so wie von andern werthen Christenseelen absonderte, sagt er, war dasselbe, worüber die Kirche schon mehr als einmal in Spaltung gerathen war. Ein Theil behauptete, daß die menschliche Natur durch den Sündenfall dergestalt verdorben sei, daß auch bis in ihren innersten Kern nicht das mindeste Gute an ihr zu finden, deßhalb der Mensch auf seine eigenen Kräfte durchaus Verzicht zu thun und alles von der Gnade und ihrer Einwirkung zu erwarten habe. Der andere Theil gab zwar die erblichen Mängel der Menschen sehr gern zu, wollte aber der Natur inwendig noch einen gewissen Keim zugestehen, welcher, durch göttliche Gnade belebt, zu einem frohen Baume geistiger Glückseligkeit emporwachsen könne. Von dieser letztern Ueberzeugung war ich aufs innigste durchdrungen, ohne es selbst zu wissen, obwohl ich mich mit Mund und Feder zu dem Gegentheil bekannt hatte; aber ich dämmerte so hin, das eigentliche Dilemma hatte ich mir nie ausgesprochen.«

All' dieser Streit um religiöse Meinungen konnte ihm indeß seine Liebe zu der heiligen Schrift und zu dem Stifter der christlichen Lehre nicht rauben; er bildete sich ein Christenthum zu eigenem Privatgebrauch, und da alles, was er mit Liebe in sich aufnahm, sich sogleich zu einer dichterischen Form anlegte, so ergriff er den wunderlichen Einfall, die Geschichte des ewigen Juden, die sich ihm schon früh durch die Volksbücher eingeprägt hatte, episch zu behandeln. Wie er sich die Fabel gebildet und welchen Sinn er ihr untergelegt, erzählt er selbst: »In Jerusalem befand sich ein Schuster, dem die Legende den Namen Ahasverus giebt. Zu diesem hatte mir mein Dresdener Schuster die Grundzüge geliefert. Ich hatte ihn mit eines Handwerksgenossen, mit Hans Sachsens Geist und Humor bestens ausgestattet, und ihn durch eine Neigung zu Christo veredelt. Weil er nun, bei offener Werkstatt, sich gern mit den Vorübergehenden unterhielt, sie neckte und, auf Sokratische Weise, jeden nach seiner Art anregte, so verweilten die Nachbaren und andre vom Volk gern bei ihm, auch Pharisäer und Sadduzäer sprachen zu, und begleitet von seinen Jüngern, mochte der Heiland selbst wohl auch manchmal bei ihm verweilen. Der Schuster, dessen Sinn blos auf die Welt gerichtet war, faßte doch zu unserem Herrn eine besondere Neigung, die sich hauptsächlich dadurch äußerte, daß er den hohen Mann, dessen Sinn er nicht faßte, zu seiner eigenen Denk- und Handelsweise bekehren wollte. Er lag daher Christo sehr inständig an, doch aus der Beschaulichkeit hervorzutreten, nicht mit solchen Müßiggängern im Lande herumzuziehen, nicht das Volk von der Arbeit hinweg an sich in die Einöde zu locken: ein versammeltes Volk sei immer ein aufgeregtes, und es werde nichts Gutes daraus entstehen. Dagegen suchte ihn der Herr von seinen höheren Ansichten und Zwecken sinnbildlich zu belehren, die aber bei dem derben Manne nicht fruchten wollten. Daher, als Christus immer bedeutender, ja eine öffentliche Person ward, ließ sich der wohlwollende Handwerker immer schärfer und heftiger vernehmen, stellte vor, daß hieraus nothwendig Unruhen und Aufstände erfolgen, und Christus selbst genöthigt sein würde, sich als Parteihaupt zu erklären, welches doch unmöglich seine Absicht sei. Da nun der Verlauf der Sache wie wir wissen erfolgt, Christus gefangen und verurtheilt ist, so wird Ahasverus noch heftiger aufgeregt, als Judas, der scheinbar den Herrn verrathen, verzweifelnd in die Werkstatt tritt, und jammernd seine mißlungene That erzählt. Er sei nämlich, so gut als die klügsten der übrigen Anhänger, fest überzeugt gewesen, daß Christus sich als Regent und Volkshaupt erklären werde, und habe das bisher unüberwindliche Zaudern des Herrn mit Gewalt zur That nöthigen wollen, und deshalb die Priesterschaft zu Tätlichkeiten aufgereizt, welche auch diese bisher nicht gewagt. Von der Jünger Seite sei man auch nicht unbewaffnet gewesen, und wahrscheinlicher Weise wäre alles gut abgelaufen, wenn der Herr sich nicht selbst ergeben und sie in den traurigen Zustand zurückgelassen hätte. Ahasverus, durch diese Erzählung keineswegs zur Milde gestimmt, verbittert noch den Zustand des armen Exapostels, so daß diesem nichts übrig bleibt, als in der Eile sich aufzuhängen. Als nun Jesus vor der Werkstatt des Schusters vorbei zum Tode geführt wird, ereignet sich gerade dort die bekannte Scene, daß der Leidende unter der Last des Kreuzes erliegt, und Simon von Cyrene dasselbe weiter zu tragen gezwungen wird. Hier tritt Ahasverus hervor, nach hart verständiger Menschenart, die, wenn sie jemand durch eigne Schuld unglücklich sehn, kein Mitleid fühlen, ja vielmehr durch unzeitige Gerechtigkeit gedrungen, das Nebel durch Vorwürfe vermehren; er tritt heraus und wiederholt alle früheren Warnungen, die er in heftige Beschuldigungen verwandelt, wozu ihn seine Neigung für den Leidenden zu berechtigen scheint. Dieser antwortet nicht, aber im Augenblicke bedeckt die liebende Veronica des Heilands Gesicht mit dem Tuche, und da sie es wegnimmt, und in die Höhe hält, erblickt Ahasverus darauf das Antlitz des Herrn, aber keineswegs des in Gegenwart leidenden, sondern eines herrlich Verklärten und himmlisches Leben Ausstrahlenden. Geblendet von dieser Erscheinung wendet er die Augen weg, und vernimmt die Worte: du wandelst auf Erden, bis du mich in dieser Gestalt wieder erblickst. Der Betroffene kommt erst einige Zeit nachher zu sich selbst zurück, findet, da alles sich zum Gerichtsplatz gedrängt hat, die Straßen Jerusalems öde, Unruhe und Sehnsucht treiben ihn fort und er beginnt seine Wanderung.«

Ausgeführt hat Goethe diesen Plan nicht; er trug ihn lange mit sich herum und noch in Italien dachte er daran, ihn wieder aufzunehmen, aber es blieb eben beim Entwurfe, da zu dem innern Drange kein gestaltendes äußeres Erlebniß sich gesellte.

Noch ein anderer Gegenstand, der auch wohl eine sorgfältige Ausführung verdient hätte, beschäftigte ihn in dieser Zeit reichsten Strebens. Es war der Prometheus, über den er sich folgendermaßen ausspricht: »Das gemeine Menschenschicksal, an welchem wir alle zu tragen haben, muß denjenigen am schwersten aufliegen, deren Geisteskräfte sich früher und breiter entwickeln. Wir mögen unter dem Schutz von Eltern und Verwandten emporkommen, wir mögen uns an Geschwister und Freunde anlehnen, durch Bekannte unterhalten, durch geliebte Personen beglückt werden, so ist doch immer das Final, daß der Mensch auf sich zurückgewiesen wird, und es scheint, es habe sogar die Gottheit sich so zu dem Menschen gestellt, daß sie dessen Ehrfurcht, Zutrauen und Liebe nicht immer, wenigstens nicht gerade im dringenden Augenblick, erwidern kann. Ich hatte jung genug gar oft erfahren, daß in den hülfsbedürftigsten Momenten uns zugerufen wird: »Arzt, hilf dir selber!« und wie oft hatte ich nicht schmerzlich aufseufzen müssen: »ich trete die Kelter allein.« Indem ich mich also nach Bestätigung der Selbstständigkeit umsah, fand ich als die sicherste Base derselben mein produktives Talent. Es verließ mich seit einigen Jahren keinen Augenblick; was ich wachend am Tage gewahr wurde, bildete sich sogar öfters Nachts in regelmäßige Träume, und wie ich die Augen aufthat, erschien mir entweder ein wunderliches neues Ganze, oder ein Theil eines schon Vorhandenen. Gewöhnlich schrieb ich alles zur frühsten Tageszeit; aber auch Abends, ja tief in die Nacht, wenn Wein und Geselligkeit die Lebensgeister erhöhten, konnte man von mir fordern was man wollte; es kam nur auf eine Gelegenheit an, die einigen Charakter hatte, so war ich bereit und fertig. Wie ich nun über diese Naturgabe nachdachte und fand, daß sie mir ganz eigen angehöre und durch nichts Fremdes weder begünstigt noch gehindert werden könne, so mochte ich gern hierauf mein ganzes Dasein in Gedanken gründen. Diese Vorstellung verwandelte sich in ein Bild, die alte mythologische Figur des Prometheus fiel mir auf, der, abgesondert von den Göttern, von seiner Werkstätte aus eine Welt bevölkerte. Ich fühle recht gut, daß sich etwas Bedeutendes nur reproduziren lasse, wenn man sich isolire. Meine Sachen, die so viel Beifall gefunden hatten, waren Kinder der Einsamkeit, und seitdem ich zu der Welt in einem breitem Verhältniß stand, fehlte es nicht an Kraft und Lust der Erfindung, aber die Ausführung stockte, weil ich weder in Prosa noch in Versen eigentlich einen Stil hatte, und bei einer jeden neuen Arbeit, je nachdem der Gegenstand war, immer wieder von vorne tasten und versuchen mußte. Indem ich nun hierbei die Hülfe der Menschen abzulehnen, ja auszuschließen hatte, so sonderte ich mich, nach Prometheischer Weise, auch von den Göttern ab, um so natürlicher, als bei meinem Charakter und meiner Denkweise Eine Gesinnung jederzeit die übrigen verschlang und abstieß. Die Fabel des Prometheus ward in mir lebendig. Das alte Titanengewand schnitt ich mir nach meinem Wuchse zu, und fing, ohne weiter nachgedacht zu haben, ein Stück zu schreiben an, worin das Mißverhältniß dargestellt ist, in welches Prometheus zu dem Zeus und den neuern Göttern geräth, indem er auf eigne Hand Menschen bildet, sie durch Gunst der Minerva belebt, und eine dritte Dynastie stiftet. Und wirklich hatten die jetzt regierenden Götter sich zu beschweren völlig Ursache, weil man sie als unrechtmäßig zwischen die Titanen und Menschen eingeschobene Wesen betrachten konnte. Zu dieser seltsamen Composition gehört als Monolog jenes Gedicht, das in der deutschen Litteratur bedeutend geworden, weil dadurch veranlaßt, Lessing über wichtige Punkte des Denkens und Empfindens sich gegen Jacobi erklärte.«

Von diesem Prometheus besitzen wir nur ein Bruchstück, aber es ist ausgezeichnet genug, um uns mit Bedauern zu erfüllen, daß es unvollendet geblieben. Es ist ein Bruchstück wie der Torso des Theseus, genügend um die Größe des Künstlers zu zeigen, wenn auch der Beschauer nicht ganz befriedigt wird. Großartig im Entwurf, einfach im Stil, von tiefen Gedanken durchleuchtet, würde das Werk ein Muster der Anwendung eines antiken Symbols auf moderne Gedanken geworden sein, nicht die müßige Darstellung eines längstvergangenen Glaubens.

Mit dem Prometheus des Aeschylus hat der goethesche keine Aehnlichkeit. Der griechische Titan ist stolz auf seine That:

Bewußt gefrevelt hab' ich und bekenn' es laut!

allein er wehklagt zugleich über seine körperlichen und geistigen Leiden. Die ganze Tragödie ist ein wilder Ausbruch des Schmerzes. Mit den ersten Worten, die er ausspricht, wirft er seinen lauten Gram in die Lüfte; er ruft den göttlichen Aether an und die raschen beschwingten Winde, die Quellen der Ströme und die lachenden Wogen des Oceans, die allgemeine Mutter, die Erde, und das allsehende Auge, die Sonne, zu schauen, was er, ein Gott, erdulde. Und in den Schlußworten athmet dasselbe Gefühl; er trauert über die Qualen der Gegenwart und der Zukunft:

Schwerseufzend empfind' ich die jetzige Pein
Und die kommende Noth!

Der Titan bei Goethe äußert keine Klage. Sein Trotz ist nicht prahlerisch, aber unbezwinglich und erhaben. Seine Verachtung gegen Zeus gründet sich auf die Erkenntniß, daß auch dieser einer höheren Macht unterworfen ist – dem Schicksal.

»Geh!« ruft er,
Ich diene nicht Vasallen!

In dieser Beziehung gleicht er dem glorreichen Titanen wie ihn Shelley in seinem entfesselten Prometheus gezeichnet hat, der auf die Warnung Mercurs über die bevorstehenden Jahre des Elends ruhig und groß erwidert:

Vielleicht, daß kein Gedanke sie ermißt –
Allein sie gehn vorüber!

Darauf ruht seine Sicherheit. Er weiß, das Reich der Tyrannei muß enden, und er erwartet dieses Ende.

Auch bei Aeschylus weiß Prometheus freilich, daß Zeus fallen muß; er sieht seine eigne Befreiung voraus, und weil er sie voraus sieht, ist er entschlossen, sein Schicksal zu tragen, wie er kann, »denn es ist vergeblich, gegen das Geschick zu kämpfen.« Aber die Kenntniß des Ausgangs und die Philosophie, die ihn Ergebung lehrt, halten ihn dennoch nicht ab, zu klagen. Und dies ist ächt griechisch. Homer läßt selbst den verwundeten Mars vor Schmerzen schreien, und Sophokles füllt seinen Philoktet mit den Klagelauten des physischen Leidens; den Griechen waren unsre modernen Begriffe über das Weibische der Klage völlig fremd.

Der Prometheus Shelley's zeigt nie eine Schwäche. Er steht als das hohe Ideal des Dulders da: –

Die Ewigkeit des Schmerzes zu ertragen;
Verbrechen zu vergeben, finsterer
Als Nacht und Tod; der Allgewalt zu trotzen;
Zu lieben und zu harren, bis die Hoffnung,
Was sie ersehnt, aus seinem Grabe ruft;
Und nie zu wanken, nimmer zu bereun.

Das ist großartig; aber noch weit großartiger ist die Auffassung Goethe's, dessen Titan das Bewußtsein hat, daß er ein Gott ist und daß ihm, wenn er sich selbst nur treu bleibt, keine Gewalt seinen Besitz an Leben und thätiger Kraft verkümmern oder vernichten kann:

Das, was ich habe, können sie nicht rauben,
Und was sie haben, mögen sie beschützen;
Hier Mein und Dein,
Und so sind wir geschieden.

Epimetheus.

Wie vieles ist denn Dein?

Prometheus.

Der Kreis, den meine Wirksamkeit erfüllt.

Das ist eine tiefe Wahrheit, in ergreifender Weise ausgesprochen. Eine göttergleiche Energie offenbart sich nur im Schaffen; was wir hervorbringen, das sind wir; unsere Kraft findet ihr Maß an unserm bildenden Vermögen. Darum ist Prometheus' Verachtung gegen den Müßiggang und den Mangel der schöpferischen Thätigkeit bei den Göttern eben so tief wie unwandelbar.

Bedecke Deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst,
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen Dich und Bergeshöh'n;
Mußt mir meine Erde
Doch lassen steh'n
Und meine Hütte, die Du nicht gebaut,
Und meinen Heerd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Aermeres
Unter der Sonn', als euch, ihr Götter.
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät,
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Thoren.

Wer half mir
Wider der Titanen Uebermuth?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast Du nicht Alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben!

Ich Dich ehren? Wofür?
Hast Du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast Du die Thränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und Deine?

Hier sitz' ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich
Und Dein nicht zu achten
Wie ich!



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