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Vierter Abschnitt.
Frau von Stein

Die Baronin Charlotte von Stein. Goethe's Leidenschaft für sie. Seine Briefe.

Aus der großen Zahl der flüchtigen Neigungen, mit denen Goethe sich unterhielt, hebt sich Eine empor, die aus dem Funken zur Flamme aufschlagend zu übermächtigem Einflusse erwächst und alle andern verschlingt. Sie lodert nicht empor, um wieder zu verlöschen, sondern brennt zehn Jahre lang fort, so daß also keine der früheren Leidenschaften mit ihr zu vergleichen ist. Sie ist ein Silberfaden zwischen den mannigfachen Fäden, aus denen das bunte Gewebe seines Lebens zusammengesetzt ist. Ich will ihn ablösen, um ihn für sich zu betrachten.

Die Baronin von Stein, Hofdame und Gemahlin des Oberstallmeisters, war eine durch Geburt und Stellung hervorragende Frau. Sie stammte von einer schottischen Familie Irving ab und war die Schwägerin des Baron Imhoff, der seine erste Frau an Warren Hastings verkaufte. Sie war bereits Mutter von sieben Kindern und stand in einem Alter, das bei verführerischen Frauen besonders gefährlich ist; sie war dreiunddreißig. Wir können die Gewalt ihrer Persönlichkeit ahnen, wenn wir ihr Bild betrachten und uns diese feinen koketten Züge mit dem Reiz der Sinnlichkeit, der Heiterkeit und der Weltbildung beseelt denken. Sie konnte gut singen, spielen, zeichnen, sie sprach gut, wußte Poesie zu würdigen und behandelte Gefühlssachen mit dem zarten Takt einer Frau von Welt. Ihre schönen Finger hatten manches ernsthafte Buch durchblättert, und sie verstand es, auch aus unscheinbaren Blumen Honig zu saugen. Bei manchen sittlichen Mängeln, die bald hervortreten werden, übte sie auf alle ihre Bekannten einen eigenthümlichen Zauber aus, und wie mehrfach versichert wird, behielt sie diesen Zauber selbst in höherem Alter. Einige Jahre nach ihrer ersten Bekanntschaft mit Goethe schreibt Schiller über sie an Körner: »Die beste unter allen war Frau von Stein, eine wahrhaftig eigene interessante Person und von der ich begreife, daß Goethe sich so ganz an sie attachirt hat. Schön kann sie nie gewesen sein, aber ihr Gesicht hat einen sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit. Ein gesunder Verstand, Gefühl und Wahrheit liegen in ihrem Wesen. Diese Frau besitzt vielleicht über tausend Briefe von Goethe, und aus Italien hat er ihr noch jede Woche geschrieben. Man sagt, daß ihr Umgang ganz rein und untadelhaft sein soll.«

In Pyrmont war es, wo Goethe zuerst das Portrait der Frau von Stein erblickte und in Folge von Zimmermann's Mittheilungen über sie drei Nächte lang schlaflos war. Zimmermann schrieb ihr diese schmeichelhafte Neuigkeit und fügte hinzu, Goethe werde jedenfalls nach Weimar kommen, um sie zu sehen. Goethe schrieb unter ihr Bild: »Es wäre ein herrliches Schauspiel, zu sehen, wie die Welt sich in dieser Seele spiegelt. Sie sieht die Welt, wie sie ist, und doch durch's Medium der Liebe. So ist auch Sanftheit der allgemeine Ausdruck.« In ihrer Antwort an Zimmermann bittet sie um weitere Nachrichten über Goethe und äußert den Wunsch, ihn zu sehen. Dies ruft von seiner Seite die Bemerkung hervor, »sie wisse nicht, in welchem Grade der bezaubernde Mann ihr gefährlich werden könne.« In solche Gefahren stürzen schöne Frauen sich gern, besonders wenn sie, wie Frau von Stein, sich selbst vollkommen in der Gewalt haben.

Noch blutend an der Trennung von Lili, noch bebend von der Aufregung des Sieges über seine Leidenschaft, fand er das reizende Weib. Die Erde bleibt lange warm, nachdem die Sonne unter den Horizont versunken ist; auch das Herz erkaltet nur allmälig nach dem Niedergange seiner Sonne. Goethe war also vorbereitet, sich sterblich in ein Wesen zu verlieben, welches »alles durch's Medium der Liebe sah.« Und beachtenswerth ist es, von welcher Art der Gegenstand der Anbetung ist, den er sich jetzt erwählte. Bisher haben ihn nur ganz junge Mädchen angezogen, deren Jugend und kindliche Schönheit seine unruhige Phantasie ergriffen; jetzt aber fesselt ihn ein Weib, ein Weib von Rang, von Welt, ein Weib von Bildung und Erfahrung, ein Weib, das statt sich dem Reize seiner Liebe hinzugeben, die Flamme lebendig zu erhalten weiß, ohne von ihrer Höhe herabzusteigen. Die andern liebten ihn, zeigten ihm ihre Liebe – und wurden vergessen. Sie wußte ihn in dem süßen Fieber der Hoffnung zu erhalten, machte sich ihm nothwendig, machte ihre Liebe zum Ziele seiner Sehnsucht und hielt ihn in der Aufregung eines Mannes,

der nie beglückt wird, doch es stündlich hofft.

Berücksichtigen wir die herrschenden Ansichten und gesellschaftlichen Zustände der Zeit, berücksichtigen wir, daß Herr von Stein nach der Mittheilung seines Sohnes kaum einmal die Woche zu Hause war und auf eheliche Zärtlichkeit nicht den mindesten Anspruch machte, so erscheint es uns begreiflich, daß Goethe's offenkundige Leidenschaft in Weimar vielfache Theilnahme fand. Kein Wort des Tadels wurde darüber laut. Man sah einen Liebenden, dem seine Geliebte eben genug Aufmunterung gab, um ihn im Feuer zu erhalten, und den sie zu zügeln wußte, sobald sein Verlangen zu ungestüm ward. In seinen ersten Briefen an sie wechseln Ausbrüche der Gluth und plötzliche Zurückhaltung; zuweilen entschlüpft ihm das zärtliche Du, und am nächsten Tage stellt sich wieder das vorgeschriebene Sie ein. Diese Briefe folgen ziemlich Tag für Tag. Schon im Januar 1776 entschlüpft ihm die bezeichnende Wendung: »Adieu, Engel, ich werde eben nie klüger und muß Gott danken dafür! Adieu, und mich verdrießt's doch auch, daß ich dich so lieb habe und just Dich

Als Antwort, wie es scheint, auf etwas, das sie geschrieben hat (denn leider besitzen wir nichts von ihren Briefen; sie war so klug, sie von ihm zurückzufordern und zu verbrennen, während sie die seinigen sorgfältig aufhob), schreibt er folgendes:

»Warum soll ich Dich plagen! liebstes Geschöpf! – Warum mich betrügen und Dich plagen und so fort. – Wir können einander nichts sein und sind einander zu viel. – Glaub mir, wenn ich so klar wie Faden mit Dir redte, Du bist mit mir in Allem einig. – Aber eben weil ich die Sachen nur seh', wie sie sind, das macht mich rasend. Gute Nacht Engel und guten Morgen. Ich will Dich nicht wiedersehen – Nur – Du weißt Alles – Ich hab mein Herz – Es ist Alles dumm, was ich sagen könnte. – Ich seh Dich eben künftig wie man Sterne sieht.« Und wenige Tage später: »Adieu, liebe Schwester, weils denn so sein soll.«

Ich wähle noch einige Briefe aus, die für den Ton dieses Verkehrs bezeichnend sind:

Den 1. Mai. »Heut will ich Sie nicht sehen. Ihre Gegenwart gestern hat einen so wunderbaren Eindruck auf mich gemacht, daß ich nicht weiß, ob mirs wohl oder weh bei der Sache ist. Leben Sie wohl, liebste Frau.«

Den 1. Mai Abends. »Du hast recht, mich zum Heiligen zu machen, das heißt von Deinem Herzen zu entfernen. Dich, so heilig Du bist, kann ich nicht zur Heiligen machen, und hab nichts, als mich immer zu quälen, daß ich mich nicht quälen will. Siehst Du die trefflichen Wortspiele. Also auch morgen. Gut, ich will Dich nicht sehen. – Gute Nacht.«

Ein leidenschaftlicher Brief vom 24. Mai zeigt uns, daß sie mit ihm über die Rücksichten auf den Schein und die Meinung der Welt gesprochen hatte.

»Also auch das Verhältniß, das reinste, schönste, wahrste, das ich außer meiner Schwester je zu einem Weibe gehabt, auch das gestört! – Ich war darauf vorbereitet; ich litt nur unendlich für das Vergangene und für das Künftige und für das arme Kind, das hinausging, das ich zu solchen Leiden in dem Augenblicke geweiht hatte. Ich will Sie nicht sehen, Ihre Gegenwart würde mich traurig machen. Wenn ich mit Ihnen nicht leben soll, so hilft mir Ihre Liebe eben so wenig als die Liebe meiner Abwesenden, an der ich so reich bin. Die Gegenwart im Augenblick des Bedürfnisses entscheidet Alles, lindert Alles, kräftigt Alles, der Abwesende kommt mit seiner Spritze, wenn das Feuer nieder ist – – und das Alles um der Welt willen! Die Welt, die mir nichts sein kann, will auch nicht, daß Du mir was sein sollst. – Sie wissen nicht was sie thun. Die Hand des Einsamverschlossenen, der die Stimme der Liebe nicht hört, drückt hart wo sie aufliegt. Adieu, Beste.«

Den 25. Mai. »Sie sind sich immer gleich, immer die unendliche Lieb' und Güte. Verzeihen Sie, daß ich Sie leiden mache. Ich wills künftig suchen allein tragen zu lernen.«

Den 2. Juni. »Adieu. Sein Sie mir lieb wie immer, ich will auch seltener kommen.«

Den 4. Juni. »Hier, liebe Frau, den Tribut. Ich will sehen, ob ichs aushalte nicht zu kommen. Ganz sind Sie nicht sicher vor mir. Gestern hatt' ich wieder einige Augenblicke, in denen ich recht fühlte, daß ich Sie lieb habe.«

Den 6. Juni. »Das konnten Sie mir also thun und gestern von Tiefurt bleiben. Freilich was Sie thun, muß mir recht sein!! Es machte mich nur traurig.«

Den 7. Juni. »Sie sind lieb, daß Sie mir Alles gesagt haben! – Man soll sich Alles sagen, wenn man sich liebt. Liebster Engel, und ich habe wieder drei Worte in der Hand, Sie über Alles zu beruhigen, aber auch nur Worte von mir zu Ihnen. – Ich komme heute noch. Adieu.«

Sie mußte Weimar eine Zeit lang verlassen. »Liebste Frau (schreibt er), ich darf nicht dran denken, daß Sie Dienstag weggehn. Denn was hilft Alles! Die Gegenwart ists allein, die wirkt, tröstet und erbauet! – Wenn sie auch wohl manchmal plagt – und das Plagen ist der Sommerregen der Liebe.«

Merkwürdig ist das Briefchen vom 9. Juli. »Gestern Nachts liege ich im Bett, schlafe schon halb. Philipp [sein Diener] bringt mir einen Brief, dumpfsinnig les' ich – daß Lili eine Braut ist!! kehre mich um und schlafe fort. – – Wie ich das Schicksal anbete, daß es so mit mir verfährt. So Alles zur rechten Zeit – – Lieber Engel, gute Nacht!«

Noch eine Aeußerung. »Sie haben eine Art zu peinigen, wie das Schicksal, man kann sich nicht darüber beklagen, so weh es thut.«

Nach kurzer Zeit wird der Ton gesetzter. Wie sich sein Betragen in Weimar überhaupt nach den ersten wilden Wochen zu gelasseneren Formen herabstimmte, so werden in diesen Briefen bald die Ausrufungen seltener und die Du's fallen ganz weg. Doch die Liebe durchglüht sie noch immer. Sie folgen ununterbrochen und zeugen von ununterbrochener Beschäftigung mit dem Gegenstande. Gewisse empfindsame Leser werden sich vielleicht entsetzen, daß so viel von Essen und Trinken die Rede ist; indessen wenn sie an Lotte denken, die den Kindern Butterbrot giebt, so werden sie sich nicht wundern, wenn der Verfasser des Werther seine weimarsche Geliebte mit beredten Worten bittet, ihm eine Bratwurst zu schicken.



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