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Dritter Abschnitt.
Die ersten wilden Wochen in Weimar

Das Aufsehen, welches Goethe dort machte. Goethe's Liebeleien. Schlittschuhlaufen, Teufeleien und Ausgelassenheit. Goethe's enge Vertrautheit mit Karl August. Er wird zum Geheimen Legationsrath erhoben. Den Widerspruch des Hofes bringt der Herzog zum Schweigen. Uebertriebene Gerüchte über den Scandal. Klopstock remonstrirt brieflich. Bruch zwischen Klopstock und Goethe. Gleim's Anekdote über Goethe. Der Vorwurf, daß Goethe sein Genie dem Hofe geopfert habe, ist abgeschmackt. Merck billigte seine Stellung.

In diesen Kreis trat Goethe im vollen Glanze der Jugend, der Schönheit und des Ruhms: der Jugend, die nach dem Ausdrucke der Griechen »der Herold der Venus« ist; der Schönheit, die die Griechen als das Abbild der Wahrheit vergötterten; des Ruhms, der die Augen der Sterblichen zu allen Zeiten wie ein überirdischer Glanz geblendet hat. So ausgerüstet zur Eroberung – können wir uns wundern, daß er eroberte? Selbst Amalie, so böse sie ihm war, weil er ihren lieben Wieland verspottet hatte, konnte dem Zauber seiner Gegenwart nicht widerstehen. Ihr Verehrung für den Genius ließ ihr keine Wahl. Sie war hingerissen von seiner Ausgelassenheit und seinen glänzenden Talenten. Jetzt entsetzte er sie mit einer unerhörten Behauptung, und im nächsten Augenblick sprang er auf und tanzte und tollte im Zimmer umher, mit Possen, über die sie vor Lachen ersticken wollte. Und Wieland? er ergab sich ohne Umstände. Ich lasse ihn für sich selbst sprechen; er schreibt nach der ersten Begegnung an Jacobi: »O bester Bruder, was soll ich dir von Goethe sagen? Wie ganz der Mensch beim ersten Anblick nach meinem Herzen war! wie verliebt ich in ihn wurde, da ich an der Seite des herrlichen Jünglings zu Tische saß! Alles, was ich Ihnen von der Sache sagen kann, ist dies: seit dem heutigen Morgen ist meine Seele so voll von Goethe wie ein Thautropfen von der Morgensonne.« Dies ist höchst ehrenvoll für Wieland; der greise Nestor blickt mit neidloser Freude auf den jungen Achill.

Nach Wieland und der Herzogin waren die Uebrigen leicht zu besiegen. »Goethe ging wie ein Stern in Weimar auf,« sagt Knebel, »jedermann hing an ihm, sonderlich die Damen.« In seinem Wertherkostüm, das sofort vom Herzoge angenommen wurde, erschien er als das Ideal eines Dichters. Für uns liegt eben nichts sehr Sentimentales in einem blauen Frack mit gelben Metallknöpfen, Lederhosen und Stulpenstiefeln, gepudertes Haar und Zopf dazu; allein in jenen Tagen war diese Tracht eine Erinnerung an alles Zärtliche und Romantische. Werther hatte sie geweiht; der Herzog nahm sie nicht nur selbst an, sondern nöthigte auch seine Umgebung dazu und bezahlte öfters selbst die Schneiderrechnung. Nur Wieland blieb verschont; er war zu alt für solchen Maskenscherz.

Um die ganze Macht des Einflusses, den Goethe auf die Frauen übte, zu würdigen, müssen wir uns in die Gefühle und Meinungen der Zeit zurückversetzen. Es waren die Tage der Galanterie, die Tage

der Pflästerchen, des Puders und der Schminke.

Die Freiheit der deutschen Sitten unterschied sich nur dadurch von der frecheren Zügellosigkeit Frankreichs, daß sie statt des Leichtsinns und der Ueppigkeit die Sentimentalität zur Grundlage hatte. Das Herz einer französischen Marquise ergab sich bei einem Souper, wo Champagner und Bonmots sprudelten; das Herz einer deutschen Gräfin ward eher durch eine Mondscheinschwärmerei und ein Blatt mit Versen gerührt. Witz und Verwegenheit waren die Batterieen, womit die Französin, Sonette und die Drohung eines Selbstmordes die, womit die Deutsche gewonnen ward. Bei der einen bedurfte Lothario der Munterkeit und des guten Tons; bei der andern war die Hauptsache ein in leidenschaftlichen Ausrufungen schwelgender Haß gegen alle gesellschaftlichen Schranken und ein alle gesellschaftlichen Formen mit Füßen tretendes Betragen. Es versteht sich von selbst, daß die Ehe großentheils nichts anderes war, als was Sophie Arnould mit furchtbarem Witz »das Sacrament des Ehebruchs« genannt hat, und daß die herrschenden Ansichten in geschlechtlichen Dingen dem Gewissen den weitesten Spielraum ließen. Der gute, ehrliche Schiller, dem niemand Leichtfertigkeit vorwerfen wird, bewunderte die Liaisons dangereuses und sah nicht ab, warum Frauen sie nicht lesen sollten; und jetzt ist das Buch so verrufen, daß die ganze Gesellschaft, die es hervorbringen und hochschätzen konnte, dadurch gebrandmarkt wird. Indessen selbst Schiller, der dieses Buch bewunderte, war betroffen über die Frauen in Weimar. »Da ist beinahe keine (schreibt er an Körner), die nicht eine Geschichte hätte oder gehabt hätte; erobern möchten sie gern alle … Man kann hier sehr leicht zu einer Angelegenheit des Herzens kommen, welche aber freilich bald genug ihren ersten Wohnplatz verändert.«

Bei diesem Tone der Gesellschaft begreift es sich, daß Goethe's erste Jahre in Weimar, wie er später gegen Eckermann bekannte, mit Liebeshändeln angefüllt waren. Ein großer Bewunderer und großer Günstling der Frauen, mußte er bald in ihre Netze fallen. Verschiedene Namen werden hervorgehoben; unter ihnen Fräulein von Kalb, Corona Schröter und Kotzebue's Schwester Amalie: doch muß ich gestehen, ich kann mich nach den genauesten Forschungen nicht überzeugen, daß er irgend eine von ihnen wirklich geliebt hat. Wir müssen uns mit der Thatsache begnügen, daß er überall umherflatterte und jedem schönen Augenpaar den Hof machte, das ihn einen Augenblick zum Glauben an seine eigenen Worte überreden konnte. »Ich log und trog mich bei allen hübschen Gesichtern herum und hatte den Vortheil, immer im Augenblick zu glauben, was ich sagte,« schreibt er an Frau von Stein. Briefe I. 5.

In den ersten Monaten gab er sich ganz der Aufregung dieses neuen Lebens hin. Unter anderm führte er das Schlittschuhlaufen ein. Weimar hatte noch nie einen Edelmann auf dem Eise gesehen; aber wie Klopstock den Eislauf poetisch verherrlicht hatte, so brachte ihn Goethe jetzt durch seine Kühnheit und Grazie in die Mode. Das Schlittschuhlaufen auf dem Schwanenteich wurde »zur Wuth.« Zuweilen waren Nachts die Ufer mit Lampen und Fackeln erleuchtet, Musik und Feuerwerk belebte die Scene. Die Herzogin und die Damen, maskirt wie zur Fastnachtszeit, wurden in Schlitten auf dem Eise gefahren. »Ich treibs hier toll genug (schreibt Goethe an Merck), und wir machen des Teufels Zeug.« Wielands Lieblingsbezeichnung für ihn war »wüthig«, und wüthig war er. In wunderbaren Scenen erscheint er uns: jetzt über das Eis hinsausend; jetzt in Bertuchs Zimmer sein langes Haar auflösend und mit fliegenden Locken in bacchantischem Taumel umherwirbelnd; dann wieder, zum Entsetzen von ganz Weimar, brutalisirt er, wie Wieland sagt, die bestialische Natur, stellt sich mit dem Herzoge auf den Markt, und stundenlang knallen sie mit großen Hetzpeitschen um die Wette. Man denke sich einen Herzog und einen Dichter so auf offenem Markte!

Sein steter Genosse und fröhlichster Gefährte bei allen Teufeleien und Tollheiten war Karl August. Alles Formenwesen war zwischen ihnen aufgehoben. Sie aßen zusammen, schliefen oft in demselben Zimmer und nannten sich mit dem brüderlichen Du. »Goethe kommt nicht wieder von hier los (schreibt Wieland), Karl August kann nicht mehr ohne ihn schwimmen noch waten. Der Hof oder vielmehr seine Liaison mit dem Herzog verderbt ihm viel Zeit, um die es herzlich Schad' ist. Und doch, bei diesem herrlichen Gottesmenschen ist nichts verloren.« Die ernsteren und gesetzteren Kreise von Weimar waren außer sich über das Betragen der beiden und ihrer Genossen; ein Betragen, das ganz dem Geiste der Genieperiode entsprach. Sie tranken bei ihren Orgien den Wein aus Schädeln (wie Byron und seine Freunde in ihrer wilden Zeit), und das Mein und Dein machte in ihrem Verkehr keinen Unterschied; sie entliehen Taschentücher und Westen von einander, die sie niemals zurückgaben. Das Lieblingswort des Tages war »unendlich«; das Genie verschlang unendliche Würste, trank unendlich und liebte unendlich. Gleich in dem ersten Briefe Karl Augusts an Goethe, der sich erhalten, findet sich bezeichnender Weise dieser Ausdruck. »Lieber Goethe, ich habe Deinen Brief erhalten, er freut mich unendlich.«

Das herzliche Verhältnis in welchem die beiden Freunde zu einander standen, die freundlichst ungezwungene Art ihres Verkehrs läßt sich aus den leider sehr spärlichen Briefen erkennen, die sie in der ersten Zeit wechselten. Goethe schreibt (unterm 25. März 76 zu Leipzig) ganz in der naiven Sprache, die dem Götz einen unverlöschlichen Zauber giebt, – schreibt als hörte man Georg, den »goldenen Jungen«, zu seinem ritterlichen Herren sprechen: »Lieber Herr, da bin ich nun in Leipzig, ist mir sonderbar worden beim Nähern; davon mündlich mehr, und kann nicht genug sagen, wie sich mein Erdgeruch und Erdgefühl gegen die schwarz, grau, streifröckigen, krummbeinigen, perrückengeklebten, degen-schwänzlichen Magisters, gegen die feiertagsberockte, altmodische, schlankliche, vieldünkliche Studenten-Buben, gegen die zuckende, kriechende, schnäbelnde und schwämmelnde Mägdlein und gegen die feste, strotzliche … Junge-Mägde ausnimmt, welcher Gräuel mir alle heut entgegnet sind … Ich bin seit vierundzwanzig Stunden (denn es ist netto Abends Achte) nicht bei Sinnen, das heißt bei zu vielen Sinnen, über- und unsinnlich. Habe die Nacht durch manches Knäulchen Gedanken-Zwirn auf- und abgewickelt; diesen Morgen stieg mir die göttliche Sonne hinter Naumburg auf. Ade l. gn. Herr! Und somit können Sie nie aufhören zu fühlen, daß ich Sie lieb habe.« – Aehnlich im Mai 76 aus Ilmenau: »Wie mir's gangen ist müssen Sie gleich wissen; … ich bin keine sechs Stunden geritten, also wie sich's gehört; da kam ich in ein spitziges Nachtrieseln, das grad vom Wald kam, und traf endlich glücklich bedreckt ein … Von dem Raub haben Sie nun den Bericht gesehen. Man hat gestreift, nichts gefunden. Die sechs Husaren sind heut hergekommen. Und wollen Morgen auf Frauenwalde, ich will mit.« Auch klingen ernstere Mahnungen schon in dieser Zeit an. In demselben Briefe schreibt er dem Herzog frischweg: »Hiernach hab' ich noch eine Lektion für Sie! Da ich so auf dem Wege über Ihre allzugroße Hitze bei solchen Gelegenheiten dachte, dadurch Sie immer im Fall sind, wo nicht was Unrechtes doch was Unnöthiges zu thun und Ihre eigenen Kräfte vergebens anzuflammen … Seyen Sie hübsch ruhig, soviel's sein kann, leben Sie als homme de lettres und Privatmann; schonen Sie die Hüfte bei dem Wetter.«

Jenes wilden Treibens, mit welchem die »Genialität« ihren triumphirenden Einzug auf Gassen und Markt, in Hof und Palast feierte, wurde Goethe's Dichternatur doch bald überdrüssig. Nach zwei Monaten der Zerstreuung, die er mit Maskeraden, Schlittschuhlaufen, Jagen, Trinken und Spielen hingebracht hatte, trieb ihn das Bedürfniß nach einfachen Menschen und schöner Natur von Weimar nach Waldeck. Im geräuschvollen Drange des Lebens hatte er seine Seele stets verschlossen gehalten und aus der erstickenden Lust der Gesellschaft eilte er mit Ungeduld in die reine Stille der Einsamkeit. Bei seiner Reise durch die sich fichtenbekränzten Gebirge überwehte ihn ein Gefühl der Vergangenheit, bei dem Lili's Bild mit schmerzlicher Gewalt hervortrat.

Das Verlangen des Herzogs, der über die Trennung ungeduldig ward, rief ihn zurück, und während er noch überlegte, ob er in Weimar bleiben oder nach Frankfurt zurückkehren sollte, fing er bereits an, zunächst als Gast, einen Platz im Geheimen Rathe einzunehmen. Er hatte das Hofleben versucht und wollte nun auch das Regiment versuchen. »Ich bin hier wie unter den Meinigen,« schreibt er, »und der Herzog wird mir täglich werther.« In der That erwiesen sich die Prophezeiungen seines Vaters als grundlos. Die Verbindung zwischen ihm und Karl August war von ganz anderer Art als die zwischen Friedrich und Voltaire. Im Stillen verachtete Voltaire die Verse seines Gönners, wie dieser im Stillen Voltaire's Schwächen verachtete. Ein paar unbedachte Ausdrücke waren hinreichend, das Band zwischen ihnen zu zerreißen, während ein ganzes Leben die Beziehungen zwischen Goethe und dem Herzog nur enger knüpfte. Ihre Freundschaft war nicht blos eine Verbindung guter Gesellen. Beide hatten große Zwecke und mächtigen Willen. Karl August und Goethe waren nicht gemacht, sich in flüchtigen Zerstreuungen zu verlieren, und noch in den letzten Augenblicken vor den lustigen Ausflügen wurden oft die ernsthaftesten und schwierigsten Geschäfte erledigt. Wohl konnte Goethe sagen:

Mein Karl und ich vergessen hier,
Wie seltsam uns ein tiefes Schicksal leitet,
Und ach! ich fühl's, im Stillen werden wir
Zu neuen Scenen vorbereitet.

Ja, sie lernten »in holder Gegenwart der lieben Zukunft hoffen!«

Der Herzog wußte, was er that, als er sich über jedes Herkommen hinwegsetzte und Goethe im Juni 1776 zum Range eines Geheimen Legationsrathes mit Sitz und Stimme im Geheimen Rath und zwölfhundert Thalern Gehalt erhob. In einem Briefe an Goethe's Vater erklärte er, sein Sohn könne den Dienst zu jeder Zeit wieder verlassen und die ganze Anstellung sei eine bloße Form und dürfe nicht als Maaßstab seiner Zuneigung gelten. »Goethe kann nur eine Stellung haben – die meines Freundes. Alle andern sind unter seinem Werth.«

Der Posten eines Geheimen Legationsraths in Weimar ist eben nicht übermäßig beneidenswerth, und die zwölfhundert Thaler Gehalt erscheinen um so weniger glänzend, wenn man bedenkt, daß der König von Preußen zu derselben Zeit einer italienischen Tänzerin, der Barberini, genau das Zehnfache gab. Trotzdem machte die Beförderung gewaltiges Aufsehen. Weimar war wie vom Donner gerührt. Schon die Gunstbezeugungen an Wieland hatten zu reden gegeben; aber diese Erhebung eines Frankfurter Bürgerlichen erregte die ernstlichsten Besorgnisse. Ein Dichter ohne Von vor seinem Namen, der mit den Geschäften nicht bekannt, dessen Leben nichts weniger als über allen Tadel erhaben war, sollte plötzlich über alle wahlberechtigten Bewerber emporsteigen! Wenn es dazu kam, was durfte die verdienstvolle Mittelmäßigkeit noch hoffen? welche Vortheile blieben der mühsam erworbenen Geschäftskenntniß?

So murrte der entrüstete Hof. Das Murren ward endlich vernehmlich und fand seinen Ausdruck in Form eines Protestes. Der Herzog hielt es der Mühe werth, sein Verfahren in einer wohlüberlegten Erklärung zu rechtfertigen, und bemerkte mit eigener Hand zu dem Bericht seines Ministeriums: »Einsichtsvolle wünschen mir Glück, diesen Mann zu besitzen. Sein Kopf, sein Genie ist bekannt. Einen Mann von Genie an anderm Ort zu gebrauchen, als wo er selbst seine außerordentlichen Gaben gebrauchen kann, heißt ihn mißbrauchen. Was aber den Einwand betrifft, daß durch den Eintritt viele verdiente Leute sich für zurückgesetzt erachten würden, so kenne ich erstens Niemand in meiner Dienerschaft, der, meines Wissens, auf dasselbe hoffte, und zweitens werde ich nie einen Platz, welcher in so genauer Verbindung mit mir, mit dem Wohl und Wehe meiner gesammten Unterthanen steht, nach Anciennetät, ich werde ihn immer nur nach Vertrauen geben. Das Urtheil der Welt,. welches vielleicht mißbilligt, daß ich den Dr. Goethe in mein wichtiges Collegium setze, ohne daß er zuvor Amtmann, Professor, Kammerrath oder Regierungsrath war, ändert gar nichts. Die Welt urtheilt nach Vorurtheilen; ich aber sorge und arbeite, wie jeder Andere, der seine Pflicht thun will, nicht um des Ruhmes, nicht um des Beifalls der Welt willen, sondern um mich vor Gott und meinem eigenen Gewissen rechtfertigen zu können.«

Wir dürfen wohl Dümonts Aeußerung wiederholen, daß der Fürst, der so etwas mit neunzehn Jahren schrieb, ein ungewöhnlicher Mensch sein mußte. Er hatte nicht nur den Blick, der das Große erkennt, sondern auch den festen Willen, nach seiner Einsicht zu handeln, unbekümmert um Geschäftsgang und Formeln. »Man sage, was man will, das Gleiche kann nur vom Gleichen erkannt werden, und nur ein Fürst, der selber große Fähigkeiten besitzt, wird wiederum große Fähigkeiten in seinen Unterthanen und Dienern gehörig erkennen und schätzen.« Goethe's Gespräche mit Eckermann III, 233. Das Volk sah, der Herzog war entschlossen. Das Murren verstummte oder löste sich in das müßige Gerede einiger Privatkreise auf, das, wie alle Klatschereien, bald über neuen Gegenständen vergessen ward.

Wenn man billig sein will, war übrigens das Murren in Weimar nicht ganz ohne Grund. In damaligen Zeiten betrachtete der Adel überall die Stellen als sein Eigenthum, und als dem Könige von Baiern einmal ein Bürgerlicher von Talent zu einem Posten empfohlen wurde, rief er: »Was? soll ich einen Abenteurer anstellen?« Daß Friedrich August von Sachsen Verdienste als Anspruch auf Beförderung anerkannte, galt als etwas ganz besonderes. Abgesehen von diesem allgemeinen Vorurtheil, das durch Goethe's Beförderung verletzt wurde, gab das Leben, welches die geniale Gesellschaft führte, nicht nur in Weimar Anstoß, sondern das Aergerniß verbreitete sich auch mit immer wachsenden Uebertreibungen in alle Welt und kam entfernten Freunden zu Ohren. So sandte Klopstock nur einen Monat vor Goethe's Anstellung diesem einen Brief, den die Lästerung von der Freundschaft erpreßt hatte:

»Hamburg, 8. Mai 1776. Hier ein Beweis von Freundschaft, lieber Goethe! Er wird zwar ein wenig schwer, aber er muß gegeben werden. Lassen Sie mich nicht damit anfangen, daß ich es glaubwürdig weiß; denn ohne Glaubwürdigkeit würde ich ja schweigen. Denken Sie auch nicht, daß ich Ihnen, wenn auf Ihr Thun und Lassen ankommt, einreden werde; auch das denken Sie nicht, daß ich Sie deßwegen, weil Sie vielleicht in diesem oder jenem andere Grundsätze haben, als ich, strenge beurtheile. Aber Grundsätze, Ihre und meine, beiseite, was wird denn der unfehlbare Erfolg seyn, wenn es fortwährt? Der Herzog wird, wenn er sich ferner bis zum Krankwerden betrinkt, anstatt, wie er sagt, seinen Körper dadurch zu stärken, erliegen und nicht lange leben. Es haben sich wohl starkgeborene Jünglinge, und das ist denn doch der Herzog gewiß nicht, auf diese Art frühe hingeopfert. Die Deutschen haben sich bisher mit Recht über ihre Fürsten beschwert, daß diese mit ihren Gelehrten nichts zu schaffen haben wollten. Sie nehmen jetzo den Herzog von Weimar mit Vergnügen aus. Aber was werden andere Fürsten, wenn Sie in dem alten Tone fortfahren, nicht zu ihrer Rechtfertigung anzuführen haben? Wenn es nun wird geschehen, was ich fühle, daß es geschehen wird! Die Herzogin wird vielleicht ihren Schmerz jetzo noch niederhalten können; denn sie denkt sehr männlich. Aber dieser Schmerz wird Gram werden, und läßt sich der denn auch etwa niederhalten? Louisens Gram, Goethe! – Nein, rühmen Sie sich nur nicht, daß Sie lieben, wie ich! – – Ich muß noch ein Wort von meinem Stolberg sagen. Er kommt aus Freundschaft zum Herzog. Er soll also doch wohl mit ihm leben? Wie aber das? Auf seine Weise? Nein, er geht, wenn es sich nicht ändert, wieder weg. Und was ist dann sein Schicksal? Nicht in Kopenhagen, nicht in Weimar. Ich muß Stolberg schreiben; was soll ich ihm schreiben? Es kommt auf Sie an, ob Sie dem Herzog diesen Brief zeigen wollen, oder nicht. Ich für mich habe nichts dawider. Im Gegentheil; denn da ist er gewiß noch nicht, wo man die Wahrheit, die ein treuer Freund sagt, nicht hören will. Klopstock.«

Goethe's Antwort erfolgte vierzehn Tage später, am 21. Mai. »Verschonen Sie uns künftig mit solchen Briefen, lieber Klopstock! Sie helfen uns nichts und machen uns immer ein paar böse Stunden. Sie fühlen selbst, daß ich darauf nichts zu antworten habe. Entweder ich müßt' als ein Schulknabe ein Pater peccavi anstimmen, oder sophistisch entschuldigen, oder als ein ehrlicher Kerl vertheidigen, und käme vielleicht in der Wahrheit ein Gemisch von allen Dreien heraus, und wozu? Also kein Wort mehr zwischen uns über die Sache. Glauben Sie mir, daß mir kein Augenblick meiner Existenz überbliebe, wenn ich auf alle solche Anmahnungen antworten sollte. – Dem Herzog that's einen Augenblick weh, daß es ein Klopstock wäre. Er liebt und ehrt Sie; von mir wissen und fühlen Sie eben das. Leben Sie wohl. Stolberg soll immer kommen. Wir sind nicht schlimmer und will's Gott, besser, als er uns gesehen hat.«

Darauf erwiderte Klopstock voll Entrüstung: »Sie haben den Beweis meiner Freundschaft so sehr verkannt, als er groß war, besonders deßwegen, Weil ich unaufgefordert mich höchst ungern in das mische, was Andere thun. Und da Sie sogar unter all solche Briefe und all solche Anmahnungen (denn so stark drücken Sie sich aus) den Brief werfen, welcher diesen Beweis enthielt, so erkläre ich Ihnen hiemit, daß Sie nicht werth sind, daß ich ihn gegeben habe. – Stolberg soll nicht kommen, wenn er mich hört, oder vielmehr, wenn er sich selbst hört.«

Der Bruch wurde nie wieder geheilt. Stolberg kam nicht nach Weimar, und Klopstock schrieb nicht wieder.

Um zur Sache zurückzukommen: wie viel oder wie wenig thatsächlicher Gehalt den umlaufenden Klatschereien zu Grunde lag, gewiß ist es, daß der Herzog in diesen Orgien die Sorge für das Land nicht vergaß. Sowohl er als sein Freund waren mit dem gründlichsten Ernste thätig. Wenn Weimar, wie ein deutscher Geschichtschreiber bemerkt, Menzel 241. als leuchtende Ausnahme unter den deutschen Höfen dasteht, so war es, weil Karl August unter dem Einflusse seines Freundes das Wort Friedrich's des Großen: »der Fürsten ist nur der Erste der Unterthanen« im vollsten Sinne verwirklichte. Die wohlthätige Wirksamkeit Goethe's zeigt sich weniger in solchen allgemein bekannten Einzelheiten, wie die, daß er eine Subscription auf Bürger's Homer-Uebersetzung eröffnete und Jung Stilling in seiner Armuth Erleichterung schaffte, als in der stetigen Beförderung des Volkswohls, zu der er den Herzog veranlaßte; in dem Briefwechsel mit diesem erkennt man an hundert kleinen Zügen die Tiefe und Unwandelbarkeit seines Mitgefühls für die untern Klassen.

Daß er freilich nicht die würdige Haltung eines Rathes hatte, ist deutlich genug. Man höre nur, was der alte Gleim darüber erzählt. »Kurz darauf, nachdem Goethe seinen Werther geschrieben hatte, kam ich nach Weimar und wollte ihn gern kennen lernen. Ich war Abends zu einer Gesellschaft bei der Herzogin Amalie eingeladen, wo es hieß, daß Goethe späterhin auch kommen würde. Als literarische Neuigkeit hatte ich den neuesten göttinger Musenalmanach mitgebracht, aus dem ich Eins und das Andere der Gesellschaft mittheilte. Indem ich noch las, hatte sich auch ein junger Mann, auf den ich kaum gemerkt, mit Stiefeln und Sporen und einem kurzen, aufgeschlagenen Jagdrocke, unter die übrigen Zuhörer gemischt. Er saß mir gegenüber und hörte sehr aufmerksam zu. Außer einem Paar schwarzglänzenden italienischen Augen, die er im Kopfe hatte, wüßte ich sonst nichts, das mir besonders an ihm aufgefallen wäre. Allein es war dafür gesorgt, ich sollte ihn schon näher kennen lernen. Während einer kleinen Pause nämlich, wo einige Herren und Damen über dies oder jenes Stück ihr Urtheil abgaben, eins lobten, das andere tadelten, erhob sich jener feine Jägersmann – denn dafür hatte ich ihn anfänglich gehalten – vom Stuhle, nahm das Wort und erbot sich in demselben Augenblicke, wo er sich auf eine verbindliche Weise gegen mich verneigte, daß er, wofern es mir so beliebte, im Vorlesen, damit ich nicht allzusehr ermüdete, von Zeit zu Zeit mit mir abwechseln wollte. Ich konnte nicht umhin diesen höflichen Vorschlag anzunehmen und reichte ihm auf der Stelle das Buch. Aber Apollo und die neun Musen, die drei Grazien nicht zu vergessen, was habe ich da zuletzt hören müssen! Anfangs ging es zwar ganz leidlich.

Die Zephyr'n lauschten,
Die Bäche rauschten,
Die Sonne
Verbreitet' ihr Licht mit Wonne.

»Auch die etwas kräftigere Kost von Voß, Leopold Stolberg, Bürger wurde so vorgetragen, daß sich Keiner darüber zu beschweren hatte. Auf einmal aber war es, als ob den Vorleser der Satan des Uebermuthes beim Schopfe nehme, und ich glaubte, den wilden Jäger in leibhaftiger Gestalt vor mir zu sehen. Er las Gedichte, die gar nicht im Almanach standen, er wich in alle nur mögliche Tonarten und Weisen aus. Hexameter, Jamben, Knittelverse, und wie es nur immer gehen wollte, Alles unter- und durcheinander, wie wenn er es nur so herausschüttelte.

»Was hat er nicht alles mit seinem Humor an diesem Abend zusammenphantasirt! Mitunter kamen so prächtige, wiewohl nur eben so flüchtig hingeworfene als abgerissene Gedanken, daß die Autoren, denen er sie unterlegte, Gott auf den Knieen dafür hätten danken müssen, wenn sie ihnen vor ihrem Schreibpulte eingefallen wären. Sobald man hinter den Scherz kam, verbreitete sich eine allgemeine Fröhlichkeit durch den Saal. Er versetzte allen Anwesenden irgend etwas. Auch meiner Mäcenschaft, die ich von jeher gegen junge Gelehrte, Dichter und Künstler für eine Pflicht gehalten habe – so sehr er sie auf der einen Seite belobte, so vergaß er doch nicht auf der andern Seite mir einen kleinen Stich dafür beizubringen, daß ich mich zuweilen in den Individuen, denen ich diese Unterstützung zu Theil werden ließ, vergriffe. Deshalb verglich er mich witzig genug in einer kleinen ex tempore in Knittelversen gedichteten Fabel mit einem frommen und dabei über die Maßen geduldigen Truthahn, der eigene und fremde Eier in großer Menge und mit großer Geduld besitzt und ausbrütet; dem es aber en passant wohl auch einmal begegnet, und der es nicht übel nimmt, wenn man ihm – ein Ei von Kreide statt eines wirklichen unterlegt.

»Das ist entweder Goethe oder der Teufel!« rief ich Wieland zu, der mir gegenüber am Tische saß. – »Beides,« gab mir dieser zur Antwort; »er hat einmal heute wieder den Teufel im Leibe; da ist er wie ein muthiges Füllen, das vorn und hinten ausschlagt, und man thut wohl, ihm nicht allzu nahe zu kommen.«

Man muß im Auge behalten, was Goethe in seiner Jugend war, um ganz zu würdigen, was er wurde. Er hatte nicht sobald seine politische Laufbahn angetreten, so begann er die Ausgelassenheit seines Betragens herabzustimmen; ohne den Genüssen des Lebens zu entsagen, bemühte er sich, sein Wesen dem Geschmack der Leute anzupassen, deren würdevolle Haltung nur von der stockenden Langsamkeit ihrer Lebenspulse zeugte. Einen Monat nach seiner Anstellung schreibt Wieland: »Goethe hat freilich in den ersten Monaten die Meisten (mich niemals) oft durch seine damalige Art zu sein scandalisirt und dem Diabolus prise über sich gegeben. Aber schon lange und von dem Augenblicke an, da er decidirt war, sich dem Herzoge und seinen Geschäften zu widmen, hat er sich mit untadlicher σωφροσύνη und aller ziemlichen Weltklugheit aufgeführt.« Und an einer andern Stelle: »er hat bei all seiner anscheinenden Naturwildheit im kleinen Finger mehr conduite und savoir vivre als alle Hofschranzen, Bonifaz-Schleichers und politische Kreuzspinnen zusammengenommen in Leib und Seele. So lange Karl August lebt, richten die Pforten der Hölle nichts gegen ihn aus.«

Je mehr man mit den Einzelheiten dieser Epoche vertraut wird, desto grundloser erscheint der oft ausgesprochene Vorwurf gegen Goethe, »er habe sein Genie der Hofgunst aufgeopfert.« Einen äußeren Beruf mußte er wählen. Als bloßer Dichter zu leben war damals noch weniger möglich als jetzt; mit Versen ließ sich wohl Ruhm erwerben, aber kein Geld; Ruhm und Hunger standen damals, wie zu allen Zeiten, in verhängnißvoller Beziehung. Sobald man die Nothwendigkeit eines Lebensberufes zugiebt, verliert der Tadel seinen Boden; denn wenn man dem Dichter ein Verbrechen daraus macht, seine Zeit mit Hoffesten und Regierungsgeschäften, die andere eben so gut besorgt hätten, vergeudet zu haben, so muß man zunächst die Frage beantworten, ob er diese Zeit gespart haben würde, wenn er bei der Rechtswissenschaft geblieben wäre und an den Frankfurter Gerichtshöfen Prozesse geführt hätte. Oder hätte er lieber zu einer Lage herabsteigen sollen wie der arme Schiller, der einen so großen Theil seines kostbaren Lebens in literarischer Tagelöhnerarbeit opferte, indem er französische Bücher für einen jämmerlichen Preis übersetzte? Die Zeit hätte er jedenfalls auch verloren, und für die, welche er dem Herzoge opferte, empfing er, wie er in dem bekannten Gedichte sagt,

– – – was Große selten gewähren,
Neigung, Muße, Vertrau'n, Felder und Garten und Haus.
Niemand braucht' ich zu danken, als ihm, und Manches bedurft' ich,
Der ich mich auf den Erwerb schlecht, als ein Dichter, verstand.
Hat mich Europa gelobt, was hat mir Europa gegeben?
Nichts! ich habe, wie schwer! meine Gedichte bezahlt.
Niemals frug ein Kaiser nach mir, es hat sich kein König
Um mich bekümmert, und er war mir August und Mäcen.

In einem 1801 geschriebenen Briefe an seine Mutter, wo er die Klagen der Leute erwähnt, die seine Stellung so falsch beurtheilen, bemerkt er, sie sähen nur, was er aufgebe, nicht was er gewänne, sie begriffen nicht, wie er täglich reicher werden könne, da er täglich so viel verschwende. Er bekennt, daß der enge Kreis eines bürgerlichen Lebens seinem glühenden und hochfliegenden Geiste nicht zugesagt haben würde. Wäre er in Frankfurt geblieben, so hätte er die Welt nicht kennen gelernt. In Weimar hatte er das Schauspiel des Lebens vor sich, und seine Erfahrung bereicherte sich mit jedem Tage. Verbrachte nicht Leonardo da Vinci einen großen Theil seiner Zeit, indem er den Hof von Mailand mit seiner Poesie und seinem Lautenspiel entzückte? vergeudete er nicht auch seine Zeit mit mechanischen und hydraulischen Arbeiten für den Staat? Kein Vorwurf erhebt sich gegen seinen ehrwürdigen Namen; niemand nennt ihn treulos gegen den Genius; niemand macht ihm einen Vorwurf daraus, daß er eine Zeit lang so wenig gemalt habe. Das »Abendmahl« spricht für ihn. Und sprechen nicht Tasso, Iphigenie, Egmont, Hermann und Dorothea, Faust, Wilhelm Meister und die lange Reihe der übrigen Werke für Goethe?

Ich habe nur von der Verschwendung seiner Zeit gesprochen, denn die Ansicht, daß das Hofleben seinen Geist herabgezogen und dadurch seinem Genie geschadet habe, ist abgeschmackt. Der Leser wird hoffentlich sehen, wie frei sein Verhältniß zum Herzoge von jedem Zwang, von jeder Hemmung einer lebendigen Regung war. Gehörte es doch nach Riemers vollkommen zuverlässiger Versicherung zu den Klagen der untergeordneten Personen gegen ihn, daß er die Hofetikette nicht genügend beobachte. Wer mit Niebuhr der Meinung ist, der Hof sei die Delila gewesen, der er seine Locken geopfert habe, der versteht weder seinen Genius noch sein Leben. Wäre sein Genie von der stürmischen Art gewesen, wie wir es bei großen Reformatoren und großen Märtyrern finden, – hätte er die Bestimmung gehabt, die Menschheit bis in ihre innersten Tiefen zu erschüttern und durch erhabene Zukunfts-Visionen zu den höchsten Opfern zu entzünden, dann dürften wir allerdings sagen, es ziemte sich nicht für ihn, sich in das bunte Gewühl zu mischen und den rasch hingleitenden Strom beim Klange der Musik und unter dem Jauchzen fröhlicher Stimmen hinabzufahren. Allein er war kein Reformator und kein Märtyrer. Er war ein Dichter, dessen Religion die Schönheit, dessen Heiligthum die Natur, dessen Zweck die Bildung war. Seine Sendung bestand darin, das Leben darzustellen, und dazu mußte er das Leben beobachten. Günstigere Verhältnisse hätten ihn emporheben und in eine großartigere Sphäre versetzen können. Es wäre ganz etwas anderes gewesen (das fühlte er oft), wenn er eine Nation vor sich gehabt hätte und nicht eine bunte Masse kleiner Stämme, die genug vom Vaterlande sprechen, aber in keiner Weise vorbereitet sind, ein Volk zu werden. Es giebt noch manch ein Wenn, in welchem »ungemein viel Kraft steckt;« indessen, da er die Verhältnisse nicht machen konnte, so müssen wir seinem Beispiele folgen und mit dem vorlieb nehmen, was die Götter ihm gewährten. Ich wüßte nicht, in welcher andern Sphäre, die ihm offen stand, sein Genius sich reiner hätte entfalten können, und ich sehe dagegen, daß er sich aus den gegebenen Verhältnissen einen würdigen Tempel schuf, auf dessen Altar die Flamme mit unwandelbarer Klarheit loderte. Gönnen wir phantasiereicheren Lebensbeschreibern die Beschäftigung, zu untersuchen, was Goethe hätte sein können, und suchen wir annähernd zu verstehen, was er war.

»Poesie (sagt Carlyle tiefsinnig), ist der Versuch des Menschen, sein Dasein harmonisch zu gestalten.« Sie ist die Blüthe des Lebens, aber nicht das Leben selbst mit seinen täglichen Bedürfnissen, seinen täglichen Kämpfen, seiner täglichen Prosa. Der wahre Dichter schickt sich mit männlichem Geiste in die Lage, in die ihn das Schicksal versetzt, und sucht sich innerhalb derselben sein Dasein harmonisch zu gestalten; der eingebildete gleicht dem Handwerker, der mit seinem Arbeitszeuge hadert, und betäubt uns mit Versicherungen, was er geworden wäre, wenn er in andern Verhältnissen lebte. Die Ereignisse führten Goethe an einen kleinen Hof, wo ihn Freundschaft, Liebe, Muße und die Aussicht auf ein freieres und edleres Leben, als die Frankfurter Gerichtshöfe darboten, fesselten. Er wählte seine Bahn mit Ueberlegung; die folgende Darstellung wird zu zeigen suchen, daß er Mittel fand, seinem Genius treu zu bleiben.

Es ist kaum der Mühe werth, das Geschwätz von seinem Servilismus und seiner Fürstendienerei zu beantworten. Es ward ihm nicht zugemuthet, servil zu sein, und er hatte von Natur den Stolz eines Königs. »Es heißt, ich sei ein Fürstendiener, ein Fürstenknecht,« sagte er zu Eckermann. »Als ob damit etwas gesagt wäre. Diene ich denn etwa einem Tyrannen, einem Despoten? diene ich etwa einem solchen, der auf Kosten des Volkes nur seinen eigenen Lüsten lebt? Solche Fürsten und solche Zeiten liegen gottlob längst hinter uns. Ich bin dem Großherzog seit einem halben Jahrhundert auf das innigste verbunden und habe ein halbes Jahrhundert mit ihm gestrebt und gearbeitet; aber lügen müßte ich, wenn ich sagen wollte, ich wüßte einen einzigen Tag, wo der Großherzog nicht daran gedacht hätte, etwas zu thun und auszuführen, das dem Lande zum Wohl gereichte und das geeignet wäre, den Zustand des Einzelnen zu verbessern. Für sich persönlich, was hatte er denn von seinem Fürstenstande als Last und Mühe! Ist seine Wohnung, seine Kleidung und seine Tafel etwa besser bestellt, als die eines wohlhabenden Privatmannes? Man gehe nur in unsere Seestädte, und man wird Küche und Keller eines angesehenen Kaufmannes besser bestellt finden, als die seinigen. Soll ich denn mit Gewalt ein Fürstenknecht sein, so ist es wenigstens mein Trost, daß ich doch nur der Knecht eines solchen bin, der selber ein Knecht des allgemeinen Besten ist.« Vergl. auch Buch 5, Abschnitt 3, im zweiten Bande.

Um diese Frage mit eins zu erledigen, lese man den folgenden Brief von Merck – von demselben Merck, der nach Falck so bitter über Goethe's Zeitvergeudung in Weimar geklagt haben soll. »Ich habe Goethen neulich auf der Wartburg besucht (schreibt er an Nicolai), und wir haben zehn Tage zusammen wie die Kinder gelebt. Mich freut es, daß ich von Angesicht gesehen habe, was an seiner Situation ist. Das Beste von Allem ist der Herzog, den die Esel zu einem schwachen Menschen gebrandmarkt haben, und der ein eisenfester Charakter ist. Ich würde aus Liebe zu ihm eben das thun, was Goethe thut … Ich sage Ihnen aufrichtig, der Herzog ist einer der respectabelsten und gescheitesten Menschen, die ich je gesehen habe, – und überlegen Sie, dabei ein Fürst und ein Mensch von zwanzig Jahren.« Die langjährige und herzliche Correspondenz, die Merck mit dem Herzoge unterhielt, ist der beste Beweis von der Aufrichtigkeit seines Urtheils.



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