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Fünfter Abschnitt.
Straßburg

Goethe bezieht die Straßburger Universität. Sein Aeußeres. Der Straßburger Münster. Allgemeiner Fortschritt. Widerwille gegen das »System der Natur«. Raphaels Cartons. Die ominösen Bilder bei der Durchreise von Marie Antoinette. Goethe's französische Verse. Mystisch-metaphysische Studien. Frühe Neigung zur Verehrung der Natur. Giordano Bruno. Bemerkungen über Bayle's Kritik. Merkwürdige Erläuterung eines Kapitels im Fabricius. Bessere Sitten. Der Kreis seiner Freunde erweitert sich. Erste Begegnung und Freundschaft mit Jung-Stilling. Freundschaft mit Franz Lerse. Bemeistert seine Reizbarkeit und Empfindlichkeit. Zwei Liebesgedichte. Tanzstunden. Die Tanzmeister-Töchter Emilie und Lucinde.

Am 2. April 1770 kam Goethe in Straßburg an. Er hatte das zwanzigste Jahr überschritten, und nie vielleicht war ein schönerer Jüngling in Straßburgs Mauern eingezogen. Lange bevor er berühmt war, fand man ihn einem Apollo ähnlich; wenn er in ein Speisehaus trat, legten die Leute Gabel und Messer nieder und staunten ihn an. Bilder und Büsten geben nur eine schwache Andeutung von dem, was in seiner Erscheinung am meisten ergriff; nur den Schnitt der Züge geben sie, nicht deren Spiel, und selbst in den bloßen Formen sind sie nicht genau. Seine Züge waren groß und frei geschnitten, ähnlich wie die schönen leichten Linien der griechischen Kunst. Die Stirn hochgewölbt und mächtig; unter ihr hervor schienen große glänzende braune Augen von wunderbarer Schönheit, mit Pupillen von fast beispiellosem Umfang; die ein wenig gebogene Nase groß und fein geschnitten; der volle Mund mit der kurzen aufgeworfenen Oberlippe, höchst ausdrucksvoll; Kinn und Kinnbacken von kühnem Bau, und der Nacken, der diesen Kopf trug, schön und kräftig – aber all diese Einzelheiten sind doch nur ein Inventar, so zu sagen, seines Aeußern und geben von dem Ganzen kein klares Bild.

Von Gestalt war er über Mittelgröße, aber obgleich eigentlich nicht groß, sah er doch so aus und wird gewöhnlich auch so beschrieben, so imposant war seine Erscheinung Rauch erklärte dies gegen den Verf. aus seiner breiten Büste und geraden Haltung.. Stark und kräftig gebaut, war seine Organisation doch zart und reizbar. Das ist ein Gegensatz, der, wie Dante sagt, in der Natur der Dinge liegt; denn

– – je vollendeter ein Wesen,
Je stärker wird es Freud' und Schmerz empfinden.

Ausgezeichnet in allen körperlichen Uebungen, war er gegen atmosphärische Einflüsse so empfindlich, daß er sich selbst ein Barometer nannte.

So war das Aeußere des Jünglings, der am 2. April 1770 im Gasthofe zum Geist in Straßburg abstieg. Kaum dem Staube der Landstraßen und der Langeweile des Postwagens entrückt, eilte er, den berühmten Münster zu besehen, und erhielt sofort, als er durch die engen Straßen sich ihm näherte, einen wunderbaren Eindruck davon. Dieser Straßburger Münster paßt füglich als Symbol für die deutsche Richtung seiner Jünglingszeit, und der herrliche Thurm desselben steht für mich immer mit den kurzen aber leidenschaftlichen Bemühungen in Verbindung, womit Goethe's hellenische Natur in die alte deutsche Welt sich zu stürzen versuchte. Deutsch war sein Geist nicht, aber im Schatten jenes Thurmes werden wir ihn auf kurze Zeit von ächter deutscher Begeisterung erfüllt sehen. Vergl. indeß seine späteren Beziehungen zu Sulpiz Boisserée, im 2. Bande.

Seine Wohnung bezog er an der Sonnenseite des Fischmarktes, Nro. 80; dann gab er seine Empfehlungsschreiben ab und nahm den Mittagstisch in einer Pension bei zwei alten Jungfrauen, Namens Lauth, in der Krämergasse Nro. 13. Die Tischgesellschaft bestand aus ungefähr zehn Personen, meistens Medicinern. Ihr Präsident war Dr. Salzmann, ein zierlicher alter Junggeselle von etwa sechzig Jahren, der immer in Schuh und Strümpfen und den Hut unterm Arme ging, bei dem den Hut aufzusetzen eine außerordentliche Handlung war, kurz, knapp und nett in seinem Aeußern, und dabei sehr gebildet. Bald hatte Goethe ihn gern, erbat und nahm von ihm Rath über seine Studien und ließ sich durch ihn einem tüchtigen Repetenten zuführen. Trotz der Bemühungen dieses ausgezeichneten Repetenten machte ihm die Jurisprudenz, wie er in der Selbstbiographie erzählt, bald beträchtliche Langeweile; nach einem Briefe jedoch, den er um die Zeit an Fräulein von Klettenberg schrieb, scheint er zuerst einiges Vergnügen daran gefunden zu haben. »Die Jurisprudenz, sagt er, fängt an mir sehr zu gefallen. So ist's doch mit Allem, wie mit dem Merseburger Bier, das erste Mal schauert man, und hat man's eine Woche getrunken, so kann man's nicht mehr lassen.« Auf keinen Fall nahm ihn das Studium der Rechtswissenschaft ganz in Anspruch. Sein Tagebuch aus jener Zeit (von Schoell herausgegeben) bekundet eine erstaunliche Thätigkeit an zerstreuten Studien. Da wir schon wissen, daß seine Tischgenossen meistens Mediciner waren, so wird es uns nicht mehr überraschen, daß er sich eifrig auf das Studium der Anatomie und Chemie warf. Er hörte Anatomie bei Lobstein, Chemie bei Spielmann, besuchte die Klinik des älteren Ehrmann und die Vorlesungen des jüngeren Ehrmann über Entbindungskunst. Auch die Elektricität, in der kurz vorher Franklin seine große Entdeckung gemacht hatte, beschäftigte ihn, und nicht weniger als neun Schriften über diesen Gegenstand finden sich in dem Tagebuche zur Lektüre angemerkt. Aus derselben Quelle ersehen wir auch, daß die Farbenlehre den künftigen Gegner Newton's anzuziehen begann. Dabei fesselte ihn noch die Alchemie, und zwar versicherte er Fräulein von Klettenberg, diese mystischen Studien seien seine heimliche Liebe. Bei einer solchen Richtung seiner Gedanken und unter der fortdauernden Einwirkung dieser reinen frommen Frau ist der Abscheu begreiflich, den das »System der Natur«, welches damals so großen Lärm in der Welt machte, ihm erregte. Diese todte und öde Darstellung eines eben so oberflächlichen wie öden Atheismus mußte ihn in jeder Beziehung empören, seinen frommen Glauben kränken, seine Vernunft unbefriedigt lassen. Voltaire's Witz und Rousseau's boshafte Angriffe konnte er wohl in sein Tagebuch eintragen, aber mit welcher Freude er auch Bayle, Voltaire und Rousseau las, von dem »System der Natur« wandte er sich mit Ekel ab. Zudem ging er damals noch zum Abendmahl und bemühte sich, mit den Frommen, bei denen ihn Fräulein von Klettenberg eingeführt hatte, Umgang zu halten; freilich blieb es beim Versuch: die Frommen waren »so von Herzen langweilig, daß es seine Lebhaftigkeit nicht aushalten konnte«; er mußte sie aufgeben und gestand dies der Freundin.

Bald nach seiner Ankunft in Straßburg, im Mai 1770, setzte eine merkwürdige Staatsbegebenheit die Stadt in Bewegung und gab ihm zum ersten Male Gelegenheit, Raphael'sche Cartons zu sehen. Marie Antoinette kam als Braut auf ihrem Wege nach Paris über Straßburg. Auf einer kleinen Rheininsel wurde zu ihrem Empfange ein Gebäude errichtet, in dessen kleineren Nebensälen die Tapeten nach Raphael's Cartons gewirkt waren. Der Anblick derselben that bei ihm die entschiedenste Wirkung. Desto schrecklicher war ihm der Hauptsaal mit seinen Hautelissen, die nach Gemälden neuerer Franzosen gewirkt waren. Aber selbst die Zurücksetzung Raphael's empörte ihn weniger als der Gegenstand der neueren Bilder. »Sie enthielten die Geschichte von Jason, Medea und Creusa, also ein Beispiel der unglücklichsten Heirath. Zur Linken des Throns sah man die mit dem grausamsten Tode ringende Braut, umgeben von jammervollen Theilnehmenden; zur Rechten entsetzte sich der Vater über die ermordeten Kinder zu seinen Füßen, während die Furie auf dem Drachenwagen in die Luft zog.« Alles was er in Oeser's Schule gelernt, regte sich in ihm. Daß man Christus und die Apostel in die Nebensäle des Festbaues gebracht hatte, ließ er noch hingehen, da die Raphael'schen Compositionen ihm dadurch zugänglicher gemacht waren, aber ein Mißgriff, wie der im großen Saale, brachte ihn ganz aus der Fassung, und, lebhaft und feurig, forderte er seine Gefährten zu Zeugen auf eines solchen Verbrechens gegen Geschmack und Gefühl. »Was! rief er aus, ohne sich um die Umstehenden zu bekümmern, ist es erlaubt, einer jungen Königin das Beispiel der gräßlichsten Hochzeit, die vielleicht jemals vollzogen worden, bei dem ersten Schritt in ihr Land so unbesonnen vor's Auge zu bringen! Giebt es denn unter den französischen Architekten, Decorateuren und Tapezierern gar keinen Menschen, der begriff, daß Bilder etwas vorstellen, daß Bilder auf Sinn und Gefühl wirken, daß sie Eindrücke machen, daß sie Ahnungen erregen! Ist es doch nicht anders, als hätte man dieser schönen und, wie man hört, lebenslustigen Dame das abscheulichste Gespenst bis an die Grenze entgegengeschickt.« Ihm freilich bedeuteten Bilder etwas; für eine Künstlernatur, wie die seinige, waren sie Wirklichkeiten. Aber für die französischen Architekten und die Straßburger Behörden waren Bilder eben nur Bilder, und man versicherte ihn, es sei durchaus nicht jedermanns Sache, einen Sinn darin zu suchen.

Goethe hatte Recht, und wer auf Vorbedeutungen etwas giebt, kann in jenem Gemälde den dunklen Schatten sehen, den Marie Antoinettens unglückliches Schicksal vor sich her warf. Aber daß ihr künftiger Lebensweg weniger einem Triumphzug gleichen würde, als ihre Reise von Wien nach Paris, konnte damals niemand vorhersehen. Diese lächelnde, glückliche, liebliche Fürstin von fünfzehn Jahren, deren Anmuth und Schönheit jedem, der sie sah, Ausrufe der Bewunderung abnöthigten, deren Reise von dem freudigen Jubel einer ländlichen Bevölkerung, die um ihren Anblick Feld und Acker ließ, begleitet wurde und durch blumenbedeckte Straßen und Triumphbogen führte, wo Schaaren junger Mädchen mit Kränzen und Blumen zum sinnigen Gruß ihrer warteten – konnte deren Freude durch ein gemaltes Unglück auch nur für einen Augenblick getrübt werden? für sie hätte es Zeichen böser Vorbedeutung geben können?

Der schönen und vornehmen, »so heitern als imposanten Miene dieser Dame« erinnerte sich Goethe noch im späten Alter. In ihrem Glaswagen allen vollkommen sichtbar, schien sie mit ihren Begleiterinnen in vertraulicher Unterhaltung über die Menge, die ihrem Zuge entgegenströmte, zu scherzen. Kaum hörte man aus der Hauptstadt von ihrer glücklichen Ankunft, als die Schreckensbotschaft folgte, bei dem festlichen Feuerwerk sei eine Unzahl Menschen umgekommen. Natürlich traten Goethen wieder jene gräßlichen Bilder vor die Seele; ein solches Zusammentreffen hätte freilich auch einen weniger abergläubischen Sinn aufregen müssen.

Bald war Straßburg ruhig wie vorher. Der gewaltige Hof- und Prachtstrom war vorübergerauscht und hatte dem Dichter keine andere Sehnsucht zurückgelassen, als nach jenen Raphael'schen Teppichen, die er »gern jeden Tag und Stunde betrachtet, verehrt, ja angebetet hätte.« Glücklicherweise gelang es seinen leidenschaftlichen Bemühungen, mehre Personen von Bedeutung dafür zu interessiren, so daß sie erst so spät als möglich abgenommen wurden.

In der wieder eingetretenen Stille fand er Zeit zu neuen Studien. In einem Briefe aus jener Zeit sagt er: »Meine griechische Weisheit habe ich so vermehrt, daß ich fast den Homer ohne Uebersetzung lese. Und dann bin ich vier Wochen älter; bei mir ist das viel gesagt, nicht weil ich viel, sondern weil ich Vieles thue.« Zu diesem Vielen muß das eifrige Verlangen gezählt werden, durch mystische metaphysische Schriften für seinen unersättlichen Wissensdrang Nahrung zu finden. Seine Tagebuch giebt darüber seltsame Aufschlüsse. Auf der einen Seite steht eine Stelle aus Thomas a Kempis, mit einem Verzeichniß anderer mystischer Bücher, die gelesen werden sollten; auf einer zweiten Seite finden sich sarkastische Sätze aus Voltaire und Rousseau; auf einer dritten ein Hinweis auf Tauler. Das Bedeutendste, was das Tagebuch enthält, ist eine Vergleichung des Phädon von Moses Mendelssohn mit dem Platonischen, und eine Verteidigung des Giordano Bruno gegen Bayle's Kritik.

Bei Gelegenheit dieser Studien über Giordano Bruno mag hervorgehoben werden, wie früh Goethe's Geist zum Cultus der Natur sich neigte – eine Neigung, die schon Tacitus bei den alten Deutschen als nationale Eigentümlichkeit beobachtete. Jener pantheistische Gottesdienst des siebenjährigen Priesters in Frankfurt macht das Interesse begreiflich, welches der flüchtige Blick ihm einflößte, den ihn Bayle auf den großen Pantheisten des sechzehnten Jahrhunderts thun ließ – auf den glänzenden und unglücklichen Bruno, der die Ketzerei des Kopernikus in Rom und Oxford lehrte, den Aristoteles bekämpfte und endlich zur Sühnung des Verbrechens, daß er die Umdrehung der Erde gelehrt, während die Kirche sie still stehen hieß, am 17. Febr. 1600 in Rom öffentlich vor dem Volke verbrannt wurde. Ein zwiefaches Interesse knüpfte sich an den Namen Bruno's. Er war ein Blutzeuge der freien Forschung, und seine Werke waren selten; alle Welt griff ihn an, gelesen hatten ihn nur wenige; man haßte ihn fast so stark wie Spinoza, und die so geschmähten Schriften kannte kaum einer. So selten waren sie, daß sie zu buchhändlerischen Luxusartikeln wurden, und einige waren so gut wie gar nicht zu haben. Das Spaccio hatte man in England mit dreißig Pfund, in Holland mit dreihundert Gulden bezahlt. Hamann, der bewunderte Freund Herder's und Goethe's, suchte die Abhandlungen De la causa und Dell' Infinito in ganz Italien und Deutschland vergebens. Verbotene Frucht reizt, und ist sie noch dazu selten, so wird der Reiz unwiderstehlich. Der Pantheismus, der dichterische Geister immer fesselt, hat in der Form, die Bruno ihm gegeben, eine poetische Größe, die Goethe angezogen haben würde, auch wenn seine Neigung nicht so schon in dieser Richtung sich bewegt hätte. Um diese Lehre zu predigen, wurde Bruno ein heimathloser Flüchtling und endete sein Leben auf dem Scheiterhaufen; nichts konnte seine Ueberzeugung erschüttern; mit seiner Philosophie, sagte er in erhabenem Stolze, erweitere sich seine Seele und wachse sein Verstand.

Goethe's Bemerkungen über Bayle's Kritik mögen hier eine Stelle finden, da sie sowohl seine metaphysischen Ansichten, als auch seine Fertigkeit französisch zu schreiben bekunden. Das Französisch ist gewiß ächt; trotz Ungenauigkeiten und Härten ist es fließend und ausdrucksvoll, und von der Geläufigkeit, mit der er es beherrschte, giebt es ein besseres Zeugniß, als was er in seiner Lebensbeschreibung erzählt.

»Ich stimme mit Bayle über Jordanus Brunus nicht überein und finde weder Gottlosigkeit noch Abgeschmacktheit in den Stellen, die er anführt, obwohl ich übrigens diesen paradoxen Mann nicht entschuldigen will. »Das Eine, das Unendliche, das Seiende und das was in allem ist und durch alles hin, ist eines und dasselbe überall. Und so fällt die unendliche Dimension, indem sie nicht Größe ist, zusammen mit dem Individuum. Wie die unendliche Vielheit, indem sie nicht Zahl ist, zusammenfällt mit der Einheit.« Giord. Bruno im Zueignungsbriefe der Abhandlung von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen.

»Diese Stelle verdient eine Erklärung und Untersuchung, die philosophischer wären als Bayle's Gerede. Es ist leichter, eine Stelle als dunkel und unsern Begriffen zuwiderlaufend vorrücken, als sie enträthseln und den Ideen eines großen Mannes folgen. Dies gilt auch von der andern Stelle, wo er über eine Idee des Bruno sich lustig macht, der ich durchaus nicht beipflichte, wie auch den vorhergehenden nicht, die ich aber wenigstens tiefsinnig und vielleicht für einen Urtheilsfähigen fruchtbar halte. Ich bitte, sagt Bayle, die Abgeschmacktheit zu bemerken: Er sagt, das Sein mache keineswegs, daß es viele Dinge giebt, sondern diese Vielheit bestehe nur in dem Scheine an der Oberfläche der Substanz.« So übersetzt Schöll. Im französischen Original schreibt Goethe: » Je ne suis pas du sentiment de Mr. Bayle à l'égard de Jor. Brunus, et je ne trouve ni d'impiété ni d'absurdité dans les passages qu'il cite, quoique d'ailleurs je ne prétends pas d'excuser cet homme paradoxe. L'uno, l'infinito, lo ente e quello che è tutto, e per tutto, anzi e l'istesso ubique. E che cosi la infinita dimenzione, per non esser magnitudine, coincide coll'individuo. Come la infinita moltitudine, per non esser numero, coincide coll' unità. (Giord. Brun. Epist. Ded. del Tratt. de la Causa Principio e Uno.)
»Ce passage mériterait uns ecplication et une recherche plus philosophiques que le disc. de Mr. Bayle. Il est plus facile de prononcer un passage obscur et contraire à nos notions que de le déchiffrer, et que de suivre sel idées d'un grand homme. Il est de même du passage où il plaisante sur une idée de Brunus, que je n'applaudis pas entièrement, si peu que les précédentes, mais que je crois du moins profondes es peut-être fécondes pur un observatuer judicieux.
»Notez, je vous prie, dit B., une absurdité: il dit que ce n'est point l'être qui fait qu'il y a beaucoup de choses, mais que cette multitude consiste dans ce qui parait sur la superficie de la substance.
«

In demselben Tagebuche ist eine merkwürdige Anmerkung zu einem Kapitel der antiquarischen Bibliographie von Fabricius:

»Getrennt über Gott und Natur abhandeln ist schwierig und gefährlich, grade als wenn wir über Leib und Seele gesondert denken. Wir erkennen die Seele nur durch das Mittel des Leibes, Gott nur durch Erkenntniß der Natur; daher scheint es mir verkehrt, diejenigen der Verkehrtheit zu zeihen, die durch ein durchaus philosophisches Räsonnement Gott mit der Welt verknüpft haben. Denn alles was ist, muß nothwendig zum Wesen Gottes gehören, weil Gott das einzig Wirkliche ist und alles umfaßt. Auch die heilige Schrift ist dieser Ansicht nicht entgegen, obwohl wir ihre Aussprüche nach seinem eigenen Urtheil zu drehen einem jeden gern gestatten. Das ganze Alterthum war derselben Ansicht, und auf diese Uebereinstimmung gebe ich viel. Denn das Urtheil so großer Männer ist mir ein Zeugniß, daß das Emanationssystem durchaus vernunftgemäß ist, wenngleich ich zu keiner Schule schwören möchte und sehr bedaure, daß, da aus derselben Quelle die schlimmsten Irrthümer fließen, im Spinozismus dieser so reinen Lehre ein böser Bruder erwachsen ist.« Goethe hat diese Anmerkung lateinisch geschrieben; da lautet sie: » Separatim de Deo, et natura rerum disserere difficile er periculosum est, eodem modo quam si de corpore et anima sejunctim cogitamus. Animum nonnisi mediante corpore, Deum nonnisi perspecta natura cognoscimus. Hinc absurdum mihi videtur eos absurditatis accusare, qui ratiocinatione maxime philosophica Deum cum mundo conjunxere. Quae enim sunt omnia ad essentiam Dei pertinere necesse est, cum Deus sit unicum existens et omnia comprehendat. Nec Sacer Codex nostrae sententiae refragatur, cujus tamen dicta ab unoquoque in sententiam suam torqueri patienter ferimus. Omnis antiquitas ejusdem fuit sententiae, cui consensui quam multum tribuo. Testimonio enim mihi est virorum tantorum sententia, rectae rationi quam convenientissimum fuisse systema emanativum, licet nulli subscribere velim sectae, valdeque doleam, Spinozismum, teterrimis erroribus ex eodem fonte manatibus, doctrinae huic purissimae iniquissimum fratrem natum esse.«

Die Beziehung auf Spinoza, den er später als einen seiner besten Lehrer verehrte, wird durch den Umstand, daß er von Spinoza damals nicht mehr wußte, als was er aus Bayle entnehmen konnte, leicht begreiflich.

Mannigfaltig, wie diese Studien waren, füllten sie seine Zeit doch nicht ganz aus. Das muntere Straßburg hatte seine Vergnügungen, und Goethe besuchte mit Freund Salzmann manche angenehme Gesellschaft. Die Promenaden und öffentlichen Gärten waren immer von zahlreichen Spaziergängern besucht, und die Mischung der alten Elsässer Nationaltracht mit den pariser Moden brachte eine reizende Abwechselung hervor und machte die hübschen Frauen noch anziehender.

Salzmann führte ihn bei verschiedenen Familien ein und half dadurch, mehr als durch all seinen Rath, die übertriebene Ungezwungenheit seines natürlich freien Betragens mäßigen, welche den jungen Dichter so oft gegen die hergebrachten Anstandsregeln verstoßen ließ; denn die häufige Berührung mit der Gesellschaft zwingt nun einmal zur Annahme der Gesetze, die sie strenge vorschreibt. Im Wilhelm Meister wird auf die äußere Bildung, welche ein Mann von Talent für den Verkehr in der Gesellschaft nothwendig bedarf, großes Gewicht gelegt, und unter den Gründen, welche dort für den Schauspielerberuf geltend gemacht werden, ist einer der hauptsächlichsten die Leichtigkeit, mit der sich dabei äußere Gewandtheit aneignen läßt.

Ein lebhafter, leidenschaftlicher Jüngling wie er war, voll Ehrgeiz, in der Gesellschaft zu glänzen, und dabei doch sich schmerzlich bewußt, wie wenig sein bisheriges Treiben zur Erlangung der nöthigen Ruhe paßte, mußte er natürlich auf jede Kleinigkeit achten, die auf seine Haltung einwirken konnte. So brachte er der damals herrschenden Mode das schwere Opfer, eine falsche Haartour zu tragen, da sein eigenes Haar zwar sehr schön, aber zu kurz verschnitten war, um vom Scheitel ab in den Zopf gebunden werden zu können. Da er nun »vom frühen Morgen an so aufgestutzt und gepudert bleiben und sich zugleich in Acht nehmen mußte, nicht durch Erhitzung und heftige Bewegung den falschen Schmuck zu verrathen, so trug dieser Zwang wirklich viel bei, daß er sich eine Zeit lang ruhiger und gesitteter benahm, sich angewöhnte, mit dem Hut unterm Arm und folglich auch in Schuh und Strümpfen zu gehen,« wobei er jedoch nicht versäumen durfte, sich durch feinlederne Unterstrümpfe gegen die Rheinschnaken zu sichern. Bei dieser Ausbildung zum Cavalier trieb er auch das Fechten und Reiten tüchtig; mit seinen Universitätsfreunden übte er sich fleißig im Stoßen, und aus regem Eifer – vermuthlich – alles zu treiben, was seine Freunde trieben, fing er gar an, das Cello zu lernen.

Der Kreis seiner Freunde erweiterte sich und auch die Tischgesellschaft in der Krämergasse wurde zahlreicher. Unter den Tischgenossen verdienen zwei besondere Erwähnung – Jung-Stilling und Franz Lerse. Stilling, in seiner »Wanderschaft«, berichtet uns sein erstes Zusammentreffen mit Goethe selbst. Die Gesellschaft saß schon bei Tisch, als ein junger Mann muthig ins Zimmer trat, dessen helle große Augen, prachtvolle Stirn und schöner Wuchs die Aufmerksamkeit Stilling's und seines Begleiters Troost unwiderstehlich anzogen. Der letztere bemerkte sogleich gegen Stilling, das müsse ein ausgezeichneter Mann sein, Stilling stimmte ihm bei; nur meinte er, daß sie beide viel Verdruß von ihm haben würde«, weil er ihn, nach seinem freien Wesen, für einen wilden Gesellen hielt. Aus dem Gespräche hatte sich ergeben, daß der ausgezeichnete Mensch Herr Goethe genannt wurde. Die Gesellschaft schien den beiden Ankömmlingen der Art zu sein, daß sie wohl thäten, vorläufig vierzehn Tage lang sich ganz schweigend zu verhalten. Es kümmerte sich auch niemand sonderlich um sie, außer daß Goethe zuweilen seine Augen zu ihnen »herüberwälzte«. Er saß Stilling gegenüber und er hatte die Regierung am Tisch, ohne daß er sie suchte. Nach einigen Tagen erlaubte sich einer der Tischgenossen über Stilling's altmodische Perrücke einen Spott, den die ganze Gesellschaft lachend aufnahm. Nur Salzmann und Goethe lachten nicht; der wilde Geselle mit den großen Augen nahm sich des Fremden tapfer an. »Probir' erst einen Menschen, ob er des Spottes werth sei, rief er aus; es ist teufelmäßig, einen rechtschaffenen Mann, der niemand beleidigt hat, zum Besten zu haben!« Von dieser Zeit war Goethe Stilling's Freund und bewies dem einfachen, ernsten, freundlosen Denker, dessen tiefe religiöse Ueberzeugung und zutraulich kindliche Natur ihn wunderbar anzog, fortwährende Theilnahme und zärtliche Neigung. Der Erzählung seiner Lebensgeschichte wurde er nicht müde zuzuhören. Ein innerer Drang war's, der ihn trieb, die Geheimnisse der Menschheit allseitig zu erforschen, jedes Menschen Erlebnisse zu ergründen und sich selbst zu eigen zu machen. Stilling stammte doch nur von armen Köhlern; vom Schneiderhandwerk war er zur Schulmeisterei übergegangen; als das fehlschlug, hatte er wieder zur Nadel gegriffen; dann hatte er sich einer frommen Sekte angeschlossen und in der Stille des eigenen Seelenlebens sich zu einer Cultur herangebildet, die ihn über die Höhe gewöhnlicher Menschen erhob – was war denn nun in diesem Leben und in diesen Ansichten, das den ausgelassenen skeptischen, behaglich wohlhabenden Studenten fesselte? Der Ernst dieses Lebens, die Wahrhaftigkeit war es. Goethe war ganz dazu geschaffen, der Freund eines Mannes von abweichenden Ansichten zu sein: denn seine Toleranz war weit umfassend und ächt, und er achtete jede wirkliche Ueberzeugung. Er nahm Antheil an Stilling, hörte ihm zu, war geschickt genug, sich in seine religiöse Ueberzeugung nicht zu mischen, und konnte so nicht nur sein Freund sein, sondern auch ruhig und sicher die innere Natur eines solchen Menschen erforschen.

Durch Eigenschaften anderer Art zog ihn Franz Lerse an. Von geradem, männlichem Sinn, mäßig, knapp und sauber im Leben, von trockenem Humor und für alle die kleinen Streitigkeiten des Freundeskreises der unparteilichste Schiedsrichter und Vermittler, prägte sich bei Goethe »der Begriff von ihm so tief als liebenswürdig« ein, daß er, zum Denkmal ihrer Freundschaft, im Götz von Berlichingen »der wackern Figur, die sich auf eine so würdige Art zu subordiniren weiß«, den Namen Franz Lerse gab.

Im Allgemeinen ist Goethe über seine Freunde und Zeitgenossen so mittheilsam und mit genauen Nachrichten über seine eigene Lage so karg, daß wir über vieles im Dunkeln bleiben, dessen Kenntniß erwünscht wäre. Eine Mittheilung, die er über sich selbst macht, ist sehr bezeichnend. Obgleich seine Gesundheit im Allgemeinen völlig hergestellt war, litt er noch an großer Reizbarkeit; ein starker Schall war ihm zuwider, krankhafte Gegenstände erregten ihm Ekel und Abscheu. Besonders ängstigte ihn ein Schwindel, der ihn jedesmal befiel, wenn er von einer Höhe herunter blickte. Alle diese Schwächen beschloß er zu überwinden, und zwar, weil er keine Zeit verlieren wollte, auf eine etwas stürmische Weise. Abends beim Zapfenstreich ging er neben den Trommeln her, deren gewaltsame Wirbel und Schläge das Herz im Busen hätte zersprengen mögen. Ganz allein erstieg er den höchsten Gipfel des Münsterthurms und saß in dem sogenannten Hals, unter dem Knopf oder der Krone wohl eine Viertelstunde lang, bis er es wagte, wieder hinaus in die freie Luft zu treten, wo er »auf einer Platte, die kaum eine Elle ins Gevierte hat, ohne sich sonderlich anhalten zu können, stehend das unendliche Land vor sich sah, indessen die nächsten Umgebungen und Zierrathen die Kirche und alles, worauf und worüber er stand, verbargen«. Es war ihm völlig, als sei er in einem Ballon in die Luft erhoben. Dergleichen Angst und Qual wiederholte er so oft, bis der Eindruck ihm ganz gleichgültig ward, und in späterer Zeit, bei Bergreisen und geologischen Studien, bei Bauten und beim Besehen von Kunstwerken, hat er von diesen Vorübungen großen Vortheil gezogen. Ebenso war ihm die Anatomie doppelt werth, weil sie ihn den widerwärtigsten Anblick ertragen lehrte und zugleich seine Wißbegierde befriedigte. In der That setzte er es durch, daß ihn kein noch so widerwärtiger Anblick außer Fassung bringen konnte. Aber nicht allein gegen diese sinnlichen Eindrücke, sondern auch gegen die Anfechtungen der Einbildungskraft suchte er sich zu stählen. Die ahnungs- und schauervollen Eindrücke der Finsterniß der Kirchhöfe, einsamen Oerter, nächtlichen Kirchen und Kapellen wußte er sich ebenfalls gleichgültig zu machen und brachte es darin so weit, daß in späteren Jahren, wenn ihn die Lust ankam, wieder einmal in solcher Umgebung die angenehmen Schauer der Jugend zu fühlen, er diese kaum durch die seltsamsten und fürchterlichsten Bilder einigermaßen erzwingen konnte.

Zwei Liebeslieder aus jenem Jahre – »Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg« und »Blinde Kuh« – führen uns auf die Spur von Liebschaften. Zwar in seiner Lebensbeschreibung sagt er von Dorilis und Theresa nichts, und bei jedem andern würde dieses Schweigen beweisend sein, würden die Gedichte selbst weiter keinen Anhalt bieten; die Claribellen und Isabellen, die Laura's und Lesbia's unserer Poeten für wirkliche junge Damen zu halten, die ihnen im Leben begegnet wären und ihre unbeständigen Herzen gefangen genommen hätten – daran denkt kein Mensch; aber bei Goethe ist es anders. Die Blüthen seiner Poesie wuchsen aus dem Boden der Verhältnisse. »Alle meine Gedichte sind Gelegenheits-Gedichte«, sagt er. Aeußerungen wirklicher Gefühle an wirkliche Wesen, sind sie von all dem erheuchelten Liebesgetändel mit erdichteten Geliebten völlig verschieden. Goethe's Gedichte sind Zeugnisse mit Beweiseskraft Auch Viehoff vermuthet in Dorilis und Theresa (vielleicht waren sie nur eine Person) Straßburger Damen, die Goethe durch Salzmann kennen gelernt hatte.. In dem vorliegenden Falle ist leider die nackte Thatsache alles was sich entdecken läßt.

Unter seinen Straßburger Liebesgeschichten ist indeß eine, deren Eindruck nicht so rasch vorüberging. Von früher Jugend an hatte der Vater mit seiner seltsamen pädagogischen Liebhaberei ihm und seiner Schwester selbst im Tanzen Unterricht gegeben, was dem kalten, förmlichen, steifen alten Frankfurter wunderlich genug gestanden haben mag. Aber er fand es nicht im mindesten unpassend; höchst würdevoll brachte er ihnen ein Menuet bei und blies dazu die Flöte. Später hatte Goethe das Tanzen vernachlässigt, und als man ihn in Leipzig zu einem Menuet nöthigte, benahm er sich dabei so ungeschickt, daß er in den Verdacht kam, als habe er absichtlich den Leuten die Lust benehmen wollen, ihn wieder zum Tanzen zu veranlassen.

In Straßburg war ein hübscher junger Mann, der nicht tanzen konnte, eine auffallende Ausnahme. Kein Sonntagabend verging, an welchem in den öffentlichen Vergnügungsörtern nicht tanzlustige Schaaren sich drängten; an den Wochentagen gab es häufig glänzende Maskenbälle, und die lebenslustigen Elsässer kamen (und kommen) niemals in Gesellschaft zusammen, ohne sich im Walzer zu drehen. Das ist ein vergnügter Anblick. Die Mädchen drehen sich am Arm ihrer Liebsten in die Runde; die Alten sitzen an kleinen Tischen unter dem Schatten duftiger Zweige, die Männer haben stattlich lange Pfeifen friedlich im Munde, und die Kinder spielen an den Bänken umher. In diese Gärten mit ihren Tänzern ging Goethe häufig genug – aber er konnte nicht walzen. In Privatgesellschaften war er noch schlimmer daran. Endlich entschloß er sich, es zu lernen. Ein Freund brachte ihn zu einem Tanzmeister, der für geschickt bekannt war, und bald machte er es dem Lehrer zu Dank.

Dieser Tanzmeister, ein trockner, gezierter, aber liebenswürdiger Franzose, hatte zwei Töchter, die ihm in den Stunden halfen, indem sie sowohl die Tänzerin als die Lehrerin abgaben. Zwei hübsche Mädchen, beide unter zwanzig Jahren, reizend lebhafte, coquette Französinnen, mußten den jungen Dichter wohl anziehen, und andrerseits konnte die Anmuth und Schönheit des jungen Mannes ihres Eindrucks auf die beiden Mädchen nicht verfehlen, die ein etwas einsames Leben führten. Unglücklicherweise kreuzten sich ihre Neigungen. Goethe's Herz fühlte sich mehr zu der jüngeren Emilie hingezogen, aber diese liebte einen andern, und Lucinde, die ältere, wandte ihre Neigung ihm zu. Emilie hielt sich gegen ihn sehr zurück, aber Lucinde war in der Stunde immer bei der Hand, mit ihm zu walzen, die Stunde in die Länge zu ziehen oder ihm kleine Aufmerksamkeiten zu erweisen. Der Vater hatte nicht viele Kunden; Goethe blieb daher oft nach der Stunde bei ihnen, die Zeit zu »verschwätzen« oder ihnen aus einem Roman vorzulesen – gefährlich, gefährlich!

Er sah wohl, wie die Dinge standen, aber die Zurückhaltung der jungem Schwester konnte er sich doch nicht erklären. Endlich wurde ihm die Ursache deutlich. Als er eines Abends nach der Stunde in das Wohnzimmer gehen wollte, hielt ihn Lucinde in dem Tanzsaal zurück; ihre Schwester habe eine Kartenlegerin bei sich, die ihr offenbaren solle, wie es mit einem Freunde beschaffen sei, an dem ihr ganzes Herz hange. »Das meinige ist frei,« fuhr sie fort, »und ich werde mich gewöhnen müssen, es verschmäht zu sehen.«

»Ich sagte ihr darauf einige Artigkeiten (so lautet Goethe's Erzählung im Auszug), indem ich versetzte, daß sie sich, wie es damit stehe, am ersten überzeugen könne, wenn sie die weise Frau gleichfalls befragte; ich wolle es auch thun. Sie tadelte mich deshalb und betheuerte, daß nichts in der Welt sicherer sei, als die Aussprüche dieses Orakels, nur müsse man es nicht aus Scherz und Frevel, sondern in wahren Anliegenheiten befragen. Ich nöthigte sie jedoch zuletzt mit mir in jenes Zimmer zu gehen, sobald sie sich versichert halte, daß die Function vorbei sei. Wir fanden die Schwester sehr aufgeräumt, da sie eines abwesenden Freundes sicher geworden zu sein schien. Der Alten wurde nun geschmeichelt und gute Bezahlung zugesagt, wenn sie der älteren Schwester und auch mir das Wahrhafte sagen wollte. Mit den gewöhnlichen Vorbereitungen und Ceremonien legte sie nun ihren Kram aus, und zwar, um der Schönen zuerst zu weissagen. Sie betrachtete die Lage der Karten sorgfältig, schien aber zu stocken und wollte mit der Sprache nicht heraus. – Ich sehe schon, sagte die jüngere, die mit der Auslegung einer solchen magischen Tafel schon näher bekannt war, ihr zaudert und wollt meiner Schwester nichts Unangenehmes eröffnen; aber das ist eine verwünschte Karte! Die ältere wurde blaß, doch faßte sie sich und sagte: So sprecht nur; es wird ja den Kopf nicht kosten! Die Alte, nach einem tiefen Seufzer, zeigte ihr nun an, daß sie liebe, daß sie nicht geliebt werde, daß eine andere Person dazwischen stehe und was dergleichen Dinge mehr waren. Man sah dem guten Mädchen die Verlegenheit an. Die Alte glaubte die Sache wieder zu verbessern, indem sie auf Briefe und Geld Hoffnung machte. – Briefe, sagte das schöne Kind, erwarte ich nicht und Geld mag ich nicht. Wenn es wahr ist, wie ihr sagt, daß ich liebe, so verdiene ich ein Herz, das mich wieder liebt. – Wir wollen sehen, ob es nicht besser wird, versetzte die Alte, indem sie die Karten mischte und zum zweiten Male auflegte; allein es war vor unser aller Augen nur noch schlimmer geworden. Die Schöne stand nicht allein einsamer, sondern auch mit mancherlei Verdruß umgeben; der Freund war etwas weiter und die Zwischenfiguren näher gerückt. Die Alte wollte zum drittenmal auslegen, in Hoffnung einer bessern Aussicht; allein das schöne Kind hielt sich nicht länger, sie brach in unbändiges Weinen aus, ihr holder Busen bewegte sich auf eine gewaltsame Weise, sie wandte sich um und rannte zum Zimmer hinaus. – Trösten Sie Lucinden, sagte die jüngere, gehen Sie ihr nach. Ich zauderte; wie durfte ich sie trösten, ohne sie wenigstens einer Art von Neigung zu versichern! – Lassen Sie uns zusammen gehen, sagte ich zu Emilien. Ich weiß nicht, ob ihr meine Gegenwart wohl thun wird, versetzte diese. Doch gingen wir, fanden aber die Thür verriegelt. Lucinde antwortete nicht, wir mochten pochen, rufen, bitten wie wir wollten. Was sollte ich thun! ich bezahlte die Alte reichlich für das Unheil, das sie gestiftet hatte, und wollte gehen, als Emilie sagte: Ich bedinge mir, daß die Karte nun auch auf Sie geschlagen werde. Die Alte war bereit. – Lassen Sie mich nicht dabei sein! rief ich, und eilte die Treppe hinunter.«

»Den andern Tag hatte ich nicht Muth hinzugehen. Den dritten ließ mir Emilie sagen, ich möchte heute ja nicht fehlen, und ich nahm zur gewöhnlichen Zeit meine Stunde. Nachdem sie beendet, ging ich ins Wohnzimmer; der Vater ließ uns allein, ich vermißte Lucinden. Sie liegt im Bette, sagte Emilie; sie erklärt, sie werde sterben. Gegen mich hatte sie als einen undankbaren falschen Freund die heftigsten Vorwürfe ausgestoßen. Ich weiß mich nicht schuldig! rief ich aus, daß ich irgend eine Neigung zu ihr geäußert. Ich kenne jemand, der mir dieses Zeugniß am besten ertheilen kann. Emilie lächelte und versetzte: Ich verstehe Sie, und wenn wir nicht klug und entschlossen sind, so kommen wir alle in eine üble Lage. Was werden Sie sagen, wenn ich Sie ersuche, Ihre Stunden nicht weiter fortzusetzen? Mein Vater äußerte schon, daß er es unverantwortlich finde, Ihnen noch länger Geld abzunehmen: es müßte denn sein, daß Sie sich der Tanzkunst auf eine ernstlichere Weise widmen wollten; was ein junger Mann in der Welt gebrauchte, besäßen Sie nun. – Und diesen Rath, Ihr Haus zu meiden geben Sie mir, Emilie? versetzte ich. – Eben ich, sagte sie, aber nicht aus mir selbst. Hören Sie nur. Als Sie vorgestern wegeilten, ließ ich die Karte auf Sie schlagen, und derselbe Ausspruch wiederholte sich dreimal und immer stärker. Sie waren umgeben von allerlei Gutem und Vergnüglichem, von Freunden und großen Herren, an Geld fehlte es auch nicht. Die Frauen hielten sich in einiger Entfernung. Meine arme Schwester besonders stand immer am weitesten; eine andere rückte Ihnen immer näher, kam aber nie an Ihre Seite: denn es stellte sich ein Dritter dazwischen. Ich will Ihnen nur gestehen, daß ich mich unter der zweiten Dame gedacht hatte, und nach diesem Bekenntnisse werden Sie meinen wohlmeinenden Rath am besten begreifen. Einem entfernten Freund habe ich mein Herz und meine Hand zugesagt, und bis jetzt liebt' ich ihn über alles; doch es wäre möglich, daß Ihre Gegenwart mir bedeutender würde als bisher, und was würden Sie für einen Stand zwischen zwei Schwestern haben, davon Sie die eine durch Neigung und die andere durch Kälte unglücklich gemacht hätten, und alle diese Qual um nichts und auf kurze Zeit. Denn wenn wir nicht schon wüßten, wer Sie sind und was Sie zu hoffen haben, so hätte mir es die Karte aufs deutlichste vor Augen gestellt. Leben Sie wohl, sagte sie und reichte mir die Hand. Ich zauderte. – Nun, sagte sie, indem sie mich gegen die Thüre führte, damit es wirklich das letztemal sei, daß wir uns sprechen, so nehmen Sie, was ich Ihnen sonst versagen würde. Sie fiel mir um den Hals und küßte mich aufs zärtlichste. Ich umfaßte sie und drückte sie an mich. In diesem Augenblicke flog die Seitenthür auf, und die Schwester sprang in einem leichten, aber anständigen Nachtkleide hervor und rief: Du sollst nicht allein von ihm Abschied nehmen! Emilie ließ mich fahren und Lucinde ergriff mich, schloß sich fest an mein Herz, drückte ihre schwarzen Locken an meine Wangen und blieb eine Zeit lang in dieser Lage. Und so fand ich mich denn in der Klemme zwischen beiden Schwestern, wie mir's Emilie einen Augenblick vorher geweissagt hatte. Lucinde ließ mich los und sah mir ernst ins Gesicht. Ich wollte ihre Hand ergreifen und ihr etwas freundliches sagen; allein sie wandte sich weg, ging mit starken Schritten einigemal im Zimmer auf und ab und warf sich dann in die Ecke des Sophas. Emilie trat zu ihr, ward aber sogleich weggewiesen, und hier entstand eine Szene, die mir noch in der Erinnerung peinlich ist und die, ob sie gleich in der Wirklichkeit nichts theatralisches hatte, sondern einer lebhaften jungen Französin ganz angemessen war, dennoch nur von einer guten empfindenden Schauspielerin auf dem Theater würdig wiederholt werden könnte. Lucinde überhäufte ihre Schwester mit tausend Vorwürfen. Es ist nicht das erste Herz, rief sie aus, das sich zu mir neigt und das du mir entwendest. War es doch mit dem Abwesenden eben so, der sich zuletzt unter meinen Augen mit dir verlobte. Ich mußte es ansehen, ich ertrug's; ich weiß aber, wie viele tausend Thränen es mich gekostet hat. Diesen hast du mir nun auch weggefangen, ohne jenen fahren zu lassen, und wie viele verstehst du nicht auf einmal zu halten. Ich bin offen und gutmüthig, und jedermann glaubt mich bald zu kennen und mich vernachlässigen zu dürfen; du bist versteckt und still, und die Leute glauben Wunder, was hinter dir verborgen sei. Aber es ist nichts dahinter als ein kaltes, selbstisches Herz, das sich alles aufzuopfern weiß; das aber kennt niemand so leicht, weil es tief in deiner Brust verborgen liegt, so wenig, als mein warmes, treues Herz, das ich offen trage, wie mein Gesicht. Emilie schwieg und hatte sich neben ihre Schwester gesetzt, die sich im Reden immer mehr erhitzte, und sich über gewisse besondere Dinge herausließ, die mir zu wissen eigentlich nicht frommte. Emilie dagegen, die ihre Schwester zu begütigen suchte, gab mir hinterwärts ein Zeichen, daß ich mich entfernen sollte; aber wie Eifersucht und Argwohn mit tausend Augen sehen, so schien auch Lucinde es bemerkt zu haben. Sie sprang auf und ging auf mich los, aber nicht mit Heftigkeit. Sie stand vor mir und schien auf etwas zu sinnen. Drauf sagte sie: ich weiß, daß ich Sie verloren habe; ich mache keine weitern Ansprüche auf Sie. Aber du sollst ihn auch nicht haben, Schwester! Sie faßte mich mit diesen Worten ganz eigentlich beim Kopf, indem sie mir mit beiden Händen in die Locken fuhr, mein Gesicht an das ihre drückte und mich zu wiederholten Malen auf den Mund küßte. Nun, rief sie aus, fürchte meine Verwünschung. Unglück über Unglück für immer und immer auf diejenige, die zum erstenmale nach mir diese Lippen küßt! Wage es nun wieder mit ihm anzubinden; ich weiß, der Himmel erhört mich diesmal. Und Sie, mein Herr, eilen Sie was Sie können! Ich flog die Treppe hinunter mit dem festen Vorsatze, das Haus nie wieder zu betreten.«

Ist das nicht wie aus einem Roman? Die leidenschaftliche kleine Französin, der verblüffte Poet, die alte Kartenlegerin und der trockene alte Tanzmeister, leicht skizzirt, im Hintergrunde – das sind Figuren, die einem Romanschreiber gefallen könnten.



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