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Zweiter Abschnitt.
Weimarsche Berühmtheiten

Die Herzogin-Mutter Amalia. Fräulein Göchhausen. Wieland. Einsiedel. Corona Schröter. Bertuch. Musäus. Seckendorf. Die Herzogin Louise. Karl August. Gräfin Werther. Frau von Stein. Knebel. Herder.

Nachdem wir versucht haben, ein allgemeines Bild von Weimar und seinen Einwohnern zu entwerfen, wenden wir uns zum Einzelnen und zeichnen in flüchtigen Zügen die Hauptpersonen, die sich während der ersten Jahre des Goethe'schen Aufenthalts auf dem Schauplatze bewegen.

Die Herzogin Mutter Amalia ist eine höchst interessante Gestalt. Sie hatte das braunschweigische Blut mit seiner Launenhaftigkeit, seiner Vergnügungssucht und Leichtfertigkeit in den Adern, allein sie besaß zugleich einen hochgebildeten Geist voll reicher Anlagen und war stets bereit, talentvollen Männern zu huldigen. Obwohl eine Nichte Friedrich's des Großen, verschmähte sie es doch, sich mit der übrigen vornehmen Welt von der deutschen Literatur abzuwenden, um sich in die französische zu vergaffen. Sie bestimmte Wieland zum Erzieher ihres Sohnes und wählte ihn zu ihrem werthen Freunde. Schiller, ein etwas absprechender Beurtheiler von Charakteren und nicht sehr scharfsichtig in der Auffassung weiblicher Naturen, schrieb nach seiner ersten Zusammenkunft mit der Herzogin an Körner: »Sie hat mich nicht erobert. Ihre Physiognomie will mir nicht gefallen. Ihr Geist ist äußerst bornirt, nichts interessirt sie als was mit Sinnlichkeit zusammenhängt; diese giebt ihr den Geschmack, den sie für Musik und Malerei u. dgl. hat oder haben will. Sie selbst ist Componistin, Goethe's Erwin und Elmire ist von ihr gesetzt. Sie spricht wenig, doch hat sie das Gute, keine Steifheit des Ceremoniels zu verlangen.« Man wird diesem Urtheile gewiß nicht beistimmen, wenn man hört, daß sie, abgesehen von ihrer Würdigung der talentvollen Männer, die in ihrem Umgange Genuß fanden, von Wieland Griechisch lernte, den Aristophanes las und den Properz übersetzte, Musik componirte, Gemälde mit Geschmack beurtheilte, mit dem Abbé Raynal über Politik, mit Villoison über griechische und italienische Literatur zu reden wußte, daß sie ferner bei allen ihren literarischen Beschäftigungen und sonstigen Genüssen Zeit fand, die Erziehung ihrer Söhne zu beaufsichtigen und ihr Fürstenthum mit ungewöhnlich glücklichem Erfolge zu regieren. Das alles ist nicht die Sache eines »äußerst bornirten Geistes.«

Die von Schiller erwähnte sinnliche Grundlage war allerdings da. Man sieht es an ihrem Gesicht; man erkennt es auch in vielen Zügen, die uns aus ihrem heitern und lebensfrohen Dasein erhalten sind. Biographen und Lobredner pflegen solche Einzelheiten wegzulassen; ihre hochtönenden Perioden passen meist auf den einen Fürsten so gut wie auf den andern; allein grade durch derartige Einzelheiten wird das Bild der Persönlichkeiten erst lebendig. Hier ist zum Beispiel eine Skizze von ihr, wie sie ein ungenannter Reisender mittheilt: »Sie ist klein von Statur, sieht wohl aus, hat eine spirituelle Phisiognomie, eine braunschweigische Nase, schöne Hände und Füße, einen leichten und doch majestätischen Gang, spricht sehr schön, aber geschwind, und hat in ihrem ganzen Wesen viel Angenehmes und Einnehmendes … Diesen selben Abend war Redoute auf dem Rathhause, das Billet zu einem Gulden. Der Hof fuhr um acht Uhr hin. Die Herzogin war prächtig en domino und brillirte auch sonst mit ihrem Schmuck von Juwelen. Sie tanzt schön, leicht und mit vielem Anstand; die jüngeren Prinzen, die en Zéphir und en Amour maskirt waren, tanzten auch sehr gut. Die ganze Maskerade war sehr voll, animirt und eine Menge artiger Masken. Es war auch ein Pharotisch da, der geringste Point war ein halber Gulden. Die Herzogin setzte immer Laubthaler und halbe Louisd'or, spielte sehr generös und verlor einige Louisd'or. Da sie aber sehr gern tanzte, so spielte sie auch nicht lange. Sie tanzte mit jeder Maske, die sie aufnahm, und blieb bis früh um drei, da fast alles aus war.« Derselbe Berichterstatter erzählt von einer andern Redoute: »Die Herzogin war en reine grecque, eine sehr prächtige Maske, die ihr wie Alles sehr gut ließ. Es war heute ungemein voll, brillant und belebt auf der Redoute, und waren auch einige Studenten da von Jena. Zu der letzten Redoute schickte mir die Herzogin eine ihr eigene Savoyarden-Maske; ich wurde bei der Gräfin von Görtz angezogen, von ihrer Kammerjungfer als Dame frisirt und erschien nebst dem jungen Grafen G., der auch so gekleidet war, bei Hofe, aß so bei der Tafel und fuhr mit dem Hofe auf die Redoute; sie dauerte bis sechs Uhr.«

Die lebenslustige Herzogin, die ihr Land so gut zu verwalten wußte, kümmerte sich wenig um die äußere Würde ihrer Stellung. Nach Wielands Mittheilung lebte sie zuweilen »auf Studentenart«, besonders in Belvedere, wo Studentenlieder – nicht immer die feinsten – fröhlich durch die mondbeglänzten Gärten klangen. Eines Tages, als sie mit Freunden auf einem Leiterwagen von Tiefurt kam und von einem Unwetter überrascht wurde, zog sie ohne weitere Umstände Wieland's grünen Ueberrock über ihr leichtes Kleid und fuhr in diesem Aufzuge weiter.

Ihre Briefe (zusammen mit denen der Frl. v. Göchhausen, des Dichters selbst u. a.) an Frau Rath liegen nun gedruckt vor Frau Rath. Briefwechsel von Kath. Elis. Goethe. Nach den Originalen mitgetheilt von Robert Keil. – Anh. 7.; man kann sagen, an Frische und Ungenirtheit, an heiterm Lebenssinn und liebenswürdiger Herzlichkeit wetteifern sie mit denen der Frau Rath selbst. Einige Proben müssen genügen. Die Herzogin schreibt am 29. Aug. 1778 (buchstabengetreu): »Liebe Frau Aja, Meine Freude über den empfang Ihres Briefes ist wohl schwerlich zu beschreiben, auch will ich es nicht unternehmen, den wahre Empfindungen sind zu heilig, um sie schwarz auf weiß zu setzen, Sie wißen Liebe Mutter was Sie mir sind, also können Sie glauben wie unendlich mich ihr Andenken gefreut hat.« – Am 4. Nov. 1778 schreibt die Herzogin der Frau Rath eine dringende Einladung, zum Frühjahr mit Merck nach Weimar zu kommen: »ich denke Liebe Mutter daß Ihr Herz wohl selbst genug für den Hätschel Hanz (Hätschelhans hieß Goethe!) sprechen wird um zu wünschen Ihm einmal wiederzusehen; Sie können nicht glauben wie sehr ich mich darauf freue.« – Am 13. Juli 1781: »… schiecke ich Ihnen Liebe Mutter ein paar Strumpfbänder, die ich auch selbst Fabricirt habe,« zum Beweis »wie fleißig wir an Sie denken.«

Neben der Gestalt der Herzogin Amalia sehen wir die der ausgelassenen und boshaften, kleinen verwachsenen Göchhausen, ihrer Hofdame, von ihren Vertrauten Thusnelda genannt. Man sieht nicht ab, warum der kecke kleine »Dämon von gutem Ton« nach dem Weibe des Arminius den Namen erhielt. Sie war ein großer Günstling Amaliens, auch des Herzogs, der mit ihr beständig in Witzgefechte, nicht immer von der zartesten Art, verwickelt war. Sie belebte die Gesellschaft mit ihren Einfällen und unterhielt eine weitläufige Correspondenz nach auswärts mit geistreichen und berühmten Personen. Für Goethe hatte sie eine große Zuneigung und schrieb fortwährend an seine Mutter. Ihr eigentlicher Liebling aber war Karl August, vielleicht weil er sie unaufhörlich neckte. Als Probe davon, wie weit die Späße getrieben wurden, kann folgende Anekdote dienen, welche Frau von Goethe nach der Erzählung ihres Schwiegervaters, der selbst dabei betheiligt war, mir mitgetheilt hat. Eines Abends wie Thusnelda die Treppe hinaufgeht, die zu ihrem Schlafzimmer führt, wird ihr das Licht ausgeblasen. Sie kümmert sich nicht darum, steigt weiter, erreicht den Gang, an dem ihr Zimmer liegt, und tastet an der Wand entlang nach der Thür. Es hat eben keine Schwierigkeit, sein eigenes Zimmer im Dunkeln zu finden, allein Thusnelda fühlt und fühlt und fühlt, aber alles vergebens; sie findet kein Schloß, ungehindert fahren ihre Hände auf einer glatten kahlen Wand hin und her, sie wird mit jedem Augenblick verwirrter. Wo ist die Thür? wo ist sie selbst? Nachdem sie eine Zeit lang umhergetastet hat, geht ihre Unruhe in ein unbestimmtes Entsetzen über, sie steigt hinab zum Zimmer der Herzogin, aber sie findet es verschlossen; die Herzogin ist zu Bett, und ihr leises Klopfen wird nicht beantwortet. Sie steigt noch einmal hinauf, fühlt noch einmal an der Wand entlang und findet abermals keine Thür. Die Nacht war kalt, und sie war halb todt vor Frost und Angst, ehe das Geheimniß enträthselt wurde; der Herzog und Goethe hatten die Thür herausnehmen und die Stube vermauern lassen!

Wieland, von dem wir schon gesprochen haben, hatte eine Zeitschrift »der deutsche Mercur« gegründet, die nicht ohne Einfluß blieb. Als er aufhörte, Erzieher des Prinzen zu sein, blieb er der geschätzte Freund der Herzogin. Er war bei jeder Lustpartie. Ebenso Einsiedel, der, früher Page, 1776 Kammerherr bei der Herzogin Amalia wurde. Ein heiterer, sorgloser Epikuräer, wegen seiner Gutmüthigkeit und seiner Sonderbarkeit überall bekannt als »der Freund«; berufen wegen seiner lustigen Streiche; Dichter und Musiker in bescheidener Sphäre; Erfinder und Ausführer von Festen, dessen Name uns auf jeder Seite der Weimarschen Hofgeschichte begegnet. Sein Bruder, der Bergrath Einsiedel, hatte das tolle Abenteuer mit der Frau von Werther, die sich für todt ausgeben und eine Puppe an ihrer Statt begraben ließ, während sie selbst mit ihm – nach Afrika ging! Sie kam sehr bald zurück und ließ sich förmlich von ihrem Manne scheiden.

Die Erwähnung Einsiedel's führt uns aus die berühmte Corona Schröter. Schon als Student hatte Goethe dieses schöne und hochbegabte Wesen kennen gelernt, und als er, bald nach seiner Ankunft in Weimar, mit dem Herzoge eine Reise nach Leipzig machte, sah er sie dort wieder und veranlaßte sie nach Weimar zu kommen. Sie war die Zierde des Liebhabertheaters und die ursprüngliche Darstellerin der Iphigenie.

Als eine Blume zeigt sie sich der Welt,

sagt Goethe von ihr, in dem Gedicht (»Miedings Tod«), worin er sie und das weimar'sche Theaterleben verewigt hat. Corona malte, sang, spielte, war gründlich unterrichtet in der Musik und deklamirte mit eigenthümlicher Anmuth, –

Die Musen schmückten sie mit jeder Kunst.

Karl August nannte sie marmorschön und marmorkalt; Goethe besingt sie:

Und hoch erstaunt seht ihr in ihr vereint
Ein Ideal, das Künstlern nur erscheint.

Nach einer weit verbreiteten Meinung, die von Riemer herstammt, die aber, wie Schöll erwiesen hat, sehr unwahrscheinlich ist, soll Goethe mit Corona in näherem Verhältniß gestanden haben. Ich stimme nicht nur der Schöll'schen Beweisführung bei, sondern kann sie auch durch das Zeugniß von Goethe's Schwiegertochter bekräftigen, die mich versicherte, ihr Schwiegervater habe ihr ausdrücklich und mit besonderer Betonung erklärt, er habe niemals eine Leidenschaft für eine Schauspielerin empfunden. Varnhagen von Ense vermuthete, Corona sei im Stillen mit Einsiedel verheirathet gewesen; war dies nicht der Fall, so beweisen ihre noch vorhandenen, aber nicht veröffentlichten Briefe, daß sie wenigstens als Liebende mit einander lebten.

Ein anderer Kammerherr, Dichter und Musiker war Seckendorf, der ein Jahr nach Goethe's Ankunft den Werther in's Französische übersetzte. Ferner schließen sich an diese muntere Gesellschaft Bode, der Uebersetzer des Smollett, Bertuch, der Schatzmeister und Uebersetzer des Cervantes, endlich Musäus, der Sammler der Volksmärchen, ein leidenschaftlicher Liebhaber der Gartenkunst, der Weimar seine freundliche »Erholung« gab, und den man täglich mit einer Tasse Kaffee in der einen, seinem Gartengeräth in der andern Hand die ruhigen Straßen entlang wandeln sah, um seiner geliebten »Erholung« zuzuschlendern.

Das sind die Hauptpersonen am Hofe Amaliens. Wir können jetzt einen Blick auf den Hof des regierenden Herzogs und seiner Gemahlin, Karl August's und Louisen's werfen.

Von der Herzogin Louise spricht niemand anders als in Ausdrücken der Verehrung. Sie war eines jener seltenen Wesen, die ebenso in den erschütterndsten Lagen wie im alltäglichen Verlauf des Lebens einen hohen Charakter zeigen. Die Königin von Preußen und die Herzogin von Sachsen-Weimar sind zwei von den großen Gestalten der neueren deutschen Geschichte, die beide dem Beherrscher der Zeit, Napoleon, entgegentraten und beide gerade dieser Feindschaft wegen von ihm geachtet wurden. Louise war eine so erhabene Natur, daß wir immerhin beifügen können, sie war von kaltem Temperament, hielt ein wenig streng auf Etikette (ganz unähnlich der Herzogin-Mutter), und trug sich bis an's Ende in der altfränkischen Mode ihrer Jugendjahre. Sie war in den ersten Jahren ihrer Ehe nicht selten geneigt, mit ihrem Gemahl zu zanken, doch bewies sie ihm bis an sein Ende eine wahre und edle Freundschaft.

Und er war dieser Freundschaft werth, wie oft auch sein eigenartiges und in vielen Beziehungen dem ihrigen ganz entgegengesetztes Wesen die Herzogin verletzt haben mag. Karl August, den Friedrich der Große als vierzehnjährigen Knaben den hoffnungsvollsten Prinzen nannte, den er je gesehen, war ein sehr gemischter, aber höchst großartiger Charakter. Er verliert nicht wie die meisten Fürsten bei genauerer Bekanntschaft. Er war ein Mann, dessen feines Verständnis; für den Genius die vorzüglichsten Männer der Zeit nach Weimar zog und dessen innere Größe sie dort zu fesseln wußte. Es ist leicht für einen Fürsten, Männer von Talent zu versammeln. Aber es ist keineswegs leicht für ihn, sie in solcher Weise festzuhalten, daß sie alle ihre Fähigkeiten entfalten und zum vernünftigen Genuß ihres Daseins gelangen können. Karl August war der Fürst, der mit den kleinsten Mitteln in Deutschland die größten Erfolge in's Werk setzte. Er war ein Mann von rastloser Thätigkeit. Sein Blick umfaßte alle Theile seiner Besitzungen; seine Bemühungen, die Lage des Volks zu verbessern, waren unablässig. In seinen persönlichen Bedürfnissen war niemand in Deutschland so einfach, seinen Busenfreund Goethe ausgenommen, mit dem er in der That manche der wesentlichsten Züge gemein hat. Ich entsinne mich, daß ich, als ich zuerst ihre Büsten neben einander sah, von einer Art entfernter Familienähnlichkeit betroffen wurde. Karl August hätte Goethe's jüngerer Bruder sein können; sein Gesicht ist bei weitem weniger ideal, aber doch aus demselben Geschlecht. Sie hatten beide von väterlicher Seite thüringisches Blut in den Adern, und Amalie und Frau Aja waren in mancher Beziehung verwandte Naturen. Aber während Karl August die thätige, gesunde, sinnliche lebensfrohe Art seines Freundes theilte, mangelte ihm der Takt, mit dem sich Goethe selbst in seiner wildesten Zeit vor dem Ueberspringen der Schranken zu hüten wußte; ihm mangelte die Zartheit und der Adel des Wesens, womit Goethe überall die Frauen bezauberte. Er war witzig, allein seine Scherze gehörten meist zu denen, die man wohl unter Männern, aber nicht in Damengesellschaft wieder erzählt. In späteren Jahren setzte ihn bei einer Begegnung in Köln der bekannte preußische Staatsmann Stein so ernstlich über diese Unsitte zurecht, daß anwesende preußische Offiziere ganz entsetzt waren, wie man so zu einem Fürsten reden könne. Anm. des Uebers. Er ließ es sich viele Mühe kosten, eine erotische Bibliothek zu sammeln, und es ist charakteristisch, daß er, als Schiller seine Jungfrau von Orleans schrieb, eine neue Auflage der Voltaire'schen Pucelle vermuthete und seine Geliebte, Frau von Heygendorf, aufhetzte, die Rolle der Heldin um keinen Preis zu spielen. Seine Manieren waren derb, soldatisch, herrisch und geradezu. Er fühlte sich zu Hause, wenn er mit preußischen Offizieren in Garnison lag, aber außer seinem Elemente an fremden Höfen und öfters unbehaglich an seinem eigenen. Goethe schildert ihn, wie er 1784 am Hofe von Braunschweig nach seiner Pfeife schmachtet: »Unser guter Herzog langweilt sich schrecklich; die abgemessene Haltung hier bei Hofe genirt ihn gewaltig; er muß auf seine liebe Tabackspfeife verzichten und eine gütige Fee könnte ihm keinen größeren Gefallen thun, als wenn sie dieses Schloß in eine Köhlerhütte verwandelte.« Goethe hat den betreffenden Brief (an Frau von Stein III. 85) französisch geschrieben; da lautet die Stelle wortgetreu: » De son coté notre bon Duc s'ennuie terriblement, il cherche un interet, il n'y voudrait pas etre pour rien, la marche très bien mesurée de tout ce qu'on fait ici le gene, il faut qu'il renonce ici a sa chere pipe et une fee ne pourrait lui rendre un service plus agreable qu'en changant ce palais dans und cabane de charbonnier« (Sic). Im Dezember 1775 schreibt er an Goethe, der gerade in Jena war: »Wie sehr wünschte ich mit freierer Brust und Herzen die liebe Sonne in den Jenaischen Felsen auf- und untergehen sehen, und das zwar mit Dir. Ich sehe sie hier (in Gotha) alle Tage, aber das Schloß ist von so vielen dienstbaren Geistern erfüllt, welche ihr leichtes luftiges Wesen in Sammt und Seide gehüllt haben, daß mir's ganz schwindlich und übel ward.« Konnte er nicht Soldaten exerciren, so bestand sein Vergnügen im Umgange mit Hunden oder im Gespräch mit seinem Dichter in ihren einfachen Wohnungen, wo sie von Philosophie plauderten und von

den holden Mächten, die den Tod bezwingen.

Er mischte sich frei unter das Volk. In Ilmenau zogen er und Goethe Bergmannskleider an, fuhren in die Schachte ein und tanzten die ganze Nacht mit den Bauermädchen. Ueber Stock und Stein querfeldein reiten, mit offenbarer Gefahr, den Hals zu brechen, – die Hofdamen necken, zuweilen in einer Weise, daß seine fürstlichere Gemahlin dadurch verletzt ward, – allein mit seinen Hunden oder mit irgend einem lustigen Gesellschafter umherstreifen, – bald im Weine Begeisterung suchen, bald schönen Frauen den Hof machen, ohne Unterschied des Ranges und Standes, – seine Freunde durch ein schroffes und herrisches Wesen beleidigen, wenn auch nie bis zur Entfremdung, – das war Karl August's Leben; und so oft er auch seinen Bewunderern Kummer machte, blieb er doch mit allen Fehlern eine großartige naturwüchsige Persönlichkeit. Sein Geist war lebhaft, sein Urtheil über Menschen und Dinge gesund und treffend. Einst stritt man darüber, ob Fichte nach Jena zu berufen sei, und einer der Gegner gab dem Herzog eine Schrift in die Hand, die zur Genüge beweisen sollte, daß ein solcher Mann nicht den Lehrstuhl besteigen dürfe. Karl August las das Buch und – berief Fichte. Er hatte große Entwürfe; er hatte auch den despotischen Willen, der seinen festen Beschlüssen die Umstände dienstbar macht. »Er war immer vorschreitend,« sagte Goethe zu Eckermann, »und was in der Zeit irgend an guten neuen Erfindungen und Einrichtungen hervortrat, suchte er bei sich einheimisch zu machen. Wenn etwas mißlang, so war davon weiter nicht die Rede. Ich dachte oft, wie ich dies oder jenes Verfehlte bei ihm entschuldigen wollte; allein er ignorirte jedes Mißlingen auf die heiterste Weise und ging immer sogleich wieder auf etwas Neues los.«

So war Karl August nach den Briefen jener Zeit und nach den Berichten derer, die ihn kannten. Acht Jahre jünger als Goethe schloß er sich diesem an wie ein Bruder. Wir werden das Verhältniß und seine Folgen für beide zu betrachten haben; zuweilen sammeln sich Wolken, es fehlt nicht an Zwistigkeiten und Verstimmungen (in welcher langjährigen Freundschaft fehlt es daran?); aber fünfzig Jahre gegenseitiger Freundschaftsbezeugungen und gegenseitiger Liebe bewährten die Tüchtigkeit beider Naturen.

Eine ausgezeichnete Stelle unter den Weimar'schen Berühmtheiten gebührt der Frau von Stein. In einem folgenden Abschnitte werden wir mehr von ihr hören. Für jetzt nur so viel, daß sie Hofdame bei der Herzogin Amalie und viele Jahre hindurch die angebetete Geliebte Goethe's war. Neben ihr tritt die Gräfin von Werther hervor, in der Karl August dasselbe fand, was Goethe in Frau von Stein gefunden hatte. Sie ist, wie man weiß, das Original der schönen Gräfin im Wilhelm Meister, und ihr Mann war noch excentrischer als der excentrische Graf. Man erzählt von ihm, daß er bei einem Besuch des Herzogs und anderer vornehmer Gäste auf seinem Schlosse einige Bauern herbeiholte, sie in Livreen steckte und mit geschwärzten Gesichtern als Mohren erscheinen ließ.

Wir beschließen die Reihe mit Knebel, dem Uebersetzer des Lucrez und Properz, einem offenen, biedern, satirischen Republikaner, dem vertrauten Freunde des Herzogs und Goethe's, dem »philanthropischen Timon«, wie ihn Herder nannte, der bei aller Strenge gegen Lüge und Falschheit doch die menschliche Natur liebte, gegen die er predigte. Wenn man sein derbes, geniales, sokratisches Gesicht ansieht, so glaubt man sein Jo! jo! zu hören; in seinen Briefen giebt das Durchklingen einer unabhängigen, durch und durch braven Natur seinen Ansichten Nachdruck.

Ich habe Herder nicht angeführt. Er kam erst später als Goethe nach Weimar und ward eigentlich durch diesen, dessen Bewunderung von Straßburg her unvermindert fortdauerte, dahin gezogen. Die auffallende Bitterkeit und Spottsucht in Herder's Natur, die den jungen Studenten nicht abgeschreckt hatte, that auch der Zuneigung des Mannes keinen Eintrag. In einem der ungedruckten Briefe Goethe's an die Herzogin Amalie findet sich ein dringendes Gesuch um eine Unterstützung für ihn, da Herder eine zahlreiche Familie mit sehr beschränkten Mitteln zu erhalten habe; der Herzog hatte versprochen für eins der Kinder zu sorgen, und Goethe bittet Amalien, ihrerseits ein zweites zu übernehmen. Da er keine Antwort erhält, oder wenigstens zu lange damit gezögert wird, so schreibt er noch einmal dringender und fügt hinzu, wenn sie nicht für das Kind sorgen wolle, so werde er es selbst thun, aus seinen eigenen geringen Mitteln! Und dies geschah zu der Zeit, wo Herder gegen Goethe am bittersten war. Wohl mochte Merck ausrufen: »Wer kann der Uneigennützigkeit dieses Menschen widerstehen!«



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