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Zweiter Abschnitt.
Götz von Berlichingen

Drei Bearbeitungen des Götz. Goethe's eigener Bericht über dies Stück. Charakter des Götz mit der eisernen Hand. Vergleichung des Kampfes um individuelle Freiheit im 16. und 18. Jahrhundert. Götz, eine dramatisirte Chronik, kein Drama. Merkwürdig unshakespearesch in Bau, Charakterschilderung und Sprache. Der Erstling der romantischen Schule. Schädlicher Einfluß auf die dramatische Kunst. Die Originalität des Götz von Hegel geleugnet. Götz ein wunderbares Werk.

Wurde der Götz auch erst im Frühjahr 1773 veröffentlicht, entstanden war er schon im Winter 1771, oder genauer gesagt, die erste der drei Bearbeitungen wurde damals geschrieben. Von diesen drei Bearbeitungen heißt die erste: »Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand, dramatisirt« und wurde erst viele Jahre später veröffentlicht; die zweite – »Götz von Berlichingen, Schauspiel« – ist die Gestalt, in der das Werk ursprünglich erschien; die dritte ist eine Bearbeitung für die Bühne und wurde gemeinsam mit Schiller in der Zeit gemacht, wo man in Weimar ein National-Theater zu schaffen suchte.

Die erste Bearbeitung bewundere ich am meisten; auch ist sie für eine Lebensbeschreibung am interessantesten. Während Goethe auf der Reise nach Wetzlar ist, wollen wir seine Mappe öffnen und, ohne die Veröffentlichung der ersten Bearbeitung abzuwarten, das ursprüngliche Manuscript genauer ansehen. Aus einem Briefe an Salzmann erfahren wir, daß er das Stück im November 1771 schrieb. »Mein ganzer Genius,« sagt er, »liegt auf einem Unternehmen, worüber Homer und Shakespeare und alles vergessen werden! ich dramatisire die Geschichte eines der edelsten Deutschen, rette das Andenken eines braven Mannes, und die viele Arbeit, die mich's kostet, macht mir einen wahren Zeitvertreib, den ich hier so nöthig habe.« In »Wahrheit und Dichtung« giebt er von seiner Arbeit folgenden Bericht: »Durch die fortdauernde Theilnahme an Shakespeare's Werken hatte ich mir den Geist so ausgeweitet, daß mir der enge Bühnenraum und die kurze, einer Vorstellung zugemessene Zeit keineswegs hinlänglich schienen, um etwas Bedeutendes vorzutragen. Das Leben des biedern Götz von Berlichingen, von ihm selbst geschrieben, trieb mich in die historische Behandlungsart, und meine Einbildungskraft dehnte sich dergestalt aus, daß auch meine dramatische Form alle Theatergrenzen überschritt und sich den lebendigen Ereignissen mehr und mehr zu nähern suchte. Ich hatte mich davon, so wie ich vorwärts ging, mit meiner Schwester umständlich unterhalten, die an solchen Dingen mit Geist und Gemüth Theil nahm, und ich erneuerte diese Unterhaltung so oft, ohne nur irgend zum Werke zu schreiten, daß sie zuletzt ungeduldig und wohlwollend dringend bat, mich nur nicht immer mit Worten in die Luft zu ergehen, sondern endlich einmal das, was mir so gegenwärtig wäre, auf das Papier festzubringen. Durch diesen Antrieb bestimmt, fing ich eines Morgens zu schreiben an, ohne daß ich einen Entwurf oder Plan vorher aufgesetzt hätte. Ich schrieb die ersten Scenen, und Abends wurden sie Cornelien vorgelesen. Sie schenkte ihnen vielen Beifall, jedoch nur bedingt, indem sie zweifelte, daß ich so fortfahren würde, ja sie äußerte sogar einen entschiedenen Unglauben an meine Beharrlichkeit. Dies reizte mich nur um so mehr, ich fuhr den nächsten Tag fort, und so den dritten; die Hoffnung wuchs bei den täglichen Mittheilungen, auch mir ward alles von Schritt zu Schritt lebendiger, indem mir ohnehin der Stoff durchaus eigen geworden; und so hielt ich mich ununterbrochen an's Werk, das ich geradewegs verfolgte ohne weder rückwärts noch rechts noch links zu sehen, und in etwa sechs Wochen hatte ich das Vergnügen, das Manuscript geheftet zu erblicken.«

Gottfried von Berlichingen mit der eisernen Hand war ein berühmter Raubritter im sechzehnten Jahrhundert, einer der letzten Sprossen jenes wilden gesetzlosen Lehnsadels, bei denen Thaten der Räuberei oft durch persönliche Tapferkeit einen romantischen Glanz erhalten. Gottfried mit der eisernen Hand war ein würdiger Vertreter dieser Gattung. Sein Gehorsam als Unterthan des Kaisers war eben so unerschütterlich wie sein persönlicher Muth; was sein verehrter Kaiser anzuordnen recht fand, das fand er recht zu thun. Unter dem Kaiser erkannte er keinen Herrn über sich; mit seinen Standesgenossen führte er fortwährende Fehde; namentlich gegen den Bischof von Bamberg war er häufig in Waffen; kaum hatte er mit ihm Frieden gemacht, so griff er den Bischof von Mainz an. Krieg war sein Element, und wie es einem ächten Ritter zukam, war er stets auf der Seite der Schwachen und Verfolgten, außer wenn der Kaiser seinen Arm verlangte oder wenn er einen kleinen Raubzug auf eigene Rechnung ausführte. Zu seinem starken Arm blickten die Verfolgten um Beistand auf. Einem armen Schneider ist das reiche Köln vom Scheibenschießen zweihundert Gulden schuldig und will sie nicht bezahlen; er geht zu Götz und klagt ihm sein Leid, sofort packt die eiserne Hand die ersten besten Kaufleute aus Köln, die des Weges reisen, und läßt sie die zweihundert Gulden erlegen. Ein anziehender Gegenstand für einen Dichter des achtzehnten Jahrhunderts, dieser kühne ritterliche Räuber, der allein auf seine Faust gegen die fortschreitende Macht der Civilisation ankämpft, dieser wilde Kriegsmann, der einen verzweifelten Kampf gegen das Gesetz führt und den Geist ritterlicher Fehde zu verewigen strebt. Besonders anziehend für einen Dichter dieser Zeit war in Götz die Weihe individueller Größe. Nicht durch seinen Rang, sondern durch seine Natur war er groß; seine Ueberlegenheit war nicht ein Erbtheil seines Hauses, nicht durch Hofgunst erlangt, sie ruhte allein auf seinem starken Arm und seinem unbezwinglichen Geist. Und war nicht auch der Kampf des ganzen achtzehnten Jahrhunderts ein Kampf für die Anerkennung des Individuums, ein Kampf von Recht gegen Vorrecht, von Freiheit gegen Herkommen? Der Kampf des sechzehnten Jahrhunderts galt denselben Zielen; die Reformation war auf religiösem Gebiete, was die Revolution auf politischem: ein Widerstand gegen die Tyrannei des Herkommens, ein Kampf für die Rechte individueller Gedankenfreiheit gegen die starren Gesetze der herrschenden Klassen.

In der »Geschichte Gottfriedens von Berlichingen« hat er selbst seine Thaten schmucklos und würdig erzählt. Goethe fand da Stoff, wie Shakespeare in Holinshed und Saxo Grammaticus gefunden hatte, und er benutzte ihn mit derselben Freiheit wie dieser. Er hat die Geschichte dramatisirt, läßt sie lebensvoll vor uns bewegen; aber er hat eine Geschichte dramatisirt, nicht ein Drama geschrieben – ein Unterschied, der sofort begründet werden soll.

Viehoff hat nachgewiesen, wie weit Goethe die Geschichte benutzt und wie viel neue Elemente er aus eigener Erfindung hinzugesetzt hat; hier mag es genügen, die Charaktere, die er neu geschaffen, anzuführen; es sind: Adelheid, der herrliche bezaubernde Dämon der Lust; Elisabeth, das edle Weib, in der Goethe's Mutter sich selbst erkannte; Marie, in der vielleicht von Friederike etwas nachklingt; Georg, Franz Lerse, Weislingen und die Zigeuner; auch der Tod des Götz ist von Goethe's Erfindung.

Der Götz ist eine dramatische Geschichte, kein Drama. Nie hätte das Stück ein Drama heißen, sondern in seiner ersten Form mit dem ursprünglichen Namen belassen werden sollen. Viele Verwirrung wäre damit erspart worden, namentlich was das Verhältniß zu Shakespeare und dessen dramatischer Composition angeht. Den Einfluß Shakespeare's in diesem Werke kann niemand verkennen, aber es shakespearesch zu nennen, ist eine starke Ungenauigkeit des Ausdrucks, die zwar allgemein verbreitet, jedoch darum nicht weniger unzulässig ist. Die Urtheile der Kritik halten an früheren Entscheidungen eben so fest, wie die Gerichtshöfe. Nach Präcedenzfällen urtheilt die Kritik. Bei jedem neuen Werke tritt unabänderlich einer von den zwei Fällen ein: entweder die Kritik verwirft es, weil es sich nicht unter eine bestimmte anerkannte Klasse bringen läßt, und brandmarkt es also, weil es keine Nachahmung ist, oder aber sie stellt es ruhig unter irgend eine hergebrachte Bezeichnung. Das letztere geschah mit Götz von Berlichingen. Weil das Stück sich nicht um die dramatischen Einheiten bekümmerte und das Volk ohne weiteres neben den Adel stellte, weil die Personen, statt wie im französischen Trauerspiel zu deklamiren, genau so sprachen, wie es für das Stück sich paßte, – kurz, weil es unter die herkömmliche Sorte der französischen Tragödien nicht gehörte, so mußte es zu den Shakespeare'schen gehören, den einzigen, die als Gegensatz der französischen galten.

Gleicht der Götz dem Othello? oder Macbeth? oder Richard III., Heinrich IV., König Johann, Julius Cäsar, oder sonst einem ächten Stücke von Shakespeare? Wenn die Worte »Shakespeare'scher Stil« nicht bedeutungslos sein sollen, so muß ihre Anwendung auf den Götz den Sinn haben, dieses Stück gleiche dem Shakespeare'schen in Bau und Gliederung, in der Zeichnung der Charaktere und in dem Tone des Dialogs; und doch wird ein flüchtiger Ueberblick jeden überzeugen, daß es in allen diesen Beziehungen den Shakespeare'schen Stücken außerordentlich ungleich ist.

In der Anlage unterscheidet es sich von Shakespeare zunächst dadurch, daß es mehr eine Zeit als eine Leidenschaft darstellt, zweitens dadurch, daß es die Freiheiten der Erzählung beibehält, statt unausgesetzt die Bühne im Auge zu haben und ihren Nothwendigkeiten sich zu fügen, endlich drittens dadurch, daß es des einheitlichen Mittelpunktes entbehrt, um welchen alle Personen und Vorgänge zu künstlerischer Abrundung sich sammeln. Eine Reihenfolge von Scenen ist es, eine Geschichte von Episoden.

Es war eine Eigentümlichkeit des goethe'schen Geistes, an die Charaktere und ihre Bilder sich zu halten und gegen Handlung und äußern Hergang gleichgültig zu bleiben. In einer Geschichte kümmerte er sich nicht um die äußern Verhältnisse; eine Zeichnung der menschlichen Natur, die seinen Verstand befriedigte, und ein geschickt ausgeführtes Bild der Außenwelt, das seinem künstlerischen Sinne Genüge that, das war es, worauf es ihm ankam. Die menschliche Natur zog ihn mehr von Seiten der Psychologie als der Leidenschaft an; die Leidenschaften selbst interessirten ihn mehr als Probleme, denn als menschliche Regungen. Das war der Grund, warum es ihm zugleich an historischem Sinn und an dramatischer Kraft in so auffallender Weise mangelte. In der Geschichte wandte er sich von dem Gange der Ereignisse ab; ja ihre Größe selbst war ihm zuwider, weil neben ihr der handelnde Mensch so klein erschien, auf den allein sein Antheil sich bezog.

Nicht weniger unshakespearesch ist der Götz in der Darstellung der Charaktere. Die englische Abgötterei für Shakespeare meint freilich, jede meisterhafte Charakterzeichnung sei shakespearesch, aber diese Annahme läßt sich einem Sophokles, Racine und Goethe gegenüber nicht aufrecht erhalten. Jeder Dichter hat seine eigene Art, und Shakespeare's Art ist im Götz von Berlichingen sicherlich nicht zu erkennen. Die Charaktere zeigen uns ihre äußeren Eigenthümlichkeiten in außerordentlicher Schärfe, aber sie verrathen nicht, wie bei Shakespeare, unwillkürlich das innerste Geheimniß ihrer Existenz. Wir erkennen sie an ihrer Sprache und an ihren Handlungen, aber unbekannt bleiben uns ihre Gedanken, ihre Selbsttäuschungen, ihre inneren wirr verschlungenen Motive, die, zum Theil ihnen selbst dunkel, der Dichter uns in den Schlaglichtern ihrer leidenschaftlichen Ausbrüche sehen läßt. So, um ein entscheidendes Beispiel zu nehmen, erscheint Weißlingen zugleich ehrgeizig und unentschlossen, wohlmeinend aber schwach; die Stimme der Freundschaft ruft sein Gewissen wach und zwingt ihn, die Hand anzunehmen, die Götz ihm darbietet; er schwört nie wieder den bischöflichen Palast zu betreten; aber so leicht er für edle Regungen zugänglich ist, so leicht läßt er sich nachher von der Eitelkeit verführen: der Versuchung erliegt er, kehrt sich auf's Neue gegen seinen edlen Freund und stirbt verrathen und vergiftet von seinem Weibe, der er alles geopfert, stirbt von niemandem betrauert, von sich selbst verachtet. Diese Wankelmüthigkeit ist voll Wahrheit, aber nicht mit Wahrheit dargestellt. Wir sehen Weislingen's Benehmen, können es aber nicht erklären; wir stehen vor einem Räthsel, wie wenn uns im wirklichen Leben solch ein Charakter begegnet, aber nicht vor einem Charakter, wie ihn die Kunst anzuschauen und zu durchschauen uns befähigt. Räthsel darzustellen ist nicht Sache der Kunst, und Shakespeare versteht es in seinen bedeutendsten glücklichsten Augenblicken, uns in die schwankenden Tiefen der Seele blicken zu lassen, während wir die Personen handeln sehen. Man vergleiche Weislingen mit so schwankenden Charakteren, wie Richard II., König Johann oder Hamlet – das ist kein Unterschied des Grades, sondern der Art.

Auch die Sprache ist nicht shakespearesch. Sie ist kraftvoll, malerisch, durchsichtig, dramatisch, aber sie ist nicht gesättigt mit Gedanken, nicht dunkel vor Tiefe, nicht schwer vor Ueberlastung mit Ideen, wie das Shakespeare eigenthümlich und oft sein Fehler ist. Sie hat nicht Shakespeare's Ueberfülle und verschwenderischen Bilderreichthum; ja, es ist sehr auffallend, und zumal bei einem Jugendwerke doppelt auffallend, wie sehr sie alles rednerischen Beiwerks entbehrt und bildliche Wendungen nur ihrer selbst wegen zu gebrauchen verschmäht.

Der Götz war der Erstling der romantischen Schule oder vielmehr der Richtung, von der diese Schule ausging. Sein Einfluß ging in weite Kreise; Walter Scott's historischem Talent, welches die Anschauungen Englands über die Vergangenheit umgestaltet und der Geschichte neues Leben eingeflößt hat, gab es den Anstoß und die Richtung; es machte das Mittelalter zu einem Gegenstande eifrigen und allseitigen Studiums; es entschied das Geschick des französischen Trauerspiels in der deutschen Literatur, aber im Ganzen ist der Einfluß des Götz auf die dramatische Kunst, wie mir scheint, mehr schädlich als wohlthätig gewesen, und zwar hauptsächlich deshalb, weil man den Unterschied zwischen einer dramatisirten Geschichte und einem Drama aus den Augen verlor.

Dieser schädliche Einfluß liegt namentlich in der übergroßen Wichtigkeit, mit der die Lokalfarben behandelt sind, und in der Vermischung des geschichtlichen mit dem dramatischen Element. Wer nur etwas mit den Werken der romantischen Schule in Deutschland oder Frankreich bekannt ist, wird das verstehen. Da Goethe's Absicht nicht war, ein Drama zu schreiben, sondern ein Bild des Mittelalters zu dramatisiren, so mußte er die Lokalfärbung in erster Linie beachten, und da er sie so anziehend ausführte, haben ihm andere auf Gebieten nachgeahmt, wo sie es nicht nöthig hatten. Ja, einige Kritiker sind von der Bedeutung derselben so überzeugt, daß sie mit allen erdenklichen Redensarten zu beweisen suchen, auch Shakespeare sei groß in der Kunst, bestimmte Zeitalter zu malen; nur daß sie dabei ganz vergessen, daß Lokalfarben für die Kritik und Gelehrsamkeit des Publikums, nicht für das Herz und die Einbildungskraft sind, daß sie der Geschichte, nicht dem Drama angehören. Selbst in einer Beutelperücke, mit einem feinen Gala-Degen an der Seite, konnte Macbeth die Zuschauer erbeben machen über das entsetzliche Verderben einer in Verbrechen verstrickten Seele, und eine größere Genauigkeit des Kostüms würde diese Tragödie nicht ergreifender machen, wäre die Welt nicht so überkritisch geworden und bestände da auf historischer Treue, wo in der wahrhaft dramatischen Zeit nur Leidenschaft verlangt wurde. Diesen überwiegenden und mißverstandenen Einfluß des historischen Elements wird der flüchtigste Blick auf unsere eigene dramatische Literatur in der Behandlung nicht weniger als in der Wahl der Gegenstände zur Genüge erweisen.

Als ein Bild seiner Zeit ist der Götz voll Leben und Wirkung, aber mehr als einmal bricht doch das achtzehnte Jahrhundert in das sechzehnte derb herein. Aus diesem Grunde hat ihm Hegel in seiner Aesthetik sehr willkürlich die Originalität abgesprochen. »Das wahrhafte Kunstwerk muß von dieser schiefen Originalität befreit werden; denn es erweist seine ächte Originalität nur dadurch, daß es als die eine eigne Schöpfung eines Geistes erscheint, der nichts von Außen her aufliest und zusammenflickt, sondern das Ganze im strengen Zusammenhange aus einem Guß in einem Tone sich durch sich selber produciren läßt, wie die Sache sich in sich selbst zusammengeeint hat. Finden sich dagegen die Scenen und Motive nicht durch sich selber, sondern blos von außen her zu einander, so ist die innre Nothwendigkeit ihrer Einigkeit nicht vorhanden, und sie erscheinen nur als zufällig durch ein drittes fremdes Subjekt verknüpft. So ist Goethe's Götz besonders seiner großen Originalität wegen bewundert worden, und allerdings hat Goethe mit vieler Kühnheit in diesem Werke alles geläugnet und mit Füßen getreten, was von den damaligen Theorien der schönen Wissenschaften als Kunstgesetz festgestellt war. Dennoch ist die Ausführung nicht von wahrhafter Originalität. Denn man sieht diesem Jugendwerke noch die Armuth eigenen Stoffes an, so daß nun viele Züge und ganze Scenen, statt aus dem großen Inhalte selber herausgearbeitet zu sein, hier und dort aus den Interessen der Zeit, in der es verfaßt ist, zusammengerafft und äußerlich eingefügt erscheinen. Die Scene z. B. des Götz mit dem Bruder Martin, welche auf Luthern hindeutet, enthält nur Vorstellungen, welche Goethe aus dem geschöpft hat, worüber man in dieser Periode in Deutschland die Mönche wieder zu bedauern anfing: daß sie keinen Wein trinken dürften, schläfrig verdauten, dadurch mancherlei Begierden anheimfielen, und überhaupt die drei unerträglichen Gelübde der Armuth, Keuschheit und des Gehorsams ablegen müßten. Dagegen begeistert sich Bruder Martin für das ritterliche Leben Götzen's: »wie dieser mit der Beute seiner Feinde beladen sich erinnere, den stach ich vom Pferd', ehe er schießen konnte, den rannte ich mitsammt dem Pferde nieder, und auf sein Schloß komme und sein Weib finde«; er trinkt auf Frau Elisabeth's Gesundheit und wischt sich die Augen. – Mit diesen zeitlichen Gedanken aber hat Luther nicht angefangen, sondern eine ganz andere Tiefe der religiösen Anschauung und Ueberzeugung aus Augustin als ein frommer Mönch geschöpft.

»In selbiger Weise folgen dann gleich in den nächsten Scenen pädagogische Zeitbeziehungen, die insbesondere Basedow in Anregung gebracht hatte. Die Kinder z. B. hieß es damals, lernten viel unverstandenes Zeug, die rechte Methode aber bestände darin, sie durch Anschauung und Erfahrung Realien zu lehren. Karl nun sagt seinem Vater ganz so, wie es zu Goethe's Jugendzeit Mode war, auswendig her: »Jaxthausen ist ein Dorf und Schloß an der Jaxt, gehört seit zweihundert Jahren den Herren von Berlichingen erb- und eigenthümlich zu«; als jedoch Götz ihn fragt: »kennst du den Herrn von Berlichingen«, sieht ihn der Bub starr an, und kennt vor lauter Gelehrsamkeit seinen eigenen Vater nicht. Götz versichert, er kannte alle Pfade, Weg und Furten, eh' er wußte wie Fluß, Dorf und Furt hieß.«

Bringen wir die Zeit der Entstehung in Anschlag, so ist Götz von Berlichingen ein wunderbares Werk, ein Werk voll kühner Kraft, voll Lebensfrische und Originalität, ein epochemachendes Werk. Wer es jetzt liest, als das Werk des großen Goethe, mag sich wohl etwas enttäuscht fühlen; aber als es erschien, hatte noch kein solch »prächtiges Ungeheuer« die pedantischen Regeln der Schule durchbrochen, und welch einen großen Eindruck es damals machte, mögen die Worte Wieland's im Deutschen Merkur beweisen, der es ein Stück nannte, »welches die drei Einheiten schändlich auf den Kopf stellt, weder Trauerspiel noch Lustspiel und trotzdem das schönste und bezauberndste Ungeheuer ist.«

Beim ersten Lesen läßt die athemlose Schnelligkeit der Entwicklung es nicht zum rechten Genuß kommen; überläuft man aber die kurz hingeworfenen Scenen noch einmal, so erstaunt man über die Fülle von Leben. Wie wunderbar z. B. ist die (in der zweiten Bearbeitung fehlende) Eröffnungsscene des fünften Aktes, wo Adelheid zu den Zigeunern kommt. Im Schneegestöber leuchtet der fahle Schein des Feuers der Zigeuner, dunkle Gestalten bewegen sich darum her, »ritten unter ihnen das stolze Weib; schaudernd sieht sie sich der alten Zigeunermutter gegenüber, die ihr wahrsagt, während ein wildblickender Zigeunerknabe mit »Augen wie's Irrlicht auf der Haide« sie heißverlangend anstarrt und mit seiner entsetzlichen Bewunderung ängstigt, – die ganze Scene lebt, und doch sind die einzelnen Züge, die sie lebendig machen, knapper als in irgend einem andern Werke, das ich kenne. Wie mächtig ferner wirkt die Scene des heimlichen Gerichts! Adelheid hat ihren Mann vergiftet, und das Vehmgericht versammelt sich, sie zu verurtheilen. In einem unterirdischen Gewölbe sitzen die Richter, vermummte Gestalten; der Kläger erhebt seine Klage; unter dreifachem Wehe wird das Urtheil gesprochen und der Rächer mit der Vollziehung beauftragt. Der nächtliche Graus, der diese Scene umdunkelt, bereitet recht auf die noch furchtbarere Mordscene vor, in die wir näher eingehen, da sie in der zweiten Bearbeitung ganz fehlt. Adelheid ist im Bett, ohne Ruhe und Schlaf wirft sie sich hin und her, die Nacht ist ihr schrecklich; sie sehnt sich, daß es Morgen wäre. »Ob Weislingen todt ist?« fragt sie sich leise; sie zieht die Schelle; es hört sie niemand; »der Schlaf hält ihnen die Ohren zu! – Ob Franz todt ist? es war ein lieber Junge – o Sickingen, Sickingen!« So den Namen murmelnd, der ihr jetzt theuer ist, schläft sie über dem Rückblick aus ihre Mordthaten ein; der Geist des ermordeten Franz erscheint, ruft sie beim Namen und verschwindet, der Rächer kommt unterm Bett hervor.

Adelheid ( erwacht). Ich sah ihn! Er rang mit der Todesangst! Er rief mir! rief mir! Seine Blicke waren hohl und liebevoll – Mörder! Mörder!

Rächer. Ruf nicht! Du rufst den Tod! Rachegeister halten der Hülfe die Ohren zu.

Adelheid. Willst Du mein Gold? meine Juwelen? Nimm sie! laß mir das Leben!

Rächer. Ich bin kein Räuber; Finsterniß hat Finsterniß gerichtet und Du mußt sterben!

Adelheid. Wehe! Wehe!

Rächer. Ueber Deinen Kopf! Wenn die scheußlichen Gestalten Deiner Thaten Dich nicht zur Hölle hinabschrecken, so blick auf, blick auf zum Rächer im Himmel, und bitt, mit dem Opfer genug zu haben, das ich ihm bringe.

Adelheid. Laß mich leben! Was hab ich Dir gethan? Ich umfaß Deine Füße.

Rächer ( vor sich.) Ein königliches Weib! Welcher Blick! welche Stimme! In ihren Armen würd ich Elender ein Gott sein. – Wenn ich sie täuschte! – Und sie bleibt doch in meiner Gewalt! –

Adelheid. Er scheint bewegt.

Rächer. Adelheid, Du erweichst mich. Willst Du mir zugestehn –?

Adelheid. Was?

Rächer. Was ein Mann verlangen kann von einer schönen Frau, in tiefer Nacht!

Adelheid ( vor sich). Mein Maß ist voll. Laster und Schande haben mich wie Flammen der Hölle mit teuflischen Armen umfaßt Ich büße, büße. Umsonst suchst Du Laster mit Laster, Schande mit Schande zu tilgen. Die scheußlichste Entehrung und der schmählichste Tod in einem Höllenbild vor meinen Augen!

Rächer. Entschließ Dich!

Adelheid ( steht auf). Ein Strahl von Rettung! ( Sie geht nach dem Bette; er folgt ihr; sie zieht einen Dolch von Häupten und sticht ihn).

Rächer. Bis an's Ende Verrätherin! ( Er fällt über sie her und erdrosselt sie). Die Schlange! ( Er giebt ihr mit dem Dolch Stiche). Auch ich blute. So bezahlt sich dein blutig Gelüst. – Du bist nicht der erste. – Gott! machtest du sie so schön, und konntest du sie nicht gut machen!

In dem einfachen Pathos der Schlußscene des ganzen Stücks ist eine Größe, vollauf des Inhalts würdig. Als Abschluß unsrer Besprechung mag sie in ihrer Kürze auch hier eine Stelle finden; man wird sie immer gern lesen. – Es geht zu Ende mit Götz; wund an Leib und Seele läßt er sich in das Gärtchen des Gefangenwärters führen, um da seinen letzten Athem zu verhauchen.

Götz. Allmächtiger Gott! wie wohl ist's einem unter deinem Himmel! Wie frei! – Die Bäume treiben Knospen und alle Welt hofft. Lebt wohl meine Lieben! Meine Wurzeln sind abgehauen, meine Kraft sinkt nach dem Grabe.

Elisabeth. Darf ich Lersen nach Deinem Sohn in's Kloster schicken, daß Du ihn noch einmal siehst und segnest?

Götz. Laß ihn! er ist heiliger als ich, er braucht meinen Segen nicht. – An unserm Hochzeittag, Elisabeth, ahnte mir's nicht, daß ich so sterben würde. – Mein alter Vater segnete uns, und eine Nachkommenschaft von edlen tapfern Söhnen quoll aus seinem Gebet. – Du hast ihn nicht erhört, und ich bin der Letzte. – Lerse, Dein Angesicht freut mich in der Stunde des Todes mehr als im muthigsten Gefecht. Damals führte mein Geist den eurigen; jetzt hältst Du mich aufrecht. Ach, daß ich Georgen noch einmal sähe, mich an seinem Blick erwärmte! – Ihr seht zur Erden und weint – Er ist todt – Georg ist todt. – Stirb, Götz! – Du hast Dich selbst überlebt, die Edlen überlebt. – Wie starb er? – Ach, fingen Sie ihn unter den Mordbrennern, und ist er hingerichtet?

Elisabeth. Nein, er wurde bei Miltenberg erstochen. Er wehrte sich wie ein Löw um seine Freiheit.

Götz. Gott sei Dank! Er war der beste Junge unter der Sonne und tapfer. – Löse meine Seele nun. – Arme Frau! Ich lasse Dich in einer verderbten Welt. Lerse, verlaß sie nicht! Schließt eure Herzen sorgfältiger als eure Thore. Es kommen die Zeiten des Betrugs, es ist ihm Freiheit gegeben. Die Nichtswürdigen werden regieren mit List, und der Edle wird in ihre Netze fallen. Maria, gebe Dir Gott Deinen Mann wieder. Möge er nicht so tief fallen, als er hochgestiegen ist! Selbitz starb, und der gute Kaiser, und mein Georg – Gebt mir einen Trunk Wasser – Himmlische Luft – Freiheit! Freiheit! ( Er stirbt.)

Elisabeth. Nur droben, droben bei Dir. Die Welt ist ein Gefängniß.

Maria. Edler Mann! Edler Mann! Wehe dem Jahrhundert, das Dich von sich stieß!

Lerse. Wehe der Nachkommenschaft, die Dich verkennt.



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