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Vierter Abschnitt.
Heimkehr

Goethe's Empfang daheim. Briefe an Käthchen Schönkopf. Sie heirathet Dr. Kanne. Unangenehmes Verhältniß zu seinem Vater. Alchymistische Studien. Die Religion tritt in den Vordergrund seiner Gedanken. Vorübergehende Neigung zu Charitas Meixner.

Ein Jüngling an Jahren, an Erfahrung ein Mann kehrte er heim. Mit gebrochener Gesundheit, geistig unglücklich, nach keiner Richtung hin fest entschlossen, seiner selbst und seiner Ziele nicht sicher, war es ihm bei der Annäherung an die Vaterstadt zu Sinne, wie dem verlornen Sohne, der reuig heimkehrt zum Vater. Und gleich diesem ahnte er nicht, daß auch für ihn ein gemästet Kalb geschlachtet wurde. Sein Vater war nicht im Stande, den wahrhaften Fortschritt zu bemerken, den der Sohn gemacht hatte, aber um so deutlicher sah er ein, wie gering die Aussicht war, daß ein tüchtiger Jurist aus ihm werde. Die Väter von Dichtern sind selten mit den Fortschritten ihrer Söhne zufrieden. Nur an den vollendet dummen jungen Herren haben alle Eltern gleichmäßig ihre Freude; die halten sich auf der großen Heerstraße, wo die Entfernungen genau durch Meilensteine bezeichnet sind, und wenn die Eltern dann sehen, wie stattlich weit die Söhne sich schon geschleppt haben, so hat all ihre Sorge ein Ende. Ueber jenen stillen Fortschritt der Entwicklung aber, der weniger ein Marsch auf der offenen Straße als eine Kräftigung der Glieder zu tüchtigen Wanderungen ist – über den haben die Eltern kein Urtheil.

Mutter und Schwester dagegen rührte das abgezehrte Gesicht des Jünglings, und nach Frauen Art mehr für das interessirt, was er war, als was er erworben hatte, empfingen sie ihn mit einer Zärtlichkeit, welche für die Kälte des Vaters Ersatz gab. Die Selbstbiographie Goethe's läßt uns in diese häuslichen Verhältnisse einen ergreifenden Blick thun. Der Vater verhehlte wohl den Verdruß, anstatt eines rüstigen Sohnes einen Kränkling zu finden, der noch mehr an der Seele als am Körper zu leiden schien, aber er verbarg den Wunsch nicht, daß man sich mit der Kur, die seine langgehegten Pläne durchkreuzte, beeilen möge, ließ bei dem langsamen Fortschritt der Genesung mehr Ungeduld als billig sehen, und äußerte sich über das, was in keines Menschen Hand lag, oft auf eine grausame Weise, als wenn es nur vom Willen abhinge.

Von diesem trüben Bilde wenden wir gern den Blick zu den Briefen, die Goethe von Frankfurt an seine alte Liebe, Käthchen Schönkopf, schrieb. Er scheint Leipzig verlassen zu haben, ohne ihr Lebewohl zu sagen. In seinem ersten Briefe spielt er in folgenden Worten darauf an:

»Apropos, daß ich nicht Abschied genommen habe, werden Sie mir doch vergeben haben. In der Nachbarschaft war ich, ich war schon unten an der Thüre, ich sah die Laterne brennen, und ging biß an die Treppe, aber ich hatte das Herz nicht hinaufzusteigen. Zum letztenmal, wie wäre ich wieder herunter gekommen.

»Ich tuhe also jetzt, was ich damals hätte tuhn sollen, ich danke Ihnen für alle Liebe und Freundschafft, die Sie mir so beständig erwiesen haben, und die ich nie vergessen werde. Ich brauche Sie nicht zu bitten Sich meiner zu erinnern, tausend Gelegenheiten werden kommen, bei denen Sie an einen Menschen gedenken müssen, der drittehalb Jahre ein Stück Ihrer Famielie ausmachte, der Ihnen wohl oft Gelegenheit zum Unwillen gab, aber doch immer ein guter Junge war, und den Sie hoffentlich manchmal vermissen werden. Wenigstens ich vermisse Sie offt. – Darüber will ich weggehen, denn das ist immer für mich ein trauriges Kapitel.«

Die Geschwulst am Halse wurde bedenklich; die Aerzte wußten nicht recht, was es war, und schwankten in der Behandlung. Wiederholt geätzt zu werden und stets das Zimmer hüten zu müssen, das war eine böse Kur. Mit Lesen, Zeichnen, Radiren verbrachte er die Zeit. Endlich am Schluß des Jahres erklärten ihn die Aerzte für hergestellt. Diese Genesung kündigte folgender Brief an Käthchen an:

»Meine beste, ängstliche Freundinn

»Sie werden ohne Zweifel zum neuen Jahre, durch Hornen die Nachricht von meiner Genesung erhalten haben; und ich eile es zu bestätigen. Ja meine Liebe, es ist wieder vorbey, und inskünftige müssen Sie sich beruhigen wenn es ja heissen sollte: Er liegt wieder! Sie wissen meine Constitution macht manchmal einen Fehltritt, und in acht Tagen hat sie sich wieder zurecht geholfen; diesmal war's arg, und sah noch ärger aus als es war, und war mit schrecklichen Schmerzen verbunden. Unglück ist auch gut. Ich habe viel in der Krankheit gelernt, das ich nirgends in meinem Leben hätte lernen können. Es ist vorbey und ich binn wieder ganz munter, ob ich gleich drey volle Wochen nicht aus der Stube gekommen binn, und mich fast niemand besucht, als mein Docktor, der Gott sey Danck ein liebenswürdiger Mann ist. Ein närrisch Ding um uns Menschen, wie ich in munterer Gesellschaft war, war ich verdrüsslich, jetzt binn ich von aller Welt verlassen, und binn lustig; denn selbst meine Krankheit über, hat meine Munterkeit meine Famielie getröstet, die gar nicht in einem Zustande war, sich, geschweige mich zu trösten. Das Neujahrslied, das sie auch werden empfangen haben, habe ich in einem Anfall von groser Narrheit gemacht, und zum Zeitvertreibe drucken lassen. Uebrigenn zeichne ich sehr viel, schreibe Mährgen, und binn mit mir selbst zufrieden. Gott gebe mir das neue Jahr was mir gut ist, das geb er uns allen, und wenn wir nichts mehr bitten als das; so können wir gewiss hoffen, daß er's uns giebt. Wenn ich nur biss in Aprill komme, ich will mich gern hinein schicken lassen. Da wird's besser werden hoffe ich, besonders kann meine Gesundheit täglich zunehmen, weil man nun eigentlich weiss was mir fehlt. Meine Lunge ist so gesund als möglich, aber am Magen sitzt was. Und im Vertrauen man hat mir zu einer angenehmen vergnüglichen Lebensart Hoffnung gemacht, so dass meine Seele sehr munter und ruhig ist. Sobald ich wieder besser binn, werde ich ausgehen in fremde Lande, und es soll nur auf Sie und noch jemand ankommen, wie bald ich Leipzig wiedersehen soll; Inzwischen dencke ich nach Frankreich zu gehen, und zu sehen wie sich das französische Leben lebt, und um französisch zu lernen. Da können Sie Sich vorstellen was ich ein artiger Mensch seyn werde, wenn ich wieder zu Ihnen komme. Manchmal fällt mir's ein, dass es doch ein närrischer Streich wäre, wenn ich trutz meiner schönen Projeckten vor Ostern stürbe. Da verordnete ich mir einen Grabstein, auf dem Leipziger Kirchhof, dass ihr doch wenigstens alle Jahr am Johannes, als an meinem Nahmens Tag, das Johannismännchen, und mein Denkmal besuchen möget. Wie meynen Sie?«

Zur Feier seiner Genesung gab Rath Moritz eine große Gesellschaft, bei der alle Frankfurter Freunde sich einfanden. Nach kurzer Zeit aber warf eine andere Krankheit den Dichter nieder, und, schlimmer als das, von Leipzig kam die Nachricht, Käthchen sei mit einem Dr. Kanne verlobt, den Goethe bei ihr eingeführt hatte. Das machte der Unruhe, die er um sie empfunden, für immer ein Ende. Er schrieb ihr:

»Meine liebe, meine theure Freundinn,

»Ein Traum hat mich diese Nacht erinnert, daß ich Ihnen eine Antwort schuldig binn. Nicht als wenn ich es so ganz vergessen hätte, nicht, als wenn ich nie an Sie dächte, nein meine Freundinn, jeder Tag sagt mir was von Ihnen und von meinen Schulden. Aber es ist seltsam, und es ist eine Empfindung die Sie vielleicht auch kennen werden, die Erinnerung an Abwesende, wird durch die Zeit, nicht ausgelöscht, aber doch verdeckt. Die Zerstreuungen unsres Lebens, die Bekanntschaft mit neuen Gegenständen, kurz jede Veränderung unsres Zustandes, thun unsrem Herzen das was Staub und Rauch einem Gemählde thun, sie machen die feinen Züge ganz unkenntlich, dass man nicht weiss wie es zugeht. Tausend Dinge erinnern mich an Sie, ich sehe tausendmal Ihr Bild, aber so schwach, und offt mit so wenig Empfindung, als wenn ich an jemand fremdes gedächte, es fällt mir offt ein, dass ich Ihnen eine Antwort schuldig binn, ohne dass ich den geringsten Zug empfinde Ihnen zu schreiben. Wenn ich nun Ihren gütigen Brief lese, der schon etliche Monate alt ist, und Ihre Freundschafft sehe, und Ihre Sorge für einen Unwürdigen, da erschrecke ich vor mir selbst, und empfinde erst, was für eine traurige Veränderung in meinem Herzen vorgegangen sein muss, dass ich ohne Freude dabey sein kann, was mich sonst in den Himmel gehoben haben würde. Verzeihen Sie mir das! Kann man einem Unglücklichen verdencken dass er sich nicht freun kann. Mein Elend hat mich auch gegen das Gute stumpf gemacht, was mir noch übrig bleibt. Mein Körper ist wieder hergestellt, aber meine Seele ist noch nicht geheilt, ich bin in einer stillen unthätigen Ruhe, aber das heisst nicht glücklich sein. Und in dieser Gelassenheit, ist meine Einbildungskrafft so stille, daß ich mir auch keine Vorstellung von dem machen kann was mir sonst das liebste war. Nur im Traum erscheint mir manchmal mein Herz wie es ist, nur ein Traum vermag mir die süssen Bilder zurückzurufen, so zurückzurufen dass meine Empfindung lebendig wird, ich habe es Ihnen schon gesagt, diesen Brief sind Sie einem Traume schuldig. Ich habe Sie gesehen, ich war bey Ihnen, wie es war das ist zu sonderbaar als dass ich es Ihnen erzählen möchte. Alles mit einem Wort, Sie waren verheurahtet. Sollte das wahr sein? Ich nahm Ihren lieben Brief, und es stimmt mit der Zeit überein; wenn es wahr ist, o so möge das der Anfang Ihres Glückes sein.

»Wenn ich uneigennützig darüber dencke, wie freut das mich, Sie, meine beste Freundinn, Sie, noch vor jeder Andern, die Sie beneidete, die Sich mehr dünckte als Sie, in den Armen eines liebenswürdigen Gatten zu wissen, Sie vergnügt zu wissen, und befreit von jeder Unbequemlichkeit, der ein lediger Stand, und besonders Ihr lediger Stand ausgesetzt war. Ich dancke meinem Traum dass er mir Ihr Glück recht lebhaft geschildert hat, und das Glück Ihres Gatten, und seine Belohnung dafür dass er Sie glücklich gemacht hat. Erhalten Sie mir seine Freundschafft, dadurch dass Sie meine Freundinn bleiben, denn, auch biss auf die Freunde müssen Sie jetzt alles gemein haben. Wenn ich meinem Traum glauben darf, so sehen wir einander wieder, aber ich hoffe noch sobald nicht, und was an mir liegt will ich seine Erfüllung hinauszuschieben suchen. Wenn anders ein Mensch etwas wider das Schicksaal unternehmen kann. Ehmals schrieb ich Ihnen etwas räthselhafft, von dem was mit mir werden würde, jetzt läßt sich 's deutlicher sagen, ich werde den Ort meines Aufenthalts verändern, und weiter von Ihnen wegrücken. Nichts soll mich mehr an Leipzig erinnern, als etwa ein ungestümer Traum, kein Freund der daher kömmt, kein Brief. Und doch mercke ich, dass mich es nichts helfen wird. Geduld, Zeit und Entfernung, werden das thun was sonst nichts zu thun vermag, sie werden jeden unangenehmen Eindruck auslöschen, und unserer Freundschafft, mit dem Vergnügen, das Leben wiedergeben, dass wir uns nach einer Reihe von Jahren, mit ganz andern Augen, aber mit eben dem Herzen wiedersehen werden. Biss dahin leben Sie wohl. Doch nicht ganz biss dahin. Binnen Einem viertel Jahre, sollen Sie noch einen Brief von mir haben, der Ihnen den Ort meiner Bestimmung, die Zeit meiner Abreise melden wird, und Ihnen das zum Ueberfluss noch einmal sagen kann was ich Ihnen schon tausendmal gesagt habe. Ich bitte Sie mir nicht mehr zu antworten, lassen Sie mir's durch meinen Freund sagen, wenn Sie noch was an mich haben sollten. Es ist das eine traurige Bitte, meine beste, meine Einzige von Ihrem ganzen Geschlechts, die ich nicht Freundinn nennen mag, denn das ist ein nicht bedeudtender Tittul gegen das was ich fühle. Ich mag Ihre Hand nicht mehr sehen, so wenig als ich Ihre Stimme hören mögte, es ist mir leid genug dass meine Träume so geschäfftig sind. Sie sollen noch Einen Brief haben; das will ich heilig halten, und von meinen Schulden will ich einen Theil abtragen, den andern müssen Sie mir noch nachsehen.«

Um diese Episode abzuschließen, stehe hier noch eine Stelle aus dem letzten Briefe an Käthchen, der uns erhalten ist; er ist aus Frankfurt vom Januar 1770:

»Dass ich ruhig lebe, das ist alles was ich Ihnen von mir sagen kann, und frisch und gesund und fleißig, denn ich habe kein Mädgen im Kopfe. Horn und ich sind noch immer gute Freunde, aber wie es in der Welt geht, er hat seine Gedanken, und seine Gänge, und ich habe meine Gedanken und meine Gänge, und da vergeht eine Woche und wir sehen uns kaum einmal.

»Aber alles wohl betrachtet, Frankfurt binn ich nun endlich satt, und zu Ende des Merzens geh ich von hier weg. Zu Ihnen darf ich noch nicht kommen das merck' ich; denn wenn ich Ostern käme, so wären Sie vielleicht noch nicht verheurahtet. Und Käthgen Schönkopf mag ich nicht mehr sehen; wenn ich sie nicht anders sehen soll, als so. Zu Ende Merzens geh ich nach Strasburg, wenn Ihnen daran was gelegen ist, wie ich glaube. Wollen Sie mir auch nach Strasburg schreiben? Sie werden mir eben keinen Possen thun. Denn Käthgen Schönkopf – nun ich weiss ja am besten, daß ein Brief von Ihnen mir so lieb ist als sonst eine Hand.

»Sie sind ewig das liebenswürdige Mädgen, und werden auch die liebenswürdige Frau seyn. Und ich, ich werde Goethe bleiben. Sie wissen was das heisst. Wenn ich meinen Nahmen nenne, nenne ich mich ganz, und Sie wissen, dass ich, so lang als ich Sie kenne, nur als ein Theil von Ihnen gelebt habe.«

Das ist der Lauf der Welt; so fallen die jungen Blüthen der Liebe ab, die nicht die Kraft haben, zur Frucht zu reifen. »Das liebenswürdigste Herz,« so schreibt er mit einem gewissen bittern Humor an Käthchen, »ist das welches am leichtesten liebt, aber das am leichtsten liebt, vergißt auch am leichtesten.« Bei ihm selbst war das der Fall; er konnte nicht leben ohne eine Seele, die er liebte, aber die Thränen, die ihm ihr Verlust abpreßte, trocknete seine bewegliche Natur gar bald.

In seinen häuslichen Beziehungen finden wir ihn zu seinem Vater in einem kalten, unbehaglichen Verhältniß. Dieser hatte durch die Strenge einer pedantischen Erziehung seine Tochter Cornelia fast zum Haß gegen sich aufgebracht. Der alte Herr arbeitete an seiner italienischen Reisebeschreibung fort und verwendete daneben einen großen Theil seiner Zeit auf den Unterricht der Tochter. Unruhig, reizbar, fast krankhaft, empörte sie sich im Stillen gegen seine Härte und machte den Bruder zum geheimen Vertrauten ihres Kummers. Die arme Mutter litt schwer darunter, ihre Kinder beruhigen und zwischen ihnen und dem Vater vermitteln zu müssen.

Ein Vorgang aus dieser Zeit, den Goethe selbst erzählt, ist sehr bemerkenswerth. Er wurde abermals krank; diesmal war es ein Magenleiden, und kein Mittel der Frankfurter Heilkunde schien dagegen etwas zu vermögen. Der Hausarzt gehörte zu jenen betrogenen Betrügern, die noch an die großen Künste der Alchymie glaubten. Er hatte die Meinung zu verbreiten gewußt, als habe er ein wunderbares Geheimmittel, das nur in den größten Gefahren angewendet werden durfte und von dem niemand offen zu reden wagte. Nun, in ihrer Angst um den Sohn, zwang ihn Frau Aja, mit seiner Universal-Medicin herauszurücken; er willigte ein, gab ihm ein krystallisirtes trocknes Salz, der Kranke genas, und natürlich wurde dadurch der Glaube an die Geschicklichkeit des Arztes noch verstärkt. So erlangte der Dichter nicht nur seine Gesundheit wieder, er ließ sich auch zum Studium der Alchymie verleiten und forschte nach der geheimnißvollen »jungfräulichen Erde.« In seinem alten Giebelzimmer im väterlichen Hause am Hirschgraben stellte er einen Apparat von Retorten und Destillirkolben auf und suchte nach Anweisung der Autoritäten in das Geheimniß einzudringen, welches damals für leicht erforschbar galt. Aber bei diesen wunderlichen Studien lernte er doch mancherlei. Er las die Werke von Theophrastus Paracelsus, Helmont und andern Alchymisten und, was fruchtbringender war, das chemische Compendium Boerhave's so wie dessen Aphorismen, an denen er große Freude hatte. Das waren Vorstudien zum Faust.

Durch die Erneuerung des Verkehrs mit Fräulein von Klettenberg und durch mancherlei theologische und philosophische Lektüre trat die Religion sehr in den Vordergrund seiner Gedanken. Er hatte so oft sagen hören, am Ende habe doch jeder Mensch seine eigene Religion, daß es ihm ganz natürlich vorkam, auch er könne sich seine eigene bilden, und er that es »mit vieler Behaglichkeit.« Das neuplatonische Christenthum, das er sich machte, hat er uns in Wahrheit und Dichtung, am Schluß des achten Buches, kurz dargestellt, aber diese Darstellung ist so lange nach der Zeit geschrieben, auf die sie sich bezieht, daß sie schwerlich für getreu gelten kann. Für den Zweck unsrer Lebensbeschreibung genügt der Hinweis auf die ernste Bedeutung, zu der, neben den alchymistischen Studien, sein Nachdenken über Religion sich erhob. Die Dichtkunst schien ihn ganz verlassen zu haben, nur daß er an den beiden dramatischen Arbeiten aus Leipzig gelegentlich besserte. In einem Briefe von damals machte er mit vielem Humor die Bardenpoesie jener Zeit herunter, die patriotisch und kriegerisch zugleich sein wollte und doch nichts war »als ein ewig Gedonner der Schlacht, die Gluth, die dem Muth aus dem Auge blitzt, der goldne Helm mit Blut bespritzt, der Speer, ein paar Dutzend ungeheurer Hyperbeln, ein ewig Ha! und Ach! wenn der Vers nicht voll werden will.« Das, meint er, sei nicht auszustehen. »Macht mich was fühlen, was ich nicht fühle, was denken, was ich nicht gedacht habe, und ich will euch loben. Aber Lärm und Geschrei statt des Pathos, das thut's nicht.«

Im Frühjahr 1770 war Goethe's Gesundheit wieder ganz gekräftigt; sein Vater konnte hoffen, daß er nun die juristischen Studien tüchtig fortzusetzen im Stande sei, und diesmal war die erwählte Universität Straßburg.



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