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Dritter Abschnitt.
Erste Erfahrungen

Nicht die Verhältnisse bilden den Charakter. Erste religiöse Zweifel, durch das Erdbeben von Lissabon hervorgerufen. Erste symbolische Darstellung der Erhebung des Geistes zur Gottheit. Der siebenjährige Krieg. Erfindung kleiner Erzählungen. Die Franzosen besetzen Frankfurt. Das französische Theater. Duell mit Derones. Goethe's erstes Stück.

Es ist gründlich falsch zu sagen, daß der Charakter durch die Umstände gebildet wird; man müßte denn in diesem Worte mit unwissenschaftlicher Zweideutigkeit den ganzen Umfang der äußeren Verhältnisse von der Schöpfung an zusammenfassen. Der Charakter ist für die äußeren Verhältnisse, was Organismen für die äußere Welt sind: sie leben in ihr, werden aber nicht specifisch durch sie bedingt. Eine wunderbare Mannigfaltigkeit von Pflanzen- und Thier-Organismen lebt und gedeiht unter Verhältnissen, welche die Mittel ihrer Existenz geben, aber nicht die specifischen Formen jedes einzelnen Organismus bestimmen. Ebenso leben verschiedene Charaktere unter gleichen Verhältnissen, angeregt von ihnen, aber nicht durch sie gebildet. Jeder Charakter eignet sich von den Verhältnissen um ihn her das an, was sich ihm aneignen läßt, und stößt das Uebrige ab, gerade wie die Pflanze aus Erde und Luft die Stoffe aufnimmt, welche ihr als Nahrung dienen, das Uebrige aber abstößt. Daß die Verhältnisse einen bestimmenden Einfluß haben, weiß jeder Physiologe, aber er weiß zugleich auch, daß derselbe nur innerhalb gewisser Grenzen möglich ist. Durch reichliches Futter und besondere Behandlung kann die Wildheit eines Thieres gezähmt werden, aber der Löwe wird dadurch kein Lamm.

Statt also zu sagen, der Mensch sei ein Geschöpf der Verhältnisse, würde es näher zum Ziele treffen, zu sagen: der Mensch ist der Bildner der Verhältnisse Es liegt nahe, hier an das ähnliche Wort Schiller's im Don Carlos zu erinnern:
»Was
Ist Zufall anders, als der rohe Stein,
Der Leben annimmt unter Bildners Hand?
Den Zufall giebt die Vorsehung – zum Zwecke
Muß ihn der Mensch gestalten.«
(Anm. des Uebers.)
. Der Charakter ist es, der aus den Verhältnissen eine Existenz schafft. An dieser bildenden Kraft wird unsere Stärke gemessen. Aus dem gleichen Material baut der eine Paläste, der andere Hütten, der eine Speicher, der andere Landhäuser; und der Granitblock, der für den Schwachen ein Hemmniß ist auf seinem Pfade, ist für den Starken eine Stufe, die ihn höher fördert.

Wenn der Leser diese Ansicht von dem Einfluß der Verhältnisse theilt, so wird er einsehen, daß ich auf Goethe's gesellschaftliche Stellung einiges Gewicht zu legen berechtigt war, obgleich ich Viehoff und Gervinus in Bezug auf die öffentliche Erziehung widersprach. Die fortwährende Freiheit von Mangel ist eine der steten und mächtigen Bedingungen, welche einen Charakter nothwendig bestimmen. Aber die zeitweise und zufällige Einwirkung einer öffentlichen Erziehung und andere Umstände von geringerer Bedeutung können niemals einen Charakter bestimmen und verändern; nur seine Entwicklung erleichtern oder erschweren sie.

Auch andere Knaben als Goethe hörten das Erdbeben von Lissabon lebhaft besprechen, aber in ihnen wurden dadurch nicht wie in dem sechsjährigen Goethe religiöse Zweifel angeregt. Dieses furchtbare Ereigniß, das im Jahre 1755 über ganz Europa Schrecken verbreitete, hat ihn, wie er uns selbst erzählt, mächtig in Aufregung gebracht. Die Schilderungen, wie eine prächtige Residenz plötzlich verwüstet, Kirchen, Häuser, Thürme krachend übereinander gefallen, die geborstene Erde Rauch und Flammen gespieen, und sechzigtausend Menschen in einem Augenblick zu Grunde gegangen, erschütterten seinen Glauben an die Güte der Vorsehung. »Gott, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erde, sagt er, den uns die Erklärung des ersten Glaubens-Artikels so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen. Vergebens suchte das junge Gemüth sich gegen diese Eindrücke herzustellen, welches überhaupt um so weniger möglich war, als die Weisen und Schriftgelehrten selbst sich über die Art, wie man ein solches Phänomen anzusehen habe, nicht einigen konnten.«

Um dieselbe Zeit trug sich Voltaire mit denselben Zweifeln. Er warf die Frage auf, ob die Opfer des Erdbebens von Lissabon zur Strafe ihrer Sünden gestorben seien, ob das zerstörte Lissabon reicher an Lastern gewesen, als London und Paris, die Stätten schwelgender Lust? Direz-vous, en voyant cet amas de victimes:
Dieu s'est vengé, leur mort est le prix de leurs crimes?
Quel crime, quelle faute ont commis ces enfans
Sur le sein maternel écrasés st sanglans?
Lisbonne qui n'est plus, eût-elle plus de vices
Que Londres, que Paris, plongés dans les délices?
Lisbonne est abimée, et l'on danse à Paris.
. So weit natürlich ging der Gedankengang des Knaben nicht. Er erwog die Sache bei sich, so wie er sie um sich her besprechen hörte. Als er, so erzählte Bettina, um diese Zeit mit dem Großvater aus einer Predigt kam, in welcher die Weisheit des Schöpfers gleichsam gegen die betroffene Menschheit vertheidigt worden, und der Vater ihn fragte, wie er die Predigt verstanden habe, antwortete er: »Am Ende mag alles noch viel einfacher sein, als der Prediger meint; Gott wird wohl wissen, daß der unsterblichen Seele durch böses Geschick kein Schaden geschehen kann.«

Die einmal angeregten Zweifel kamen natürlich wieder, und der Knabe fing an, sich in einen ernstlichen Unglauben an die Güte der Vorsehung einzuleben und Gott als den eifrigen »Zornesgott der Hebräer« zu betrachten. Ein neues Naturereigniß trug dazu bei. »Unversehens brach ein Hagelwetter herein, schlug die neuen Scheiben des Hauses auf das gewaltsamste zusammen und war für die Kinder um so fürchterlicher, als das ganz außer sich gesetzte Hausgesinde sie in einen dunkeln Gang mit fortriß und dort auf den Knieen liegend durch schreckliches Geheul und Geschrei die erzürnte Gottheit zu versöhnen glaubte.« So werden viele Kinder zu Skeptikern gemacht; aber in einem tief nachdenklichen Gemüthe haften solche Gedanken nie lange, wenigstens unter dem Einflusse moderner Cultur nicht; denn diese lehrt uns, daß das Uebel wesentlich etwas Engbegrenztes, Endliches ist, welches vor einer umfassenden Anschauung des Unendlichen zur Unbedeutendheit schwindet, und daß alles Uebel, aus aller Welt Enden zusammen genommen, im Vergleich mit der allgemeinen Wohlthätigkeit der Natur für gering gelten muß.

Die Zweifel also, welche den kleinen Wolfgang plagten, beruhigten sich allmälig. In dem Kreise seiner Verwandten hörte er nachdenklich schweigend fortwährend theologische Fragen verhandeln. Die verschiedenen Sekten, die sich von der anerkannten Kirche trennten, schienen alle von dem einen Verlangen beseelt zu sein, »sich der Gottheit, besonders durch Christum, mehr zu nähern, als es ihnen unter der Form der öffentlichen Religion möglich zu sein schien.« Dadurch kam der Knabe auf den Gedanken, sich auch seinerseits dem »großen Gotte der Natur« unmittelbar zu nähern. »Eine Gestalt konnte er diesem Wesen nicht verleihen; er suchte ihn also in seinen Werken auf und wollte ihm auf gut alttestamentliche Weise einen Altar errichten.« Naturprodukte sollten ihm die Welt im Gleichniß vorstellen. Aus einer Naturaliensammlung suchte er die besten Stufen und Exemplare und baute sie auf den verschiedenen Abstufungen eines Notenpultes auf; oben auf der Spitze sollte als Sinnbild der Erhebung der Seele eine Flamme brennen, und ein Räucherkerzchen wurde für diesen Zweck ausersehen. Mit Ungeduld harrte er des Sonnenaufgangs. Das Glühen der Dächer gab das Zeichen; mit einem Brennglase entzündete er die Kerze, und so, in der Einsamkeit seines Schlafzimmers, verrichtete der siebenjährige Priester seinen Gottesdienst.

Da dieser Zug uns leicht vergessen machen kann, daß es die Entwicklung eines Knaben ist, welche uns beschäftigt, so mag eine andere Anekdote, die Bettina von seiner Mutter hörte, daneben stehen, als Zeugniß, wie weit und in welcher Art er Kind war. Seine Mutter sah ihn einmal mit mehren andern Knaben über die Straße kommen; sie bemerkte, daß er sehr gravitätisch einherschritt, und hielt ihm vor, daß er sich mit seinem Geradehalten sehr sonderbar vor den andern Knaben auszeichne; da antwortete der Kleine: »Mit diesem mache ich den Anfang, und später werd' ich mich noch mit mancherlei auszeichnen.« – Und das ist auch wahr geworden, setzte die Mutter hinzu.

Ein andres Mal quälte er seine Mutter mit Fragen, ob die Sterne das wohl halten würden, was sie an seiner Wiege versprochen hätten. Und als die Mutter erwiderte: »warum willst Du denn mit Gewalt den Beistand der Sterne, da wir andern doch ohne sie fertig werden müssen?« da meinte der jugendliche Zeus: »Mit dem, was andern Leuten genügt, kann ich nicht fertig werden.«

Er war eben sieben Jahre alt geworden, als der siebenjährige Krieg ausbrach. Sein Großvater stellte sich auf die Seite Oestreichs, sein Vater auf die Preußens. Diese Meinungsverschiedenheit veranlaßte Mißhelligkeiten und endlich eine völlige Trennung in der Familie. Die Thaten des preußischen Heeres wurden auf der einen Seite enthusiastisch gepriesen, auf der andern verkleinert. Das Interesse dafür verschlang alles andere und erregte leidenschaftliche Parteinahme. Mit seltsamen Empfindungen sah die Welt dem Kampfe zu, den der größte Feldherr seiner Zeit gegen Rußland, Oestreich und Frankreich durchfocht. Der Herrscher von nicht mehr als fünf Millionen Menschen kämpfte ohne Beistand gegen die Herrscher von mehr als hundert Millionen, und trotz der gegen ihn erhobenen Beschuldigung eines Treubruchs konnte man von seinen glänzenden Erfolgen kaum ohne Begeisterung hören. Muth und Geist in verzweifelter Lage erwecken immer Sympathie, und gar wenig kümmerten sich die Leute darnach zu fragen, wie sich die Besitzergreifung Schlesiens rechtfertigen ließe oder mit welchem Grunde die sächsischen Fahnen in den Kirchen Berlins hingen. Der Donner siegreicher Kanonen betäubte das Urtheil; blindlings wurde der kühne Feldherr verehrt. Der siebenjährige Krieg wurde ein deutsches Epos. Die Geschichte des Krieges von Archenholtz wurde in lateinischer Uebersetzung neben Tacitus und Caesar in den Schulen gelesen.

Hier war wieder ein äußerer Eindruck, von dem nach der gewöhnlichen Ansicht Goethe eine epische Anregung hätte empfangen müssen. Aber genau nur das nahm er davon auf, was seiner Natur entsprach. Er theilte den allgemeinen Enthusiasmus, aber nicht »preußisch, sondern Fritzisch« war er gesinnt. Nicht die Größe der Sache, sondern die Persönlichkeit des Helden wirkte auf sein Gemüth, ließ ihn jedes Sieges sich freuen und trieb ihn, die Siegeslieder und die Spottgedichte auf Oestreich abzuschreiben. Er lernte nun die Wirkungen des Parteigeistes kennen. An dem Tisch des Großvaters mußte er bittern Spott und heftige Ausfälle gegen seinen Helden ertragen. Er hörte Friedrich »auf's greulichste verleumden,« und »wie ihm in seinem sechsten Jahre, nach dem Erdbeben von Lissabon, die Güte Gottes einigermaßen verdächtig geworden war, so fing er nun, wegen Friedrich's des Zweiten die Gerechtigkeit des Publikums zu bezweifeln an.«

Ueber der Thür seines väterlichen Hauses war eine Leyer mit einem Stern. Das bedeutet, wie jeder Kundige einsieht, daß ein Dichter das Haus berühmt machen werde. Goethe's dichterische Begabung zeigte sich schon früh. Wir haben bereits gesehen, wie er zu den Geschichten seiner Mutter den Schluß erfand, und als er nun älter wurde, begann er zur Unterhaltung seiner Spielkameraden eigene Geschichten zu erfinden. Mit Bildern und Gestalten hatte er, »einsam durchstreifend das romant'sche Land,« den Geist gefüllt. Er hatte mancherlei gelesen: den Orbis pictus, Ovid's Metamorphosen, Homer's Ilias in Prosa, den Virgil in der Ursprache, Fenelon's Telemach, Robinson Crusoe, Anson's Reisen; daneben den Fortunat, den ewigen Juden, die vier Haymonskinder, und von den gleichzeitigen Dichtern Canitz, Hagedorn, Drollinger, Gellert, Haller u. a. hatte er manches auswendig gelernt.

Aber er erzählte nicht blos Geschichten, sondern er schrieb auch welche, wie uns eine kleine rührende Anekdote zeigt, die Bettina erhalten hat. Sein jüngerer Bruder Jacob starb an den Blattern. Zur Verwunderung der Mutter vergoß Wolfgang keine Thräne. Als sie ihn fragte, ob er den Bruder nicht lieb gehabt, lief er in seine Kammer, brachte unter dem Bette hervor eine Menge Papiere, die mit Lektionen und Geschichtchen beschrieben waren, und sagte ihr, das alles habe er gemacht, um es den Bruder zu lehren. Das war in seinem neunten Jahre.

Bald nach dem Tode dieses Bruders, am Neujahrstage 1759, schreckte ihn und die Stadt der Trompetenstoß des Thürmers vom Hauptthurm, das übliche Signal, daß Truppen im Anzuge seien. Der Thürmer schien gar nicht aufhören zu wollen mit seinen Signalen. In ununterbrochener Reihe rückten die Truppen in die Stadt; das Rasseln ihrer Trommeln rief alle Weiber an die Fenster, alle Knaben staunender Bewunderung voll auf die Straßen. Es waren Franzosen, die einrückten. Sie überrumpelten die Hauptwache, und in einem Augenblick war die Stadt zum Lagerplatze verwandelt. Um die Sache noch schlimmer zu machen, so waren diese Truppen im Kriege mit Friedrich, dem verehrten Helden Wolfgang's und seines Vaters. Sofort wurden sie in der Stadt einquartirt, und bald ging alles seinen gewohnten Gang, in den eben die militärische Besatzung nur einige Abwechselung brachte. Im Goethe'schen Hause erhielt eine hohe Person Quartier, der Königslieutenant Graf Thorane, ein Mann von Geschmack und prächtigem Wesen, der bald Künstler und andere hervorragende Männer um sich versammelte und die leidenschaftliche Bewunderung des kleinen Wolfgang sich gewann, aber den Haß des alten Raths nicht zu besiegen vermochte.

Diese Besetzung Frankfurt's hatte für den jungen Goethe mancherlei Nutzen. Die strenge Zucht der väterlichen Erziehung ließ etwas nach, und eine andere Art der Bildung begann, die des Lebens, des Verkehrs mit Menschen. Die steten Durchmärsche von Truppen, die glänzenden Paraden, die Musik, all' der Pomp und das Gepränge mußten ihren Einfluß üben. Dazu kam die Uebung in der französischen Unterhaltung und die Bekanntschaft mit dem Theater. Die Franzosen bringen ihre »Civilisation,« d. h. ein Café und ein Theater, überall mit. In Frankfurt wurde eins wie das andere sofort eröffnet, und Goethe erhielt ein Freibillet zum Theater, dessen er sich, unter dem Beistand der Mutter, täglich bediente. Verstand er auch nicht alles, was er hörte, so hatte er doch seine Freude dran. Die Tragödie machten ihm »der gemessene Schritt, das Taktartige der Alexandriner und das Allgemeine des Ausdrucks« leichter verständlich als die Comödie, in der schneller gesprochen wurde und mehr Ausdrücke des gemeinen Lebens vorkamen. Aber Knaben sind im Theater nicht besonders kritisch gestimmt und brauchen ein Stück nicht zu verstehen, um es zu genießen. Ein Racine, den er unter seines Vaters Büchern fand, wurde eifrig gelesen, und der Knabe deklamirte sich die einzelnen Reden vor, während er den Sinn und Zusammenhang nur halb verstand.

Durch das Theater und die sich daran knüpfende Bekanntschaft mit einem schwatzhaften kleinen Prahlhans, der zur Truppe gehörte, Namens Derones, wurde er mit dem Französischen so vertraut, daß nach vier Wochen die Eltern sich über seine Fertigkeit verwunderten. Derones machte ihn mit den Schauspielern bekannt und führte ihn »hinter die Coulissen.« Für einen Knaben von zehn Jahren will »hinter den Coulissen« viel sagen. Wir werden später sehen, wie er auch im wirklichen Leben früh hinter die Coulissen blicken durfte. Für jetzt genüge die Bemerkung, daß er bis in das Ankleidezimmer vordrang, wo Schauspieler und Schauspielerinnen sich an- und auskleideten und »sich so wenig unter einander als vor den Kindern zu scheuen schienen, wenn es beim Anlegen oder Verändern der Kleidungsstücke nicht zum anständigsten herging;« anfangs überrascht, fand es Goethe »bald durch Gewohnheit, bei wiederholtem Besuch, ganz natürlich.«

Ein seltsamer Auftritt trug sich zwischen den beiden Knaben zu. Derones war, nach seiner eigenen Versicherung, in Ehrensachen sehr erfahren. Von seinen Großthaten, wie er sich oft geschlagen, wie er stets seinen Gegner entwaffnet und ihm alsdann edelmüthig verziehen habe, wußte er viel zu erzählen. Eines Tages beim Kinderspiel fiel es ihm ein, der Wolfgang habe ihn beleidigt und müsse ihm Satisfaktion geben; es kam zum Duell. Nun denke man sich den kleinen nicht ganz zwölfjährigen Wolfgang: wohl geputzt, wie er in dem Märchen vom »neuen Paris« sich selbst schildert, »in Schuhen mit silbernen Schnallen, feinen baumwollenen Strümpfen, schwarzen Höschen von Sarsche, einen Rock von grünem Berkan mit goldenen Balletten, einer Weste von Goldstoff, die aus des Vaters Bräutigamsweste geschnitten war, das Haar frisirt und gepudert, daß ihm die Locken wie Flügelchen vom Kopfe standen, den Hut unterm Arm, einen kleinen Degen mit seidener Bandschleife an der Seite« – so tritt der kleine Bursch seinem Widersacher gegenüber; sie stellen sich in gehörige Positur, die Klingen klirren, Stoß geht's auf Stoß; doch im Feuer der Action bleibt Derones mit der Spitze seines Degens an Wolfgang's Bandschleife hängen, und nun versichert der kleine Franzos gar hochherzig, er habe die vollkommenste Satisfaktion. Beide umarmen sich und gehen in das nächste Kaffeehaus, um sich bei einem Glase Mandelmilch von ihrer Gemüthsbewegung zu erholen.

Der Ehrgeiz, mit einem Schauspiel auf die Bühne zu treten, der uns alle reizt, ergriff auch Wolfgang bald. Als Kind hatte er schon Terenz nachgeahmt; jetzt entschloß er sich, etwas Tüchtigeres in dem damals beliebten Geschmack des Piron zu versuchen. Als das Stück fertig war, legte er es seinem Freunde Derones vor; der wies ihm einige Sprachfehler nach, stellte eine nähere Prüfung in Aussicht und versprach ihm seine schwerwiegende Empfehlung bei der Direktion, um das Stück zur Aufführung zu bringen. Schon sah Wolfgang im Geist den Titel seines Stücks an den Straßenecken mit großen Buchstaben angeschlagen! Aber leider war Derones in seiner Kritik ohne Erbarmen. Er kehrte das ganze Stück um, ließ keinen Stein auf dem andern und betäubte den armen Autor mit dem Schwall seiner dramaturgischen Litanei: er redete groß von den drei Einheiten des Aristoteles, schalt auf die Engländer, verlachte die Deutschen und behauptete die Vorzüge des französischen Geschmacks mit solcher Zuversicht, daß sein Zuhörer nichts zu erwidern vermochte. Aber, wenn auch zum Schweigen gebracht, überzeugt war Wolfgang nicht. Der mißlungene Versuch machte ihn nachdenklich und trieb ihn, die kritischen Gesetze selbst zu ergründen. Er las Corneille's Abhandlung über die drei Einheiten und Racine's Vorreden, und das Ende war, daß er die ganze französische Theorie gründlich verachten lernte. So verdanken wir denn vielleicht dem Franzosen Derones einen Theil jener kühnen Verspottung aller Regelmäßigkeit, welche im »Götz von Berlichingen« Deutschland überraschte und in Staunen setzte.



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